VfGH vom 26.02.2002, g17/02

VfGH vom 26.02.2002, g17/02

Sammlungsnummer

16447

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit von Schwellenwertregelungen mangels sachlicher Rechtfertigung des Ausschlusses des vergabespezifischen Rechtsschutzes im Unterschwellenbereich

Spruch

1. § 5 Abs 1 des Gesetzes über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabegesetz), Vbg. LGBl. Nr. 20/1998, idF LGBl. Nr. 39/2000 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

2. Der Landeshauptmann von Vorarlberg ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Vorarlberger Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (UVS) beantragt beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 (iVm § 129a Abs 3 und 89 Abs 2) B-VG, § 5 Abs 1 des Vorarlberger Vergabegesetzes (Vbg. VergG), LGBl. 20/1998, idF LGBl. 39/2000 als verfassungswidrig aufzuheben.

1. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

"(1) Sofern im Abs 2 nicht anderes bestimmt ist, sind die Bestimmungen der §§1 bis 9 des Bundesvergabegesetzes 1997, BGBl. I Nr. 56/1997, idF BGBl. I Nr. 80/1999, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass im § 3 Abs 3 und 4 des Bundesvergabegesetzes 1997 an die Stelle des 1. und 4. Teils das I. und III. Hauptstück dieses Gesetzes treten."

und bewirkt, daß der im § 1 Vbg. VergG umfassend formulierte sachliche Geltungsbereich dieses Gesetzes auf Vergaben von Liefer-, Bau-, Baukonzessions- und Dienstleistungsaufträgen, deren geschätztes Auftragsvolumen bestimmte Mindestbeträge erreicht bzw. übersteigt, eingeschränkt wird.

Der durch § 5 Abs 1 Vbg. VergG unter anderem verwiesene § 6 des Bundesvergabegesetzes (BVergG) 1997 idF BGBl. 80/1999 hat folgenden Wortlaut:

"(1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Bauaufträgen und Baukonzessionsaufträgen dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 5 Millionen Euro beträgt.

(2) Besteht ein Bauwerk aus mehreren Losen, für die jeweils ein gesonderter Auftrag vergeben wird, so muß bei der Errechnung des in Abs 1 angegebenen Betrages der Wert eines jeden Loses berücksichtigt werden. Beläuft sich der kumulierte Wert der Lose auf den in Abs 1 genannten Betrag oder einen höheren, unterliegen alle Lose diesem Bundesgesetz. Dies gilt, unbeschadet der Bestimmungen des § 13 und § 14, nicht für Lose, deren geschätzter Auftragswert ohne Umsatzsteuer weniger als 1 Million Euro beträgt, sofern der kumulierte Auftragswert dieser Lose 20 vH des kumulierten Wertes aller Lose nicht übersteigt. Als Lose im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch gewerbliche Tätigkeiten im Sinne des Anhangs I (Gewerke).

(3) Bauaufträge, insbesondere die von diesen erfaßten Bauwerke, dürfen nicht in der Absicht aufgeteilt werden, sie der Anwendung dieses Bundesgesetzes zu entziehen.

(4) Bei der Berechnung des geschätzten Auftragswertes von Bauaufträgen ist außer dem Auftragswert auch der geschätzte Wert der Lieferungen zu berücksichtigen, die für die Ausführung der Arbeiten erforderlich sind und dem Auftragnehmer vom öffentlichen Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden."

Die Vorarlberger Landesregierung hat von der ihr gemäß § 4 Vbg. VergG eingeräumten Ermächtigung, für Bau- und Baukonzesessionsaufträge der im § 2 Abs 1 lita bis e genannten Auftraggeber auch unterhalb des in § 6 Abs 1 BVergG 1997 idF BGBl. I 80/1999 festgelegten Schwellenwertes die Bestimmungen des II. und III. Hauptstücks des Vbg. VergG, welche bei der Vergabe einzuhaltende allgemeine und besondere Regelungen sowie einen vergabespezifischen Rechtsschutz vorsehen, für bindend zu erklären, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens S 20 Mio beträgt und dies im Interesse des Wettbewerbs, des Rechtsschutzes von Bewerbern oder Bietern und im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise bei der Vergabe von Aufträgen zweckmäßig ist, nicht Gebrauch gemacht.

Laut Angaben des UVS bestünden zwar für dem Vbg. VergG nicht unterfallende Vergaben öffentlicher Aufträge Vergaberichtlinien des Landes Vorarlberg, die aber nur die Organe des Landes verpflichteten und lediglich generelle Weisungen darstellten, die nicht außenwirksam seien.

2. In seinem Antrag legt der UVS auf das wesentlichste zusammengefaßt dar, daß er über die Zulässigkeit eines an ihn gerichteten Antrages auf Nachprüfung einer von einem Schulgemeindeverband ausgeschriebenen Vergabe eines Bauvorhabens (Sanierung von und Zubau zu einer Hauptschule) zu entscheiden habe, dessen Gesamtkosten sich laut Kostenschätzung auf rund S 32,8 Mio brutto beliefen. Bestandteil dieses Bauvorhabens sei unter anderem der Einbau sowie die Erneuerung der Fenster und Fenstertüren, wobei sich der hiefür notwendige Aufwand laut Kostenschätzung auf maximal

S 4,4 Mio belaufe. Für diese in einem offenen Verfahren ausgeschriebene Leistung langten sechs Angebote ein, darunter auch jenes der nunmehr beim UVS antragstellenden Gesellschaft.

Aufgrund der angefochtenen Bestimmung sei es dem UVS verwehrt, eine inhaltliche Entscheidung zu treffen; die angefochtene Gesetzesstelle sei bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Antrages anzuwenden und damit präjudiziell.

In der Sache selbst hegt der UVS unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G110,111/99, sowie die Erkenntnisse vom , G43/00, und vom , G10/01, das Bedenken, daß die "Schwellenwertregelung", wie sie im Vorarlberger Vergabegesetz in Form einer statischen Verweisung auf die Bestimmungen der §§1 bis 9 des Bundesvergabegesetzes 1997 enthalten ist, gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz verstoße. Es sei sachlich nicht zu rechtfertigen, im Unterschwellenwertbereich den Bewerbern und Bietern nicht einmal ein Minimum an Verfahrensgarantien zu gewährleisten und auf jedwede außenwirksame Regelung des Vergabeverfahrens - die im Oberschwellenwertbereich als erforderlich und notwendig angesehen wird - zu verzichten und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz generell auszuschließen.

3. a) Die Vorarlberger Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie im Hinblick auf die einschlägige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes den Ausführungen des UVS nicht entgegentritt. Für den Fall der Aufhebung ersucht die Landesregierung für deren Inkrafttreten eine Frist zu setzen, wobei insbesondere berücksichtigt werden möge, daß zur Schaffung einer gemeinschaftsrechtlich gebotenen und zugleich den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Kontrolle der Vergaben des Landes umfassende legistische Vorbereitungsarbeiten erforderlich seien.

b) Weiters hat die im Anlaßverfahren vor dem UVS antragstellende Gesellschaft von der ihr im verfassungsgerichtlichen Verfahren eingeräumten Möglichkeit zur Äußerung Gebrauch gemacht und ist den Bedenken des antragstellenden UVS beigetreten.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Legitimation des UVS, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung des § 5 Abs 1 Vbg. VergG zu beantragen, zweifeln ließe.

Der Verfassungsgerichtshof geht entsprechend seiner ständigen Judikatur (zB VfSlg. 9811/1983, 10.296/1984, 11.565/1987, 12.189/1989, 14.551/1996, 14.795/1997, 15.199/1998) davon aus, daß er nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung ein Gericht oder einen unabhängigen Verwaltungssenat, der einen Gesetzesprüfungsantrag gemäß Art 140 Abs 1 B-VG stellt, an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung des Gerichts oder des unabhängigen Verwaltungssenats in der Hauptsache vorgreifen würde. Ein Antrag eines dieser Rechtsschutzorgane gemäß Art 140 Abs 1 B-VG darf daher vom Verfassungsgerichtshof mangels Präjudizialität nur dann zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig, also gleichsam denkunmöglich ist, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung eines Gerichts bzw. eines unabhängigen Verwaltungssenats im Anlaßfall bildet. Unter Zugrundelegung des vorliegenden Sachverhaltes ist es jedenfalls nicht als denkunmöglich anzusehen, wenn der UVS davon ausgeht, daß er bei Beurteilung der Zulässigkeit des an ihn gerichteten Nachprüfungsantrages § 5 Abs 1 Vbg. VergG anzuwenden habe.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.

2. Er ist auch begründet:

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach zu den durch das Vbg. VergG verwiesenen Schwellenwertregelungen des Bundesvergabegesetzes ausgesprochen hat, widerspricht es dem Gleichheitssatz, bei der Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber im Unterschwellenwertbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich zu verzichten und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz generell auszuschließen. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die hg. Erkenntnisse vom , G110,111/99, vom , G43/00, und vom , G10/01, verwiesen (vgl. auch VfSlg. 15.106/1998 und 15.204/1998).

Da sich sohin die Bedenken des UVS als zutreffend erwiesen haben, war § 5 Abs 1 des Vorarlberger Vergabegesetzes idF LGBl. 39/2000 als verfassungswidrig aufzuheben.

3. a) Bei Bestimmung der gemäß Art 140 Abs 5 dritter Satz B-VG gesetzten Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung ging der Verfassungsgerichtshof zum einen davon aus, daß dem Gesetzgeber angesichts der Entscheidung vom , G110,111/99, die Verfassungswidrigkeit des Verweises auf die Schwellenwertregelung seit mehr als einem Jahr bekannt sein mußte; andererseits war zu bedenken, daß sich der Verweis (mit Ausnahme einer Bestimmung) auf das gesamte 1. Hauptstück des 1. Teiles des Bundesvergabegesetzes 1997 (das nicht bloß die Schwellenwertregelung, sondern auch Legaldefinitionen enthält) bezieht. Schließlich ließ sich der Gerichtshof aber auch von der Erwägung leiten, daß es dem Vorarlberger Landesgesetzgeber möglich bleiben soll, die Regelung des Anwendungsbereiches und des je einzuhaltenden Vergabeverfahrens durch Verweisung auf eine - verfassungskonforme - Bundesregelung vorzunehmen. Da derzeit eine Neuordnung des Bundesvergaberechtes in Vorbereitung ist und der Bundesverfassungsgesetzgeber davon ausgeht, daß diese mit in Wirksamkeit treten soll (vgl. § 128 Abs 8 BVergG 1997), sah sich der Verfassungsgerichtshof veranlaßt, für das Inkrafttreten der Aufhebung eine Frist bis zum Ablauf des zu bestimmen.

b) Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz

B-VG.

c) Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.