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VfGH vom 13.12.2007, g16/07

VfGH vom 13.12.2007, g16/07

Sammlungsnummer

18321

Leitsatz

Keine sachliche Rechtfertigung der niedrigeren Höchststrafe bei Übertretung des Verbots von an Verbraucher gerichteter Telefonwerbung für Finanzprodukte im Wertpapieraufsichtsgesetz als Spezialregelung in Hinblick auf die generelle Regelung für unerbetene Anrufe im Telekommunikationsgesetz und die korrespondierende Strafbestimmung

Spruch

Die Folge "Anrufe," in § 12 Abs 3 des Wertpapieraufsichtsgesetzes, BGBl. Nr. 753/1996 in der Fassung BGBl. I Nr. 97/2001, war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist eine Beschwerde eines ehemaligen Vorstandsmitgliedes einer Aktiengesellschaft anhängig, mit der sich der Beschwerdeführer gegen einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien wendet, mit dem seiner Berufung gegen ein Straferkenntnis der Finanzmarktaufsicht (im Folgenden: FMA) vom insoweit Folge gegeben wurde, als die von der FMA gemäß § 12 Abs 3 iVm § 27 Abs 2 Wertpapieraufsichtsgesetz, BGBl. 753/1996 (im Folgenden: WAG), verhängte Geldstrafe und die Ersatzfreiheitsstrafe herabgesetzt wurden, der Schuldspruch der ersten Instanz hingegen bestätigt wurde. Er habe es zu verantworten, dass Mitarbeiter des Unternehmens, dessen Vorstandsmitglied der Beschwerdeführer war, im Namen und am Sitz dieses Unternehmens im Dezember 2002 telefonische Werbung für die in § 1 Abs 1 Z 7 litb bis f des Bankwesengesetzes, BGBl. 532/1993, genannten Instrumente und für Instrumente, Verträge und Veranlagungen gemäß § 11 Abs 1 Z 3 WAG gegenüber einem Verbraucher betrieben hätten.

Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Z A2007/0011, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG folgenden Antrag gestellt:

"I. 1. festzustellen, dass die in § 12 Abs 3 des Wertpapieraufsichtsgesetzes (im Folgenden: WAG), BGBl. Nr. 753/1996 in der Fassung dieses Absatzes nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 97/2001, enthaltene Folge 'Anrufe,' verfassungswidrig war;

hilfsweise

2. festzustellen, dass die in der vorzitierten Bestimmung enthaltene Folge 'Instrumente, Verträge und Veranlagungen gemäß § 11 Abs 1 Z 3' verfassungswidrig war;

hilfsweise

3. festzustellen, dass § 12 Abs 3 WAG in der vorzitierten Fassung zur Gänze verfassungswidrig war;

hilfsweise,

II. 1. die unter I. 1. genannte Folge als verfassungswidrig aufzuheben;

hilfsweise,

2. die unter I. 2. genannte Folge als verfassungswidrig aufzuheben;

hilfsweise,

3. den unter I. 3. genannten Absatz als verfassungswidrig aufzuheben;

hilfsweise,

III. 1. festzustellen, dass die in § 27 Abs 2 WAG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 97/2001 enthaltene Folge '§12 bis' verfassungswidrig war;

hilfsweise

2. festzustellen, dass § 27 Abs 2 WAG in der vorzitierten Fassung zur Gänze verfassungswidrig war;

hilfsweise

IV. 1. die unter III. 1. genannte Folge als verfassungswidrig aufzuheben;

2. den unter III. 2. genannten Absatz als verfassungswidrig aufzuheben."

2. Der Verwaltungsgerichtshof stellt die für seine Entscheidung maßgebende Rechtslage wie folgt dar (die als verfassungswidrig erkannte Folge ist in der Wiedergabe der Bestimmung hervorgehoben):

"§11 Abs 1 Z 3 litb WAG in der Stammfassung dieses Gesetzes BGBl. Nr. 753/1996 lautet:

'Wohlverhaltensregeln

§11. (1) Bei der Erbringung von gewerblichen Dienstleistungen, die mit Wertpapieren oder der sonstigen Veranlagung des Vermögens von Kunden in Zusammenhang stehen, sind die Interessen der Kunden bestmöglich zu wahren, und insbesondere die §§12 bis 18 zu beachten. Als Dienstleistungen in diesem Sinne gelten:

...

3. der Handel mit

...

b) Verträgen über Edelmetalle und Waren gemäß Z 2 lite, 4 und 5 der Anlage 2 zu § 22 BWG ...'

In der Anlage 2 zu § 22 BWG in der Fassung des BGBl. Nr. 753/1996 sind unter Z 5 Warenverträge, ausgenommen Edelmetallverträge, angeführt.

§ 12 Abs 3,§ 27 Abs 2 und § 28 Abs 1 WAG in ihrer im Zeitpunkt der inkriminierten Anrufe in Kraft gestandenen Fassung des BGBl. I Nr. 97/2001 lauten:

'§12. ...

...

(3) Anrufe, das Senden von Fernkopien und die Zusendung von elektronischer Post zur Werbung für eines der in § 1 Abs 1 Z 7 litb bis f BWG genannten Instrumente und für Instrumente, Verträge und Veranlagungen gemäß § 11 Abs 1 Z 3 ist gegenüber Verbrauchern verboten, sofern der Verbraucher nicht zuvor sein Einverständnis erklärt hat. Dem Einverständnis des Verbrauchers steht eine Einverständniserklärung jener Person gleich, die vom Verbraucher zur Benützung seines Anschlusses oder Empfangsgerätes ermächtigt wurde. In allen Fällen kann die erteilte Einwilligung jederzeit widerrufen werden.

...

§ 27. ...

(2) Wer als Anbieter von Wertpapierdienstleistungen gemäß § 11 die Bestimmungen der §§12 bis 18 verletzt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 20 000 € zu bestrafen.

...

§28. (1) Für die Verhängung von Verwaltungsstrafen gemäß §§26 Abs 1 und 27 Abs 1 bis 3b ist in erster Instanz die FMA zuständig.'

Gemäß § 34 Abs 11 und 12 WAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 97/2001 traten die Bestimmung des § 27 Abs 2 mit und die Bestimmungen des § 12 Abs 3 und § 28 Abs 1 WAG mit in Kraft.

In den Materialien zum Finanzmarktaufsichtsgesetz, BGBl. I Nr. 97/2001, (AB 714 BlgNR XXI. GP, 6) heißt es zu § 12 Abs 3 WAG, dessen Fassung auf den Ausschussbericht zurückgeht, auszugsweise:

'Der derzeitigen Fassung des § 12 Abs 3 ist auf Grund des § 101 TKG materiell derogiert worden (VwGH-Erkenntnis vom , 2000/17/0001). Es erscheint jedoch sinnvoll, dass der Vollzug und die Ahndung von Verstößen gegen die für Finanzdienstleistungen geltenden Vorschriften bei der FMA konzentriert werden. Daher wird durch die Neuerlassung von § 12 Abs 3 die entsprechende Kompetenz der Aufsichtsbehörde'rück'übertragen (früher BWA-Kompetenz).

Materiell wurde der Tatbestand des § 12 Abs 3 dem geltenden § 101 TKG angepasst und umfasst daher jetzt auch das Senden von Fernkopien (Fax) sowie elektronische Post (E-Mails). ...'

Vor seiner Novellierung durch das eben zitierte Bundesgesetz hatte § 12 Abs 3 WAG wie folgt gelautet:

'(3) Die telephonische Werbung für eines der in § 1 Abs 1 Z 7 litb bis f BWG genannten Instrumente und für Instrumente, Verträge und Veranlagungen gemäß § 11 Abs 1 Z 3 ist gegenüber Verbrauchern verboten, sofern der Verbraucher nicht zuvor sein Einverständnis mit einem solchen Anruf erklärt hat oder wenn nicht mit dem Verbraucher bereits eine Geschäftsbeziehung besteht, es sei denn, dass er die telephonische Werbung abgelehnt hat.'

§ 12 Abs 3 WAG wurde - nach Ergehen des erstinstanzlichen Straferkenntnisses - durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 62/2004 neu gefasst. Gemäß § 34 Abs 14 WAG in der Fassung BGBl. I Nr. 62/2004 trat

§12 Abs 3 WAG in der Fassung dieser Novelle am in Kraft.

§ 27 Abs 2 WAG wurde durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 48/2006 (unter Erhöhung der Strafdrohung) neu gefasst.

§ 101 Telekommunikationsgesetz - TKG 1997, BGBl. I Nr. 100, in der im Zeitpunkt der inkriminierten Anrufe gültigen Fassung BGBl. I Nr. 188/1999 lautet:

'Unerbetene Anrufe

§ 101. Anrufe - einschließlich das Senden von Fernkopien - zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung des Teilnehmers sind unzulässig. Der Einwilligung des Teilnehmers steht die Einwilligung einer Person, die vom Teilnehmer zur Benützung seines Anschlusses ermächtigt wurde, gleich. Die erteilte Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden; der Widerruf der Einwilligung hat auf ein Vertragsverhältnis mit dem Adressaten der Einwilligung keinen Einfluss. Die Zusendung einer elektronischen Post als Massensendung oder zu Werbezwecken bedarf der vorherigen - jederzeit widerruflichen - Zustimmung des Empfängers.'

§ 104 Abs 3 Z 24 und Abs 4 TKG 1997 in der im Zeitpunkt der inkriminierten Anrufe gültigen Fassung (Abs3 erster Satz in der Fassung BGBl. I Nr. 32/2002, die Z 24 des Abs 3 in der Fassung BGBl. I Nr. 188/1999 [Änderung der Ziffernbezeichnung durch das BGBl. I Nr. 26/2000], Abs 4 in der Stammfassung BGBl. I Nr. 100/1997) lauten:

'Verwaltungsstrafbestimmungen

§ 104. ...

...

(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 36 336 Euro zu bestrafen, wer

...

24. entgegen § 101 unerbetene Anrufe oder die Zusendung einer elektronischen Post als Massensendung oder zu Werbezwecken tätigt.

(4) Eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs 1 bis 3 liegt nicht vor, wenn die Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet oder nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist.'

Diese Bestimmungen traten mit Inkrafttreten des Telekommunikationsgesetzes 2003, BGBl. I Nr. 70, mit Ablauf des - also gleichfalls nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides - außer Kraft.

Gemäß § 1 Abs 2 VStG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, dass das zur Zeit der Fällung des Bescheides in erster Instanz geltende Recht für den Täter günstiger wäre.

Nach der zuletzt genannten Bestimmung hatte der Verwaltungsgerichtshof § 12 Abs 3 und § 27 Abs 2 WAG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 97/2001 anzuwenden. Weiters waren die wiedergegebenen Fassungen der Bestimmungen des TKG 1997 anzuwenden.

Das inkriminierte Verhalten stellt einen Anruf dar, sodass jedenfalls die Folge 'Anrufe,' in § 12 Abs 3 WAG präjudiziell ist. Geworben wurde für Verträge und Veranlagungen gemäß § 11 Abs 1 Z 3 WAG, sodass auch diese Wortfolge in § 12 Abs 3 leg. cit. präjudiziell ist. Weiters ist jedenfalls § 27 Abs 2 WAG in der genannten Fassung insofern präjudiziell, als er sich auf Verletzungen des § 12 leg. cit. bezieht.

Zur Auslegung der in Rede stehenden Gesetzesbestimmungen:

Die Strafbestimmung des § 12 Abs 3 WAG in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung des BGBl. I Nr. 97/2001 pönalisiert in Verbindung mit § 27 Abs 2 WAG die telefonische Werbung, das Senden von Fernkopien und die Zusendung von elektronischer Post zur Werbung für eines der in § 1 Abs 1 Z 7 litb bis f BWG genannten Instrumente und für Instrumente, Verträge und Veranlagungen gemäß § 11 Abs 1 Z 3 WAG, zu denen gemäß Z 5 der Anlage 2 zu § 22 BWG auch Warenverträge zählen, gegenüber Verbrauchern, es sei denn, es liege ein Einverständnis des Verbrauchers vor. Die Norm des § 101 TKG 1997 stellt in Verbindung mit § 104 Abs 3 leg. cit. Anrufe, das Senden von Fernkopien und die Zusendung einer elektronischen Post als Massensendung oder zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung (Zustimmung) des Teilnehmers unter Strafe. Stets dürfte daher ein gemäß § 12 Abs 3 WAG strafbares Verhalten auch den Tatbestand des § 101 TKG 1997 erfüllen. Demgegenüber geht der Anwendungsbereich des § 101 TKG 1997 über jenen des § 12 Abs 3 WAG beträchtlich hinaus und erfasst Anrufe, das Senden von Fernkopien und die Zusendung einer elektronischen Post als Massensendung oder zu Werbezwecken für welche Waren oder Dienstleistungen auch immer. Er enthält auch keine Einschränkung auf Werbung gegenüber Verbrauchern.

Aus dem Vorgesagten ergibt sich, dass die Strafbestimmung des § 12 Abs 3 in Verbindung mit § 27 Abs 2 WAG in der hier anzuwendenden Fassung gegenüber jener des § 101 in Verbindung mit § 104 Abs 3 TKG 1997 die speziellere Norm darstellen dürfte. Darüber hinaus ist die erstgenannte Strafbestimmung gegenüber der zweitgenannten Strafbestimmung 'lex posterior'. Sowohl nach der Derogationsregel, wonach die speziellere Norm der generellen derogiert, als auch nach jener, wonach die spätere Norm der früheren derogiert, dürfte folgen, dass die in Rede stehenden Normen solcherart im Verhältnis der Scheinkonkurrenz zueinander stehen, dass die Anwendung der erstgenannten Strafbestimmung jener der zweitgenannten vorgeht (Spezialität). Ein diesbezüglicher gesetzgeberischer Wille ist auch aus den oben wiedergegebenen Materialien zu § 12 Abs 3 WAG in der hier anzuwendenden Fassung ersichtlich.

Eine Auslegung, wonach (dessen ungeachtet) § 101 in Verbindung mit § 104 Abs 3 TKG 1997 dem § 12 Abs 3 in Verbindung mit § 27 Abs 2 WAG vorgehe, lässt sich anscheinend auch nicht auf § 104 Abs 4 TKG 1997 stützen, zumal dieser Gesetzesbestimmung keine Anordnung zu entnehmen ist, wonach § 104 Abs 3 TKG auch später erlassenen spezielleren, mit milderer Strafe bedrohter Strafbestimmungen vorgehe."

3. Seine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der von ihm angefochtenen Bestimmungen legt der Verwaltungsgerichtshof wie folgt dar:

"Damit dürfte sich aber ergeben, dass § 12 Abs 3 in Verbindung mit § 27 Abs 2 WAG die telefonische Werbung für die in der genannten Bestimmung angeführten Instrumente, Verträge und Veranlagungen bei Konsumenten gegenüber jeder Art sonstiger Telefonwerbung (sowohl gegenüber Konsumenten als auch gegenüber Unternehmern) verwaltungsstrafrechtlich privilegiert, weil § 27 Abs 2 WAG eine mildere (€ 20.000,--) Strafdrohung vorsieht als § 104 Abs 3 TKG 1997 (€ 36.363,--). Gegen die privilegierte Strafbarkeit des genannten Verhaltens bestehen beim Verwaltungsgerichtshof Bedenken vor dem Hintergrund des in Art 7 Abs 1 B-VG verankerten Gleichheitssatzes, zumal eine sachliche Rechtfertigung für die Privilegierung gerade der Telefonwerbung für die mit hohen Anlagerisken verbundenen, in § 12 Abs 3 WAG genannten Instrumente, Verträge und Veranlagungen und |berdies just gegenüber Verbrauchern nicht bestehen dürfte."

4. Zum Umfang seiner Anfechtung meint der Verwaltungsgerichtshof:

"Der Verwaltungsgerichtshof geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass der unter I. 1. genannte Antrag den geringsten Eingriff darstellt, zumal sich diesfalls ein entsprechendes Verbot auch aus § 101 erster Satz TKG 1997 ableiten ließe, also lediglich die privilegierte Strafdrohung für die in § 12 Abs 3 WAG genannten Anrufe wegfiele. Es ließe sich aber auch die Auffassung vertreten, dass die Anfechtung der unter I. 2. genannten Wortfolge den geringsten Eingriff darstellt. Dabei geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die Anfechtung die gesamte Wortfolge zu erfassen hat, weil bei Wegfall nur einer der drei dort genannten Anlageformen eine Subsumtion der hier beworbenen Anlage auch unter einer der beiden anderen Begriffe (die entsprechend weit gefasst sind) in Betracht käme. Schließlich ließe sich die Auffassung vertreten, zur Herstellung der Verfassungskonformität sei die Aufhebung des § 12 Abs 3 WAG insgesamt erforderlich, woraus sich der unter I. 3. genannte Anfechtungsantrag erklärt.

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof jedoch die Auffassung vertritt, den geringstmöglichen Eingriff stelle eine Aufhebung der Strafnorm (und nicht des Verbotes) dar, wurde der unter

III. 1. bzw. bei weiterer Auffassung des zutreffenden Anfechtungsumfanges der unter III. 2. enthaltene Antrag gestellt."

II. 1. Die Bundesregierung erstattete hiezu eine Äußerung, in der sie beantragt,

"der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, dass die angefochtene Folge "Anrufe," in § 12 Abs 3 Wertpapieraufsichtsgesetz, BGBl. Nr. 753/1996, in der Fassung BGBl. I Nr. 97/2001 nicht verfassungswidrig war bzw. nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird."

2. Zu den Prozessvoraussetzungen führt die Bundesregierung aus, dass zwar § 12 Abs 3 iVm § 27 Abs 2 WAG angewendet wurden, jedoch als geeignete Norm für eine etwaige Feststellung der Verfassungswidrigkeit nur die Folge "Anrufe," in § 12 Abs 3 WAG in Frage komme.

3. Die Bundesregierung verweist hinsichtlich der Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes zunächst darauf, dass es - soweit ersichtlich - keinen Präzedenzfall gebe, in dem ein Gericht die Verfassungswidrigkeit einer Strafdrohung in der (vergleichsweise) zu niedrigen Höhe gesehen hat. Auch stehe den Behörden bei der Strafzumessung ein erheblicher Ermessensspielraum zur Verfügung, sodass sie sich nicht gleichsam "mechanisch" nach der Höchststrafe orientieren.

Der "Bank- und Wertpapierdienstleistungsbereich" (zB WAG) und der "Telekommunikationsbereich" seien verschiedene "Ordnungssysteme". Es liege daher im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, innerhalb dieser beiden "Ordnungssysteme" unterschiedliche Strafhöhen festzulegen.

Die Bundesregierung stellt auch in Frage, ob - im Gegensatz zur Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichtshofs - Anrufe gegenüber Unternehmern, bei denen die in § 12 Abs 3 WAG genannten Finanzprodukte angeboten werden, überhaupt nach dem Telekommunikationsgesetz 2003, BGBl. I 70 (im Folgenden: TKG), unzulässig seien.

Der Gleichheitssatz sollte nach Ansicht der Bundesregierung auch nicht derart ausgelegt werden, dass die Änderung in einem Ordnungssystem (hier nach dem TKG) zu einem zwingenden gesetzlichen Handlungsbedarf in einem anderen Ordnungssystem (hier dem WAG) führt. Auch eine allfällige spätere Erhöhung der Strafdrohung ändere nichts an der Sachlichkeit früherer Strafdrohungen in einem anderen Ordnungssystem. In diesem Zusammenhang nennt die Bundesregierung die Novellierung des § 27 Abs 2 WAG durch Art 12 des Finanzmarktaufsichtsänderungsgesetzes 2005, BGBl. I 48/2006, mit dem die Höchststrafe von zuletzt € 20.000,-- auf € 50.000,-- hinaufgesetzt wurde, wogegen andererseits in § 109 Abs 3 TKG 2003 idF BGBl. I 133/2005 die Höchststrafe nur € 37.000,-- betrage, sodass nunmehr die Höchststrafe für unerbetene Werbung nach dem WAG gegenüber Verbrauchern höher als jene nach dem TKG sei.

Abschließend wies die Bundesregierung darauf hin, dass der Entfall der speziellen Strafbarkeit nach dem WAG auch den Entfall der Zuständigkeit der FMA zur Folge habe, was dem (historischen) Willen des Gesetzgebers des WAG widerspreche.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über den Antrag des Verwaltungsgerichtshofs erwogen:

1. In Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren, die durch Antrag eines dazu ermächtigten Gerichtes eingeleitet werden, ist der Verfassungsgerichtshof nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 140 B-VG bzw. des Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Der Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen ist derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg. 7376/1974, 9374/1982, 11.506/1987, 15.599/1999, 16.195/2001).

Dass der Verwaltungsgerichtshof die in seinem Hauptantrag genannten Bestimmungen des WAG anzuwenden hat, steht außer Zweifel. Der Verwaltungsgerichtshof beschränkt seine Anfechtung auch auf die Folge "Anrufe," und grenzt damit seinen Antrag derart ab, dass aus dem Rechtsbestand nicht mehr ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist. Der Hauptantrag ist daher zulässig.

2. Der Verfassungsgerichtshof folgt der Darstellung der Rechtslage durch den Verwaltungsgerichtshof und teilt auch dessen Auslegung, wonach § 12 Abs 3 iVm § 27 Abs 2 WAG gegenüber jener des § 101 iVm § 104 Abs 3 TKG 1997 die speziellere Norm ist, sodass für unerbetene Anrufe, die nicht in den Anwendungsbereich des § 12 Abs 3 WAG fallen, - gemäß der für das Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof maßgebenden Rechtslage - weiterhin § 101 TKG 1997 anzuwenden war.

3. Der Spezialtatbestand des § 12 Abs 3 WAG enthält gegenüber dem umfassenden Anwendungsbereich des § 101 TKG 1997 zwei Einschränkungen: Er bezieht sich nur auf die Werbung für bestimmte Finanzprodukte; und er betrifft nur Anrufe, bei denen der Angerufene ein Verbraucher ist.

Entgegen der Meinung der Bundesregierung stehen einander nicht zwei Ordnungssysteme gegenüber, die jeweils innerhalb ihres Systems unterschiedliche in sich geschlossene Strafbestimmungen aufweisen und bei denen es dem Gesetzgeber frei stehe, auch unterschiedliche Strafdrohungen vorzusehen, etwa weil er die Art der Werbung oder die Bedeutung des Verbraucherschutzes verschieden bewertet. Dies läge tatsächlich in seinem rechtspolitischen Ermessen. Vielmehr verbietet er in zwei unterschiedlichen Gesetzen die Telefonwerbung auch für Finanzprodukte, unterscheidet aber hinsichtlich der Sanktionen, ob der Telefonteilnehmer (Adressat der Werbung) Verbraucher oder Unternehmer ist, und sieht für jene Fälle, bei denen in die Interessenssphäre von Verbrauchern eingegriffen wird, eine niedrigere Höchststrafe vor.

4. Für diese Differenzierung ist keine sachliche Rechtfertigung zu erkennen. Vielmehr dürfte sie bloß auf den Mangel der Koordination zwischen Ministerien bei der Vorbereitung der Gesetze zurückzuführen sein.

5. Der Bundesregierung ist durchaus zuzugestehen, dass Höchststrafen selten verhängt werden und die Behörde bei der Zumessung einer konkreten Strafe einen erheblichen Ermessensspielraum hat. Dennoch ist bei der Zumessung einer Strafe der Strafrahmen von besonderer Bedeutung, da er die Einschätzung des Gesetzgebers über die Verwerflichkeit einer Tat ausdrückt. Daher wird die Behörde bei einem vergleichbaren Verhalten und Grad des Verschuldens die Strafe je nach dem ihr für einen bestimmten Tatbestand zur Verfügung stehenden Strafrahmen unterschiedlich zumessen. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Strafrahmen selbst bei Wiederholungstätern nicht ausgeschöpft wird.

IV. Da § 12 Abs 3 WAG in der angefochtenen Fassung mit BGBl. I 62/2004 (Inkrafttreten am ) geändert wurde, war dem Hauptantrag des Verwaltungsgerichtshofs stattzugeben und nur festzustellen, dass die in § 12 Abs 3 WAG enthaltene Folge "Anrufe," verfassungswidrig war.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.