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VfGH vom 29.02.1996, G1363/95

VfGH vom 29.02.1996, G1363/95

Sammlungsnummer

14435

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit des Verbots der gleichzeitigen Ausübung der Berufstätigkeit als praktischer Arzt und als Facharzt

Spruch

§ 13 Abs 2 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1984 - ÄrzteG), Anlage 1 der Kundmachung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom , mit der das Ärztegesetz wiederverlautbart wird, BGBl. Nr. 373/1984 idF BGBl. Nr. 100/1994, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu den Zlen. B2060/94, B2090/94 und B758/95 Verfahren über Beschwerden gemäß Art 144 B-VG anhängig, denen folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

1.1. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers im Verfahren B2060/94 auf Eintragung in die bei der Österreichischen Ärztekammer geführte Ärzteliste als Arzt für Allgemeinmedizin neben der Führung der Berufsbezeichnung "Facharzt für physikalische Medizin", gestützt auf § 13 Abs 2 ÄrzteG, abgewiesen.

1.2. Ein Antrag des Beschwerdeführers zu B2090/94 auf Eintragung als Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in die Ärzteliste zusätzlich zur bestehenden Eintragung als Arzt für Allgemeinmedizin wurde ebenfalls mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, diesmal vom und wiederum gestützt auf § 13 Abs 2 ÄrzteG, abgewiesen.

1.3. Am wies der Landeshauptmann von Steiermark mit einem im Instanzenzug ergangenen Bescheid den Antrag eines Arztes für Allgemeinmedizin, er ist Beschwerdeführer im zu B758/95 protokollierten Verfahren, auf Eintragung in die Ärzteliste als Facharzt für Innere Medizin wegen Widerspruches einer solchen Eintragung zu § 13 Abs 2 ÄrzteG ab.

1.4. Gegen die genannten Bescheide wenden sich die eingangs erwähnten Beschwerden, in welchen die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten infolge der Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des jeweils bekämpften Bescheides begehrt wird.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat am aus Anlaß der Beratung über die drei genannten Beschwerden beschlossen, von Amts wegen gemäß Art 140 Abs 1 B-VG jeweils ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 13 Abs 2 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1984 - ÄrzteG), Anlage 1 der Kundmachung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom , mit der das Ärztegesetz wiederverlautbart wird, BGBl. Nr. 373/1984 idF BGBl. Nr. 100/1994, einzuleiten.

Diese - hervorgehobene - bundesgesetzliche Vorschrift lautet im Zusammenhang wie folgt:

"§12. Ärzte, die die Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als Arzt für Allgemeinmedizin (§§3 Abs 2 bis 4, 3 a Abs 1, 11 a sowie 18 a Abs 2) oder als approbierter Arzt (§§3 a, 3 c, 11 a sowie 18 a Abs 1) erfüllt haben, sind zur selbständigen Ausübung einer allgemeinärztlichen Berufstätigkeit als Arzt für Allgemeinmedizin oder als approbierter Arzt berechtigt, gleichgültig, ob diese Berufstätigkeit freiberuflich oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausgeübt wird.

§13. (1) Ärzte, die die Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt für ein Sonderfach der Heilkunde erfüllt haben (§§3 Abs 2, 3 und 5, 3 b, 3 c sowie 11 a), sind zur selbständigen Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt auf diesem Teilgebiet der Heilkunde als Sonderfach berechtigt, gleichgültig, ob diese Berufstätigkeit freiberuflich oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausgeübt wird.

(2) Fachärzte haben ihre ärztliche Berufstätigkeit auf ihr Sonderfach zu beschränken. Dies gilt nicht für Tätigkeiten im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung im Sinne der §§22 ff. des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972, und für Fachärzte, die unter den Voraussetzungen des § 15 a in organisierten Notarztdiensten (Notarztwagen bzw. Notarzthubschrauber) fächerüberschreitend tätig werden."

Diese Vorschriften traten gemäß ArtIII Abs 1 des Bundesgesetzes, mit dem das Ärztegesetz 1984 geändert wird, BGBl. Nr. 100/1994, iVm dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, BGBl. Nr. 909/1993, S. 7664, am in Kraft.

3. Der Verfassungsgerichtshof ging bei der Fassung seiner Einleitungsbeschlüsse vorläufig davon aus, daß die in Prüfung gezogene bundesgesetzliche Bestimmung in den Beschwerdeverfahren präjudiziell sei und daß er sie bei der Entscheidung über die Beschwerden werde anzuwenden haben. Auch schien es dem Verfassungsgerichtshof, daß der offensichtlich nicht angewendete zweite Satz der in Prüfung gezogenen Vorschrift mit dem ersten in einem derart engen sprachlichen Zusammenhang stehe, daß es erforderlich sei, beide Sätze des § 13 Abs 2 ÄrzteG in Prüfung zu ziehen.

Seine Bedenken gegen diese Vorschrift legte der Verfassungsgerichtshof in seinem im Verfahren B2060/94 gefaßten Einleitungsbeschluß wie folgt dar:

"... Mit Erkenntnis vom , G10/95, hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, daß die mit der hier in Prüfung gezogenen Vorschrift fast wortgleiche Vorläuferbestimmung des § 13 Abs 2 ÄrzteG idF BGBl. Nr. 314/1987 wegen Widerspruches gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig war. Der Gerichtshof war der Auffassung, daß die Vorschrift des § 13 Abs 2 erster Satz ÄrzteG (in der alten Fassung) es dem Facharzt nicht nur verboten hat, in einem anderen Sonderfach der Heilkunde als demjenigen, für welches er die Erfordernisse zur Ausübung des ärztlichen Berufes erfüllt hat, tätig zu werden, sondern daß er ihm auch im Falle der Erfüllung der einschlägigen Erfordernisse die Ausübung des ärztlichen Berufes als Arzt für Allgemeinmedizin untersagt hat. Da dieses Verbot in undifferenzierter Weise die gleichzeitige Ausübung der Berufstätigkeit als praktischer Arzt und Facharzt selbst auf 'verwandten' Gebieten unzulässig machte, obwohl selbst mehrere fachärztliche Tätigkeiten nebeneinander zulässig sind, erachtete es der Verfassungsgerichtshof als nicht sachlich gerechtfertigt.

Dem Verfassungsgerichtshof scheint auch durch den ersten der beiden in Prüfung gezogenen Sätze normiert zu sein, daß Ärzten, welche die Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als Arzt für Allgemeinmedizin erfüllen, verboten wird, diesen Beruf gleichzeitig mit ihrer Tätigkeit als Facharzt auszuüben. Ein solches Verbot, das, obwohl die Ausübung mehrerer fachärztlicher Tätigkeiten nebeneinander zulässig ist, in undifferenzierter Weise die gleichzeitige Ausübung der Berufstätigkeit als praktischer Arzt und als Facharzt selbst auf 'verwandten' Gebieten unmöglich macht, scheint dem Verfassungsgerichtshof jedoch der sachlichen Rechtfertigung zu entbehren und deshalb gegen den Gleichheitssatz zu verstoßen."

4. Die Bundesregierung hat in ihrer Sitzung vom beschlossen, im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G10/95, von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen und lediglich für den Fall der Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmung den Antrag gestellt, für deren Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen, um allenfalls erforderliche legistische Vorkehrungen zu ermöglichen.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat in den - zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Gesetzesprüfungsverfahren erwogen:

5.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in seinen Einleitungsbeschlüssen davon ausgegangen, daß er die in Prüfung gezogene Regelung bei den in den Beschwerdeverfahren zu fällenden Entscheidungen anzuwenden hätte. Die Verfahren haben nichts Gegenteiliges ergeben. Die angefochtenen Bescheide stützen sich ausdrücklich auf § 13 Abs 2 ÄrzteG idF BGBl. Nr. 100/1994. Auch trifft die Annahme des Verfassungsgerichtshofes zu, daß der zweite Satz der zitierten Vorschrift mit dem ersten Satz derselben in einem derart engen sprachlichen Zusammenhang steht, daß sein Verbleiben im Rechtsbestand im Falle der Aufhebung des ersten Satzes eine wesentliche Veränderung des Sinnes der in § 13 Abs 1 und 2 ÄrzteG getroffenen Regelung bewirken würde. Die in Prüfung gezogene Vorschrift ist somit präjudiziell im Sinne des Art 140 Abs 1 B-VG.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

5.2. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sind auch begründet. Die Bundesregierung ist ihnen nicht entgegengetreten. Auch in den Verfahren wurden sie nicht zerstreut.

Der erste Satz des § 13 Abs 2 ÄrzteG beschränkt Fachärzte in ihrer Tätigkeit auf die jeweiligen Sonderfächer, für welche sie die Erfordernisse zur Ausübung des ärztlichen Berufes erfüllen. Er verbietet Fachärzten damit eine Tätigkeit als Arzt für Allgemeinmedizin auch dann, wenn sie die Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als Arzt für Allgemeinmedizin erfüllen. Das ergibt sich, wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , G10/95, auf welches zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, im Detail dargelegt und begründet hat, aus der Stellung des § 13 Abs 2 erster Satz ÄrzteG im Gesetz.

Das durch die in Prüfung gezogene Vorschrift normierte Verbot macht in undifferenzierter Weise die gleichzeitige Ausübung der Berufstätigkeit als Arzt für Allgemeinmedizin und als Facharzt selbst auf "verwandten" Gebieten unmöglich, obwohl selbst mehrere fachärztliche Tätigkeiten nebeneinander zulässig sind. Es entbehrt mithin der sachlichen Rechtfertigung (vgl. das Erkenntnis des Gerichtshofes vom , G10/95).

§ 13 Abs 2 ÄrzteG idF BGBl. Nr. 100/1994 war daher als verfassungswidrig aufzuheben.

6. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.