VfGH vom 22.11.2012, g16/12
Sammlungsnummer
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Leitsatz
Abweisung des Antrags des UVS Oberösterreich auf Aufhebung von Bestimmungen des Führerscheingesetzes über die Bestrafung bzw Entziehung der Lenkberechtigung bei bloßer Inbetriebnahme eines KFZ in alkoholisiertem Zustand; Zurückweisung weiterer Anträge wegen unzulässigen Anfechtungsumfanges
Spruch
I. Der Antrag, "im § 26 Abs 1 u. im Abs 2 des Führerscheingesetzes 1997 - FSG, BGBl. I Nr. 120/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 61/2011 - hier anzuwenden iVm Z 4 leg.cit.
- die Wortfolge ... oder Inbetriebnehmen ..." als
verfassungswidrig aufzuheben, wird zurückgewiesen.
II. Der Antrag, "im § 7 Abs 3 Z 1
Führerscheingesetz 1997 - FSG, BGBI. I Nr. 120/1997, in der
Fassung BGBl. I Nr. 61/2011, die Wortfolge ... oder in Betrieb
genommen ..." als verfassungswidrig aufzuheben, wird zurückgewiesen.
III. Der Antrag, "in beiden der oben genannten
Gesetzesbestimmungen in der zitierten Fassung die genannten Wortwendungen als verfassungswidrig aufheben, und im § 5 Abs 1 der Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960, StF:
BGBl. Nr. 159/1960, in der Fassung BGBl. I Nr. 34/2011, im ersten Satz an dessen Ende die Worte ...'noch in Betrieb nehmen' und im § 99 Abs 1a StVO 1960, in der Fassung BGBI. I Nr. 34/2011, die Wortfolge ...'oder in Betrieb nimmt'" als verfassungswidrig aufzuheben, wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (im Folgenden: UVS Oberösterreich) sind zwei Berufungsverfahren anhängig, von denen sich eines gegen die Bestrafung wegen Inbetriebnahme eines Fahrzeuges in durch Alkohol beeinträchtigtem Zustand richtet und das andere gegen die Entziehung der Lenkberechtigung aus diesem Grund.
1.1. Diesen beiden Verfahren liegt laut Antrag des UVS Oberösterreich folgender Sachverhalt zugrunde:
"I. Sachverhalt:
Anlässlich der Berufungsverhandlung wurde vom Meldungsleger nachvollziehbar dargelegt, dass hier zu keinem Zeitpunkt der Verdacht eines Lenkens bestand und ebenfalls von keinem Verhalten seitens des Berufungswerbers auszugehen ist, welches als eine dem Lenken unmittelbar vorausgehende Handlung qualifiziert werden könnte. Der Berufungswerber, welcher als Student über nur sehr bescheidene finanzielle Mittel verfügt, war lediglich aus Verkettung unglücklicher Umstände gezwungen, sich in den frühen Morgenstunden des in sein Auto als Schlafstelle zurückzuziehen. Irrtümlich war ihm ein falscher Schlüssel ausgehändigt worden, sodass er nicht in die Wohnung seines Cousins gelangen konnte die ihm zur Nächtigung zur Verfügung gestanden wäre. Auf Grund der damaligen Temperatur nahe dem Gefrierpunkt, startete er den Fahrzeugmotor einige Zeit nachdem er sich ins Auto zurückgezogen hatte, ausschließlich zum Zweck des Beheizens des Innenraums. Dies führte etwa drei Stunden später zur gegenständlichen Amtshandlung, weil Anrainer, wegen des über eine längere Zeit laufenden Fahrzeugmotors, die Polizei verständigt hatten. Vom Meldungsleger wurde der Berufungswerber schlafend auf dem Rücksitz angetroffen und von dort aufgeweckt. Selbst der Meldungsleger beteuerte nachdrücklich, dass der Angezeigte seiner Überzeugung nach tatsächlich bloß zum Heizen den Motor gestartet hatte, er aber dennoch zur Anzeige gezwungen gewesen sei was zu den unverhältnismäßigen Rechtsfolgen führte. Im Rahmen der Berufungsverhandlung machte der Berufungswerber einen sehr sachlichen und wertverbundenen Eindruck. Er beteuerte glaubhaft zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gehabt zu haben das Fahrzeug unter Alkoholeinfluss zu lenken. Das er mit dem bloßen Starten diese Folgen verbunden wären sei ihm nicht wirklich bewusst gewesen.
I.1. Das Berufungsvorbringen:
'Sehr geehrte Damen und Herren,
ich T B möchte Berufung gegen den Bescheid erheben, da ich die Entscheidung, über das Strafausmaß, nicht gerecht und die somit drohenden Konsequenzen zu hart finde. Da das erste Mal ein Problem solcher Art auftritt und ich sonst nicht vorgemerkt bin, bitte ich Sie meine bisherige Unbescholtenheit bei der Entziehungsdauer zu berücksichtigen. An jenem Tag im Dezember, an dem mir die Lenkberechtigung entzogen wurde, musste ich eine Möglichkeit finden mich vor der Kälte zu schützen. Da ich ohne Jacke und dergleichen mich im Freien bewegt habe und ich keine andere Möglichkeit hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als mich ins Fahrzeug auf den Rücksitz zu legen, nur um die Nacht nicht im Freien verbringen zu müssen. Ich habe mich bewusst auf den Rücksitz gelegt, wollte nur schlafen und hatte keinesfalls vor das KFZ zu lenken, um nicht gegen das Gesetz zu verstoßen. Da mir aber währenddessen viel zu kalt wurde und ich nicht erfrieren wollte, habe ich das KFZ lediglich gestartet, um die Heizung in Betrieb nehmen zu können. Ich finde es nicht gerecht, dass das in Betrieb nehmen eines KFZ, nur um die Heizung einzuschalten, dieselben Konsequenzen mit sich zieht, wie das Lenken eines Kraftfahrzeuges, denn wie kann das Lenken dieselben Folgen haben wie eine Inbetriebnahme des Fahrzeuges. Bsp.: Ist es dasselbe, wenn eine Person alkoholisiert ein Fahrzeug lenkt und im schlimmsten Fall einen Unfall mit Todesfolge verursacht, oder wenn sich eine Person bewusst auf den Rücksitz legt, um keinen zu gefährden und bei Minusgraden das Fahrzeug kurz in Betrieb nimmt, nur um die Heizung anzustellen um nicht zu erfrieren. Die Entscheidung, dass das Schlafen und Lenken dieselben Folgen zu verantworten hat, finde ich nicht in Ordnung. Ich sehe ein, dass ich einen Fehler begangen habe und werde somit auch die Konsequenzen tragen müssen, jedoch finde ich aber, dass die Gleichstellung der Strafhöhe, für das Lenken und für das in Betrieb nehmen nicht gerecht ist. Da ich vor kurzem meine Schulausbildung mit einer Reife- und Diplomprüfung abgeschlossen habe, bin ich zurzeit auf Arbeitssuche und verfüge über kein Einkommen. Durch den Entzug der Lenkberechtigung habe ich bereits übermäßig hohe Bestrafung erfahren und durch diese leidige Angelegenheit wird sich auch mein Einstieg ins Berufsleben verzögern, da der Führerschein ein wesentliches Entscheidungskriterium ist. Gegenüber der Polizei war ich beherrscht und kooperativ und ersuche Sie daher, dies bei der Festlegung der Strafhöhe zu berücksichtigen und mache Milderungsgründe geltend.'
I.2. Diesem Berufungsvorbringen vermag sich die Berufungsbehörde vollumfänglich anzuschließen. Zu bemerken gilt es jedoch, dass es sich beim Entzug der Lenkberechtigung, auch wenn dies als solche empfunden wird, um keine Strafe handelt. In seinen Ausführungen bringt nach h. Überzeugung die Mitbeteiligte Partei aber in sehr lebensnaher Sichtweise die grundsätzlich unterschiedliche Unwertdimension einer bloßen Inbetriebnahme durch Ingangsetzen des Motors, im Vergleich zu der die mit einem alkoholisiertem Lenken und den damit einhergehenden Gefahren, zum Ausdruck. Das hier keinerlei Absicht bestand am Verkehr teilzunehmen, ja gerade im Bewusstsein der Alkoholisierung das Kraftfahrzeug mangels Alternative gleichsam als Schlafstelle verwendet wurde, liegt hier konkret im Umstand, dass ihm sein Freund bei dem er nächtigen wollte, irrtümlich einen falschen Schlüssel ausgehändigt hatte. So konnte er nicht in dessen Wohnung gelangen und war dadurch im Ergebnis zur Nächtigung im Auto veranlasst, welches er schlussendlich angesichts der Außentemperatur nahe am Gefrierpunkt, zu beheizen gezwungen war. Hätte das Fahrzeug etwa über eine Standheizung verfügt wäre deren Verwendung legal gewesen. Bei objektiver Beurteilung macht der Betrieb der Standheizung keinen substanziellen Unterschied zum bloßen Anlassen des Motors. Zutreffender wäre in einem solchen Fall wohl die bloße Ahndung wegen des mit dem laufenden Motor verbunden gewesenen Ärgernisses für Anrainer iSd § 102 Abs 4 KFG gewesen." [Fehler im Original]
1.2. Aus Anlass der dagegen erhobenen Berufung(en)
stellt der UVS Oberösterreich gestützt auf Art 129a Abs 3 iVm Art 89 Abs 2 und Art 140 Abs 1 B-VG die Anträge:
"der Verfassungsgerichtshof möge im § 26 Abs 1 u. im
Abs2 des Führerscheingesetzes 1997 - FSG, BGBl. I
Nr. 120/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 61/2011 - hier
anzuwenden iVm Z 4 leg.cit. - die Wortfolge ... oder
Inbetriebnehmen ... als verfassungswidrig aufheben,
in eventu
im § 7 Abs 3 Z 1 Führerscheingesetz 1997 - FSG, BGBI. I
Nr. 120/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 61/2011, die
Wortfolge ... oder in Betrieb genommen ... als
verfassungswidrig aufheben,
in eventu
in beiden der oben genannten Gesetzesbestimmungen in
der zitierten Fassung die genannten Wortwendungen als verfassungswidrig aufheben,
und
im § 5 Abs 1 der Straßenverkehrsordnung 1960 -
StVO 1960, StF: BGBl. Nr. 159/1960, in der Fassung BGBl. I Nr. 34/2011, im ersten Satz an dessen Ende die Worte ...'noch in Betrieb nehmen' und im § 99 Abs 1a StVO 1960, in der Fassung BGBI. I Nr. 34/2011, die Wortfolge ...'oder in Betrieb nimmt' als verfassungswidrig aufheben;" [Hervorhebungen im Original]
1.3. Der UVS Oberösterreich begründet seine Anträge folgendermaßen:
Zur Präjudizialität wird ausgeführt, dass der UVS Oberösterreich die angefochtenen Rechtsvorschriften in den bei ihm anhängigen Berufungsverfahren anzuwenden habe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehören zum Begriff der "Inbetriebnahme" Handlungen, die notwendig sind, um "durch Einwirkung der motorischen Kräfte das Fahrzeug zur Fortbewegung zu verwenden, vor allem die Ingangsetzung des Verbrennungsmotors". Durch diese Rechtsprechung sei dem UVS Oberösterreich kein Auslegungsspielraum im Hinblick auf den Begriff "Inbetriebnahme" eröffnet. In einem Fall wie dem Anlassverfahren beim UVS Oberösterreich, in dem der Berufungswerber den Motor nur in Betrieb genommen habe, um die Heizung einzuschalten, könne daher insbesondere im Verfahren über die Entziehung der Lenkberechtigung nach dem Führerscheingesetz, BGBl. I 120/1997 (im Folgenden: FSG), keine angemessene Entscheidung getroffen werden. Im Ergebnis seien die angefochtenen Wortfolgen daher unsachlich und somit "gleichheitswidrig", weshalb der UVS Oberösterreich beantrage, die angefochtenen Wendungen aufzuheben bzw. klarzustellen, wie der Begriff "Inbetriebnehmen" verfassungskonform zu verstehen sei.
2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie zum Teil die Zulässigkeit der Anträge bestreitet und den vorgebrachten Bedenken entgegentritt.
Sofern der UVS Oberösterreich (auch) ein Verwaltungsstrafverfahren zu führen habe, sei zwar § 99 Abs 1a Straßenverkehrsordnung, BGBl. 159/1960 (im Folgenden: StVO), präjudiziell, nicht aber § 5 Abs 1 leg.cit., weil letztere Bestimmung vom UVS Oberösterreich nicht anzuwenden sei. Wenn aber der UVS Oberösterreich nicht über eine Berufung gegen ein Straferkenntnis wegen Übertretung der StVO zu entscheiden habe, sei auch § 99 Abs 1a StVO nicht präjudiziell.
In der Sache führt die Bundesregierung aus, der UVS Oberösterreich dürfte davon ausgehen, dass im konkreten Fall ein besonderes Missverhältnis zwischen Schwere der Rechtsfolge und dem Grad des Verschuldens bestehe. Eine gesetzliche Regelung sei aber nicht schon dann gleichheitswidrig, wenn ihr Ergebnis nicht in allen Fällen als befriedigend angesehen werde. Knüpfe man die Rechtsfolgen der StVO bzw. des FSG nicht bereits an die Inbetriebnahme eines Fahrzeuges, könnten "Alkofahrten problemlos verschleiert werden". Der Gesetzgeber habe von seinem Gestaltungsspielraum in sachlicher Art und Weise Gebrauch gemacht. Darüber hinaus habe der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis
VfSlg. 16.925/2003 in der Entziehung der Lenkberechtigung auf Grund der alkoholisierten Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeuges "keinen Verstoß gegen das aus dem Gleichheitsgrundsatz abzuleitende Sachlichkeitsgebot" erblickt.
Die Bundesregierung beantrage daher, die Anträge betreffend § 5 Abs 1 bzw. § 99 Abs 1a StVO mangels Legitimation zurückzuweisen sowie die Anträge im Übrigen abzuweisen.
II. Rechtslage
1. § 7 und § 26 FSG BGBl. I 120/1997 idF
BGBl. I 61/2011 lauten (die angefochtene Wortfolge ist jeweils hervorgehoben):
"Verkehrszuverlässigkeit
§7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person,
wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs3) und ihrer Wertung (Abs4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen
1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder
2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.
(2) Handelt es sich bei den in Abs 3 angeführten Tatbeständen um Verkehrsverstöße oder strafbare Handlungen, die im Ausland begangen wurden, so sind diese nach Maßgabe der inländischen Rechtsvorschriften zu beurteilen.
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
1. ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz - SPG, BGBl. Nr. 566/1991, zu beurteilen ist;
2.-15. [...]
(4) Für die Wertung der in Abs 1 genannten und in Abs 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Abs 3 Z 14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.
(5) Strafbare Handlungen gelten jedoch dann nicht als bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs 1, wenn die Strafe zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens getilgt ist. Für die Frage der Wertung nicht getilgter bestimmter Tatsachen gemäß Abs 3 sind jedoch derartige strafbare Handlungen auch dann heranzuziehen, wenn sie bereits getilgt sind.
(6) Für die Beurteilung, ob eine strafbare Handlung gemäß Abs 3 Z 6 litb, 7, 9 letzter Fall oder 13 wiederholt begangen wurde, sind vorher begangene Handlungen der gleichen Art selbst dann heranzuziehen, wenn sie bereits einmal zur Begründung des Mangels der Verkehrszuverlässigkeit herangezogen worden sind, es sei denn, die zuletzt begangene Tat liegt länger als zehn Jahre zurück. Die Auflage der ärztlichen Kontrolluntersuchungen gemäß Abs 3 Z 12 gilt als nicht eingehalten, wenn der Befund oder das ärztliche Gutachten nicht innerhalb einer Woche nach Ablauf der festgesetzten Frist der Behörde vorgelegt wird.
(7) Wurde ein Verstoß gegen Auflagen gemäß Abs 3 Z 12 begangen, so hat die Behörde, in deren Sprengel die Übertretung begangen wurde, die Wohnsitzbehörde unverzüglich von diesem Umstand zu verständigen.
(8) Die Verkehrszuverlässigkeit ist von der das Verfahren führenden Behörde zu beurteilen. Zu diesem Zweck hat diese Behörde in den Fällen der Erteilung oder Ausdehnung der Lenkberechtigung bei der Wohnsitzbehörde anzufragen, ob und gegebenenfalls welche Delikte für diesen Antragsteller vorliegen.
Sonderfälle der Entziehung
§26. (1) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges erstmalig eine Übertretung gemäß § 99 Abs 1b StVO 1960 begangen, so ist, wenn es sich nicht um einen Lenker eines Kraftfahrzeuges der Klasse C oder D handelt und zuvor keine andere der in § 7 Abs 3 Z 1 und 2 genannten Übertretungen begangen wurde, die Lenkberechtigung für die Dauer von einem Monat zu entziehen. Wenn jedoch
1. auch eine der in § 7 Abs 3 Z 4 bis 6 genannten Übertretungen vorliegt, oder
2. der Lenker bei Begehung dieser Übertretung einen Verkehrsunfall verschuldet hat,
so hat die Entziehungsdauer mindestens drei Monate zu betragen.
Wenn jedoch eine der in § 7 Abs 3 Z 3 genannten Übertretungen vorliegt, so hat die Entziehungsdauer mindestens sechs Monate zu betragen. § 25 Abs 3 zweiter Satz ist in allen Fällen sinngemäß anzuwenden.
(2) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges
1. erstmalig ein Delikt gemäß § 99 Abs 1 StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung auf die Dauer von mindestens sechs Monaten zu entziehen,
2. ein Delikt gemäß § 99 Abs 1 StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs 1 StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens zwölf Monate zu entziehen,
3. ein Delikt gemäß § 99 Abs 1a oder 1b StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß § 99 Abs 1 StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens acht Monate zu entziehen,
4. erstmalig ein Delikt gemäß § 99 Abs 1a StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung auf die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen,
5.-7- [...]
(2a)-(4) [...]
(5) Eine Übertretung gemäß Abs 1 oder 2 gilt als erstmalig, wenn eine vorher begangene Übertretung der gleichen Art zum Zeitpunkt der Begehung der neuerlichen Übertretung getilgt ist."
2. § 5 Abs 1 und § 99 StVO BGBl. 159/1969 idF
BGBl. I 518/1994 (§5 Abs 1) bzw. BGBl. I 34/2011 (§99) lauten auszugsweise (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"§5. Besondere Sicherungsmaßnahmen gegen Beeinträchtigung durch Alkohol.
(1) Wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet, darf ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder darüber oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber gilt der Zustand einer Person jedenfalls als von Alkohol beeinträchtigt.
§99. Strafbestimmungen.
(1) [...]
(1a) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 1200 Euro bis 4400 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von zehn Tagen bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,2 g/l (1,2 Promille) oder mehr, aber weniger als 1,6 g/l (1,6 Promille) oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l beträgt.
(1b)-(7) [...]"
III. Erwägungen
1. Prozessvoraussetzungen
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den antragstellenden unabhängigen Verwaltungssenat an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieser Behörde in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 140 B-VG bzw. des Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden unabhängigen Verwaltungssenates im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 14.464/1996, 15.293/1998, 16.632/2002, 16.925/2003).
Notwendige Voraussetzung für die Zulässigkeit ist
u. a. die genaue Bezeichnung der angefochtenen Gesetzesstelle; das Fehlen dieser Voraussetzung stellt einen Zurückweisungsgrund dar (vgl. zB VfSlg. 11.888/1988, 14.040/1995, 14.634/1996).
Unzulässig ist ein Antrag aber auch dann, wenn der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl. zB VfSlg. 13.299/1992, 14.740/1997).
1.2. Zur Zulässigkeit der Anträge, in "§26 Abs 1 u. im
Abs2 des Führerscheingesetzes 1997 - FSG, BGBl. I
Nr. 120/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 61/2011 - hier
anzuwenden iVm Z 4 leg.cit. - die Wortfolge ... oder
Inbetriebnehmen ..., in eventu im § 7 Abs 3 Z 1
Führerscheingesetz 1997 - FSG, BGBI. I Nr. 120/1997, in der
Fassung BGBl. I Nr. 61/2011, die Wortfolge ... oder in Betrieb
genommen ..." als verfassungswidrig aufzuheben:
1.2.1. Mit diesen beiden Anträgen wird die Aufhebung
der genannten Wortfolge entweder in § 26 Abs 1 und Abs 2 FSG
(Hauptantrag) oder in § 7 Abs 3 Z 1 FSG (1. Eventualantrag)
beantragt. Die vom UVS Oberösterreich geäußerten Bedenken
bestehen darin, dass es - im Lichte der Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichtshofes - unsachlich sei, auch die bloße
Inbetriebnahme eines Fahrzeuges mit Bestrafung bzw. Entziehung
der Lenkberechtigung zu sanktionieren. Die Aufhebung im in den
oben (Pkt. 1.2.) wiedergegebenen Anträgen genannten Umfang
würde aber diese Verfassungswidrigkeit nicht beseitigen, weil
eine Entziehung der Lenkberechtigung jeweils auf Grund der
verbleibenden Bestimmungen möglich wäre. Der Hauptantrag und
der 1. Eventualantrag sind daher als unzulässig
zurückzuweisen.
1.3. Zur Zulässigkeit des 2. Eventualantrages, "in beiden der oben genannten Gesetzesbestimmungen in der zitierten Fassung die genannten Wortwendungen als verfassungswidrig aufheben, und im § 5 Abs 1 der Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960, StF:
BGBl. Nr. 159/1960, in der Fassung BGBl. I Nr. 34/2011, im ersten Satz an dessen Ende die Worte ...'noch in Betrieb nehmen' und im § 99 Abs 1a StVO 1960, in der Fassung BGBI. I Nr. 34/2011, die Wortfolge ...'oder in Betrieb nimmt'" als verfassungswidrig aufzuheben:
1.3.1. Im Unterschied zu den unter Punkt III.1.2.
angeführten Anträgen zieht dieser Antrag den Anfechtungsumfang weit genug, um die behauptete Verfassungswidrigkeit sowohl für das Strafverfahren nach der StVO als auch für das Verfahren über die Entziehung der Lenkberechtigung zu beseitigen. Der Antrag ist insoweit zulässig.
1.3.2. Bei Behandlung der Berufung gegen die Entziehung der Lenkberechtigung hat der UVS Oberösterreich die §§7 und 26 FSG anzuwenden; diese Bestimmungen sind daher präjudiziell. Bei Behandlung der Berufung gegen die Bestrafung nach der StVO hat der UVS Oberösterreich jedenfalls § 99 Abs 1a StVO anzuwenden. Aber auch die Anwendung von § 5 Abs 1 StVO ist - anders als die Bundesregierung meint - zumindest denkmöglich iSd oben dargestellten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, denn bei Erlassung eines Bescheides in einem Verwaltungsstrafverfahren ist immer jene Bestimmung anzuführen, die übertreten wurde. § 5 Abs 1 StVO normiert ein Verbot, ein Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand in Betrieb zu nehmen. § 99 Abs 1a StVO legt fest, welche Sanktion an die Übertretung dieses Verbots geknüpft ist. Es ist somit denkmöglich, dass der UVS Oberösterreich (auch) § 5 Abs 1 StVO bei Beurteilung der Berufung anzuwenden hat, weshalb beide Bestimmungen im vorliegenden Fall präjudiziell sind.
1.3.3. Beim Ausgangsverfahren handelt es sich um ein Verwaltungsstrafverfahren, in dem § 5 Abs 1 StVO idF
BGBl. 518/1994 angewendet wurde, sodass sich ungeachtet des Umstandes, dass der UVS Oberösterreich § 5 Abs 1 StVO "idF BGBl. I 34/2011" angefochten hat, noch mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, welche Fassung der angefochtenen Bestimmung gemeint sein kann (vgl. VfSlg. 17.237/2004).
1.3.4. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist der 2. Eventualantrag zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg. 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg. 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
2.2. Der UVS Oberösterreich begründet seinen Antrag damit, dass die angefochtenen Bestimmungen durch die Auslegung des Begriffs "Inbetriebnehmen" in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, an die der UVS Oberösterreich gebunden sei, unsachlich werden, weil auch in Fällen mit geringem bis gar keinem Unrechtsgehalt eine Bestrafung bzw. die Entziehung der Lenkberechtigung drohe.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. VfSlg. 16.925/2003) eine Regelung, die auch Sachverhalte erfasst, bei denen ein Fahrzeug zwar noch nicht gelenkt wurde, aber bereits dem Lenken vorangehende Handlungen gesetzt wurden, nicht für unsachlich befunden. Wie die Bundesregierung zutreffend ausführt, könnten ohne die Sanktionierung der Inbetriebnahme eines Fahrzeuges in vielen Fällen Schutzbehauptungen der Beschuldigten nicht widerlegt werden.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der 2. Eventualantrag des UVS Oberösterreich war daher abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.