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VfGH vom 27.02.2020, G167/2019 (G167/2019-11)

VfGH vom 27.02.2020, G167/2019 (G167/2019-11)

Leitsatz

Unsachlichkeit einer Bestimmung des Stmk Baugesetzes betreffend die Strafbarkeit des Grundstückseigentümers mangels Einbringung einer Fertigstellungsanzeige durch den Bauherrn; verfassungsrechtliche Unzulässigkeit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Eigentümers für das Verhalten des Bauherren

Spruch

I.Z6 des § 118 Abs 1 Steiermärkisches Baugesetz, LGBl Nr 59/1995 idF LGBl Nr 29/2014, war verfassungswidrig.

II.Die Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

III.Der Landeshauptmann der Steiermark ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art 140 Abs 1 Z 1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, § 118 Abs 1 Z 6 Steiermärkisches Baugesetz, LGBl 59/1995 idF LGBl 29/2014, in eventu dessen lita, als verfassungswidrig aufzuheben.

II.Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Steiermärkischen Baugesetzes – Stmk BauG, LGBl 59/1995 idF LGBl 29/2014, lauten (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"§4.

Begriffsbestimmungen

Die nachstehenden Begriffe haben in diesem Gesetz folgende Bedeutung:

[…]

11. Bauherr: der jeweilige Inhaber einer Baubewilligung oder Genehmigung der Baufreistellung;

[…]

§38.

Fertigstellungsanzeige – Benützungsbewilligung

(1) Der Bauherr hat nach Vollendung von

1. Vorhaben gemäß § 19 Z 1 (ausgenommen Nebengebäude) und § 20 Z 1,

2. Garagen gemäß § 19 Z 3 und § 20 Z 2 litb,

3. Vorhaben gemäß § 20 Z 3 litg und § 19 Z 8, soweit letztere dem Abs 1 unterliegen, und

4. größeren Renovierungen gemäß § 20 Z 6

und vor deren Benützung der Baubehörde die Fertigstellung anzuzeigen.

(2) Der Fertigstellungsanzeige sind folgende Unterlagen anzuschließen:

1. eine Bescheinigung des Bauführers, eines Ziviltechnikers mit einschlägiger Befugnis, eines konzessionierten Baumeisters oder eines Holzbau-Meisters im Rahmen seiner gewerberechtlichen Befugnis über die bewilligungsgemäße und den Bauvorschriften entsprechende Bauausführung unter Angabe allfälliger geringfügiger Abweichungen;

2. bei baulichen Anlagen mit Rauch- und Abgasfängen ein Überprüfungsbefund eines Rauchfangkehrermeisters über die vorschriftsmäßige Ausführung der Rauch- und Abgasfänge von Feuerstätten;

3. bei baulichen Anlagen mit Elektroinstallationen ein Überprüfungsbefund eines befugten Elektrotechnikers über die vorschriftsmäßigen Elektroinstallationen;

4. gegebenenfalls eine Bescheinigung eines Sachverständigen oder befugten Unternehmers über die ordnungsgemäße Ausführung der Feuerlösch- und Brandmeldeeinrichtungen (ausgenommen Handfeuerlöscher), Brandrauchabsauganlagen, mechanische Lüftungsanlagen und CO-Anlagen;

5. hinsichtlich Hauskanalanlagen und Sammelgruben eine Dichtheitsbescheinigung eines Sachverständigen oder befugten Unternehmers.

(3) Vor Erstattung der Fertigstellungsanzeige bzw vor Erteilung der Benützungsbewilligung in den Fällen des Abs 4 dürfen bauliche Anlagen nicht benützt werden.

(4) Wird bei den vollendeten Vorhaben des Abs 1 – ausgenommen bei Hauskanalanlagen und Sammelgruben – keine Bescheinigung gemäß Abs 2 Z 1 vorgelegt, hat der Bauherr gleichzeitig mit der Fertigstellungsanzeige um die Benützungsbewilligung anzusuchen.

(5) Die Benützungsbewilligung ist in den Fällen des Abs 4 zu erteilen,

1. wenn die bauliche Anlage der Bewilligung entspricht,

2. bei Vorliegen geringfügiger Mängel unter der Vorschreibung von Auflagen oder

3. wenn die Ausführung vom genehmigten Projekt nur geringfügig abweicht.

(6) Die Fertigstellungsanzeige kann für einen in sich abgeschlossenen Teil der baulichen Anlage erstattet werden. Desgleichen kann eine Benützungsbewilligung gemäß Abs 5 auch für einen in sich abgeschlossenen Teil der baulichen Anlage erteilt werden.

(7) Die Benützung einer baulichen Anlage ist zu untersagen, wenn

1. die bauliche Anlage ohne Fertigstellungsanzeige benützt wird,

2. der Fertigstellungsanzeige keine oder nur mangelhafte und unzureichende Unterlagen angeschlossen sind und die Unterlagen nicht binnen einer von der Baubehörde festzusetzenden Frist ordnungsgemäß nachgereicht und ergänzt werden,

3. Planabweichungen vorliegen, die baubewilligungs- oder anzeigepflichtig sind, oder

4. Mängel vorliegen, die eine ordnungsgemäße Benützung verhindern.

§118.

Strafbestimmungen

(1) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von EUR 363,– bis EUR 14.535,– zu bestrafen ist, begeht, wer

1. Neu- und Zubauten von Gebäuden ohne erforderliche Genehmigung errichtet (§19 Z 1 und 8 sowie § 20 Z 1);

2. Nutzungsänderungen ohne die erforderliche Bewilligung durchführt (§19 Z 2);

3. Gebäude ohne Bewilligung abbricht (§19 Z 7);

4. bewilligungspflichtige Vorhaben und Vorhaben nach § 20 Z 1 durchführt, ohne einen hiezu gesetzlich berechtigten Bauführer herangezogen zu haben (§34 Abs 1);

5. bei Durchführung von Bauarbeiten die bestehende Wasserversorgung usw unterbricht bzw entfernt, bevor die vorgesehenen diesbezüglichen Einrichtungen funktionsfähig hergestellt worden sind (§35 Abs 5);

6. als Eigentümer bauliche Anlagen benützt oder durch Verfügungsberechtigte benützen lässt und

a) keine Fertigstellungsanzeige bei der Baubehörde eingebracht hat (§38 Abs 7 Z 1),

b) der Fertigstellungsanzeige keine oder nur mangelhafte und unzureichende Unterlagen angeschlossen sind und die Unterlagen nicht binnen einer von der Baubehörde festzusetzenden Frist ordnungsgemäß nachgereicht und ergänzt werden (§38 Abs 7 Z 2), oder

c) in den Fällen des § 38 Abs 4 keine Benützungsbewilligung vorliegt.

[…]"

III.Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Straferkenntnis vom wurde der Partei des Ausgangsverfahrens als handelsrechtlicher Geschäftsführerin einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zur Last gelegt, sie habe es als gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufene Person zu verantworten, dass die genannte Gesellschaft als Eigentümerin einer näher bezeichneten Liegenschaft in Graz den bewilligten Umbau durch Verfügungsberechtigte habe benutzen lassen, obwohl keine Fertigstellungsanzeige bei der Baubehörde eingebracht worden sei.

Wegen Übertretung des § 118 Abs 1 Z 1 lita iVm § 38 Abs 7 Z 1 Stmk BauG, LGBl 59/1995 idF LGBl 29/2014, verhängte der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz über die Partei des Ausgangsverfahrens eine Geldstrafe von € 363,– und acht Stunden Ersatzfreiheitsstrafe.

Gegen dieses Straferkenntnis wurde Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark erhoben und ausgeführt, es sei unzulässig, die Eigentümerin einer Liegenschaft für ein Versäumnis des mit ihr nicht identen Bauherren – keine Fertigstellungsanzeige eingebracht zu haben – zu bestrafen.

2.Das Landesverwaltungsgericht Steiermark legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wörtlich wie folgt dar:

"Das Bestimmtheitsgebot des Art 18 Abs 1 B-VG verlangt für Strafbestimmungen eine dem Rechtsschutzbedürfnis geschuldete besonders genaue gesetzliche Determinierung des unter Strafe gestellten Verhaltens (vgl auch VfSlg 13785/1994). Ferner ist für Strafbestimmungen auf Grundlage des § 1 Abs 1 VStG und des Art 7 MRK der Grundsatz zu beachten, dass eine Tat nur bestraft werden darf, wenn sie gesetzlich vor ihrer Begehung mit Strafe bedroht war, und strafgesetzliche Vorschriften das strafbare Verhalten unmissverständlich und klar erkennen lassen.

[…]

Mit der Novelle LGBl Nr 29/2014 zum Stmk BauG, LGBl Nr 59/1995 – es sollte § 118 Abs 1 Z 6. Stmk BauG idF LGBl Nr 88/2008 dem geänderten § 38 Stmk BauG angepasst werden – wurde der Wortlaut der Strafbestimmung durch die Bezugnahme auf die Vorschriften zur Fertigstellungsanzeige missverständlich und unbestimmt:

Dem Wortlaut des § 118 Abs 1 Z 6. Stmk BauG idF LGBl Nr 29/2014 zufolge richtet sich die Strafbestimmung – und dies ist noch unmissverständlich – (nach wie vor) an den Eigentümer einer baulichen Anlage (Bauwerk) im Sinne des § 4 Z 13 Stmk BauG, der in der Regel auch der Grundstückseigentümer sein wird.

Unter Strafe gestellt wird (nach wie vor) ein Handeln ('bauliche Anlagen benützt') oder ein Dulden ('bauliche Anlagen benützen lässt') des Eigentümers, wobei nunmehr jedoch zur Verwirklichung des Tatbildes in § 118 Abs 1 Z 6. lita) Stmk BauG ein zusätzliches Tatbestandselement ('und') erforderlich ist, das von der Formulierung her den Anschein erweckt, als sei der Eigentümer der baulichen Anlage zur Einbringung einer Fertigstellungsanzeige bei der Baubehörde verpflichtet.

Eine solche Verpflichtung ergibt sich jedoch weder aus dem Wortlaut des § 38 Abs 1 Stmk BauG – nach dieser Bestimmung ist der Bauherr (und nur dieser) zur Einbringung einer Fertigstellungsanzeige verpflichtet – noch aus systematischen Zusammenhängen: Der Verweis in § 118 Abs 1 Z 6. lita) Stmk BauG auf § 38 Abs 7 Z 1 Stmk BauG (diese Bestimmung sieht als 'Sanktion' für die Benützung einer baulichen Anlage vor Erstattung einer Fertigstellungsanzeige die Nutzungsuntersagung vor) ist wiederum nur im Kontext mit der Anzeigeverpflichtung des Bauherrn in § 38 Abs 1 Stmk BauG zu lesen. Letztendlich kann auch die Strafbestimmung für sich genommen keine im Widerspruch zu § 38 Abs 1 Stmk BauG stehende Anzeigepflicht des Eigentümers der baulichen Anlage schaffen.

Aus dem oben Ausgeführten ergibt sich, dass aus dem Wortlaut des § 118 Abs 1 Z 6. lita) Stmk BauG idF LGBl Nr 29/2014 für den Normunterworfenen (Eigentümer der baulichen Anlage) nicht mehr mit der im Strafrecht gebotenen Bestimmtheit erkennbar ist, welches konkrete Verhalten unter Strafe gestellt werden soll. Dies stellt einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot […] dar.

Nach § 4 Z 11 Stmk BauG ist Bauherr der jeweilige Inhaber einer Baubewilligung oder Genehmigung der Baufreistellung. Ist – wie im Anlassfall – der Eigentümer der baulichen Anlage eine vom Bauherrn verschiedene Person, wird nach dem Wortlaut des § 118 Abs 1 Z 6. lita) Stmk BauG der Eigentümer wegen Nichteinbringung der Fertigstellungsanzeige bei der Baubehörde mit Strafe bedroht, obwohl dieser zur Einbringung einer solchen von Gesetzes wegen gar nicht verpflichtet ist. Nach dem Wortlaut der Strafbestimmung besteht die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Eigentümers der baulichen Anlage sogar unabhängig davon, ob der (dazu verpflichtete) Bauherr bei der Behörde eine Fertigstellungsanzeige eingebracht hat oder nicht. Dadurch, dass der Eigentümer der baulichen Anlage für ein Verhalten bestraft wird, dass gesetzlich nicht geboten ist, wird auch das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes in Art 7 B-VG verletzt."

3.Die Steiermärkische Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken entgegentritt. Die inkriminierte Norm sei nicht unbestimmt, im Übrigen lasse sie sich verfassungskonform dahin interpretieren, dass der Eigentümer nur dann zu bestrafen sei, wenn er auch Bauherr ist. Das dem Fall zugrunde liegende Strafverfahren sei daher auch einzustellen.

4.Die Partei des Ausgangsverfahrens hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des antragstellenden Gerichtes anschließt.

IV.Erwägungen

1.Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1.Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG bzw des Art 140 Abs 1 Z 1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2.Die Steiermärkische Landesregierung zieht in ihrer Äußerung die Präjudizialität der Bestimmungen des § 118 Abs 1 Z 6 litb und c Stmk BauG idF LGBl 29/2014, "welche die Vorlage einer unvollständigen Fertigstellunganzeige bzw das Fehlen einer Benützungsbewilligung sanktionieren" in Zweifel, da sie vom Landesverwaltungsgericht Steiermark im vorliegenden Fall nicht denkmöglich anzuwenden gewesen seien.

1.3.Mit diesem Vorbringen ist die Steiermärkische Landesregierung nicht im Recht. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass das Landesverwaltungsgericht Steiermark bei der Beurteilung der Strafbarkeit nach § 118 Abs 1 Z 6 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 diese Bestimmungen ebenfalls anzuwenden hatte. Alle drei Tatbestände des § 118 Abs 1 Z 6 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 haben nämlich die Nicht- oder nicht vollständige Vorlage der Fertigstellungsanzeige zum Gegenstand, wobei litc auf das Fehlen einer allenfalls zusätzlich zur Fertigstellungsanzeige notwendigen Benützungsbewilligung abstellt.

1.4.Die Steiermärkische Landesregierung erachtet den Antrag allerdings auch deshalb als unzulässig, weil die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit durch Aufhebung allein der Wortfolge "als Eigentümer" beseitigt werden könnte und der beantragte Aufhebungsumfang insofern zu weit gefasst sei. Im Regelfall bestehe nämlich zwischen Bauherr und Eigentümer Identität, sodass sich die inkriminierte Bestimmung in den meisten Fällen problemlos anwenden lasse. Durch die Aufhebung allein der Wortfolge "als Eigentümer" könne die Grundlage für eine verfassungskonforme Interpretation der restlichen Bestimmungen des § 118 Abs 1 Z 6 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 geschaffen werden, die dahin gehen müsse, den Eigentümer nur dann zu bestrafen, wenn er auch Bauherr sei. Hinsichtlich des Bauherren, der keine Fertigstellungsanzeige einbringe, verbleibe eine planwidrige Lücke, dieser sei nicht strafbar.

1.5.Diesem Vorbringen kann jedoch nicht gefolgt werden.

1.5.1.Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994). Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

1.5.2.Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; ). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; ).

1.5.3.Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; ; , G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

1.6.Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Verordnungsbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

1.6.1.Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit das Gericht solche Normen anficht, die denkmöglich eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bilden und damit präjudiziell sind; dabei darf aber nach § 62 Abs 1 VfGG nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN ua; vgl auch ; , G103-104/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies — wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen — im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; ua).

1.6.2.Die Steiermärkische Landesregierung ist im Unrecht, wenn sie behauptet, ein Aufhebungsbegehren brauche sich lediglich darauf zu beschränken, die Voraussetzungen einer verfassungskonformen Interpretation der übrigen, nicht aufzuhebenden Bestimmungen zu ermöglichen. Es ist dem Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zwar ein Rückgriff auf eine Durchschnittsbetrachtung grundsätzlich nicht verwehrt. Auch Härtefälle können in Kauf genommen werden, wenn nur insgesamt eine sachliche Regelung vorliegt (VfSlg 16.744/2002, 19.530/2011). Nicht jede Unbilligkeit, die eine Regelung mit sich bringt, kann bereits als unsachlich gewertet werden. Dem Gesetzgeber muss es gestattet sein, eine einfache und leicht handhabbare Regelung zu treffen (vgl VfSlg 10.455/1985, 11.616/1988, 14.694/1996). Keinesfalls bedeutet dies aber, dass eine Regelung deshalb nicht verfassungswidrig wäre, weil sie im bloß überwiegenden Teil ihrer Anwendungsfälle ohnehin zu verfassungskonformen Ergebnissen führte. Entsprechend der dem Verfassungsgerichtshof zukommenden Rechtsbereinigungsfunktion (VfSlg 16.517/2002, 16.562/2002, 17.560/2005) hat er eine Norm auch dann aufzuheben, wenn sie nur im Hinblick auf Teilbereiche oder Sonderkonstellationen verfassungswidrig ist. Der Einwand der Steiermärkischen Landesregierung, dass Bauherr und Eigentümer in den meisten Fällen identisch seien, und in den anderen mittels verfassungskonformer Interpretation vorgegangen werden könne, weshalb der vom Landesverwaltungsgericht Steiermark gewählte Anfechtungsumfang zu weit sei und bloß die Wortfolge "als Eigentümer" in Bedenken zu ziehen wäre, geht daher ins Leere.

1.6.3.Zudem übersieht die Steiermärkische Landesregierung, dass mit der Aufhebung allein der Wortfolge "als Eigentümer" eine verfassungsrechtlich unzulässige, rückwirkende Ausweitung des von der Strafbestimmung erfassten Täterkreises eintreten würde, da nach der derart hergestellten Rechtslage nunmehr jeder, der ein Bauwerk benützt oder benützen lässt, bei Nichteinbringung einer Fertigstellungsanzeige zu bestrafen wäre (VfSlg 17.263/2004).

1.7.Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2.In der Sache

2.1.Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2.Der Antrag ist auch begründet.

2.3.Mit seinem ersten Bedenken behauptet das Landesverwaltungsgericht Steiermark, dass § 118 Abs 1 Z 6 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot verstoße. Wie die Steiermärkische Landesregierung zutreffend ausführt, ist die Strafnorm des § 118 Abs 1 Z 6 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 aber keineswegs unbestimmt, da sie unmissverständlich determiniert, wer bestraft werden soll, welches Verhalten sanktioniert wird und mit welcher Strafhöhe zu rechnen ist. Wenn das Landesverwaltungsgericht Steiermark ausführt, dass die Bestimmung des § 118 Abs 1 Z 6 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 keine Verpflichtungen schaffen könne, die nicht bereits materiell in § 38 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 enthalten seien, ist ihm entgegenzuhalten, dass sich eine Rechtspflicht daraus ergibt, dass eine Rechtsvorschrift das gegenteilige Verhalten unter Strafe stellt. Die in Bedenken gezogene Norm droht dem Eigentümer eine Strafe an, wenn er ua eine Fertigstellungsanzeige nicht einbringt. Bei § 118 Abs 1 Z 6 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 handelt es sich daher um eine lex fugitiva, die dem Eigentümer einer Liegenschaft – an unsystematischer Stelle und ungeachtet dessen, ob er auch Bauherr ist – eine baurechtliche Pflicht ua zur Einbringung einer Fertigstellungsanzeige auferlegt. Diese Pflicht und die korrespondierende Sanktion sind nicht unbestimmt.

2.4.Mit seinem zweiten Bedenken macht das Landesverwaltungsgericht Steiermark geltend, dass es auch dem dem Gleichheitsgrundsatz entspringenden Sachlichkeitsgebot widerspreche, den Eigentümer für die Unterlassung einer Handlung zu bestrafen, die ihm gesetzlich gar nicht geboten sei. Hiezu ist auf das oben Gesagte zu verweisen: Gemäß § 118 Abs 1 Z 6 lita Stmk BauG idF LGBl 29/2014 ist es dem Eigentümer geboten, eine Fertigstellungsanzeige einzubringen, weil die Unterlassung dessen mit Strafe bedroht ist.

2.5.Soweit das vom Landesverwaltungsgericht Steiermark vorgebrachte Bedenken hinsichtlich des dem Gleichheitsgrundsatz entspringenden Sachlichkeitsgebotes allerdings dahin verstanden werden kann, dass es verfassungsrechtlich unzulässig sei, einer Person eine verwaltungsstrafrechtlich bewehrte Pflicht im Hinblick auf ein Verfahren aufzuerlegen, in dem sie nicht Partei ist, und sie für fremdes Handeln oder Unterlassen zu bestrafen, ist es begründet.

Der Verfassungsgerichtshof hält den Grundsatz, dass eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nur an eigenes Verhalten geknüpft werden darf, für so selbstverständlich, dass er von der Bundesverfassung unausgesprochen vorausgesetzt wird (VfSlg 15.200/1998).

2.5.1.Unsachlich ist eine solche Bestimmung zB dann, "wenn jemand verhalten wird, für etwas einzustehen, womit ihn nichts verbindet, hier also auch für Umstände, die außerhalb seiner Interessen- und Einflußsphäre liegen" (VfSlg 5318/1966). So hat der Verfassungsgerichtshof festgehalten, dass es verfassungswidrig wäre, wenn etwa der Eigentümer der für eine Vergnügung benutzten Räume oder Grundstücke auch dann anmelde- und haftungspflichtig würde, wenn ihm die tatsächliche Herrschaft über diese Räume oder Grundstücke nicht zukommt (VfSlg 12.776/1991).

2.5.2.Im vorliegenden Fall ist nicht hervorgekommen, dass den Eigentümer einer Liegenschaft mit dem von ihm verschiedenen Bauherren eine besondere Beziehung verbände, die es rechtfertigen würde, den Eigentümer anstelle des Bauherren zu verpflichten, eine Fertigstellungsanzeige für dessen Bauwerk einzubringen. Der Eigentümer, der seine Liegenschaft etwa verpachtet und damit die tatsächliche Sachherrschaft über sie aufgegeben hat, hat im Bauverfahren bloß gemäß § 22 Abs 2 Z 2 bzw § 33 Stmk BauG seine Zustimmung zur Bauführung durch den Bauherren zu erklären. Auch die Steiermärkische Landesregierung hat eine regelmäßig bestehende, etwa von der Vertragsgestaltung im Einzelfall unabhängige, besondere Beziehung zwischen Bauherren und Eigentümer nicht vorgebracht, sondern bloß darauf hingewiesen, dass bei Eigentümer und Bauherr im Regelfall Identität bestehe. Dies vermag das vorgetragene Bedenken allerdings nicht zu entkräften, zumal es keineswegs lebensfremd oder unvorhersehbar ist, dass Eigentümer und Bauherr verschieden sind. Auch das Stmk BauG kennt solche Fälle, wenn es etwa in § 22 Abs 2 Z 2 bzw § 33 Stmk BauG anstatt der Zustimmungserklärung des Eigentümers jene eines allfällig dinglich Bauberechtigten nennt. Gemäß § 118 Abs 1 Z 6 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 wäre der Eigentümer aber auch dann zu bestrafen, wenn Bauherr der dinglich Bauberechtigte ist, und der Eigentümer daher gar keine Zustimmungserklärung abgeben müsste, seine Mitwirkung im Bauverfahren daher – bis auf die inkriminierte lex fugitiva des § 118 Abs 1 Z 6 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 – gänzlich ausgeschaltet wäre. Außerdem erfasst das Wort "Eigentümer" auch sämtliche Mit- und Wohnungseigentümer, die offenbar allesamt strafbar wären, wenn nur einer – und nicht alle – von ihnen die geforderte Fertigstellungsanzeige einbrächte.

2.5.3.Auch ein öffentliches Interesse daran, die Pflicht zur Einbringung einer Fertigstellungsanzeige zusätzlich dadurch zu bewehren, dass der Eigentümer für ihre Einhaltung zu sorgen hat, indem er die Fertigstellungsanzeige selbst einbringt oder etwa vom Bauherren in seinem Namen einbringen lässt, ist nicht ersichtlich. Für den Verfassungsgerichtshof bleibt unverständlich, warum den am Baubewilligungsverfahren ansonsten unbeteiligten Eigentümer – von allen denkbaren baurechtlich vorgesehenen Pflichten – gerade jene zur Einbringung einer Fertigstellungsanzeige treffen sollte. Die Steiermärkische Landesregierung hat kein öffentliches Interesse an einer derartigen Vorgehensweise genannt und auch nicht etwa erklärt, der Gesetzgeber habe dem Eigentümer hinsichtlich einer Bauführung durch einen fremden Bauherren auf seiner Liegenschaft eine besondere Pflicht zur Nachschau überbürden wollen. Dem allfälligen Einwand, diese Regelung diene der Verwaltungsvereinfachung, weil – wiederum – Eigentümer und Bauherr im Regelfall identisch seien, wäre nicht zu folgen. Der Behörde ist der Bauherr nämlich ohnehin in jedem Fall bekannt, ist er doch gemäß § 4 Z 11 Stmk BauG "der jeweilige Inhaber einer Baubewilligung oder Genehmigung der Baufreistellung" und damit die hauptsächliche Verfahrenspartei.

2.5.4.Eine verfassungskonforme Interpretation der in Bedenken gezogenen Bestimmung kommt, anders als die Steiermärkische Landesregierung argumentiert und anders als die in diesem Zusammenhang offener formulierte Bestimmung, die den Gegenstand der Entscheidung VfSlg 12.776/1991 bildete und die neben dem Eigentümer auch den Verfügungsberechtigten nannte, nicht in Betracht. Die Wortfolge "als Eigentümer" lässt es nicht zu, diese in "als Bauherr" oder "als Eigentümer, soweit er auch Bauherr ist" umzudeuten, zumal das Stmk BauG in § 4 Z 11 für den Bauherren eine präzise Legaldefinition enthält, die sich auf eine dingliche Berechtigung nicht bezieht. Im Übrigen würde diese Interpretation die von der Steiermärkischen Landesregierung selbst aufgezeigte planwidrige Lücke bestehen lassen, dass ein Bauherr, der nicht Eigentümer ist, für die Nichteinbringung der Fertigstellungsanzeige weiterhin nicht bestraft werden könnte.

2.6.Der Verfassungsgerichtshof hat den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg 7376/1974, 16.929/2003, 16.989/2003, 17.057/2003, 18.227/2007, 19.166/2010, 19.698/2012).

Zur Herstellung eines Rechtszustandes, gegen den die im Antrag dargelegten Bedenken nicht bestehen, ist es erforderlich auszusprechen, dass die Z 6 des § 118 Abs 1 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 zur Gänze verfassungswidrig war.

V.Ergebnis

1.Die Z 6 des § 118 Abs 1 Stmk BauG, LGBl 59/1995 idF LGBl 29/2014, war daher bis zu ihrer Novellierung durch Z 88 des Gesetzes vom , mit dem das Steiermärkische Baugesetz geändert wird (Baugesetznovelle 2019), LGBl 11/2020, wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig.

2.Der Verfassungsgerichtshof sieht sich veranlasst, von der ihm durch Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

3.Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 2 Abs 1 Z 7 Steiermärkisches Kundmachungsgesetz, LGBl 25/1999 idgF.

4.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5.Der beteiligten Partei sind die für die abgegebene Äußerung begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines auf Antrag eines Gerichtes eingeleiteten Normenprüfungsverfahrens Sache des antragstellenden Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 19.019/2010 mwN).

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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2020:G167.2019
Schlagworte:
Baurecht, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), Haftung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang

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