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VfGH vom 16.03.1985, g18/85

VfGH vom 16.03.1985, g18/85

Sammlungsnummer

10412

Leitsatz

Nö. WahlO für Statutarstädte; Verstoß der Bestimmungen über die "Briefwahl" gegen die Verfassungsprinzipien der "geheimen" und "persönlichen" Wahl

Spruch

I. Folgende Bestimmungen der (Nö.) Wahlordnung für Statutarstädte, LGBl. 0360-2, werden als verfassungswidrig aufgehoben:

In § 5 Abs 1 die Worte ", zu denen jedenfalls auch die Entgegennahme und Behebung der Wahlbriefe gehört";

in § 30 Abs 1 die Worte "oder mit Wahlbrief";

in § 32 Abs 1 die Worte "oder auf dem Briefwege";

§54 zur Gänze;

in der Überschrift zu § 54a das Wort "anderen";

in der Überschrift des 12. Teiles die Worte "und Wahlbriefe";

§59a zur Gänze;

§60a zur Gänze;

in § 61 Abs 3 litc die Worte ", bzw. die Wahlbriefumschläge mit den Wahlkarten";

in § 61 Abs 3 litd die Worte "und die ungültigen Wahlbriefe";

in § 90 Abs 2 die Worte ", den amtlichen Wahlbriefumschlag";

in § 91 Abs 1 die Z 10 zur Gänze;

in § 91 Abs 2 die Worte "bei Verwaltungsübertretungen gemäß Abs 1 Z 10 bis zu 10.000 S,".

II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

III. Der Landeshauptmann von NÖ ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im LGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Mit Gesetzesbeschluß des Nö. Landtages vom wurde die (Nö.) Wahlordnung für Statutarstädte geändert. Der Landeshauptmann von NÖ gab den Gesetzesbeschluß gemäß Art 98 Abs 1 B-VG dem Bundeskanzleramt bekannt; daraufhin erhob die Bundesregierung fristgerecht Einspruch gemäß Art 98 Abs 2 B-VG.

In der Folge wurde der beeinspruchte Gesetzesbeschluß vom Nö. Landtag am gemäß Art 98 Abs 2 letzter Satz B-VG wiederholt und vom Landeshauptmann am 1. Feber 1985 im LGBl. für NÖ unter der Nr. 0360-2 kundgemacht.

Die (Nö.) Wahlordnung für Statutarstädte (STWO) idF der zitierten Nov. vom , LGBl. 0360-2, lautet ua. folgendermaßen:

"§5

Wirkungskreis der Wahlbehörden

(1) Die Wahlbehörden haben die Geschäfte zu besorgen, die ihnen nach diesem Gesetz zukommen. Hiebei entscheiden sie in allen Fragen, die sich in ihrem Bereich über das Wahlrecht und die Ausübung der Wahl ergeben; ihre Tätigkeit hat sich jedoch nur auf allgemeine grundsätzliche und wichtige Verfügungen und Entscheidungen zu beschränken. Alle anderen Arbeiten obliegen den Wahlleitern, zu denen jedenfalls auch die Entgegennahme und Behebung der Wahlbriefe gehört.

(2) Den Wahlbehörden werden die notwendigen Hilfskräfte und Hilfsmittel vom Magistrate zugewiesen.

...

§30

Anspruch

(1) Wahlberechtigte, die im Besitz einer Wahlkarte sind, können ihr Wahlrecht auch in einem anderen Wahlsprengel der Stadt als dem ihrer Eintragung in das Wählerverzeichnis oder mit Wahlbrief ausüben.

(2) Wahlberechtigte, haben Anspruch auf Ausstellung einer Wahlkarte, wenn sie glaubhaft machen, daß sie sich voraussichtlich am Wahltag in einem anderen Wahlsprengel als dem ihrer Eintragung in das Wählerverzeichnis oder außerhalb der Stadt aufhalten werden und deshalb ihr Wahlrecht nicht ausüben könnten oder daß ihnen infolge einer Krankheit oder eines Gebrechens das Erscheinen vor der Wahlbehörde nicht zugemutet werden kann.

...

§32

Ausstellung der Wahlkarte

(1) Die Wahlkarte hat zu bescheinigen, daß eine bestimmte Person berechtigt ist, das Wahlrecht in jedem hiefür vorgesehenen Wahlsprengel der Stadt oder auf dem Briefwege auszuüben.

(2) Der Wahlkarte sind anzuschließen:

1. ein amtlicher (leerer) Stimmzettel,

2. ein undurchsichtiges Wahlkuvert,

3. ein amtlicher Wahlbriefumschlag, der an die Stadtwahlbehörde gerichtet ist,

4. eine Siegelmarke und

5. ein Merkblatt mit Erläuterungen für die Wahl mittels Wahlkarte.

(3) Der Magistrat muß mündlich beantragte Wahlkarten sogleich ausstellen. Er muß schriftlich beantragte Wahlkarten zu eigenen Handen zustellen.

(4) Die Ausstellung einer Wahlkarte ist im Wählerverzeichnis in der Rubrik 'Anmerkung' bei dem betreffenden Wähler mit dem Wort 'Wahlkarte' in auffälliger Weise (zB mit Buntstift) zu vermerken.

(5) Für eine verlorene oder unbrauchbar gewordene Wahlkarte darf ein Duplikat nicht ausgestellt werden.

...

§54

Vorgang bei der Wahl mit Wahlbrief

(1) Wer sein Wahlrecht mit Wahlbrief auszuüben beabsichtigt, hat unbeobachtet den Stimmzettel auszufüllen und in das Wahlkuvert zu legen.

(2) Blinde, schwer Sehbehinderte sowie Personen, die gelähmt oder des Gebrauches der Hände unfähig oder von solcher körperlicher Verfassung sind, daß ihnen die Ausfüllung des Stimmzettels ohne fremde Hilfe nicht zugemutet werden kann, dürfen sich hiebei einer Person ihres Vertrauens bedienen. Abs 1 ist sinngemäß anzuwenden.

(3) Hierauf hat der Wähler, oder im Falle des Abs 2 die Person seines Vertrauens, die auf der Wahlkarte vorgedruckte Erklärung, daß er den im Wahlkuvert befindlichen Stimmzettel unbeobachtet persönlich oder als Person seines Vertrauens nur vom Wähler beobachtet entsprechend dem Willen des Wählers ausgefüllt hat, unter Angabe des Ortes und Tages eigenhändig zu unterschreiben, die Wahlkarte und das Wahlkuvert in den amtlichen Wahlbriefumschlag zu legen, den amtlichen Wahlbriefumschlag mit der Siegelmarke zu verschließen und durch die Post an die Stadtwahlbehörde so rechtzeitig zu übersenden, daß der Wahlbrief von der Stadtwahlbehörde noch vor dem Ende der Wahlzeit behoben werden kann. Wahlbriefe, die zu einem späteren Zeitpunkt einlangen, gelten als nicht eingebracht. Wahlbriefe können auch am Tag vor dem Wahltag zu der von der Stadtwahlbehörde zu bestimmenden Zeit persönlich abgegeben werden, wobei die Identität durch eine Urkunde oder sonstige amtliche Bescheinigung im Sinne des § 52 Abs 2 glaubhaft zu machen ist. Für die persönliche Abgabe der Wahlbriefe sind am Tag vor dem Wahltag mindestens zwei Stunden zu bestimmen, wovon eine auf den Nachmittag zu entfallen hat. Wahlbriefe, die außerhalb dieses Zeitpunktes oder nicht persönlich abgegeben werden, gelten als nicht eingebracht.

(4) Die Stadtwahlbehörde hat für die durch die Post übersendeten Wahlbriefe ein Postfach einzurichten und dieses zu dem nach den Postvorschriften spätest möglichen Zeitpunkt, jedoch vor dem Ende der Wahlzeit zu entleeren. Die aus dem Postfach entnommenen und die bei der Stadtwahlbehörde persönlich abgegebenen Wahlbriefe sind bis zum Ende der Wahlzeit unter Verschluß aufzubewahren. Wahlbriefe, die gemäß Abs 3 als nicht eingebracht gelten, sind ungeöffnet zu den Wahlakten zu legen. Auf den Wahlbriefen ist der Grund, weshalb die Wahlbriefe als nicht eingebracht gelten, zu vermerken. Dieser Vorgang ist in einer Niederschrift festzuhalten.

§54a

Vorgang bei anderen Wahlkartenwählern

(1) Erscheint ein Wahlkartenwähler vor einer Wahlbehörde, in deren Wählerverzeichnis er nicht eingetragen ist, um sein Wahlrecht auszuüben, hat er neben der Wahlkarte auch noch eine der im § 52 Abs 2 angeführten Urkunden oder amtlichen Bescheinigungen vorzuweisen, aus der sich seine Identität mit der in der Wahlkarte bezeichneten Person ergibt. Die Namen von Wahlkartenwählern sind am Schlusse des Wählerverzeichnisses unter fortlaufenden Zahlen einzutragen und in der Niederschrift über den Wahlvorgang anzumerken. Die Wahlkarte ist dem Wähler abzunehmen, mit der fortlaufenden Zahl des Wählerverzeichnisses zu versehen und der Niederschrift anzuschließen. Wurde ein Wahllokal nur für Wahlkartenwähler bestimmt, so ist die fortlaufende Zahl des Wählerverzeichnisses auf der Wahlkarte zu vermerken.

(2) Erscheint ein Wahlkartenwähler vor der nach seiner ursprünglichen Eintragung im Wählerverzeichnis zuständigen Wahlbehörde, so kann er auch hier unter Beobachtung der Bestimmungen dieses Gesetzes seine Stimme abgeben, doch ist ihm die Wahlkarte nach der Stimmenabgabe abzunehmen.

...

12. Teil

Stimmzettel und Wahlbriefe

...

§59a

Ungültige Wahlbriefe

Der Wahlbrief ist ungültig, wenn

1. kein amtlicher Wahlbriefumschlag (§32 Abs 2 Z 3) verwendet wurde,

2. er keine oder eine nicht gemäß § 54 Abs 3 unterschriebene Wahlkarte enthält,

3. er kein Wahlkuvert oder kein dem § 32 Abs 2 Z 2 entsprechendes Wahlkuvert enthält,

4. der Wahlbriefumschlag mehrere Wahlkuverts, aber nicht eine gleiche Anzahl gemäß § 54 Abs 3 unterschriebener Wahlkarten enthält,

5. der Wahlbriefumschlag nicht mit der Siegelmarke (§32 Abs 2 Z 4) verschlossen wurde.

...

§60a

Stimmenzählung bei Wahlbriefen

(1) Die Stadtwahlbehörde hat die bis zum Ende der Wahlzeit eingelangten Wahlbriefe der Sprengelwahlbehörde mit der geringsten Zahl von Wahlberechtigten zu übermitteln. Diese Sprengelwahlbehörde hat zunächst zu überprüfen, ob die Wahlbriefe gemäß § 59a ungültig sind. Sie hat die ungültigen Wahlbriefe mit einer fortlaufenden Nummer zu versehen und gesondert abzulegen.

(2) Anstelle des Verfahrens gemäß § 60 Abs 2 hat diese Sprengelwahlbehörde die Wahlkuverts aus gültigen Wahlbriefen in die Wahlurne zu legen, in der sich die vor ihr abgegebenen Wahlkuverts befinden. Danach hat sie die Wahlkuverts in der Wahlurne gründlich zu mischen, die Wahlurne zu entleeren und die Wahlkuverts zu zählen. Sie hat weiters festzustellen, ob diese Zahl mit der Summe aus den im Abstimmungsverzeichnis eingetragenen Wählern und aus den gültigen Wahlbriefen übereinstimmt, sowie den mutmaßlichen Grund, wenn dies nicht der Fall ist.

(3) Diese Sprengelwahlbehörde hat außer den im § 60 Abs 3 genannten Summen auch noch die Gesamtsumme aus den gültigen und ungültigen Wahlbriefen und die Summe der ungültigen Wahlbriefe festzustellen und diese Feststellungen in der Niederschrift zu beurkunden, wobei auch der Grund der Ungültigkeit anzuführen ist.

§61

Niederschriften der Sprengelwahlbehörden

(1) Die Sprengelwahlbehörden haben hierauf den Wahlvorgang und das örtliche Wahlergebnis in einer Niederschrift zu beurkunden.

(2) Die Niederschrift hat mindestens zu enthalten:

a) die Bezeichnung des Wahlortes, Wahlsprengels, Wahllokales und den Wahltag;

b) die Namen der an- und abwesenden Mitglieder der Sprengelwahlbehörde sowie der Vertrauenspersonen nach § 10 Abs 3;

c) die Namen der anwesenden Wahlzeugen;

d) die Zeit des Beginnes und Schlusses der Wahlhandlung;

e) Die Namen der Wahlkartenwähler, getrennt nach Männern und Frauen;

f) die Beschlüsse der Wahlbehörde über die Zulassung oder Nichtzulassung von Wählern zur Stimmenabgabe (§56);

g) sonstige Beschlüsse der Sprengelwahlbehörde, die während der Wahlhandlung gefaßt wurden;

h) die Feststellungen der Sprengelwahlbehörde nach § 60 Abs 2 und 3, wobei, wenn ungültige Stimmen festgestellt wurden, auch der Grund der Ungültigkeit anzuführen ist und

i) außergewöhnliche Vorkommnisse (§62).

(3) Der Niederschrift sind anzuschließen:

a) das Wählerverzeichnis;

b) das Abstimmungsverzeichnis;

c) die Wahlkarten der Wahlkartenwähler bzw. die Wahlbriefumschläge mit den Wahlkarten;

d) die ungültigen Stimmzettel und die ungültigen Wahlbriefe, die in abgesonderten Umschlägen mit entsprechenden Aufschriften zu verpacken sind, und

e) die gültigen Stimmzettel, die nach den Parteilisten geordnet, und zwar getrennt nach Stimmzetteln mit Namensumstellungen oder Streichungen (§65 Abs 2 litb) und Stimmzetteln ohne Namensumstellungen oder Streichungen (§65 Abs 2 lita), ebenfalls in abgesonderten Umschlägen mit entsprechenden Aufschriften zu verpacken sind.

(4) Die Niederschrift ist hierauf von den Mitgliedern der Wahlbehörde zu unterfertigen. Wird sie nicht von allen Mitgliedern unterfertigt, ist der Grund hiefür vom Wahlleiter anzugeben. Damit ist die Wahlhandlung beendet.

(5) Die Niederschrift samt ihren Beilagen bildet den Wahlakt der Sprengelwahlbehörde; er ist nach seinem Abschluß unverzüglich der Stadtwahlbehörde zu übergeben.

...

§90

Formulare

(1) Die für das Wahlverfahren in den niederösterreichischen Gemeinden, die kein eigenes Statut besitzen, vorgesehenen Drucksortenmuster sind auch für das Wahlverfahren in den Städten mit eigenem Statut sinngemäß und unter Bedachtnahme auf die besonderen Bestimmungen dieses Gesetzes zu verwenden.

(2) Die Landesregierung hat durch Verordnung gemäß den Bestimmungen der §§31 und 32 und unter Verwendung der in diesen Bestimmungen enthaltenen Bezeichnungen, Muster für den amtlichen (leeren) Stimmzettel, die Wahlkarte, die Siegelmarke, den amtlichen Wahlbriefumschlag und das Merkblatt für die Wahl mittels Wahlkarte, zu erlassen.

§91

Strafbestimmungen

(1) Eine Verwaltungsübertretung begeht, wer

1. sich weigert, ein Amt als Beisitzer oder Ersatzmitglied in einer Wahlbehörde anzunehmen;

2. im Wähleranlageblatt oder in einem Einspruch gegen das Wählerverzeichnis wissentlich falsche Angaben macht;

3. mutwillige Einsprüche gegen das Wählerverzeichnis erhebt;

4. die Zustimmung zur Aufnahme als Wahlwerber gibt, obwohl er vom Wahlrecht ausgeschlossen ist;

5. in der Verbotszone am Wahltag Wahlwerbung betreibt;

6. gegen die Vorschriften des § 50 Abs 1 und 2 verstößt;

7. gleichzeitig mit einem Wahlberechtigten die Wahlzelle betritt, ohne daß die Voraussetzungen des § 51 Abs 1 zweiter Satz vorliegen;

8. Kundmachungen, die auf Grund dieses Gesetzes anzuschlagen sind, verfälscht, beschädigt oder abreißt;

9. als Hauseigentümer oder dessen Stellvertreter gegen die Vorschrift des § 22 Abs 3 verstößt;

10. vorsätzlich in einer Erklärung gemäß § 54 Abs 3 unwahre Angaben macht, das Geheimnis eines Wahlbriefes bricht oder einen Wahlberechtigten an der geheimen Ausübung des Wahlrechtes mit Wahlbrief behindert.

(2) Verwaltungsübertretungen gemäß Abs 1 sind, soweit nicht die Tat nach anderen gesetzlichen Bestimmungen strenger oder vom Gericht zu bestrafen ist, vom Magistrat mit einer Geldstrafe bis zu 3000 S, bei Verwaltungsübertretungen gemäß Abs 1 Z 10 bis zu 10000 S, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu vier Wochen zu ahnden. Der Erlös dieser Strafen fließt der Stadt zu."

1.1.2.1. Im Bericht des Kommunal-Ausschusses des Nö. Landtages, der in seiner Sitzung am die Vorlage der Nö. Landesregierung über den Entwurf einer Nov. zur Wahlordnung für Statutarstädte beriet und abänderte, finden sich ua. folgende Ausführungen:

"Der Abänderungsantrag regelt die Einführung der Briefwahl in die Wahlordnung für Statutarstädte. Die Möglichkeit der Stimmabgabe mit Wahlbriefen ist bereits durch das NÖ Initiativ- und Einspruchsgesetz gegeben. Die Möglichkeit der Briefwahl für Personen, die sich am Wahltag außerhalb der Stadt aufhalten werden oder infolge Krankheit oder Gebrechen nicht oder nur unter unzumutbaren Bedingungen vor der Wahlbehörde erscheinen können, sollte gegeben sein. Behinderten Bürgern kann zwar auch mit der Einrichtung von besonderen Wahlkommissionen geholfen werden, die die Wähler in ihrer Wohnung aufsuchen, doch stellt das Erscheinen einer Wahlkommission für solche Personen oft eine schwer zumutbare Belastung dar. Keine Alternative zur Briefwahl gibt es aber für Personen, die sich aus irgend einem (zB beruflichem) Grund am Wahltag außerhalb der Stadt aufhalten. Während bei Landtagswahlen wenigstens die Möglichkeit gegeben ist, mit Wahlkarten in irgend einer niederösterreichischen Gemeinde zu wählen, ist dies bei den Gemeinderatswahlen derzeit nur in der Gemeinde bzw. Stadt selbst möglich. Die Zulässigkeit der Briefwahl wurde in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt. Der VfGH hat in seinem Erkenntnis vom , K-II-1/80-13, festgestellt, daß die Einführung einer solchen Regelung in die Zuständigkeit der Länder fällt ...

Zusätzlich zu der bereits bestehenden Möglichkeit, das Wahlrecht innerhalb der Stadt, aber in einem anderen Wahlsprengel als dem ihrer Eintragung auszuüben, wird der Kreis derjenigen Personen, die Anspruch auf Ausstellung einer Wahlkarte haben, erweitert. Diese Personen haben die Wahl, ihre Stimme persönlich im Wahllokal oder mit Wahlbrief abzugeben. Die Briefwahl bringt eine wesentliche Erleichterung für bestimmte Personengruppen, wie zB Pfleglinge in Heimen und Anstalten, bettlägerige Personen und Personen, die aus anderen wichtigen Gründen an der Ausübung ihres Stimmrechtes in einem Wahllokal gehindert sind ...

Der Antrag auf Ausstellung einer Wahlkarte kann sowohl schriftlich als auch mündlich gestellt werden. Der schriftliche Antrag auf Ausstellung der Wahlkarte bedingt einen früheren Endtermin (spätestens fünfter Tag vor dem Wahltag), um die postalische Zustellung der Wahlkarte und der erforderlichen Unterlagen ... noch rechtzeitig durchzuführen.

Um möglichen Mißbräuchen vorzubeugen, wird die Glaubhaftmachung der Identität durch die im § 52 Abs 2 erwähnten Urkunden festgelegt. Gegen die Verweigerung der Wahlkarte soll ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig sein. Die rechtswidrige Verweigerung der Wahlkarte kann aber einen Anfechtungsgrund der Wahl bilden ...

Die Briefwahlunterlagen müssen, um den Wahlrechtsprinzipien des geheimen und persönlichen Wahlrechtes zu entsprechen, die im § 32 angeführten Beilagen enthalten. Der Stimmzettel hat den Voraussetzungen des § 57 Abs 1 lita und b zu entsprechen. Ein entsprechendes Muster hat die Landesregierung mit Verordnung zu erlassen (§90 Abs 2).

Durch die Anmerkung der Ausstellung einer Wahlkarte im Wählerverzeichnis und die Regelung, daß für verlorene oder unbrauchbar gewordene Wahlkarten ein Duplikat nicht ausgestellt werden darf, soll eine mißbräuchliche Verwendung der Wahlkarte ausgeschlossen werden ...

Bei der Ausübung des Wahlrechtes auf dem Briefwege kommt den Bestimmungen über die Geheimhaltung des Wahlrechtes besondere Bedeutung zu. Durch die Vorschrift des (§54) Abs 1 wird der Wahlberechtigte dazu verpflichtet, selbst zur Geheimhaltung des Wahlrechtes dadurch beizutragen, daß er den Stimmzettel unbeobachtet ausfüllt und ihn unbeobachtet in das Wahlkuvert legt. Hält er diese Formvorschrift nicht ein, begeht er eine Verwaltungsübertretung, wenn er die Erklärung auf der Wahlkarte wahrheitswidrig ausgefüllt hat. Es ist auch eine Regelung über die Hilfe durch Vertrauenspersonen vorgesehen. Die Vertrauensperson darf sich bei der Ausfüllung des Stimmzettels und beim Einstecken in das Wahlkuvert nur vom Wahlberechtigten beobachten lassen. Der Wahlberechtigte hat auf der Wahlkarte zu erklären, daß er den Formvorschriften des § 54 Abs 1 entsprochen hat. Hat sich ein Wahlberechtigter einer Vertrauensperson (§54 Abs 2) bedient, so hat diese Erklärung die Vertrauensperson auszufüllen. Das Wahlkuvert, in dem sich der Stimmzettel befindet, und die ausgefüllte Wahlkarte sind in den amtlichen Wahlbriefumschlag zu stecken. Der amtliche Wahlbriefumschlag ist mit der Siegelmarke zu verschließen und durch die Post an die Stadtwahlbehörde zu übersenden. Daneben soll es auch noch die Möglichkeit geben, den Wahlbrief am Tag vor dem Wahltag persönlich abzugeben. Zu diesem Zweck wird die Stadtwahlbehörde am Tag vor dem Wahltag zwei Stunden zusammentreten müssen, um einem möglichen Mißbrauch bei Übernahme des Wahlbriefes durch eine Einzelperson vorzubeugen. Es wäre denkbar, daß jemand, der eine Wahlkarte beantragt hat, weil er sich am Wahltag außerhalb der Stadt aufhält, die rechtzeitige Übergabe des Wahlbriefes im Postweg vergessen hat. Ein solcher Wahlberechtigter hat dann die Möglichkeit, in den zwei Stunden am Tag vor dem Wahltag seinen Wahlbrief der Stadtwahlbehörde noch persönlich zu übergeben. Am Wahltag selbst hat er die Möglichkeit, bei der Sprengelwahlbehörde mit der Wahlkarte zu wählen. Eine Übersendung der Wahlkarte durch Boten ist nicht zulässig. Langt ein Wahlbrief nach dem Ende der Wahlzeit ein, wurde er außerhalb der festgesetzten Zeit bei der Stadtwahlbehörde oder nicht persönlich, sondern durch Boten abgegeben, gilt er als nicht eingebracht.

Um sicherzustellen, daß die Wahlbriefe nur vom Kollegium der Stadtwahlbehörde und nicht von einer Einzelperson in Empfang genommen werden, hat die Stadtwahlbehörde für die mit der Post übersendeten Wahlbriefe ein Postfach einzurichten. Dieses wird von der Stadtwahlbehörde vor Ende der Wahlzeit zum spätest möglichen Zeitpunkt zu entleeren sein. Wann dieser Zeitpunkt ist, wird davon abhängen, bis wie lange vor Ende der Wahlzeit dieses Postfach für die Stadtwahlbehörde nach den Organisationsvorschriften der Post zu beheben ist. Die aus dem Postfach übernommenen und von der Wahlbehörde am Tag vor der Wahl persönlich abgegebenen Wahlbriefe sind bis zum Ende der Wahlzeit unter Verschluß zu halten und werden dann nach den Vorschriften des § 60a ungeöffnet der Sprengelwahlbehörde übermittelt. Verspätet eingelangte Wahlbriefe sollen im Interesse des Wahlgeheimnisses von der Stadtwahlbehörde unter Verschluß genommen werden ...

Die umfangreichen Ungültigkeitsbestimmungen bei Wahlbriefen dienen vor allem der Geheimhaltung der Stimmenabgabe. Enthält der Wahlbriefumschlag mehrere Wahlkuverts, so ist er dennoch gültig, wenn die gleiche Anzahl unterschriebener Wahlkarten beigeschlossen ist. Wenn zB ein Ehepaar beide Wahlkuverts in einen amtlichen Wahlbriefumschlag gelegt hat, soll dies kein Ungültigkeitsgrund sein. In diesem Fall müssen aber zwei gültig ausgefüllte Wahlkarten im Wahlbriefumschlag enthalten sein ...

Die Wahlbriefe sind gemäß § 54 Abs 3 an die Stadtwahlbehörde zu übersenden. Da die Anzahl der einlangenden Wahlbriefe nicht vorauszusehen ist, und die Identität des mit Wahlbrief Wählenden auf Grund der ausgefüllten Wahlkarte feststellbar ist, müssen Regelungen geschaffen werden, die die Geheimhaltung der Wahl sicherstellen. Die Geheimhaltung ist am besten dadurch gewährleistet, daß die eingelangten Wahlkuverts mit den in einem Wahlsprengel abgegebenen Wahlkuverts vermischt werden. Die Stadtwahlbehörde hat die Wahlbriefe der Sprengelwahlbehörde mit der geringsten Zahl von Wahlberechtigten zu übermitteln. Durch diese Regelung wird auch in diesem Wahlsprengel ein weiterer Beitrag zur Geheimhaltung des Wahlergebnisses geleistet. Bevor die Wahlkuverts mit den im Sprengel abgegebenen Wahlkuverts vermischt werden, hat die Wahlbehörde zuerst zu prüfen, ob die Wahlbriefe ungültig sind. Alle Ungültigkeitsgründe des § 59a können bereits vor Öffnung des Wahlkuverts geprüft werden ..."

1.1.2.2. Der Kommunal-Ausschuß des Nö. Landtages faßte in seiner Sitzung am nach Beratung des Einspruchs der Bundesregierung gegen den Gesetzesbeschluß vom , mit dem die Wahlordnung für Statutarstädte geändert wurde, den Beschluß, den in Rede stehenden Gesetzesbeschluß gemäß Art 98 Abs 2 B-VG zu wiederholen, und führte dazu begründend aus:

"Die Bundesregierung hat gegen den Gesetzesbeschluß des Niederösterreichischen Landtages vom , mit dem die Wahlordnung für Statutarstädte geändert wird, gemäß Art 98 Abs 2 B-VG Einspruch wegen Verfassungswidrigkeit des genannten Gesetzesbeschlusses erhoben. In der Begründung werden im wesentlichen Bedenken im Hinblick auf die Verletzung des Prinzips des geheimen und des persönlichen Wahlrechtes durch das in der gegenständlichen Novelle eingeführte Briefwahlsystem geltend gemacht. Im Hinblick auf diese Bedenken stelle sich der vorliegende Gesetzesbeschluß als verfassungswidrig dar. Zu den von der Bundesregierung vorgebrachten Bedenken kann weitgehend auf die Ausführungen verwiesen werden, die im Bericht des Kommunal-Ausschusses zur vorliegenden Gesetzesnovelle vorgebracht wurden. Insbesondere muß nochmals darauf verwiesen werden, daß die von der Bundesverfassung aufgestellten Wahlrechtsgrundsätze in ihrem Verhältnis zueinander gesehen werden müssen, und daß die Überbetonung eines dieser Grundsätze, wie etwa des geheimen Wahlrechtes, zu einer Vernachlässigung eines anderen, konkret des allgemeinen Wahlrechtes, führen würde. Das Fehlen eines Briefwahlsystems führt derzeit insbesondere bei Gemeinderatswahlen, bei denen auch mit Wahlkarte nur innerhalb der Gemeinde gewählt werden kann, dazu, daß unter anderem auch alle jene Personen praktisch vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, die sich, was im Zuge der heute erforderlichen höheren Mobilität der Arbeitskräfte gewiß nicht selten ist, aus beruflichen Gründen am Wahltag nicht in ihrer Gemeinde aufhalten können. Dies stellt eine massive Verletzung des Grundsatzes des allgemeinen Wahlrechtes dar, der nach Auffassung des Niederösterreichischen Landtages die im übrigen vom Gesetz her keineswegs begünstigte allfällige Unsicherheit hinsichtlich des geheimen Wahlrechtes aufwiegt. Dem Argument der Bundesregierung, daß bei der derzeit im Interesse des allgemeinen Wahlrechtes ohnedies bereits gegebenen Einschränkung des geheimen und persönlichen Wahlrechtes durch die Mitnahme einer Vertrauensperson durch Blinde oder behinderte Personen eine unmittelbare Kontrolle der Wahlbehörde gegeben sei, kann nicht gefolgt werden, weil bei gesetzestreuer Vollziehung dieser Wahlrechtsbestimmungen der Wahlbehörde keinerlei Einfluß darauf zukommt, ob in der Wahlzelle in solchen Fällen tatsächlich dem Willen des Wählers entsprochen oder unter Umständen von der Vertrauensperson ein Mißbrauch des ihr eingeräumten Vertrauens begangen wird.

Zu den Ausführungen des Einspruches bezüglich der angeblichen Verletzung des bundesverfassungsgesetzlichen Prinzips des persönlichen Wahlrechtes ist weiters anzumerken, daß das Wesen des persönlichen Wahlrechtes darin liegt, daß die Abgabe der Stimme durch den Wahlberechtigten selbst zu erfolgen hat, wobei die persönliche nicht delegierbare Willensentscheidung, nicht etwa die physische Präsenz des Wahlberechtigten wesentlich ist. Die Bundesregierung vermeint, die Bedenklichkeit des Gesetzesbeschlusses darin zu erkennen, daß die persönliche Willensentscheidung des Wahlberechtigten in erhöhtem Maße gefährdet sei, wenn dieser nicht vor der Wahlbehörde seine Stimme abgibt; persönliche Willensentscheidung und physische Präsenz stellten somit eine untrennbare Einheit von Elementen des persönlichen Wahlrechtes dar. Hiezu ist festzuhalten, daß die oben beschriebene Annahme der Bundesregierung sachlich nicht zu begründen ist und im übrigen von der Bundesregierung auch unbegründet geäußert wurde. Die Willensentscheidung des Wählers fußt auf einem vor dem eigentlichen Wahlvorgang gelegenen, mehr oder weniger lang dauernden Willensbildungsprozeß. Inwieweit dieser Prozeß Beeinflussungen unterliegt, ist von vielen teils in der Person des Wahlberechtigten, teils außerhalb derselben gelegenen Faktoren abhängig, welchen jedenfalls gemeinsam ist, daß sie von der Natur der Sache her stets der unmittelbaren Kontrolle der Wahlbehörden entzogen sind.

Zu dem Hinweis auf die im Bundesland Nordrhein-Westfalen gemachten Erfahrungen wäre zu bemerken, daß der vorliegende Gesetzesentwurf durch das Erfordernis der Glaubhaftmachung der Abwesenheit von der Gemeinde am Wahltag sicherstellt, daß die persönliche Stimmabgabe vor der zuständigen Wahlbehörde der Regelfall bleibt. Durch das in diesem Gesetzesbeschluß vorgesehene System der persönlichen Entgegennahme des Wahlbriefes sowie der detaillierten Vorschriften über dessen weitere Behandlung und Zustellung an die Behörde ist nicht nur sichergestellt, daß die Wahlberechtigten selbst die Briefwahlunterlagen entgegennehmen, sondern daß sich auch nicht Wahlfälschungen der genannten Art einstellen. Dem Argument, daß es durch ein zeitliches Auseinanderfallen von Wahlentscheidung des Briefwählers und Wahltag zu einer Änderung der Wahlentscheidung kommen könne, kann nach Auffassung des Niederösterreichischen Landtages höchstens demoskopische, nicht aber verfassungsrechtliche Bedeutung zugemessen werden. Es scheint keiner verfassungsgesetzlichen Wahlrechtsbestimmung entnommen werden zu können, daß dem Wähler in unserem demokratischen Wahlsystem vorgeschrieben werden solle, zu welchem Zeitpunkt er endgültig seine Wahlentscheidung trifft. Das Festsetzen eines bestimmten Wahltages hat wohl eher organisatorische Bedeutung, weil bei der Stimmabgabe an einem Tag eine leichtere Handhabung des Wahlverfahrens (zB Entfall des Erfordernisses, Wahlunterlagen unter Verschluß zu halten) möglich ist. Daraus läßt sich jedoch wohl nicht ableiten, daß eine bereits einige Tage vor dem amtlich festgesetzten Wahltag endgültig getroffene Wahlentscheidung den verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätzen widerspricht.

Aus den angeführten Gründen kommt der Niederösterreichische Landtag daher zur Auffassung, daß die von der Bundesregierung geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den vorliegenden Gesetzesbeschluß nicht gegeben sind."

1.2.1. Am 12. Feber 1985 stellte die Bundesregierung beim VfGH zur Z G18/85 den Antrag:

"Der VfGH wolle folgende Bestimmungen der (Niederösterreichischen) Wahlordnung für Statutarstädte, LGBl. 0360-2, gemäß Art 140 B-VG als verfassungswidrig aufheben:

In § 5 Abs 1 die Worte "zu denen jedenfalls auch die Entgegennahme und Behebung der Wahlbriefe gehört' (Z2 des einschlägigen Gesetzesbeschlusses des NÖ Landtages vom 6. bzw. );

in § 30 Abs 1 die Worte 'oder mit Wahlbrief' (Z23 des Gesetzesbeschlusses);

in § 32 Abs 1 die Worte 'oder auf dem Briefwege' (Z25 des Gesetzesbeschlusses);

§54 zur Gänze (Z27 des Gesetzesbeschlusses);

in der Überschrift zu § 54a das Wort 'anderen' (Z28 des Gesetzesbeschlusses);

in der Überschrift des 12. Teiles die Worte 'und Wahlbriefe' (Z29 des Gesetzesbeschlusses);

§59a zur Gänze (Z30 des Gesetzesbeschlusses);

§60a zur Gänze (Z31 des Gesetzesbeschlusses);

in § 61 Abs 3 litc die Worte "bzw. die Wahlbriefumschläge mit den Wahlkarten' (Z32 des Gesetzesbeschlusses);

in § 61 Abs 3 litd die Worte 'und die ungültigen Wahlbriefe' (Z33 des Gesetzesbeschlusses);

in § 90 Abs 2 die Worte "den amtlichen Wahlbriefumschlag' (Z37 des Gesetzesbeschlusses);

in § 91 Abs 1 die Z 10 zur Gänze (Z39 des Gesetzesbeschlusses);

in § 91 Abs 2 die Worte 'bei Verwaltungsübertretungen gemäß Abs 1 Z 10 bis zu 10000 S' (Z40 des Gesetzesbeschlusses)."

(Alle zur Aufhebung beantragten Gesetzesstellen sind in der einleitenden Wiedergabe der STWO - s. Abschn. 1.1.1. - besonders hervorgehoben.)

1.2.2. Begründend heißt es im Antrag der Bundesregierung ua. wörtlich:

"Die genannten Bestimmungen sehen für Gemeinderatswahlen in Statutarstädten die Briefwahl vor. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß diese Bestimmungen mit den bundesverfassungsgesetzlich verankerten Prinzipien des geheimen und des persönlichen Wahlrechts in Widerspruch stehen. Diese Auffassung der Bundesregierung stützt sich auf folgende Überlegungen:

Nach Art 117 Abs 2 B-VG finden die Wahlen in den Gemeinderat auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechtes statt. Die selben Wahlgrundsätze sehen auch Art 26 Abs 1 hinsichtlich der Wahlen für den Nationalrat und Art 95 Abs 1 B-VG hinsichtlich der Wahlen für die Landtage vor. Soweit die folgenden Erwägungen an Art 26 Abs 1 B-VG ansetzen, sind sie somit auch für die Auslegung des Art 117 Abs 2 B-VG einschlägig.

Schon in der Stammfassung sah Art 26 B-VG als einen der Wahlrechtsgrundsätze das persönliche Wahlrecht vor. Da das B-VG - damals wie heute - nicht definiert, was unter dem Begriff des 'persönlichen Wahlrechts' zu verstehen ist, ist sein Inhalt im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei wird in erster Linie nach dem Willen des historischen Gesetzgebers zu forschen und der Inhalt des Begriffes 'persönliches Wahlrecht' nach der Methode der historischen Interpretation zu ermitteln sein (vgl. dazu Walter, System des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 86 ff.).

Im Rahmen einer solchen Auslegung ist zunächst auf die parlamentarischen Materialien zur Entstehungsgeschichte des B-VG einzugehen. Diese enthalten zwar keine ausdrücklichen Hinweise auf den Inhalt des Begriffes 'persönliches Wahlrecht' (vgl. insbesondere Ermacora, Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht, 326 ff.), bemerkenswert ist allerdings, daß der Entwurf Mayr, der großdeutsche Verfassungsentwurf, der Linzer Entwurf sowie der sozialdemokratische Entwurf in den Bestimmungen über das Wahlrecht den Grundsatz des persönlichen Wahlrechts vorsahen. Daraus kann immerhin abgeleitet werden, daß der historische Verfassungsgesetzgeber des B-VG von einem so festgefügten Inhalt dieses Begriffes ausging, daß ihm eine nähere Erläuterung des Inhalts dieses Wahlrechtsprinzips entbehrlich erschien.

Es ist somit zu untersuchen, welches Verständnis des Begriffs 'persönliches Wahlrecht' sich zum Zeitpunkt der Entstehung des B-VG herausgebildet hatte:

Dabei liegt es zunächst nahe, von jenem Inhalt des Begriffes des 'persönlichen' Wahlrechtes auszugehen, wie er von der einfachgesetzlichen Rechtslage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art 26 Abs 1 B-VG in der Stammfassung geprägt wurde. Das zu diesem Zeitpunkt geltende Wahlrecht war im Gesetz vom über die Wahl und die Einberufung der Nationalversammlung, StGBl. 317, und das vom gleichen Tage stammende Gesetz über die Wahlordnung zur Nationalversammlung, StGBl. 316 (dazu Kelsen, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, vierter Teil, 112 ff.), geregelt. Beide Gesetze wurden im übrigen im gleichen (Verfassungs-)Ausschuß behandelt, dem auch die Behandlung des B-VG oblag. Umsomehr erscheint es vertretbar, davon auszugehen, daß die ... in diesen Gesetzen verwendeten Begriffe mit den gleichnamigen des B-VG identisch sind.

§1 des Gesetzes StGBl. 317/1920 - die dem Art 26 B-VG inhaltlich entsprechende Norm - ordnete das 'persönliche Wahlrecht' an. Dieses persönliche Wahlrecht wurde 'auf Grund der mit dem Gesetze vom , StGBl. 316, erlassenen Wahlordnung' ausgeübt. Es muß also davon ausgegangen werden, daß das in dieser Wahlordnung geregelte Wahlverfahren jenes 'persönliche Wahlrecht' verwirklicht, das das erstgenannte Gesetz, damit aber auch das diesbezüglich inhaltlich entsprechende B-VG, nennt.

Das Gesetz StGBl. 316/1920 war in rechtstechnischer Hinsicht zum Teil eine Novelle zur Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung, StGBl. 115/1918. Es fügte mit seinem Art 2 Z 3 einen neuen § 3a in die Wahlordnung ein, welcher lautete:

'(1) Jeder Wahlberechtigte hat nur auf eine Stimme Anspruch. Das Wahlrecht ist - abgesehen von der im § 28, vierter Absatz, enthaltenen Gestattung - persönlich auszuüben' (Hervorhebung von der Bundesregierung).

Gemäß § 28 Abs 4 der Wahlordnung StGBl. 115/1918 konnten daher 'Blinde und Bresthafte ... sich von einer Geleitperson führen und diese für sich abstimmen lassen'. Aus diesem normativen Zusammenhang wird deutlich, daß schon ein solcher Abstimmungsvorgang als Ausnahme vom Grundsatz der persönlichen Wahlausübung angesehen wurde, zu dessen Zulässigkeit eine ausdrückliche Ausnahmeregelung für erforderlich erachtet wurde. Angesichts dessen kann aber wohl kaum ein Zweifel daran bestehen, daß auch die Briefwahl - die nicht einmal das persönliche Erscheinen vor der Wahlbehörde vorsieht - als (unzulässige) Durchbrechung des Prinzips der persönlichen Wahl zu verstehen gewesen wäre.

Weiters wird darauf verwiesen, daß auch das Gesetz über die Einberufung der konstituierenden Nationalversammlung, StGBl. 114/1918, in seinem ArtII Grundzüge des Wahlsystems regelte:

'Die Aufzählung dieser Prinzipien ist jedoch keine vollständige. Nur die Gleichheit, Allgemeinheit und Proportionalität des Wahlrechts wird ausgesprochen, nicht aber, daß das Wahlrecht ein direktes und geheimes sein soll.' (Kelsen, II, 7)

Auch eine ausdrückliche Anordnung der persönlichen Ausübung des Wahlrechtes fehlte in diesem Gesetz.

Auch in der bereits erwähnten Wahlordnung StGBl. 115, auf die der soeben erwähnte ArtII des Gesetzes StGBl. 114/1918 verweist, war ein ausdrücklicher Hinweis auf das persönliche Wahlrecht nicht enthalten. In diesem Gesetz findet sich allerdings im § 3 die bemerkenswerte Vorschrift, daß der Wähler sein Wahlrecht in der Ortsgemeinde auszuüben hat, in der er am Tag der Verlautbarung der Wahlausschreibung seinen ordentlichen Wohnsitz hat. Diese Anordnung in Verbindung mit dem Umstand, daß es keine Wahlkarten gab (diese wurden erst im Jahre 1920 eingeführt), sowie mit den Verfahrensbestimmungen für die Stimmabgabe (§§26 ff.) schließen ganz eindeutig die Briefwahl aus.

Im vorliegenden Zusammenhang ist auch § 4 der Wahlordnung StGBl. 115/1918 von besonderer Bedeutung. Er ordnet an, daß die Wähler, die am Tage der Verlautbarung der Wahlausschreibung in aktiver militärischer Dienstleistung stehen, ihr Wahlrecht an dem Wahlorte ausüben, ... in dem sie an diesem Tage gewohnt haben. Kelsen (Verfassungsgesetze II, 54) berichtet zur Entstehungsgeschichte dieser Norm, daß sie ursprünglich die Briefwahl jener Wähler vorsah, die zur Zeit der Wahl im Wehrdienst stehen. Ihre Stimmzettel sollten unter Verschluß an die Kreiswahlbehörde zur Stimmenermittlung geschickt werden. Die Wahlgesetzkommission des Staatsrates schlug dagegen aber eine Fassung vor, die vom Briefwahlsystem abging. Die endgültige, in StGBl. 115/1918 kundgemachte Fassung dieser Norm wurde erst im Wahlgesetzausschuß der Nationalversammlung formuliert, die Fassung sieht wie erwähnt kein Briefwahlrecht vor. Dies ist im vorliegenden Zusammenhang deshalb besonders bemerkenswert, weil sich der Gesetzgeber damit - in Kenntnis des Instituts der Briefwahl - gegen diese Einrichtung entschieden hat.

Aufschlußreich ist ferner § 40 der Wahlordnung StGBl. 115/1918. In einem besonderen Ausnahmefall ('Wenn die Wahlen infolge von Krieg, von inneren Unruhen, Störungen des Verkehrs oder aus anderen Gründen ... nicht gemäß den Vorschriften dieses Gesetzes durchgeführt werden können ...') war nämlich eine 'unmittelbare Einsendung der Stimmzettel an die Hauptwahlbehörde' zulässig. Sie wurde aber insofern geradezu als 'Fremdkörper' im Wahlsystem angesehen, als der Gesetzgeber anordnete, daß nach einer solchen Briefwahl 'ordentliche Wahlen, sobald die oben angeführten Hindernisse entfallen, ehebaldigst anzuberaumen und durchzuführen' (Hervorhebung von der Bundesregierung) sind. Daraus ergibt sich deutlich, daß die Briefwahl als mit einer 'ordentlichen' Wahl unvereinbares Rechtsinstitut angesehen wurde.

In die gleiche Richtung weist auch die Vollzugsanweisung StGBl. 97/1919, in welcher den Angehörigen einiger verlegter Truppenteile das Recht eingeräumt wurde, am Garnisonsort zu wählen. Die gesetzliche Grundlage für diese Verordnung, der soeben zitierte § 40 der Wahlordnung StGBl. 115/1918, hätte ausnahmsweise auch eine 'Briefwahl' (dh. eine unmittelbare Einsendung der Stimmzettel) zugelassen, doch hat der Staatsrat diese Möglichkeit nicht genutzt.

Eine letzte Klärung dessen, was zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des B-VG in seiner Stammfassung mit dem Begriff 'persönliches Wahlrecht' gemeint war, bringt schließlich Kelsen, der in seinem Kommentar (Verfassungsgesetze II, 97) zu § 28 der Wahlordnung StGBl. 115/1918 folgendes feststellt:

'Das Wahlrecht ist persönlich auszuüben. Auch dieser Rechtssatz geht nur indirekt aus dem Gesetz hervor. Eine Stellvertretung ist im allgemeinen ausgeschlossen. Nur für Blinde und Bresthafte ist eine Ausnahme insofern gemacht, als diese die Geleitperson, die sie zur Wahlurne hinführt, für sich abstimmen lassen können. Auch diese Personen müssen also vor der Wahlbehörde persönlich erscheinen.'

Auch die maßgebende Literatur stellt somit klar, daß das 'persönliche' Wahlrecht ein solches Wahlsystem ist, bei dem der Wähler selbst persönlich vor der Wahlbehörde erscheint. Diese Umschreibung schließt die Briefwahl aus.

Das System des persönlichen Erscheinens des Wählers vor der Wahlbehörde wird nun im Motivenbericht des Staatskanzlers (zitiert bei Kelsen, aaO, S 96) zur Wahlordnung StGBl. 115/1918 ganz ausdrücklich damit begründet, daß nur mit diesem System Wahlschwindel vermieden werden könne:

'Der Wähler tritt vor die Wahlbehörde (ohne Stimmzettel und) ohne eine Legitimation, bloß im Besitze eines Dokumentes, das seinen Personenstand dartut. Er nennt seinen Namen und seine Wohnungsadresse ... Es ist Wahlschwindlern außerordentlich erschwert, sich Vor- und Zunamen, Haus- und Türnummer mehrerer Wahlberechtigter zu merken und zugleich irgendein den Personenstand dartuendes Dokument zu erhaschen. Wahllegitimationen gibt der Wähler leicht aus der Hand, denn sie haben nur einen einmaligen Wert, nicht so Familienstandsdokumente. Die Gefahr, agnostiziert zu werden, ist hier besonders groß, da ja die Ortswahlbehörde die Leute ihres Sprengels durch die Listenaufnahme zum großen Teil kennengelernt hat. Da zudem das Wählerverzeichnis noch andere Daten über die Person enthält als den bloßen Namen, zB das Alter, den Familienstand, so wird eine Frage aus dem vorliegenden Wählerverzeichnis, die Frage nach dem Türnachbarn links und rechts den Wahlschwindler sofort entlarven.'

Der Gesetzgeber des Wahlrechtsgesetzes, welches zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des B-VG galt, wollte also die Ausübung des Wahlrechts ganz deutlich nur in Form des persönlichen Erscheinens des Wahlberechtigten vor der Wahlkommission zulassen. Besonders bemerkenswert ist, daß sogar für den Sonderfall der zulässigen Stellvertretung bei der Stimmabgabe - nämlich bei der Ausübung des Wahlrechtes durch Blinde und Bresthafte - das persönliche Erscheinen des Wählers vor der Wahlkommission angeordnet war.

Eine historische Interpretation des Begriffes 'persönliches Wahlrecht' im B-VG nach dem aus der einfachgesetzlichen Rechtslage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der einschlägigen Verfassungsbestimmungen erkennbaren Verständnis ergibt somit, daß die Briefwahl mit diesem Wahlrechtsgrundsatz nicht zu vereinbaren ist.

Nach Auffassung der Bundesregierung weist auch die bisherige Judikatur des VfGH, so weit darin eine Auseinandersetzung mit dem Prinzip des persönlichen Wahlrechts stattfand, darauf hin, daß die Briefwahl nicht diesem Prinzip entspricht:

In VfSlg. 2826/1955 hat sich der VfGH mit dem Prinzip des persönlichen Wahlrechtes in einer Gemeindewahlordnung auseinandergesetzt.

Diesem Erkenntnis läßt sich entnehmen, daß der VfGH die Übergabe des Stimmzettels durch einen Dritten als mit dem Prinzip des persönlichen Wahlrechts in Widerspruch stehend erachtet. Eine solche Übergabe des Stimmzettels durch einen Dritten sei ausdrücklich nur bei jenen zulässig, die sich bei der Abstimmung nach den Bestimmungen der Wahlordnung vertreten lassen dürfen. Erforderlich sei aber vor allem, daß 'durch eine ausreichende Kontrolle jede Verfälschung ... durch einen Mißbrauch ausgeschlossen ist'. In diesem Erkenntnis ist bemerkenswert, daß der VfGH in minutiöser Schilderung des Sachverhaltes dartut, daß die Wahlkommission einen persönlichen Eindruck von der Wählerin gewinnen konnte, deren Stimmzettel durch einen Dritten überbracht und in die Wahlurne gelegt wurde. Die Bedeutung, die der VfGH dabei dem persönlichen Erscheinen der Wählerin vor der Wahlbehörde zumißt, läßt eine Wahlform, bei der es daran fehlt, mit dem Prinzip des persönlichen Wahlrechts unvereinbar erscheinen.

In VfSlg. 5166/1965 stellt der VfGH klar, daß zwar die Vertretung Behinderter mit dem persönlichen Wahlrecht vereinbar sei. 'Der Grundsatz des persönlichen Wahlrechts wäre allerdings verletzt, ließe man in einem weiteren Umfang eine Stellvertretung zu'. Offensichtlich sieht der VfGH als absolute Grenze der Durchbrechung des Prinzips des persönlichen Wahlrechts jene Ausnahmefälle an, welche wie oben erwähnt bereits im Jahre 1920 bestanden haben: Jene Fälle also, in denen sich blinde und gebrechliche Personen bei der Wahlrechtsausübung eines Beistandes oder Vertreters bedienen können. Auch daraus scheint ableitbar, daß ein Wahlausübungsmodus wie die Briefwahl, der sich vom Typus der 'persönlichen' Wahlausübung in 'Form des persönlichen Erscheinens vor der Wahlbehörde' noch beträchtlich weiter entfernt, verfassungsrechtlich unzulässig ist.

Die Auffassung der Bundesregierung, wonach das in der Niederösterreichischen Wahlordnung für Statutarstädte vorgesehene Briefwahlrecht in Konflikt zu Art 117 Abs 2 B-VG iVm. Art 26 B-VG steht, weil es den in den genannten Verfassungsbestimmungen verankerten Prinzipien des geheimen und des persönlichen Wahlrechtes widerspricht, läßt sich darüber hinaus noch durch folgende Überlegungen begründen:

Geheimes Wahlrecht liegt dann vor, wenn das Verfahren so gestaltet ist, daß die Wahlentscheidung des einzelnen Wahlberechtigten weder bei der Stimmabgabe noch im Ermittlungsverfahren, sei es für die Wahlbehörde, sei es für die Öffentlichkeit, erkennbar wird (Schäffer,

Die Briefwahl, in: Salzburg Dokumentationen, Band 34, 51; Walter, System des Österreichischen Bundesverfassungsrechts, 238). Im Gegensatz zur Auffassung Schäffers vertritt die Bundesregierung nun die Ansicht, daß die Briefwahl mit diesem Begriff des geheimen Wahlrechtes deshalb nicht vereinbar ist, weil dadurch - wie Schäffer selbst einräumen muß - 'die Wahl in der privaten Sphäre für private Beeinflussung anfälliger (ist) als die Stimmabgabe vor der Wahlbehörde'.

Weiters wird in dem genannten Gutachten Schäffers die Ansicht vertreten, die Entscheidung, allen, die sich an der Willensbildung beteiligen wollen, die Möglichkeit hiezu zu geben, sei vom Standpunkt der Demokratie (Art1 B-VG) höher zu bewerten als das geringfügige Risiko allfälliger Manipulationen (aaO 54). Diese Argumentation ist keineswegs zwingend. Vielmehr ließe sich aus dem Umstand, daß das B-VG und die Wahlordnungen rigorose Sanktionen für ordnungswidrige Wahlen vorsehen, sofern die Rechtswidrigkeit von Einfluß auf das Wahlergebnis hätte sein können, mit - wie die Bundesregierung meint - höherer Plausibilität das Gegenteil ableiten.

Die Bundesregierung weist weiters darauf hin, daß auch in der Lehre die Ansicht vertreten wird, der Grundsatz des persönlichen Wahlrechts bedeute, daß die Abstimmung durch persönliche Anwesenheit und durch persönliche Stimmabgabe des Wahlberechtigten selbst zu geschehen habe und daher die Briefwahl ausgeschlossen sei (vgl. Walter, System, 237). Wenn im oben genannten Gutachten Schäffers die Ansicht vertreten wird, 'die persönliche, nicht delegierbare Willensentscheidung, nicht die physische Präsenz ist das eigentlich Entscheidende' (56), so kann die Bundesregierung diesem Argument, auch im Lichte der historischen Interpretation, nicht zustimmen. Die Bedenklichkeit des Briefwahlrechts ergibt sich nämlich gerade aus der Gefährdung der persönlichen Willensentscheidung, die in erhöhtem Maß dann gegeben ist, wenn der Wähler nicht vor der Wahlbehörde seine Stimme abgibt. Persönliche Willensentscheidung und physische Präsenz stellen somit - offenbar auch im Verständnis des historischen Verfassungsgesetzgebers - eine untrennbare Einheit von Elementen des persönlichen Wahlrechtes dar. Aus diesem Grund kann die Zulässigkeit der Briefwahl auch nicht damit begründet werden, die Nationalratswahlordnung ließe auch die Unterstützung Gebrechlicher durch Begleitpersonen zu: Zwar ist im Fall der Ausübung des Wahlrechts durch behinderte Personen eine Lockerung sowohl des persönlichen als auch des geheimen Wahlrechts zulässig, doch sichert gerade die Formgebundenheit des Verfahrens vor der Wahlbehörde im Verein mit der physischen Präsenz des Behinderten und seines Vertreters die Wahl weitgehend vor Manipulationen.

Die Erläuterungen zum vorliegenden Gesetzesbeschluß sind in keiner Weise geeignet, die oben dargestellten Bedenken zu zerstreuen. Zur Behauptung, die Zulässigkeit der Briefwahl sei in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt worden, ist einzuräumen, daß Pfeifer, Wahlrecht und Wahlreform, JBl. 1970, S 453 f., S 512 und S 552 f., und Schäffer, aaO, für die Zulässigkeit der Briefwahl eingetreten sind. Auf der anderen Seite haben aber Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 237, und Werner - Klecatsky,

Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 1961, S 132, die Vereinbarkeit der Briefwahl mit den Grundsätzen des persönlichen und geheimen Wahlrechtes auch in der Lehre bestritten (vgl. etwa zum Stand der Lehre weiter die eher distanzierten Ausführungen bei Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, 168, und bei Klecatsky - Morscher, Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 1982, S 315). Auch dem Erkenntnis des (VfSlg. 9547/1982), welches im Allgemeinen Teil der Erläuterungen zitiert wird, ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß die Briefwahl zulässig sein sollte. In diesem Erkenntnis hat der VfGH zu einem Antrag der Salzburger Landesregierung auf Kompetenzfeststellung nach Art 138 Abs 2 B-VG hinsichtlich eines Entwurfes eines Gesetzes über die Briefwahl bei Landtagswahlen sich - der Auffassung der Bundesregierung folgend - zu einer Prüfung der inhaltlichen Verfassungskonformität nicht zuständig gesehen.

Die Bundesregierung sieht sich in ihren Bedenken gegen die Briefwahl schließlich auch durch den Bericht der sog. 'Ellwein-Kommission' (Kommission zur Gesetzes- und Verwaltungsvereinfachung, Gesetzes- und Verwaltungsvereinfachung in Nordrhein-Westfalen, o.J., S 175 ff.) bestärkt, in welchem vorgeschlagen wird, die Briefwahl abzuschaffen, wobei als Begründung folgendes angeführt wird:

'Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt in Art 38 und macht gemäß Art 28 für die Länder, Kreise und Gemeinden verbindlich, daß die Wahlen zum Bundestag und zu anderen Vertretungskörperschaften allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim stattfinden. Die Briefwahl wurde eingeführt, um entsprechend dem Wahlprinzip: allgemein möglichst ausnahmslos jedem, der wählen will, das Wählen zu ermöglichen. Der Gesetzgeber ging bei der Einführung der Briefwahl zwar davon aus, damit eine Ausnahmeregelung für besondere Fälle zu treffen; er verzichte aber entweder ausdrücklich oder doch faktisch darauf, prüfen zu lassen, ob im Einzelfall eine Ausnahme vorliegt. Die Entwicklung hat nun angezeigt, daß die Ausnahmebestimmung zu einem Teil der Normalität wird. In Nordrhein-Westfalen wurde die Briefwahl für die Kommunalwahlen 1961 und für die Landtagswahlen 1962 eingeführt. In diesen beiden Jahren machten von der Briefwahl 5% der Wähler Gebrauch. Danach stiegen die Anteile aber, wie im gesamten Bundesgebiet, kräftig an und betragen heute in der Regel über 10% (Landtagswahl Nordrhein-Westfalen 1980:12,9%). Diese Entwicklung ist rechtsstaatlich mindestens aus zwei Gründen bedenklich:

Wenn ein großer Teil der Wähler sich der Möglichkeit der Briefwahl bedient, wird das Prinzip der geheimen Wahl zu einem Teil außer Kraft gesetzt. Keine Verwaltung kann gewährleisten, daß es die Wahlberechtigten selbst sind, welche die Briefwahlunterlagen anfordern und entgegennehmen. Das Ausfüllen der Wahlunterlagen entzieht sich ohnehin jeder Kontrolle. Da aber alle Wähler Anspruch auf Geheimhaltung des Wählens im engeren Sinne haben, sind auch diejenigen in ihren Rechten verletzt, die selbst geheim wählen, wenn andere ihre Wahl nicht geheim vornehmen, ja ihnen sogar ausdrücklich geholfen wird.

Fast ausnahmslos ereignen sich die Wahlfälschungen größeren Stiles in Zusammenhang mit der Versendung und mit dem Ausfüllen von Briefwahlunterlagen. In Bayern und Baden-Württemberg mußten deshalb Bürgermeisterwahlen wiederholt werden; in Nordrhein-Westfalen sind 1979 die Vorgänge in Gelsenkirchen aufgefallen. Der Gesetzgeber muß sich deshalb überlegen, ob er weiterhin Gelegenheit zu solchen Fälschungen geben oder die Konsequenzen aus der bisherigen Entwicklung ziehen will.

Wahlsystematisch muß gefragt werden, ob die zeitliche Auseinanderziehung des Wahlaktes, die durch die Briefwahl ermöglicht wird, mit der Tradition demokratischer Wahlen in Deutschland übereinstimmt. Bei der Landtagswahl in Hessen im Oktober 1982 versuchten sehr viele Briefwähler kurz vor der Wahl, ihre Unterlagen zurückzuerhalten, um am Wahltag noch einmal, entsprechend der nun gewonnenen Überzeugung wählen zu können. Ihre Gründe ließen sich am Wahlergebnis ablesen: Das Briefwahlergebnis wich erheblich vom hauptsächlichen Ergebnis ab, was sich auf das Gesamtergebnis nennenswert auswirkte. Auch wenn man das konkrete Beispiel nicht überbewerten will, so muß man doch prinzipiell überlegen, ob nicht ein festes Wahldatum einen eigenen Sinn hat, der mit dem Gleichheitsprinzip in Zusammenhang steht.'

Diese Bedenken im Hinblick auf die Verletzung des Prinzips des geheimen Wahlrechtes und des persönlichen Wahlrechtes durch das Briefwahlsystem können auch durch die Anordnungen des § 54 des vorliegenden Gesetzesbeschlusses über den Vorgang bei der Briefwahl nicht entkräftet werden; dies insbesondere deshalb, weil der hier vorgesehene Vorgang durch die Wahlbehörde in keiner Weise kontrollierbar ist.

Das Landesgesetz, mit dem die Wahlordnung für Statutarstädte geändert wird, wurde vom Niederösterreichischen Landtag am beschlossen. Der betreffende Gesetzesbeschluß wurde dem Bundeskanzleramt am selben Tage zugestellt. Die Bundesregierung hat am beschlossen, gegen diesen Gesetzesbeschluß gemäß Art 98 Abs 2 B-VG Einspruch zu erheben. Dieser Beschluß wurde dem Landeshauptmann von Niederösterreich am , also innerhalb der achtwöchigen Frist nach Art 98 Abs 2 B-VG, zugestellt. Der Niederösterreichische Landtag hat den Gesetzesbeschluß am wiederholt. Das Gesetz wurde am 1. Feber 1985 unter der Nr. 0360-2 des Niederösterreichischen Landesgesetzblattes kundgemacht."

1.3.1. Die Nö. Landesregierung erstattete eine - die Verfassungsmäßigkeit der bekämpften Regelung verteidigende - Gegenschrift, in der es ua. heißt:

"Gemäß Art 117 Abs 2 B-VG finden die Wahlen in den Gemeinderat auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechtes aller Staatsbürger statt, die in der Gemeinde ihren ordentlichen Wohnsitz haben. Durch diese Bestimmung gibt das B-VG den Rahmen für die von den Landesgesetzgebern zu erlassenden Wahlordnungen vor. Bezüglich des Inhaltes der Wahlrechtsgrundsätze enthält das B-VG keine ausdrückliche Aussage, auch nicht zu den in Art 26 Abs 1 und Art 95 Abs 1 B-VG enthaltenen gleichlautenden Grundsätzen.

Dem B-VG ist weiter nicht zu entnehmen, daß diese Grundsätze für die Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern einen unterschiedlichen Inhalt besitzen, sodaß die Grundsätze für das Wahlrecht zu den allgemeinen Vertretungskörpern auf Grund des Homogenitätsgebotes eine Einheit darstellen (abgesehen von den spezifisch notwendigen und ausdrücklich normierten Unterscheidungen, so zB bezüglich der Wahlberechtigten).

Für das vorliegende Gesetzesprüfungsverfahren ist bedingt durch den Antrag der Bundesregierung allein von Bedeutung, welcher Inhalt den Grundsätzen des persönlichen und des geheimen Wahlrechtes beizulegen ist, um sodann darauf gestützt die Übereinstimmung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen der STWO vornehmen zu können. Der Ansicht, daß die Briefwahl schlechthin mit diesen Grundsätzen unvereinbar und daher verfassungswidrig ist, wird entgegengetreten. Vielmehr kann nur die konkrete Ausführung des Briefwahlrechtes in der in der STWO enthaltenen Form im Zuge des Gesetzesprüfungsverfahrens an diesen verfassungsgesetzlichen Grundsätzen gemessen werden.

Für die Interpretation der in den Wahlrechtsgrundsätzen enthaltenen Begriffe ist primär auf die Bedeutung der Worte (Verbalinterpretation) und die sprachlichen Regeln über ihre Verwendung (grammatikalische Interpretation) abzustellen. Ferner ist der Wille des Gesetzgebers für die Ermittlung eines Regelungsgehaltes heranzuziehen, wobei hier der Wille des historischen Gesetzgebers maßgeblich ist (Walter - Mayer, Grundriß des Österreichischen Bundesverfassungsrechtes, 4. Auflage, 42 ff.).

Gemäß Art 117 Abs 2 B-VG ist das Wahlrecht zum Gemeinderat ein persönliches. Das Wesen eines persönlichen Rechts liegt in seiner Begrenzung auf die berechtigte Person. Ein persönliches Recht steht ausschließlich dem Berechtigten zu, der es auch nur selbst ausüben kann. Deutlich wird diese Beschränkung bei den höchstpersönlichen Rechten. 'Persönlich' bedeutet nach dem Duden 'in (eigener) Person, eigen(artig), selbst', sodaß nach der eigentümlichen Bedeutung dieses Begriffes ein persönliches Wahlrecht ein solches ist, das durch den Wahlberechtigten in eigener Person, selbst ausgeübt wird. Demnach wäre eine Ausübung dieses Rechtes durch Stellvertreter ausgeschlossen und von diesem Grundsatz nicht mehr gedeckt.

Auch nach dem Willen des historischen Verfassungsgesetzgebers deckt sich diese Interpretation, als ein persönliches Wahlrecht nur ein solches ist, bei dem der Wähler selbst seine Stimme abgibt und die Ausübung des Wahlrechtes durch Stellvertreter ausgeschlossen ist (Walter - Mayer, aaO, 93 f.; Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, 168).

Auch die einfachgesetzliche Rechtslage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der diesen Wahlrechtsgrundsatz enthaltenden Artikel des B-VG ist von einem derartigen Verständnis des persönlichen Wahlrechtes getragen. Von besonderer Bedeutung ist insbesondere, daß diese Form der persönlichen Wahlausübung nicht ausnahmslos verwirklicht war. § 28 Abs 4 Wahlordnung, StGBl. 115/1918, stellte eine massive Durchbrechung dieses Grundsatzes dar, als er eine Abstimmung für 'Blinde und Bresthafte' durch Stellvertreter zuließ. Diese Ausnahme geht soweit, daß sie inhaltlich sogar zu einer Aufgabe dieses Prinzipes führt. Aus den von der Bundesregierung zitierten Rechtsquellen ist daher einwandfrei die grundsätzliche Forderung der persönlichen Stimmabgabe als Ausfluß des persönlichen Wahlrechtes zu belegen, wobei aber auch Ausnahmen von diesem Grundsatz bestanden.

Es läßt sich daher nach Ansicht der Niederösterreichischen Landesregierung allein die Forderung nach einer grundsätzlichen persönlichen Stimmabgabe als Regelungsvorgabe für den einfachen Wahlordnungsgesetzgeber aus diesem Grundsatz ableiten. Die bestehende Ausnahme ist durch den Wortlaut des Art 26 Abs 1 B-VG, auch durch Art 95 Abs 2 und Art 117 Abs 2 B-VG nicht zu belegen, vielmehr weist sie auf eine nicht ausnahmslose Geltung dieses Wahlrechtsprinzips hin.

Die darüber hinausgehende Forderung nach einer ausnahmslosen persönlichen, und zwar einer physischen Anwesenheit des Wählers vor der Wahlbehörde bei der Stimmabgabe ist durch die damalige Rechtslage nicht nachzuweisen. Die einfachgesetzliche Rechtslage sah nur grundsätzlich diese physische Anwesenheit für die Stimmabgabe vor der Wahlbehörde vor ...

Aus § 40 des Gesetzes über die Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung, StGBl. 115/1918, läßt sich nach Ansicht der Niederösterreichischen Landesregierung nicht ableiten, daß die Durchführung der Wahl unter unmittelbarer Einsendung der Stimmzettel an die Hauptwahlbehörde mit einer 'ordentlichen' Wahl nicht zu vereinbaren sei. Die im letzten Absatz dieser Bestimmung enthaltene Verpflichtung zur Durchführung ordentlicher Wahlen ist vielmehr im Lichte der im zweiten Absatz dieser Bestimmung enthaltenen Befugnis des Staatsrates zu sehen, der unter den angegebenen Voraussetzungen sogar ohne Durchführung einer Wahl die Vertreter in die Nationalversammlung als deren vollberechtigte Mitglieder berufen konnte. Ebenso wurde ein Abgehen in jeder Richtung von den Wahlrechtsvorschriften gestattet, sodaß der nachfolgenden Durchführung ordentlicher Wahlen eine ganz andere Bedeutung als die der Beseitigung des im Briefwahlwege zustande gekommenen Wahlergebnisses zukommt.

Auch die Tatsache, daß in dieser Zeit mehrfach Ansätze zur Einführung der Briefwahl unternommen wurden, muß dahin gehend gedeutet werden, daß nach der damaligen Rechtslage die physische Anwesenheit des Wählers bei der Stimmabgabe mit den Grundsätzen eines persönlichen Wahlrechtes durchaus vereinbar gesehen wurde.

Deutlich wird dieses Verständnis unter dem Aspekt, daß die davor in Geltung gestandenen - und in gewissem Maße noch weiterhin bekannten - Wahlrechtssysteme sehr wohl eine Stimmabgabe durch Bevollmächtigte kannten bzw. sogar für bestimmte Gruppen von Wahlberechtigten zwingend vorsahen.

Für die Interpretation des Begriffes persönliches Wahlrecht ist daher auch sein historisches Verständnis von Bedeutung. Nach der in Mayerhofer, Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst 1896, 2. Band, 723 ff., gegebenen Übersicht enthielten alle Gemeindewahlordnungen der Monarchie eine nahezu gleichlautende Bestimmung. Stellvertretend sei hier auf § 4 der Gemeindewahlordnung für Niederösterreich verwiesen ...

Im Österreichischen Staatswörterbuch, Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes, Mischler - Ulbrich, 4. Band, 1909, führt Starzynski aus: 'und das aktive Wahlrecht steht jedem öffentlichen Staatsbürger als solchem zu, ist ein Ausfluß seiner Persönlichkeit und nicht etwa seines Besitzes, seines Einkommens oder seiner sozialen Stellung, und als solches, dh. als ein ius personae inhaerens, ein gleiches, da alle Personen als solche gleich sind;' (880).

Von besonderer Bedeutung sind die Fälle der 'nicht-persönlichen' Wahl, nämlich die Ausübung des Wahlrechtes durch Bevollmächtigte. Es gab sowohl eine gewillkürte als auch eine gesetzliche Bevollmächtigung. So kannte zB das Frauenwahlrecht beide Formen der nicht persönlichen Wahlausübung. In einem Teil der Kronländer konnten die Frauen ihr Wahlrecht nur durch Bevollmächtigte ausüben, in anderen Ländern konnten die Frauen ihr Wahlrecht 'nur persönlich ausüben' (907).

Damit wird deutlich, daß auch noch in der Zeit der Schaffung des B-VG der Begriff 'persönliches Wahlrecht' zur Abgrenzung von einer Wahl durch Bevollmächtigte verwendet wurde und deshalb auch einen diese Wahlform ausschließenden Begriffsinhalt aufwies. So gesehen stellt die Aufnahme des persönlichen Wahlrechts in die Wahlrechtsgrundsätze des B-VG die Absage an eine Wahl durch Bevollmächtigte dar. Für einen weiteren Inhalt dieses Begriffes, etwa seine Ausdehnung auf die notwendige physische Präsenz des Wählers vor der Wahlbehörde bei der Stimmabgabe, gibt auch die historische Interpretation keinen Anlaß.

Es ergibt sich somit aus der Interpretation des Grundsatzes des persönlichen Wahlrechtes, daß dieses Prinzip zweifelsfrei eine höchstpersönliche Stimmabgabe des Wählers grundsätzlich vorsieht. Dieses Prinzip gilt aber nicht ausnahmslos, sondern läßt aus besonderen Gründen eine Stimmabgabe durch Stellvertreter zu, so insbesondere im Falle behinderter Personen. Eine ausnahmslose Geltung dieses Grundsatzes würde geradezu zu einem Ausschluß vom Wahlrecht für diese Personen führen. Auch in der bisherigen Judikatur hat der VfGH diese Ansicht vertreten.

Im Erkenntnis VfSlg. 5166/1965 wird ausgeführt, daß im Hinblick auf den Grundsatz des persönlichen Wahlrechtes auf den Wahlvorschlägen nur Unterstützungsunterschriften zählen, die von den Unterzeichneten selbst stammen. Die Unterstützung eines Wahlvorschlages durch einen Wahlberechtigten ist namentlich eine Wahlentscheidung, darum höchstpersönlicher Natur und ihre Ausübung kann in keiner Weise auf einen anderen übertragen werden.

In den Erkenntnissen VfSlg. 6265/1970, 6266/1970 hat der VfGH das Wahlrecht für Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern als ein Individualrecht bezeichnet, dessen Ausübung den Wahlberechtigten zusteht.

Eine aus dem Grundsatz des persönlichen Wahlrechtes abzuleitende Präsenz des Wählers vor der Wahlbehörde bei der Stimmabgabe wurde vom VfGH bisher nicht vertreten.

Darüber hinaus läßt sich aus diesem Grundsatz nicht ableiten, daß immer und überall die Stimmabgabe eine physische Anwesenheit des Wählers vor der Wahlbehörde erfordert, sodaß ein Wahlsystem, das dieses Erfordernis nicht ausnahmslos verwirklicht, mit diesem Grundsatz vereinbar ist.

Bei der Interpretation der Wahlrechtsgrundsätze des B-VG für die Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern kommt der logisch-grammatikalischen Interpretation besondere Bedeutung zu, als diese Grundsätze zum Teil einander konkurrieren. In der ... zitierten Ausnahme zugunsten behinderter Personen wird das sehr deutlich, als das allgemeine Wahlrecht mit dem Prinzip des persönlichen Wahlrechtes kollidiert. Eine bedingungslose Verwirklichung des allgemeinen Wahlrechtes unter voller Aufrechterhaltung des Grundsatzes des persönlichen Wahlrechtes ist unmöglich. Einer großen Zahl behinderter Wahlberechtigter ist bedingt durch die Art ihrer Behinderung eine Ausübung des Wahlrechtes ohne Beiziehung einer Hilfsperson faktisch unmöglich. Darüber hinaus stellt diese Ausnahme auch einen Einbruch in die bedingungslose Verwirklichung des Prinzipes des geheimen Wahlrechtes dar. Selbst wenn dem Wähler der Weg zur Wahlbehörde durch die Einrichtung sogenannter 'fliegender Wahlkommissionen' abgenommen würde, könnte bei einer derart strengen Auslegung der Wahlrechtsgrundsätze ein beträchtlicher Teil behinderter Wahlberechtigter ohne die Möglichkeit der Beiziehung von Vertrauenspersonen sein Wahlrecht nicht ausüben.

Die Wahlrechtsgrundsätze müssen daher in ihrer Gesamtheit gesehen werden. Es enthält jeder für sich eine idealtypische Zielvorgabe über die verfassungsgesetzlich bedingten Beschränkungen der Ausführungsgesetzgebung hinaus, von der aber im Interesse der faktischen Durchführbarkeit von Wahlen stets Abstriche gemacht werden müssen. Auch in der bisherigen Judikatur wurde diesen Grundsätzen keine absolute Strenge beigelegt. In den Erkenntnissen VfSlg. 6265/1970 und 6266/1970 hat der Gerichtshof etwa die Verpflichtung des Staates verneint, in den Fällen eines gesetzmäßig verhängten Freiheitsentzuges besondere Vorkehrungen zu treffen, um den Betroffenen die Ausübung ihres Wahlrechtes zu ermöglichen. Der Grundsatz des geheimen Wahlrechtes bezieht sich nur auf die Stimmbgabe, nicht jedoch auf die Wahlwerbung (VfSlg. 6078/1969, 6207/1970). Der Grundsatz des gleichen Wahlrechtes verlangt nicht den gleichen Erfolgswert jeder Stimme (VfSlg. 1381/1931, 3653/1959, 6207/1970). Die Errichtung des Grundmandates sowie die Bildung von Wahlkreisen durch den einfachen Gesetzgeber ist mit dem Grundsatz der Verhältniswahl vereinbar (VfSlg. 8700/1979, 8852/1980). Aus der Judikatur ergibt sich daher, daß aus dem Verhältnis der Wahlrechtsgrundsätze zueinander einfach Einschränkungen und Ausnahmen für die Durchführbarkeit einer Wahl notwendig sind.

Die Einführung der Briefwahl in der in der STWO enthaltenen Form ist von der Verwirklichung des Grundsatzes des allgemeinen Wahlrechtes getragen. Behinderten Personen wird ebenso wie Kranken dadurch die Möglichkeit der persönlichen Stimmabgabe ohne das Erfordernis der physischen Präsenz vor der Wahlbehörde eröffnet. Bei der Gemeinderatswahl ist systembedingt die Stimmabgabe auf das Gemeindegebiet beschränkt, sodaß Wahlberechtigten, die sich am Wahltag nicht in ihrem Gemeindegebiet aufhalten, nur über diese Einrichtung tatsächlich auch die Möglichkeit zur Ausübung ihres Wahlrechtes eröffnet wird. Die Einrichtung der Wahlkarte in der herkömmlichen Form stellt für diesen Personenkreis keine Abhilfe dar, als ihm im Falle eines Krankenhausaufenthaltes außerhalb der Gemeinde oder einer durch andere Umstände bedingten Ortsabwesenheit das Aufsuchen des Wahllokales innerhalb des Gemeindegebietes unmöglich bleibt. Auch Behinderten wird der oft nur in unwürdiger Form abzuwickelnde, bisher aber systembedingte 'Transport' in das Wahllokal erspart.

Zugleich stellt die verwirklichte Form der Briefwahl keine Differenzierung in der Ausübung des Wahlrechtes dar, die nicht sachlich bedingt von der Stimmabgabe vor der Wahlbehörde abweicht. Durch die Bindung der Zulässigkeit dieser Form der Stimmabgabe an besondere Voraussetzungen bleibt die Briefwahl weiterhin die Ausnahme. Die Verwirklichung des persönlichen und geheimen Wahlrechtes ist durch Kautelen, so etwa in dem Verfahren für die Ausstellung der Wahlkarten, in der Zusendung der Stimmunterlagen zu eigenen Handen des Wahlberechtigten und in der Art der Einsendung und Auszählung der Briefstimmen, hinreichend gesichert, wobei das Ausmaß an Sicherheit der herkömmlichen Form der Stimmabgabe gleich kommt. Der von der Bundesregierung als wohl einziger Vorteil der Stimmabgabe unter persönlicher Anwesenheit vor der Wahlbehörde genannte Umstand, nämlich die Verhinderung eines Wahlschwindels, trifft insoweit nicht zu, als bei der in STWO normierten Form der Briefwahl durch ausreichende Vorkehrungen die Möglichkeit zur Verfälschung des Wahlergebnisses ausgeschlossen ist. Die zur Begründung herangezogene Personenkenntnis der Mitglieder der Wahlbehörde ist in Städten wie auch bereits in ländlichen Gemeinden keinesfalls mehr gegeben, sodaß allein die von der Wahlordnung verlangten Urkunden die Feststellung der Identität der Wahlberechtigten erlauben. Das Argument, daß diese Dokumente nicht gerne aus der Hand gegeben werden, greift innerhalb des Familienverbandes überhaupt nicht und auch außerhalb desselben kaum, sodaß das Ausmaß der von den Wahlordnungen geforderten Sicherheit der Identität der Wahlberechtigten als durchaus gering angesetzt werden muß. Jedenfalls unterscheiden sich die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der STWO von denen der anderen Wahlordnungen zu den allgemeinen Vertretungskörpern diesbezüglich nicht.

Ebenso das herangezogene Argument der größeren Beeinflussungsmöglichkeit bei einer Wahlausübung innerhalb der Privatsphäre vermag nicht zu überzeugen: Vielfach wird die Wahlentscheidung innerhalb der Familie erörtert. Im Falle einer Verhinderung der Wahlmöglichkeit durch Familienangehörige versagt auch das bisherige Wahlsystem, ebenso wie es auch psychologischen Druck zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten nicht vermeiden kann. Auch diesbezüglich deckt sich der von der STWO verlangte Standard mit dem der übrigen Wahlordnungen.

In der Literatur wird zum Umfang des Grundsatzes des persönlichen Wahlrechtes keine einhellige Meinung vertreten (Adamovich - Funk, 168; Walter - Mayer, 93; Klecatsky - Morscher, Bundesverfassungsrecht, FN 8 zu Art 26 Abs 1 B-VG, 54 ff.; Schäffer,

Die Briefwahl, Salzburger Dokumentationen, und die darin zitierte Literatur).

Die Niederösterreichische Landesregierung vertritt die Ansicht, daß die Briefwahl in der in der STWO verwirklichten Form mit dem Grundsatz des persönlichen Wahlrechtes im Einklang steht und verweist letztlich auf die von Schäffer, aaO, 54 ff., dargelegte Argumentation.

Sollte hingegen der Grundsatz des persönlichen Wahlrechtes auch die physische Präsenz des Wählers vor der Wahlbehörde bei der Stimmabgabe umfassen, so ließe sich keinesfalls die ausnahmslose Geltung dieses Inhaltes rechtfertigen. In diesem Fall würde die Briefwahl eine zulässige Ausnahme darstellen, die in den systembedingten Fällen den ansonsten vom Wahlrecht überhaupt ausgeschlossenen Wahlberechtigten die Möglichkeit zur Stimmabgabe eröffnet.

Ein geheimes Wahlrecht liegt dann vor, wenn das Verfahren so gestaltet ist, daß die Wahlentscheidung des einzelnen Wahlberechtigten weder bei der Stimmabgabe, noch im Ermittlungsverfahren, sei es für die Wahlbehörde, sei es für die Öffentlichkeit, erkennbar wird. Ein Wahlsystem, das die Geheimhaltung in gleicher Weise wie bei der Stimmabgabe vor der Wahlbehörde sichert, kann daher gar nicht diesen Grundsatz verletzen. Ausnahmen bestehen in der STWO ebenfalls nur für behinderte Personen, während alle anderen Personen die gleichen Geheimhaltungsmöglichkeiten eingeräumt erhalten, wie die Wahlberechtigten, die vor der Wahlbehörde ihre Stimme abgeben. Nicht zuletzt ist zu bedenken, daß mit der Einräumung des Wahlrechtes ein gewisses Maß an politischer Reife bzw. an Reife bei der Ausübung der von der Rechtsordnung eingeräumten politischen Mitwirkungsrechte zwangsläufig verbunden ist. Generell nun den Wahlberechtigten diese Reife nur für eine Wahlentscheidung vor der Wahlbehörde einzuräumen, ohne ihnen die gleichanzusetzende Reife für die Stimmabgabe im Briefwege zuzubilligen, würde eine von der Verfassung her nicht zu vertretende Bevormundung der Staatsbürger darstellen, als nur ein einheitlicher Reifegrad für die Ausübung der politischen Rechte vorausgesetzt werden darf.

Die Niederösterreichische Landesregierung vertritt daher die Ansicht, daß die Briefwahl in der in der STWO verwirklichten Form mit dem Grundsatz des geheimen Wahlrechtes im Einklang steht, insbesondere auch aus dem Umstand, daß die Bundesregierung in ihrem Gesetzesprüfungsantrag keine konkreten Bedenken gegen einzelne Bestimmungen der STWO im Hinblick auf das geheime Wahlrecht äußern konnte.

Im Erkenntnis VfSlg. 3843/1960 hat der VfGH ausgesprochen, daß eine Wahl nur dann (frei und) geheim ist, 'wenn der Wähler die unbedingte Sicherheit empfindet, daß eine Feststellung (Beobachtung), welche Partei er wählt oder ob er einen leeren Stimmzettel abgibt, unmöglich ist, ferner ob er eine - von manchen Wählergruppen nicht erwünschte - Umreihung oder Streichung vornimmt oder nicht. Nur der unbeobachtete Wähler kann sein Wahlrecht frei und ohne Hemmung ausüben.' In Übereinstimmung damit enthält § 54 Abs 1 und 3 STWO die Verpflichtung zur unbeobachteten Ausfüllung des Stimmzettels und zur Unterfertigung der diesbezüglichen Erklärung, sodaß der Grundsatz des geheimen Wahlrechtes durch die maßgeblichen Bestimmungen der STWO nicht verletzt wird. Eine Verletzung des Wahlgeheimnisses könnte demnach nur unter gleichzeitiger Verletzung der Wahlrechtsvorschriften erfolgen, wogegen die eingeräumten Wahlanfechtungsmöglichkeiten ausreichenden Schutz bieten. Es besteht daher ebenfalls kein Unterschied zu den Bestimmungen anderer Wahlordnungen über den Schutz des Wahlgeheimnisses.

Insoweit die Bundesregierung den Bericht der sogenannten 'Ellwein-Kommission' (Kommission zur Gesetzes- und Verwaltungsvereinfachung, Gesetzes- und Verwaltungsvereinfachung in Nordrhein-Westfalen, o.J., 175 ff.) zitiert, treffen diese Ausführungen nicht auf die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der STWO zu. Die Voraussetzungen für die Zulassung zur Briefwahl sind hier im Einzelfall zu prüfen, sodaß diese Form der Wahl sehr wohl den Ausnahmsfall darstellen wird. Durch die Form der Übermittlung der Briefwahlunterlagen sowie die Behandlung der Stimmbriefe bei der Wahlbehörde ist gewährleistet, daß Wahlfälschungen nur unter Verletzung von Gesetzesvorschriften möglich wären. Das zeitliche Auseinanderfallen der Wahlentscheidung der Briefwähler und der vor der Wahlbehörde abstimmenden Wähler ist nur im Wege demoskopischer Untersuchungen zu belegen. Sollte das Wahlsystem es gestatten, das Stimmverhalten der Briefwähler getrennt von dem Stimmverhalten der vor der Wahlbehörde abstimmenden Wahlberechtigten zu ermitteln, so könnte dies allein einen Mangel des Wahlsystems darstellen, ohne aber das Institut der Briefwahl zu berühren. Es findet sich auch kein verfassungsgesetzlicher Grundsatz, der den Wahlordnungsgesetzgeber dazu zwingt, durch besondere Vorschriften vorzukehren, daß die Willensbildung der Wahlberechtigten ausschließlich im selben Zeitpunkt zu erfolgen hat - was auch praktisch kaum durchführbar wäre. Der Bericht der 'Ellwein-Kommission' ist daher für rechtspolitische Überlegungen von Bedeutung, enthält aber kein Argument, das zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber den in Prüfung gezogenen Bestimmungen der STWO Anlaß geben könnte.

Derzeit gibt es in der österreichischen Rechtsordnung neben der STWO bereits mehrfach das Rechtsinstitut der Briefwahl, wenn auch nicht für Wahlen in allgemeine Vertretungskörper. In all diesen Fällen ist bisher kein Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Form der Ausübung des Wahlrechtes mit den Wahlrechtsgrundsätzen, insbesondere mit dem persönlichen und gleichen Wahlrecht aufgetreten, zu dem sich diese Wahlordnungen teils ausdrücklich, teils indirekt in erschließbarer Weise bekennen (Schäffer, aaO, 39 ff.).

Sowohl der Bundesgesetzgeber als auch die Landesgesetzgeber haben die in den betreffenden Wahlordnungen geschaffene Möglichkeit zur Briefwahl mit den Prinzipien einer geheimen und persönlichen Wahl im Einklang gesehen. Wenn noch dazu keine Gründe vorliegen, den programmatisch diesen Wahlordnungen ausdrücklich vorangestellten oder unausgesprochen zugrunde gelegten Grundsätzen einen anderen Inhalt als den im B-VG wortgleich festgeschriebenen Prinzipien beizulegen, muß eine Briefwahl unter Wahrung bestehender Schranken auch verfassungsrechtlich für allgemeine Vertretungskörper zulässig sein.

Im Falle einer Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen würde die STWO eine Fassung erhalten, die bettlägerigen Wahlberechtigten abgesehen von § 55 leg. cit. keine Möglichkeit zur Stimmabgabe einräumt. Die in der Regierungsvorlage für die 2. Novelle der STWO enthaltenen Bestimmungen über eine besondere (sog. 'fliegende') Wahlbehörde, die bettlägerige Personen aufsucht, wurden vom Niederösterreichischen Landtag im Hinblick auf die noch größeren Erleichterungen durch die Briefwahl für entbehrlich erachtet und nicht in die STWO aufgenommen. Sollte die Möglichkeit der Briefwahl nun nicht mehr bestehen, müßten erst im Zuge einer weiteren Novelle die für die Einrichtung besonderer Wahlbehörden notwendigen Bestimmungen geschaffen werden, weshalb eine Aufhebung unter Setzung der hiefür erforderlichen Frist erfolgen müßte ..."

1.3.2. Den übrigen Landesregierungen wurde die Abgabe einer Äußerung zum Antrag der Bundesregierung anheimgestellt. Bis zur Verhandlung langten Stellungnahmen der Regierungen der Bundesländer Ktn., OÖ, Stmk., Tir. und Wien ein.

2. Über den Antrag der Bundesregierung wurde erwogen:

2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen

Der vorliegende Antrag auf Aufhebung landesgesetzlicher Vorschriften wurde von der iS des Art 140 Abs 1 Satz 2 B-VG anfechtungsberechtigten Bundesregierung gestellt.

Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen sind erfüllt:

Die Nö. Landesregierung wendete in der Verhandlung vor dem VfGH formal bloß unter dem Gesichtspunkt einer Fristsetzung iS des Art 140 ABs. 5 B-VG, der Sache nach aber in Verneinung einer Prozeßvoraussetzung ein, daß der Anfechtungsantrag der Bundesregierung zu eng gefaßt sei: Er richte sich nämlich nicht (auch) gegen Teile der §§30 Abs 2 und 32 Abs 2 STWO, die ausschließlich die strittige "Briefwahl" zum Gegenstand hätten. So gebe § 30 Abs 2 STWO den Anspruch auf Ausstellung einer Wahlkarte (auch) dann, wenn der Wahlberechtigte glaubhaft mache, daß er sich voraussichtlich am Wahltag außerhalb der Stadt aufhalten werde oder daß ihm infolge einer Krankheit oder eines Gebrechens das Erscheinen vor der Wahlbehörde nicht zuzumuten sei; § 32 Abs 2 Z 3 STWO wieder besage, daß der (einzusendenden) Wahlkarte ein an die Stadtwahlbehörde gerichteter Wahlbriefumschlag angeschlossen werden müsse. Nun trifft es in der Tat zu, daß die Bundesregierung bei konsequenter Verfolgung ihrer - die Verfassungswidrigkeit der konkreten Briefwahlregelung behauptenden - Rechtsposition auch zur Anfechtung der in Rede stehenden, nur auf Briefwahlen anwendbaren Vorschriften verhalten gewesen wäre. Dennoch zieht diese Unterlassung nicht die Unzulässigkeit des Antrages überhaupt nach sich. Denn § 32 Abs 1 STWO sieht in seinem unangefochtenen Teil vor, es werde durch die Ausstellung einer Wahlkarte bescheinigt, daß eine bestimmte Person berechtigt ist, das Wahlrecht (nur mehr) in jedem hiefür vorgesehenen Wahlsprengel der Stadt auszuüben. Damit ist aber - in deutlicher Umschreibung des durch die Wahlkarte verbrieften Rechts des Wahlberechtigten - hinlänglich klargestellt, daß die von der Landesregierung bezogenen Stellen der §§30 Abs 2, 32 Abs 2 STWO bei Stattgebung des Antrags der Bundesregierung jedweden Anwendungsbereich in Beziehung auf eine Stimmabgabe durch Briefwahl verlieren. Unter diesem Aspekt kann darum von untrennbarem Zusammenhang dieser und der angefochtenen landesgesetzlichen Vorschriften nicht gesprochen werden.

Der Antrag ist zulässig.

2.2. Zur Sache

2.2.1. Die Bundesregierung macht - kurz zusammengefaßt - geltend, daß die angefochtene (Briefwahl-)Regelung zum einen dem Grundsatz der "geheimen" Wahl widerspreche, zum anderen das Prinzip der "persönlichen" Wahl verletze.

2.2.2. Sie ist nach beiden Richtungen hin im Recht.

2.2.2.1. Schon die von der Konstituierenden Nationalversammlung am beschlossene Fassung des B-VG, BGBl. 1/1920, legte in Art 26 Abs 1, Art 95 Abs 1 und Art 119 Abs 2 ua. fest, daß die allgemeinen Vertretungskörper von allen Wahlberechtigten aufgrund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Wahlrechtes zu wählen sind. Dieselbe Körperschaft hatte zuvor das Gesetz vom , STGBl. 317/1920, über die Wahl und die Einberufung der Nationalversammlung beschlossen, dessen § 1 ua. besagt, daß die Abgeordneten aufgrund des allgemeinen, gleichen, direkten, persönlichen und geheimen Wahlrechtes kraft der mit dem Gesetz vom , StGBl. 316/1920, erlassenen Wahlordnung gewählt werden.

Gemäß Art 26 Abs 1 B-VG igF wird der Nationalrat vom Bundesvolk aufgrund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Wahlrechtes der Männer und Frauen, die am Stichtag der Wahl das 19. Lebensjahr vollendet haben, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt (s. auch Art 8 des Staatsvertrags von Wien, BGBl. 152/1955, und Art 3 des 1. Zusatzprotokolls zur MRK).

Die Grundsätze, die der Landesgesetzgeber bei der Regelung der Wahlen zum Gemeinderat zu beachten hat, sind im Art 117 Abs 2 Satz 1 B-VG (früher: Art 119 Abs 2 Satz 1 B-VG idF BGBl. 1/1920) enthalten. Danach finden diese Wahlen "auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechtes aller Staatsbürger" (mit ordentlichem Wohnsitz in der Gemeinde), also nach denselben Prinzipien statt, die das B-VG im Art 26 Abs 1 für die Wahlen zum Nationalrat (und im Art 95 Abs 1 für die Wahlen zum Landtag) festlegt (s. auch Art 60 Abs 1 B-VG).

2.2.2.2. Die (Nö.) STWO idF LGBl. 0360-2 läßt für Gemeinderatswahlen in einer Statutarstadt eine Art der sog. "Briefwahl" zu und regelt den Wahlvorgang im wesentlichen dergestalt, daß ein Wähler, der sein Wahlrecht unter Verwendung der ihm (nach Maßgabe der Vorschrift des § 30 Abs 2 STWO) zugekommenen Wahlkarte mit Wahlbrief auszuüben beabsichtigt, den Stimmzettel (nicht in einem Wahllokal, sondern) in seinem privaten Bereich - unter je nach Lage des Einzelfalls wechselnden (Begleit-)Umständen - selbst (persönlich) auszufüllen und in ein Wahlkuvert zu legen hat: Das Gesetz schreibt lediglich einschränkend vor, daß diese dem Wähler obliegende Ausfüllung des Stimmzettels "unbeobachtet" geschehen müsse. Zudem trifft den Wähler die Verpflichtung, eine auf der Wahlkarte vorgedruckte Erklärung, der Stimmzettel sei von ihm persönlich unbeobachtet ausgefüllt worden, zu unterfertigen. Die Wahlkarte und das Wahlkuvert mit Stimmzettel sind sodann in einem mit Siegelmarke zu verschließenden amtlichen Wahlbriefumschlag durch die Post der Wahlbehörde zuzusenden. Vorsätzlich unwahre Angaben des Wählers in der dem Stimmzettel anzufügenden Erklärung werden als Verwaltungsübertretung geahndet.

2.2.2.3. 1. "Geheim" in der Bedeutung des Art 26 Abs 1 B-VG und der - in diesem Umfang inhaltsgleichen (s. VfSlg. 3426/1958, 6864/1972) - Norm des Art 117 Abs 2 Satz 1 B-VG ist ein Wahlrecht nur dann, wenn der Wähler seine Stimme derart abzugeben vermag, daß niemand, weder die Behörde noch sonst jemand, erkennen kann, wen er gewählt hat (s. Ringhofer, Die österreichische Bundesverfassung, 1977, 104). Demgemäß verlangt der Grundsatz des geheimen Wahlrechts wirksame Vorkehrungen zur Geheimhaltung des Wahlverhaltens des einzelnen Wählers (vgl. Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht 2, 1984, 169), der seinerseits zur geheimen Stimmabgabe verpflichtet und von der Wahlbehörde dazu anzuhalten ist.

Der VfGH nahm bereits in seinem zur (Nö.) Gemeindewahlordnung ergangenen Erk. VfSlg. 3843/1960, bezogen auf das Wahlrecht im allgemeinen, den Standpunkt ein, von einer "freien" und "geheimen" Wahl könne nur gesprochen werden, wenn der Wähler die unbedingte Sicherheit empfinde, daß eine Feststellung (Beobachtung), welche Partei er wähle (oder ob er einen leeren Stimmzettel abgebe), unmöglich sei; nur der unbeobachtete Wähler vermöge sein Wahlrecht frei und ohne Hemmung auszuüben. Des weiteren führte der VfGH erst jüngst in seinem Erk. vom , Z WI-7/83, aus, das Prinzip des geheimen Wahlrechts müsse dem Wähler Gewißheit geben, daß Dritten unbekannt bleibe, wie gewählt worden sei.

Die geheime Wahl soll den Wähler also nicht bloß vor unerwünschter Einflußnahme auf seine Willensbildung im Zug des Wahlvorgangs bewahren, sie soll ihm auch die Sorge und Furcht nehmen, daß er wegen seiner Stimmabgabe in bestimmter Richtung Vorwürfen und Nachteilen welcher Art immer ausgesetzt sei (Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte, 1963, 570).

Nur ein derartiges, schon in beiden zitierten Erk. des VfGH zum Ausdruck kommendes Verständnis des im B-VG geprägten Begriffs der "geheimen" Wahl wird dem überlieferten Sinn und Zweck dieses fundamentalen Wahlprinzips gerecht, nämlich der wirksamen Sicherung der Unabhängigkeit und Freiheit der in der Wahl gelegenen politischen Meinungsäußerung des Bundesvolks (s. dazu auch: Kelsen, Kommentar zur österreichischen Reichsratswahlordnung, 1907, 110 f.).

Wie schon eingangs hervorgehoben (vgl. Adamovich - Funk, aaO), bedeutet das aber zugleich, daß das Recht auf geheime Wahl - soll es nicht nur auf dem Papier stehen und ineffektiv sein - den Staat zu positiven Leistungen verpflichtet, und zwar zur Zurverfügungstellung aller notwendigen Einrichtungen, um die korrekte Abhaltung geheimer Wahlen zu gewährleisten und zu sichern (vgl. dazu: Nowak, Das Wahl- und Stimmrecht als Grundrecht in Österreich, EuGRZ 1983, 98).

Die angefochtene landesgesetzliche Briefwahlregelung wird diesen unabdingbaren verfassungsrechtlichen Voraussetzungen eines "geheimen" Wahlrechts nicht gerecht: Denn der Wähler, der sich zur Stimmabgabe mit Wahlbrief entschließt, bleibt, wenn er "geheim" wählen will, kraft des vom nö. Landesgesetzgeber geschaffenen (Briefwahl-)Systems während des Wahlakts insofern vollkommen auf sich selbst gestellt, als er der Einflußnahme durch außenstehende Dritte zugunsten eines bestimmten Wahlverhaltens nur selbst begegnen kann. Mit anderen Worten ausgedrückt: Der Landesgesetzgeber wälzt die kraft Verfassungsrechtslage ihm selbst zukommende Aufgabe, dafür wirksam Sorge zu tragen, daß die Wahl (Stimmabgabe) geheim vor sich gehe, einzig und allein auf den - vor unzulässiger Einflußnahme auf seine Wahlentscheidung zu schützenden - Wähler ab; es fehlt nämlich - wie die Bundesregierung der Sache nach zutreffend herausstellt - an Sicherheitsvorkehrungen, die dem Wahlberechtigten eine "geheime", das ist die unbeeinflußte und unbeobachtete Ausfüllung des Stimmzettels garantieren. Das bedeutet aber, daß es nach der STWO idF LGBl. 0360-2 durchaus offen und fraglich bleibt, ob der einzelne Wähler zu einer solchen (geheimen) Stimmabgabe nach seinen jeweiligen persönlichen Verhältnissen und Lebensumständen unter zumutbaren Bedingungen überhaupt imstande ist. Daß der Wähler nachträglich schriftlich bestätigen soll, er habe den Stimmzettel persönlich unbeobachtet ausgefüllt, ist aus der Sicht der Gewährleistung geheimer Wahlen im bereits dargelegten Sinn ungenügend. Denn unterliegt der Wahlberechtigte bei der Ausfüllung des Stimmzettels mehr oder weniger massivem (psychischem) Druck, ist nicht auszuschließen, vielmehr eher naheliegend, daß sich diese Einflußnahme auch auf die Unterfertigung der Erklärung erstrecken kann und wird. Ebensowenig stellt die angefochtene Regelung ausreichend sicher, daß der Wähler - mag er auch keinem Druck ausgesetzt sein - im entscheidenden Zeitpunkt wirklich unbeobachtet handeln kann und so in der Lage ist, seine politische Überzeugung im Wahlakt vollkommen frei zum Ausdruck zu bringen, ohne dabei Gefahr zu laufen, wegen Bekanntwerdens seines Stimmverhaltens persönliche, soziale oder wirtschaftliche Nachteile zu erleiden. Der VfGH verkennt freilich nicht, daß dem Prinzip des geheimen Wahlrechts für bestimmte Personengruppen (so etwa für Kranke, denen ein Erscheinen vor der Wahlbehörde unzumutbar ist, oder für Bundesheerangehörige, die außerhalb des Wahlgebiets stationiert sind) im Interesse einer umfassenden Verwirklichung der Allgemeinheit einer Wahl durchaus auch in anderer Weise entsprochen werden kann als durch Verpflichtung zur Abgabe der Stimme im Wahllokal selbst (s. dazu die Ausführungen über die notwendige Präsenz des Wählers zumindest vor einem die Aufgaben der Wahlkommission adäquat besorgenden Staatsorgan in Abschn. 2.2.2.3.2.).

Aus all dem folgt, daß die angefochtene Regelung das verfassungsrechtlich garantierte Prinzip der "geheimen" Wahl verletzt.

2.2.2.3.2. Im engsten Zusammenhang mit dem Grundsatz der "geheimen" Wahl steht das gleichfalls in Art 117 Abs 2 B-VG festgeschriebene Prinzip des "persönlichen" Wahlrechts. Es schließt angesichts der, historisch gesehen und verstanden, höchstpersönlichen Natur dieses Rechts grundsätzlich - Ausnahmen sind für blinde und sonst behinderte Wähler mit Geleitpersonen anerkannt (VfSlg. 2826/1955; vgl. auch § 69 NRWO, BGBl. 129/1949, jetzt: § 68 NRWO 1971) - jedenfalls die Wahl durch Stellvertreter aus; dies mit dem Ziel, dem wahlwilligen Wahlberechtigten bestmögliche Voraussetzungen zur Kundgebung seiner in voller Freiheit zu treffenden Wahlentscheidung zu schaffen. Eine derartige (Mindest-)Spannweite dieses Verfassungsgrundsatzes, wie sie der VfGH bereits in seinem Erk. VfSlg. 5166/1965 fallbezogen umschrieb, ist im Fachschrifttum unbestritten (s. etwa: Adamovich, Grundriß des österreichischen Staatsrechts, 1927, 134; Frisch, Lehrbuch des österreichischen Verfassungsrechts, 1932, 76; Adamovich - Spanner, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts,

5. Auflage, 1957, 166; Ringhofer, aaO; Adamovich - Funk, aaO; 168). Nach manchen Lehrmeinungen erschöpft sich die Verfassungsgarantie aber nicht im Verbot der Stellvertretung; vielmehr wird eine unverzichtbare zweite Wesenskomponente des "persönlichen" Wahlrechts iS des B-VG in der persönlichen Anwesenheit des Wahlwilligen im Stimmlokal erblickt, also verlangt, daß der Wähler dort selbst zur Stimmabgabe erscheint:

Schon Kelsen (Verfassungsgesetze II, 1919, 97) hing - wenngleich im Blick auf die Wahlordnung für die Konstituierende Nationalversammlung - der Auffassung an, daß Wahlberechtigte vor der Wahlbehörde persönlich auftreten müssen ("Das Wahlrecht ist persönlich auszuüben ... Eine Stellvertretung ist im allgemeinen ausgeschlossen. Nur für Blinde und Bresthafte ist eine Ausnahme insofern gemacht, als diese die Geleitperson, die sie zur Wahlurne hinführt, für sich abstimmen lassen können. Auch diese Personen müssen also vor der Wahlbehörde persönlich erscheinen"). Die Notwendigkeit eines persönlichen Auftretens des Wählers im Wahllokal bejahten darüber hinaus - zT ohne nähere Begründung - zB auch Boyer (Wahlrecht in Österreich, 1961, 57), Werner - Klecatsky (Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 1961, 132, FN 7), Ermacora (aaO, 574), derselbe (Österreichische Verfassungslehre, 1970, 137), Schambeck (Wahlrecht und Regierungssystem in Österreich, in: Merkl-Festschrift, 1970, 339), Walter (Österreichisches Bundesverfassungsrecht, System, 1972, 237), Walter - Mayer (Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 4. Auflage, 1982, 93) und Klecatsky - Morscher (Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 3. Auflage, 1982, 315, Anm. 8).

Die jüngere Literatur neigt allerdings zu einer restriktiveren Auslegung des Grundsatzes der persönlichen Wahl und will auch in der sogenannten "Briefwahl" eine persönliche Ausübung des Wahlrechts sehen (Pfeifer, Wahlrecht und Wahlreform, JBl. 1970, 456: "Man spricht ja auch von persönlichen Handschreiben"; Pesendorfer,

Briefwahl und Verfassungsrecht, in: Der Staatsbürger, 1978, 73 f.;

Hellbling, Zwei Wahlrechtsprobleme, in: Der Staatsbürger, 1975/7, 2;

Schäffer, Die Briefwahl, Salzburg Dokumentationen Bd. 34, 1979, 54 ff.; Ermacora, Österreichische Verfassungslehre II, 1980, 26; zu dieser Frage auch: Diem - Neisser, Zeit zur Reform, 1969, 88).

Der VfGH nahm bisher zur Frage nicht ausdrücklich Stellung, ob ein Wahlsystem, das eine Abstimmung mit Brief nach Art der bekämpften landesgesetzlichen Regelung vorsieht, mit Art 26 Abs 1, 95 Abs 1, 117 Abs 2 (60 Abs 1) B-VG aus dem Blickwinkel des Prinzips des "persönlichen" Wahlrechts zu vereinbaren sei (vgl. VfSlg. 8590/1979, 9547/1982). Er qualifizierte bestimmte Formen der Briefwahl aber schon in seiner bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich als Wege der "nichtpersönlichen Stimmabgabe" (VfSlg. 4483/1963, 4713/1964) und hält an dieser Rechtsauffassung - in Anlehnung an die zitierten älteren Lehrmeinungen - auch weiterhin fest: Das im B-VG (Art26 Abs 1, 95 Abs 1 und 117 Abs 2; 60 Abs 1) für Wahlen zu allgemeinen Vertretungskörpern expressis verbis verankerte Persönlichkeitsprinzip gebietet die Schaffung von Wahlordnungen, die zwingend sicherstellen, daß alle zu zählenden Stimmen wirklich von jenen Personen stammen, die sie abgaben. Das bedeutet folgerichtig, daß ein "persönliches" Wahlrecht, wie es das B-VG festlegt, das persönliche Erscheinen, anders ausgedrückt: die physische Präsenz des Wählers, sei es im Stimmlokal, sei es vor einer sog. "fliegenden" oder sonst inner- oder außerhalb des Wahlgebiets amtierenden Wahlkommission oder einem die Aufgaben einer solchen Kommission adäquat besorgenden Staatsorgan, zur Teilnahme an der Wahl notwendig voraussetzt. Nur dieses Normverständnis entspricht dem bereits von Kelsen gezeichneten festgefügten Begriffsbild einer "persönlichen" Wahl zur Zeit der Verfassungsentstehung, dem eine regelmäßige, der bekämpften nö. Regelung eigene irreversible Bekundung des Wählerwillens innerhalb der Privatsphäre schon - wie hier - lange vor dem festgesetzten Wahltag durchaus fremd war. Wenn Pesendorfer (aaO) unter Zitierung des Erk. VfSgl. 4483/1963 meint, der VfGH habe die Stimmabgabe in Form der Briefwahl in der österreichischen Rechtsordnung prinzipiell für zulässig erachtet, so trifft diese Deutung nicht zu. Die Bundesverfassung schreibt das Persönlichkeitsprinzip ja nur für bestimmte Wahlen (Art26, 95, 117 B-VG) vor, um die es in der damaligen Entscheidung des VfGH (zur Betriebsratswahlordnung BGBl. 211/1947) gar nicht ging: Für Betriebsratswahlen hätte der Gesetzgeber - wie aus dem Erk. VfSlg. 4483/1963 ableitbar - also sehr wohl die nichtpersönliche Stimmabgabe in Form der Einsendung des Stimmzettels mit Brief gestatten können, ohne gegen den - nach dem Gesagten persönliche Präsenz des Wählers erfordernden - Verfassungsgrundsatz des "persönlichen" Wahlrechts iS des Art 26 Abs 1 ua. B-VG zu verstoßen (vgl. VfSlg. 8590/1979; s. auch Waas, Probleme der Briefwahl, in: Floretta-Festschrift, 1983, 665 f.). Zudem sind Sinn, Zweck und Aufgabe des persönlichen Wahlrechts, wie eine grammatikalisch-teleologische Verfassungsinterpretation ergibt, mit darin zu suchen, eine Verfälschung des Wählerwillens hintanzuhalten (Walter, System, 1972, 237). Daß die von der Bundesregierung angefochtenen landesgesetzlichen Vorschriften die freie Kundgebung des wahren Wählerwillens jedoch keinesfalls wirkungsvoll sichern können, ergibt sich bereits aus den einleitenden Ausführungen zu Abschn. 2.2.2.3.1. Wenn die Nö. Landesregierung zur Begründung ihres gegenteiligen Rechtsstandpunktes auf den Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts verweist, dem die angefochtenen Vorschriften letzten Endes zu dienen haben, ist ihr entgegenzuhalten, daß Erleichterungen in der Wahlrechtsausübung, die - etwa durch Einsetzung besonderer Wahlkommissionen (oder entsprechender Staatsorgane) - auch ohne einschneidende Zurückdrängung des Persönlichkeitsprinzips zu erzielen sind, keineswegs - wie hier - zu Lasten einer freien, unverfälschten Manifestation des Wählerwillens gehen dürfen.

Abschließend bleibt festzuhalten, daß das in Rede stehende landesgesetzliche Briefwahlsystem darum (auch) das Verfassungsprinzip der "persönlichen" Wahl verletzt.

2.2.3. Aus diesen Erwägungen waren die bekämpften landesgesetzlichen Vorschriften gemäß Art 140 Abs 1 und 3 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben. Der Landeshauptmann von NÖ ist gemäß Art 140 Abs 5 B-VG zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aufhebung verpflichtet. Der VfGH geht dabei davon aus, daß diese Kundmachung noch vor dem nächsten in Betracht kommenden Wahltag stattzufinden hat.

Zur Setzung einer Frist für das Wirksamwerden dieser Gesetzesaufhebung iS des Art 140 Abs 5 B-VG sah sich der VfGH hier nicht veranlaßt, weil nach dem Ausscheiden der dem Stammgesetz (STWO) mit der Nov. LGBl. 0360-2 eingefügten Briefwahlregelung aus dem Rechtsbestand ein in sich geschlossenes Wahlsystem (lediglich unter Ausschluß der als verfassungswidrig erkannten Briefwahl) verbleibt; eine Ersatzregelung im eigentlichen Sinn kommt nicht in Betracht. Daß der Nö. Landtag über dieses System (s. § 55 STWO) hinausgreifende (Sonder-)Bestimmungen für bettlägerige Wahlberechtigte zu schaffen beabsichtigt, wie die Landesregierung im gegebenen Zusammenhang hervorhebt, vermag daran ebensowenig zu ändern wie der Umstand, daß ein Wahlverfahren im Gange ist, das durch die beschlossene Gesetzesaufhebung berührt wird.

Im Blick auf dieses Wahlverfahren wird es jedenfalls Aufgabe der zuständigen Behörden sein, alle Wahlberechtigten, denen Wahlkarten ausgestellt wurden, besonders darauf hinzuweisen, daß eine Teilnahme an der Wahl durch briefliche Stimmabgabe unzulässig ist. Des weiteren wird es diesen Behörden obliegen, jenen Wahlberechtigten, die schon Wahlbriefe einsandten, unter Wahrung des Wahlgeheimnisses eine gültige Stimmabgabe zu ermöglichen.

Die Entscheidung über das Nichtinkrafttreten früherer gesetzlicher Bestimmungen fußt auf Art 140 Abs 6 B-VG.