VfGH vom 02.12.1992, g17/92

VfGH vom 02.12.1992, g17/92

Sammlungsnummer

13274

Leitsatz

Verfassungsmäßigkeit einer die falsche Zeugenaussage vor einem Untersuchungsausschuß des Landtages regelnden und auf die Bestimmungen des StGB bezüglich der falschen Zeugenaussage verweisenden Vorschrift der Salzburger Landesverfassung; keine dynamische Verweisung

Spruch

Der Antrag wird, soweit er die Sätze eins bis vier des Art 28 Abs 4 Salzburger Landes-Verfassungsgesetz 1945, LGBl. Nr. 1/1947 idF LGBl. Nr. 66/1989, anficht, zurückgewiesen.

Im übrigen wird dem Antrag nicht Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Beim Landesgericht Salzburg laufen gegen W M gerichtliche Vorerhebungen wegen des Verdachts des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach dem § 288 Abs 1 StGB iVm Art 28 Abs 4 Salzburger Landes-Verfassungsgesetz 1945 (Sbg. L-VG), LGBl. 1/1947 idF LGBl. 66/1989, begangen laut Anklagebehörde am in Salzburg als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuß des Salzburger Landtags.

1.1.2. Mit einem am beim Landesgericht Salzburg eingelangten Schriftsatz erhob W M gegen Verfügungen des Untersuchungsrichters das Rechtsmittel der Beschwerde an die Ratskammer des Landesgerichts Salzburg (§113 StPO).

1.2.1. Dieses Gericht stellte aus Anlaß dieser Beschwerde gemäß Art 89 Abs 2 (iVm Art 140 Abs 1) B-VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge den Art 28 Abs 4 Sbg. L-VG, "jedenfalls" aber dessen letzten Satz, als verfassungswidrig aufheben.

1.2.2. Art 28 Abs 4 Sbg. L-VG - in der hier maßgebenden Fassung der Novelle LGBl. 66/1989 - lautet:

"(4) Zur Untersuchung bestimmter Gegenstände des selbständigen Wirkungsbereiches des Landes kann der Landtag durch Beschluß fallweise Untersuchungsausschüsse einsetzen. Ein Untersuchungsausschuß ist berechtigt, von den Gerichten und allen anderen Behörden Amtshilfe in Anspruch zu nehmen. Die öffentlichen Ämter der Landesverwaltung haben auf Verlangen ihre Akten vorzulegen. Für Beweisaufnahmen durch den Untersuchungsausschuß sind die Bestimmungen der Strafprozeßordnung über das Beweisverfahren in der Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz sinngemäß mit der Maßgabe anzuwenden, daß die Beeidung von Zeugen und Sachverständigen sowie die Verlesung von Protokollen, Gutachten und anderen Schriftstücken auf Grund eines Beschlusses des Untersuchungsausschusses erfolgen und auf Beschluß des Untersuchungsausschusses Medienvertretern bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen nach Maßgabe der räumlichen Möglichkeiten Zutritt gewährt werden kann. Falsche Beweisaussagen vor dem Untersuchungsausschuß sind nach den strafrechtlichen Bestimmungen über falsche Beweisaussagen vor Gericht zu ahnden."

2. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

2.1.1. Die Ratskammer des Landesgerichts Salzburg ist ein zur Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags befugtes Rechtsmittelgericht iSd Art 140 Abs 1 erster Satz B-VG (VfSlg. 9276/1981, 10177/1984, ).

2.1.2. Soweit die Ratskammer die Sätze eins bis vier des Art 28 Abs 4 Sbg. L-VG - die mit dem letzten Satz dieser Bestimmung nicht untrennbar zusammenhängen - als verfassungswidrig anficht, ist ihr Antrag schon deshalb zurückzuweisen, weil es an der in § 62 Abs 1 Satz 2 VerfGG 1953 geforderten Darlegung der gegen die Verfassungsmäßigkeit der zitierten Gesetzesstellen sprechenden Bedenken im einzelnen fehlt und dieser Mangel nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg. 7593/1975, 8485/1979, 8612/1979, 11507/1987) kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozeßhindernis bildet.

2.1.3. Im übrigen nimmt die Ratskammer des Landesgerichts Salzburg den Standpunkt ein, sie habe bei Erledigung der (unter Punkt 1.1.2. bezeichneten) Beschwerde gemäß § 113 StPO primär die Frage zu untersuchen, ob überhaupt der Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung (Tatbestand nach Art 28 Abs 4 letzter Satz Sbg. L-VG) bestehe, und damit diese Stelle des L-VG selbst anzuwenden.

Dieser Auffassung kann nicht entgegengetreten werden; Art 28 Abs 4 letzter Satz Sbg. L-VG erweist sich daher als Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichts im Anlaßfall.

Da insoweit auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag der Ratskammer auf Aufhebung des letzten Satzes des Art 28 Abs 4 Sbg. L-VG zulässig.

2.2. Zur Sache:

2.2.1. Das antragstellende Rechtsmittelgericht führte zur Begründung der Verfassungswidrigkeit des Art 28 Abs 4 letzter Satz Sbg. L-VG wörtlich aus:

"Inhaltlich ist die Strafbestimmung des Art 28 Abs 4 des Sbg. L-VG idgF (- 'Falsche Beweisaussagen vor dem Untersuchungsausschuß sind nach den strafrechtlichen Bestimmungen über falsche Beweisaussagen zu ahnden' -) als eine Verweisungsnorm gestaltet, welche die Absicht des Landes-Verfassungsgesetzgebers erkennen läßt, auf strafrechtliche Normen in ihrer jeweiligen Fassung, die vom Bundesgesetzgeber erlassen wurden, zu verweisen. Eine solche Verweisung des Landesgesetzgebers auf bundesgesetzliche Vorschriften würde jedoch eine unzulässige 'dynamische Verweisung' darstellen. Aber selbst dann, wenn man dieser Argumentation nicht folgt und die Verweisung in Art 28 Abs 4 Sbg. L-VG als 'statische Verweisung' auf die Strafrechtsnormen des Bundes im Zeitpunkt des Inkrafttretens der erwähnten Landesverfassungsbestimmung deuten wollte, ist diese Bestimmung kaum geeignet, den in der verfassungsgerichtlichen Judikatur aufgestellten Grundsätzen für statische Verweisungen zu genügen. So muß eine statische Verweisung zum einen auf Rechtsquellen verweisen, deren ausreichende Publizität gegeben sein muß - dies wird im vorliegenden Fall nicht zu bezweifeln sein -, es muß aber zum anderen der Umfang der verwiesenen Normen auch klar und eindeutig angegeben sein (vgl. VfSlg. 2750/1956 und Koja, ÖJZ 1979, 29 ff). Diesem Erfordernis genügt Art 28 Abs 4 Sbg. L-VG nicht. So bleibt jedenfalls unklar, ob neben der Strafbestimmung des § 288 StGB etwa auch die Bestimmungen über den Aussagenotstand (§290 StGB), die tätige Reue (§291 StGB) und die Bestimmung des § 292 StGB vom Landesgesetzgeber rezipiert wurden. Dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot im Strafrecht scheint damit nicht Genüge getan, da der Gesetzgeber die Elemente eines strafbaren Tatbestandes genau umschreiben muß und es nicht der individuellen Vollziehung überlassen darf, eine Strafnorm ergänzend auszulegen (so auch schon VfSlg. 8903/1980). Offen bleibt auch, ob die vorliegende Verweisbestimmung etwa auch auf die Rezeption der allgemeinen Bestimmungen des StGB abzielt und auch die Bestimmungen der StPO betrifft."

2.2.2. Die zur Äußerung eingeladene Salzburger Landesregierung hielt dem in ihrer (teils die Zurück-, teils die Abweisung der Anfechtung beantragenden) Stellungnahme folgendes entgegen:

"Zunächst zwingt nichts zu der Annahme, im Gegenstand liege eine dynamische Verweisung vor. Der Landesgesetzgeber ordnet keine Übernahme des § 288 StGB 'in der jeweils geltenden Fassung' an. Solange aber ein eindeutiger gesetzgeberischer Wille in eine andere Richtung nicht zum Ausdruck kommt, ist in diesem Verhältnis (Landesgesetz - Bundesgesetz) allgemein und ohne daß es spezieller Zitierungen bedarf, davon auszugehen, daß die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der verweisenden Rechtsvorschrift geltende Fassung der verwiesenen Rechtsvorschrift für den eigenen Geltungsbereich übernommen wird. In einem solchen Fall verhält das Gebot einer verfassungskonformen Interpretation zur Annahme einer statischen Verweisung, andernfalls eine verfassungswidrige Delegation der Gesetzgebungsbefugnis auf eine andere Gesetzgebungsautorität vom vollziehenden Organ, hier Gericht, angenommen werden würde. ... Die Verweisung ist allgemein gefaßt. Sie zitiert nicht § 288 StGB, um den Schluß eben nicht nahezulegen, daß die nachfolgenden, für die Strafbarkeit einer Falschaussage vor Gericht, einem Untersuchungsausschuß des Nationalrates oder vor einer Disziplinarbehörde maßgeblichen Bestimmungen für den Fall einer Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuß des Salzburger Landtages keine Anwendung finden. Wille des Landesgesetzgebers war eine parallele Regelung zur Strafbarkeit einer Falschaussage vor Untersuchungsausschüssen des Nationalrates. Und diese hängt auch von den nachfolgenden Bestimmungen über Aussagenotstand und tätige Reue ab. Daher die weite Formulierung der Verweisung, die die Strafbarkeit mit den Worten 'nach den strafrechtlichen Bestimmungen über falsche Beweisaussagen vor Gericht zu ahnden' (in) Anknüpfung an die gerichtliche Strafbarkeit und damit die Einbeziehung aller dafür maßgeblichen Bestimmungen klar zum Ausdruck bringt. Welchen sachlichen Grund könnte der Landesgesetzgeber für eine abweichende Regelung geltend machen, und zwar in bezug sowohl auf die §§290 und 291 StGB als auch die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches? Kein landesrechtlich geschaffener gerichtlich zu ahndender Straftatbestand enthält eine Aussage über die Anwendbarkeit der Bestimmungen des allgemeinen Strafrechtes des StGB! Ohne einen solchen Grund ist es aber für den Landesgesetzgeber nicht möglich, bei Schaffung eines gleichen gerichtlichen Straftatbestandes vom Strafgesetzbuch abweichende Regelungen zu treffen. Auch eine verfassungskonforme Interpretation läßt keinen Zweifel am Umfang der Verweisung offen. Auf Grund dessen kommt es in Wahrheit zu keiner ergänzenden Interpretation einer Strafnorm. Abgesehen davon, scheint durch das Erkenntnis VfSlg. 8904/1980 nur eine ergänzende Interpretation zum Nachteil des Beschuldigten ausgeschlossen. Die Bestimmungen der §§290 und 291 StGB sind aber solche im Interesse des Beschuldigten. Auch im Erkenntnis Slg. 9401/1982 hat der Verfassungsgerichtshof die gesetzliche Bestimmung nicht aufgehoben, sondern 'nur' gegen eine ausdehnende Interpretation Stellung bezogen. Schließlich ist die Frage nach der Anwendbarkeit auch des § 292 StGB gar nicht zu stellen: Nicht etwa wegen der Interpretationsgrundsätze, die in dem eben zitierten Verfassungsgerichtshoferkenntnis dargelegt sind. Auch nicht, weil diese Bestimmung auch auf die Herbeiführung einer unrichtigen Beweisaussage vor einem Untersuchungsausschuß des Nationalrates keine Anwendung findet. Schon im Abs 1 wird klar bestimmt, daß jemand verleitet wird, gutgläubig eine unrichtige Beweisaussage vor Gericht abzulegen. § 288 Abs 3 erweitert aber nur den Anwendungsbereich der Abs 1 und 2 auf Falschaussagen vor Untersuchungsausschüssen des Nationalrates oder einer Disziplinarbehörde, und § 292 Abs 2 normiert nur die Strafbarkeit der Verleitung einer anderen Person zur gutgläubigen Falschaussage vor einer Verwaltungsbehörde. Der letzte Satz des Art 28 Abs 4 L-VG enthält (mittels Verweisung) einen gerichtlichen Straftatbestand für 'Falsche Beweisaussagen vor einem Untersuchungsausschuß' (des Salzburger Landtages). Davon ist schon vom Tatbild her die Verleitung einer anderen Person zur gutgläubigen unrichtigen Beweisaussage (vor Gericht) durch einen Dritten zu unterstützen (gemeint wohl: unterscheiden). Dies stellt einen ganz anderen Tatbestand dar, der vom Tatbestand des Art 28 Abs 4 letzter Satz L-VG gar nicht erfaßt sein kann. Das auch im gerichtlichen Strafrecht geltende Analogieverbot würde zum selben Ergebnis führen. Unerklärlich ist schließlich die Fragestellung nach der Rezipierung der Bestimmungen der StPO. Für die Landesregierung ist es selbstverständlich, daß für das Verfahren vor dem Strafgericht die StPO gilt, und zwar kraft Gesetzesbeschluß des Nationalrates und nicht kraft einer Verweisung durch den Landesgesetzgeber. Die Verweisung auf Bestimmungen der StPO im dritten Satz des Art 28 Abs 4 L-VG betrifft nicht das gerichtliche Strafverfahren, sondern die Beweisaufnahme durch den Untersuchungsausschuß des Salzburger Landtages."

2.2.3. Die von der Ratskammer gewählte Auslegung, Art 28 Abs 4 letzter Satz Sbg. L-VG lasse die Absicht des Landes-Verfassungsgesetzgebers erkennen, auf bundesgesetzliche Strafrechtsnormen in ihrer jeweils geltenden Fassung - und somit in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise dynamisch - zu verweisen, vermag vom Wortlaut dieser Vorschrift her nicht zu überzeugen (: "... sind nach den strafrechtlichen Bestimmungen über falsche Beweisaussagen vor Gericht zu ahnden"). Denn anders als etwa in den Fällen der Vorerkenntnisse VfSlg. 6290/1970, 7085/1973 und 7241/1973 erklärt das (Landes-Verfassungs-)Gesetz hier nicht (bundesgesetzliche) Vorschriften "in ihrer jeweils geltenden Fassung" zum eigenen Gesetzesinhalt; es spricht vielmehr gegenwartsbezogen von "den strafrechtlichen Bestimmungen über falsche Beweisaussagen vor Gericht". Diese abweichende Wortwahl bringt deutlich zum Ausdruck, daß das Landes-Verfassungsgesetz (Novelle LGBl. 66/1989), verfassungskonform interpretiert, die Festlegung des Norminhalts für die Zukunft keineswegs einer anderen Rechtssetzungsautorität, nämlich dem Bundesgesetzgeber, überläßt, sondern - in Gestalt einer verfassungsgesetzlich zulässigen statischen Verweisung - bloß auf einen damals bereits feststehenden (und leicht feststellbaren) Norminhalt Bezug nimmt.

Der Rechtsmeinung der anfechtenden Ratskammer zuwider verstößt die so verstandene Bestimmung auch nicht gegen Art 18 Abs 1 B-VG:

Der Landes-Verfassungsgesetzgeber rezipiert mit den Worten "strafrechtliche Bestimmungen über falsche Beweisaussagen vor Gericht" materielles Strafrecht, und zwar durchaus mit der gebotenen Bestimmtheit nicht nur den Tatbestand der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 StGB mit den entsprechenden Normen des Allgemeinen Teils des StGB; er übernimmt unmißverständlich auch die diese Gesetzesstelle ausdrücklich nennenden und gesetzessystematisch ergänzenden Vorschriften des § 290 StGB (über Aussagenotstand) und des § 291 StGB (über tätige Reue), die mit der Norm des § 288 StGB notwendig verbunden sind. Die bekämpfte Verweisung, die nur von "falschen Beweisaussagen vor dem Untersuchungsausschuß" handelt, erfaßt hingegen ganz offensichtlich nicht den eigenen Straftatbestand der Herbeiführung einer unrichtigen Beweisaussage nach § 292 StGB (s. Pallin, in:

Foregger-Nowakowski (Hrsg.), Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch,

5. Lieferung, 1980, Rz 1 zu § 292 StGB).

2.3. Somit war der Antrag - da die gegen den letzten Satz des Art 28 Abs 4 Sbg. L-VG geltend gemachten, die Grenzen der verfassungsgerichtlichen Prüfung absteckenden (s. VfSlg. 8253/1978, 9185/1981, 9287/1981, 9911/1983, 11569/1987; , G5,6/92) verfassungsrechtlichen Bedenken nicht zutreffen - als unbegründet abzuweisen.

2.4. Diese Entscheidung konnte in sinngemäßer Anwendung des § 19 Abs 3 Z 2 litc sowie gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.