VfGH vom 03.10.2012, g140/11
Sammlungsnummer
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Leitsatz
Teils Zurück-, teils Abweisung der Anträge des UVS Oberösterreich auf Aufhebung von Regelungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 über die Verhängung der Schubhaft;
kein Verstoß gegen das Recht auf persönliche Freiheit;
Verpflichtung zur Achtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Vollziehung; Verwaltungshandeln ausreichend determiniert; Vorrang der Anordnung gelinderer Mittel
Spruch
I. Die zu G55/12 und G72/12 protokollierten Anträge werden zurückgewiesen.
II. Der zu G61/12 protokollierte Antrag wird insoweit zurückgewiesen, als er auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 77 Abs 1 erster Satz FPG 2005 idF BGBl. I 135/2009 gerichtet ist.
III. Die übrigen Anträge werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Mit zu G140/11, G1/12, G3/12, G24/12, G28/12,
G52/12, G53/12, G55/12, G61/12, G72/12 und G79/12 protokollierten Schriftsätzen brachte der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich gestützt auf Art 140 B-VG eine Reihe von Anträgen zur Aufhebung von Teilen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein, die die Verhängung von Schubhaft näher regeln. Die Bedenken des UVS aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit iSv Art 89 Abs 2 B-VG entstanden im Zuge von auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Schubhaftbescheiden, von Festnahmen oder von Anhaltungen gemäß § 82 Abs 1 Z 3 FPG. Einzig der zu G3/12 protokollierte Schriftsatz wurde aus Anlass eines von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens zur Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs 7 FPG eingebracht.
2. Im Einzelnen stellt der Unabhängige
Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich folgende Anträge:
2.1. In den zu G140/11, G1/12, G24/12, G28/12, G52/12 und G53/12 protokollierten Schriftsätzen begehrt der UVS die Aufhebung des § 76 Abs 1 erster Satz des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011 in eventu die Aufhebung der Wortfolge ", wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann" in § 77 Abs 1 erster Satz leg.cit. In den zu G52/12 und G53/12 protokollierten Schriftsätzen begehrt der Unabhängige Verwaltungssenat darüber hinaus in eventu die Aufhebung des § 83 Abs 2 Z 2 FPG, BGBl. I 100/2005.
2.2. Die zu G3/12 und G79/12 eingebrachten
Schriftsätze des UVS des Landes Oberösterreich sind auf Aufhebung der Wortfolge "Ein- oder" in § 80 Abs 4 Z 2 FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, in eventu auf Aufhebung des letzten Satzes des § 80 Abs 4 leg.cit. in eventu auf Aufhebung des § 76 Abs 2 Z 1 leg.cit. in eventu auf Aufhebung der Wortfolge ", wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann" in § 77 Abs 1 erster Satz leg.cit. gerichtet.
2.3. Mit den Anträgen zu G55/12 und G72/12 begehrt der UVS des Landes Oberösterreich die Aufhebung der Wortfolge "Ein- oder" in § 80 Abs 4 Z 2 FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011. Weiters enthalten diese Schriftsätze Eventualbegehren auf Aufhebung der Z 1 und 2 im ersten Satz des § 80 Abs 4 leg.cit., auf Aufhebung des § 76 Abs 2 Z 2 leg.cit., auf Aufhebung des letzten Satzes des § 80 Abs 4 leg.cit., auf Aufhebung des § 76 Abs 2 Z 1 leg.cit., auf Aufhebung der Wortfolge ", wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann" in § 77 Abs 1 erster Satz leg.cit. sowie auf Aufhebung des § 83 Abs 2 Z 2 FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011.
2.4. Der Antrag zu G61/12 bezieht sich auf die Rechtslage vor der Novelle BGBl. I 38/2011 zum FPG und zielt auf die Feststellung, dass § 76 Abs 1 FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009 verfassungswidrig war, in eventu auf die Feststellung, dass § 77 Abs 1 erster Satz leg.cit.
verfassungswidrig war. Weiters beantragt der UVS des Landes Oberösterreich die Aufhebung des § 83 Abs 2 Z 2 FPG, BGBl. I 100/2005.
3. Diese Anträge des UVS des Landes Oberösterreich sind im Wesentlichen und soweit sie den einzelnen angefochtenen Bestimmungen zugeordnet werden können von folgenden Bedenken getragen:
3.1. Der erste Satz des § 76 Abs 1 FPG, BGBl. I
100/2005 idF BGBl. I 38/2011, verletze den Gleichheitssatz (Art7 B-VG, Art 2 StGG und ArtI Abs 1 RassDiskrBVG) und das Recht auf persönliche Freiheit (Art1 Abs 3 des Bundesverfassungsgesetzes vom über den Schutz der persönlichen Freiheit - PersFrSchG 1988, Art 5 Abs 1 EMRK und Art 14 EMRK), weil er es der Behörde ohne nähere (sachliche) Differenzierung ermögliche, in unverhältnismäßiger Weise in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf persönliche Freiheit einzugreifen. Einziges Kriterium zur Verhängung der Schubhaft sei deren Notwendigkeit zur Sicherung der Durchführung eines fremdenpolizeilichen Verfahrens und nicht etwa auch das persönliche Verhalten des Fremden. Es sei außerdem darauf hinzuweisen, dass Art 6 EGRC "keinen expliziten Vorbehalt zur Einschränkung der persönlichen Freiheit eines Fremden wegen Betroffenheit von einem schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren mehr vorsieht". Darüber hinaus verletze der erste Satz des § 76 Abs 1 des FPG Art 13 EMRK iVm Art 6 Abs 1 PersFrSchG 1988 und Art 5 Abs 4 EMRK, da es keine Möglichkeit gäbe, die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges - und das beinhalte auch die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof - innerhalb der in Art 6 Abs 1 PersFrSchG 1988 festgelegten Frist von einer Woche zu erwirken.
3.2. Mit gleichlautenden Bedenken richtet sich der UVS gegen die Verfassungskonformität der Regelungen des § 76 Abs 2 Z 1 und 2 FPG.
3.3. Die Bedenken bezüglich der Wortfolge ", wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann" in § 77 Abs 1 erster Satz FPG begründet der UVS mit einem Verstoß gegen das Legalitätsprinzip des Art 18 B-VG. Die Wortfolge würde es weitgehend der zuständigen Fremdenpolizeibehörde überlassen, wann gelindere Mittel anzuordnen seien. Damit sei keine ausreichende inhaltliche Bindung der Verwaltung bewirkt. Darüber hinaus bedeute diese freie Wahlmöglichkeit der Fremdenpolizeibehörde eine rechtliche Gleichstellung von Schubhaft und gelinderen Mitteln, die keiner sachlichen Rechtfertigung zugänglich sei und damit eine Verletzung des Gleichheitssatzes darstelle.
3.4. § 80 Abs 4 letzter Satz leg.cit. verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot des Art 18 Abs 1 B-VG, da nicht erkennbar sei, in welchem Verhältnis er zu § 80 Abs 2 und § 80 Abs 4 Z 1 bis 3 leg.cit. stehe. Es sei also aus der Bestimmung nicht ableitbar, ob Asylwerber, die gemäß § 76 Abs 2 FPG in Schubhaft genommen wurden, grundsätzlich nur vier Monate oder aber bis zu zehn Monate in Haft verbleiben dürften. Dieser Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot bewirke nicht nur einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit, sondern verletze auch das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes.
3.5. Die Bestimmung des § 83 Abs 2 Z 2 FPG, die
anordnet, dass die Entscheidung des UVS über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen hat, verstoße gegen Art 6 Abs 1 zweiter Satz PersFrSchG 1988 da der UVS aufgrund mangelnder Ausstattung eine derart aufwendig vorzubereitende Entscheidung nicht binnen einer Woche fällen könne.
3.6. Die gegen § 76 Abs 1 erster Satz und § 77 Abs 1
erster Satz FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009, geäußerten Bedenken entsprechen jenen zu § 76 Abs 1 leg.cit. und zur Wortfolge ", wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann" in § 77 Abs 1 erster Satz FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, geäußerten Bedenken.
4. Die Bundesregierung erstattete Äußerungen zu den Anträgen und trat den Bedenken des UVS des Landes Oberösterreich im Einzelnen wie folgt entgegen:
4.1. Die Anträge auf Aufhebung von § 76 Abs 1 erster Satz FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, und der Wortfolge ", wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann" in § 77 Abs 1 erster Satz leg.cit. seien unzulässig, weil der jeweilige Anfechtungsumfang nicht richtig abgegrenzt sei. Der Antrag auf Aufhebung des ersten Satzes des § 76 Abs 1 FPG sei insofern zu weit gefasst, als es zur Beseitigung der vermeintlichen Verfassungswidrigkeit ausgereicht hätte, die Aufhebung auf bestimmte, für die Anlassfälle relevante Verfahrensarten zu beschränken. Andererseits sei der Umfang zu eng gefasst, da nach Aufhebung des ersten Satzes nicht mehr klar wäre, zur Sicherung welcher Verfahren Schubhaft verhängt werden dürfe. Demnach hätte also der gesamte Abs 1 des § 76 FPG angefochten werden müssen.
4.2. Die Abgrenzung des Anfechtungsumfanges in § 77 Abs 1 FPG hätte zur Folge, dass nach einer allfälligen Aufhebung Schubhaft nur noch in bestimmten Fällen gegenüber mündigen Minderjährigen bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres und in den Fällen des § 76 Abs 2 und 2a FPG verhängt werden könne. Dies würde zu einer völligen, dem Rechtssetzer nicht mehr zusinnbaren Veränderung des Gesetzesinhalts führen.
4.3. Die gegen § 76 Abs 1 und § 77 Abs 1 FPG
vorgebrachten Bedenken wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz und das Recht auf persönliche Freiheit seien aber auch unbegründet. Das in Art 1 Abs 3 PersFrSchG 1988 ausdrücklich festgehaltene Verhältnismäßigkeitsgebot erlaube einen Freiheitsentzug nur als "ultima ratio". § 76 Abs 1 FPG sei also insofern verfassungskonform zu interpretieren, als die Schubhaft nur in jenen Fällen verhängt werde dürfe, in denen dies zur Sicherung der fremdenpolizeilichen Verfahren und nach entsprechender Abwägung mit den subjektiven Interessen des Betroffenen unbedingt notwendig sei. Die Bundesregierung verweist diesbezüglich auch auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (insb. VfSlg. 17.891/2006 und 18.145/2007). Hinsichtlich der Bedenken gegen § 77 Abs 1 FPG verweist die Bundesregierung - auch was einen allfälligen Verstoß gegen das Determinierungsverbot des Art 18 Abs 1 B-VG angeht - auf VfSlg. 19.323/2011, wo der Verfassungsgerichthof ausgesprochen habe, dass es das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebiete, dass von der Ermächtigung in der inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Vorgängerbestimmung zum derzeit in Geltung stehenden § 77 Abs 1 FPG so Gebrauch zu machen sei, dass die Schubhaft nur dann zu verhängen sei, wenn mit gelinderen Mitteln das Ziel der Sicherung des Verfahrens nicht erreicht werden könne. Bezüglich der Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 76 Abs 2 FPG verweist die Bundesregierung auf das Erkenntnis VfSlg. 18.058/2007.
4.4. Auch die diese Bestimmungen betreffenden
Bedenken hinsichtlich eines Verstoßes gegen Art 13 EMRK in Verbindung mit Art 6 Abs 1 PersFrSchG 1988 und Art 5 Abs 4 EMRK seien unbegründet. Die Bundesregierung führt aus, dass das FPG mit der Schubhaftbeschwerde (§82 Abs 1 FPG) und den amtswegigen Überprüfungsverfahren gemäß § 80 Abs 6 und 7 FPG ein ausreichendes Rechtsschutzinstrumentarium zur Verfügung stelle. Fehlerhafte Bescheide des UVS könnten bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts angefochten werden.
4.5. Die Anträge auf Aufhebung der Wortfolge
"Ein- oder" in § 80 Abs 4 Z 2 FPG seien schon deshalb unzulässig, weil der Schriftsatz des UVS des Landes Oberösterreich lediglich allgemeine Bemerkungen zu § 80 Abs 4 FPG, aber keine konkreten verfassungsrechtlichen Bedenken zur Wortfolge "Ein- oder" in § 80 Abs 4 Z 2 leg.cit. enthalte.
4.6. Auf die Bedenken des UVS bezüglich eines Verstoßes gegen das Determinierungsgebot in § 80 Abs 4 letzter Satz FPG antwortet die Bundesregierung mit einem Vorschlag zur Interpretation dieser Bestimmung. Nach dem Wortlaut sei klar, dass die grundsätzliche Regelung der höchstzulässigen Schubhaft von vier Monaten in § 80 Abs 2 FPG nur insoweit gelte, als "kein Fall der Abs 3 und 4" vorläge. Dementsprechend gelte dann, wenn ein Fall des Abs 4 vorläge, die dort genannte höchstzulässige Dauer für die Verhängung der Schubhaft.
4.7. Zu der vom UVS behaupteten Verfassungswidrigkeit des § 83 Abs 2 Z 2 FPG führt die Bundesregierung aus, dass die Bestimmung genau das anordne, was auch Art 6 Abs 1 PersFrSchG 1988 fordere, nämlich eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges binnen einer Woche. Es sei nicht ersichtlich, worin ein Verstoß gegen diese Verfassungsbestimmung gelegen sein könnte. Im Übrigen verweist die Bundesregierung auf das Erkenntnis VfSlg. 13.893/1994.
4.8. Die Bundesregierung zweifelt weiters an der Zulässigkeit des Vorbringens des UVS, dass das Fehlen eines effektiven vorläufigen Rechtsschutzinstruments gegen die Verhängung der Schubhaft gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoße, da dieses Bedenken keiner der angefochtenen Normen zugeordnet sei. Das Bedenken sei aber auch unbegründet, da die Entscheidungsfrist von einer Woche ohnehin denkbar kurz sei und ein Aufschub der Haft dem Sinn und Zweck der Schubhaft zuwiderlaufen würde.
4.9. Die Zulässigkeit der Anträge zu G55/12 und
G72/12 wird von der Bundesregierung überhaupt in Abrede gestellt, da diese nicht im Einzelnen darlegen, warum die bekämpften Bestimmungen gegen die Verfassung verstoßen.
4.10. Aus diesen Gründen beantragt die Bundesregierung die Zurück-, in eventu die Abweisung der Anträge.
4.11. Der UVS erstattete zweimal eine Replik zu den Äußerungen der Bundesregierung und zwei der Beschwerdeführer in den Anlassverfahren legten Äußerungen vor.
II. Rechtslage
1. Die Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl. I 100 idF BGBl. I 38/2011 (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben) lauten:
"Schubhaft
§76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.
(1a) Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn
1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§10 AsylG 2005) erlassen wurde;
2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;
3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist oder
4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.
(2a) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde hat über einen Asylwerber Schubhaft anzuordnen, wenn
1. gegen den Asylwerber eine mit einer
zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde oder ihm gemäß § 12a Abs 1 AsylG 2005 ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt;
2. eine Mitteilung gemäß § 29 Abs 3 Z 4 bis 6 AsylG 2005 erfolgt ist und der Asylwerber die Gebietsbeschränkung gemäß § 12 Abs 2 AsylG 2005 verletzt hat;
3. der Asylwerber die Meldeverpflichtung gemäß § 15a AsylG 2005 mehr als einmal verletzt hat;
4. der Asylwerber, gegen den nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde, der Mitwirkungsverpflichtung gemäß § 15 Abs 1 Z 4 vorletzter Satz AsylG 2005 nicht nachgekommen ist;
5. der Asylwerber einen Folgeantrag (§2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005) gestellt hat und der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, oder
6. sich der Asylwerber gemäß § 24 Abs 4 AsylG 2005 ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle entfernt hat, soweit eine der Voraussetzungen des Abs 2 Z 1 bis 4 vorliegt,
und die Schubhaft für die Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist, es sei denn, dass besondere Umstände in der Person des Asylwerbers der Schubhaft entgegenstehen.
[...]"
"Gelinderes Mittel
§77. (1) Die Behörde hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs 2 Z 1.
[...]"
"Dauer der Schubhaft
§80. (1) Die Behörde ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf grundsätzlich
1. zwei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen verhängt wird;
2. vier Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, verhängt wird und kein Fall der Abs 3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben
werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann oder darf ein Fremder deshalb nicht
abgeschoben werden,
1. weil die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit nicht möglich ist oder
2. weil die für die Ein- oder Durchreise
erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt oder
3. weil er die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§13) widersetzt.
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von einem Jahr nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden, es sei denn, die Nichtvornahme der Abschiebung ist dem Verhalten des Fremden zuzurechnen. In diesen Fällen darf der Fremde wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von 18 Monate nicht länger als 10 Monate in Schubhaft angehalten werden. Gleiches gilt, wenn die Abschiebung dadurch gefährdet erscheint, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen hat. Ebenso kann die Schubhaft, die gemäß § 76 Abs 2 verhängt wurde, länger als sechs Monate in einem Jahr, aber nicht länger als 10 Monate in 18 Monaten aufrechterhalten werden.
(5) In Fällen, in denen die Schubhaft gemäß § 76 Abs 2 oder 2a verhängt wurde, kann diese bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftig negativer Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz aufrecht erhalten werden, es sei denn, es läge auch ein Fall des Abs 4 Z 1 bis 3 vor. Wird der Beschwerde gegen eine Ausweisung, die mit einer zurückweisenden Entscheidung verbunden ist, die aufschiebende Wirkung gemäß § 37 AsylG 2005 zuerkannt, darf die Schubhaft bis zur Entscheidung des Asylgerichtshofes aufrecht erhalten werden. Darüber hinaus darf die Schubhaft nur aufrechterhalten werden, wenn der Asylgerichtshof eine zurück- oder abweisende Entscheidung erlässt. Die Schubhaftdauer darf in diesen Fällen die Dauer von zehn Monaten innerhalb eines Zeitraumes von 18 Monaten nicht überschreiten.
(6) Die Behörde hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 82 Abs 1 Z 3 anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(7) Soll der Fremde länger als vier Monate
durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom örtlich zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat von Amts wegen zu überprüfen. Die Behörde hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass den unabhängigen Verwaltungssenaten eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Dabei hat sie darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Der unabhängige Verwaltungssenat hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
(8) Die Behörde hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen."
2. § 83 Abs 1 FPG wurde mit der Novelle BGBl. I
122/2009 geändert, die restlichen Absätze stehen aber noch immer in der Stammfassung BGBl. I 100/2005 in Geltung:
"Entscheidung durch den unabhängigen Verwaltungssenat
§83. (1) Zur Entscheidung über eine Beschwerde gemäß § 82 Abs 1 Z 2 oder 3 ist der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel die Behörde ihren Sitz hat, welche die Anhaltung oder die Schubhaft angeordnet hat. In den Fällen des § 82 Abs 1 Z 1 richtet sich die Zuständigkeit nach dem Ort der Festnahme.
(2) Über die Beschwerde entscheidet der unabhängige Verwaltungssenat durch eines seiner Mitglieder. Im übrigen gelten die §§67c bis 67g sowie 79a AVG mit der Maßgabe, dass
1. eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, und
2. die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen hat, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet.
(3) Hat der unabhängige Verwaltungssenat dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist des Abs 2 Z 2 bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(4) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat der unabhängige Verwaltungssenat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden."
3. Mit dem zu G61/12 protokollierten Antrag begehrt der UVS die Feststellung, dass Teile der §§76 Abs 1 und 77 Abs 1 FPG "idF BGBl. I 135/2009" verfassungswidrig waren. Mit BGBl. I 135/2009 wurden zwar Teile des FPG novelliert, § 76 und § 77 FPG verblieben aber unverändert. Die Novelle BGBl. I 135/2009 trat mit in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt standen sowohl § 76 Abs 1 als auch § 77 Abs 1 FPG in der Stammfassung BGBl. I 100/2005 in Geltung:
"Schubhaft
§76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.
[...]
Gelinderes Mittel
§77. (1) Die Behörde kann von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Gegen Minderjährige hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann.
[...]"
III. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die in
sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:
1. Prozessvoraussetzungen
1.1. Gemäß § 62 Abs 1 VfGG hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen das Gesetz sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit sind präzise zu umschreiben, die Bedenken sind schlüssig und überprüfbar darzulegen (VfSlg. 11.888/1988, 12.223/1989). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, pauschal vorgetragene Bedenken einzelnen Bestimmungen zuzuordnen und - gleichsam stellvertretend - das Vorbringen für den Antragsteller zu präzisieren (VfSlg. 17.099/2003, 17.102/2003). Es genügt nicht, dass vom Antragsteller behauptet wird, dass die bekämpften Gesetzesstellen gegen eine - wenn auch näher bezeichnete - Verfassungsbestimmung verstoßen; es muss vielmehr vom Antragsteller konkret dargelegt werden, aus welchen Gründen den aufzuhebenden Normen die behauptete Verfassungswidrigkeit anzulasten sei (VfSlg. 13.123/1992).
1.1.1. Diesen Anforderungen werden die zu G55/12 und G72/12 protokollierten, inhaltsgleichen Anträge nicht gerecht. Bei diesen Schriftsätzen bleibt völlig unklar, wie das allgemein als "verfassungsrechtliche Bedenken" bezeichnete Vorbringen den Anträgen auf Aufhebung einzelner Teile des FPG zugeordnet werden soll. Hinzu kommt, dass die Anträge jeweils zu Beginn und am Ende des Schriftsatzes nicht übereinstimmend formuliert sind. So wird mit dem ersten Eventualbegehren am Beginn des Schriftsatzes jeweils die Aufhebung von § 80 Abs 4 Z 1 und 2 FPG und mit dem zweiten Eventualbegehren jeweils die Aufhebung von § 76 Abs 2 Z 2 FPG beantragt, während am Ende des Schriftsatzes mit dem ersten Eventualbegehren die Aufhebung von § 80 Abs 4 letzter Satz FPG und mit dem zweiten Eventualbegehren die Aufhebung von § 76 Abs 2 Z 1 FPG beantragt wird. Der Umfang des Aufhebungsbegehrens ist daher nicht nur aus formaler Sicht unklar, auch das inhaltliche Vorbringen des antragstellenden UVS lässt nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, worauf die Anträge gerichtet sind. Die zu G55/12 und G72/12 protokollierten Anträge sind daher schon aus diesem Grund unzulässig.
1.2. Mit dem ersten zu G61/12 eingebrachten Eventualantrag begehrt der UVS des Landes Oberösterreich die Feststellung, dass der erste Satz des § 77 Abs 1 FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009, verfassungswidrig war und begründet dieses Begehren im Wesentlichen damit, dass die Bestimmung der Behörde einen gesetzlich nicht hinreichend bestimmten Entscheidungsspielraum einräumen würde. Da § 77 Abs 1 FPG mit der Novelle BGBl. I 135/2009 nicht verändert wurde, ist der Antrag des UVS, auch im Lichte des übrigen Vorbringens des UVS im Schriftsatz zu G61/12, so zu deuten, dass § 77 Abs 1 FPG in der Fassung angefochten wird, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle BGBl. I 135/2009 am in Geltung stand. Zu diesem Zeitpunkt stand § 77 Abs 1 FPG in seiner Stammfassung BGBl. I 100/2005 in Geltung. Über eine Anfechtung dieser Bestimmung in dieser Fassung mit denselben Bedenken durch den UVS für das Land Oberösterreich hat der Verfassungsgerichtshof aber bereits mit dem Erkenntnis VfSlg. 19.323/2011 abgesprochen. Gemäß § 19 Abs 3 Z 2 litd VfGG ist ein Gesetzesprüfungsantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn - so wie hier - sowohl Identität der angefochtenen Norm als auch Identität der dagegen vorgebrachten Bedenken gegeben sind (VfSlg. 17.099/2003). Der auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des ersten Satzes des § 77 Abs 1 FPG 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009, gerichtete Antrag ist daher unzulässig.
1.3. Die übrigen Anträge sind zulässig.
2. In der Sache
2.1. Die Bedenken des UVS ob der Verfassungsmäßigkeit des § 76 Abs 1 und Abs 2 Z 1 FPG BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011 sind unbegründet. Der UVS meint, dass es diese Bestimmung der Behörde erlaube, "ohne jede nähere Differenzierung, andererseits aber auch in unverhältnismäßiger Weise in das [...] verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf persönliche Freiheit einzugreifen." Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Bedenken nicht.
2.1.1. Sowohl Art 2 Abs 1 Z 7 PersFrSchG 1988, BGBl. 684/1988, als auch Art 5 Abs 1 litf EMRK erlauben Eingriffe in das Recht auf persönliche Freiheit zur Sicherung eines Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahrens. Solche gesetzlichen Eingriffe sind gemäß Art 1 Abs 3 PersFrSchG 1988 nur dann gerechtfertigt, wenn der Eingriff zum Zweck der Maßnahme notwendig ist und nur soweit der Freiheitsentzug nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht. Dieses ausdrücklich formulierte Verhältnismäßigkeitsgebot erlaubt der Behörde also nur dann die Verhängung der Schubhaft, wenn dies zur Sicherung des fremdenpolizeilichen Verfahrens notwendig ist und soweit der Freiheitsentzug nicht zu diesem Zweck außer Verhältnis steht.
2.1.2. Wie der Verfassungsgerichtshof schon in VfSlg. 17.891/2006 festgestellt und in VfSlg. 18.145/2007 bekräftigt hat, belastet es eine Regelung nicht mit Verfassungswidrigkeit, wenn es der Gesetzgeber - angesichts der sich schon aus dem Grundrecht ergebenden Verpflichtung der Behörden, von der Anordnung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist (zur entsprechenden Verpflichtung der unabhängigen Verwaltungssenate vgl. auch VfSlg. 14.981/1997 und 17.288/2004, wonach "im Einzelfall eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft erforderlich ist") - den vollziehenden Behörden (unter der nachprüfenden Kontrolle der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) überlässt, die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des fremdenpolizeilichen Verfahrens einerseits und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen andererseits vorzunehmen (vgl. VfSlg. 17.891/2006). Im Lichte dessen erweisen sich § 76 Abs 1 und Abs 2 Z 1 FPG als das Handeln der Verwaltungsbehörden ausreichend determinierend und die Bedenken des UVS wegen Verletzung des Gleichheitssatzes (der Sache nach gemeint: wohl auch des Legalitätsprinzips des Art 18 Abs 1 B-VG) und des Rechts auf persönliche Freiheit als unbegründet.
2.2. In G61/12 beantragt der UVS des Landes Oberösterreich die Feststellung, dass § 76 Abs 1 erster Satz FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009, verfassungswidrig war. § 76 Abs 1 FPG wurde durch die Novelle BGBl. I 135/2009, die mit in Kraft trat, nicht verändert. Zu diesem Zeitpunkt stand § 76 Abs 1 FPG idF BGBl. I 122/2009 in Kraft, der sich von der Fassung BGBl. I 38/2011 nur dadurch unterschied, dass er Verfahren zur Erlassung von Rückkehrentscheidungen noch nicht als solche Verfahren nannte, die mit Schubhaft gesichert werden konnten. Die vom UVS vorgebrachten Bedenken sind jedoch dieselben wie die gegen § 76 Abs 1 erster Satz FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, vorgebrachten, und auch die Beurteilung des Verfassungsgerichtshofes entspricht jener zu § 76 Abs 1 erster Satz FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011. Der Antrag auf Feststellung, dass § 76 Abs 1 erster Satz FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009, verfassungswidrig war, ist daher aus den in 2.1. genannten Gründen unbegründet.
2.3. Als ebenso unbegründet erweisen sich die Bedenken des UVS hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge ", wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann" in § 77 Abs 1 erster Satz FPG. Der UVS bringt vor, dass mit dieser Bestimmung das Verwaltungshandeln nicht ausreichend determiniert werde und es zu einer unsachlichen rechtlichen Gleichbehandlung von Schubhaft und gelinderen Mitteln kommen würde.
2.3.1. Schon der klare Gesetzeswortlaut spricht gegen ein solches Verständnis des § 77 Abs 1 FPG. Die gesetzliche Anordnung, dass die Behörde gelindere Mittel anzuordnen hat, wenn die Zwecke der Schubhaft auch damit erreicht werden können, gibt der Behörde keine freie Wahlmöglichkeit zwischen der Anordnung gelinderer Mittel und der Verhängung von Schubhaft. Vielmehr ist damit ein klarer Vorrang der Anordnung gelinderer Mittel festgelegt. Dieser Vorrang ist auch verfassungsrechtlich geboten, wie sich aus der bereits zitierten Bestimmung des Art 1 Abs 3 des PersFrSchG 1988 ergibt und wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 19.323/2011 klargestellt hat. Unter Zugrundelegung dieser verfassungsrechtlich zwingenden Auslegung ist der Inhalt des § 77 Abs 1 FPG gegenüber der Behörde ausreichend determinierend und differenziert im gebotenen Maße zwischen der Verhängung von Schubhaft und der Anordnung von gelinderen Mitteln.
2.4. Die zu §§76 und 77 FPG vorgebrachten Bedenken würden nach Ansicht des UVS im Ergebnis auch eine Verletzung von Art 13 iVm Art 5 EMRK darstellen, da es keine Möglichkeit gäbe, die schon im Gesetz begründete Konventionswidrigkeit binnen angemessener Frist zu beseitigen. Die notwendige Gesetzesprüfung durch den Verfassungsgerichtshof würde jedenfalls nicht schnell genug erfolgen, um eine Verletzung von Art 13 iVm Art 5 EMRK zu verhindern.
2.4.1. Die Bedenken des UVS sind nicht nur deshalb unbegründet, da - wie oben dargelegt - die §§76 und 77 FPG Art 5 EMRK nicht verletzen; selbst wenn ein Fremder auf Grund von Gesetzen, die gegen die EMRK verstoßen, in Schubhaft genommen würde, hätte er die Möglichkeit, gemäß § 82 Abs 1 FPG eine Beschwerde beim UVS einzubringen. Der UVS hätte im Rahmen einer solchen Beschwerde gemäß § 83 Abs 2 Z 2 leg.cit. binnen einer Woche über die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft zu entscheiden (siehe dazu auch VfSlg. 18.081/2007). Gegen diesen Bescheid wäre eine Bescheidbeschwerde gemäß Art 144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof zulässig, der der Verfassungsgerichtshof gemäß § 85 Abs 2 VfGG auf Antrag des Beschwerdeführers aufschiebende Wirkung zuerkennen kann. Selbst wenn die Schubhaft also aufgrund von gegen die EMRK verstoßenden Gesetzen verhängt werden würde, stünde eine den Anforderungen des Art 13 EMRK genügende, wirksame Beschwerdemöglichkeit zur Verfügung. Die Bedenken des UVS sind daher nicht begründet.
2.5. Die zu G3/12 und G79/12 eingebrachten Anträge auf Aufhebung der Wortfolge "Ein- oder" in § 80 Abs 4 Z 2 FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, in eventu auf Aufhebung des letzten Satzes des § 80 Abs 4 leg.cit. wegen Verletzung des Bestimmtheitsgebotes und den sich nach Auffassung des antragstellenden UVS daraus ergebenden Verletzungen des Gleichheitssatzes und des Rechts auf persönliche Freiheit sind nicht begründet. Der Unabhängige Verwaltungssenat meint, dass aufgrund der unklaren Regelungen des § 80 Abs 2 und 4 leg.cit. die im Einzelfall geltende höchst zulässige Schubhaftdauer nicht festzustellen sei. Dieser Meinung kann sich der Verfassungsgerichtshof nicht anschließen, da schon aus dem klaren Gesetzeswortlaut des § 80 Abs 2 FPG abgeleitet werden kann, dass gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, die Schubhaft grundsätzlich für höchstens vier Monate verhängt werden darf (§80 Abs 2 Z 1 leg.cit.), soweit kein Fall der Abs 3 und 4 vorliegt. Die in Abs 3 und 4 formulierten Fälle sind also als ausdrückliche Ausnahmen zu der in Abs 2 Z 2 festgelegten höchst zulässigen Dauer der Schubhaft zu verstehen. Der Gesetzgeber hat also eine hinreichend klare Regelung getroffen.
2.5.1. Inwieweit § 80 Abs 4 FPG "im Lichte des § 80 Abs 7 FPG" eine "zuständigkeitsbegründende Wirkung" entfaltet, wie der UVS meint, ist für den Verfassungsgerichtshof ebenfalls nicht nachvollziehbar. Schließlich regelt § 80 Abs 7 leg.cit., dass eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft durch den UVS immer dann durchzuführen ist, wenn der Fremde länger als 4 Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden soll, und zwar unabhängig davon, wie lange die Schubhaft gemäß § 80 Abs 2 bis 5 leg.cit. höchstens verhängt werden darf. Welche Zuständigkeit mit der Regelung über die höchstzulässige Dauer der zu verhängenden Schubhaft "im Lichte" der Regelung über die amtswegige Überprüfung der Verhältnismäßigkeit begründet werden soll, kann der Verfassungsgerichtshof nicht erkennen. Hinsichtlich der Bedenken des UVS, dass es § 80 Abs 4 FPG den Behörden ermöglichen würde, "ohne jede nähere Differenzierung" in das Recht auf persönliche Freiheit einzugreifen, kann nur erneut auf die Pflicht zur Achtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Vollziehung des Gesetzes zu jedem Zeitpunkt des Vollzuges der Haft verwiesen werden, die eine solche undifferenzierte Verhängung der Schubhaft verbietet. Die Bedenken gegen § 80 Abs 4 FPG sind daher unbegründet.
2.6. In zu G52/12, G53/12 und G61/12 protokollierten Eventualanträgen begehrt der UVS die Aufhebung des § 83 Abs 2 Z 2 FPG. Kraft dieser Bestimmung hat der UVS eine Entscheidung über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu fällen. Der UVS wendet gegen diese Bestimmung ein, dass seit ihrem Inkrafttreten nicht nur die Anzahl der Schubhaftbeschwerden, sondern auch die rechtlichen Anforderungen an eine korrekte Prüfung stetig gestiegen seien. Zugleich sei der UVS mit immer neuen Aufgaben betraut worden. Aus all dem ergebe sich eine strukturelle Überlastung des UVS, die dazu führe, dass die Einhaltung der Frist des § 83 Abs 2 Z 2 FPG, also die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche, schwierig oder gar unmöglich werde.
2.6.1. Art 6 Abs 1 letzter Satz PersFrSchG 1988
fordert, dass die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit eines Freiheitsentzuges binnen einer Woche zu ergehen hat. Dieser verfassungsgesetzlichen Anordnung wurde durch § 83 Abs 2 Z 2 FPG für die Fälle der Verhängung der Schubhaft auf einfachgesetzlicher Ebene entsprochen. Wie die - vom UVS behauptete - faktische Überforderung des zur Entscheidung berufenen Organs, die zu einer Missachtung der (einfachgesetzlich und verfassungsgesetzlich vorgesehenen) Frist führt, auf die Verfassungsmäßigkeit der einfachgesetzlichen Bestimmung zurückwirken soll, kann der Verfassungsgerichtshof angesichts der Vorgabe der Frist durch den Wortlaut der Verfassungsbestimmung nicht nachvollziehen.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die nur in den zu G55/12 und G72/12
protokollierten Anträge auf Aufhebung der Z 1 und 2 im ersten Satz des § 80 Abs 4 FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, sowie auf Aufhebung der Z 2 des § 76 Abs 2 FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, sowie auf Aufhebung der Z 2 des § 83 Abs 2 FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011, waren aufgrund der nicht ausreichenden Darlegung der Bedenken, der Antrag auf Feststellung, dass der erste Satz des § 77 Abs 1 FPG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 135/2009 verfassungswidrig war, wegen entschiedener Sache gemäß § 19 Abs 3 Z 2 litd VfGG zurückzuweisen.
2. Die übrigen Anträge erwiesen sich als unbegründet und waren daher abzuweisen.
3. Der zu G1/12 beteiligten Partei waren Kosten nicht zuzusprechen, da es im Falle eines auf Antrag eines Unabhängigen Verwaltungssenates eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens Sache des antragstellenden Unabhängigen Verwaltungssenates ist, nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften über allfällige Kostenersatzansprüche der Parteien des bei ihm anhängigen Anlassverfahrens zu befinden (vgl. VfSlg. 19.019/2010).
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.