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VfGH vom 10.10.1995, G154/93

VfGH vom 10.10.1995, G154/93

Sammlungsnummer

14301

Leitsatz

Zulässigkeit der Anträge auf Aufhebung der Regelung der Zuerkennung des Sorgerechts für das eheliche Kind an einen Elternteil allein nach Auflösung der Ehe im Kindschaftsrecht; keine Rechtskraft der Vorentscheidung aufgrund neuer Bedenken und Änderung der Rechtslage;

Abweisung der Anträge; kein Abgehen von Vorjudikatur; sachliche Rechtfertigung der angefochtenen Bestimmung durch Bedachtnahme auf das Kindeswohl und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs;

einvernehmliches Vorgehen der Eltern nicht verhindert oder erschwert;

keine Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit (der Rechte und Pflichten) von Mann und Frau in den familienrechtlichen Beziehungen

Spruch

Die Anträge, das Wort "allein" in Abs 1 des § 177 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, in der Fassung des Kindschaftsrecht-Änderungsgesetzes - KindRÄG, BGBl. Nr. 162/1989, als verfassungswidrig aufzuheben, werden abgewiesen.

Im übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien versagte einer (als Voraussetzung für eine Ehescheidung) in der Form eines gerichtlichen Vergleiches geschlossenen Vereinbarung, in deren Punkt I. die Eltern festlegten, daß das Recht und die Pflicht, ein minderjähriges Kind zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und es zu vertreten, nach der Scheidung beiden Elternteilen zustehen sollen, die pflegschaftsbehördliche Genehmigung.

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht unterbrach, während es das gegen den Beschluß des Erstgerichtes eingebrachte Rechtsmittel im übrigen meritorisch erledigte, das Rechtsmittelverfahren insoweit, als es die Nichtgenehmigung des Punktes I. der Vereinbarung betraf und stellte unter Berufung auf Art 89 Abs 2 und 140 Abs 1 B-VG den - zu G154/93 protokollierten - Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle jeweils das Wort "allein" in § 177 Abs 1 und 2 ABGB, in eventu "die gesamte Bestimmung des § 177 ABGB" als verfassungswidrig aufheben.

2. Das Bezirksgericht Oberndorf bei Salzburg versagte einer (als Voraussetzung für eine Ehescheidung) in der Form eines gerichtlichen Vergleiches geschlossenen Vereinbarung, in der die Eltern unter anderem festlegten, daß sie die Obsorge für ihren minderjährigen Sohn wie bisher und in gleicher Weise gemeinsam ausüben, die pflegschaftsbehördliche Genehmigung.

Das von den Eltern mit Rekurs gegen diesen Beschluß angerufene Landesgericht Salzburg als Rekursgericht stellte aus Anlaß dieses Verfahrens unter Berufung auf Art 89 Abs 2 und 140 Abs 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den - zu G171/94 protokollierten - Antrag, den § 177 ABGB, idF des Kindschaftsrecht-Änderungsgesetzes - KindRÄG, BGBl. 162/1989, zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.

3. § 177 ABGB und die im vorliegenden Zusammenhang gleichfalls bedeutsamen §§144, 167, 176, 176a, 176b und 178 ABGB (jeweils idF des KindRÄG, dieses idF der Kundmachung BGBl. 251/1989) haben folgenden Wortlaut:

"Obsorge

§ 144. Die Eltern haben das minderjährige Kind zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und es zu vertreten; sie sollen bei Ausübung dieser Rechte und Erfüllung dieser Pflichten einvernehmlich vorgehen. Zur Pflege des Kindes ist bei Fehlen eines Einvernehmens vor allem derjenige Elternteil berechtigt und verpflichtet, der den Haushalt führt, in dem das Kind betreut wird.

Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und unehelichen Kindern

§ 165. ...

§ 167. Das Gericht hat auf gemeinsamen Antrag der Eltern zu

verfügen, daß ihnen beiden die Obsorge für das Kind zukommt, wenn die Eltern mit dem Kind in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben und diese Verfügung für das Wohl des Kindes nicht nachteilig ist. Hebt ein Elternteil die häusliche Gemeinschaft nicht bloß vorübergehend auf, so ist § 177 Abs 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

Entziehung oder Einschränkung der Obsorge

§176. (1) Gefährden die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes, so hat das Gericht, von wem immer es angerufen wird, die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen; eine solche Verfügung kann auf Antrag eines Elternteils auch ergehen, wenn die Eltern in einer wichtigen Angelegenheit des Kindes kein Einvernehmen erzielen. Besonders darf das Gericht die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise, auch gesetzlich vorgesehene Einwilligungs- oder Zustimmungsrechte, entziehen. Im Einzelfall hat das Gericht auch eine gesetzlich erforderliche Einwilligung oder Zustimmung eines Elternteils zu ersetzen, wenn keine gerechtfertigten Gründe für die Weigerung vorliegen.

(2) Die Entziehung der Pflege und Erziehung oder der Verwaltung des Vermögens des Kindes schließt die Entziehung der gesetzlichen Vertretung in dem jeweiligen Bereich mit ein; die gesetzliche Vertretung kann für sich allein entzogen werden, wenn der betroffene Elternteil seine übrigen Pflichten erfüllt.

§ 176a. Ist das Wohl des Kindes gefährdet und deshalb die gänzliche Entfernung aus seiner bisherigen Umgebung gegen den Willen der Erziehungsberechtigten notwendig und ist seine Unterbringung bei Verwandten oder anderen geeigneten nahestehenden Personen nicht möglich, so hat das Gericht die Obsorge für das Kind dem Jugendwohlfahrtsträger ganz oder teilweise zu übertragen. Der Jugendwohlfahrtsträger darf deren Ausübung Dritten übertragen.

§ 176b. Durch eine Verfügung nach den §§176 und 176a darf das Gericht die Obsorge nur so weit beschränken, als dies zur Sicherung des Wohles des Kindes nötig ist.

§177. (1) Ist die Ehe der Eltern eines minderjährigen ehelichen Kindes geschieden, aufgehoben oder für nichtig erklärt worden oder leben die Eltern nicht bloß vorübergehend getrennt, so können sie dem Gericht eine Vereinbarung darüber unterbreiten, wem von ihnen künftig die Obsorge für das Kind allein zukommen soll. Das Gericht hat die Vereinbarung zu genehmigen, wenn sie dem Wohl des Kindes entspricht.

(2) Kommt innerhalb angemessener Frist eine Vereinbarung nicht zustande oder entspricht sie nicht dem Wohl des Kindes, so hat das Gericht, im Fall nicht bloß vorübergehender Trennung der Eltern jedoch nur auf Antrag eines Elternteils, zu entscheiden, welchem Elternteil die Obsorge für das Kind künftig allein zukommt.

(3) Der § 167 gilt entsprechend.

Mindestrechte der Eltern

§178. (1) Soweit einem Elternteil die Obsorge nicht zukommt, hat er, außer dem Recht auf persönlichen Verkehr, das Recht, von außergewöhnlichen Umständen, die die Person des Kindes betreffen, und von beabsichtigten Maßnahmen zu den im § 154 Abs 2 und 3 genannten Angelegenheiten von demjenigen, dem die Obsorge zukommt, rechtzeitig verständigt zu werden und sich zu diesen wie auch zu anderen wichtigen Maßnahmen, in angemessener Frist zu äußern. Dem Vater eines unehelichen Kindes, dem die Obsorge nie zugekommen ist, steht dieses Recht nur bezüglich wichtiger Maßnahmen der Pflege und Erziehung zu. Diese Äußerung ist zu berücksichtigen, wenn der darin ausgedrückte Wunsch dem Wohl des Kindes besser entspricht.

(2) Würde die Wahrnehmung dieser Mindestrechte das Wohl des Kindes ernstlich gefährden, so hat das Gericht sie einzuschränken oder zu entziehen."

§ 178a ABGB, eingefügt durch ArtI Z 13 des Bundesgesetzes über die Neuordnung des Kindschaftsrechts, BGBl. 403/1977, hat folgenden Wortlaut:

"§178 a. Bei Beurteilung des Kindeswohls sind die Persönlichkeit des Kindes und seine Bedürfnisse, besonders seine Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten, sowie die Lebensverhältnisse der Eltern entsprechend zu berücksichtigen."

4. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien erachtet die Zuteilung der Obsorge (§144 ABGB) an einen Elternteil allein in § 177 ABGB für nicht verfassungskonform. Es begründet seine Auffassung mit folgenden Ausführungen:

"Die nach der Kreierung des § 177 ABGB eingetretene Entwicklung hat dieses Modell insoweit überholt, als - von der Basis kommend - bei geschiedenen Eltern immer stärker der Wunsch aufgetreten ist, nach erfolgter Scheidung weiterhin auch gemeinsam die Verantwortung für das Kind zu tragen. Das Rekursgericht hat diese Entwicklung in seiner u.a. in JBl. 1992, 695 ff. veröffentlichten Entscheidung 43 R 281/92, vor allem auch an Hand der Ausführungen von Coester in Staudinger, BGB12 IV (1991) zu § 1671 BGB dargelegt. Im Zeichen dieser Veränderung stand der in Salzburg im Mai abgehaltene Familienrichtertag 1993. Die Bestimmung, daß nach erfolgter Scheidung die Obsorge nur einem Elternteil zuzukommen hat, wurde daher als nicht mehr zeitgemäß, einengend und mit verfassungsrechtlichen Bestimmungen im Widerspruch gesehen (Stolzlechner, Übertragung und Obsorge in Harrer/Zitta, Familie und Recht, 785 ff.). Selbstredend kann die seit der Neufassung des § 177 ABGB eingetretene Entwicklung keinen alleinigen Grund darstellen, die Verfassungsmäßigkeit des § 177 in Frage zu stellen, doch ist sie für das nunmehrige Normverständnis aus teleologischer Sicht nicht ohne Bedeutung (vgl. Posch in Schwimann, Praxiskommentar zum ABGB I Rz. 21-23 zu § 6; auch Bydlinski, in Rummel I Rz. 20-24 zu § 6). Vor allem kann in diesem Rahmen der bei einem Rechtsinstitut eingetretene Funktionswandel nicht unberücksichtigt bleiben. Für die hier ausschlaggebende Argumentation ist der Rückgriff darauf sicher nicht notwendig, doch soll dieser Gedanke deshalb nicht unerwähnt bleiben.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom , G142, 168/88, veröffentlicht u.a. in JBl. 1990 305 ff., ausgesprochen, daß die Bestimmung des § 177 ABGB über die Alleinzuteilung an einen Elternteil dem Art 8 MRK nicht widerspricht, jedoch ausdrücklich angeführt, daß er mangels dahingehender Anfechtung im Sinne seiner Judikatur nicht zu prüfen hatte, ob die Gesetzesstelle auch anderen Verfassungsbestimmungen widerspricht. Es kann daher zulässigerweise eine Prüfung dahin angestrengt werden, ob die Norm anderen im Verfassungsrang stehenden Bestimmungen entspricht.

Vor allem Stolzlechner, aaO 790 ff., macht geltend, daß die Bestimmung des § 177 ABGB dem Zusatzprotokoll Nr. 7, Art 5 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten samt Erklärungen, BGBl. 1988/628 (7. ZProt.), das im Verfassungsrang steht, nicht standhalten kann. Der Artikel lautet:

'Ehegatten haben untereinander in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Eheschließung und bei Auflösung der Ehe. Der Artikel verwehrt es den Staaten nicht, die im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen zu treffen.'

Die Gleichheit beschränkt sich demnach nicht nur auf die Ehe, sondern ist im selben Ausmaß für die nacheheliche Phase zu wahren (EBzRV 900 BlgNR 16. GP, 9; Trechsel, Das verflixte Siebente? Bemerkungen zum 7. Zusatzprotokoll des EMRK in FS Ermacora 208 ff.). Bezogen auf die Elternrechte stellt daher die Scheidung keine Zäsur dar, die für sich Anlaß geben könnte, normierte Elternrechte, die dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen, anders, vor allem auch unter Ausschaltung des Elternteiles, neu zu regulieren. Bezogen auf die elterlichen Rechte und Pflichten wird die eheliche Phase der nachehelichen gleichgestellt. Die Gesetzgebungen der Vertragsstaaten sind daher verpflichtet, ihre Familienrechte so zu gestalten, daß der Gleichheitsgrundsatz bezüglich der Ausübung der Obsorgerechte und Pflichten nicht alleine dadurch in Frage gestellt wird, je nachdem ob die Ehe der Eltern der Kinder aufrecht oder geschieden ist, Nach § 177 ABGB soll ein Elternteil durch die Ehescheidung zwingend die ihm zustehenden Obsorgerechte verlieren. Ein Eingehen auf die konkrete Situation ist nicht erforderlich. Der rechtliche Akt der Scheidung für sich genügt, um diese Wirkung zu rechtfertigen. Das widerspricht dem Artikel 5 und ist daher verfassungswidrig. Es ist nicht zu erkennen, was sein Schutzzweck ist, wenn mit ihm die Alleinzuteilung der Obsorge an einen Elternteil nur deshalb, weil die Ehe geschieden wurde, vereinbar wäre. Der Text, seine Intention und der ganze Aufbau der Bestimmung soll doch erkennbar der Tendenz entgegenwirken, Obsorgerechte davon abhängig zu machen, ob die Ehe aufrecht oder geschieden ist. Wäre dieses Ziel nicht angestrebt worden, so hätte sich die Vereinbarung erübrigt. Der ganze Artikel verlöre seinen Sinngehalt und seine Substanz, wenn ihm das nicht zu unterstellen wäre. Die Ausführungen Stolzlechners aaO, S. 394, gehen dahin, daß die Maßnahmen des § 177 ABGB nicht adäquat seien. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei nicht für sich abstrakt, sondern im Verhältnis zum grundrechtlichen Inhalt des Art 5 des 7. Zusatzprotokolles zu sehen.

Der zweite Satz des Artikels verwehrt es den Staaten nicht, die im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen zu treffen. Diese Bestimmung vermag aber den im ersten Satz statuierten Gleichheitsgrundsatz für die nacheheliche Phase nicht in Frage zu stellen. Vor allem würde es auf eine Aufhebung des im ersten Satz des Artikels normierten Gleichheitsgrundsatzes hinauslaufen, wenn die Scheidung für sich eine notwendige Maßnahme im Sinne des Obsorgeentzuges rechtfertigen und demnach § 177 ABGB insoweit billigen würde. Die im Artikel angesprochenen Maßnahmen rechtfertigen die Erlassung von Normen, wie sie im § 176 ABGB festgelegt sind (Einschränkung oder Entziehung der elterlichen Rechte und Pflichten bei schon objektiver Gefährdung durch einen Elternteil). Das Interesse der Kinder (in unserer Diktion: Wohl der Kinder) ist immer wahrzunehmen und demgemäß zu handeln, gleich, ob seine Eltern geschieden sind oder in aufrechter Ehe leben. Jede an sich statuierte Regelung kann zu anderen Gestaltungen führen, wenn der betroffene Elternteil das Wohl des Kindes gefährdet. Mit dem Artikel stünde daher durchaus in Einklang, wenn die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anordnen, daß aus Anlaß einer Scheidung eine Prüfung stattzufinden hat, ob die bisherige Ausübung der Elternrechte weiterhin verbleiben sollen. Für anderweitige Gestaltungen erfordert der zweite Satz des Artikels erkennbar einen konkreten Sachbezug, der nur in der Prüfung obwaltenden Lebensverhältnisse seine Rechtfertigung finden kann, nicht aber schon in der Scheidung an sich. Eine schwerpunktsmäßige Orientierung in Richtung Scheidung ist dem zweiten Satz des Artikels 5 schon deshalb nicht zuzuordnen, weil er sich ja unterschiedslos auf alle Phasen, die im ersten Satz genannt sind, bezieht. Die notwendigen Maßnahmen sich daher auch auf die Phase der Dauer der Ehe beziehen.

Es bedarf wohl keiner Erörterung, daß die dem die Obsorge nicht innehabenden Elternteil in § 178 ABGB zuerkannten Mindestrechte eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Position bezüglich des Obsorgerechtes nicht geben. Spricht doch das Gesetz einleitend selbst von dem Elternteil, dem die Obsorge nicht zukommt. Hat er doch nur das Recht von 'außergewöhnlichen Umständen', die das Kind betreffend und von beabsichtigten Maßnahmen zu den in § 154 Abs 2 und 3 genannten Angelegenheiten von demjenigen, dem die Obsorge zukommt, rechtzeitig verständigt zu werden und sich zu diesen, wie auch zu anderen wichtigen Maßnahmen, in angemessener Frist zu äußern. Ein Zustimmungs- und Mitbestimmungsrecht wird dadurch nicht gewährt (Schwimann in Schwimann, Praxiskommentar zum ABGB I Rz. 7 zu § 178 mit weiteren Zitaten aus der Judikatur). Auch ergeben sich aus dieser Bestimmungen für den nicht obsorgeberechtigten Elternteile keine Parteienrechte (Pichler in Rummel, Kommentar zum ABGB I Rz. 5 zu § 178 mit Nachweisen aus der Judikatur). Von einer qualitativen Beteiligung an der Obsorge, dessen Ausschluß § 178 ABGB seinem ausdrücklichen Wortlaute nach voraussetzt, kann daher nicht die Rede sein.

Ohne jegliche Relevanz ist die Bestimmung des § 177 Abs 3 ABGB, wonach § 167 ABGB entsprechend gilt, weil für die nacheheliche Situation geradezu typisch ist, daß die geschiedenen Eheleute nicht in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben. Mit dieser Bestimmung kann daher nicht argumentiert werden, daß das Gesetz in seiner Gesamtregulierung dem Art 5 nicht widerspricht.

Dem Rekursgericht erscheint aber nicht nur das

7. Zusatzprotokoll, Art 5 BGBl. 1988/628, sondern auch Art 2 StGG insoferne verletzt, als in entscheidenden Bereichen eine unsachliche Differenzierung vorgenommen wurde (vgl. Adamovich-Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3, 379; 381 f.).

§177 ABGB steht nämlich in sich mit seinen Wertungen in einem unlösbaren innerlichen Widerspruch. Er verlangt nämlich die amtswegige Alleinzuteilung der Obsorge an einen Elternteil nur dann, wenn die Ehe geschieden, aufgehoben oder für nichtig erklärt wurde. Leben die Eltern ohne Scheidung dauernd getrennt, so kann das Gericht amtswegig keinem von ihnen die Elternrechte alleine zuteilen. In diesem Falle kann eine Zuteilung nur über Antrag erfolgen. Liegt der Gesetzesstelle die innere Wertung zugrunde, daß ein dauerndes Getrenntleben der Eltern für das Kind einen Zustand bringt, der einer amtswegigen Regelung bedarf, wonach die Elternrechte einem Elternteil ausschließlich zuzuordnen sind, so ist nicht einzusehen, warum einer in diesem Zusammenhang möglichen Fälle herausgegriffen und einer abweichenden Regelung dahin zugeführt wird, daß die Rechtsfolgen nicht amtswegig, sondern nur über Antrag bewirkt werden können. Entscheidend ist die unterschiedliche und sachlich in keiner Weise begründete abweichende Regelung für diesen Fall des Getrenntlebens. Die Regelung des § 177 ABGB ist ja inhaltlich eine solche des Kindschaftsrechtes zur Wahrung des Wohles des Kindes, und nicht eine solche des Scheidungsfolgerechtes oder gar eine Scheidungssanktion. In welcher rechtlicher Verbindung die Eltern die zueinander stehen, ist für das Kind unentscheidend.

Die Bestimmung des § 177 ABGB widerspricht daher auch dem Art 2 StGG."

5. Das Landesgericht Salzburg hat gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 177 ABGB folgende Bedenken vorgebracht:

"Es wird zwar nicht verkannt, daß der Verfassungsgerichtshof bereits über die Verfassungsmäßigkeit des § 177 ABGB (idF des Bundesgesetzes über die Neuordnung des Kindschaftsrechtes, BGBl. 1977/403) im Hinblick auf Artikel 8 EMRK entschieden hat (Erkenntnis vom , G142, 168/88 VfSlg. 12103); andererseits wurden jedoch auch unter Bedachtnahme auf die zitierte Vorentscheidung des Verfassungsgerichtshofes sowie darauf, daß § 177 ABGB durch Anfügung eines Absatzes 3 durch

Artikel 1 Z 20 KindRÄG, BGBl. 1989/162, dahingehend novelliert wurde, daß unter Verweis auf den ebenfalls mit dem Kindschaftsrechtsänderungsgesetz neu gefaßten § 167 ABGB die Belassung der gemeinsamen Obsorge für ein Kind auch nach Scheidung der Eltern bei gemeinsamen Antrag der Eltern ermöglicht wird, wenn 'die Eltern mit dem Kind in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben' und die Belassung der gemeinsamen Obsorge 'für das Wohl des Kindes nicht nachteilig ist', neben der im Erkenntnis Verfassungssammlung 12103 bereits berücksichtigten Lehrmeinung von H a r r e r (Pflege, Erziehung und Verwaltung des Vermögens des Kindes nach Scheidung der Elternehe, ÖJZ 1984, 452), in der Literatur weitere kritische Stimmen gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 177 ABGB laut (vgl. S t o l z l e c h n e r , Die Übertragung der Obsorge auf einen Elternteil nach Eheauflösung bzw. nach einer nicht bloß vorübergehenden Trennung der Eltern (§177 ABGB) im Lichte des Artikel 8 MRK sowie des Artikel 5 des 7. ZProt. in :

H a r r e r / Z i t t a (Hg.), Familie und Recht (1992), 785 ff.;

B r ö t e l , Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens (1991), 189 ff.; P i c h 1 e r , Glosse zu JBl. 1992, 699; D e i x 1 e r - H ü b n e r , Die Obsorgerechtsregelung nach der Ehescheidung, ÖJZ 1993, 722 und Ü b e r t s r o i d e r , Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre durch Artikel 8 EMRK und § 1 DSG, Rechtswissenschaftliche Dissertation an der Universität Salzburg (1994), 96 ff.). Diese in der Lehre vorgebrachten Bedenken, die im unten dargelegten Ausmaß vom erkennenden Rekurssenat geteilt werden, sowie die Erfahrungen der Judikaturpraxis mit der Bestimmung des § 177 ABGB lassen es daher als geboten erscheinen, den vorliegenden Antrag zu stellen.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die derzeitige Regelung des § 177 ABGB beziehen sich auf Sachverhalte, in denen es dem Kindeswohl nicht nachteilig ist (vgl. § 167 ABGB) oder es dem Kindeswohl sogar mehr entspricht, die Obsorge nach Scheidung bei beiden Elternteilen zu belassen. Unter Verweis auf die Ausführungen von C o e s t e r (in S t a u d i n g e r , BGB IV12 Rz. 162 zu § 1671; vgl. auch LGZ Wien JBl. 1992, 695 ff.) können die für eine gemeinsame Sorgerechtsregelung sprechenden kindeswohlrelevanten Gesichtspunkte darin erblickt werden, daß durch ein von beiden Elternteilen gemeinsam ausgeübtes Sorgerecht die Loyalitätskonflikte des Kindes geschont werden, da es sich nicht zwischen den Eltern entscheiden muß und damit die Kontinuität der Beziehungen weitmöglichst gewahrt wird. Der Umstand, daß beide Elternteile weiter für das Kind zuständig sind und sorgen wollen, vermag ihm eine psychische Hilfe bei der Bewältigung der Scheidungskrise zu sein, wie überhaupt das Bedürfnis des Scheidungskindes nach fortbestehenden Beziehungen zu beiden Elternteilen als fundamental erkannt worden ist. Weiterhin kann das gemeinsame Sorgerecht die Befriedung der familiären Konflikte fördern und häufig anzutreffende Schwierigkeiten bei der Besuchsrechtsausübung ersparen. Das gemeinsame Sorgerecht ist daher in geeigneten Fällen die für das Kind schonendste und ihm förderlichste Sorgerechtsform und konzeptionell der Alleinsorge überlegen (vgl. C o e s t e r aaO).

Aus kindes- und sozialpsychologischer Sicht muß daher davon ausgegangen werden, daß die Zuteilung der Obsorge nach Scheidung an einen Elternteil allein nicht in jedem Fall dem Kindeswohl zuträglich ist. Hinsichtlich der Fallgruppe, in denen das Kindeswohl die Zuweisung der Obsorge an einen Elternteil nicht erfordert oder eine solche unter Bedachtnahme auf das Kindeswohl geradezu kontraindiziert wäre, ergeben sich die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 177 ABGB, die nunmehr wie folgt näher auszuführen sind:

Zunächst ist festzuhalten, daß die Textierung des § 177 Abs 1 und 2 ABGB im Zusammenhang mit der aus den Materialien hervorleuchtenden Absicht des Gesetzgebers eine Interpretation dahingehend ausschließt, das Sorgerecht in bestimmten Fällen beiden Elternteilen zuzuweisen (arg.: 'allein' in Absatz 1 und 2 leg.cit.; vgl. D e i x 1 e r - H ü b n e r aaO, 725 ff.; VfSlg. 12103). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 177 ABGB dahingehend, daß das Sorgerecht nach Scheidung der Elternehe auch bei Fehlen des Tatbestandsmerkmales der dauernden häuslichen Gemeinschaft der Eltern mit dem Kind im Interesse des Kindeswohles bei beiden Elternteilen belassen werden könne, erscheint daher de lege lata nicht möglich.

1.) Bedenken aus der Sicht des Artikel 8 EMRK :

Das antragstellende Gericht verkennt keineswegs, daß nach ständiger Rechtsprechung der EKMR die Regelung der Sorgeberechtigung für ein Kind in erster Linie Sache des nationalen Gesetzgebers ist. Weiters wird nicht übersehen, daß die familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern vor und nach der Scheidung unterschiedlich geregelt werden können (vgl. B r e i t e n m o s e r, Der Schutz der Privatsphäre gemäß Artikel 8 EMRK (1986), 120 f.).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis Verfassungssammlung 12.103 (Seite 731) festgehalten hat, ist die Zuweisung der aus den familienrechtlichen Beziehungen erfließenden Rechte und Pflichten nach Auflösung der Ehe (oder im Fall dauernder Trennung der Eltern) an einen Elternteil allein ein Eingriff in das dem anderen Elternteil, aber auch dem Kind durch Artikel 8 Abs 1 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens (so auch in ständiger Rechtsprechung die EKMR , B7.770/77, DR 14, 175 (176 f.); EKMR , B8.513/79, EuGRZ 1982, 311 Nr. 102). Entscheidungen eines staatlichen Gerichtes, die das Grundrecht eines Elternteiles im Interesse des Wohles des Kindes beschränken, sind durch Artikel 8 EMRK gedeckt (VfSlg. 12103).

Der Eingriff ist dann eine in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft notwendige Maßnahme, wenn er im öffentlichen Interesse oder zum Schutz der Gesundheit des Kindes erfolgt, wobei unter Gesundheit auch das psychische Wohl des Kindes verstanden wird (statt aller EKMR B911/60, Yb 4, 198 (216)).

Wie eingangs bereits angesprochen, gibt es Fallgestaltungen, die im Interesse des Kindeswohles gerade wegen der Trennung der Eltern die Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge der Kindeseltern erheischen. Es ist ein kinderpsychologischer Gemeinplatz, daß mit der Trennung der Eltern erhebliche psychische Belastungen der Kinder einhergehen. Können diese naturgemäß auftretenden psychischen Belastungen der Kinder dadurch gemildert werden, daß die Eltern weiterhin gemeinsam das Sorgerecht ausüben, so muß im Interesse des Kindeswohles die Möglichkeit bestehen, den Eltern das Sorgerecht gemeinsam zuzusprechen, und zwar unabhängig vom Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft im Sinne des § 167 ABGB iVm § 177 Abs 3 ABGB (vgl. Ü b e r t s r o i d e r aaO, 104).

Regelungen, die den Eltern unter bestimmten Voraussetzungen das Sorgerecht gemeinsam zuerkennen, entsprechen dem Artikel 8 EMRK, da das Familienleben nach der Trennung der Eltern weiter besteht (B r ö t e 1 aaO, 191 mwN).

Artikel 8 Abs 2 EMRK gestattet einen Eingriff zum Schutz der Gesundheit des Kindes bzw. von dessen Rechten (siehe VfSlg. 12103, 733). Damit unterliegt eine Obsorgerechtsregelung nicht nur auf einfach-gesetzlicher Ebene dem Postulat des Kindeswohles (siehe dazu D e i x l e r - H ü b n e r , ÖJZ 1993, 725), sondern auch aus der Sicht des Artikel 8 EMRK ist eine Regelung nur insoweit konventionskonform, als sie zum Schutz des Kindeswohles erforderlich ist. Erfordert das Kindeswohl einen solchen Eingriff nicht und entspricht es überdies dem Kindeswohl mehr, wenn das Sorgerecht beiden Elternteilen zugewiesen wird, dann entfallen die genannten Eingriffsgründe in das Recht auf Achtung des Familienlebens. Übrig bleibt ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens des nicht sorgeberechtigten Elternteiles und des Kindes, der nicht aus dem in Artikel 8 Abs 2 EMRK angeführten Eingriffsgrund 'Schutz der Gesundheit oder der Rechte' des Kindes erforderlich ist, da ja das Kindeswohl gerade das Gegenteil indiziert (B r ö t e l aaO, 191;

Ü b e r t s r o i d e r aaO, 105).

Einen anderen der Eingriffsgründe des Artikel 8 Abs 2 EMRK als den des Schutzes der Gesundheit des Kindes und von dessen Rechten (also des Inbegriffs des Kindeswohles) heranzuziehen, erscheint nicht möglich. Insbesondere könnte ein 'gesellschaftliches Interesse' wohl nicht über das Kindeswohl gestellt werden; letztlich erfolgt der Schutz der Kinder im Gesellschaftinteresse, da sie der am meisten schutzbedürftige Teil der Gesellschaft sind.

Eine gesetzliche Regelung über die Bestimmung des § 177 ABGB, die eine Zuweisung der Obsorge zwingend an einen Elternteil vorsieht, ohne daß auf das Kindeswohl im konkreten Fall abgestellt wird, sodaß durchaus Fälle denkbar sind und in der Praxis auch vorkommen, in denen die Zuweisung der Obsorge an einen Elternteil dem Kindeswohl geradezu widerspricht, erscheint daher verfassungsrechtlich aufgrund des Fehlens eines Eingriffstatbestandes in das durch Artikel 8 EMRK gewährleistete Grundrecht nicht verfassungskonform zu sein.

Es ist im Gegenteil zu fragen, ob nicht Artikel 8 EMRK sogar einen Anspruch auf Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen einräumt. Das könnte der Fall sein, wenn die Eltern die gemeinsame Obsorge übereinstimmend wollen, sie beide voll erziehungsfähig sind, die Verantwortung weiter wahrnehmen können und keine Gründe dafür vorliegen, die im Interesse des Kindeswohles die Übertragung des Sorgerechtes an nur einen Elternteil angezeigt erscheinen ließen. Wie bereits ausgeführt, fehlt in solchen Fällen ein unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohles rechtfertigender Grund für den Eingriff in ein Grundrecht, sodaß Artikel 8 EMRK die Belassung der Obsorge bei beiden Elternteilen fordert (B r ö t e l aaO, 191), denn aus dem Begriff 'Achtung des Familienlebens' ergeben sich für den Gesetzgeber positive, diesem Begriff immanente Pflichten. So ist der Staat beispielsweise verpflichtet, die familiären Beziehungen so zu gestalten, daß es den Betroffenen möglich ist, ein normales Familienleben zu führen (EGMR - Marckx-Fall -, EuGRZ 1979, 459).

Kann aufgrund der starren gesetzlichen Regelung des § 177 ABGB die Obsorge im Gros der Fälle nur einem Elternteil zugewiesen werden - die dauernde häusliche Gemeinschaft der Kindeseltern mit dem Kind nach Trennung ihrer Ehe bildet einen seltenen Ausnahmefall - , so liegt darin ein Eingriff des Gesetzgebers in das Recht auf Achtung des Familienlebens eines Grundrechtsträgers, wobei in das Grundrecht des anderen (nicht obsorgeberechtigten) Elternteiles und des Kindes eingegriffen wird. Die Beurteilung der Notwendigung eines Eingriffes ist Sache des Gesetzgebers; er ist aufgrund des Artikel 8 EMRK grundsätzlich auch nicht auf eine bestimmte Regelung beschränkt, sondern hat rechtspolitischen Gestaltungsspielraum (VfSlg. 12104, 731). Im übrigen ist der Begriff 'notwendig' des Artikel 8 Abs 2 auch nicht in der Form zu verstehen, daß der Gesetzgeber nur auf eine 'beste' Lösung beschränkt ist. Dazu ist anzumerken, daß die beste Lösung für das Kind in bestimmten Fällen die gemeinsame Ausübung der Obsorge sein kann. Obwohl diese Lösung auch Nachteile mit sich bringt, bleibt die Frage, ob man schon deshalb die 'zweitbeste' Lösung, nämlich die Zuerkennung der Obsorge an nur einen Elternteil und damit verbunden den Abbau der Kontakte zum anderen Elternteil. grundsätzlich vorziehen soll (hiezu näher C o e s t e r , aaO, Rz. 163).

Nach den Wertungskriterien des EGMR muß eine Abwägung zwischen dem Kindeswohl und dem Anspruch auf Achtung des Familienlebens durchgeführt werden. Zusätzlich ist die Notwendigkeit der Zuteilung der Obsorge an nur einen Elternteil zum Schutze des Kindeswohles überzeugend nachzuweisen. Im übrigen müssen die für einen Eingriff ins Treffen geführten Gründe umso schwerwiegender sein, je schwerwiegender der Eingriff ist (zum 'Verhältnismäßigkeitspinzip' siehe EGMR - Handyside-Fall - EuGRZ 1977, 28 (41 f.)). Ist der Eingriff ins Familienleben nicht unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohles erforderlich, so fehlen ihm rechtfertigende Gründe.

Nach der Judikatur des EGMR ist die 'Notwendigkeit' eines Eingriffes dann gegeben, wenn ein 'dringendes soziales Bedürfnis' dafür vorliegt (so auch VfSlg. 12103, 734 mwN). Ein 'dringendes soziales Bedürfnis' dafür, daß die Obsorge, selbst wenn dem das Kindeswohl entgegensteht - abgesehen vom Fall des Weiterbestehens der dauernden häuslichen Gemeinschaft der Eltern -, zwingend nur einem Elternteil zugewiesen werden kann, vermag der antragstellende Senat nicht zu erkennen.

Zweifellos bringen die mit dem Kindschaftsrechtsänderungsgesetz 1989 eingeführten Änderungen (§177 Abs 3 ABGB) eine Verbesserung hinsichtlich der Achtung des Familienlebens desjenigen Elternteiles mit sich, dem ansonsten das Sorgerecht nicht mitübertragen werden könnte. Ob dies allerdings bereits hinreicht, um einen konventionsgemäßen Zustand herzustellen, erscheint fraglich. Insbesondere ist zweifelhaft, ob eine Notwendigkeit dahingehend besteht, die gemeinsame Obsorge nur bei Aufrechterhaltung der dauernden häuslichen Lebensgemeinschaft weiter zu belassen. Naturgemäß erleichtert das Wohnen im gemeinsamen Haushalt die praktische Ausübung des Sorgerechtes, doch gilt dies in abgestufter Form, beispielsweise auch dann, wenn die Eltern zwar in getrennten Wohnungen, jedoch in räumlicher Nähe zueinander wohnen. Die soziale Wirklichkeit zeigt auch, daß selbst bei weit entfernten getrennten Wohnsitzen der Elternteile in bestimmten Fällen die (faktische) gemeinsame Obsorgerechtsausübung durchaus möglich ist. Es besteht demnach keine zwingende Notwendigkeit, die Möglichkeit einer gemeinsame Obsorge nach Scheidung der Elternehe an das Tatbestandsmerkmal der 'dauernden häuslichen Gemeinschaft' der Kindeseltern zu knüpfen, zumal Artikel 8 EMRK für ein 'Familienleben' zwischen Eltern und Kindern keineswegs erfordert, daß diese zusammenleben (EGMR - Berrehab-Fall -, EuGRZ 1993, 547 (549)).

Die 'Notwendigkeit' eines Eingriffes ist zusätzlich aus der Sicht 'einer demokratischen Gesellschaft' zu beurteilen. Das Merkmal der 'demokratischen Gesellschaft' erfordert letztlich die Vornahme eines Vergleiches der entsprechenden Rechtslagen in den Europaratsstaaten (dazu B e r k a, die Gesetzesvorbehalte der EMRK, ZÖR 1986/37, 93). Wie in der Stellungnahme der Bundesregierung in VfSlg. 12103 (Seite 721) ausgeführt wird, ist die Beibehaltung der gemeinschaftlichen Wahrnehmung der elterlichen Sorgerechte für das Kind nach Scheidung bzw. Trennung der Eltern in der Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, England, Wales, Frankreich, Italien, Norwegen, Schweden und Spanien möglich (siehe auch B r ö t e l aaO, 205 ff.), während in Belgien, Luxemburg, Österreich, Portugal und in den Niederlanden das Sorgerecht nur einem Elternteil übertragen werden kann.

In der Mehrzahl der angeführten Staaten ist also eine Weiterbelassung des gemeinsamen Sorgerechtes nach der Scheidung der beiden Eltern möglich bzw. wird die ausnahmslose Übertragung der Obsorge an nur einen Elternteil nicht als notwendig angesehen. Zusätzlich ergibt sich aus der zitierten Stellungnahme der Bundesregierung auch, daß die Tendenz in den Europaratstaaten in jüngerer Zeit eindeutig in Richtung der Belassung des Sorgerechtes bei beiden Elternteilen geht. Auch wenn man nicht auf die numerische Mehrheit derjenigen Europaratstaaten abstellt, die die Belassung des gemeinsamen Sorgerechtes normativ ermöglichen, kann aufgrund einer wertenden Ermittlung jedoch festgehalten werden, daß der europäische Standard in Richtung einer solchen Regelung geht (vgl. B e r k a aaO, 94 f.). Daraus ist ersichtlich, daß nicht nur kein dringendes soziales Bedürfnis dahingehend besteht, das Sorgerecht nach der Scheidung nur einem Elternteil zuzuerkennen, sondern überdies immer mehr Staaten dazu übergehen, das Sorgerecht bei beiden Eltern zu belassen.

Diese Entwicklung wird durch Artikel 5 des 7. ZP zur EMRK dokumentiert, welche Bestimmung von einer grundsätzlichen Gleichstellung der Ehegatten hinsichtlich ihrer privatrechtlichen Rechte und Pflichten nach Auflösung der Ehe im wechselseitigen Verhältnis sowie im Verhältnis zu gemeinsamen Kindern ausgeht. Während es zur Entstehungszeit der Konvention im Jahre 1950 in vielen Staaten als zulässig und normal angesehen wurde, einen Unterschied zwischen 'nichtehelicher' und 'ehelicher' Familie zu machen, hat sich das Recht vieler Europaratstaaten in Richtung der Gleichbehandlung der Eltern vor und nach der Ehe fortentwickelt. Da die Konvention jeweils im Licht der aktuellen Bedeutung auszulegen ist, kommt auch diesem Umstand Gewicht zu (zu dieser Argumentation vgl. EGMR - Marckx-Fall -, EuGRZ 1979, 454 (457) Z 41).

Eine Regelung wie in § 177 ABGB, die grundsätzlich das Sorgerecht nur einem Elternteil zuweist - ohne Berücksichtigung des Kindeswohles im konkreten Einzelfall -, erscheint daher als Verletzung des Anspruches auf Achtung des Familienlebens des nicht sorgeberechtigten Elternteiles und des Kindes (so auch B r ö t e l aaO, 204).

Der Umstand, daß den Kindeseltern unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung der Obsorge die Möglichkeit unbenommen bleibt, dennoch faktisch einvernehmlich vorzugehen, ist nach Auffassung des erkennenden Rekurssenates nicht geeignet, die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 177 ABGB zu zerstreuen, bleibt es doch letztlich dem Gutdünken des obsorgeberechtigten Elternteiles überlassen, ob er den anderen Elternteil über die in § 178 Abs 1 ABGB normierten Mindestrechte hinaus in die Ausübung der Obsorge einbezieht, sodaß die (partielle) Wahrnehmung von Elternrechten des ansonsten auf die Mindestrechte nach § 178 ABGB beschränkten Elternteiles rechtlich in keiner Weise abgesichert ist und daher kein verfassungsrechtlich unbedenkliches Surrogat dafür darstellt, auch bei Nichtvorliegen des Tatbestandsmerkmales der dauernden häuslichen Gemeinschaft eine einvernehmliche Ausübung der Obsorge durch beide Elternteile nach der Scheidung der Elternehe zu ermöglichen (vgl. S t o l z l e c h n e r aaO, 792; Ü b e r t s r o i d e r aaO, 103). Die faktische Möglichkeit, die Obsorge trotz Scheidung der Elternehe weiter gemeinsam auszuüben, bildet somit keinen Ersatz für einen nach der hier vertretenen Auffassung grundrechtlichen Anspruch auf Einräumung der Möglichkeit einer gemeinsamen Obsorge auch nach Scheidung der Kindeseltern auf einfachgesetzlicher Basis, ohne daß es auf das Tatbestandsmerkmal der dauernden häuslichen Gemeinschaft ankäme. Insbesondere vermag das dem nicht obsorgeberechtigten Elternteil durch § 178 Abs 1, § 148 ABGB eingeräumte Recht auf persönlichen Verkehr mit dem Kind den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Anspruch auf Achtung des Familienlebens und - daraus abgeleitet - das Recht auf Mitwirkung an der Pflege, Erziehung, Vermögensverwaltung und gesetzlichen Vertretung nicht zu erfüllen.

Artikel 8 EMRK ist letztlich auch in Zusammenhang mit Artikel 14 EMRK zu interpretieren. Eine Verletzung des Familienlebens des nicht sorgeberechtigten Elternteiles liegt daher so lange nicht vor, als die Ungleichbehandlung auf objektiven und vernünftigen Gründen beruht (EKMR , B12875/87, News-letter 1992/3, 20). Wie bereits ausgeführt, kann in einer nicht unerheblichen Anzahl von praktischen Fällen die Ungleichbehandlung des obsorgeberechtigten und des nicht obsorgeberechtigten Elternteiles nicht mit Kindeswohlerwägungen gerechtfertigt werden, sondern ist vielmehr das genaue Gegenteil der Fall, daß nämlich aus kindeswohlrelevanten Gründen die Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge bei beiden Elternteilen wünschenswert wäre. In diesen Fällen kann nach Auffassung des erkennenden Rekurssenates die aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage gegebene Ungleichbehandlung nicht auf objektive und vernünftige Gründe gestützt werden.

Eine Ungleichbehandlung ergibt sich in den Fällen des § 177 Abs 3 ABGB auch zwischen jenen Eltern, die nach der Scheidung die dauernde häusliche Gemeinschaft beibehalten wollen und denjenigen, welche dies nicht wollen, was nach forensischer Erfahrung in der Mehrzahl der Fälle zutrifft. Ein allgemeiner Erfahrungssatz, daß die gemeinsame Sorgerechtsausübung durch beide Eltern problemlos nur dann möglich sei, wenn beide in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben, kann nicht aufgestellt werden, zumal auch vom Obersten Gerichtshof zunächst, wenngleich nur in Form eines obiter dictum, die Auffassung vertreten wurde, daß eine gemeinsame Obsorge der Kindeseltern nach Scheidung der Elternehe auch bei räumlicher Nähe der Wohnsitze der Kindeseltern zulässig sei (8 Ob 719/39).

Da aufgrund des Artikel 5 des 7. ZP zur EMRK die Erreichung der Gleichbehandlung der Eltern hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten gegenüber den Kindern während der Ehe und nach Eheauflösung heute ein wesentliches Ziel der Mitgliedstaaten des Europarates ist, müssen sehr schwerwiegende Gründe vorgebracht werden, wenn die dargestellte unterschiedliche Behandlung der Eltern als mit der Konvention vereinbar angesehen werden soll (vgl. EGMR - Abdulaziz-Fall -, EuGRZ 1985, 567 (571)).

2.) Bedenken aus der Sicht des Gleichheitsgrundsatzes:

Auch aus der Sicht des in Artikel 7 Abs 1 B-VG und Artikel 2 StGG normierten Gleichheitsgrundsatzes ergeben sich Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 177 ABGB.

Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes liegt immer dann vor, wenn eine unsachliche Differenzierung vorgenommen wurde (vgl. A d a m o v i c h - F u n k , Österreichisches Verfassungsrecht3, 379). § 177 ABGB verlangt die amtswegige Alleinzuteilung an einen Elternteil nämlich nur dann, wenn die Ehe geschieden, aufgehoben oder für nichtig erklärt wurde. Leben die Eltern ohne Scheidung dauernd getrennt, so kann das Gericht amtswegig keinem von ihnen die Elternrechte allein zuteilen. Im letzteren Fall kann die Zuteilung nur über Antrag erfolgen. Entscheidend ist die unterschiedliche und sachlich in keiner Weise begründete Regelung für beide Fälle des Getrenntlebens der Eltern. Die Regelung des § 177 ABGB ist ja inhaltlich eine solche des Kindschaftsrechtes zur Wahrung des Wohles des Kindes und nicht eine solche des Scheidungsfolgerechtes oder gar eine Scheidungssanktion. In welcher rechtlicher Verbindung die Eltern zueinander stehen, ist für das Kind nicht entscheidend. Der maßgebliche Reflex für sie ist, ob die Elternrechte gemeinsam von ihnen ausgeübt werden, was im Falle einer ernsthaften und tragfähigen Einigung der Eltern anerkanntermaßen die beste Form der Obsorge ist, oder ob gezwungenermaßen entgegen diesem Grund eine Alleinzuteilung stattzufinden hat (vgl. LGZ Wien JBl. 1992, 695 ; D e i x l e r - H ü b n e r aaO, 726; P i c h l e r aaO, 702).

Aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist es dem Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes nicht verwehrt, auf den Regelfall abzustellen und von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen (VfSlg. 8457). Unabhängig von der Frage, ob die Zuweisung der Obsorge an einen Elternteil der 'Regelfall' sein wird. bezieht auch diese Obsorgeregelung wie jede andere Ausgestaltung einer solchen ihre Legitimation daraus, daß sie der bestmöglichen Wahrung des Kindeswohles dient. Wie bereits ausgeführt, kann jedoch gerade das Kindeswohl selbst bei Nichtvorliegen des Tatbestandsmerkmales der dauernden häuslichen Gemeinschaft der Eltern es erfordern, die Obsorge bei beiden Elternteilen zu belassen. Damit entstehen bei Zuweisung der Obsorge an einen Elternteil 'Härtefälle', die zwar die Regelung des § 177 ABGB nicht an sich gleichheitswidrig machen (VfSlg. 10276), doch widerspricht das Anliegen des Gesetzgebers, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu schaffen (VfSlg. 10455), der unzweifelhaften Intention des Gesetzgebers, immer das Kindeswohl als oberste Maxime des Pflegschaftsrechtes zu beachten, zumal jene Fälle, in denen die Belassung der Obsorge bei beiden Elternteilen dem Kindeswohl mehr entspricht als eine andere Regelung, quantitativ keineswegs vernachlässigt werden können. Es kann daher zu unsachlicher und letztlich nicht erforderlicher Härte des Gesetzes gegenüber Kindern aus einer Scheidungsfamilie kommen. Der hohe Stellenwert der Wahrung des Kindeswohles, insbesondere auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht, läßt es äußerst fragwürdig erscheinen, im Sinne einer Durchschnittsbetrachtung und des grundsätzlich anstrebenswerten Zieles einfacher und leicht handbarer Regelungen diese Gesichtspunkte über das Wohl des Kindes im Einzelfall zu stellen. Es erscheint demnach sachgerecht, die Überlassung der gemeinsamen Obsorge nach Scheidung bei beiden Eltern über die Grenzen des § 177 Abs 3 ABGB hinaus zumindest gesetzlich zu ermöglichen.

Insbesondere stellt das Abstellen auf die 'dauernde häusliche Gemeinschaft' gerade bei Scheidungen ein äußerst unpraktisches Kriterium dar, da im Regelfall bei Scheidung der Elternehe ein gemeinsamer Haushalt nicht aufrecht erhalten werden wird. Das führt in der Praxis zum Ergebnis, daß trotz des Ausnahmetatbestandes des § 177 Abs 3 ABGB das gemeinsame Sorgerecht den Eltern nach einer Scheidung in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht beibehalten werden kann.

Eine Abschwächung der strengen Zuweisungsregel des Sorgerechtes an nur einen Elternteil wurde zwar durch die zitierte Bestimmung erreicht. Bei Fällen, in denen die häusliche Gemeinschaft nach der Scheidung dauernd aufrecht erhalten (oder gegebenenfalls wieder aufgenommen) wird, kann das Sorgerecht beiden Elternteilen zugesprochen werden.

Damit wurde versucht, die Regelung der Zuweisung des Sorgerechts bei Kindern von geschiedenen Eltern derjenigen von unehelichen Kindern anzupassen und somit einen Gleichklang zwischen den Regelungsmodellen herzustellen. Daß dies nicht in wünschenswertem Ausmaß gelungen ist, wurde bereits oben gezeigt.

3.) Bedenken aus der Sicht des Artikel 5 des 7. ZP zur EMRK:

Selbst wenn man im Sinne der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl. etwa JBl. 1992, 699) der Ansicht anhängt, daß eine Regelung, die nach Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung die Zuweisung der Obsorge - mit Ausnahme des Weiterbestehens der häuslichen Gemeinschaft - an nur einen Elternteil ermöglicht, nicht dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz widerspricht, so ergeben sich Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Regelung aus dem Artikel 5 des

7. ZP zur EMRK, der eine spezielle Ausformung des Gleichheitsgrundsatzes darstellt. Die genannte Bestimmung gewährleistet Ehegatten 'untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe'. Es wird allerdings den Staaten nicht verwehrt, 'die im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen zu treffen'. Der antragstellende Senat ist - entgegen der vom Obersten Gerichtshof vertretenen Auffassung (vgl. 1 Ob 515/93) - der Ansicht, daß gerade Artikel 5 des 7. ZP zur EMRK weitere Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 177 ABGB aufwirft.

Im Zusammenhang mit Artikel 5 des 7. ZP zur EMRK werden im wesentlichen die Bedenken von S t o l z l e c h n e r (aaO, 794) geteilt. Der § 177 ABGB in seiner derzeitigen Fassung erlaubt nämlich keine partnerschaftliche Ausübung der Obsorge nach Auflösung der Ehe, und zwar selbst dann nicht, wenn die Eltern dies wünschen und die Interessen des Kindes nicht entgegenstehen oder sogar durch eine solche Regelung befördert würden. Er schließt vielmehr praktisch jede Gestaltungsmöglichkeit aus, da in der Regel nach einer Scheidung nicht, wie von § 177 Abs 3 ABGB vorausgesetzt, die häusliche Gemeinschaft der Eltern aufrecht erhalten werden wird.

Es ist davon auszugehen, daß ein gerichtlicher Beschluß, der die Obsorge an nur einen Elternteil überträgt, in die durch

Artikel 5 des 7. ZP zur EMRK gewährleistete Grundrechtsposition des anderen Ehegatten eingreift. Dies muß dann eine im Interesse der Kinder notwendige Maßnahme sein; d.h., die Maßnahme muß zur Erreichung des Kindeswohles geeignet und adäquat sein. Diese Verhältnismäßigkeit ist jedoch nicht abstrakt zu beurteilen, sondern ist im Zusammenhang mit dem Inhalt des durch Artikel 5 des 7. ZP zur EMRK gewährleisteten Schutzes zu sehen. Es kann nicht übersehen werden, daß der § 177 ABGB in einem Spannungsverhältnis zum, die Gleichbehandlung zwischen Mann und Frau in Bezug auf ihre privatrechtlichen Beziehungen zu ihren Kindern während der Ehe und nach Eheauflösung normierenden,

Artikel 5 des 7. ZP zur EMRK steht. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der partnerschaftlichen Aufteilung der Elternrechte und damit die gleichberechtigte Behandlung der Eltern in ihren Rechtsbeziehungen zu ihren Kindern in § 177 ABGB bewußt nicht vorgesehen.

Wesentlich ist, daß es sich beim § 177 ABGB um keine Einzelmaßnahme, mit der ausnahmsweise in ein Grundrecht eingegriffen wird, sondern um eine Verkehrung der grundrechtlichen Schutzgarantie des Artikel 5 des 7. ZP zur EMRK handelt. Es liegt eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen grundrechtlicher Schutzgarantie und Grundrechtseingriff vor, das einem Regel-Ausnahmeverhältnis entsprechen soll. Die Ungleichbehandlung als Ausnahme wird zur Normalregelung gemacht.

Unter Hinweis auf die zu Artikel 8 EMRK und zum Gleichheitsgrundsatz angeführten Bedenken stellt sich die Frage, ob eine derartige Ausschaltung des Grundrechtes eine vom Grundrechtsvorbehalt (Artikel 5 7. ZP zur EMRK letzter Satz) gedeckte, im 'Interesse des Kindes notwendige Maßnahme' ist. Dies insbesondere aus dem Blickwinkel derjenigen Fälle, in denen das Kindeswohl eine gemeinsame gleichberechtigte Ausübung der Obsorge durch beide Elternteile nicht nur erlauben, sondern geradezu erfordern würde.

Aufgrund der angeführten Bedenken erscheint es dem antragstellenden Senat verfassungsrechtlich geboten, einfachgesetzlich die Möglichkeit einzuräumen, das Sorgerecht unabhängig von der Aufrechterhaltung (oder Wiederaufnahme) der häuslichen Gemeinschaft beiden Elternteilen über deren übereinstimmenden Antrag zuzuweisen, zumal auch der Gesetzgeber durch die Einführung des § 177 Abs 3 ABGB mit dem Kindschaftsrechtsänderungsgesetz 1989 tendentiell zum Ausdruck gebracht hat, daß unter der Voraussetzung, daß beide Eltern gewillt und in der Lage sind, die Verantwortung für ihre Kinder weiter gemeinsam zu tragen, die gemeinsame Ausübung der Obsorge aus Kindeswohlerwägungen geboten sein kann. Allerdings wurde diese Möglichkeit der gemeinsamen Ausübung der Obsorge unter praxisfremder und zu enger Grenzziehung der Tatbestandsvoraussetzungen nur bei Weiterbestehen der häuslichen Gemeinschaft ermöglicht, wobei de lege lata aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlautes und der aus den Materialien hervorleuchtenden Absicht des Gesetzgebers eine Auslegung des § 177 in der Richtung, daß auch ohne Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung der dauernden häuslichen Gemeinschaft der Kindeseltern eine gemeinsame Zuweisung der Obsorge nach Scheidung der Elternehe möglich sei, bereits die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreitet, sodaß eine verfassungskonforme Auslegung nach der hier vertretenen Auffassung methodisch nicht mehr zulässig erscheint.

Der mit dem Kindschaftsrechtsänderungsgesetz 1989 eingeschlagene Weg zur Möglichkeit der Gleichbehandlung beider Elternteile hinsichtlich ihrer privatrechtlichen Beziehungen zu ihren Kindern innerhalb und außerhalb einer Ehe sollte konsequenterweise nicht bei der derzeitigen Regelung Halt machen, sondern unter Beachtung der durch Artikel 8 EMRK, dem Gleichheitsgrundsatz und Artikel 5 des 7. ZP zur EMRK normierten verfassungsrechtlichen Vorgaben zu einer Regelung fortschreiten, die die Zuteilung der gemeinsamen Obsorge auch außerhalb der Tatbestandsvoraussetzungen des § 167 ABGB (iVm § 177 Abs 3 ABGB) ermöglicht. Es wird nicht übersehen, daß die praktische Ausgestaltung von gemeinsamen elterlichen Sorgerechten, die außerhalb einer bestehenden häuslichen Gemeinschaft wahrgenommen werden, Probleme aufwirft. Bei der Erarbeitung entsprechender Lösungen darf das Kind nicht zum Versuchsobjekt werden. Gemildert wird diese Problematik jedoch dadurch, daß ein gemeinsames Sorgerecht ohnehin nur bei Konsens der Eltern möglich ist. Insgesamt soll nicht das Kindeswohl über das Gesetz gestellt werden (vgl. P i c h 1 e r aaO, 791), sondern dem Pflegschaftsgericht sollte gesetzlich die Möglichkeit eingeräumt werden, die gemeinsame Obsorge dann auszusprechen, wenn sich diese im Einzelfall als die beste Lösung erweist, und zwar unabhängig vom Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft der Eltern (so auch S c h l e m m e r in S c h w i m a n n ABGB-Praxiskommentar, Rz. 5 zu § 177)."

6.a) Die Bundesregierung hat die Verfassungsmäßigkeit des § 177 ABGB verteidigt und den Bedenken des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien folgendes entgegengehalten:

"Das antragstellende Gericht erhebt Bedenken lediglich unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des in Art 5 des Protokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankerten Gleichberechtigung der Ehegatten u.a. bei Auflösung der Ehe sowie unter dem Gesichtspunktes des Gleichheitssatzes. Nur auf diese behaupteten Verfassungswidrigkeiten ist daher einzugehen.

1. Zum Recht auf Gleichheit in und nach der Ehe:

Nach Art 5 des verfassungsändernden Protokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 628/1988, haben Ehegatten untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe. Dieser Artikel verwehrt es aber den Staaten zufolge seinem zweiten Satz nicht, die im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen zu treffen.

Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen ist zugunsten der bekämpften Bestimmung folgendes ins Treffen zu führen:

Der Verfassungsgerichtshof hatte § 177 Abs 1 ABGB idF BGBl. Nr. 407/1977 bereits in dem dem Erkenntnis VfSlg. 12103/1988 zugrundeliegenden Verfahren zu prüfen. Damals hatte er sich zwar lediglich mit Bedenken unter dem Gesichtspunkt des durch Art 8 EMRK gewährleisteten Schutzes des Privat- und Familienlebens auseinanderzusetzen, die dabei angestellten Erwägungen lassen sich jedoch weitestgehend auf die durch Art 5 des 7. ProtEMRK geschaffene Rechtslage übertragen. Sowohl nach der einen wie nach der anderen Grundrechtsbestimmung ist ein Grundrechtseingriff zulässig, wenn er zur Erreichung der jeweils angeführten Zwecke 'notwendig' ist. In dieser Hinsicht ist der Tatbestand 'im Interesse der Kinder notwendige(n) Maßnahmen' nur ein Unterfall des Tatbestandes 'zum Schutz der Rechte ... anderer notwendig'. Gerade mit Maßnahmen, die im Interesse der Kinder notwendig sind, hat sich der Verfassungsgerichtshof in dem erwähnten Erkenntnis eingehend beschäftigt.

Wie der Verfassungsgerichtshof im erwähnten Erkenntnis ausgeführt hat, ist die Beurteilung der Notwendigkeit des Eingriffes Sache des Gesetzgebers, der dabei einen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum hat. Der Begriff 'notwendig' sei nicht so eng zu verstehen, daß der Gesetzgeber nur auf eine ('beste') Lösung fixiert wäre, was im in Rede stehenden Erkenntnis durch eingehende Hinweise auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte belegt wird. Der Verfassungsgerichtshof kam zu dem Schluß, daß einem Gesetzgeber, der auf das Wohl des Kindes aus einer geschiedenen Ehe Bedacht nimmt, nicht entgegengetreten werden könne, wenn er (einvernehmliches Vorgehen geschiedener Eltern ermöglicht, aber dennoch) sofort bei der Scheidung eine klare Regelung darüber anstrebt, wer Entscheidungen über das Kind zu treffen hat, falls ein Einvernehmen zwischen den Eltern nicht mehr besteht. Der Gesetzgeber kann, wie der Verfassungsgerichtshof weiter ausführt, von Anfang an eine klare Regelung für den Streitfall treffen und es bis dahin letztlich den Eltern überlassen, trotz pflegschaftsbehördlicher Genehmigung der Überlassung der Rechte und Pflichten an nur einen Elternteil faktisch einvernehmlich vorzugehen, womit bloß ein zweites Verfahren vor dem Pflegschaftsgericht und eine damit unter Umständen für das wohl des Kindes abträgliche Zeit der Ungewißheit vermieden werde.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß gegenüber der vom Verfassungsgerichtshof damals zu beurteilenden einfachgesetzlichen Rechtslage durch das Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz, BGBl. Nr. 162/1989, eine Änderung eingetreten ist, die den vom antragstellenden Gericht bekämpften Grundsatz der Alleinzuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten im Scheidungsfall abschwächt, sodaß die möglichen Bedenken nunmehr umso weniger stichhaltig erscheinen.

Hier ist der neugeschaffene, auf § 167 ABGB verweisende § 177 Abs 3 ABGB von Bedeutung:

Nach § 90 ABGB sind die Ehegatten einander unter anderem zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen verpflichtet. Dieser Verpflichtung entsprechen die Ehegatten in der Regel. Daher kommt miteinander verheirateten Eltern eines Kindes, sofern nicht die Negativvoraussetzungen der §§145f ABGB vorliegen, nach § 144 ABGB gemeinsam die Obsorge zu.

Mangels gleichartiger Rechtsbeziehungen zwischen Eltern eines unehelichen Kindes sieht das Gesetz für die Obsorge zu einem unehelichen Kind keine gleichartige Regelung vor, auch wenn die Vaterschaft bereits festgestellt ist. Leben die Eltern eines unehelichen Kindes freilich in dauernder häuslicher Gemeinschaft, so haben sie die Möglichkeit, auf ihren gemeinsamen Antrag hin durch gerichtliche Verfügung die gemeinsame Obsorge zu erlangen, sofern dies für das Wohl des Kindes nicht nachteilig ist.

§177 Abs 1 ABGB sieht für den Fall der Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe der Eltern eines minderjährigen Kindes vor, daß die Eltern dem Gericht eine Vereinbarung darüber unterbreiten können, wem von ihnen künftig die Obsorge für das Kind allein zukommen soll. Das Gericht hat die Vereinbarung zu genehmigen, wenn sie dem Wohl des Kindes entspricht. In gleicher Weise ist vorzugehen, wenn die Eltern nicht bloß vorübergehend getrennt leben, gleichgültig ob sie aufrecht miteinander verheiratet sind oder das Gericht bezüglich ihres unehelichen Kindes verfügt hat, daß ihnen die Obsorge für das Kind gemeinsam zukommt (§167 ABGB). Eltern eines minderjährigen Kindes, in deren Fall nach Auflösung ihrer Ehe die Obsorge einem einzelnen Elternteil zugeteilt worden ist, können durch das Zusammenspiel des § 177 Abs 3 mit § 167 ABGB bei Vorliegen von dessen Voraussetzungen die gemeinsame Obsorge durch gerichtliche Verfügung wieder erlangen. Nach § 167 ABGB hat das Gericht auf gemeinsamen Antrag der Eltern zu verfügen, daß ihnen beiden die Obsorge für das Kind zukommt, wenn die Eltern mit dem Kind in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben und diese Verfügung für das Wohl des Kindes nicht nachteilig ist. Der Begriff der 'häuslichen Gemeinschaft' in § 167 ABGB deckt sich mit dem Begriff der häuslichen Gemeinschaft in § 55 des Ehegesetzes (Pichler in Rummel, ABGB I, Rdz. 2 zu § 167). Nach herrschender Meinung kann die häusliche Gemeinschaft nur in einer gemeinsam benutzten Wohnung oder in einem gemeinsam benutzten Haus, auch in mehreren solchen Wohnungen oder Häusern, bestehen. Wenn die persönliche Berührung weitgehend ausgeschlossen und auch die Wirtschaftsführung getrennt ist, kann die häusliche Gemeinschaft auch unter einem Dach aufgehoben sein.

Für das Zusammenleben von Eltern und Kindern gibt es verschiedene Möglichkeiten:


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-
beide Eltern und das Kind leben in häuslicher Gemeinschaft zusammen;


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-
die Eltern leben nicht in häuslicher Gemeinschaft zusammen, das Kind hält sich überwiegend bei einem Elternteil auf;


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-
das Kind verbringt abwechselnd die gleiche Zeit jeweils bei einem Elternteil (Wechselmodell);


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
das Kind lebt immer in derselben Wohnung, wo beide Eltern es abwechseln betreuen (Heimmodell).

Die beiden erstgenannten Modelle sowie das Heimmodell werden in der Regel dem Wohl des Kindes entsprechen. Das Wechselmodell ermöglicht dem Kind zwar den regelmäßigen Kontakt mit beiden Elternteilen, wird jedoch im wesentlichen als für das Kind nicht vorteilhaft angesehen, da dieses sein ständiges eigenes Heim verliert (Kaltenborn, Das gemeinsame elterliche Sorgerecht nach der Scheidung im Spiegel ausländischer Erfahrungen, FamRZ 1983, 964 mwN).

Das Heimmodell erfüllt die Voraussetzungen, die Lehre und Rechtsprechung an eine 'häusliche Gemeinschaft' knüpfen, Die Pflege und Erziehung eines Kindes im Heimmodell setzt nämlich (bezüglich des Kindes) gemeinsames Wirtschaften der Eltern voraus; auch wird es zu Überlappungen der Anwesenheiten kommen. In der Rechtsprechung besteht jedenfalls kein Anhaltspunkt dafür, daß das Heimmodell die Voraussetzungen für eine gemeinsame Obsorge nach § 167 ABGB iVm § 177 Abs 1 ABGB nicht erfüllte. In der bestehenden Rechtslage ist also der vom antragstellenden Gericht bekämpfte, vom Verfassungsgerichtshof jedoch nicht beanstandete Grundsatz ohnedies abgeschwächt.

Insgesamt kann die Bundesregierung daher einen Verstoß gegen Art 5 des 7. ProtEMRK nicht erkennen.

2. Zum Gleichheitssatz:

Unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes wendet sich das antragstellende Gericht dagegen, daß § 177 ABGB eine uneinsichtige Differenzierung enthalte, indem bei Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe das Gericht die Obsorge auch von Amtswegen, im Falle der nicht bloß vorübergehenden Trennung der Eltern jedoch nur auf Antrag eines Elternteils regeln kann.

Hiezu sei zunächst bemerkt, daß diesen Bedenken nicht durch Aufhebung des Wortes 'allein' Rechnung getragen werden kann, vielmehr wäre die Aufhebung der gesamten Wortfolge 'im Fall nicht bloß vorübergehender Trennung jedoch nur auf Antrag eines Elternteils,' erforderlich; hingegen wäre die in eventu beantragte Aufhebung des gesamten § 177 offenbar überschießend.

Es wurde bereits dargelegt, daß bei Auflösung der Ehe nach der nicht zu beanstandenden Wertung des Gesetzgebers (vorbehaltlich der für das Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft getroffenen Regelung) die Notwendigkeit besteht, die Obsorge für das Kind einem Elternteil alleine zuzuweisen. Wenn aber das rechtliche Band der Ehe zwischen den Eltern des Kindes noch besteht, so muß es als innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers gelegen gesehen werden, wenn er von einem - nicht im bezeichneten Sinne notwendigen - Eingriff in die familiären Beziehungen absieht.

Im übrigen hat auch der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom , JBl. 1992, 699, gegen § 177 Abs 1 und 2 - unter den Gesichtspunkten des Gleichheitssatzes sowie des Art 5 des 7. ProtEMRK - geltend gemachte Bedenken nicht geteilt."

b) Den vom Landesgericht Salzburg vorgetragenen Bedenken ist die Bundesregierung in einer Äußerung mit folgenden Ausführungen entgegengetreten:

"1. Vorbemerkungen:

Das antragstellende Gericht erhebt Bedenken unter den Gesichtspunkten einer Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, einer Verletzung des in Art 5 des Protokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankerten Rechts auf Gleichberechtigung der Ehegatten u.a. bei Auflösung der Ehe sowie einer Verletzung des Gleichheitssatzes.

Für alle drei Gesichtspunkte ist, zusammenfassend ausgedrückt, entscheidend, ob für die angefochtene Bestimmung eine sachliche Rechtfertigung vor allem unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls aufgewiesen werden kann.

Besonders unter dem Gesichtspunkt des Art 8 EMRK ist auf das Erkenntnis des VfGH Slg. 12103/1989 zu verweisen, dessen Schlußfolgerungen das antragstellende Gericht mit seinen Ausführungen nach Auffassung der Bundesregierung nicht zu erschüttern vermag.

2. Zur Auslegung des Art 5 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK:

Das antragstellende Gericht liest aus Art 5 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK ein verhältnismäßig schematisches Gebot der Gleichstellung der Ehegatten ab. Dem ist der Gedanke gegenüberzustellen, daß die fragliche Protokollsbestimmung lediglich die Gleichstellung von Mann und Frau im Auge hat, wenngleich dies nicht ausdrücklich gesagt wird. So sehen die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage (900 BlgNR XVII. GP 9) in dieser Bestimmung (lediglich) den Grundsatz der Gleichheit von Mann und Frau in den familienrechtlichen Beziehungen verankert. Auch Pichler, JBl. 1993, 746 f. (Buchbesprechung zu Harrer - Zitta, Familie und Recht) mißt einer auf das 7. ProtEMRK gestützten Anfechtung des § 177 ABGB keine Erfolgsaussichten zu, da der erste Satz des Art 5 die Gleichheit zwischen Mann und Frau, Vater und Mutter statuiere, die fragliche Gesetzesbestimmung aber nicht nach dem Geschlecht differenziere.

In diese Richtung weist insbesondere die Entstehungsgeschichte des Zusatzprotokolls (vgl. zur Entstehungsgeschichte Trechsel,

Das verflixte Siebente? Bemerkungen zum 7. Zusatzprotokoll zur EMRK, in: Ermacora-FS 195 ff.). Den - inhaltlich heterogenen - Bestimmungen des Zusatzprotokolls ist die Absicht gemeinsam, das Instrumentarium des Europäischen Menschenrechtsschutzes um Gewährleistungen zu erweitern, die bereits im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. Nr. 591/1978) enthalten waren. Die fragliche Protokollsbestimmung hat erkennbar ihr Vorbild in Abs 4 des Art 23 des Paktes. Dieser Artikel lautet in deutscher Übersetzung:

'Artikel 23

(1) Die Familie ist die natürliche Kernzelle der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.

(2) Das Recht von Mann und Frau, im heiratsfähigen Alter eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, wird anerkannt.

(3) Eine Ehe darf nur im freien und vollen Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen werden.

(4) Die Vertragsstaaten werden durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, daß die Ehegatten gleiche Rechte und Pflichten bei der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben. Für den nötigen Schutz der Kinder im Fall einer Auflösung der Ehe ist Sorge zu tragen.'

Die Thematik der Gleichberechtigung von Mann und Frau ist zwar nicht in Abs 4 - in dem ja lediglich allgemein von den 'Ehegatten' die Rede ist - ausdrücklich angesprochen, wohl aber in Abs 2. Auch Abs 4 zielt jedoch auf die Herstellung rechtlicher Gleichheit von Mann und Frau ab (vgl. zur Entstehungsgeschichte Nowak, CCPR-Kommentar, Rdnr.n 34 f.); ausschließlich in dieser Weise wurde er auch vom Expertenkomitee für Menschenrechte bei der Vorbereitung des späteren 7. Protokolls zur EMRK verstanden (vgl. den Bericht des Expertenkomitees, Anlage A der Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage 230 BlgNR XIV.GP 75 (Abs208 und 209)).

Vollends deutlich wird der Bezug zur Geschlechtergleichberechtigung im Vorbild (vgl. Nowak aaO) des Art 23 Abs 4 des Paktes, nämlich Art 16 Abs 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, welcher in deutscher Übersetzung lautet:

'Volljährige Männer und Frauen haben ohne Rücksicht auf Rasse, Staatsangehörigkeit oder Religion das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Sie haben gleiche Rechte in Bezug auf die Eingehung, das Bestehen und die Auflösung der Ehe.'

Zieht man somit den eigentlichen Zweck des Art 5 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK, nämlich die Sicherung rechtlicher Gleichheit von Mann und Frau, in Betracht, so ergibt sich - ohne daß es erst eines Rekurses auf das Kindeswohl bedürfte -, daß die Zuteilung identer Rechtspositionen an geschiedene Ehegatten im Kindschaftsrecht vom Schutzumfang der Protokollsbestimmung nicht umfaßt ist.

Die Berufung auf Art 5 des 7. Zusatzprotokolls ist daher auch nicht geeignet, die Ansicht des antragstellenden Gerichts (S. 14), zu untermauern, wonach der Europäische Standard in Richtung einer Belassung des Sorgerechts bei beiden Elternteilen gehe.

Das Bestehen einer derartigen Regelung in acht Europaratsstaaten kann, wie das antragstellende Gericht offenbar selbst sieht, einen diesbezüglichen europäischen Standard nicht herstellen. Die Unterschiedlichkeit der Rechtsordnungen der Vertragsstaaten der EMRK (ein gemeinsames Sorgerecht kennt - außer den im Antrag selbst angeführten Staaten - auch die Schweiz nicht) bedeutet vielmehr, daß die Vertragsstaaten - hier: unter dem Gesichtspunkt des Art 8 EMRK - einen weiten Ermessensspielraum genießen (vgl. etwa das Urteil des EGMR im Fall Cossey, ÖJZ 1991/3 (MRK)).

3. § 177 ABGB und das Kindeswohl im allgemeinen:

Zu Art 5 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK sowie zum Gleichheitssatz gemäß Art 7 Abs 1 B-VG und Art 2 StGG ist weiters zunächst auf die im Verfahren G154/93 von der Bundesregierung abgegebene Stellungnahme zu verweisen, welche in ihren hier maßgeblichen Teilen folgenden Wortlaut hat:

'1. Zum Recht auf Gleichheit in und nach der Ehe:

Nach Art 5 des verfassungsändernden Protokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 628/1988, haben Ehegatten untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe. Dieser Artikel verwehrt es aber den Staaten zufolge seinem zweiten Satz nicht, die im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen zu treffen.

Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen ist zugunsten der bekämpften Bestimmung folgendes ins Treffen zu führen:

Der Verfassungsgerichtshof hatte § 177 Abs 1 ABGB idF BGBl. Nr. 407/1977 bereits in dem dem Erkenntnis VfSlg. 12103/1989 zugrundeliegenden Verfahren zu prüfen. Damals hatte er sich zwar lediglich mit Bedenken unter dem Gesichtspunkt des durch Art 8 EMRK gewährleisteten Schutzes des Privat- und Familienlebens auseinanderzusetzen, die dabei angestellten Erwägungen lassen sich jedoch weitestgehend auf die durch Art 5 des 7. Protokolls EMRK geschaffene Rechtslage übertragen. Sowohl nach der einen wie nach der anderen Grundrechtsbestimmung ist ein Grundrechtseingriff zulässig, wenn er zur Erreichung der jeweils angeführten Zwecke 'notwendig' ist. In dieser Hinsicht ist der Tatbestand 'im Interesse der Kinder notwendige(n) Maßnahmen' nur ein Unterfall des Tatbestandes 'zum Schutz der Rechte ... anderer notwendig', Gerade mit Maßnahmen, die im Interesse der Kinder notwendig sind, hat sich der Verfassungsgerichtshof in dem erwähnten Erkenntnis eingehend beschäftigt.

Wie der Verfassungsgerichtshof im erwähnten Erkenntnis ausgeführt hat, ist die Beurteilung der Notwendigkeit des Eingriffes Sache des Gesetzgebers, der dabei einen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum hat. Der Begriff 'notwendig' sei nicht so eng zu verstehen, daß der Gesetzgeber nur auf eine ('beste') Lösung fixiert wäre, was im in Rede stehenden Erkenntnis durch eingehende Hinweise auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte belegt wird. Der Verfassungsgerichtshof kam zu dem Schluß, daß einem Gesetzgeber, der auf das Wohl des Kindes aus einer geschiedenen Ehe Bedacht nimmt, nicht entgegengetreten werden könne, wenn er (einvernehmliches Vorgehen geschiedener Eltern ermöglicht, aber dennoch) sofort bei der Scheidung eine klare Regelung darüber anstrebt, wer Entscheidungen über das Kind zu treffen hat, falls ein Einvernehmen zwischen den Eltern nicht mehr besteht. Der Gesetzgeber kann, wie der Verfassungsgerichtshof weiter ausführt, von Anfang an eine klare Regelung für den Streitfall treffen und es bis dahin letztlich den Eltern überlassen, trotz pflegschaftsbehördlicher Genehmigung der Überlassung der Rechte und Pflichten an nur einen Elternteil faktisch einvernehmlich vorzugehen, womit bloß ein zweites Verfahren vor dem Pflegschaftsgericht und eine damit unter Umständen für das Wohl des Kindes abträgliche Zeit der Ungewißheit vermieden werde.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß gegenüber der vom Verfassungsgerichtshof damals zu beurteilenden einfachgesetzlichen Rechtslage durch das Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz, BGBl. Nr. 162/1989, eine Änderung eingetreten ist, die den vom antragstellenden Gericht bekämpften Grundsatz der Alleinzuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten im Scheidungsfall abschwächt, sodaß die möglichen Bedenken nunmehr umso weniger stichhaltig erscheinen.

Hier ist der neugeschaffene, auf § 167 ABGB verweisende § 177 Abs 3 ABGB von Bedeutung:

Nach § 90 ABGB sind die Ehegatten einander unter anderem zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen verpflichtet. Dieser Verpflichtung entsprechen die Ehegatten in der Regel. Daher kommt miteinander verheirateten Eltern eines Kindes, sofern nicht die Negativvoraussetzungen der §§145 f. ABGB vorliegen, nach § 144 ABGB gemeinsam die Obsorge zu.

Mangels gleichartiger Rechtsbeziehungen zwischen Eltern eines unehelichen Kindes sieht das Gesetz für die Obsorge zu einem unehelichen Kind keine gleichartige Regelung vor, auch wenn die Vaterschaft bereits festgestellt ist. Leben die Eltern eines unehelichen Kindes freilich in dauernder häuslicher Gemeinschaft, so haben sie die Möglichkeit, auf ihren gemeinsamen Antrag hin durch gerichtliche Verfügung die gemeinsame Obsorge zu erlangen, sofern dies für das Wohl des Kindes nicht nachteilig ist.

§177 Abs 1 ABGB sieht für den Fall der Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe der Eltern eines minderjährigen Kindes vor, daß die Eltern dem Gericht eine Vereinbarung darüber unterbreiten können, wem von ihnen künftig die Obsorge für das Kind allein zukommen soll. Das Gericht hat die Vereinbarung zu genehmigen, wenn sie dem Wohl des Kindes entspricht. In gleicher Weise ist vorzugehen, wenn die Eltern nicht bloß vorübergehend getrennt leben, gleichgültig ob sie aufrecht miteinander verheiratet sind oder das Gericht bezüglich ihres unehelichen Kindes verfügt hat, daß ihnen die Obsorge für das Kind gemeinsam zukommt (§167 ABGB). Eltern eines minderjährigen Kindes, in deren Fall nach Auflösung ihrer Ehe die Obsorge einem einzelnen Elternteil zugeteilt worden ist, können durch das Zusammenspiel des § 177 Abs 3 mit § 167 ABGB bei Vorliegen von dessen Voraussetzungen die gemeinsame Obsorge durch gerichtliche Verfügung wieder erlangen. Nach § 167 ABGB hat das Gericht auf gemeinsamen Antrag der Eltern zu verfügen, daß ihnen beiden die Obsorge für das Kind zukommt, wenn die Eltern mit dem Kind in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben und diese Verfügung für das Wohl des Kindes nicht nachteilig ist. Der Begriff der 'häuslichen Gemeinschaft' in § 167 ABGB deckt sich mit dem Begriff der häuslichen Gemeinschaft in § 55 des Ehegesetzes (Pichler in Rummel, ABGB I , Rdz. 2 zu § 167). Nach herrschender Meinung kann die häusliche Gemeinschaft nur in einer gemeinsam benützten Wohnung oder in einem gemeinsam benützten Haus, auch in mehreren solchen Wohnungen oder Häusern, bestehen. Wenn die persönliche Berührung weitgehend ausgeschlossen und auch die Wirtschaftsführung getrennt ist, kann die häusliche Gemeinschaft auch unter einem Dach aufgehoben sein.

Für das Zusammenleben von Eltern und Kindern gibt es verschiedene Möglichkeiten:


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-
beide Eltern und das Kind leben in häuslicher Gemeinschaft zusammen;


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die Eltern leben nicht in häuslicher Gemeinschaft zusammen, das Kind hält sich überwiegend bei einem Elternteil auf;


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-
das Kind verbringt abwechselnd die gleiche Zeit jeweils bei einem Elternteil (Wechselmodell);


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das Kind lebt immer in derselben Wohnung, wo beide Eltern es abwechselnd betreuen (Heimmodell).

Die beiden erstgenannten Modelle sowie das Heimmodell werden in der Regel dem Wohl des Kindes entsprechen. Das Wechselmodell ermöglicht dem Kind zwar den regelmäßigen Kontakt mit beiden Elternteilen, wird jedoch im wesentlichen als für das Kind nicht vorteilhaft angesehen, da dieses sein ständiges eigenes Heim verliert (Kaltenborn, Das gemeinsame elterliche Sorgerecht nach der Scheidung im Spiegel ausländischer Erfahrungen, FamRZ 1983, 964 mwN).

Das Heimmodell erfüllt die Voraussetzungen, die Lehre und Rechtsprechung an eine 'häusliche Gemeinschaft' knüpfen. Die Pflege und Erziehung eines Kindes im Heimmodell setzt nämlich (bezüglich des Kindes) gemeinsames Wirtschaften der Eltern voraus; auch wird es zu Überlappungen der Anwesenheiten kommen. In der Rechtsprechung besteht jedenfalls kein Anhaltspunkt dafür, daß das Heimmodell die Voraussetzungen für eine gemeinsame Obsorge nach § 167 ABGB iVm § 177 Abs 1 ABGB nicht erfüllte.

In der bestehenden Rechtslage ist also der vom antragstellenden Gericht bekämpfte, vom Verfassungsgerichtshof jedoch nicht beanstandete Grundsatz ohnedies abgeschwächt.

Insgesamt kann die Bundesregierung daher einen Verstoß gegen Art 5 des 7. ProtEMRK nicht erkennen.

2. Zum Gleichheitssatz:

Unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes wendet sich das antragstellende Gericht dagegen, daß § 177 ABGB eine uneinsichtige Differenzierung enthalte, indem bei Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe das Gericht die Obsorge auch von Amtswegen, im Falle der nicht bloß vorübergehenden Trennung der Eltern jedoch nur auf Antrag eines Elternteils regeln kann.

...

Es wurde bereits dargelegt, daß bei Auflösung der Ehe nach der nicht zu beanstandenden Wertung des Gesetzgebers (vorbehaltlich der für das Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft getroffenen Regelung) die Notwendigkeit besteht, die Obsorge für das Kind einem Elternteil alleine zuzuweisen. Wenn aber das rechtliche Band der Ehe zwischen den Eltern des Kindes noch besteht, so muß es als innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers gelegen gesehen werden, wenn er von einem - nicht im bezeichneten Sinne notwendigen - Eingriff in die familiären Beziehungen absieht.

Im übrigen hat auch der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom , JBl. 1992, 699, gegen § 177 Abs 1 und 2 - unter den Gesichtspunkten des Gleichheitssatzes sowie des Art 5 des 7. ProtEMRK - geltend gemachte Bedenken nicht geteilt.'

4. Zu einzelnen Argumenten des Aufhebungsantrages:

Ergänzend ist zur Argumentation des antragstellenden Gerichts noch folgendes auszuführen:

a) Zum Verhältnis von Elternrechten und -pflichten:

Die Argumentation des antragstellenden Gerichts baut sichtlich auf einem mit den rechtlichen, sozialen und psychologischen Gegebenheiten nicht im Einklang stehenden Verständnis des Zusammenhanges zwischen Elternrechten und -pflichten einerseits und dem Wohl des Kindes andererseits auf. An mehreren Stellen des Antrags leuchtet die Meinung durch, es sei geradezu eine naturgesetzmäßige Folge des Verlustes der Obsorge (infolge Zuweisung derselben an den anderen Elternteil), daß der davon betroffene Elternteil sich für sein Kind nicht mehr sozial verantwortlich fühle, sich um das Kind nicht mehr kümmere, sich vom Kind abwende und daß sich deshalb der Kontakt zwischen ihm und dem Kind verflüchtige. Ferner wird nahegelegt, daß ein Elternteil, der sich so verhält, in diesem Verhalten durch die Entziehung der Obsorge legitimiert sei. Nicht dieser Elternteil trage, so könnte man demnach entnehmen, die Verantwortung für den Verlust des Kontaktes zu seinem Kind, sondern der Gesetzgeber, der nach der Ehe eine ausschließliche Zuweisung der Obsorge an einen Elternteil allein fordert. Am deutlichsten erweist sich dieses gedankliche Konstrukt aus der Passage '... nämlich die Zuerkennung der Obsorge an nur einen Elternteil und damit verbundenen Abbau der Kontakte zum anderen Elternteil ...' auf S. 11 des Antrags.

Hier scheinen grundsätzliche Mißverständnisse des anfechtenden Gerichts vorzuliegen. Im Zusammenhang mit der Obsorge spricht das anfechtende Gericht nämlich ausschließlich von Rechten der Eltern, insbesondere von Sorgerecht und von Sorgeberechtigung, Elternpflichten - etwa eine Sorgepflicht - kommen in der Argumentation des anfechtenden Gerichts nicht vor.

Damit geht das anfechtende Gericht aber am fundamentalen Regelungsverständnis, das den Gesetzesbestimmungen über die rechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern zugrunde liegt, in für die weiteren Überlegungen entscheidender Weise vorbei. § 144 ABGB regelt den Themenkreis der Obsorge mit folgenden Worten:

'Die Eltern haben das minderjährige Kind zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und es zu vertreten; sie sollen bei Ausübung dieser Rechte und Erfüllung dieser Pflichten einvernehmlich vorgehen. Zur Pflege des Kindes ist bei Fehlen eines Einvernehmens vor allem derjenige Elternteil berechtigt und verpflichtet, der den Haushalt führt, in dem das Kind betreut wird.'

Schon daraus zeigt sich, daß der Gesetzgeber die Obsorge in erster Linie als Pflicht der Eltern verstanden hat und den Eltern - um ihnen die Erfüllung dieser Pflicht zu ermöglichen - zugleich korrespondierende Rechte einräumt. Dieses besondere Verhältnis zwischen Pflichten und den Rechten der Eltern darf im Zusammenhang mit den hier anzustellenden Erwägungen nicht außer acht gelassen werden. Der Primat der Elternpflichten geht auch aus § 137 Abs 1 ABGB hervor, wonach die Eltern für die Erziehung ihrer minderjährigen Kinder zu sorgen und überhaupt ihr Wohl zu fördern haben. Dabei handelt es sich um eine grundsätzliche Bestimmung, deren Inhalt prinzipiell nicht von der Existenz entsprechender Elternrechte abhängig ist. Dies bedeutet weiters, daß auch ein Elternteil, dem nach geschiedener, aufgehobener oder nichtigerklärter Ehe die Obsorge infolge der Anordnung des § 177 ABGB nicht mehr zusteht, unabhängig vom Verlust dieses weitestgehenden Elternrechts weiterhin die Pflicht hat, im Rahmen seiner - im Regelfall durch das Getrenntleben sicherlich eingeschränkten - Möglichkeiten das Wohl des Kindes zu fördern, sein Recht auf persönlichen Verkehr mit dem Kind (§148 ABGB) verantwortungsvoll und konfliktvermeidend wahrzunehmen, dabei Interesse am Kind zu zeigen und insgesamt seine Elternrolle in dem durch die faktische Situation eingegrenzten Ausmaß noch bestmöglich auszuüben (RV 60 BlgNR 14. GP 16, JAB 587 BlgNR 14. GP 3).

Diese elterliche Pflicht und Verantwortung nach der Ehe hängt somit in keiner Weise von der Rechtsposition der Obsorge im Sinn des § 144 ABGB ab, sondern sie besteht auch für jenen Elternteil, dem die Obsorge nicht zukommt. Der nicht obsorgeberechtigte Elternteil, der wegen des Verlustes der Obsorge dieser Verpflichtung - sei es aus Enttäuschung, aus Desinteresse oder gar aus Gründen der Vergeltung - nicht nachkommt, also vor allem den ihm im Rahmen des § 148 ABGB möglichen Kontakt mit dem Kind vernachlässigt, handelt nicht nur ethisch bedenklich, sondern letztlich rechtswidrig (§137 Abs 1 ABGB). Die vom anfechtenden Gericht gezogene Schlußfolgerung, daß die Zuweisung der Obsorge an einen Elternteil allein den Kontakt zwischen dem anderen Elternteil und dem Kind beeinträchtige und deshalb dem Kindeswohl abträglich sei, baut somit auf unrichtigen Prämissen auf. Die rechtliche 'Zuständigkeit' für das Kind (vgl. S. 5 des Antrags) steht also in keinem rechtlich begründbaren und faktisch nachvollziehbaren Zusammenhang zum Kontakt der Eltern mit dem Kind. Die Frage, wer etwa als gesetzlicher Vertreter des Kindes auftritt und sein Vermögen verwalten darf, hat mit dem Gebot einer Zuwendung zum Kind auch nach der Scheidung nicht das Geringste zu tun. Dem anfechtenden Gericht ist darin zuzustimmen, daß es ein fundamentales Bedürfnis des 'Scheidungskindes' nach fortbestehenden Beziehungen zu beiden Elternteilen gibt und daß es dem Kind eine psychische Hilfe bei der Bewältigung der Scheidungskrise sein kann, wenn weiter beide Elternteile für das Kind sorgen wollen (!) und - im Sinn eines sozialen Verantwortungsgefühls - sich für das Kind zuständig fühlen (S. 5 des Antrags). Ein derart positives, das Kind unterstützendes Verhalten muß und kann auch von jenem Elternteil erwartet werden, dem die Obsorge nach der Ehe nicht zukommt,

Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß Coester vom anfechtenden Gericht in der soeben angesprochenen Passage des Aufhebungsantrages (S. 5) unrichtig zitiert wird. Er spricht ausdrücklich vom Umstand, 'daß beide Elternteile weiter für das Kind 'zuständig' sein und sorgen wollen' (Coester in Staudinger, BGB12 IV 162 zu § 1671). Er bezieht sich also erkennbar auf die elterliche Bereitschaft zur fortdauernden Verantwortung für das Kind. Im Aufhebungsantrag liest man jedoch vom Umstand, 'daß beide Elternteile weiter für das Kind zuständig sind ...'.

b) Zur Beziehung zwischen häuslicher Gemeinschaft und Obsorgeregelung:

Nochmals sei besonders auf die oben auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen der Bundesregierung im Verfahren G154/93 hingewiesen, wonach gemäß § 167 ABGB im Fall eines Zusammenlebens der Eltern mit dem Kind in dauernder häuslicher Gemeinschaft auch nach der Ehe die gemeinsame Obsorge möglich ist. Wie dort ausgeführt, erfüllt auch das sogenannte 'Heimmodell' die Voraussetzungen einer 'häuslichen Gemeinschaft' in diesem Sinn.

Außerhalb der Fälle einer solchen 'häuslichen Gemeinschaft' würde aber die gemeinsame Obsorge dazu führen, daß einer der Elternteile (nämlich derjenige, der allein mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt) die wesentliche Last der Pflege und Erziehung zu tragen hätte, während der andere, nicht mit dem Kind lebende Elternteil kraft der ihm ebenfalls zukommenden Obsorge gleichsam Kontrollrechte weitestgehender Art (nämlich weit über die Mindestrechte des § 178 ABGB hinaus) und damit letztlich Macht über den faktisch erziehenden Elternteil ausüben könnte, ohne sich in die Mühen der alltäglichen Pflege und Erziehung einzulassen.

Dies entspräche in groben Zügen der Rechtslage, wie sie vor dem Bundesgesetz über die Neuordnung des Kindschaftsrechts, BGBl. Nr. 403/1977, in der Rechtsfigur der 'väterlichen Gewalt' bestanden hatte und von der sich der Gesetzgeber unter anderem auch aus Gründen des Kindeswohls entfernt hat, Auch unter diesem Aspekt erscheint eine gemeinsame Obsorge der Eltern nach der Ehe nur in jenen Fällen gerechtfertigt, in denen die damit korrespondierenden Elternpflichten von beiden Eltern in annähernd gleichwertiger Weise erfüllt werden; dies ist aber nur in den Fällen einer 'häuslichen Gemeinschaft' im Sinn des § 167 ABGB denkbar, für die die Möglichkeit der gemeinsamen Obsorge ohnehin besteht.

Wenn das anfechtende Gericht davon spricht - und diesbezüglich muß ihm beigepflichtet werden -, daß das Kind bei der Erarbeitung entsprechender Lösungen 'nicht zum Versuchsobjekt werden' dürfe (S. 25 des Antrags), so kann dem für den oben geschilderten Fall einer Machtausübung des faktisch nicht erziehenden Elternteils kraft gemeinsamer Obsorge nur die Befürchtung an die Seite gestellt werden, daß diesfalls das Kind gleichsam zur 'Geisel' des solcherart kontrollierenden Elternteils zum Zweck der Fortsetzung des ehelichen Konflikts werden könnte, Der Einwand, diese Problematik werde dadurch gemildert, daß ein gemeinsames Sorgerecht ohnehin nur bei Konsens der Eltern möglich sei, vermag nicht zu überzeugen.

Aus der forensischen Praxis ist nämlich bekannt, daß es im Zusammenhang mit dem Abschluß von Scheidungsvereinbarungen nicht selten zur Ausübung massiven Drucks durch einen Ehegatten kommt, ohne daß dies für den Scheidungsrichter oder für den mit einer Stellungnahme zu den kinderbezogenen Teilen der Scheidungsvereinbarung betrauten Jugendwohlfahrtsträger rechtzeitig erkennbar wäre. Es wäre zu erwarten, daß im Fall einer Erweiterung der gesetzlichen Möglichkeiten für eine gemeinsame Obsorge nach Scheidung häufig auch die Einwilligung des faktisch alleinerziehenden Elternteils zur Festlegung der gemeinsamen Obsorge in der Scheidungsvereinbarung in solcher Weise erzwungen würde. Eine wirksame Kontrolle solcher Vorgänge durch Gericht oder Jugendwohlfahrtsträger, wie sie im Interesse des Kindes notwendig wäre, kann - wie schon erwähnt - mit den im Scheidungs- und Pflegschaftsverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln nicht sicher gewährleistet werden. Damit wäre bei einer Ermöglichung der gemeinsamen Obsorge nach Scheidung über die Fallkonstellation der 'häuslichen Gemeinschaft' im Sinn des § 167 ABGB hinaus zu befürchten, daß es in einer beträchtlichen Zahl von Fällen zu Willkürakten des faktisch nicht erziehenden Elternteils käme, die letztlich dem Wohl der davon betroffenen Kinder schadeten (Coester in Staudinger, BGB12 IV Rz. 161 zu § 1671). In der Eindämmung solcher Geschehnisse durch Ausschluß der gemeinsamen Obsorge nach Scheidung außerhalb einer 'häuslichen Gemeinschaft' im Sinn des § 167 ABGB liegt das vom anfechtenden Gericht angesprochene 'dringende soziale Bedürfnis' (S. 12 des Antrags) für die einschränkende Regelung des § 177 ABGB. Aus diesen Gründen war und ist es berechtigt, daß der Gesetzgeber den ihm in diesem Bereich zukommenden Regelungsspielraum dahingehend wahrgenommen hat, daß er die Möglichkeit gemeinsamer Obsorge nach der Ehe auf die Fälle der 'häuslichen Gemeinschaft' im Sinn des § 167 ABGB beschränkte.

c) Rechte des nicht obsorgeberechtigten Elternteils:

Bei der Beurteilung der sachlichen Rechtfertigung des Grundsatzes der Alleinzuteilung der Obsorge darf die gesamte Rechtsstellung des nicht obsorgeberechtigten Elternteils nicht aus dem Auge verloren, insbesondere die Bestimmung des § 178 ABGB über die Mindestrechte der Eltern nicht übersehen werden, zumal sie in einem engen inhaltlichen Kontext mit dem nun bekämpften § 177 ABGB steht. Nach dieser Gesetzesstelle hat ein Elternteil, dem die Obsorge nicht zukommt, neben dem Recht auf persönlichen Verkehr (§148 ABGB) auch das Recht, von außergewöhnlichen, die Person des Kindes betreffenden Umständen und von beabsichtigten Maßnahmen in den im § 154 Abs 2 und 3 ABGB genannten Angelegenheiten vom Obsorgeberechtigten rechtzeitig verständigt zu werden und sich zu diesen, wie auch zu anderen wichtigen Maßnahmen in angemessener Frist zu äußern. Diese Äußerung ist zu berücksichtigen, wenn der darin ausgedrückte Wunsch dem Wohl des Kindes besser entspricht. Damit stehen dem nicht obsorgeberechtigten Elternteil ohnehin - wenngleich sicherlich in eingeschränktem Rahmen - bedeutsame Kontroll- und Einflußmöglichkeiten zu; durch den Verlust der Obsorge werden ihm die Elternrechte also keineswegs gänzlich genommen."

7. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien hat in einer Äußerung auf die Ausführungen der Bundesregierung repliziert und zur Bekräftigung seines Standpunktes folgendes vorgebracht:

"Zu II. 1:

Entgegen der im Schriftsatz dargelegten Auffassung lassen sich die Argumente des Verfassungsgerichtshofes aus seiner Entscheidung VfSlg 12103/1988 (richtig: 1989) = JBl. 1990, 305 ff. auf die hier anhängige Beschwerde nicht übertragen, weil im Anlaßfall eben nur die Verletzung des Art 8 MRK zu prüfen war und die Argumentation daher von ganz anderen Perspektiven auszugehen hatte ArtV des 7. Zusatzprotokolles ist gegenüber Art 8 MRK die speziellere Bestimmung, die, weil der angesprochene Bereich nach den bisher gegebenen Normen nicht ausreichend geschützt war, sich zur Aufgabe stellte, den Bezug des Kindes zu beiden Elternteilen und die daraus entstehenden Rechte und Pflichten im Sinne eines dazu neu gewonnenen Verständnisses sicherzustellen. Dem liegt die nunmehr an sich unbestrittene Auffassung zugrunde, daß dem Wohle des Kindes am besten entsprochen ist, wenn, unabhängig davon, ob nun die Ehe existiert oder nicht, beide Elternteile in dem rechtlich abzusichernden Verantwortungsbereich einbezogen sind (vgl. Coester in Staudinger, BGB12 IV (1991) zu § 1671, vor allem Rz 15, 16, 162 - 168, 172 - 182).

Wie in der eingebrachten Beschwerde bereits ausgeführt wurde, kann die Zulässigkeit des Grundrechtseingriffes nicht eine Dimension annehmen, die den im selben Artikel statuierten Grundsatz, wonach die Rechte und Pflichten vor und nach der Auflösung der Ehe gleich zu sein haben, wieder aufhebt. Würde die Bestimmung für die Zeit nach der Ehe so zu verstehen sein, so wäre der ganze Artikel eine Leerformel.

Ob nach Auflösung der Ehe die elterlichen Rechte und Pflichten nur einen Elternteil zuzuteilen sind, womit zwingend verbunden ist, daß sie der andere Teil zur Gänze verliert, kann erst nach Prüfung der Gesamtsituation festgestellt werden, nicht aber vom Gesetz von vornherein unter Ausschaltung einer Sachverhaltsprüfung angenommen werden. Es ist daher vor allem dem Argument der Gegenäußerung zu widersprechen, daß im Falle der Auflösung der Ehe das Kindeswohl nur dann gewahrt werden kann, wenn die Eltern Rechte und Pflichten einem Teil zur Gänze zuerkannt und dem anderen zur Gänze genommen werden. Die Ausführungen in der Gegenäußerung über die Gestaltungsmöglichkeiten nach Auflösung der Ehe, die durchwegs anerkannte Varianten enthalten, sind für das Gesetzesprüfungsverfahren überflüssig, weil nur anhand der konkret zu prüfenden Situation gesagt werden kann, in welcher Weise dem Wohle des Kindes am Besten gedient ist und hier es nur darum geht, daß das Gesetz allein an die Scheidung anknüpfend nicht einen Elternteil von diesem Pflichten- und Rechtekreis ausschließen kann.

Die Darlegungen über die vom Verfassungsgesetzgeber der einfachen Gesetzgebung gegebenen Gestaltungsfreiheit übersehen, daß, wie oben und in der Beschwerde ausgeführt wurde, § 177 ABGB die durch den Verfasssungsgesetzgeber gegebenen Grenzen überschreitet.

Das antragstellende Gericht darf noch darauf hinweisen, daß seine Rechtsansicht zu ArtV des 7. Zusatzprotokolles zuletzt auch von Deixler-Hübner, Die Obsorgerechtsregelung nach der Ehescheidung, ÖJZ 1993, 722, geteilt wurde.

Zu II. 2:

Die Gegenäußerung führt aus, daß dem dargelegten Bedenken nicht durch die Aufhebung des Wortes 'allein' Rechnung getragen werden kann, sondern vielmehr die Aufhebung der gesamten Wortfolge 'im Falle nicht bloß vorübergehender Trennung jedoch nur auf Antrag eines Elternteiles' erforderlich gewesen wäre; der Eventualantrag auf Gesamtaufhebung des § 177 ABGB wäre überschießend. Da der vom Rekursgericht gestellte Eventualantrag die Aufhebung des ganzen § 177 ABGB erfaßt, ist die Aufhebung jeglicher Wortfolge möglich.

Den wiederholenden Ausführungen über die Notwendigkeit der gegebenen gesetzlichen Lösung und des Gestaltungsspielraum der einfachen Gesetzgebung sind die Darlegungen zu 1. entgegen zuhalten.

Daß der OGH die Verfassungsmäßigkeit des § 177 ABGB in seiner Entscheidung vom , 3 Ob 514/92, JBl. 1992, 699 ff., nicht aufgegriffen hat, vermag die gebrachten Argumente nicht entkräften.

Die Auffassung, daß § 177 ABGB dem Gleichheitsgrundsatz wegen der unsachlicherweise verschiedenen Regelung bei geschiedenen und dauernd getrennt lebenden Eltern widerspricht, ist von Pichler bereits in der Entscheidungsglosse JBl. 1992, 701 f. (s. S. 702, erste Spalte oben) vertreten worden und wurde von ihm erneut in der Besprechnung des Werkes Harrer/Zitta (Herausgeber), Familie und Recht in JBl. 1993, 746, vorgetragen (zweite Spalte unten)".

8. Die Rekurswerber in dem Verfahren, aus Anlaß dessen das Landesgericht Salzburg den Gesetzesprüfungsantrag stellte, haben zur Äußerung der Bundesregierung eine ausführliche Stellungnahme abgegeben, diese in einem weiteren Schriftsatz ergänzt und zugleich zur Bekräftigung ihres Standpunktes verschiedene Unterlagen vorgelegt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat die Verfahren über die beiden Anträge in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VerfGG zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden.

III. Der Verfassungsgerichtshof

hat erwogen:

A. Zur Zulässigkeit der Anträge:

1. Ein Antrag eines zur Entscheidung in zweiter Instanz zuständigen Gerichtes iS des Art 89 Abs 2 und des Art 140 Abs 1 B-VG auf Aufhebung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit hat zur Voraussetzung, daß das antragstellende Gericht die Gesetzesstelle, deren Aufhebung es beantragt, in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf ein Antrag eines (zur Antragstellung befugten) Gerichtes mangels Präjudizialität nur dann abgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß das angefochtene Gesetz vom antragstellenden Gericht im Anlaßfall anzuwenden ist (s. etwa VfSlg. 13236/1992 mwH). In dem den beiden Anträgen jeweils zugrundeliegenden Anlaßfall geht es ausschließlich um die gemäß § 177 Abs 1 ABGB zu treffende Entscheidung über die Genehmigung oder Nichtgenehmigung einer von den Eltern eines minderjährigen ehelichen Kindes, deren Ehe geschieden ist, dem Gericht unterbreiteten Vereinbarung, mit der festgelegt wird, wem von ihnen künftig die Obsorge über das Kind zukommen soll. In keinem der beiden Anlaßfälle ist somit vom Gericht gemäß § 177 Abs 2 ABGB zu entscheiden, welchem Elternteil künftig die Obsorge über das Kind zukommen soll, und es liegt auch kein Fall vor, in dem gemäß § 177 Abs 3 ABGB das Gericht zu verfügen hat, daß beiden Elternteilen die Obsorge für das Kind zukommt.

Die Bestimmungen des § 177 Abs 2 und 3 ABGB sind somit in keinem der beiden Anlaßfälle präjudiziell. Der Antrag des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien und der Antrag des Landesgerichtes Salzburg, § 177 ABGB zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben, erweisen sich demnach als überschießend und waren darum zurückzuweisen.

Der Antrag des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien auf Aufhebung des Wortes "allein" in § 177 Abs 2 ABGB erweist sich aus den dargelegten Gründen mangels Präjudizialität als unzulässig und war darum zurückzuweisen.

Zulässig ist hingegen, wie sich gleichfalls aus dem Dargelegten ergibt, der Antrag des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien insoweit, als er auf die Aufhebung des Wortes "allein" in § 177 Abs 1 ABGB gerichtet ist, ebenso der Antrag des Landesgerichtes Salzburg, soweit er den Antrag auf Aufhebung dieses Wortes einschließt.

2. Der Verfassungsgerichtshof hatte in den aufgrund von Anträgen des Obersten Gerichtshofes eingeleiteten, mit dem Erkenntnis VfSlg. 12103/1989 abgeschlossenen Gesetzesprüfungsverfahren ausschließlich zu prüfen, ob § 177 Abs 1 ABGB aus den vom Obersten Gerichtshof geltend gemachten Gründen wegen Widerspruches zu Art 8 EMRK mit Verfassungswidrigkeit belastet ist. Die Rechtskraft dieses Erkenntnisses steht der Fällung einer Sachentscheidung über den Antrag des Landesgerichtes Salzburg im Umfang seiner Zulässigkeit auch insoweit nicht entgegen, als darin verfassungsrechtliche Bedenken aus der Sicht des Art 8 EMRK vorgetragen werden. Dies ist schon mit Rücksicht darauf der Fall, daß § 177 ABGB nach der Fällung des Erkenntnisses novelliert wurde (durch ArtI Z 20 KindRÄG). Die Rechtskraft des in einem Verfahren nach Art 140 B-VG gefällten Erkenntnisses setzt nämlich (nicht nur Identität der Bedenken, sondern auch) Identität der Norm voraus (vgl. etwa VfSlg. 11646/1988).

B. Zur Sache selbst:

1.a) Der Verfassungsgerichtshof gelangte im Erkenntnis VfSlg. 12103/1989 zum Ergebnis, daß § 177 Abs 1 ABGB idF des Bundesgesetzes über die Neuordnung des Kindschaftsrechts, BGBl. 403/1977, nicht wegen Widerspruches zu Art 8 EMRK verfassungswidrig ist. Das Gesetzesprüfungsverfahren war durch (übereinstimmende) Anträge des Obersten Gerichtshofes ausgelöst worden, das Wort "allein" in § 177 Abs 1 ABGB (idF des Bundesgesetzes über die Neuordnung des Kindschaftsrechts, BGBl. 403/1977) als verfassungswidrig aufzuheben, wobei sich die Bedenken des Obersten Gerichtshofes ausschließlich auf den Widerspruch dieser Bestimmung zu Art 8 EMRK bezogen. Der Verfassungsgerichtshof hatte daher lediglich zu prüfen, ob § 177 Abs 1 ABGB aus den vom Obersten Gerichtshof geltend gemachten Gründen wegen Widerspruches zu Art 8 EMRK mit Verfassungswidrigkeit belastet ist.

b)aa) Der Verfassungsgerichtshof ging in Übereinstimmung mit der (in jenem Erkenntnis zitierten) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl. hingegen noch , EvBl. 1991/99 bzw. JBl. 1992, S. 175 f.) davon aus, daß § 177 Abs 1 ABGB, der für den Fall der Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe sowie für den Fall der nicht bloß vorübergehenden Trennung der Eltern eines minderjährigen ehelichen Kindes die Möglichkeit gibt, das Sorgerecht (seit dem Inkrafttreten des KindRÄG: die "Obsorge") für das Kind durch eine (der gerichtlichen Genehmigung bedürfenden) Vereinbarung zu regeln, es ausschließt, in einer derartigen Vereinbarung vorzusehen, daß die aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten beiden Elternteilen zukommen.

Der Verfassungsgerichtshof leitete diese Auffassung zum einen aus dem Wortlaut des § 177 Abs 1 ABGB ab, wobei er von der - damals maßgebenden - Fassung auszugehen hatte, die diese Vorschrift durch das Bundesgesetz über die Neuordnung des Kindschaftsrechts, BGBl. 403/1977, erhalten hatte:

"(1) Ist die Ehe der Eltern eines minderjährigen ehelichen Kindes geschieden, aufgehoben oder für nichtig erklärt worden oder leben die Eltern nicht bloß vorübergehend getrennt, so können sie dem Gericht eine Vereinbarung darüber unterbreiten, wem von ihnen künftig alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§144) allein zustehen sollen. Das Gericht hat die Vereinbarung zu genehmigen, wenn sie dem Wohl des Kindes entspricht."

Der Verfassungsgerichtshof stützte seine Rechtsansicht, soweit sie auf dem Gesetzeswortlaut beruhte, auf die Verwendung der Worte "alle" und "allein". Er fand sie aber auch durch die parlamentarischen Materialien bestätigt. Es waren dies zum einen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend das Bundesgesetz über die Neuordnung der Rechtsstellung des ehelichen Kindes (60 BlgNR, 14. GP, S. 35), in denen sich ua. folgende Ausführungen finden:

"Künftighin (Abs1) soll bei Vorliegen der Entscheidungsvoraussetzungen der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch die Eltern, der Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe, nur ein Elternteil die Pflege und Erziehung die Vermögensverwaltung und die gesetzliche Vertretung des minderjährigen ehelichen Kindes ausüben dürfen. Die Familie ist unvollständig geworden und dem muß Rechnung getragen werden. Das Kind soll rechtlich nur noch eine Hauptbezugsperson haben; umgekehrt soll die Hauptlast der Pflichten und damit die Hauptverantwortung nur dieser einen Bezugsperson zugeteilt werden, allerdings unter der Kontrolle durch den anderen Elternteil."

Eine weitere Bestätigung für diese Auffassung sah der Verfassungsgerichtshof in folgenden Ausführungen im Bericht des Justizausschusses (587 BlgNR, 14. GP):

"Im Fall der Auflösung der Ehe der Eltern oder deren dauernder Trennung sollen alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten einem Elternteil zustehen. Mit dieser Regelung wird eines der wichtigsten Anliegen des Gesetzesvorhabens erfüllt: Demjenigen Elternteil, dem nach der Scheidung die Kinder zugesprochen werden, stehen nicht nur die Pflege und Erziehung sondern auch die gesetzliche Vertretung und die Vermögensverwaltung allein zu."

bb) Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes begründet die durch das KindRÄG bewirkte Änderung der Rechtslage weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit, von der auf dem Boden der früheren Rechtslage vertretenen Auffassung abzugehen.

So hat denn bereits der Oberste Gerichtshof - von der durch das KindRÄG geschaffenen Rechtslage ausgehend - die dargelegte Rechtsauffassung aus dem Wortlaut des § 177 Abs 3 ABGB (etwa , JBl. 1992, S. 694 f.; , 1 Ob 515/93, JBl. 1994, S. 114 f.), aber auch aus dem Wortlaut des § 177 Abs 1 und 2 ABGB abgeleitet (, JBl. 1992, S. 699), wobei seiner Auffassung nach schon die Worte "wem von ihnen" (Abs1) und "welchem Elternteil" (Abs2) eindeutig darauf hinwiesen, daß immer nur ein Elternteil gemeint ist. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes deutet des weiteren auch (die durch das KindRÄG eingeführte Bestimmung des) § 177 Abs 3 ABGB darauf hin, daß diese Auslegung der Absicht des Gesetzgebers entspricht, weil diese Bestimmung überflüssig wäre, wenn die Obsorge unabhängig vom Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft beiden Elternteilen zugeteilt werden könnte. Im übrigen ist auch der Oberste Gerichtshof (etwa in dem zuletzt zitierten Erkenntnis) der Auffassung, daß für die von ihm vertretene Auslegung des Gesetzeswortlautes die Gesetzesmaterialien einen Anhaltspunkt bieten (wie dies der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 12103/1989 im Zusammenhang mit der früheren Rechtslage dargelegt hat).

cc) Nicht zu überzeugen vermag nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes der gegen die dargelegte Auslegung erhobene Einwand, aus § 177 Abs 3 ABGB könne angesichts des bloß deklarativen Charakters dieser Bestimmung nicht der Schluß gezogen werden, daß die Zuweisung der Obsorge an beide Elternteile nur in jenen Fällen zulässig sei, in denen die Eltern (nach Auflösung der Ehe) mit dem (ehelichen) Kind in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben, und die durch § 177 Abs 1 zweiter Satz ABGB gebotene Bedachtnahme auf das Wohl des Kindes schließe es aus, die Zuweisung der Obsorge an bloß einen Elternteil selbst dann vorzunehmen, wenn dies zum Nachteil des Kindes ausschlage (so Deixler-Hübner, Die Obsorgerechtsregelung nach der Ehescheidung, ÖJZ 1993, S. 722 ff., hier S. 725; s. zu diesem Argument, insbesondere unter III. B. 2.b)dd). Abgesehen vom Fehlen jeglichen Anhaltspunktes für die Annahme, daß der Gesetzgeber mit der Bestimmung des § 177 Abs 3 ABGB "nur etwas an sich Selbstverständliches gezielt aussprechen", also bloß etwas aussagen, nicht aber etwas anordnen wollte, ergibt sich, wie bereits der Oberste Gerichtshof aufgezeigt hat, die hier vertretene Auslegung, soweit sie auf den Gesetzeswortlaut abstellt, nicht bloß aus dem Wort "allein", sondern auch aus der mit ihm inhaltlich zusammenhängenden Wortfolge "wem von ihnen" in § 177 Abs 1 erster Satz ABGB. Die Normierung des Kriteriums des Kindeswohles in § 177 Abs 1 zweiter Satz ABGB aber bedeutet für das Gericht die Verpflichtung, dieses beim Vollzug des Gesetzes zu beachten, nicht jedoch die Ermächtigung, sich über das Gesetz hinwegzusetzen (vgl. dazu etwa Pichler, JBl. 1992, S. 701).

dd) Insgesamt sieht der Verfassungsgerichtshof, insofern in Übereinstimmung mit dem Obersten Gerichtshof, aus den dargelegten Gründen ungeachtet der Neufassung des § 177 ABGB durch das KindRÄG keinen Anlaß, von der im Erkenntnis VfSlg. 12103/1989 vertretenen Auffassung über die Auslegung dieser Bestimmung abzurücken (in der Auslegung der nunmehr geltenden Fassung des § 177 ABGB übereinstimmend etwa auch Engel, Probleme der Obsorgezuteilung bei Trennung der Eltern, ÖJZ 1994, S. 542 ff., hier S. 543; Pichler, JBl. 1994, S. 115).

2.a) Das Landesgericht Salzburg erachtet § 177 ABGB (und somit auch das in Abs 1 dieser Bestimmung enthaltene Wort "allein") unter anderem wegen Widerspruches zu Art 8 EMRK deshalb für verfassungswidrig, weil die darin für den Fall der Auflösung der Ehe (vom seltenen Ausnahmefall dauernder häuslicher Gemeinschaft zwischen den Eltern und dem Kind abgesehen) zwingend und daher ohne Möglichkeit der Berücksichtigung des Wohles des Kindes im Einzelfall vorgesehene Zuweisung der Obsorge an bloß einen Elternteil einen Eingriff in das durch Art 8 EMRK gewährleistete Grundrecht des anderen Elternteiles und des Kindes darstelle, der nicht durch einen der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Tatbestände gerechtfertigt sei. Wenngleich die Beurteilung, ob ein derartiger Eingriff iS dieser Verfassungsnorm in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, also im Sinne der Judikatur des EGMR ein "dringendes soziales Bedürfnis" besteht, dem Gesetzgeber obliege und diesem dabei ein gewisser Gestaltungsspielraum zukomme, könne, da die Mehrheit der dem Europarat angehörigen Staaten in Fällen der in Rede stehenden Art ein gemeinsames Sorgerecht beider Elternteile vorsehe, von einem "dringenden sozialen Bedürfnis" nicht die Rede sein. Die vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 12103/1989 als relevant angesehene, den Eltern gesetzlich offen gelassene (bloß) faktische Möglichkeit des einvernehmlichen Vorgehens sei kein "verfassungsrechtlich unbedenkliches Surrogat" für den nach Ansicht des antragstellenden Gerichtes grundrechtlichen Anspruch beider Elternteile auf Einräumung der (rechtlichen) Möglichkeit gemeinsamer Obsorge (auch in den Fällen des Nichtbestehens dauernder häuslicher Gemeinschaft mit dem Kind). In jenen zahlreichen Fällen, in denen die gemeinsame Obsorge beider Elternteile (auch nach Auflösung der Ehe und bei Fehlen dauernder häuslicher Gemeinschaft der Eltern mit dem Kind) dem Wohl des Kindes nicht nur nicht zuwiderlaufe, sondern durch dieses geradezu geboten sei, beruhe die Zuweisung der Obsorge an einen Elternteil allein nicht im Sinne der Rechtsprechung der EKMR auf objektiven und vernünftigen Gründen und laufe damit auch dem Art 8 EMRK in der - gebotenen - Interpretation im Zusammenhang mit Art 14 EMRK zuwider.

b) Die im Erkenntnis VfSlg. 12103/1989 unter Bedachtnahme auf die Judikatur der EKMR und des EGMR angestellten Überlegungen, die zu dem Ergebnis führten, daß § 177 Abs 1 ABGB nicht aus den vom Obersten Gerichtshof geltend gemachten Gründen gegen die - auch den Gesetzgeber bindende (s. VfSlg. 8272/1978, S. 178) - Verfassungsnorm des Art 8 EMRK verstößt, lassen sich folgendermaßen kurz zusammenfassen:

aa) Der Begriff "Familienleben" iS des Art 8 EMRK umfaßt - soweit im gegebenen Zusammenhang in Betracht zu ziehen - die Beziehungen zwischen den Ehegatten und ihren ehelichen Kindern auch nach Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe. Der Gesetzgeber hat bei der ihm obliegenden Ausgestaltung der familienrechtlichen Verhältnisse die durch Art 8 EMRK gezogenen Schranken zu beachten. Es ist ihm durch diese Verfassungsnorm nicht verwehrt, die familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern nach Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe anders zu gestalten als während des Bestandes der Ehe (in diesem Sinn nunmehr etwa auch , JBl. 1994, S. 608 ff., hier S. 610).

bb) Die Zuweisung der Obsorge für ein eheliches Kind nach Auflösung der Ehe (oder im Fall dauernder Trennung der Eltern) an einen Elternteil allein ist ein Eingriff in das dem anderen Elternteil und dem Kind durch Art 8 Abs 1 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens. Ein im Interesse des Wohles des Kindes notwendiger behördlicher Eingriff in dieses Grundrecht eines Elternteiles ist - ebenso wie eine derartige gesetzliche Beschränkung des Inhaltes verbindlicher Vereinbarungen zwischen

den Eltern - durch Art 8 Abs 2 EMRK ("... in einer demokratischen

Gesellschaft ... zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ...") gedeckt. Es ist Sache des Gesetzgebers, die Notwendigkeit des Eingriffes zu beurteilen. Dabei kommt ihm ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu; er ist also nicht auf eine einzige ("beste") Lösung festgelegt. Zur Verfassungmäßigkeit eines solchen Eingriffes ist es erforderlich, daß der Eingriff zur Erreichung einer der in Art 8 Abs 2 EMRK angeführten Zwecke geeignet und überdies adäquat ist, also dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entspricht.

cc) § 177 Abs 1 ABGB trägt - auch infolge seines inhaltlichen Zusammenhanges mit anderen Rechtsvorschriften - diesem Gebot zum einen insofern Rechnung, als danach der Eingriff in die Rechtssphäre des nicht mehr mit der Obsorge betrauten Elternteiles auf ein tunlichst geringes Maß beschränkt ist: Nach § 178 Abs 1 ABGB (nunmehr idF des KindRÄG; s. dazu neuerdings Leeb/Prietl, Die Mindestrechte des nicht Obsorgeberechtigten (§178 ABGB), ÖJZ 1995, S. 613 ff.) hat ein Elternteil, soweit ihm nach Auflösung der Ehe oder bei dauernder Trennung der Eltern die Obsorge nicht zukommt, das Recht auf persönlichen Verkehr mit dem Kind. Dieses Recht darf nach § 178 Abs 2 ABGB nur dann eingeschränkt oder entzogen werden, wenn dessen Wahrnehmung das Wohl des Kindes ernstlich gefährden würde. Nach § 178 Abs 1 ABGB hat ferner jener Elternteil, dem die Obsorge nicht zukommt, das Recht, von außergewöhnlichen Umständen, die die Person des Kindes betreffen, und von beabsichtigten Maßnahmen in bestimmten, das Kind betreffenden Angelegenheiten (§154 Abs 2 und 3 ABGB) von dem Elternteil, dem die Obsorge zukommt, rechtzeitig verständigt zu werden und sich hiezu, wie auch zu anderen wichtigen Maßnahmen, in angemessener Frist zu äußern. Diese Äußerung ist zu berücksichtigen, wenn der darin ausgedrückte Wunsch dem Wohl des Kindes besser entspricht. Auch dieses Äußerungsrecht ist, wenn seine Wahrnehmung das Wohl des Kindes ernstlich gefährden würde, vom Gericht einzuschränken oder zu entziehen (§178 Abs 2 ABGB).

dd) Da im übrigen das Gericht bei Zuweisung der Obsorge an bloß einen Elternteil nach § 177 Abs 2 ABGB dessen Befugnisse unter den besonderen Voraussetzungen des § 176 Abs 1 ABGB einschränken kann (Hinweis auf EFSlg. 38.390), muß auch die gerichtliche Genehmigung einer Vereinbarung nach § 177 Abs 1 ABGB als zulässig angesehen werden, die zwar die Obsorge bloß einem Elternteil zuweist, gleichzeitig aber wegen Vorliegens besonderer Umstände gebotene Beschränkungen in der Ausübung dieser Befugnisse vorwegnimmt, die auch das Gericht bei einer Entscheidung nach § 177 Abs 2 ABGB zum Wohl des Kindes vorsehen könnte.

ee) Dazu kommt, daß das Gebot der Übertragung der Obsorge an bloß einen Elternteil es den Eltern nicht verwehrt, die in § 178 ABGB vorgesehenen - das Besuchsrecht und die Anhörungsrechte betreffenden - Mindestrechte in einer Vereinbarung zu erweitern.

ff) Im Hinblick auf die Vorschrift des § 55a Abs 2 Ehegesetz, wonach eine Ehe nur dann (einvernehmlich) geschieden werden darf, wenn die Ehegatten eine schriftliche Vereinbarung über die Zuteilung der aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten dem Gericht unterbreiten oder vor Gericht schließen, durfte der Gesetzgeber ferner davon ausgehen, daß Vereinbarungen über die Obsorge in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der (einvernehmlichen) Ehescheidung getroffen werden und damit zu einem Zeitpunkt, in dem Überlegungen über das Wohl des Kindes gegenüber den sonstigen anläßlich einer Ehescheidung zu treffenden Entscheidungen und selbst gegenüber dem Wunsch, rasch geschieden zu werden, oft in den Hintergrund treten, sodaß die (selbst ehrlich gemeinte) Absicht der Scheidungswilligen zur gemeinsamen Ausübung der Obsorge über ihre Kinder auch nach der Scheidung oft unrealistisch sein wird.

gg) Vor allem aber besteht bei der vom Gesetzgeber gewählten Lösung kein rechtliches Hindernis, daß die Eltern ungeachtet der Übertragung der Obsorge an lediglich einen Elternteil bei der faktischen Ausübung der damit verbundenen Rechte und Pflichten einvernehmlich vorgehen, etwa auch die gesetzliche Vertretung gegenüber Dritten nach ihrem Gutdünken untereinander aufteilen, sofern hiefür ein Bedürfnis besteht. Im Ergebnis ermöglicht das Gesetz somit ein einvernehmliches Vorgehen der Eltern auch nach Auflösung der Ehe (bzw. im Fall dauernder Trennung) und beschränkt sich darauf, sogleich bei der Auflösung der Ehe eine klare Regelung über die Obsorge für das Kind für den Fall vorzusehen, daß ein Einvernehmen zwischen den Eltern nicht oder nicht mehr besteht. Damit vermeidet es, daß gegebenenfalls zunächst eine Vereinbarung über die gemeinsame Ausübung der Obsorge gerichtlich genehmigt und später in einem weiteren Verfahren die Zuweisung der Obsorge an einen Elternteil allein vorgesehen wird und vermeidet auf diese Weise eine unter Umständen dem Wohl des Kindes abträgliche Zeit der Ungewißheit. So ist denn die Zuweisung der Obsorge an einen Elternteil allein so lange ohne praktische Bedeutung, als die Eltern tatsächlich einvernehmlich handeln.

Der Gesetzgeber hat mit der bekämpften Regelung, nach der Entscheidungen betreffend ein Kind aus geschiedener (oder sonst aufgelöster) Ehe (oder dessen Eltern dauernd getrennt leben) von bloß einem Elternteil - und daher sehr rasch - getroffen werden können, die aber hiebei das Einvernehmen mit dem anderen Elternteil weder ausschließt noch erschwert, ein zur Gewährleistung des Wohles des Kindes geeignetes Mittel gewählt. Der durch diese Regelung bewirkte Eingriff in das Grundrecht des anderen Elternteiles ist, da selbst bei Fehlen eines Einvernehmens zwischen den Elternteilen durch eine Reihe dem anderen Elternteil gesetzlich eingeräumter Mitwirkungsmöglichkeiten stark gemildert, nicht unverhältnismäßig (ablehnend freilich Stolzlechner, Die Übertragung der Obsorge auf einen Elternteil nach Eheauflösung bzw. nach einer nicht bloß vorübergehenden Trennung der Eltern (§177 ABGB) im Lichte des Art 8 MRK sowie des Art 5 des 7. ZProt, in: Harrer/Zitta, Familie und Recht, S. 785 ff.).

c) Weder die Novellierung des § 177 ABGB durch das KindRÄG noch das Vorbringen des Landesgerichtes Salzburg erfordern eine Änderung der im Erkenntnis VfSlg. 12103/1989 aus der Sicht des Art 8 EMRK vorgenommenen verfassungsrechtlichen Beurteilung des § 177 Abs 1 ABGB.

Seit dem Inkrafttreten des KindRÄG ist im Rahmen dieser Beurteilung auch noch zu berücksichtigen, daß gemäß § 177 Abs 3 iVm § 167 ABGB selbst nach Auflösung der Ehe dann, wenn die Eltern mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft leben, das Gericht auf gemeinsamen Antrag der Eltern zu verfügen hat, daß ihnen beiden die Obsorge für das Kind zukommt, wenn diese Verfügung für das Wohl des Kindes nicht nachteilig ist.

Wie der Oberste Gerichtshof (in 1 Ob 515/93 vom , JBl. 1994, S. 114 f.) hervorgehoben hat, ist "nicht das gemeinsame Sorgerecht, sondern eine einvernehmliche, am Wohl des Kindes orientierte Haltung der Eltern nach der Scheidung ... die für das Kind schonendste und ihm förderlichste Form der Obsorge".

Sie könnte freilich durch den Gesetzgeber nicht erzwungen werden.

Besteht zwischen den Elternteilen Einvernehmen nicht oder nicht mehr, so würde die Zuweisung gemeinsamer Obsorge an beide Elternteile ihr Ziel verfehlen und müßte geändert werden. Besteht aber Einvernehmen, so wird durch die bestehende gesetzliche Regelung ein einvernehmliches Vorgehen der Eltern weder unmöglich gemacht noch erschwert. Die Verschiedenheit der Regelungen in den dem Europarat angehörenden Staaten ist ein Ausfluß des dem Gesetzgeber zukommenden Gestaltungsspielraumes, nicht aber ein Indiz für das Fehlen eines die angegriffene Regelung iS des Art 8 EMRK rechtfertigenden "dringenden sozialen Bedürfnisses". Der Vorwurf, der Gesetzgeber ermögliche - rechtlich betrachtet - kein einvernehmliches Vorgehen der Eltern im Falle der Auflösung der Ehe (also insbesondere nach der Scheidung), besteht insofern nicht zu Recht, als der Gesetzgeber, wie dargestellt, in Fällen dieser Art ein einvernehmliches Vorgehen weder verhindert noch erschwert, mit seiner Regelung vielmehr nur und erst dann eingreift, wenn zwischen den Eltern Einvernehmen nicht (mehr) besteht.

3.a) Ebenso wie Art 8 EMRK richtet sich der Gleichheitsgrundsatz (Art7 B-VG, Art 2 StGG) auch an den Gesetzgeber (VfSlg. 13327/1993). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSlg. 8457/1978, 10064/1984, 10084/1984). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s. etwa VfSlg. 7864/1976, 7996/1977). Ob eine Regelung zweckmäßig ist oder gar, ob mit ihr der optimale Weg zur Zielerreichung beschritten wird, sind Fragen, die nicht vom Verfassungsgerichtshof unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgebotes zu beurteilen sind (vgl. VfSlg. 6541/1971, 7885/1976, 11369/1987). Es können auch mehrere, inhaltlich voneinander abweichende Bestimmungen gleichheitsgemäß sein (VfSlg. 9217/1981). Ein Gesetz ist auch nicht schon dann gleichheitswidrig, wenn sein Ergebnis nicht in allen Fällen als befriedigend angesehen wird (VfSlg. 10455/1985).

b) Die (unter III.B.2.) dargelegten Gründe, die die angegriffene Regelung als mit Art 8 EMRK im Einklang stehend erscheinen lassen, bilden auch aus der Sicht des Gleichheitsgrundsatzes eine sachliche Rechtfertigung für die mit dieser Regelung getroffene Differenzierung zwischen dem Elternteil, dem nach Auflösung der Ehe die Obsorge über das Kind zukommt, und dem anderen Elternteil, aber auch - was von den antragstellenden Gerichten nicht releviert wird - zwischen dem aus einer aufgelösten Ehe stammenden Kind und dem Kind, dessen Eltern in aufrechter Ehe leben (im diesem Sinn etwa auch , JBl. 1992, S. 699 ff.; , 1 Ob 515/93, JBl. 1994, S. 114 f.).

c) Die antragstellenden Gerichte erblicken eine weitere Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes darin, daß zwar im Fall der Auflösung (dh. Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung) einer Ehe die Zuweisung der Obsorge - bei Fehlen einer genehmigungsfähigen Vereinbarung der Eltern - durch das Gericht von Amts wegen vorzunehmen ist und lediglich an einen Elternteil erfolgen darf, während des Bestandes der Ehe aber gemäß § 177 Abs 1 ABGB die gemeinsame Obsorge der Eltern selbst im Fall ihrer dauernden Trennung bestehen bleibt und das Gericht lediglich auf Antrag eines der beiden Elternteile die Zuweisung der Obsorge an nur einen Elternteil vornehmen kann. Für diese unterschiedliche Regelung, die, wenn man unterstellt, daß bei Auflösung der Ehe nicht nur die eheliche Gemeinschaft, sondern in der Regel auch die häusliche Gemeinschaft aufgegeben wird, allein danach differenziert, ob das Eheband fortbesteht oder nicht, gibt es nach Ansicht der antragstellenden Gerichte keine sachliche Rechtfertigung. Es sei nämlich für das Kind ohne Bedeutung ("unentscheidend"), in welcher rechtlichen Verbindung seine Eltern untereinander stehen.

Der Verfassungsgerichtshof vermag sich dieser Auffassung, die in der Literatur Zustimmung gefunden hat (s. etwa Pichler, JBl. 1992, S. 702 (Entscheidungsbesprechung); Deixler-Hübner, Die Obsorgerechtsregelung nach der Ehescheidung, ÖJZ 1993, S. 722 f., hier S. 726; Pichler, JBl. 1993, S. 746 (Buchbesprechung)), nicht anzuschließen:

Unabhängig von der Auffassung, daß es legitim sei, für die Beziehungen geschiedener Eltern und ihrer Kinder andere Regelungen aufzustellen als für intakte Familieneinheiten (so , JBl. 1994, S. 608 ff., hier S. 610), kann dem Gesetzgeber aus der Sicht des Gleichheitssatzes nicht entgegengetreten werden, wenn er die während des Bestandes der Ehe im Regelfall - und verfassungsrechtlich unbedenklich - gesetzlich vorgesehene gemeinsame Obsorge der Eltern auch im Fall der bloß faktischen dauernden Trennung der Eltern rechtlich so lange fortbestehen läßt, bis ein Elternteil bei Gericht den Antrag auf Zuweisung der Obsorge an ihn allein stellt. Die Wahrnehmung der gemeinsamen Obsorge beider Elternteile erfordert deren einvernehmliches Vorgehen. Der Gesetzgeber kann, solange die Ehe besteht, unbedenklicherweise davon ausgehen, daß zwischen den Elternteilen in den die Obsorge betreffenden Fragen Einvernehmen gegeben ist. Wenn der Gesetzgeber jedoch für den Fall, daß Einvernehmen nicht mehr besteht (oder weil infolge faktischer dauernder Trennung der Eltern trotz fortbestehender Ehe der andere Elternteil für ein gemeinsames Vorgehen nicht rechtzeitig erreicht werden kann), die Zuweisung der Obsorge an einen Elternteil allein vorsieht, ist dies aus der Sicht des Gleichheitssatzes unbedenklich: Daß ein darauf abzielender Antrag lediglich durch einen Elternteil allein gestellt wird, ist nämlich ebenso wie die dauernde Trennung der Elternteile ein Indiz für das Fehlen des Einvernehmens und reicht daher für die sachliche Rechtfertigung der hier in Rede stehenden Verschiedenheit der gesetzlichen Regelungen aus.

4.a) Die von den antragstellenden Gerichten vorgetragenen Bedenken gehen des weiteren dahin, daß § 177 Abs 1 ABGB dem Art 5 des - im Verfassungsrang stehenden - Protokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. 628/1988 (im folgenden: 7. ZPEMRK), zuwiderlaufe, wonach die Ehegatten untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben, wobei es freilich den Staaten nicht verwehrt sei, die im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen zu treffen. Die (jeweils) angegriffene gesetzliche Bestimmung schließt nämlich nach der im Ergebnis übereinstimmenden Auffassung der antragstellenden Gerichte nach Auflösung der Ehe die gemeinsame Obsorge beider Elternteile für das Kind selbst dann aus, wenn die Eltern diese übereinstimmend wünschen und das Wohl des Kindes ihr nicht nur nicht entgegensteht, sondern durch sie sogar gefördert würde.

Während Art 5 des 7. ZPEMRK (unter anderem) die Gleichbehandlung von Mann und Frau in bezug auf ihre privatrechtlichen Beziehungen auch nach Auflösung der Ehe normiere, verkehre die bekämpfte Vorschrift, bei der es sich nicht um eine (bloß) ausnahmsweise in das Grundrecht eingreifende Einzelmaßnahme handle, geradezu die grundrechtliche Schutzgarantie und mache eine allenfalls als Ausnahme noch tolerierbare Normierung zur Regel. Sie könne insbesondere aus der Sicht jener Fälle, in denen das Wohl des Kindes die Ausübung der Obsorge durch beide Elternteile geradezu erfordert, nicht als eine durch den Grundrechtsvorbehalt des Art 5 zweiter Satz des 7. ZPEMRK gedeckte, "im Interesse des Kindes notwendige Maßnahme" angesehen werden. Durch die in Rede stehende Verfassungsnorm sei es, so meint das Landesgericht Salzburg, geradezu geboten, nach Auflösung der Ehe unabhängig von der Aufrechterhaltung (oder Wiederaufnahme) dauernder häuslicher Gemeinschaft der Eltern mit dem Kind, die Obsorge für das Kind beiden Elternteilen auf deren übereinstimmenden Antrag gemeinsam zuzuweisen. Dies umsomehr, als der Gesetzgeber mit der Einfügung des geltenden Abs 3 in den § 177 ABGB selbst anerkannt habe, daß die gemeinsame Obsorge beider Elternteile, falls diese dazu imstande und bereit sind, im Interesse des Wohles des Kindes geboten sein kann.

b) Art 5 des - im Verfassungsrang stehenden (vgl. dazu die Kundmachung BGBl. 628/1988) - 7. ZPEMRK hat folgenden Wortlaut:

"Ehegatten haben untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe. Dieser Artikel verwehrt es den Staaten nicht, die im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen zu treffen."

Diese den Art 8 EMRK unberührt lassende, insbesondere dessen Anwendungsbereich nicht einschränkende Norm (so EGMR , Burghartz, 49/1992/394/472, ÖJZ 1994, S. 559 ff.) verankert den Grundsatz der Gleichheit (der Rechte und Pflichten) von Mann und Frau in den familienrechtlichen Beziehungen (so die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 900 BlgNR, 16. GP, S. 9), und zwar in den Beziehungen zwischen den Ehegatten unter sich und zu den Kindern (so Trechsel, Das verflixte Siebente? Bemerkungen zum

7. Zusatzprotokoll zur EMRK, in: FS Ermacora, S. 195 ff., hier

S. 208). Nach Stolzlechner (Die Übertragung der Obsorge auf einen Elternteil nach Eheauflösung bzw. nach einer nicht bloß vorübergehenden Trennung der Eltern (§177 ABGB) im Lichte des Art 8 MRK sowie des Art 5 des 7. ZProt, in: Harrer/Zitta, Familie und Recht, S. 785 ff., hier S. 793) handelt es sich dabei um einen speziellen Gleichheitssatz für die Beziehungen der Ehegatten untereinander und zu ihren Kindern.

Diese Verfassungsnorm gilt ungeachtet des Wortlautes ihrer

deutschen Übersetzung ("... bei Auflösung der Ehe.") auch für den

Zeitraum nach Auflösung der Ehe (vgl. dazu den englischen Text:

"... as to marriage ... and in the event of its dissolution.";

vgl. auch , JBl. 1992, S. 699, mwH).

Indem sie in den von ihr erfaßten Beziehungen Differenzierungen nach dem Geschlecht verbietet, schließt sie Regelungen nicht aus, die nach Auflösung der Ehe den früheren Ehegatten in bezug auf die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder unterschiedliche Rechtspositionen zuweisen, sofern diese nur nicht an das Geschlecht anknüpfen (so auch Pichler, JBl. 1993, S. 746 f., Besprechung von Harrer/Zitta (Hrsg.), Familie und Recht). Sie engt insbesondere den dem Gesetzgeber zukommenden Spielraum bei der im Interesse des Wohles des Kindes zutreffenden Regelung nicht derart ein, daß er nach Auflösung der Ehe bzw. im Fall der dauernden Trennung der Eltern beiden Elternteilen in bezug auf die Obsorge für die der Ehe entstammenden Kinder gleiche Rechte und Pflichten zuweisen müßte.

Ingesamt bringt somit Art 5 des 7. ZPEMRK in den von ihm erfaßten Beziehungen den in Art 7 B-VG und in Art 2 StGG normierten Gleichheitsgrundsatz insofern zur Geltung, als dieser Differenzierungen nach dem Geschlecht ausschließt. Daß jedoch die bekämpfte gesetzliche Regelung - auch nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes - dem Gleichheitsgrundsatz entspricht, wurde bereits oben (III.B.3.; s. auch die dort zitierte Judikatur des Obersten Gerichtshofes) dargetan (zur Übereinstimmung dieser Regelung mit Art 8 EMRK s. oben unter III. B.1. und 2.). Art 5 des 7. ZPEMRK erfordert somit nicht, nach Auflösung der Ehe die Obsorge für minderjährige eheliche Kinder beiden Elternteilen gemeinsam zuzuweisen. Die Vereinbarkeit der hier in Rede stehenden Regelung mit Art 5 des 7. ZPEMRK betont etwa auch Pichler (JBl. 1992, S. 702; JBl. 1993, S. 746; anders freilich Stolzlechner, aaO; s. auch Ebert, "First Call for Children!" Zur Notwendigkeit einer verfassungs- und völkerrechtskonformen Familienrechtsreform in Österreich, JBl. 1995, S. 69 ff.).

5. Der Verfassungsgerichtshof vermag somit die in den Prüfungsanträgen vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken der antragstellenden Gerichte (im Rahmen der Zulässigkeit dieser Anträge) ingesamt nicht zu teilen. Er hatte auch in diesen Verfahren nicht zu beurteilen, ob die vom Gesetzgeber getroffene Lösung die zweckmäßigste oder beste ist, wie dies teilweise im Schrifttum bezweifelt wird.

Die Anträge waren daher, soweit zulässig, abzuweisen.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.