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VfGH vom 27.06.1991, G158/91

VfGH vom 27.06.1991, G158/91

Sammlungsnummer

12784

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der finanzausgleichsrechtlichen Begünstigung der "Wiener Randgemeinden" bei Verteilung der Ertragsanteile an gemeinschaftlichen Bundesabgaben seit dem FAG 1989; keine sachliche Rechtfertigung der Unterscheidung zwischen den ehemals zu Wien gehörenden Gemeinden und anderen Gemeinden in ähnlicher geographischer Lage; Notwendigkeit der Beseitigung bzw des schrittweisen Abbaus der privilegierenden Verteilungsregelung durch den Gesetzgeber ab dem FAG 1989 im Hinblick auf die vorangegangenen Finanzausgleichsverhandlungen; keine Gleichheitswidrigkeit der analogen Regelung im FAG 1985 angesichts mangelnder Vorberatungen und damit entsprechender Finanzplanung der betroffenen Gemeinden; Nichterreichung des Ziels der Herbeiführung eines bundesweiten Ausgleichs zwischen den den Gemeinden zustehenden Finanzmitteln durch Gewährung der als Schlüsselzuweisungen zu wertenden Finanzzuweisungen gemäß § 21 FAG 1985 und FAG 1989 auf Grund der länderweisen Vorverteilung nach der Volkszahl; keine Aufhebung des § 21 FAG 1985 und FAG 1989, andernfalls Störung des Gesamtsystems des Finanzausgleichs und damit Widerspruch zu § 4 F-VG 1948

Spruch

1.a) § 8 Abs 3 vorletzter Satz des Finanzausgleichsgesetzes 1989 (FAG 1989), BGBl. Nr. 687/1988, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Diese Gesetzesbestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

b) § 8 Abs 3 vorletzter Satz des Finanzausgleichsgesetzes 1985 (FAG 1985), BGBl. Nr. 544/1984 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 384/1986, war nicht verfassungswidrig.

2.a) § 21 FAG 1989 wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

b) § 21 FAG 1985 war nicht verfassungswidrig.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Beim Verfassungsgerichtshof sind zu A7/90, A640/90, A641/90, A1163/90 und A2158/90 Verfahren über (auf Art 137 B-VG gestützte) Klagen von Gebietskörperschaften anhängig, mit denen jeweils gegen eine oder mehrere andere Gebietskörperschaft(en) bestimmte vermögensrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden. Die Forderungen werden ausschließlich damit begründet, daß in den Klagen näher bezeichnete finanzausgleichsrechtliche Bestimmungen (nämlich in allen Klagen (u.a.) § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 und FAG 1989, in den zu A641/90 und A1163/90 erhobenen Klagen darüber hinaus § 21 FAG 1985 und FAG 1989) verfassungswidrig seien. Eine verfassungskonforme Regelung hätte zur Folge, daß ein Teil der Gemeinden aus dem Finanzausgleich zu wenig erhalten habe - diese Gemeinden stellen daher Nachforderungsansprüche -, und daß ein anderer Teil der Gemeinden zu viel bekommen habe - was zu Rückforderungsansprüchen führt.

b) Der Verfassungsgerichtshof hat am beschlossen, aus näher dargelegten Gründen (s.u. II.A.3. und II.B.3.) gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen folgende Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten:

aa) Aus Anlaß der zu A7/90, A640/90 und A2158/90 erhobenen Klagen Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs 3 vorletzter Satz des Finanzausgleichsgesetzes 1985 (FAG 1985), BGBl. 544/1984 in der Fassung der Novelle BGBl. 384/1986, sowie des § 8 Abs 3 vorletzter Satz des Finanzausgleichsgesetzes 1989 (FAG 1989), BGBl. 687/1988, sowie

bb) aus Anlaß der zu A641/90 und A1163/90 erhobenen Klagen Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 und des § 21 FAG 1985 sowie des § 8 Abs 3 vorletzter Satz und des § 21 FAG 1989.

2.a) Im Gesetzesprüfungsverfahren erstattete die Bundesregierung eine Äußerung. Sie beantragt, § 8 Abs 3 vorletzter Satz und § 21 FAG 1989 nicht als verfassungswidrig aufzuheben, sowie auszusprechen, daß § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 und § 21 FAG 1985 nicht verfassungswidrig waren (s.u. II.A.3. und II.B.3.b.). Sie regt für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof anders entscheiden sollte, an, von Art 140 Abs 7 zweiter Satz (zweiter Halbsatz) B-VG Gebrauch zu machen.

Ferner gaben im Gesetzesprüfungsverfahren zwei Beteiligte (nämlich Parteien in den Anlaß-Klageverfahren A1163/90 und A2158/90), und zwar die Gemeinden Andau und Eisenstadt, Äußerungen ab. Sie unterstrichen die vom Verfassungsgerichtshof geäußerten Bedenken.

b) Wegen der möglichen besonderen Bedeutung, die das Ergebnis dieses Gesetzesprüfungsverfahrens auch für die anderen Gebietskörperschaften haben kann, wurden sämtliche Landesregierungen sowie der Österreichische Städtebund und der Österreichische Gemeindebund eingeladen, Stellungnahmen abzugeben. Hievon machten die Kärntner, Niederösterreichische, Salzburger, Tiroler, Vorarlberger und Wiener Landesregierung sowie der Österreichische Städtebund Gebrauch.

Die Kärntner, Salzburger, Tiroler und Vorarlberger Landesregierung erachten § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 und 1989 als verfassungswidrig. Die Niederösterreichische Landesregierung tritt den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entgegen. Die Wiener Landesregierung meint, die im FAG 1985 enthaltene Regelung sei verfassungsrechtlich unbedenklich. (Näheres s.u. II.A.3.).

Die Niederösterreichische Landesregierung gab zu § 21 FAG 1985 und 1989 keine Äußerung ab. Die Kärntner Landesregierung hält zwar die länderweise Vorverteilung als solche für verfassungskonform; sie wendet sich aber gegen die länderweise Vorverteilung nach der Volkszahl. Die übrigen Landesregierungen treten dafür ein, § 21 FAG 1985 und 1989 nicht als verfassungswidrig zu erkennen.

Der Österreichische Städtebund verteidigt die Verfassungsmäßigkeit des § 21 FAG und betont, daß er sich in Ansehung des § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 pakttreu verhalten wolle.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zu § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 (idF der Novelle 1986) und § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1989

1. Zur Rechtslage

a) Alle klagenden Gebietskörperschaften stützen die Klagebegehren darauf, daß für jeweils näher bezeichnete Zeiträume ab 1985 die Ertragsanteile an den meisten gemeinschaftlichen Bundesabgaben nach einem Schlüssel verteilt würden, der verfassungswidrig sei.

U.a. bringen sie Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der für die sogenannten "Wiener Randgemeinden" geltenden besonderen Verteilungsregel vor.

b) Durch das Gebietsänderungsgesetz, BGBl. 110/1954, wurden Gebiete, die 1938 der Stadt Wien einverleibt worden waren, als eigene Gemeinden an das Land Niederösterreich rückgegliedert. Mit der 2. Finanzausgleichsgesetznovelle 1954, BGBl. 150, wurde für diese Gemeinden (im folgenden kurz: "Wiener Randgemeinden") eine finanzausgleichsrechtliche Begünstigung eingeführt: Ihnen gebührte bei Bildung des (für die Verteilung der Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben maßgebenden) abgestuften Bevölkerungsschlüssels der höchste, nämlich der für Gemeinden mit über 50.000 Einwohnern sowie für die Stadt Wien geltende Vervielfältiger (2 1/3), anstatt des sich aufgrund ihrer Einwohnerzahl sonst ergebenden Vervielfältigers von 1 1/6 bis 2. In der Finanzausgleichsgesetznovelle 1955, BGBl. 9, wurde normiert, daß für die Wiener Randgemeinden in jedem Falle der für die Stadt Wien geltende Vervielfältiger anzuwenden ist. Diese Begünstigung wurde in den folgenden Finanzausgleichsgesetzen beibehalten.

c) Diese Sonderregelung enthielt für die Jahre 1985 bis 1988 § 8 Abs 3 vorletzter Satz des FAG 1985. Zwar wurde der gesamte § 8 des FAG 1985 in der Stammfassung (BGBl. 544/1984) mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G44/85 u.a. Zlen. (= VfSlg. 10.633/1985), mit Wirksamkeit vom als verfassungswidrig aufgehoben. Mit der FAG-Nov. BGBl. 384/1986 wurde jedoch § 8 mit demselben Wortlaut wieder erlassen. Der Begründung der seinerzeitigen Aufhebung des § 8 trug der Gesetzgeber durch Einfügen eines § 20 Abs 4 Rechnung. (Näheres siehe , S. 4 f.). Die FAG-Nov. BGBl. 607/1987 ließ § 8 Abs 3 vorletzter Satz unberührt.

Für die Jahre 1989 bis 1992 ist die erwähnte, die Wiener Randgemeinden begünstigende Regelung im § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1989, BGBl. 687/1988, enthalten. Diese Bestimmung wurde durch die Novellen BGBl. 463/1990 und 69/1991 nicht geändert.

d) Dem § 8 Abs 1 FAG 1985 und 1989 zufolge werden die Erträge der meisten gemeinschaftlichen Bundesabgaben zwischen dem Bund, den Ländern (als Gesamtheit) und den Gemeinden (als Gesamtheit) nach einem bestimmten Hundertsatzverhältnis geteilt.

Der folgende Abs 2 legt die Schlüssel fest, nach denen die gemäß Abs 1 auf die Länder und die Gemeinden entfallenden Teile der Erträge auf die einzelnen Länder und länderweise auf die Gemeinden aufgeteilt werden. Vielfach erfolgt die Aufteilung auf die Länder nach der Volkszahl und auf die Gemeinden nach dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel.

Näheres über die Volkszahl und den abgestuften Bevölkerungsschlüssel bestimmen § 8 Abs 3 FAG 1985 und - völlig gleichlautend - § 8 Abs 3 FAG 1989 (der in Prüfung gezogene vorletzte Satz ist hervorgehoben):

"(3) Die Volkszahl bestimmt sich nach dem vom Österreichischen Statistischen Zentralamt auf Grund der letzten Volkszählung festgestellten Ergebnis. Dieses Ergebnis wirkt mit dem Beginn des dem Stichtag der Volkszählung nächstfolgenden Kalenderjahres. Der abgestufte Bevölkerungsschlüssel wird folgendermaßen gebildet:

Die ermittelte Volkszahl der Gemeinden wird bei Gemeinden mit höchstens

10 000 Einwohnern mit ...........................1 1/3,

bei Gemeinden mit 10 001 bis 20 000

Einwohnern mit ..................................1 2/3,

bei Gemeinden mit 20 001 bis 50 000

Einwohnern und bei Städten mit eigenem Statut

mit höchstens 50 000 Einwohnern mit .............2

und bei Gemeinden mit über 50 000

Einwohnern und der Stadt Wien mit ...............2 1/3

vervielfacht. Für die Gemeinden, die auf Grund des Gebietsänderungsgesetzes, BGBl. Nr. 110/1954, an das Bundesland Niederösterreich rückgegliedert worden sind, ist in jedem Fall der für die Stadt Wien geltende Vervielfältiger anzuwenden. Die länderweise Zusammenzählung der so ermittelten Gemeindezahlen ergibt die abgestuften Bevölkerungszahlen der Länder."

2. Zur Zulässigkeit

a) Der Verfassungsgerichtshof wird über die Klagen, die Anlaß zur Einleitung dieser Gesetzesprüfungsverfahren sind, in der Sache zu entscheiden haben; dies unabhängig davon, welche Gebietskörperschaft(en) jeweils passiv klagslegitimiert ist (sind).

b) Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 9280/1981, Pkt. II.A.2., dargetan hat, können die einzelnen Gemeinden bei Realisierung ihres Rechtsanspruches auf Überweisung der ihnen an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben gebührenden Ertragsanteile gegenüber dem Land auch behauptete Rechtswidrigkeiten geltend machen, die ihre Grundlage in den dem Bund obliegenden Teilungsvorgängen der vorangegangenen Phasen haben. Überhaupt ist es zulässig, finanzausgleichsrechtliche Forderungen einer Gebietskörperschaft gegen die andere (etwa auf Bezahlung höherer als der bisher überwiesenen Ertragsanteile, oder auf Rückzahlung zu viel überwiesener Ertragsanteile) mit Klage beim Verfassungsgerichtshof darauf zu stützen, daß das die Teilungsvorgänge zwischen den Gebietskörperschaften regelnde Gesetz verfassungswidrig sei - gleichgültig, ob ein Organ der beklagten Gebietskörperschaft oder jenes einer anderen das Gesetz zu verantworten hat.

c) Um zu beurteilen, ob den klagenden Gebietskörperschaften die von ihnen behaupteten vermögensrechtlichen Ansprüche gebühren, hätte der Verfassungsgerichtshof u.a. jeweils § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 und FAG 1989 anzuwenden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher - wie schon ausgeführt - beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen (die von den übrigen Bestimmungen des § 8 FAG 1985 idF der Novelle 1986 und des § 8 FAG 1989 trennbar sind) in Prüfung zu ziehen.

d) aa) § 8 FAG 1985 (in der Stammfassung) wurde bereits einmal vom Verfassungsgerichtshof (mit Erkenntnis VfSlg. 10.633/1985) aufgehoben und kann daher nicht nochmals geprüft werden. Damit ist aber für die beklagten Parteien nichts zu gewinnen. Rechtsgrundlage für die Ansprüche der Gemeinden auf Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben für die Jahre 1985 bis 1988 ist nämlich nun § 8 FAG 1985 nicht mehr in der Stammfassung, sondern in jener der FAG-Novellen 1986 und 1987. Obschon ArtIII Abs 1 der FAG-Novelle 1986 besagt, daß (mit Ausnahme einer hier nicht maßgebenden Novellen-Bestimmung) die Vorschriften der Novelle mit in Kraft treten, ist das Gesetz derart auszulegen, daß die darin geregelten Ansprüche zwar erst ab dem geltend gemacht werden können, daß sie aber auch für frühere Zeiträume zustehen (vgl. VfSlg. 11.663/1988, S 336 f.).

bb) Die Bundesregierung bringt in ihrer Äußerung dagegen vor, daß § 8 FAG 1985 idF der Novelle 1986 angesichts des § 20 Abs 4 FAG 1985 nun nicht mehr als Sitz einer Verfassungswidrigkeit, wie sie der Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis (gemeint ist offenbar das Erkenntnis VfSlg. 10.633/1985, mit dem § 8 FAG 1985 id Stammfassung als verfassungswidrig aufgehoben wurde) erkannt hat, anzusehen sei; der vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11.663/1988 zu § 20 Abs 4 FAG 1985 entwickelte Grundsatz sei daher nicht auf § 8 FAG 1985 idF der Novelle 1986 übertragbar. Der Verfassungsgerichtshof habe bei der Aufhebung von § 8 FAG 1985 in der Stammfassung (VfSlg. 10.633/1985) keine Erweiterung der Anwendung dieser Aufhebung über den Anlaßfall hinaus gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG (also mit Rückwirkung) ausgesprochen. Für die in der Zeit vor der FAG-Novelle 1986 vom Bund bzw. von den Ländern geleisteten Zahlungen von Gemeindeertragsanteilen an die Gemeinden aus den Abgabenerträgen aus gemeinschaftlichen Bundesabgaben sei § 8 FAG 1985 in der Stammfassung die Grundlage gewesen und bleibe das nach wie vor. Durch die erwähnte (wenngleich auf anderen Überlegungen als jenen, die den nunmehr geltend gemachten Bedenken zugrundeliegen, beruhende) Aufhebung sei § 8 FAG 1985 verfassungsrechtlich unangreifbar geworden (VfSlg. 9321/1982 und 11.874/1988). Im Lichte des Art 140 Abs 7 B-VG scheine eine Auslegung, daß § 8 FAG 1985 idF der Novelle 1986 auch auf vor dem (und nach dem ) verwirklichte Tatbestände angewendet werden müsse, nicht zulässig.

Diese Argumentation überzeugt nicht: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. in diesem Sinne VfSlg. 9735/1983 sowie ) kann zwar ein bereits aufgehobenes oder als verfassungswidrig festgestelltes Gesetz nicht neuerlich Gegenstand eines entsprechenden Aufhebungs- oder Feststellungsbegehrens sein. Geprüft wird hier aber nicht das seinerzeit aufgehobene Gesetz (§8 FAG 1985 id Stammfassung), sondern ein anderes, wenngleich inhaltlich gleiches Gesetz (ein Teil des § 8 FAG 1985 idF der Novelle 1986). Es kommt also nicht darauf an, welche Bestimmung seinerzeit der Sitz einer bestimmten Verfassungswidrigkeit war, sondern darauf, welche Norm der Rechtsgrund für die nunmehr geltend gemachten Forderungen ist, ob nämlich eine schon einmal vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene oder eine andere Gesetzesbestimmung. Und das ist nun eben nicht mehr § 8 FAG 1985 id Stammfassung, sondern § 8 FAG 1985 idF der Novelle 1986.

e) Da alle Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

3. Zur Sache selbst

Gegen § 8 Abs 3 vorletzter Satz des FAG 1985 idF der Novelle 1986 und des FAG 1989 hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß diese Vorschrift die Wiener Randgemeinden unsachlich privilegiert und damit die anderen Gemeinden diskriminiert.

Die Bundesregierung trägt in ihrer Äußerung zur Entkräftung dieser Bedenken nichts vor. Sie vertritt jedoch die Ansicht, die erwähnten Gesetzesbestimmungen seien verfassungsrechtlich unangreifbar; diese Ansicht wurde oben (II.A.2.d.bb.) widerlegt.

Die Niederösterreichische Landesregierung verteidigt die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschriften (s. die folgende litb.aa.).

Die übrigen stellungnehmenden Landesregierungen teilen die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes.

Lediglich die Wiener Landesregierung meint, § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 sei verfassungsrechtlich unbedenklich (s. die folgende litc.aa.).

Die gegen § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken haben sich als unzutreffend herausgestellt. Die gegen die gleiche Bestimmung des FAG 1989 dargelegten Bedenken treffen hingegen zu:

a) Der Verfassungsgerichtshof hatte in dem in einem Gesetzesprüfungsverfahren ergangenen Erkenntnis vom , G66/90, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des abgestuften Bevölkerungsschlüssels im allgemeinen zu beurteilen.

Zur Vereinbarkeit finanzausgleichsrechtlicher Regelungen mit dem Gleichheitsgrundsatz wird in diesem Erkenntnis in prinzipieller Hinsicht ausgeführt:

"a) . . .

Ein - den Art 7 B-VG und den § 4 F-VG 1948 verletzender - Fehler des Gesetzgebers liegt im gegebenen Zusammenhang demnach nur dann vor, wenn einzelne (nicht das Gesamtsystem berührende) Bestimmungen zueinander in sachlich nicht rechtfertigbarem Widerspruch stehen (wie etwa bei Benachteiligung zweier Städte mit eigenem Statut ohne Bundespolizeibehörden - VfSlg. 10.633/1985), oder aber wenn die Partner der Finanzausgleichsverhandlungen von völlig verfehlten Prämissen ausgingen oder die artikulierte Interessenlage eines Partners geradezu willkürlich ignoriert oder mißachtet wurde.

b) Die 'Paktierung' des Finanzausgleiches für einen bestimmten künftigen Zeitraum hat sohin zur Folge, daß eine einseitige Änderung während der Laufzeit nicht bloß der politischen Fairness widersprechen kann, sondern auch das eine Einheit bildende Gesamtsystem des Finanzausgleiches schwerwiegend gestört wird und damit der geänderte Finanzausgleich in Widerspruch zu § 4 F-VG 1948 gerät.

Die Finanzausgleichsgesetze haben von den tatsächlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Erlassung auszugehen. Da sich in der Folge diese Tatsachen häufig in wesentlicher Hinsicht ändern, werden die Finanzausgleichsgesetze sinnvollerweise jeweils (eher kurz) befristet. Treten während des zeitlichen Geltungsbereiches des jeweiligen Finanzausgleichsgesetzes derartige Änderungen ein, so muß diesen beim nächsten Finanzausgleich Rechnung getragen werden. Allerdings werden die gebotenen Anpassungen vielfach nur allmählich mit entsprechenden Übergangsvorschriften zu erfolgen haben, sollen sie nicht ihrerseits mit den wiederholt erwähnten verfassungsrechtlichen Geboten in Widerspruch geraten.

Kommt eine Änderung des Finanzausgleiches überraschend und ist sie einschneidend, so kann sie für eine (Gruppe von) Gebietskörperschaft(en) mit einem derart gravierenden finanziellen Verlust verbunden sein, daß die Neuregelung ihrerseits dem Gebot des § 4 F-VG widerspricht. Beispielsweise gehen etwa Zuweisungsbeträge, die eine Gemeinde (oder die eine Gruppe von Gemeinden) durch eine Änderung des Finanzausgleichsgesetzes gewinnt, den anderen Gemeinden oder aber dem Bund oder den Ländern verloren; so bewirkt eine Änderung des abgestuften Bevölkerungsschlüssels für eine Gruppe von Gemeinden (große) Vorteile, für die andere aber (große) Nachteile. Jede Änderung des Finanzausgleiches bringt demnach - ist sie gravierend - für jene Gebietskörperschaften, zu deren Nachteil sie geht, bedeutende finanzielle Schwierigkeiten mit sich, die den nach § 4 F-VG 1948 anzustrebenden Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben empfindlich stören.

Ist eine bestimmte finanzausgleichsrechtliche Regelung nicht (mehr) sachgerecht, so kann in der Regel nur eine schrittweise Änderung eine dem § 4 F-VG 1948 entsprechende Lösung bieten, weil die finanzielle Gebarung der Gemeinden und auch der anderen Gebietskörperschaften zumindest mittelfristig auf ein bestimmtes erwartetes Aufkommen abgestimmt ist (vgl. zur Frage eines schrittweisen Abbaus bestehender Rechte die - wenngleich andere Rechtsgebiete betreffenden - Erkenntnisse VfSlg. 8871/1980; ; vgl. auch SMEKAL/THEURL (Hg.), Finanzkraft und Finanzbedarf von Gebietskörperschaften, Wien 1990, 241).

c) Die mündliche Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof hat bestätigt, daß zumindest ab 1979 der Beschlußfassung über die jeweiligen Finanzausgleichsgesetze stets intensive Beratungen vorangingen. An diesen Beratungen nahmen Vertreter aller Gebietskörperschaften teil. Als Sprecher der Gemeinden traten der Österreichische Gemeindebund und der Österreichische Städtebund auf. Hiebei wurden auch jene Themen behandelt, die dann ua. in den zur Aufhebung beantragten Gesetzesbestimmungen des FAG 1989 ihren Niederschlag fanden. Als in das Gesamtsystem des Finanzausgleiches ab dem Jahr 1979 eingebettete Regelungen fanden auch diese Vorschriften letztendlich die Zustimmung aller Partner der Finanzausgleichsverhandlungen.

d) Zusammenfassend ist festzuhalten, daß das FAG 1989 aufgrund der vorstehenden grundsätzlichen Erwägungen (lita und b) unter den geschilderten Umständen (litc) in folgenden Fällen mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Fehler behaftet wäre: Die Partner der Finanzausgleichsverhandlungen (und ihnen folgend der Gesetzgeber) sind von völlig unrichtigen faktischen Gegebenheiten ausgegangen; es wurden offenkundig extrem verfehlte Mittel zur Erzielung eines sachgerechten Finanzausgleiches eingesetzt; einzelne Gebietskörperschaften wurden gezielt benachteiligt oder bevorzugt; die notwendigen Anpassungen an die geänderten tatsächlichen Verhältnisse wurden - auch unter Beachtung des Zeithorizontes - nicht vorgenommen oder in die Wege geleitet."

Auf diesen grundsätzlichen Erwägungen aufbauend kam der Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis zum Ergebnis, daß die von der antragstellenden Niederösterreichischen Landesregierung ob der Verfassungsmäßigkeit der den abgestuften Bevölkerungsschlüssel betreffenden Vorschriften des § 8 FAG 1989 vorgebrachten Bedenken nicht zutreffen:

#

". . . Die von der Wissenschaft aus den empirischen Feststellungen gezogenen Schlußfolgerungen ergeben also auf diesem Gebiet" (nämlich der Frage, ob die den Gemeinden erwachsenden Kosten mit steigender Bevölkerungszahl überproportional anwachsen) "kein einheitliches und eindeutiges Bild. Da ferner der Finanzbedarf der Gemeinden weitgehend von regionalen oder überregionalen politischen Willensbildungsprozessen abhängt, und da schließlich der Finanzausgleich ein Gesamtsystem bildet, dessen Elemente im Prinzip nicht einzeln betrachtet werden können, erweisen sich ... unter den geschilderten, für die Beurteilung des FAG 1989 bedeutsamen Gegebenheiten die im Gesetzesprüfungsantrag vorgebrachten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des abgestuften Bevölkerungsschlüssels (nämlich hinsichtlich der mangelnden Sachgerechtigkeit im allgemeinen sowie der Größenklassen und des gewählten Mulitplikators im besonderen) als unzutreffend. . . .".

b) Da die im seinerzeitigen Gesetzesprüfungsverfahren antragstellende Niederösterreichische Landesregierung die Frage der Verfassungsmäßigkeit des für die Wiener Randgemeinden geltenden, besonderen Verteilungsschlüssels nicht angeschnitten hatte, durfte sich der Verfassungsgerichtshof im soeben zitierten Erkenntnis mit diesem Problem nicht befassen.

Ausgehend von der in diesem Erkenntnis entwickelten Rechtsansicht erweist sich die diesen besonderen Verteilungsschlüssel enthaltende Regelung des § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1989 als nicht verfassungskonform; sie widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz (Art7 B-VG, § 4 F-VG 1948), weil die darin vorgesehene Begünstigung der Wiener Randgemeinden sachlich nicht gerechtfertigt werden kann. Hingegen ist die gleiche, im § 8 FAG 1985 enthaltene Bestimmung nicht mit den im Einleitungsbeschluß aufgezeigten Bedenken belastet:

aa) Die Erläuternden Bemerkungen zur, die (diese Begünstigung erstmals enthaltenden) 2. FAG-Novelle 1954 betreffenden Regierungsvorlage (354 BlgNR, 7. GP) besagen zum Randgemeindeschlüssel lediglich, daß diese Regelung den an Niederösterreich gefallenen Gemeinden "den Übergang ... in die neuen Verhältnisse erleichtern soll" (nahezu gleichlautend:

399 BlgNR, 7. GP, betreffend die Regierungsvorlage zur FAG-Novelle 1955).

Diese Übergangsphase ist aber jedenfalls nach mehr als 30 Jahren vorüber. Der Verfassungsgerichtshof erkennt keinen Grund dafür, weshalb diese Begünstigung auf Dauer dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen sollte.

Die Niederösterreichische Landesregierung verteidigt die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen gesetzlichen Bestimmungen zunächst wie folgt:

"Es kann zwar nicht bestritten werden, daß es gute Gründe für die Annahme gibt, wonach sich die Phase des Übergangs nach der Wiedereingliederung der Randgemeinden in Niederösterreich ihrem Ende nähere. Gerade in den letzten 10 Jahren haben sich für die Wiener Randgemeinden aber völlig neue Belastungen ergeben, die bei der Paktierung des Finanzausgleiches berücksichtigt werden mußten und auch tatsächlich berücksichtigt worden sind. Im Vordergrund stand und steht nicht mehr nur der Nachholbedarf der von der begünstigenden Regelung des § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 und 1989 bevorzugten Gemeinden, sondern die finanzielle Sicherung der laufenden und auf diese Gemeinden zukommenden künftigen besonderen Aufgaben. Der ursprüngliche Gedanke, den Übergang in die geänderten Verhältnisse für die Randgemeinden Wiens zu erleichtern, hat sich zum Teil gewandelt. Daß die Nähe der in Rede stehenden Gemeinden zur Stadt Wien keine finanziellen Vorteile gebracht hat und bringt, ergibt sich schon aus dem extrem hohen Anteil von Zweitwohnungsbesitzern mit bis zu 30 % und den daraus resultierenden Belastungen; insbesondere etwa durch die Notwendigkeit der Schaffung von Parkplätzen, Park- und Rideanlagen, Radwegen, die überproportionale Zunahme der Bautätigkeit, mit der Notwendigkeit der Errichtung von Schulen, Kindergärten, Heimen und der Schaffung der entsprechenden Infrastruktur.

Im übrigen sind die Wiener Randgemeinden - obwohl im Genuß der Regelung des § 8 Abs 3 FAG 1985 und 1989 - nicht überdurchschnittlich finanzstark. Die Gemeindeeinnahmen aus dem Ausflugsverkehr und dem Betrieb von Supermärkten spiegeln sich vor allem in den Erträgen aus den ausschließlichen Gemeindeabgaben, wie z. B. Fremdenverkehrsabgaben, Gewerbe- und Lohnsummensteuer sowie Getränke- und Speiseeisabgaben wieder. Vergleicht man z.B. die größte Wiener Randgemeinde, die Stadtgemeinde Klosterneuburg mit der finanzstärksten Gemeinde Österreichs - der Gemeinde Lech in Vorarlberg -, so ergibt sich, daß die Gesamterträge aus ausschließlichen Gemeindeabgaben im Jahr 1988 ungefähr gleich groß gewesen sind. Dabei hat Klosterneuburg (22.975 Einwohner) eine um 18x größere Einwohnerzahl als Lech (1.270 Einwohner). Dieses Beispiel macht deutlich, daß die Gemeindeeinnahmen aus dem Ausflugsverkehr und aus dem Betrieb von Supermärkten nicht jene Bedeutung besitzen können, die ihnen landläufig beigemessen wird, ganz abgesehen davon, daß nicht in allen Randgemeinden Supermärkte oder Ausflugsverkehr anzutreffen sind.

Nach Meinung der NÖ Landesregierung gibt es in Österreich keine Situation, die mit der Situation der Wiener Randgemeinden zu vergleichen wäre: Kein anderer Ballungsraum in Österreich - auch nicht Ballungsräume im Umkreis von anderen Landeshauptstädten - weist eine solche Dichte auf, wie sie bei Wien und den umliegenden Randgemeinden gegeben ist. Es handelt sich bei diesem Raum um ein im wesentlichen zusammenhängendes Siedlungs- und Wirtschaftsgebiet, in dem nahezu 2 Millionen Menschen leben. Um den daraus folgenden Anforderungen gerecht zu werden, waren die Randgemeinden daher gezwungen, besondere infrastrukturelle Maßnahmen zu setzen und die dafür erforderlichen Belastungen in Kauf zu nehmen. Ob sich also - wie der Verfassungsgerichtshof vorläufig annimmt - aus der Nähe zu einer Großstadt für die Nachbargemeinden vielfach finanzielle Vorteile ergeben, läßt sich durch den - wenn auch nur beispielsweise angeführten - regen Ausflugsverkehr und die Errichtung von Supermärkten nicht abschließend begründen. Vielmehr wären den behaupteten Vorteilen die sich daraus gleichzeitig ergebenden Nachteile gegenüberzustellen (Notwendigkeit der Schaffung von speziellen Ruhezonen für die vom Lärm übermäßig belastete Bevölkerung, Absiedlung von Betrieben in die Industriegebiete, verkehrsinfrastrukturelle Maßnahmen, etc.).

Aus dieser Gegenüberstellung ist zu ersehen, daß die Wiener Randgemeinden durch den Randgemeindeschlüssel nicht unsachlich begünstigt sind.

Da der abgestufte Bevölkerungsschlüssel im wesentlichen seine sachliche Rechtfertigung hat (vgl. ), so kann es nach Ansicht der NÖ Landesregierung nicht unsachlich sein, diesen erhöhten Verteilungsschlüssel auch für die Wiener Randgemeinden anzuwenden, die - was die finanziellen Belastungen betrifft - mit der Stadt Wien völlig zu vergleichen sind."

Der Verfassungsgerichtshof pflichtet dieser Argumentation nicht bei:

Der Umstand, daß die betroffenen Gemeinden in der Nähe eines großen Ballungszentrums (Wien) liegen, reicht nicht aus, um die in Prüfung gezogene Regelung sachlich zu rechtfertigen. Damit allein wird nämlich noch keine besondere finanzielle Belastung der Wiener Randgemeinden nachgewiesen, zumindest keine solche, die andere Gemeinden in ähnlicher geographischer Lage nicht ebenso trifft, denen aber keine gleichartige Begünstigung zuteil wird (vgl. SCHNIZER sowie ACHATZ in SMEKAL/THEURL (Hg.), Finanzkraft und Finanzbedarf von Gebietskörperschaften, Wien 1990, 218 bzw. 242 ff.). Die Nähe der Großstadt Wien wirkt sich im Gegenteil für manche Nachbargemeinden finanziell positiv aus, etwa wegen des regen Auflugsverkehrs und der Errichtung von Supermärkten zwar außerhalb, aber nahe der Stadtgrenze. Daß sich daraus höhere Einnahmen (insbesondere bei den Fremdenverkehrsabgaben, der Gewerbe- und Lohnsummensteuer sowie den Getränke- und Speiseeisabgaben) bei vielen, wenngleich nicht allen Wiener Randgemeinden ergeben, räumt die Niederösterreichische Landesregierung selbst ein.

Einerseits treffen die Belastungen, die daraus resultieren, daß der Anteil von Einwohnern, die in diesen ehemals zu Wien gehörenden Gemeinden bloß ihren Zweitwohnsitz haben, relativ hoch ist (bis zu 30 %), sowie andere denkbare, aus der Nähe einer größeren Stadt resultierende Belastungen viele andere, nahe einem Ballungszentrum gelegenen Gemeinden in gleicher, wenn nicht in noch stärkerer Weise.

Andererseits ergeben sich aus der Nähe der Großstadt Wien nicht für alle Randgemeinden (besondere) Belastungen. Wenn für einige Gemeinden aus besonderen Gründen ein besonderer Bevölkerungsschlüssel zulässig sein sollte, müßte die Erfassung dieser Gruppen von Gemeinden nach anderen Kriterien erfolgen als danach, ob die Gemeinden einmal zu Wien gehört haben. Dieser Grund allein rechtfertigt jedenfalls sachlich die pauschalierende Begünstigung nicht.

bb) Der Verfassungsgerichtshof hat zwar im oben auszugsweise wiedergegebenen Erkenntnis vom , G66/90, die Bedeutung des Umstandes betont, daß die Finanzausgleichsgesetze auf einer Paktierung beruhen, d.h. auf einer vorangehenden Vereinbarung der Finanzausgleichspartner über den Inhalt des jeweiligen, neu zu erlassenden Finanzausgleichsgesetzes; dies einerseits deshalb, weil im Zweifel davon auszugehen ist, daß die Vertreter der Finanzausgleichspartner besonders sachkundig sind und auch die divergierenden Interessenslagen zutreffend zu artikulieren wissen; andererseits deshalb, weil eine - unerwartete - Änderung des - einen Komplex bildenden - Finanzausgleichsregelungssystems während dessen Laufzeit die kurz- und mittelfristige Finanzplanung der Gemeinden derart in Unordnung brächte, daß damit das Gebot des § 4 F-VG 1948 mißachtet würde. Die Finanzausgleichspartner dürfen sich daher grundsätzlich darauf verlassen, daß der paktierte Finanzausgleich während der Laufzeit des jeweiligen FAG Bestand haben werde.

Diese Ausführungen bedeuten aber nicht, daß finanzausgleichsrechtliche Regelungen, die auf eine Paktierung zurückgehen, verfassungsrechtlich unangreifbar werden (vgl. , wonach ein Anspruch nach Art 137 B-VG auf solche Pakte nicht gegründet werden kann). Vielmehr liegt nach dem zitierten Erkenntnis G66/90 - ungeachtet der Paktierung - eine Verfassungswidrigkeit etwa dann vor, wenn einzelne Detailvorschriften zueinander in sachlich nicht rechtfertigbarem Widerspruch stehen, wenn einzelne Gebietskörperschaften gezielt bevorzugt oder benachteiligt wurden, oder wenn die notwendigen Anpassungen an die geänderten tatsächlichen Verhältnisse - auch unter Beachtung des Zeithorizontes - nicht vorgenommen oder wenigstens in die Wege geleitet wurden.

cc) Die Voraussetzungen dafür, daß ungeachtet der Vereinbarungen, die anläßlich der dem FAG 1989 vorangegangenen Finanzausgleichsverhandlungen geschlossen wurden, ein den Art 7 B-VG und § 4 F-VG 1948 verletzender Fehler vorliegt, sind bei § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1989 gegeben. Diese sachlich ungerechtfertigte Bestimmung des (paktierten) Finanzausgleiches geht nicht über Details hinaus. Die Finanzausgleichspartner mußten die Unsachlichkeit spätestens bei Beratung über das FAG 1989 wahrnehmen. Das Problem wurde auch bei den dem FAG 1989 vorangehenden Verhandlungen zwischen den Finanzausgleichspartnern erörtert.

Am brachten 137 burgenländische Gemeinden beim Verfassungsgerichtshof zu A1-137/89 auf Art 137 B-VG gestützte Klagen gegen das Land Burgenland und den Bund ein; diese Klagen wurden u.a. damit begründet, daß die die Wiener Randgemeinden begünstigende Vorschrift des § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 verfassungswidrig sei. Der Verfassungsgerichtshof beschloß am , aus Anlaß dieser Klagen u.a. die Verfassungsmäßigkeit des § 8 FAG 1985 zu prüfen (G 89-225/89).

Daraufhin fand den dem Verfassungsgerichtshof zu A501-637/90 vorgelegten, unbestritten gebliebenen Unterlagen zufolge am eine Beratung zwischen dem Bundesminister für Finanzen, der Landesfinanzreferentenkonferenz, Vertretern des Österreichischen Städtebundes, des Österreichischen Gemeindebundes, des Burgenländischen Gemeindebundes und des Verbandes der Sozialistischen Gemeindevertreter Burgenlands statt. Dabei wurde zwischen den Finanzausgleichspartnern einvernehmlich folgendes Ergebnis erzielt:

"Die Sonderregelung des § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1989, für jene Gemeinden, die aufgrund des Gebietsänderungsgesetzes, BGBl. Nr. 110/1954, an das Bundesland Niederösterreich rückgegliedert worden sind, wird mit Wirksamkeit ab in vier Jahresschritten wie folgt abgebaut:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
1990 wird der Randgemeindenschlüssel so berechnet, daß bei den betroffenen Gemeinden der Unterschiedsbetrag zwischen dem ihnen nach der Volkszahl gebührenden Vervielfältiger (§8 Abs 3 dritter Satz) und dem Vervielfältiger nach § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1989 nur mehr zu 75 % in Anrechnung kommt.


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
1991 wird dieser Unterschiedsbetrag auf 50 % und 1992 auf 25 % reduziert. Mit tritt die gegenständliche Sonderregelung zur Gänze außer Kraft.

Dadurch ergeben sich für diese Gemeinden in den Jahren 1990 bis 1992 folgende Vervielfältiger:

Vervielfältiger gemäß § 8 Abs 3 FAG 1989 für die Gemeinden, die auf Grund des Gebietsänderungsgesetzes, BGBl. Nr. 110/1954, an das Bundesland Niederösterreich rückgegliedert worden sind:

bis 10.0000 Ew. 10.001-20.000 Ew. 20.001-50.000

Ew. u.Städte

m.eig.Statut

1990 2 1/12 2 1/6 2 1/4

1991 1 5/6 2 2 1/6

1992 1 7/12 1 5/6 2 1/12"

Die klagenden burgenländischen Gemeinden verpflichteten sich, die Klagen zurückzuziehen. Dieser Verpflichtung kamen sie nach. In der Folge stellte der Verfassungsgerichtshof mit Beschlüssen vom die Klageverfahren und die Gesetzesprüfungsverfahren ein.

Eine dem Ergebnis der Beratungen vom entsprechende Regierungsvorlage wurde zwar dem Nationalrat zugeleitet (1112 BlgNR, 17. GP). Zu einem entsprechenden Gesetzesbeschluß kam es jedoch nicht.

dd) Unter diesen Umständen hätte der Gesetzgeber ab dem FAG 1989 die die Wiener Randgemeinden privilegierende besondere Verteilungsregel des § 8 Abs 3 vorletzter Satz beseitigen oder zumindest deren schrittweisen Abbau vorsehen müssen. Jedenfalls aber hätte er erwägen müssen, ob dem am - in Abänderung der bisherigen Vereinbarung - geschlossenen Pakt (s. die vorstehende sublit. cc) Rechnung getragen werden soll; bei Realisierung dieses Paktes wäre die - nicht mehr länger sachlich zu rechtfertigende - Privilegierung der Wiener Randgemeinden schrittweise beseitigt worden. Die Wiener Randgemeinden konnten sich seither bei ihrer Finanzplanung nicht mehr auf die Beständigkeit der sie begünstigenden Regelung verlassen.

ee) § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1989 ist sohin wegen Widerspruchs zu Art 7 B-VG und § 4 F-VG 1948 aufzuheben.

Der dadurch herbeigeführte rückwirkende Wegfall der bisher für die Wiener Randgemeinden bestehenden Privilegierung bedeutet nicht, daß diese von den finanziellen Konsequenzen voll betroffen werden müssen. Es steht dem Finanzausgleichsgesetzgeber nämlich im Rahmen seines weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes frei, diesen rückwirkenden Wegfall zu Lasten der anderen Gebietskörperschaften (insbesondere auch der anderen Gemeinden) zu mildern. Der Gesetzgeber könnte sich dabei - ohne die Verfassung zu verletzen - etwa an der Regelung orientieren, wie sie im wiederholt erwähnten Pakt vom (s. die vorstehende sublit. cc) vorgesehen war.

ff) Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, stützt sich auf Art 140 Abs 6 B-VG.

Die Verfügung, daß die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht mehr anzuwenden ist, gründet sich auf Art 140 Abs 7 zweiter Satz zweiter Halbsatz B-VG. Diese Aussprüche erfolgten - im Sinne einer Anregung der Bundesregierung - zum einen deshalb, um zu bewirken, daß alle betroffenen Gebietskörperschaften (gleichgültig, ob für sie aufgrund erhobener Klagen die Anlaßfallwirkung einträte oder nicht) gleich behandelt werden; dies ist hier ausnahmsweise deshalb geboten, weil für einen sehr großen Teil der von der als verfassungswidrig erkannten Norm Betroffenen die Anlaßfallwirkung gegeben, diese also nicht bloß die Ausnahme wäre. Zum anderen wäre die aufgrund der Aufhebung gebotene Rückabwicklung der zu viel und zu wenig aus dem Finanzausgleich bezahlten Beträge verwaltungsökonomisch kaum zu bewerkstelligen, wenn nicht die Rechtslage für alle betroffenen Gebietskörperschaften gleich gestaltet wäre.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur Kundmachung all dieser Aussprüche ergibt sich aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG.

c)aa) Die in der vorstehenden litb, sublit. cc und dd angestellten Überlegungen gelten für § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 nicht.

Zwar wurde - wie auch der Vertreter des Bundes bei der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof ausdrücklich bestätigte und wie dies im Gesetzesprüfungsverfahren niemand bestritt - das Problem des Weiterbestehens der für die Wiener Randgemeinden geltenden Begünstigung anläßlich der dem FAG 1985 vorangegangenen Gespräche erörtert. "Die Frage des Weiterbestehens ihrer Berechtigung wurde jedoch" - wie dies die Wiener Landesregierung in ihrer Äußerung formuliert - "von übergeordneten Interessen überlagert".

Die Wiener Randgemeinden durften daher damals noch ihre Finanzplanung dementsprechend ausrichten. Die Feststellung, daß § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 verfassungswidrig war, hätte - anders als in dem mit hg. Erkenntnis VfSlg. 10 633/1985 abgeschlossenen Fall Krems - für das Budget der von der Feststellung negativ betroffenen Gebietskörperschaft(en) schwerwiegende und daher § 4 F-VG 1948 verletzende Auswirkungen.

bb) Das FAG 1985 regelt den Finanzausgleich für die Jahre 1985 bis 1988. § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1985 idF der Novelle 1986 ist daher bereits (iS des Art 140 Abs 4 B-VG) außer Kraft getreten.

Der Verfassungsgerichtshof hatte nach dem Gesagten sohin festzustellen, daß diese Gesetzesbestimmung nicht mit der im Einleitungsbeschluß angenommenen Verfassungswidrigkeit belastet war.

B. Zu § 21 FAG 1985 und 1989

1. Zur Rechtslage

Die Anlaß-Klagen stützen das Klagebegehren zum Teil (s.o. I.1.) darauf, daß für jeweils näher bezeichnete Zeiträume ab 1985 Finanzzuweisungen an Gemeinden aufgrund verfassungswidriger Bestimmungen erfolgt seien.

Finanzzuweisungen in dieser Form waren erstmals in der ab 1985 geltenden Finanzausgleichsregelung (nämlich im FAG 1985) vorgesehen. Die in Betracht kommenden Vorschriften sind § 21 FAG 1985 (für die Jahre 1985 bis 1988) und der - von im gegebenen Zusammenhang unwesentlichen Abweichungen im Abs 2 Z 2, Abs 4 und Abs 5 abgesehen - gleichlautende § 21 FAG 1989 (für die Jahre 1989 bis 1992).

§ 21 FAG 1989 lautet:

"§21. (1) Der Bund gewährt Gemeinden (Wien als Gemeinde) einen Betrag in der Höhe von 1,4 vH der ungekürzten Ertragsanteile der Gemeinden (Wien als Gemeinde). Dieser Betrag ist länderweise nach der Volkszahl aufzuteilen und von den Ländern nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen den Gemeinden als Finanzzuweisung zur Bewältigung der ihnen obliegenden Aufgaben zu überweisen. Die Überweisung des Bundes an die Länder hat bis spätestens 15. Juli eines jeden Jahres zu erfolgen.

(2) Auf die Finanzzuweisung haben jene Gemeinden (ohne Wien) Anspruch, die eine solche Finanzzuweisung zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtes im Haushalt benötigen. Diese Voraussetzung ist dann gegeben, wenn

1. eine Gemeinde jeweils alle Abgaben im höchstmöglichen Ausmaß erhebt, zu deren Erhebung sie berechtigt wäre, und sofern diese Abgaben zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtes oder zur Deckung bestimmter Erfordernisse im Haushalt geeignet sind und dessenungeachtet

2. eine Gemeinde innerhalb der Größenklasse mit einer ermittelten Volkszahl (§8 Abs 3) bis höchstens 2 500 Einwohner, von 2501 bis 10 000 Einwohner, von 10 001 bis 20 000 Einwohner, von 20 001 bis 50 000 Einwohner und über 50 000 Einwohner eine Finanzkraft aufweist, die auf den Kopf der Bevölkerung der Gemeinde berechnet (Gemeindekopfquote) mit mehr als 10 vH unter der Bundesdurchschnittskopfquote der Finanzkraft (Abs4) aller Gemeinden ausgenommen Wien derselben Größenklasse liegt.

(3) Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Höhe der bereitzustellenden Bundesmittel sind die Ertragsanteile der Gemeinden im Sinne dieses Bundesgesetzes, die sich aus den im jeweiligen Bundesfinanzgesetz enthaltenen gemeinschaftlichen Bundesabgaben ohne Spielbankabgabe ergeben.

(4) Die Finanzkraft einer Gemeinde wird ermittelt aus der Summe der ausschließlichen Gemeindeabgaben, ohne die Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen und ohne die Interessentenbeiträge von Grundstückseigentümern und Anrainern, jedoch unter Einbeziehung der Gewerbesteuer und der den Gemeinden zugekommenen Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben ohne Spielbankabgabe.

(5) Die Summe der Finanzkraft (Abs4) der Gemeinden der im Abs 2 Z 2 genannten Größenklassen für ein Jahr auf den Kopf der Bevölkerung der Gemeinden in dieser Größenklasse berechnet, bildet die Bundesdurchschnittskopfquote einer Größenklasse.

(6) Der Bund hat für die Gemeinden auf Grund der jeweils letzten vom Österreichischen Statistischen Zentralamt nach den Ergebnissen der vom Bundesministerium für Finanzen veranlaßten Erhebung über die Gemeindegebarung zur Veröffentlichung vorgesehenen Beiträge zur Österreichischen Statistik die Höhe der negativen Abweichungen von der Bundesdurchschnittskopfquote (Abs5) gesondert nach Größenklassen zu ermitteln und den Ländern bis spätestens 30. April eines jeden Jahres mitzuteilen. Die Länder haben die Finanzzuweisung nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel den Gemeinden des Landes bis spätestens 15. August eines jeden Jahres zu überweisen. Die Finanzzuweisung darf je berechtigte Gemeinde nicht größer sein als der Differenzbetrag zwischen ihrer Finanzkraft und 90 vH der mit der Volkszahl der Gemeinde vervielfältigten Bundesdurchschnittskopfquote der betreffenden Größenklasse und darf außerdem den Betrag von 300 000 S und 10 vH eines verbleibenden Differenzbetrages nicht übersteigen. Differenzen zwischen den vorhandenen Mitteln und dem Bedarf sind von den Ländern in der Weise auzugleichen, daß bei einem Mehrbedarf die Finanzzuweisung jeder einzelnen Gemeinde im Verhältnis des Gesamtbedarfs zu den vorhandenen Mitteln zu kürzen ist.

(7) Soweit nach Durchführung des Verteilungsvorganges gemäß Abs 6 den Ländern noch Finanzzuweisungsmittel zur Verfügung stehen, sind diese in einem weiteren Verteilungsvorgang auf die Gemeinden so aufzuteilen, daß deren Finanzkraft (Abs4) möglichst auf den Landesdurchschnitt angehoben wird. Heranzuziehen sind hiebei die letzten verfügbaren Rechnungsunterlagen. Wird der Landesdurchschnitt erreicht, ist ein verbleibender Betrag auf die Gemeinden des Landes aufzuteilen. Für diese Verteilungsvorgänge haben die Länder Richtlinien zu erlassen und zu veröffentlichen. Über die Mittelverteilung ist dem Bundesministerium für Finanzen unter Anschluß der Richtlinien bis Ende eines jeden Jahres Mitteilung zu machen.

(8) Die Finanzzuweisung gemäß Abs 6 ist in jenen Bundesländern, in denen auch ein Verteilungsvorgang gemäß Abs 7 stattfindet, der Finanzkraft gemäß § 10 Abs 2 der betreffenden Gemeinden hinzuzurechnen.

(9) Der Bund und die Länder sind berechtigt, die von den Gemeinden bekanntgegebenen Gebarungsergebnisse (Abs6) bei den Gemeinden zu überprüfen. Von den Gemeinden zu Unrecht bezogene Finanzzuweisungen sind an das Land zurückzuzahlen, das diese Mittel nach eigenem Ermessen für die Gemeinden zu verwenden hat."

2. Zur Zulässigkeit

a) Der Verfassungsgerichtshof hätte in den jeweiligen Anlaßfällen § 21 FAG 1985 und 1989 anzuwenden. Zur Begründung wird auf die obigen Ausführungen zu II.A.2. verwiesen.

Diese Gesetzesbestimmungen sind ihres zusammenhängenden Inhaltes wegen jeweils untrennbar; die Aufhebung bloß einiger Stellen des § 21 FAG 1985 und 1989 würde eine völlige Änderung ihres Inhaltes bewirken oder das Gesetz unvollziehbar machen (vgl. zB VfSlg. 6674/1972, 9374/1982). Es ist daher der gesamte § 21 in Prüfung zu ziehen und - falls die aufgezeigten Bedenken zutreffen - aufzuheben.

b) Der Verfassungsgerichtshof hat sich im wiederholt zitierten Erkenntnis vom , G66/90, u.a. mit der Verfassungsmäßigkeit des § 21 FAG 1989 auseinandergesetzt, dies jedoch nur im Rahmen der Anfechtungsgründe. Die von der antragstellenden Landesregierung erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 21 FAG 1989 standen ausschließlich im Zusammenhang mit dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel und dem Umstand, daß Personen mit mehreren ordentlichen Wohnsitzen bei der Verteilung der Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben und der Berechnung der Finanzzuweisungen nur bei einer einzigen Gemeinde zu berücksichtigen sind. Diese Bedenken wurden im erwähnten Erkenntnis nicht geteilt.

Die Rechtskraft dieser in einem Gesetzesprüfungsverfahren ergangenen Entscheidung steht der Prüfung derselben Gesetzesstelle aufgrund anderer Bedenken nicht entgegen. Solche Bedenken hat der Verfassungsgerichtshof aus Anlaß der vorliegenden Klagen in dem diese Gesetzesprüfungsverfahren einleitenden Beschluß geäußert.

c) Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

3. Zur Sache selbst

a) Der Verfassungsgerichtshof hat im Einleitungsbeschluß seine Bedenken gegen § 21 FAG 1985 und 1989 wie folgt umschrieben:

"Er hat in seiner bisherigen Judikatur (zB VfSlg. 9280/1981, 10 068/1984, 11 663/1988; ) die Ansicht vertreten, daß das für den Bereich des Finanzausgleiches durch § 4 F-VG 1948 zum Ausdruck gebrachte Gleichheitsgebot auf die Maßnahmen nach den §§2 und 3 F-VG 1948 in ihrer Gesamtheit abstellt und daß sohin der Finanzausgleich einen Gesamtkomplex bildet.

Dieser Judikatur zufolge gebietet § 4 F-VG 1948 - so meint der Verfassungsgerichtshof vorläufig -, den Finanzausgleich insgesamt derart zu gestalten, daß im großen und ganzen im Endeffekt dem Recht auf Gleichbehandlung aller Gemeinden (vgl. auch VfSlg. 6913/1972 und 8578/1979) - unabhängig davon, in welchem Bundesland sie liegen - entsprochen wird.

Gemäß § 3 Abs 1 F-VG 1948 kann die Bundesgesetzgebung u.a. den Gemeinden aus allgemeinen Bundesmitteln Finanzzuweisungen 'für ihren Verwaltungsaufwand überhaupt' gewähren. Diese Finanzzuweisungen sollen offenkundig eine Hilfe für finanzschwache Gemeinden darstellen und dem erwähnten ausgewogenen Regelungssystem zum Durchbruch verhelfen.

§ 21 FAG 1985 und 1989 scheint dieses Ziel anzustreben, aber weitgehend zu verfehlen. Die hier getroffene Regelung führt anscheinend dazu, daß die finanzschwachen Gemeinden in jenen Ländern, in denen sich nur wenige solche Gemeinden befinden, den Fehlbedarf auf den Bundesdurchschnitt nahezu vollständig befriedigt erhalten, während für Gemeinden, die zu jenen Ländern gehören, in denen sich viele finanzschwache Gemeinden befinden, eine lineare Kürzung der zur Aufteilung gelangenden Mittel eintritt. Der Verfassungsgerichtshof nimmt vorläufig an, daß § 21 FAG 1985 und 1989 zwar innerhalb des jeweiligen Bundeslandes einen dem Gleichheitssatz nicht widersprechenden Ausgleich bewirkt, daß damit allein aber dem Gebot des § 4 F-VG 1948 und des Art 7 Abs 1 B-VG noch nicht Rechnung getragen wird. Für den Fall, daß - wie hier - die Finanzzuweisungen vom Bund gewährt werden, scheinen diese bundesverfassungsgesetzlichen Normen einen bundesweiten Ausgleich der bei bestimmten (Gruppen von) Gemeinden bestehenden Finanzschwäche zu verlangen, sodaß alle österreichischen Gemeinden, die in einer gleichen finanziellen Situation sind, in gleicher Weise begünstigt werden. Zwar scheint daraus, daß der Aufgabenbereich der Gemeinden den Art 115 ff. B-VG zufolge - von Art 116 Abs 3 B-VG abgesehen - bundesweit gleich ist (vgl. die Judikatur des VfGH zur 'abstrakten Einheitsgemeinde', zB VfSlg. 9811/1983), nicht das finanzverfassungsrechtliche Postulat einer schematischen Gleichbehandlung aller Gemeinden im kommunalen Finanzausgleich ableitbar zu sein (vgl. VfSlg. 9280/1981); eine länderweise verschiedene Behandlung der Gemeinden dürfte aber dennoch unzulässig sein.

Für dieses Ergebnis scheint auch § 12 Abs 1 F-VG 1948 zu sprechen. Anscheinend handelt es sich bei den Finanzzuweisungen nach § 21 FAG 1985 und 1989 um Schlüsselzuweisungen iS dieser finanzverfassungsrechtlichen Vorschrift. Bei Erstellung des Schlüssels ist die durchschnittliche Belastung der Gemeinden durch die ihnen obliegenden Pflichtaufgaben und ihre eigene Steuerkraft zu berücksichtigen. Dabei ist anscheinend dann, wenn die Zuweisungen vom Bund gewährt werden, auf den bundesweiten Durchschnitt Bedacht zu nehmen. Die Schlüsselzuweisungen dienen wohl dazu, die durch das System der Primärmittelverteilung entstehenden Unterschiede in den den Gemeinden zur Verfügung stehenden Finanzmitteln zur Erfüllung ihrer Pflichtaufgaben bundesweit auszugleichen (vgl. SCHNIZER in SMEKAL/THEURL, aaO, 139 f.).

Es bestehen sohin Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Finanzzuweisungsregel, wie sie im § 21 FAG 1985 und 1989 enthalten ist. . . . § 21 FAG 1985 und § 21 FAG 1989 dürften daher zur Gänze in Prüfung gezogen werden müssen, auch wenn in den Anlaßklagen nur bestimmte Teile des § 21 als verfassungswidrig bezeichnet werden.

Im Gesetzesprüfungsverfahren wird aber zu erörtern sein, ob nicht doch die Aufhebung bloß einiger Stellen des § 21 FAG 1985 bzw. 1989 genügen würde, um eine für die Anlaßklageverfahren verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtslage herbeizuführen:

Der Verfassungsgerichtshof hat sich zwar im wiederholt zitierten Erkenntnis vom , G66/90, mit der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über die Volkszahl im allgemeinen befaßt und diese als verfassungskonform beurteilt. Das dürfte aber nicht ausschließen zu untersuchen, ob auch im gegebenen Zusammenhang das Anknüpfen an die Volkszahl verfassungsmäßig ist.

So wird - wenn sich die länderweise Vorverteilung als solche

(entgegen den vorhin dargestellten Bedenken) als sachlich

gerechtfertigt erweisen sollte - zu überlegen sein, ob die durch

die konkrete Ausgestaltung der länderweisen Vorverteilung nach der

Volkszahl auch hier bewirkte unterschiedliche Behandlung der

Gemeinden verschiedener Bundesländer (je nach der Verteilung der

Gemeinden eines Bundeslandes auf die einzelnen Größenklassen des

§21 Abs 2 Z 2 FAG) sachlich gerechtfertigt ist. . . .

Der Verfassungsgerichtshof geht zwar auch im Zusammenhang mit

§21 FAG von seiner Vorjudikatur (insbesondere G

66/90) aus, wonach die Finanzausgleichspartner grundsätzlich auf

den Bestand des 'paktierten' Finanzausgleichsgesetzes während

dessen Laufzeit vertrauen können . . . Er meint aber vorläufig, daß

- ebenso wie im Zusammenhang mit § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG

. . . - die oben dargestellte vermutete Unsachlichkeit des § 21 FAG

1985 den Finanzausgleichspartnern und in der Folge dem Gesetzgeber schon bei Vorbereitung und Erlassung dieses Gesetzes bewußt sein mußte.

Das gilt umso mehr für § 21 FAG 1989. Der Verfassungsgerichtshof hat zu G89-225/89 die Vorgängerbestimmung (§21 FAG 1985) bereits einmal in Prüfung gezogen; das damalige Gesetzesprüfungsverfahren wurde allerdings aus formalen Gründen eingestellt . . .

In den Gesetzesprüfungsverfahren wird zu erörtern sein, ob die betreffenden Gebietskörperschaften nicht doch im Sinne des wiederholt zitierten hg. Erkenntnisses vom während der Laufzeit des FAG 1985 und des FAG 1989 auf den Bestand der in Prüfung gezogenen Regelungen vertrauen durften (s. dazu: THIENEL, Vertrauensschutz und Verfassungsrecht, Wien 1990, S 68 f.). Außerdem wird zu klären sein, ob auch im vorliegenden - § 21 FAG 1985 und 1989 betreffenden - Fall eine schrittweise Anpassung gefordert wird (wie dies im soeben erwähnten Erkenntnis in anderem Zusammenhang geschehen ist) und ob eine solche schrittweise Anpassung hier überhaupt in Betracht kommt."

b) Die Bundesregierung hält in ihrer Äußerung diesen Bedenken folgendes entgegen:

"Auch nach Auffassung der Bundesregierung ist davon auszugehen, daß § 4 F-VG auf die Maßnahmen nach den §§2 und 3 F-VG 1948 (also auf die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge, auf die Gewährung von Finanzzuweisungen und Zuschüssen, sowie die Umlegung des Bedarfes der Länder) in ihrer Gesamtheit abstellt. Eine Überprüfung finanzausgleichsrechtlicher Bestimmungen am Maßstab des § 4 F-VG 1948 darf sich daher nicht auf die Überprüfung der Aufteilung von Abgabenerträgen beschränken, sondern hat das Gesamtergebnis der Verteilung aus allen in den §§2 und 3 F-VG genannten Instrumentarien, somit alle Besteuerungsrechte, Abgabenerträge, Kostentragungsregeln, Landesumlagen u.s.w. zu würdigen.

Der These, daß der Finanzausgleich insgesamt derart zu gestalten sei, daß im Großen und Ganzen im Endeffekt dem Rechte auf - bundesweite - Gleichbehandlung der Gemeinden entsprochen wird, kann nach Maßgabe der folgenden Überlegungen gefolgt werden:

Eine solche Verpflichtung zur bundesweiten Gleichbehandlung kann auf Grund der föderalistischen Struktur des Bundesstaates Österreich jedenfalls nicht so verstanden werden, daß für alle österreichischen Gemeinden gleichlautende finanzausgleichsrechtlich relevante Normen gelten müssen. Eine solche Auffassung würde schon mit der finanzverfassungsrechtlich vorgesehenen 'Ungleichbehandlung' der Gemeinden verschiedener Bundesländer aufgrund der durch Landesgesetz unterschiedlich geregelten Gemeindeabgaben oder der zwischen Land und Gemeinden geteilten Abgaben unvereinbar sein.

Ebensowenig könnte sich aus einer solchen Verpflichtung ergeben, daß sich die auf die Gemeinden beziehenden Normen auf alle Gemeinden in gleicher Weise auswirken müssen. Das kann weder bei bundesweit einheitlichen Abgabenvorschriften (z.B. jenen über die Gewerbesteuer, deren Aufkommen auf Grund der regionalen Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stark differiert) noch bei landesgesetzlichen Abgabenvorschriften innerhalb der Gemeinden eines Landes (zu denken wäre an die Getränkesteuer, deren Aufkommen in Fremdenverkehrsgemeinden wesentlich höher ist als in anderen Gemeinden) gesichert werden.

Allein schon auf Grund der unterschiedlichen für den Finanzausgleich relevanten landesgesetzlichen Vorschriften für die Gemeinden und auf Grund der unterschiedlichen finanziellen Ergebnisse gleichlautender oder gleichartiger Abgabenvorschriften des Bundes oder der Länder kommt es zu einer ungleichen Aufteilung der Finanzausgleichsmasse auf die Gemeinden, die immer nur teilweise ausgeglichen werden kann. Die auf diese Weise entstehenden Ungleichheiten der Gemeinden in bezug auf ihre finanzielle Ausstattung sind zu unterscheiden von jenen Ungleichheiten, die etwa auf Grund der Verteilung der gemeinschaftlichen Bundesabgaben auf die Gemeinden entstehen. Dabei wird nämlich sehr wohl versucht, etwa die durch das bei den Gemeindeabgaben geltende Aufkommensprinzip hervorgerufenen Ungleichheiten abzuschwächen.

Ein Ausgleich für die erstgenannten Ungleichheiten der Gemeinden im Hinblick auf die finanzielle Ausstattung ist auf zweierlei Weise mit unterschiedlicher Intensität des Ausgleichs möglich:

Die eine Möglichkeit ist eine Verteilung eines Teiles der Finanzausgleichsmasse auf die Gemeinden nach Kriterien, die eine stärkere bundeseinheitliche Gleichbehandlung der Gemeinden vorsehen (wie etwa die Verteilung des Gemeindeanteiles an der Lohnsteuer und Teilen der Umsatzsteuer nach einem bundeseinheitlich gleichen, sich auf die Gemeinden unabhängig von ihrer geographischen und wirtschaftlichen Lage gleich auswirkenden Verteilungsschlüssel). Die andere Möglichkeit ist eine Verteilung nach Kriterien, die eine stärkere Berücksichtigung jener Gemeinden vorsehen, die nach den Erträgen aus Gemeindeabgaben und aus den zwischen Land und Gemeinden geteilten Abgaben auf Grund unterschiedlicher Landesvorschriften und ihrer unterschiedlichen tatsächlichen Auswirkungen schlechter abgeschnitten haben (solche Regelungen stellen etwa § 21 FAG 1985 und § 21 FAG 1989 dar).

Beide Ausgleichssysteme bewirken den Ausgleich auf eine andere Weise und in einer anderen Intensität. Eine bundesweit einheitliche Verteilung eines Teiles der Finanzausgleichsmasse, die den Gemeinden gebührt, relativiert bereits die ungleiche Verteilung der finanziellen Mittel der Gemeinden, die sich auf Grund der unterschiedlichen landesgesetzlichen Vorschriften und der insgesamt unterschiedlichen Auswirkungen von Abgabenvorschriften des Bundes und der Länder ergeben.

Bei der zweiten Form des Ausgleiches durch gezielte Berücksichtigung ansonsten benachteiligter Gemeinden, bei der etwa die unterschiedliche Höhe von Abgabeneinnahmen auf Grund unterschiedlicher landesgesetzlicher Vorschriften und unterschiedlicher Entscheidungen der Gemeinden eine relevante Größe darstellt, erscheint es zulässig, einen Ausgleich für Finanzschwäche im Sinne des § 21 FAG 1985 in Form eines bundesweit geltenden Schlüssels so vorzunehmen, daß die unterschiedlichen landesgesetzlichen Abgabenvorschriften oder die unterschiedliche Höhe eingehobener Gemeindeabgaben nicht berücksichtigt werden. Eine bundesweite Verteilung, die darauf Rücksicht nähme, würde dazu führen, daß ein Ausgleich zugunsten von Ländern und Gemeinden stattfände, die die zu ihrer Disposition stehenden Abgaben nicht voll in Anspruch nehmen bzw. bei denen das Verhältnis der dem Land zufließenden Mittel zu den den Gemeinden zukommenden Mitteln stärker zugunsten des Landes ausgeprägt ist. Letzteres würde zu Lasten jener Länder und Gemeinden gehen, die die zu ihrer Disposition stehenden Abgaben voll in Anspruch nehmen bzw. in denen durch die landesgesetzlichen Vorschriften der den Gemeinden zukommende Mittelanteil höher ist als in anderen Ländern. Die beschriebene Situation könnte zu einer Beeinflussung der Ausgestaltung einschlägiger Landesgesetze oder der Abgabenerhebung der Gemeinden führen bzw. würde es in die Disposition des Landesgesetzgebers und der zuständigen Gemeindeorgane legen, in welchem Ausmaß die Gemeinden einen Ausgleich seitens des Bundes wegen Finanzschwäche auf Grund eines bundesweiten Zurechnungsschlüssels erhalten würden. Um die Verteilung der Finanzzuweisungen des Bundes an die Gemeinden von dieser Problematik einigermaßen abzukoppeln, erfolgt eine länderweise Oberverteilung konkret nach der Volkszahl. Nach Auffassung der Bundesregierung ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, daß der Finanzausgleichsgesetzgeber auch Unterschiede ausgleicht, die dadurch entstehen, daß Länder und Gemeinden ihre Möglichkeiten der Finanzierung aus eigenen Abgaben oder gemeinschaftlichen Abgaben nicht voll ausnützen bzw. in bestimmter Weise gestalten.

Der vom Bundesgesetzgeber nicht erwünschte Ausgleich für Unterschiede in der Abgabenerhebung auf Gemeindeebene kann dadurch verhindert werden, daß man bei der Ermittlung der Finanzkraft von fiktiven Hebesätzen ausgeht oder nur solche Gemeinden berücksichtigt, die alle Abgaben im höchstmöglichen Ausmaß erheben. Die Vermeidung des nicht erwünschten Ausgleiches der Unterschiede finanzausgleichsrechtlich relevanter Landesvorschriften stößt dagegen auf Schwierigkeiten, da es hier keine bundesweite Vorgabe für die höchstmögliche Besteuerung geben darf. Der Finanzausgleichsgesetzgeber muß sich daher darauf beschränken, entweder einen Ausgleich für die unterschiedlichen Auswirkungen von bundeseinheitlich geregelten Steuern oder einen Ausgleich für die Ungleichheiten innerhalb eines Landes vorzusehen. Mit der Regelung des Gemeindekopfquotenausgleiches (wie auch mit dem Finanzkraftausgleich in dem § 10 Abs 2 bis 4 FAG 1985 und § 10 Abs 2 bis 4 FAG 1989) hat sich der Gesetzgeber für die zweite Alternative entschieden.

Auch dieses beschriebene zweite (länderweise erfolgende) Ausgleichssystem erscheint daher verfassungsrechtlich zulässig.

Durch die Vorverteilung nach der Volkszahl wird überdies ein gewisser Ausgleich für die durch die Oberverteilung der Gemeindeertragsanteile nach dem Aufkommen entstehenden Disparitäten geschaffen, da dadurch deren Bedeutung an der gesamten Gemeindefinanzausgleichsmasse relativiert wird.

Auch die Überlegungen des VfGH zu § 12 F-VG 1948 in diesem Zusammenhang können nur mit der Einschränkung gelten, daß der Bundesgesetzgeber nicht alle Unterschiede in der Primärmittelverteilung bundesweit ausgleichen muß und daß nicht er allein zu diesem Ausgleich verpflichtet ist. Indem § 21 FAG 1985 und § 21 FAG 1989 auf die Finanzkraft der Gemeinde im Bundesdurchschnitt abstellen, wird dem Kriterium des § 12 F-VG 1948, demzufolge die durchschnittliche Belastung der Gemeinden durch die ihnen obliegenden Pflichtaufgaben und ihre eigene Steuerkraft zu berücksichtigen ist, entsprochen. Ein Grundsatz, daß jede einzelne finanzausgleichsrechtliche Bestimmung - losgelöst vom Zusammenhang der Gesamtheit der finanzausgleichsrechtlichen Regelungen - eine bundesweite Gleichbehandlung von Gemeinden durch den Bund herstellen muß, kann nach Auffassung der Bundesregierung aus § 12 F-VG 1948 nicht abgeleitet werden.

Zur Frage der sachlichen Rechtfertigung der konkreten länderweisen Vorverteilung ist auf die obigen Ausführungen hinzuweisen. Zu der Überlegung des Verfassungsgerichtshofes in der Klammer (S 19 dritter Absatz des Unterbrechungsbeschlusses) im Zusammenhang mit der Frage der sachlichen Rechtfertigung der Volkszahl ('ob die durch die konkrete Ausgestaltung der länderweisen Vorverteilung nach der Volkszahl auch hier bewirkte unterschiedliche Behandlung der Gemeinden verschiedener Bundesländer (je nach der Verteilung der Gemeinden eines Bundeslandes auf die einzelnen Größenklassen des § 21 Abs 2 Z 2 FAG) sachlich gerechtfertigt ist'), ist zunächst zu bemerken, daß der Finanzbedarf der Gemeinden eines Landes nicht von der Verteilung der Gemeinden auf die einzelnen Größenklassen des § 21 Abs 2 Z 2 FAG 1985 und § 21 FAG 1989 abhängt, sondern von der Verteilung der finanzschwachen Gemeinden auf die Länder (vgl. den Unterbrechungsbeschluß Seite 17). Weiters muß beachtet werden, daß gemäß § 21 FAG 1985 und § 21 FAG 1989 der Finanzbedarf jeder Gemeinde auf Grund der empirischen Ermittlung der durchschnittlichen Finanzkraft der Gemeinden in den gesetzlich festgelegten Größenklassen festgestellt wird. Bei der Ermittlung der Durchschnittswerte der Finanzkraft aller österreichischen Gemeinden ist aber eine Zusammenfassung der Gemeinden in bestimmte Größenklassen unerläßlich, weil nur Gemeinden innerhalb einer bestimmten Größe einen vergleichbaren objektiven Finanzbedarf haben.

Abschließend wird zu dem auch betreffend § 21 FAG 1985 und § 21 FAG 1989 relevierten Argument, daß den Finanzausgleichspartnern sowohl bei den Beratungen des FAG 1985 als auch des FAG 1989 auch die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung bekannt sein mußte, auf die Ausführungen unter Pkt. II verwiesen.

Zur Frage der Aufhebung nur der Worte 'nach der Volkszahl' in § 21 Abs 1 FAG 1985 und § 21 FAG 1989:

Eine solche Aufhebung erscheint nach Auffassung der Bundesregierung nicht möglich, weil dadurch einerseits Unvollziehbares zurückbliebe, und andererseits eine zu weitgehende Änderung des verbleibenden Gesetzestextes erfolgen würde. Besonders gravierend erscheint der Umstand der Unvollziehbarkeit. Bei einer solchen Aufhebung hätte nämlich der Bund die Mittel wohl sofort gemäß § 21 Abs 1 i.V.m. Abs 3 und 4 FAG 1985 und § 21 Abs 1 i. V.m. Abs 3 und 4 FAG 1989 zu verteilen, wobei die sich aus Abs 6 ergebenden Grenzen eingehalten werden müßten. Es wäre aber keine Regelung getroffen, wie bei einem Über- oder Unterschreiten des gemäß § 21 Abs 1 FAG 1985 und § 21 Abs 1 FAG 1989 zur Verfügung gestellten, absolut feststehenden Betrages bundesweit vorzugehen wäre."

c)aa) Der Verfassungsgerichtshof ging im Einleitungsbeschluß davon aus, daß es sich bei den Finanzzuweisungen nach § 21 FAG 1985 und 1989 um Schlüsselzuweisungen iS des § 12 Abs 1 F-VG 1948 handelt.

Diese Ausgangsposition trifft zu:

Zwar lehnt sich der Wortlaut des § 21 Abs 2 Einleitungssatz FAG an die im § 12 Abs 1 F-VG 1948 für die Umschreibung des Zieles der Bedarfszuweisungen gebrauchte Wendung an. Damit wird aber nur die von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehende Auffassung des Gesetzgebers zum Ausdruck gebracht, daß die unter § 21 FAG fallenden Gemeinden zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Haushaltsgleichgewichtes einer Unterstützung bedürfen; nicht aber verlangt diese Bestimmung den Nachweis eines konkreten Bedarfes. Eine am System des § 12 Abs 1 F-VG 1948 orientierte Auslegung ergibt eindeutig, daß die im § 21 FAG vorgesehenen Finanzzuweisungen Schlüsselzuweisungen sind. Maßgebend für die Finanzzuweisung nach § 21 FAG ist nämlich die tatsächliche Finanzkraft der Gemeinden. Damit knüpft der Finanzausgleichsgesetzgeber an das für Schlüsselzuweisungen maßgebende Kriterium der eigenen Steuerkraft an. Bestätigt wird dieses Ergebnis aber auch dadurch, daß der Tatbestand des § 21 FAG in Wahrheit an keines der für Bedarfszuweisungen maßgeblichen Kriterien anknüpft: Die Zuweisung wird - ungeachtet des oben erwähnten Einleitungssatzes des § 21 Abs 2 FAG - weder zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichts im Haushalt, noch zur Deckung außergewöhnlicher Erfordernisse, noch zum Ausgleich von Härten gewährt, die sich bei der Verteilung von Abgabenertragsanteilen oder Schlüsselzuweisungen ergeben. Die Zuweisung erfolgt vielmehr (ausgehend von der tatsächlichen Finanzkraft) im Hinblick auf eine bundesdurchschnittliche Finanzkraft (SCHNIZER sowie ACHATZ in SMEKAL/THEURL (Hg.), aaO, 139, 224 f., 245 f.).

bb) Die Schlüsselzuweisungen nach § 21 FAG werden (den Gemeinden) vom Bund gewährt. Eine systematische Interpretation des § 21 FAG zeigt, daß es das Ziel der Gewährung von (pauschalierenden) Schlüsselzuweisungen durch den Bund ist, größtmöglich einen bundesweiten Ausgleich der Unterschiede zwischen den den Gemeinden zur Verfügung stehenden Finanzmitteln zur Erfüllung ihrer Pflichtaufgaben herbeizuführen. Dieses Ziel kann aber allein schon aufgrund der länderweisen Vorverteilung nach der Volkszahl nicht erreicht werden. Das Gesetzesprüfungsverfahren hat die Richtigkeit der im Einleitungsbeschluß enthaltenen vorläufigen Annahme bestätigt, daß die finanzschwachen Gemeinden in jenen Ländern, in denen sich nur wenige solche Gemeinden befinden, den Fehlbedarf auf den Bundesdurchschnitt nahezu vollständig befriedigt erhalten, während für Gemeinden, die zu jenen Ländern gehören, in denen sich viele finanzschwache Gemeinden befinden, eine lineare Kürzung der zur Aufteilung gelangenden Mittel eintritt.

Der Hinweis der Bundesregierung auf die föderalistische Struktur Österreichs (s. die vorstehende litb) entkräftet die geäußerten Bedenken nicht. Das von § 21 FAG gewählte System ist nämlich - wie dargetan - vom Ansatz her verfehlt, das erwähnte angesteuerte Ziel soweit zu erreichen, als dies die länderweisen Verschiedenheiten zulassen.

cc) Dennoch ist nicht festzustellen, daß § 21 FAG 1985 verfassungswidrig war; ebensowenig ist § 21 FAG 1989 als verfassungswidrig aufzuheben:

Der Verfassungsgerichtshof hat im wiederholt zitierten Erkenntnis vom , G66/90, dargetan, die "Paktierung" des Finanzausgleiches für einen bestimmten künftigen Zeitraum bewirke, daß eine (einseitige) Änderung (wie sie auch durch eine vom Verfassungsgerichtshof ausgesprochene Gesetzesaufhebung bewirkt würde) während der Laufzeit nicht bloß der politischen Fairness widersprechen kann, sondern auch das eine Einheit bildende Gesamtsystem des Finanzausgleiches schwerwiegend gestört wird und damit der geänderte Finanzausgleich in Widerspruch zu § 4 F-VG 1948 gerät. Einen - den Art 7 B-VG und den § 4 F-VG 1948 verletzenden - Fehler des Gesetzgebers kann der Verfassungsgerichtshof im gegebenen Zusammenhang nur dann aufgreifen, wenn einzelne Detailvorschriften zueinander in sachlich nicht rechtfertigbarem Widerspruch stehen (wie etwa bei Benachteiligung zweier Städte mit eigenem Statut ohne Bundespolizeibehörden - VfSlg. 10 633/1985), oder aber wenn die Partner der Finanzausgleichsverhandlungen von völlig verfehlten Prämissen ausgingen oder die artikulierte Interessenslage eines Partners geradezu willkürlich ignoriert oder mißachtet wurde.

Davon kann aber hier nicht die Rede sein. § 21 FAG 1985 und § 21 FAG 1989 bilden einen wesentlichen Teil des für den Zeitraum 1985 bis 1992 geltenden Finanzausgleiches. Die Vorschriften betreffen - anders als etwa § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1989 - nicht bloß Details des Finanzausgleichs, sondern haben als Regelungen eines bundesweiten Verteilungsvorganges darüber hinausgehende Dimensionen.

Die im § 21 FAG enthaltene Regelung wurde erstmals 1985 in den Finanzausgleich aufgenommen. Die Finanzausgleichspartner gingen offenbar davon aus, daß die Regelung des § 21 FAG ihr Ziel wenigstens einigermaßen erreichen würde.

Daß dies - wie oben dargetan - nicht der Fall ist, stellte sich erst nach Abschluß der Finanzausgleichspakte heraus.

Das Verfahren zur amtswegigen Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 21 FAG 1985 (G 89-225/89) - das aus formalen Gründen mit Einstellung endete - wurde vom Verfassungsgerichtshof erst mit Beschluß vom eingeleitet. Zu diesem Zeitpunkt war aber das FAG 1989 vom Gesetzgeber bereits erlassen worden, sodaß dieser auf die im Einleitungsbeschluß enthaltenen Bedenken nicht mehr reagieren konnte. Eine spätere Änderung durch den Gesetzgeber schied aus. Es kann ihm hier - anders als bei § 8 Abs 3 vorletzter Satz FAG 1989 - auch nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe eine schrittweise Anpassung an eine sachgerechte Lösung versäumt; eine derartige schrittweise Anpassung scheidet bei § 21 aus, weil die gebotene Neufassung - wie erwähnt - nicht eine Änderung von Details, sondern eine des Systems erfordern würde.

Diese Systemänderung wird der Gesetzgeber jedoch anläßlich des neuen FAG (1993) vorzunehmen haben.

d) § 21 FAG 1985 und § 21 FAG 1989 sind sohin nicht mit der im Einleitungsbeschluß vorläufig angenommenen Verfassungswidrigkeit belastet. Es war daher einerseits festzustellen, daß (der bereits außer Kraft getretene (s.o. II.A.3.c.bb.)) § 21 FAG 1985 nicht verfassungswidrig war, und andererseits auszusprechen, daß (der noch in Kraft stehende) § 21 FAG 1989 nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.