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VfGH vom 29.11.1995, G1371/95

VfGH vom 29.11.1995, G1371/95

Sammlungsnummer

14361

Leitsatz

Aufhebung der Festlegung von Verwaltungsstrafen in bestimmter Höhe im Wr BaumschutzG mangels gerichtlicher Zuständigkeit bei aufgrund der vorgesehenen Strafhöhe in den Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit fallenden Delikten; Besonderheit der unabhängigen Strafgerichte auch im Verhältnis zu den Unabhängigen Verwaltungssenaten

Spruch

1. Im § 13 Abs 2 des Wiener Baumschutzgesetzes, LGBl. Nr. 27/1974 idF der Novelle LGBl. Nr. 52/1993, wird die Wendung "mit einer Geldstrafe von S 10.000,-- bis zu S 2,000.000,-

- oder Arrest von zwei Wochen bis zu sechs Monaten" als verfassungswidrig aufgehoben.

Die verfassungswidrige Vorschrift ist auch in den beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien zu Zlen. UVS-06/16/285/93 und UVS-06/15/00558/94 anhängigen Rechtssachen nicht mehr anzuwenden.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere Gesetzesbestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Wien ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

2. Die zu G47/95 und G64/95 eingebrachten Primäranträge werden zurückgewiesen.

3. Die zu G115/93 protokollierten Anträge werden zurückgewiesen.

4. Das zu G1371/95 geführte Verfahren wird eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (UVS Wien) sind Verfahren über Berufungen gegen Straferkenntnisse des Magistrates der Stadt Wien vom , vom , vom und vom anhängig. Mit diesen Straferkenntnissen wurden die Berufungswerber schuldig erkannt, dadurch Verwaltungsübertretungen nach § 4 iVm § 13 Abs 1 Z 3 bzw. Z 4 (iVm § 13 Abs 5) des Wiener Baumschutzgesetzes, LGBl. 27/1974 idgF begangen zu haben, daß sie ohne die erforderliche behördliche Bewilligung Bäume entfernen hätten lassen. Über die Berufungswerber wurden gemäß § 13 Abs 1 Z 3 (§13 Abs 2) leg.cit. Geldstrafen von 10.000 S, von 100.000 S, von 18.000 S und von 24.000 S sowie Ersatzarreststrafen verhängt.

b) Aus Anlaß dieser bei ihm anhängigen Berufungsverfahren stellt der UVS Wien beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 iVm Art 129a Abs 3 und Art 89 Abs 2 B-VG die folgenden Anträge:

Zu G115/93:

"im § 13 Abs 2 des Wiener Baumschutzgesetzes, LGBl. Nr. 27/1974 idF LGBl. Nr. 22/1986, die Wort- und Ziffernfolge

'von S 10.000,-- bis zu S 2,000.000,--',

in eventu die Wort- und Ziffernfolge

'bis 3 mit einer Geldstrafe von S 10.000,-- bis zu S 2,000.000,-- oder Arrest von zwei Wochen bis zu sechs Monaten und in den Fällen des Abs 1 Z 4'

als verfassungswidrig aufzuheben;"

Zu G47/95, G64/95 und G1371/95:

"im § 13 Abs 2 des Wiener Baumschutzgesetzes, LGBl. Nr. 27/1974 idF LGBl. Nr. 52/1993, die Wort- und Ziffernfolge

'von S 10.000,-- bis zu S 2,000.000,--',

in eventu die Wort- und Ziffernfolge

'mit einer Geldstrafe von S 10.000,-- bis zu S 2,000.000,-- oder Arrest von zwei Wochen bis zu sechs Monaten'

als verfassungswidrig aufzuheben."

c) § 13 Wr. BaumSchG lautet auszugsweise (die mit den - zulässigen (s.u. II.1.b und c) -, zu G47/95 und G64/95 gestellten Eventualanträgen zur Aufhebung beantragte Wendung ist hervorgehoben):

"§13 (1) Eine Verwaltungsübertretung begeht, wer

...

3. einen Baum entgegen den Bestimmungen des § 4 ohne vorherige Bewilligung entfernt oder entfernen läßt;

4. die vorgeschriebene Ersatz- oder Umpflanzung nicht vornimmt.

5. ...

(2) Die Verwaltungsübertretungen sind vom Magistrat in den Fällen des Abs 1 Z 1 bis 3 mit einer Geldstrafe von S 10.000,-- bis zu S 2,000.000,-- oder Arrest von zwei Wochen bis zu sechs Monaten und in den Fällen des Abs 1 Z 4 bis 6 mit einer Geldstrafe bis zu S 100.000,-- oder Arrest bis zu sechs Wochen zu bestrafen."

d) Der UVS Wien begründet seine Anträge mit dem Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G6/89 u.a. Zlen. (= VfSlg. 12151/1989). Daraus ergebe sich, daß bei einem Strafrahmen bis zu 2 Millionen Schilling die Zuständigkeit des Strafgerichtes hätte vorgesehen werden müssen.

Die Eventualanträge werden damit begründet, daß bei Beseitigung der angefochtenen Wortfolge das Gesetz, wenn auch mit niedrigerer, jedoch verfassungskonformer Strafdrohung in vollem Umfang vollziehbar wäre.

2. Die Wiener Landesregierung erstattete aufgrund ihrer Beschlüsse vom , vom und vom Äußerungen, in denen sie begehrt, die in Prüfung gezogenen Gesetzesstellen nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

Sie begründet dies - nach einer Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der Bedenken des UVS Wien - wie folgt (zitiert wird die Äußerung vom ; die Äußerungen vom und vom lauten nahezu gleich):

"Zur Frage der Abgrenzung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung:

1.) Ausführungen aus der Literatur:

Der Verfassungsgerichtshof selbst ist bis vor kurzem in Übereinstimmung mit dem Großteil der österreichischen Verfassungslehre bis zum Erkenntnis vom zur GZ.: G6 u.a./89, sowie den darauf aufbauenden Erkenntnissen vom zu den GZ.: G314/89-7, G19,20/90-5, vom zur GZ.: G32/90-6, vom zur GZ.: G126/90-7 sowie vom zur GZ.: G64/90-9, davon ausgegangen, daß dem B-VG das Konzept einer formellen Gewaltentrennung im Sinne einer Unabhängigkeit von Gerichten und Verwaltungsbehörden zugrunde liege. Dementsprechend wäre es dem einfachen Gesetzgeber nach eigenem Ermessen oblägen, die Aufgaben auf Gerichte und Verwaltungsbehörden zu verteilen. Die in den genannten Erkenntnissen vertretene Auffassung wurde im wesentlichen auf Ernst Hellbling gestützt.

Hellbling vertritt die Ansicht (vgl. JBl. 1956, Seite 252 ff), daß der Gesetzgeber lediglich bei den verhältnismäßig 'leichten Delikten' die Wahl der Zuweisung zu Gerichten und Verwaltungsbehörden habe. Hellbling stützt sich hiebei wesentlich auf Art 11 Abs 5 B-VG. Nach dieser Bestimmung sollte die Rechtsprechung oberster Instanz im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden wegen Verwaltungsübertretungen Verwaltungsstrafsenaten zustehen. Daraus schließt Hellbling, daß der einfache Gesetzgeber bloß ermächtigt sei, Tatbestände von Verwaltungsübertretungen aufzustellen, schwere Delikte (Verbrechen und Vergehen) dagegen der Ahndung durch die Strafgerichte zu unterwerfen seien. Diese Schlußfolgerung werde auch durch Art 91 Abs 2 und 3 B-VG wesentlich unterstützt.

Aus dem Umstand, daß die Bundesverfassung die Strafgerichte mit den Merkmalen der Unabhängigkeit, Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit ausgestattet habe, schließt Hellbling, daß auch von den - Übertretungen den Strafgerichten die strafwürdigeren und den Verwaltungsbehörden die minder strafwürdigeren zur Verfolgung überlassen werden sollten.

Ferner ergebe sich aus Art 7 B-VG, daß Tatbestände mit einem größeren Unrechtsgehalt, mit schwereren Strafen bedroht werden müssen als Tatbestände, deren Unrechtsgehalt geringer ist.

Hellbling schließt daraus, daß - wie bereits erwähnt - der Gesetzgeber lediglich bei den verhältnismäßig "leichten Delikten" die Wahl der Zuweisung zu Gerichten und Verwaltungsbehörden habe und daß die Obergrenze einer angedrohten Verwaltungsstrafe keinesfalls weiter reichen dürfe, als die Obergrenze der für gerichtlich strafbare Handlungen im allgemeinen in Betracht kommenden Strafen.

Diese Annahme blieb jedoch in der Literatur - wie in der Folge kurz dargestellt werden soll - umstritten.

Melichar kommt in seinem Gutachten für den 4. Österreichischen Juristentag (vgl. 4. ÖJT 1970 I/l, Seite 37 ff) zu dem Ergebnis, daß zur Frage der Abgrenzung von Verwaltungsstrafrecht und gerichtlichem Strafrecht im B-VG kein Anhaltspunkt für irgendeine Begrenzung des einfachen Gesetzgebers gefunden werden kann.

Adamovich sen. etwa führte aus (vgl. Handbuch des Österreichischen Verwaltungsrechtes, 1954, 5. Auflage, Seite 22 ff), daß die Grenze zwischen dem Justizstrafrecht und dem Verwaltungsstrafrecht keine feste sei und sich vielmehr andauernd ändere. So habe etwa die StG-Novelle 1932 eine große Anzahl von Übertretungen aus dem StG ausgeschieden und dem Verwaltungsstrafrecht zugeordnet.

Adamovich/Funk (vgl. Allgemeines Verwaltungsrecht, 1987, Seite 94 ff) gehen zwar vom Bestehen einer im B-VG garantierten materiellen Gewaltentrennung aus; diese beziehe sich jedoch lediglich auf die Einrichtung einer materiellen Gewaltentrennung als solche und nicht auf einzelne Zuständigkeiten.

Antoniolli (vgl. Allgemeines Verwaltungsrecht, 1954, Seite 15 ff) meint, daß sich die Gewaltentrennung lediglich auf die Organisation der Behörden beziehe und die verfassungsrechtliche Gewaltentrennung nicht auf die Trennung der materiellen Funktionen bezogen werden kann. Die Verfassung verbiete nicht, daß den Gerichten 'Verwaltungssachen' oder den Verwaltungsbehörden 'Angelegenheiten der Rechtsprechung' übertragen werden. Es obliege vielmehr dem einfachen Gesetzgeber, eine Zuständigkeitsregelung vorzunehmen. Verwaltungsübertretungen seien die nach ArtVI EGVG die von Verwaltungsbehörden zu ahndenden Übertretungen. Aus ArtVI EGVG ergebe sich, daß - die Abgrenzung zwischen Justiz- und Verwaltungsstrafrecht allein in der Kompetenz zur Ahndung von Übertretungen gelegen sein könne. Alle anderen inneren Merkmale - wie etwa die der Schwere oder moralischen Mißbilligung der strafbaren Handlung - würden letzten Endes versagen.

Kneucker (vgl. Die Konkurrenz von Justiz- und Verwaltungsdelikten, JBl. 1964, Seite 238 ff) führt aus, daß das Verwaltungsstrafrecht die Summe der durch Gesetze (Verordnungen) normierten Strafbefugnisse von Verwaltungsbehörden sei. Die verfassungsrechtlichen Vorschriften verhinderten lediglich, daß bestimmte schwere, sozialschädliche Delikte den Gerichten entzogen werden oder die Strafgerichtsbarkeit beseitigt werde. Ein Rahmen, innerhalb dessen das Verwaltungsstrafrecht liegen muß, könne dem B-VG nicht entnommen werden.

Nach Walter (vgl. Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1972) könne weder aus Art 94 B-VG noch aus Art 92 Abs 1 B-VG ein bestimmter Kompetenzbereich der Justiz oder der Verwaltung abgeleitet werden. Es könne lediglich abgeleitet werden, daß dem Verfassungsgesetzgeber ein gewisser Bereich der Gerichtsbarkeit vorschwebte. Doch habe er ihn nicht normativ fixiert.

Walter geht weiter davon aus (vgl. Walter, Gerichtsbarkeit, Seite 106 ff), daß sich aus Art 91 Abs 2 und 3 B-VG lediglich ergebe, daß auch unterhalb der Geschworenen- und Schöffengerichtsbarkeit ein gewisses Maß an gerichtlicher Zuständigkeit gegeben sein müsse.

Antoniolli/Koja (vgl. Allgemeines Verwaltungsrecht, 1986, 2. Auflage, Seite 51 ff) gehen davon aus, daß im B-VG grundsätzlich offen geblieben sei, welche Gesichtspunkte man bei der Bezeichnung einer Sache als Verwaltungssache oder als Sache der Rechtsprechung zugrunde lege. Die Abgrenzung erfolge lediglich durch die Zuständigkeitsregelung.

2.) Historische Auslegung:

Schon 1920 war die in Art 91 Abs 2 und 3 B-VG festgelegte Stufung innerhalb des Justizstrafrechtes in der einfach-gesetzlichen Rechtsordnung im Gegensatz zu einer Abgrenzung zwischen Justizstrafrecht und Verwaltungsstrafrecht, vorgegeben. Schon 1920 gab es sehr hohe Geldstrafen im Verwaltungsstrafrecht. Vor allem gab es schon zu dieser Zeit das Bemühen einer 'Wesensabgrenzung' zwischen dem Justiz- und Verwaltungsstrafrecht.

Der Verfassungsgesetzgeber konnte somit eine klare Abstufung nicht als gegeben voraussetzen. Hätte der Verfassungsgesetzgeber eine Abgrenzung nach der Strafhöhe oder einem anderen Kriterium gewollt, so hätte er eine klare Anordnung im B-VG treffen müssen (vgl. Öhlinger, ÖJZ, 46. Jahrgang, Heft 7, Seite 219).

Nach Art 3 Abs 2 des Bundesverfassungsgesetzes vom BGBl. Nr. 684/1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit darf der gesetzlich angedrohte Freiheitsentzug 6 Wochen nicht übersteigen.

Laut Öhlinger (vgl. ÖJZ 46. Jahrgang - 1991, Heft 7, Seite 220 ff) werde mit dieser ausschließlichen Aussage des Verfassungsgesetzgebers über die Höhe von Freiheitsstrafen im Verwaltungsstrafrecht und aus dem Schweigen über die zulässige Höhe von Geldstrafen deutlich, daß eine Begrenzung der Geldstrafe im Verwaltungsstrafrecht vom Verfassungsgesetzgeber nicht intendiert sei.

3.) Auslegung nach sachlichen Gesichtspunkten:

Überdies erscheint es nach Öhlinger (vgl. ÖJZ, 46. Jahrgang - 1991, Heft 7, Seite 217 ff) beim Versuch einer Abgrenzung zwischen Justizstrafrecht und Verwaltungsstrafrecht nicht gerechtfertigt, lediglich auf die Strafhöhe oder eine daraus ableitbare Sozialschädlichkeit eines Verhaltens abzustellen.

Die Strafhöhe könne nur als eines von mehreren zulässigen Kriterien gewertet werden.

Ein weiteres Kriterium müsse nach seiner Ansicht wohl der enge Zusammenhang zwischen einer Strafdrohung und der konkreten verwaltungsrechtlichen Regelung sein.

Eine Abgrenzung werde auch durch die unterschiedlichen Methoden der Bemessung von Geldstrafen erschwert. So komme bei gerichtlichen Strafen das Tagessatzsystem zur Anwendung, während im Verwaltungsstrafrecht in der Regel eine Obergrenze bestimmt würde und das Finanzstrafrecht eine Vervielfachung des hinterzogenen Abgabenbetrages für die Bemessung vorsehe.

Das bloße Abstellen auf die Höhe der Strafsanktion wurde überdies auch von Miklau in einem am österreichischen Juristentag gehaltenen Vortrag (vgl. ÖJZ, 46. Jahrgang - 1991, Heft 11, Seite 361 ff) mit folgenden Argumenten kritisiert:

a) Zum Gewicht der Strafsanktion als Abgrenzungskriterium:


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Das Gewicht der vorgesehenen Strafe könne nur eines von mehreren Abgrenzungskriterien für die Entscheidung des einfachen Gesetzgebers sein, die Ahndung von Rechtsverletzungen den Gerichten oder Verwaltungsbehörden zuzuweisen.

So erfordere etwa das massenhafte Auftreten von Verstößen gegen Rechtsnormen (wie etwa im Straßenverkehr) eine rasche verfahrensmäßige Erledigung unter Anwendung summarischer Verfahrensnormen und somit die Zuweisung zu Verwaltungsstrafbehörden.


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Des weiteren unterscheide sich das Verwaltungsstrafrecht, als ein tatbezogenes Strafrecht vom Justizstrafrecht, als einem tat- und täterbezogenen Strafrecht sehr wesentlich.

Überdies gäbe es im Justizstrafrecht den Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung, und eine gerichtliche Bestrafung würde als sozialethischer Tadel empfunden werden. Es seien nicht zuletzt die Leumundsfolgen, die es den Gerichten ermöglichen, bei der Strafzumessung zurückhaltender als das Verwaltungsstrafrecht vorzugehen und Strafen bedingt nachzusehen.


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Darüberhinaus seien für das Gewicht einer Bestrafung nicht nur die Strafhöhe von Bedeutung, sondern allenfalls auch andere Rechtsfolgen, wie etwa die Entziehung von Rechten.

Dies zeige, daß das Kriterium des Gewichtes einer strafrechtlichen Sanktion sehr komplex sei und daher als Abgrenzungskriterium wenig geeignet erscheine.

b) Zur Frage des (Höchst)Ausmaßes der Geldstrafe als Abgrenzungskriterium:

Hier sei zu beachten, daß die Geldstrafendrohung erst durch das StGB 1974 auf breiter Basis eingeführt worden sei und im gerichtlichen Strafrecht die Geldstrafe bloß als Alternative neben der Freiheitsstrafe - ungeachtet des großen Anwendungsbereiches in der Praxis - gesehen werde.

Maß und Gewicht erhielten Strafdrohungen heute noch durch die Freiheitsstrafe, was auch in § 19 Abs 3 StGB seinen Ausdruck finde.

Den "typischen Bereich hoher Geldstrafen" im Justizstrafrecht, von dem der Verfassungsgerichtshof in den bereits genannten Erkenntnissen ausgeht, gäbe es nicht, da die Geldstrafe weitgehend eine Alternative zu Freiheitsstrafen im unteren Bereich der Sanktionen darstelle. Dieser Bereich ende bei 360 Tagessätzen oder 6 Monaten Freiheitsstrafe. Im allgemeinen gäbe es Geldstrafen lediglich im unteren Deliktsbereich, bei Fahrlässigkeitsdelikten sowie bei leichteren Fällen schwerer wiegender Tatbestände.

Der Kernbereich des gerichtlichen Strafrechtes könne daher nicht mit der Höhe der Geldstrafe fixiert werden.

Zusammenfassend kommt Miklau zu dem Ergebnis, daß es ein einheitliches, nach der Höhe der Strafdrohung gestuftes 'lineares' Strafrechtssystem nicht gäbe und ein solches aus strafrechtspolitischen Gründen auch nicht wünschenswert wäre, Geldstrafendrohungen müßten sowohl im Justiz- als auch im Verwaltungsstrafrecht ohne höhenmäßige Beschränkung zulässig sein, wenn sie im Rahmen des Sachlichkeitsgebotes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes blieben."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1.a) Gemäß Art 140 Abs 1 iVm. Art 129a Abs 3 und 89 Abs 2 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag eines unabhängigen Verwaltungssenates, wenn er gegen die Anwendung solcher Normen aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit Bedenken hat. Der Verfassungsgerichtshof hat hiebei die ihm unterbreitete Auffassung zur Präjudizialitätsfrage nach ständiger Rechtsprechung auf ihre Denkmöglichkeit hin zu untersuchen (VfSlg. 13424/1993 uvam.). Tritt dabei die Unrichtigkeit des Standpunkts des unabhängigen Verwaltungssenates offen zu Tage, ist der Antrag unzulässig.

b) Eben dies trifft auf den zu G115/93 protokollierten Antrag zu.

Gemäß § 51 Abs 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG steht dem Beschuldigten in einem Verwaltungsstrafverfahren das Recht der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat zu. Abs 7 des § 51 VStG idF vor der VStG-Novelle 1995, BGBl. 620, (im folgenden: VStG aF), bestimmt, daß der im Berufungsweg angefochtene Bescheid - vom hier nicht gegebenen Fall des zweiten Satzes des § 51 Abs 7 VStG abgesehen - als aufgehoben gilt und das Verfahren einzustellen ist, wenn eine Berufungsentscheidung nicht innerhalb von 15 Monaten ab Einbringung der Berufung erlassen wird.

In diese 15-monatige Frist war mangels einer anderslautenden Bestimmung (s. § 51 Abs 7 VStG aF) die Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof (insbesondere jene eines Gesetzesprüfungsverfahrens) einzurechnen. Diese Auslegung wird durch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der VStG-Novelle 1995 bestätigt (131 BlgNR, XIX. GP, Seite 8):

"Während nach § 31 Abs 3 VStG hinsichtlich der Strafbarkeitsverjährung und der Vollstreckungsverjährung die Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht in die Frist einzurechnen ist (wobei lege non distinguente davon auszugehen ist, daß auch das Verfahren gemäß Art 139 und Art 140 B-VG, nicht nur jenes nach Art 144 B-VG, an welches vielleicht primär gedacht gewesen sein mag, umfaßt ist), fehlt in § 51 Abs 7 VStG betreffend die Frist zur Entscheidung für den unabhängigen Verwaltungssenat über die Berufung in Verwaltungsstrafverfahren eine Bezugnahme auf diese Verfahren. Während ein verwaltungsgerichtliches Verfahren im vorliegenden Zusammenhang nicht in Betracht kommt, ist die Möglichkeit der Durchführung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof sehr wohl gegeben. Gemäß Art 129a Abs 3 B-VG gilt Art 89 B-VG auch für die unabhängigen Verwaltungssenate. Diese haben daher im Falle von Bedenken gegen die im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden Gesetze oder Verordnungen aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit bzw. Gesetzwidrigkeit beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung des Gesetzes bzw. der Verordnung zu stellen. Es erscheint daher geboten, § 51 Abs 7 VStG in diesem Sinne zu ergänzen.

...."

Mit Z 8 der Novelle zum VStG, BGBl. 620/1995, wurde zwar der § 51 Abs 7 VStG u.a. dahin geändert, daß ihm folgender Passus angefügt wurde:

"Die Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist nicht in diese Frist (d.i. die 15-monatige Frist i.S. des ersten Satzes) einzurechnen".

Dem mit Z 18 der VStG-Novelle 1995 eingefügten § 66b Abs 4 zufolge ist die erwähnte Neufassung des § 51 Abs 7 erst mit in Kraft getreten; eine Rückwirkung wurde aber nicht vorgesehen.

Aus den dem Verfassungsgerichtshof zu G115/93 vorgelegten Verwaltungsakt des UVS Wien, Zl. UVS-06/16/285/93, geht hervor, daß die Berufungswerberin am niederschriftlich gegen das in Rede stehende Straferkenntnis berufen hat; die Berufung langte am beim UVS Wien ein. Die 15-monatige Frist im Sinne des § 51 Abs 7 VStG aF ist daher spätestens am abgelaufen. Da der mit Berufung vor dem UVS Wien bekämpfte Bescheid damit ex lege als aufgehoben gilt, ist offenkundig, daß der UVS die von ihm beim Verfassungsgerichtshof bekämpfte Norm in diesem Verfahren nicht mehr anzuwenden hat (vgl. auch § 62 Abs 4 VerfGG sowie , G227/94 und G228/94). Am Wegfall der Präjudizialität hat die soeben erwähnte VStG-Novelle 1995 nichts geändert.

Der zu G115/93 protokollierte Antrag war daher gemäß § 19 Abs 3 Z 2 lite VerfGG mangels Legitimation des UVS Wien in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorangegangene Verhandlung zurückzuweisen (Pkt. 3 des Spruches).

c) Zu G47/95 und G64/95 stellt sich das soeben erörterte Problem des Wegfalls der Präjudizialität nicht, weil die 15-monatige Frist des § 51 Abs 7 VStG hier im Zeitpunkt der Fällung dieser Entscheidung noch offen ist.

Um für die Anlaßfälle zu G47/95 und G64/95 eine Rechtslage herzustellen, auf die die vorgetragenen Bedenken nicht mehr zutreffen, wäre es möglich, sowohl den Primäranträgen als auch den Eventualanträgen zu folgen. Würde jedoch i.S. der Primäranträge vorgegangen, so würde dies den Inhalt des bestehenden Gesetzes wesentlich stärker verändern als die von den Eventualanträgen vorgeschlagene Lösung. Die Aufhebung der Wortfolge "von S 10.000,-- bis zu S 2,000.000,--" im § 13 Abs 2 Wr. BaumSchG würde nämlich bewirken, daß für die Z 1 bis 3 überhaupt keine Regelung über die Höhe der zu verhängenden Geldstrafe mehr vorhanden wäre, sodaß ArtVII EGVG zum Tragen käme (Geldstrafe bloß bis zu 3.000 S). Der Prüfungsumfang wird daher in den Primäranträgen nicht zutreffend umschrieben. Wohl aber liegt jener, der den Eventualanträgen zugrundeliegt, auf der Linie der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. z. B. VfSlg. 7376/1974, 11506/1987). Der nach einer allfälligen Aufhebung der in den Eventualanträgen umschriebenen Wendung verbleibende Gesetzestext wäre vollziehbar und verständlich, wenngleich sprachlich nicht geglückt. Dennoch ergäbe sich eindeutig, was er zum Ausdruck bringt: "Die im Abs 1 Z 1 bis 6 aufgezählten Verwaltungsübertretungen sind vom Magistrat mit einer Geldstrafe bis zu S 100.000,-- oder Arrest bis zu sechs Wochen zu bestrafen."

Die zu G47/95 und G64/95 gestellten Primäranträge waren daher zurückzuweisen (Pkt. 2 des Spruches).

Im übrigen sind zu G47/95 und G64/95 die Prozeßvoraussetzungen gegeben und die Eventualanträge zulässig.

d) Der zu G1371/95 vom UVS Wien zu GZ UVS-06/13/00558/94 gestellte Antrag langte beim Verfassungsgerichtshof erst am ein. Eine Einbeziehung dieses Antrages in die anderen Gesetzesprüfungsverfahren war im Hinblick auf das fortgeschrittene Prozeßgeschehen nicht mehr möglich. Der Verfassungsgerichtshof hat jedoch - wie unten zu II.3.b. ausgeführt wird - beschlossen, die Anlaßfallwirkung auch für diese beim UVS anhängige Beschwerdesache herbeizuführen.

Eine weitere Behandlung dieser Anträge erübrigt sich folglich. Das zu G1371/95 geführte Verfahren war einzustellen (vgl. u.a. Zlen.).

2. Sie sind auch begründet:

a) Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Judikatur (beginnend mit VfSlg. 12151/1989, bekräftigt mit VfSlg. 12282/1990, 12389/1990, 12471/1990, 12546/1990, 12547/1990, 12920/1991) dargetan, daß die aus Art 91 B-VG abzuleitenden Grundsätze es (auch) dem Landesgesetzgeber bei Zutreffen bestimmter Voraussetzungen gebieten, die Zuständigkeit des Strafgerichts vorzusehen. Dies dann, wenn er sich im Hinblick auf die nach seiner Wertung gegebene hohe Sozialschädlichkeit eines Verhaltens veranlaßt sieht, zu dessen Hintanhaltung eine schwerwiegende, in den Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit fallende Strafdrohung festzulegen, wozu auch die Androhung besonders hoher Geldstrafen zählt.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei dieser Rechtsprechung. Aus ihr geht auch hervor, daß eine Strafdrohung von 2 Mio. S in den im Erkenntnis VfSlg. 12282/1990 umschriebenen Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit fällt (vgl. VfSlg. 12151/1989, S 104 und 106; 12389/1990, S 614).

b) Die von der Wiener Landesregierung (s.o. I.2) unter Berufung auf Literatur (so insbesondere auf Öhlinger, Die Geldstrafe im Verwaltungsstrafrecht, ÖJZ 1991, S 217 ff. und auf Miklau, ÖJZ 1991, S 361 ff.) abgegebene Äußerung vermag den Verfassungsgerichtshof nicht zu veranlassen, von der erwähnten Judikatur abzugehen:

aa) Die Wiener Landesregierung argumentiert zum einen - unter Zitierung von Öhlinger (s.o. I.2) - mit dem Hinweis auf die - mit Jänner 1991 (also erst nach Ergehen der oben zitierten Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes) in Kraft getretene - B-VG-Nov 1988, BGBl. 685, mit der die unabhängigen Verwaltungssenate eingeführt wurden. Seither sei jede Verwaltungsstrafe letztlich von einem Tribunal iS des Art 6 EMRK zu verhängen. Zum anderen wird auf Art 3 Abs 2 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988 verwiesen. Dieses BVG sehe im Verwaltungsstrafrecht nur eine Grenze der Strafhöhe für Freiheitsstrafen, nicht aber eine solche für Geldstrafen vor. Das Schweigen des Verfassungsgesetzgebers über die zulässige Höhe von Geldstrafen könne nur dahingehend gedeutet werden, daß eine Begrenzung der Geldstrafe im Verwaltungsstrafrecht nicht intendiert sei.

Diese Ausführungen widerlegen das vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 12151/1989 aus Art 91 B-VG abgeleitete Begründungselement nicht, auf das Öhlinger Bezug nimmt. In diesem Erkenntnis heißt es, daß der Gesetzgeber von Verfassung wegen gehalten sei, mit der Ahndung bestimmter strafbarer Handlungen, "die (wegen ihrer Unabhängigkeit hiezu besonders qualifizierten) Organe der Strafgerichtsbarkeit" zu betrauen. Die in Klammern gesetzte Wendung ist als bloßes Nebenargument zu verstehen, das auf die - von der Verfassung angenommene - besondere Qualifikation der Strafgerichte gegenüber Verwaltungsbehörden hinweist. Diese Besonderheit der Strafgerichte besteht auch im Verhältnis zu jenen Verwaltungsbehörden, die als "unabhängige Verwaltungssenate" bezeichnet werden. Auch aus dem Schweigen des Verfassungsgesetzgebers im BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit über die höchstzulässige Verwaltungs-Geldstrafe ergibt sich der erwähnte Schluß nicht zwingend und ist nicht einmal naheliegend: Das zitierte BVG befaßt sich nämlich ausschließlich mit Freiheitsbeschränkungen, also insbesondere auch mit Freiheitsstrafen, in keiner Weise aber mit Geldstrafen. Es war daher von der Thematik dieses BVG nicht zu erwarten, daß es irgendwelche Bestimmungen über Geldstrafen enthalte. Daher ist aus dem Fehlen derartiger Vorschriften gar nichts abzuleiten.

bb) Die Wiener Landesregierung beruft sich in ihrer Äußerung weiters auf Miklau (s.o. I.2). Sie nimmt neuerlich auf die die Unabhängigen Verwaltungssenate einrichtende B-VG-Nov 1988 Bezug und fordert mit strafrechtshistorischen und strafrechtspolitischen Argumenten ein Abgehen des Verfassungsgerichtshofes von seiner erwähnten Rechtsprechung. Diese Überlegungen sind nicht geeignet, die erwähnte verfassungsgerichtliche Judikatur zu widerlegen. Diese beruht nämlich auf anderen, verfassungsrechtlichen Aspekten.

c) Die vom antragstellenden UVS Wien vorgebrachten Bedenken treffen mithin zu.

Ob die derzeit geltende Regelung, die völlig undifferenziert eine Höchststrafe bis zu 2 Mio. S vorsieht, dem Gleichheitsgrundsatz entspricht oder nicht, hatte der Verfassungsgerichtshof hier nicht zu erörtern, weil in diese Richtung gehende Bedenken nicht vorgebracht wurden.

3.a) Sohin war die mit den zu G47/95 und G64/95 gestellten Eventualanträgen angefochtene landesgesetzliche Bestimmung wegen Widerspruchs zu Art 91 B-VG aufzuheben (Pkt. 1 des Spruches).

b) Da der zu G115/93 gestellte Antrag des UVS Wien im Hinblick auf den hier (noch) maßgebenden § 51 Abs 7 VStG aF zurückzuweisen war und dieser Fall den Fällen G47/95 und G64/95, in denen eine Aufhebung der bekämpften Gesetzesstelle erfolgte, gleichzuhalten ist, hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, von der ihm gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen und die Anlaßfallwirkung auch für das beim UVS Wien zu Zl. UVS-06/16/285/93 anhängige Berufungsverfahren herbeizuführen.

c) Da eine förmliche Einbeziehung des erst kürzlich zu G1371/95 eingelangten Antrages des UVS Wien GZ UVS-06/15/0058/94 in die anderen Gesetzesprüfungsverfahren im Hinblick auf das fortgeschrittene Prozeßgeschehen nicht mehr möglich war, hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, von der ihm gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen und die Anlaßfallwirkung auch für die beim UVS zu

GZ UVS-06/15/00558/94 anhängige Rechtssache herbeizuführen - vgl. z. B. VfSlg. 10737/1985, 11455/1987; u. a.Zlen (s.o. II.1.d).

d) Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere Gesetzesbestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Landeshauptmanns zur unverzüglichen Kundmachung der getroffenen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster und zweiter Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 1 letzter Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.