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VfGH vom 24.09.2015, G176/2015 ua

VfGH vom 24.09.2015, G176/2015 ua

Leitsatz

Aufhebung von Bestimmungen des Kärntner Flurverfassungs-Landesgesetzes 1979 betr das Beschwerderecht überstimmter Mitglieder einer Agrargemeinschaft gegen Beschlüsse der Vollversammlung wegen Verstoßes gegen die EMRK infolge des normierten Ausschlusses einer Beschwerdemöglichkeit auch im Fall von Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen sowie wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip

Spruch

I. § 93 Abs 2a und die Wortfolge "nach Maßgabe des Abs 2a" in § 93 Abs 2 litd des Kärntner Flurverfassungs-Landesgesetzes 1979 – K-FLG, LGBl Nr 64 idF LGBl Nr 60/2013, sowie die Wortfolge "und des ArtI Z 11 (§93 Abs 2a)" in ArtII Abs 2 des Gesetzes vom , mit dem das Flurverfassungs-Landesgesetz 1979 geändert wird, LGBl Nr 60, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

III. Der Landeshauptmann von Kärnten ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für Kärnten verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E1289/2014 eine auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Mit Bescheid des Amtes der Kärntner Landesregierung, Agrarbehörde Kärnten, Dienststelle Villach, vom , wurde unter Spruchpunkt I. der Plan über die Regulierung des Gemeinschaftsbesitzes Agrargemeinschaft Nachbarschaft Spittaler Auengemeinschaft EZ259, KG 73419 Spittal an der Drau, betreffend die Verwaltung der Agrargemeinschaft von Amts wegen abgeändert und § 8 Abs 1 erster Satz der Satzung durch nachstehende Bestimmung ersetzt:

"Haben sich für einen Beschluss der Vollversammlung weniger als 80 von Hundert der bei der Vollversammlung anwesenden Anteile ausgesprochen, so hat jeder Inhaber eines Anteiles, der gegen den Beschluss gestimmt hat, das Recht, binnen 8 Tagen eine Beschwerde an die Agrarbehörde zu richten."

Unter Spruchpunkt II. wurde einer allenfalls gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung [gemeint wohl: Beschwerde] die aufschiebende Wirkung aberkannt.

1.2. Mit Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab.

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die amtswegige Vorgangsweise, die von der Agrarbehörde auf Grund der Gesetzesnovellierung gewählt worden sei, in einer Zusammenschau von § 51 Abs 1 K-FLG mit der Übergangsbestimmung des ArtII LGBl 60/2013 nicht zu beanstanden sei. Zur behaupteten Verfassungswidrigkeit der dem Bescheid zugrunde liegenden Gesetzesbestimmung [gemeint wohl: § 93 Abs 2a K-FLG] sei auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2011/07/0139, zu verweisen, wo die gleichlautende Bestimmung des § 15 Abs 7 des Gesetzes vom betreffend land- und forstwirtschaftliche Bringungsrechte (Güter- und Seilwege-Landesgesetz – K-GSLG) als verfassungskonform erachtet worden sei. Im Hinblick auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums sei festzuhalten, dass die Agrargemeinschaftsmitglieder nicht (direkt) Eigentümer des agrargemeinschaftlichen Vermögens seien, sondern Eigentümer von Liegenschaften, an deren Eigentum Anteilsrechte an agrargemeinschaftlichen Grundstücken gebunden seien (sogenannte Stammsitzliegenschaften). Anteilsrechte seien dem öffentlichen Recht zuzuordnen, und es gelte der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz nur hinsichtlich der vermögenswerten Privatrechte. Zu den vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz, das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie das Recht auf ein faires Verfahren wird ausgeführt, dass § 93 Abs 2a K-FLG lediglich statuiere, dass zumindest in jenen Fällen, in denen sich für einen Beschluss der Vollversammlung weniger als 80 % der Anteile ausgesprochen hätten, ein Beschwerderecht an die Agrarbehörde bestehe, darüber hinaus auf Grund des rechtsstaatlichen Prinzips die Norm jedoch so zu interpretieren sei, dass auch in jenen Fällen, in denen sich 80 % oder mehr Anteile für einen Beschluss ausgesprochen hätten, ein Beschwerderecht durch die Verwaltungssatzungen der Agrargemeinschaft nicht ausgeschlossen werden dürfe. Hiefür spreche auch die Bestimmung des § 51 Abs 2 K-FLG, der eine Entscheidungskompetenz der Agrarbehörde bei Streitigkeiten innerhalb einer Agrargemeinschaft vorsehe. Gemäß § 51 Abs 3 leg.cit. könne die Agrarbehörde als Aufsichtsbehörde Beschlüsse der Vollversammlung unter bestimmten Umständen von Amts wegen beheben. Der Anregung eines Normenkontrollantrages an den Verfassungsgerichtshof sei daher nicht zu entsprechen gewesen, weil im vergleichbaren Fall des § 15 Abs 7 K GSLG auch der Verwaltungsgerichtshof einer diesbezüglichen Anregung nicht entsprochen habe und es überdies dem Beschwerdeführer unbenommen sei, selbst einen solchen Antrag zu stellen. Den Vorhalten, dass der Grundsatzgesetzgeber eine derartige Einschränkung nicht vorgesehen habe und der Landesgesetzgeber keine Kompetenz zur inhaltlichen Satzungsregelungsvorgabe hätte, werde der grundsatzfreie Raum entgegengehalten.

2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 93 Abs 2a und der Wortfolge "nach Maßgabe des Abs 2a" in § 93 Abs 2 litd K FLG, LGBl 64/1979 idF LGBl 60/2013, sowie ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "und des ArtI Z 11 (§93 Abs 2a)" in ArtII Abs 2 des Gesetzes LGBl 60/2013 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung der Gesetzesprüfungsverfahren bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"[…] Agrargemeinschaften nach dem K-FLG sind anscheinend, soweit sie tatsächlich als Körperschaften eingerichtet sind (§48 Abs 2 K-FLG), Körperschaften des öffentlichen Rechts (); der Mitgliederkreis der Agrargemeinschaft scheint von Gesetzes wegen zwingend festgelegt zu sein (§48 Abs 1 K-FLG); das Gesetz scheint auch eine Verpflichtung zur Mitgliedschaft zu normieren. Zwar dürften ihnen keine hoheitlichen Befugnisse zukommen, jedoch dürften die Bestimmungen des K-FLG indizieren, dass die Agrargemeinschaften nicht im privatautonomen Bereich handeln, sondern anscheinend im Verständnis des Art 120a Abs 1 B VG die ihnen durch Gesetz übertragenen öffentlichen Aufgaben wahrnehmen (vgl. VfSlg 12.279/1990, 13.975/1994, ebenso ; zur Rechtslage gemäß dem TFLG 1996 nach dem Inkrafttreten der Art 120a ff. B–VG vgl. VfSlg 19.320/2011). Sie dürften Selbstverwaltungskörper im Sinne der Art 120a ff. B VG sein.

Für inhaltlich nicht näher definierte Streitigkeiten 'zwischen den Mitgliedern einer Agrargemeinschaft untereinander oder mit dem gemeinsamen Verwalter oder zwischen einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft und ihren Organen oder Mitgliedern aus dem Gemeinschaftsverhältnis' sieht die allgemeine Regelung des § 51 Abs 2 K-FLG eine Entscheidungskompetenz der Agrarbehörde vor. Insbesondere aus § 93 Abs 2 litf leg.cit. scheint sich zu ergeben, dass in der Verwaltungssatzung einer Agrargemeinschaft (neben anderen Organen; § 93 Abs 2 lite und g K-FLG) jedenfalls die Einrichtung einer Vollversammlung vorgesehen sein muss. § 93 Abs 2a leg.cit. scheint zu regeln, unter welchen Voraussetzungen Mitglieder der Agrargemeinschaft eine Beschwerde gegen einen Beschluss der Vollversammlung einer Agrargemeinschaft erheben können.

Im Gesetzesprüfungsverfahren wird zu klären sein, in welchem Verhältnis § 93 Abs 2a K-FLG zu § 51 Abs 2 leg.cit. steht; nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes dürfte § 93 Abs 2a K-FLG als abschließende Regelung für die Anfechtung von Beschlüssen der Vollversammlung zu verstehen sein, sodass bei einem Beschluss der Vollversammlung die Erhebung einer Beschwerde nur dann in Frage kommen dürfte, wenn sich für diesen weniger als 80 % der bei der Vollversammlung anwesenden Anteile ausgesprochen haben. Gemäß ArtII LGBl 60/2013 scheinen bestehende Verwaltungssatzungen von Agrargemeinschaften innerhalb eines festgelegten Zeitraumes u.a. an die Bestimmung des § 93 Abs 2a K-FLG anzupassen zu sein.

[…] Zwar sieht das K-FLG an einigen Stellen ausdrücklich Aufgaben der Vollversammlung vor (zB § 49 Abs 7 und 8, § 95 Abs 1 K-FLG). Das K-FLG scheint aber nicht festzulegen, in welchen Angelegenheiten darüber hinausgehend der Vollversammlung einer Agrargemeinschaft eine Entscheidungskompetenz zukommen soll. Es lässt sich jedoch anscheinend aus diesem Absehen von einer näheren Regelung ableiten, dass der Vollversammlung auch umfassende Beschlussbefugnisse über zentrale Angelegenheiten der Agrargemeinschaft zugeordnet werden können. Dies scheint beispielsweise auch die Verteilung der Erträge bzw. Ertragsüberschüsse der Agrargemeinschaft an ihre Mitglieder bzw. die Vermögensverwaltung insgesamt (vgl. § 93 Abs 2 lith K-FLG) umfassen zu können. Das Gesetz scheint daher auch bei behaupteten Verletzungen in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte der Agrargemeinschaftsmitglieder, insbesondere in deren durch Art 5 StGG bzw. Art 1 1. ZPEMRK geschütztes Eigentumsrecht (vgl. VfSlg 19.150/2010), einzugreifen. Aus diesem möglichen Eingriff in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte ergibt sich gleichzeitig die Anwendbarkeit des durch Art 13 EMRK gewährleisteten Rechtes auf eine wirksame Beschwerde. Art 13 EMRK verlangt einen innerstaatlichen Rechtsbehelf, auf dessen Grundlage über den Inhalt einer auf die Konvention gestützten vertretbaren Beschwerde entschieden und adäquate Abhilfe erlangt werden kann; dem Einzelnen muss ein subjektives Beschwerderecht eingeräumt werden ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 , 2012, § 24 Rz 179 mwN).

[…] Das K-FLG scheint nun keinen derartigen Rechtsbehelf iSd Art 13 EMRK für die in der Vollversammlung überstimmten Mitglieder einer Agrargemeinschaft vorzusehen, soweit sich für den Beschluss mindestens 80 % der bei der Vollversammlung anwesenden Anteile ausgesprochen haben. In einem derartigen Fall scheint es zwar den überstimmten Mitgliedern der Agrargemeinschaft möglich zu sein, eine Aufhebung von als rechtswidrig erachteten Beschlüssen der Vollversammlung bei der Agrarbehörde als Aufsichtsbehörde anzuregen, jedoch scheint derartigen Anregungen kein Erledigungsanspruch zu korrespondieren. Vielmehr dürfte es kein subjektiv-öffentliches Recht auf Wahrnehmung der behördlichen Aufsichtsbefugnis geben; ein Recht auf Wahrung der Mitgliedschaftsrechte könnte in einem Streit mit der Agrargemeinschaft lediglich im Beschwerdewege verfolgt werden (). Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die bloße Möglichkeit, eine Aufsichtsbehörde zum Tätigwerden anzuregen, keine wirksame Beschwerdemöglichkeit iSd Art 13 EMRK ist (EGMR [GK], Fall Sürmeli , Appl. 75.529/01 [Z109 mwN]; zur Rechtslage nach dem K-FLG vor der Einfügung des § 93 Abs 2a vgl. auch VwSlg. 17.617 A/2009, wonach der Rechtsschutz der überstimmten Minderheit durch die Möglichkeit der Einbringung von Einwendungen bzw. Beschwerden gegen Vollversammlungsbeschlüsse gewährleistet sei). Für die Erhebung einer wirksamen Beschwerde scheint es auch irrelevant zu sein, ob die behauptete Verletzung durch einen qualifizierten Mehrheitsbeschluss zustande gekommen ist, weil nach vorläufiger Annahme die Individualgrundrechte der EMRK in Verbindung mit der Garantie des Art 13 EMRK jedem einzelnen Verletzten ein Beschwerderecht gewährleisten.

Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass auf Grund des in § 93 Abs 2a K-FLG normierten Ausschlusses der Beschwerdemöglichkeit für überstimmte Mitglieder einer Agrargemeinschaft, wenn sich für einen Beschluss der Vollversammlung 80 % oder mehr der bei der Vollversammlung anwesenden Anteile ausgesprochen haben, den in der Minderheit gebliebenen Mitgliedern keine wirksame Beschwerdemöglichkeit iSd Art 13 EMRK bei behaupteten Verletzungen der in der EMRK festgelegten Rechte und Freiheiten offen steht.

[…] Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen scheinen auch Art 6 EMRK zu widersprechen.

[…] Es scheinen bei den innerhalb einer Agrargemeinschaft entstehenden Streitigkeiten, insbesondere über Eigentumspositionen, zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen iSd Art 6 Abs 1 EMRK betroffen zu sein (EGMR , Fall Beaumartin , Appl. 15.287/89 [Z28]). Im Anwendungsbereich des Art 6 Abs 1 EMRK scheint ein subjektives Recht auf Entscheidung durch ein unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht zu bestehen; dieses soll nicht nur theoretisch und illusorisch, sondern effektiv gewährleistet sein. Nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes scheint das K-FLG für jene Mitglieder einer Agrargemeinschaft, in deren zivilrechtliche Positionen durch einen qualifizierten Beschluss der Vollversammlung eingegriffen zu werden scheint, keinen effektiven Zugang zu einem derartigen Gericht zu gewährleisten.

[…] Das Recht auf Zugang zu einem Gericht iSd Art 6 Abs 1 EMRK ist nun nicht absolut gewährleistet, sondern kann auch Beschränkungen unterworfen werden (vgl. die umfassende Rechtsprechung seit EGMR , Fall Golder , Appl. 4451/70). Die Beschränkung muss jedoch einem legitimen Ziel dienen sowie verhältnismäßig zum verfolgten Ziel sein ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 , 2012, § 24 Rz 50 f. mwN).

[…] Nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes dürfte im vorliegenden Fall die Beschränkung des Zuganges zu einem Gericht in unsachlicher Weise geregelt sein:

Art6 EMRK dürfte nun nicht erfordern, dass bei einer körperschaftlich eingerichteten Gemeinschaft den einzelnen Mitgliedern eine Beschwerdemöglichkeit ausnahmslos gegen alle Beschlüsse der Vollversammlung eingeräumt wird. § 93 Abs 2a K-FLG scheint jedoch zu bewirken, dass die Möglichkeit – auch in einer zivilrechtlichen Streitigkeit innerhalb einer Agrargemeinschaft (in weiterer Folge nach Erlassung eines Bescheides durch die Agrarbehörde) – ein Verwaltungsgericht anzurufen, alleine vom Stimmverhältnis bei der Beschlussfassung durch die Vollversammlung der Agrargemeinschaft abhängt. Im vorliegenden Fall scheinen auch Fälle vom Ausschluss des Rechtsweges erfasst zu sein, in denen etwa die formale Richtigkeit eines Beschlusses oder die Verletzung von Rechten eines Mitgliedes in Frage stehen (vgl. VfSlg 12.279/1990). Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen scheinen daher auch Art 6 Abs 1 EMRK zu widersprechen.

[…] Zudem dürften die in Prüfung gezogenen Bestimmungen gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen: Wie oben […] ausgeführt, dürfte es sich bei Agrargemeinschaften um Einrichtungen des öffentlichen Rechts handeln, die vom Gesetz mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betraut sind. Der undifferenzierte Ausschluss der Beschwerdelegimitation, der mit § 93 Abs 2a K-FLG verbunden ist und der alleine vom Stimmverhältnis bei der Beschlussfassung durch die Vollversammlung der Agrargemeinschaft abhängen dürfte, scheint mit dem – auch ein effektives System von Rechtsschutzmöglichkeiten bedingenden – Rechtsstaatsprinzip nicht im Einklang zu stehen.

[…] In von Amts wegen eingeleiteten Normenprüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg 7376/1974, 9374/1982, 11.506/1987, 15.599/1999, 16.195/2001).

Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen eine untrennbare Einheit bilden."

4. Die Kärntner Landesregierung hat mitgeteilt, von einer Äußerung abzusehen.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des K-FLG, LGBl 64/1979 idF LGBl 85/2013, lauten (die in Prüfung gezogenen Passagen sind hervorgehoben):

"§48

Agrargemeinschaften

(1) Die Gesamtheit sowohl der jeweiligen Eigentümer jener Liegenschaften, an deren Eigentum Anteilsrechte an agrargemeinschaftlichen Grundstücken gebunden sind (Stammsitzliegenschaften), als auch jener Personen, denen persönliche (walzende) Anteilsrechte zustehen, bildet eine Agrargemeinschaft.

(2) Körperschaftlich eingerichtete Agrargemeinschaften sind rechtsfähig.

[…]

§51

Überwachung der Agrargemeinschaften;

Entscheidung von Streitigkeiten

(1) Die Agrarbehörde hat die Agrargemeinschaften, gleichgültig ob eine Regelung der gemeinschaftlichen Nutzungs- und Verwaltungsrechte stattgefunden hat oder nicht, insbesondere bezüglich der Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen, der Einhaltung eines allfälligen endgültigen oder vorläufigen Regelungsplanes, bezüglich der Bewirtschaftung der gemeinschaftlichen Grundstücke und bezüglich der Verwaltung sowie allenfalls der Ausführung und Erhaltung der gemeinsamen wirtschaftlichen Anlagen zu überwachen. Zu diesem Zweck hat die Agrarbehörde in angemessenen Zeiträumen, tunlichst aber alle zehn Jahre, die vorhandenen Wirtschaftspläne (Wirtschaftseinteilungen) und Verwaltungssatzungen zu überprüfen. Gegenstand der Überprüfung haben insbesondere jene Umstände zu sein, die gemäß § 95 Abs 1 als Voraussetzungen für eine Erneue-rung oder Abänderung des Wirtschaftsplanes oder eine Abänderung der Verwaltungssatzungen angeführt sind. Aufgrund der Überprüfung sind nötigenfalls die im § 95 angeführten Maßnahmen durchzuführen oder es ist bei Mangel eines Wirtschaftsplanes (einer Wirtschaftseinteilung) bzw. von Verwaltungssatzungen mit einer vorläufigen Regelung nach § 96 vorzugehen. Wenn eine Agrargemeinschaft die Einsetzung von Verwaltungsorganen nach § 93 Abs 2 oder eines gemeinsamen Verwalters nach § 93 Abs 3 unterlässt, so sind diese von der Agrarbehörde einzusetzen. Bei Übertretungen ist die Strafamtshandlung (§117) durchzuführen.

(2) Über Streitigkeiten, die zwischen den Mitgliedern einer Agrargemeinschaft untereinander oder mit dem gemeinsamen Verwalter oder zwischen einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft und ihren Organen oder Mitgliedern aus dem Gemeinschaftsverhältnis entstehen, entscheidet die Agrarbehörde.

(3) Beschlüsse der Vollversammlung, die gegen Gesetze, den Regulierungsplan, den Wirtschaftsplan, die Verwaltungssatzungen oder den vorläufigen Bescheid verstoßen und wesentliche Interessen der Agrargemeinschaft oder ihrer Mitglieder verletzen, dürfen von der Agrarbehörde von Amts wegen aufgehoben werden. Im Verfahren kommt der Agrargemeinschaft Parteistellung zu.

[…]

§93

Verwaltungssatzungen für Agrargemeinschaften

(1) Ist eine aus mindestens fünf Mitgliedern bestehende Agrargemeinschaft nicht körperschaftlich eingerichtet, so ist ihr eine körperschaftliche Verfassung durch behördliche Aufstellung oder Genehmigung von Verwaltungssatzungen entweder entgültig im Rahmen des Regelungsplanes (§88) oder vorläufig durch Bescheid (§96) zu geben.

(2) Die Verwaltungssatzungen von Agrargemeinschaften haben insbesondere Bestimmungen zu enthalten über:

a) den Namen, Sitz und Zweck der Gemeinschaft;

b) die Rechte der Mitglieder, insbesondere ihr Stimmrecht;

c) die Pflichten der Mitglieder bezüglich ihrer Beitragsleistungen zur Deckung der Ausgaben und die Art der Verteilung und der Einhebung der Beiträge;

d) das Recht einer Minderheit, gegen Mehrheitsbeschlüsse nach Maßgabe des Abs 2a eine Beschwerde an die Agrarbehörde zu erheben;

e) die Organe, ihre Wahl, ihren Aufgabenbereich und ihre Funktionsperiode sowie Bestimmungen über die vorzeitige Abberufung von Organen, die ihre Aufgaben nicht erfüllen;

f) soweit nicht bereits von lite erfasst, den Wirkungskreis der Vollversammlung, die Art ihrer Einberufung, ihre Beschlussfähigkeit, das Zustandekommen gültiger Beschlüsse (Anwesenheits- und Zustimmungserfordernisse) und den Vollzug der Beschlüsse;

g) soweit nicht bereits von lite erfasst, die Wahl, die Rechte und die Pflichten der zur Vertretung der Gemeinschaft und zum Vollzug der Beschlüsse Berufenen, insbesondere des Vorstandes;

h) die Vermögensverwaltung und die Aufnahme von Darlehen.

Die Verwaltungssatzungen haben ferner einen Hinweis auf die Bestimmungen des § 51 Abs 2 und des § 117 Abs 1 litg und lith zu enthalten.

(2a) Haben sich für einen Beschluss der Vollversammlung weniger als 80 vH der bei der Vollversammlung anwesenden Anteile ausgesprochen, so hat jeder Inhaber eines Anteiles, der gegen den Beschluss gestimmt hat, das Recht, binnen acht Tagen eine Beschwerde an die Agrarbehörde zu richten.

(3) Den Agrargemeinschaften, die aus weniger als fünf Mitgliedern bestehen, ist in der Regel eine körperschaftliche Verfassung nicht zu geben. Doch hat die Agrarbehörde gebotenenfalls in der Haupturkunde oder in dem die vorläufige Regelung der Nutzungs- und Verwaltungsrechte enthaltenden Bescheid Anordnungen über die Bestellung und den Wirkungskreis eines gemeinsamen Verwalters zu treffen.

(4) Bei Agrargemeinschaften, die nicht körperschaftlich eingerichtet sind, entscheidet, wenn keine abweichende Vereinbarung getroffen worden ist, in den Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung sowie über die Bestellung und Enthebung eines Verwalters die Mehrheit der Stimmen, die nach dem Verhältnis der Anteile der Mitglieder zu zählen sind. Wichtige Veränderungen, die zur Erhaltung oder besseren Nutzung der gemeinschaftlichen Grundstücke vorgenommen werden, bedürfen einer nach Anteilen zu berechnenden Zweidrittelmehrheit der Mitglieder oder eines Bescheides der Agrarbehörde (§51 Abs 2)."

2. ArtII Abs 2 des Gesetzes vom , mit dem das Flurverfassungs-Landesgesetz 1979 geändert wird, LGBl 60, lautet (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Artikel II

[…]

(2) Bestehende Verwaltungssatzungen von Agrargemeinschaften sind bis spätestens drei Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes (Abs1) an die Bestimmungen des ArtI Z 10 (§93 Abs 2) und des ArtI Z 11 (§93 Abs 2a) anzupassen."

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Gesetzesprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich als zutreffend erwiesen:

2.1. Die Bestimmungen des K-FLG räumen an verschiedenen Stellen im Zusammenhang mit agrargemeinschaftlichen Grundstücken ausdrücklich eine Parteistellung ein und eröffnen damit einen Rechtsweg zu den staatlichen Behörden (vgl. die Verweise in § 100 leg.cit.).

2.2. In § 51 K-FLG werden der Agrarbehörde Zuständigkeiten bei der Überwachung der Agrargemeinschaften und der Entscheidung von Streitigkeiten zugewiesen: So hat die Agrarbehörde gemäß Abs 1 erster Satz leg.cit. die Agrargemeinschaften insbesondere bezüglich der Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen, der Einhaltung eines allfälligen endgültigen oder vorläufigen Regelungsplanes, bezüglich der Bewirtschaftung der gemeinschaftlichen Grundstücke und bezüglich der Verwaltung sowie allenfalls der Ausführung und Erhaltung der gemeinsamen wirtschaftlichen Anlagen zu überwachen. Gemäß § 51 Abs 2 leg.cit. entscheidet die Agrarbehörde über Streitigkeiten, die zwischen den Mitgliedern einer Agrargemeinschaft untereinander oder mit dem gemeinsamen Verwalter oder zwischen einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft und ihren Organen oder Mitgliedern aus dem Gemeinschaftsverhältnis entstehen. Beschlüsse der Vollversammlung, die gegen Gesetze, den Regulierungsplan, den Wirtschaftsplan, die Verwaltungssatzungen oder den vorläufigen Bescheid verstoßen und wesentliche Interessen der Agrargemeinschaft oder ihrer Mitglieder verletzen, dürfen von der Agrarbehörde gemäß § 51 Abs 3 leg.cit. von Amts wegen aufgehoben werden. In diesem Verfahren kommt der Agrargemeinschaft Parteistellung zu. Ein Agrargemeinschaftsmitglied hat keinen Rechtsanspruch auf die Ausübung des Aufsichtsrechtes und auf die Erlassung aufsichtsbehördlicher Maßnahmen (vgl. ), sondern lediglich ein Recht auf Wahrung seiner Mitgliedschaftsrechte, das es in einem Streit mit der Agrargemeinschaft auf dem Weg der Minderheitsbeschwerde verfolgen kann (vgl. , und , 99/07/0054, jeweils zur Rechtslage vor der Novelle LGBl 60/2013).

2.3. § 93 K-FLG enthält Bestimmungen über die Verwaltungssatzungen für Agrargemeinschaften: Verwaltungssatzungen von Agrargemeinschaften haben (u.a.) gemäß § 93 Abs 2 litd leg.cit. Bestimmungen über das Recht einer Minderheit zu enthalten, gegen Mehrheitsbeschlüsse nach Maßgabe des § 93 Abs 2a leg.cit. eine Beschwerde an die Agrarbehörde zu erheben. Diese Regelung in den Verwaltungssatzungen bildet die Grundlage für die Erhebung einer Beschwerde gegen Beschlüsse der Vollversammlung. Bestehende Verwaltungssatzungen von Agrargemeinschaften sind gemäß ArtII Abs 2 LGBl 60/2013 innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten der besagten Novelle u.a. an die Bestimmung des § 93 Abs 2a K-FLG anzupassen.

2.4. Nach § 93 Abs 2a K-FLG hat jeder Inhaber eines Anteiles, der gegen einen Beschluss der Vollversammlung gestimmt hat, – im Gegensatz zur Rechtslage vor der Novelle LGBl 60/2013 und zur Bekämpfung von Beschlüssen anderer Agrargemeinschaftsorgane – das Recht, binnen acht Tagen eine Beschwerde an die Agrarbehörde zu richten, wenn sich für diesen Beschluss weniger als 80 % der bei der Vollversammlung anwesenden Anteile ausgesprochen haben. Ausweislich der Gesetzesmaterialien wurde diese Bestimmung mit der genannten Novelle auf Wunsch der Agrarbehörde erster Instanz beim Amt der Kärntner Landesregierung aufgenommen, weil sich diese

"insbesondere aufgrund der Möglichkeit der Erhebung kostenfreier Minderheitsbeschwerden[…] immer häufiger mit dem Problem konfrontiert [sehe], dass überstimmte Mitglieder einer Agrargemeinschaft von dem Rechtsmittel Gebrauch machen, was dazu führe, dass einzelne Mitglieder aufgrund nicht haltbarer Beschwerden an die Agrarbehörde einzelne Agrargemeinschaften in die Handlungsunfähigkeit führen würden."

2.5. Aus der Bundesverfassung ist grundsätzlich kein Recht ableitbar, dass im Falle gemeinschaftlicher Nutzungs- und Verwaltungsrechte einem bei einer Abstimmung unterlegenen Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft ein Rechtsweg gegen jeden Mehrheitsbeschluss offen stehen muss. Vielmehr hat der Gesetzgeber hier eine Gestaltungsfreiheit, wobei er bei der Ausgestaltung des Rechtsweges (u.a.) auf die Einhaltung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte zu achten hat.

2.6. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, dass der Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und auf Gesetz beruhenden Gericht entgegen Art 6 EMRK auch dann verwehrt sein kann, wenn es sich bei den innerhalb einer Agrargemeinschaft entstehenden Streitigkeiten um zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen iSd Art 6 Abs 1 EMRK handelt, haben sich daher als zutreffend erwiesen. Die mögliche Anregung der Aufhebung von als rechtswidrig erachteten Beschlüssen der Vollversammlung bei der Agrarbehörde als Aufsichtsbehörde ändert daran nichts, weil derartigen Anregungen kein Erledigungsanspruch korrespondiert und kein subjektiv-öffentliches Recht auf Wahrnehmung der behördlichen Aufsichtsbefugnis besteht (vgl. ).

2.7. Im vorliegenden Fall hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 93 Abs 2a K-FLG, die zur Konsequenz hat, dass für die Einräumung des Beschwerderechtes allein das Stimmverhältnis bei der Beschlussfassung durch die Vollversammlung der Agrargemeinschaft ausschlaggebend ist, womit ein Ausschluss der Beschwerdelegitimation schlechthin auch in jedem Fall von Streitigkeiten, die civil rights betreffen, verbunden sein kann, den ihm eröffneten Spielraum überschritten. Zudem verstößt es gegen das Rechtsstaatsprinzip, die Überprüfbarkeit auch jeglicher formalen Richtigkeit eines Beschlusses auszuschließen.

IV. Ergebnis

1. § 93 Abs 2a und die Wortfolge "nach Maßgabe des Abs 2a" in § 93 Abs 2 litd K-FLG, LGBl 64/1979 idF LGBl 60/2013, sowie die Wortfolge "und des ArtI Z 11 (§93 Abs 2a)" in ArtII Abs 2 des Gesetzes LGBl 60/2013 sind daher – als untrennbare Einheit – wegen Verstoßes gegen Art 6 EMRK und das Rechtsstaatsprinzip als verfassungswidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken.

2. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B VG.

3. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Kärnten zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 2 Abs 1 Z 7 K-KMG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:G176.2015