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VfGH vom 12.12.1988, g134/88

VfGH vom 12.12.1988, g134/88

Sammlungsnummer

11933

Leitsatz

IngenieurkammerG; ausreichende Konkretisierung und sachgerechte Umschreibung der Voraussetzungen der Abberufbarkeit der Mitglieder der Berufungskommission in Disziplinarsachen; Überprüfbarkeit ihrer Enthebung durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts - § 40 Abs 5 genügt den Anforderungen des Art 6 MRK an die Unabhängigkeit eines Tribunals

Aufhebung der Wortfolge "- oder Ruhe" in § 51 Abs 2 wegen Widerspruchs zu Art 133 Z 4 B-VG (Art20 Abs 2 B-VG) iVm. Art 6 Abs 1 MRK - im Bestellungszeitpunkt Zugehörigkeit des Richters zum Aktivstand erforderlich

Spruch

1. Die Worte "- oder Ruhe" in § 51 Abs 2 des BG vom über die Ingenieurkammern (Ingenieurkammergesetz), BGBl. Nr. 71, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

2. § 40 Abs 5 Ingenieurkammergesetz wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

3. Im übrigen werden die Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VfGH sind zu B238/87, B398/87, B623/87 und B847/87 auf Art 144 B-VG gegründete Beschwerden anhängig, mit denen Berufungserkenntnisse der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten bei der Bundes-Ingenieurkammer angefochten werden. In allen diesen Berufungserkenntnissen wurde den Berufungen der nunmehrigen Bf. gegen Erkenntnisse eines Disziplinarsenates einer Ingenieurkammer, mit denen über die Bf. Disziplinarstrafen gem. § 49 des BG vom über die Ingenieurkammern, BGBl. Nr. 71, (Ingenieurkammergesetz) verhängt worden waren, von der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten bei der Bundes-Ingenieurkammer keine Folge gegeben.

2. Aus Anlaß dieser Beschwerden beschloß der VfGH, gem. Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen die Verfassungsmäßigkeit der §§40 Abs 5 und 51 des Ingenieurkammergesetzes zu prüfen.

3. Die für das Gesetzesprüfungsverfahren maßgeblichen Bestimmungen des Ingenieurkammergesetzes lauten:

"§40.

Ausübung der Funktionen, Verschwiegenheitspflicht

(1) Die Funktionsperiode aller Organe der nach diesem BG gebildeten Körperschaften mit Ausnahme der Rechnungsprüfer dauert vier Jahre, jedenfalls aber bis zur Konstituierung der neugewählten Organe. Die Funktionsperiode der Rechnungsprüfer dauert ein Jahr.

...

(5) Funktionäre, bei denen nachträglich wahlausschließende Tatsachen (§34 Abs 2) eintreten oder bekannt werden, oder die ihre Amtspflichten grob verletzen oder vernachlässigen, sind vom Bundesministerium für Bauten und Technik (jetzt: Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten) zu entheben.

§49.

Disziplinarstrafen

(1) Disziplinarstrafen sind:

1. der schriftliche Verweis;

2. Geldstrafen bis zur Höhe des 200fachen der jeweils in den Gebührenordnungen (§31) für die Kanzleileistung festgesetzten Zeitgebühr je Stunde;

3. Entzug des aktiven und passiven Wahlrechtes für Kammerwahlen bis zur Dauer von fünf Jahren;

4. Einstellung der Ausübung der Befugnis bis zur Dauer eines Jahres;

5. Verlust der Befugnis.

(2) Die Disziplinarstrafe gemäß Abs 1 Z. 3 kann neben den Disziplinarstrafen gemäß Abs 1 Z. 2 und 4 ausgesprochen werden.

(3) Bei Bestimmung der Disziplinarstrafe ist im einzelnen Fall auf die Schwere des Disziplinarvergehens und die daraus entstandenen Nachteile sowie auf den Grad des Verschuldens und das bisherige Verhalten des Ziviltechnikers Rücksicht zu nehmen.

§51.

Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten

(1) Über Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen eines Disziplinarausschusses erkennt in zweiter und letzter Instanz die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten bei der Bundeskammer.

(2) Die Berufungskommission besteht aus einem Vorsitzenden, dessen Stellvertreter, die beide Richter des Aktivoder Ruhestandes sein müssen, und aus fünfzehn Beisitzern. Der Vorsitzende (Stellvertreter) ist vom Bundesministerium für Bauten und Technik im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Justiz zu bestellen. Die Beisitzer sind vom Kammertag aus den Reihen der aktiv wahlberechtigten Mitglieder der Länderkammern, die ihre Befugnis ausüben, zu wählen. Sie dürfen nicht gleichzeitig Mitglieder eines Disziplinarausschusses sein.

(3) Die Berufungskommission verhandelt und entscheidet in fünfgliedrigen Senaten unter dem Vorsitz des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters. Die vier weiteren Mitglieder jedes Senates sind vom Vorsitzenden in fortlaufender alphabetischer Reihenfolge aus der Liste der Beisitzer in der Weise zu bestimmen, daß mindestens zwei Mitglieder des Senates der Befugnisgruppe (Architekten, Ingenieurkonsulenten, Zivilingenieure) des Beschuldigten angehören.

(4) Die fünfgliedrigen Senate fassen ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit. Der Vorsitzende gibt seine Stimme zuletzt ab. Die Disziplinarstrafe des Verlustes der Befugnis kann nur verhängt oder bestätigt werden, wenn sich vier Mitglieder des Senates dafür aussprechen.

(5) Die Mitglieder der Berufungskommission sind in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden. Die Erkenntnisse der Berufungskommission unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege."

4. Die vom VfGH in seinen Prüfungsbeschlüssen geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die im Spruch angeführten Bestimmungen des Ingenieurkammergesetzes gründen sich primär auf Art 6 Abs 1 MRK. Der Gerichtshof ging davon aus, daß es sich beim Disziplinarstrafverfahren nach dem V. Abschnitt des Ingenieurkammergesetzes um eine "strafrechtliche Anklage" im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK handelt, in dem "die Disziplinarbehörde, welche die Disziplinarstrafe letztlich verhängt, wohl selbst als Tribunal im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK eingerichtet sein" müsse.

Die gem. Art 6 Abs 1 MRK für Mitglieder eines "Tribunals" geforderte Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit schien dem VfGH bei der in letzter Instanz nach § 51 Ingenieurkammergesetz entscheidenden Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten nicht hinlänglich gewährleistet.

Die Bedenken gingen zum einen dahin, daß die dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten gem. § 40 Abs 5 Ingenieurkammergesetz eingeräumte Möglichkeit, Mitglieder der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten aus bestimmten Gründen jederzeit ihres Amtes zu entheben, der durch Art 6 Abs 1 MRK verfassungsrechtlich gebotenen Unabhängigkeit dieses Organs widerspreche.

Ferner hegte der VfGH das Bedenken, daß die gesetzlich angeordnete Weisungsfreiheit der Mitglieder der Berufungskommission in § 51 Abs 5 Ingenieurkammergesetz der notwendigen verfassungsrechtlichen Fundierung entbehre und daher § 51 Abs 5 Ingenieurkammergesetz wegen Verstoß gegen Art 20 Abs 1 B-VG, damit aber weiters die gesamte Bestimmung des § 51 Ingenieurkammergesetz über die Einrichtung der Berufungskommission wegen Widerspruchs zu Art 6 Abs 1 MRK verfassungswidrig sei. Eine verfassungsrechtliche Absicherung der Weisungsfreiheit der Berufungskommission als Organ der Bundes-Ingenieurkammer, also eines gegenüber der staatlichen Verwaltung unabhängigen Selbstverwaltungsträgers, schloß der VfGH - vorläufig - mit Rücksicht auf die gesetzlich vorgesehene Ernennung des Vorsitzenden der Berufungskommission und seines Stellvertreters durch den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz aus, weil dem Begriff der Selbstverwaltung die Befugnis zur Bestellung ihrer Organe innewohne. Aber auch die aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Ingenieurkammergesetz-Entwurfes (1067 BlgNR, XI. GP) hervorleuchtende Absicht des Gesetzgebers, die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten als Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG einzurichten und dadurch ihre Unabhängigkeit verfassungsrechtlich zu gewährleisten, scheint nach Meinung des VfGH der Gesetzgeber nicht verwirklicht zu haben. Denn der Vorsitzende der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten kann sowohl ein Richter des Aktiv- als auch des Ruhestandes sein, während einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG nach der bereits in VfSlg. 5684/1968 vertretenen Auffassung des VfGH stets ein aktiver Richter angehören müsse.

5. Die Bundesregierung erstattete zu den zu G 108, 109, 133, 134/88, protokollierten und miteinander verbundenen Verfahren eine Äußerung, in der sie zur Frage des Vorliegens einer gemäß Art 133 Z 4 B-VG eingerichteten Behörde ausführt:

"Nach Auffassung der Bundesregierung umfaßt der Begriff 'Richter' in Art 133 Z 4 B-VG auch den 'Richter im Ruhestand'. Zur Begründung sei zunächst auf jene Argumente verwiesen, die der VfGH selbst in seinem Unterbrechungsbeschluß aufzeigt (Punkte a) - c)):

a) Der VfGH selbst ist im Erkenntnis Slg. 10343/1985 offenbar von der in der Vorjudikatur vertretenen gegenteiligen Auffassung abgegangen.

b) Die Überlegung, daß auch der Richter im Ruhestand die ihn auszeichnende Unabhängigkeit innehat, insoweit er seiner früheren richterlichen Tätigkeit wegen auch im Ruhestand nicht zur Verantwortung gezogen werden darf.

c) Das in der Judikatur des VfGH durchgängig vertretene Verständnis, daß das Beamtendienstverhältnis nach erfolgtem Übertritt in den Ruhestand weiterhin aufrechtbleibt, was wohl auch für den Richter im Ruhestand zu gelten hat.

Hiezu ist nach Auffassung der Bundesregierung auch noch folgendes zu bemerken:

Ein wesentliches Argument der Vertreter der Gegenposition ist, daß sich der Richter mit Erreichen der Altersgrenze 'in einen Beamten, der dem richterlichen Stand angehört hat', ... 'wandelt', (so Werner, Kollegiale Verwaltungsbehörden mit richterlichem Einschlag, JBl. 1958, 217 ff (220)). Diese Darstellung erweckt den Eindruck, daß der Richter sich mit seinem Übertritt in den Ruhestand in einen weisungsgebundenen Verwaltungsbeamten verwandelt. Das ist aber keineswegs zutreffend. Auch das Dienstverhältnis des Richters bleibt - wie das Dienstverhältnis des Verwaltungsbeamten - nach Übertritt in den Ruhestand aufrecht. Der Richter bleibt ab dem Zeitpunkt seiner Ernennung durch den Bundespräsidenten gemäß Art 86 B-VG Richter auch dann, wenn er in den Ruhestand übertritt. Freilich beziehen sich die verfassungsrechtlichen Garantien (Art87, Art 88 B-VG) nur auf die Ausübung des richterlichen Amtes. Auch die Formulierung in Art 88 ("In der Gerichtsverfassung wird eine Altersgrenze bestimmt, nach deren Erreichung die Richter in den Ruhestand zu versetzen sind.") deutet darauf hin, daß die Verfassung davon ausgeht, daß es sich auch bei einem Richter im Ruhestand um einen 'Richter' handelt.

Es lassen sich für diese Auffassung noch folgende weitere Argumente anführen:

d) Hervorzuheben ist etwa, daß die Verfassung dort, wo sie selbst vom Richter spricht (mit Ausnahme von Art 133 Z 4 B-VG) Altersgrenzen für die Ausübung der Tätigkeit des Richters festlegt bzw. anordnet, daß der einfache Gesetzgeber solche Grenzen vorzusehen hat (Art88 Abs 1, Art 134 Abs 6, Art 147 Abs 6 B-VG). Im Rahmen des Art 133 Z 4 B-VG sieht die Verfassung dazu nichts vor.

e) Auch der Zweck der Heranziehung eines Richters in einer solchen weisungsfreien Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag gemäß Art 133 Z 4 B-VG spricht für die Auslegung, daß dieser Richter ein Richter des Aktivstandes oder des Ruhestandes sein kann. Wäre der Zweck der Teilnahme eines Richters in einer solchen Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag der, daß dieser Richter seine verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit, Unversetzbarkeit und Unabsetzbarkeit in diese Behörde sozusagen "einzubringen" hat, um dadurch die Unabhängigkeit dieser Behörde nach außen besonders deutlich zu machen, läge die Annahme, daß der Richter im Sinne des Art 133 Z 4 B-VG nur ein Richter im Aktivstand sein kann, ganz im Sinne dieses Zweckes. Ein solches Verständnis der Stellung des Richters in den Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag gemäß Art 133 Z 4 B-VG wird aber vom VfGH selbst nicht vertreten (vgl. Slg. 5095/1965, 5096/1965). Der VfGH hat die Auffassung vertreten, daß sich aus dem B-VG nicht ergäbe, 'daß Richter, die einer Kollegialbehörde im Sinne des Art 133 Z 4 B-VG angehören, diese Funktion als richterliches Amt (Art87 B-VG) ausüben. Ihre Unabhängigkeit in diesen Behörden erfließt nicht aus Art 87 B-VG, sondern aus dem die Behörde einrichtenden Gesetz im Zusammenhang mit Art 133 Z 4 B-VG. Die Mitglieder der Behörden gemäß Art 133 Z 4 B-VG sind zwar unabhängig von Weisungen, nicht aber kraft der Verfassung unabsetzbar.' Gegen ein solches Verständnis spräche wohl auch das Prinzip der Gewaltentrennung als verfassungsgesetzlicher Auslegungsgrundsatz.

f) Im Hinblick auf die Ausführungen unter Pkt. e weist die Bundesregierung darauf hin, daß sich ihrer Auffassung nach die Unabhängigkeit der Richter wie auch der anderen Mitglieder einer Art 133 Z 4 Behörde aus Art 133 Z 4 B-VG selbst im Zusammenhalt mit dem die Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag einrichtenden Bundes- oder Landesgesetz ergibt (so auch in VfSlg. 5095/1965, 5096/1965).

g) Art 147 Abs 6 und Art 134 Abs 6 B-VG bestimmen ausdrücklich, daß die Bestimmungen des Artikels 87 Abs 1 und 2 B-VG und des Artikels 88 Abs 2 B-VG auch auf die Richter des VwGH und des VfGH Anwendung finden. Daraus läßt sich folgendes weiteres Argument gewinnen: Soferne der Begriff 'Richter' in der Verfassung anderswo als in Art 87 und Art 88 B-VG verwendet wird, bedeutet dies offenbar gerade nicht, daß die in Art 87 Abs 1 und Abs 2, und Art 88 B-VG verankerten Garantien ohne ausdrückliche Anordnung gelten. Diese Auffassung steht im übrigen in Übereinstimmung mit der im Erkenntnis VfSlg. 5095/1965 vertretenen Auffassung."

Zur Frage der Unabhängigkeit der Mitglieder der Berufungskommission im Hinblick auf die Regelung ihrer Absetzbarkeit in § 40 Abs 5 Ingenieurkammergesetz führt die Bundesregierung aus:

"§40 Abs 5 zählt demnach in Verbindung mit § 34 Abs 2 IKG jene Gründe, die zu einer Enthebung von Mitgliedern der Berufungskommission führen können, ausdrücklich auf:

a) Das Mitglied besaß am Tag der Wahlausschreibung nicht oder verliert in der Folge das aktive Wahlrecht zum Nationalrat (vgl. die §§22, 24, 25 NRWO);

b) dem Mitglied war aufgrund eines Disziplinarerkenntnisses am Tag der Wahlausschreibung oder wird in der Folge das Wahlrecht entzogen;

c) es war am Tag der Wahlausschreibung oder wird in der Folge die Befugnis des Mitgliedes zur Ausübung des Ziviltechnikerberufes eingestellt (§23 ZTG) und

d) das Mitglied hat seine Amtspflichten grob verletzt oder vernachlässigt.

Es werden somit im Gesetz vier triftige Gründe genannt, deretwegen eine Abberufung eines Mitgliedes möglich ist. Ansonsten sind die Mitglieder unabsetzbar. Dahinter steht die Absicht des Gesetzgebers, einerseits das Funktionieren der Disziplinarbehörde zu gewährleisten, andererseits zu sichern, daß Personen, die ein in der gesamten Rechtsordnung als negativ bewertetes Verhalten gesetzt haben, von der weiteren Teilnahme als Mitglied auch einer solchen Kollegialbehörde ausgeschlossen sind. Auch letzteres dient dem Funktionieren einer solchen Kollegialbehörde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat selbst in den Fällen Sramek (Pkt. 38) und Ettl (Pkt. 41) ausdrücklich ausgesprochen, daß die im Tiroler Grundverkehrsgesetz (§13; LGBl. Nr. 4/1971 idF LGBl. Nr. 6/1974) und im Agrarbehördengesetz (§9; idF BGBl. Nr. 476/1974) vorgesehenen - den hier vorliegenden Enthebungsgründen sehr ähnlichen - Enthebungsgründe die von Art 6 Abs 1 MRK geforderte Unabhängigkeit des Kollegialorganes nicht in Frage stellen.

Im übrigen ist in diesem Zusammenhang auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in den Fällen Campbell and Fell (Pkt. 80) und Engel (Pkt. 68) zu verweisen, aus denen eindeutig hervorgeht, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Unabsetzbarkeit bei weitem nicht so streng auslegt, wie das der VfGH im vorliegenden Unterbrechungsbeschluß andeutet. So führt der Europäische Gerichtshof im Fall Campbell and Fell wie folgt aus:

'Der Gerichtshof hält fest, daß die Gefängnisordnung weder eine Regelung über die Absetzung von Ausschußmitgliedern enthält, noch eine Garantie ihrer Unabsetzbarkeit.

Obwohl der Innenminister anscheinend den Rücktritt eines Mitglieds verlangen kann, würde dies nur bei sehr außergewöhnlichen Umständen geschehen; diese Möglichkeit kann in keiner Hinsicht als Bedrohung der Unabhängigkeit der Ausschußmitglieder bei der Wahrnehmung ihrer richterlichen Funktion angesehen werden.

Sicherlich muß die Unabsetzbarkeit von Richtern durch die Exekutive während ihrer Amtsperiode im allgemeinen als ein Attribut ihrer Unabhänigkeit angesehen werden; sie wird deshalb von der Garantie des Art 6 Abs 1 umfaßt. Eine fehlende förmliche Anerkennung dieser Unabsetzbarkeit durch das Gesetz bedeutet jedoch für sich genommen noch kein Fehlen der Unabhängigkeit, vorausgesetzt daß sie tatsächlich anerkannt ist und die anderen gebotenen Garantien gegeben sind (vgl. das oben zitierte Urteil im Fall Engel und andere, Series A Nr. 22, S. 27-28, Ziff. 68 = EuGRZ 1976, 226).'

Im Urteil Engel genügte es dem Europäischen Gerichtshof überhaupt, daß vier Mitglieder zwar rechtlich nicht unversetzbar und unabsetzbar waren, aber die Unabhängigkeit richterlicher Mitglieder besaßen.

Nach Auffassung der Bundesregierung geht der VfGH in der Deutung des vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwendeten Begriffselementes der Unabsetzbarkeit im Rahmen des Tatbestandes der Unabhängigkeit gemäß Art 6 Abs 1 MRK weit hinaus, wenn er aus Art 6 Abs 1 MRK ableitet, daß

Enthebungsgründe derart, wie sie § 40 Abs 5 IKG vorsieht, die Unabhängigkeit des Organes in Frage stellen.

Den Ausführungen des VfGH, die davon sprechen, daß gemäß § 40 Abs 5 IKG jederzeit aus bestimmten Gründen eine Enthebung zulässig ist, kann auch insoferne nicht zugestimmt werden, als eine solche Enthebung eben gerade nicht jederzeit, sondern nur dann erfolgen kann, wenn das Mitglied durch bestimmte Handlungen oder Unterlassungen eine grobe Amtspflichtverletzung bzw. -vernachlässigung begeht, oder wenn am Tag der Wahlausschreibung bestimmte, vom Gesetzgeber als negativ bewertete Umstände vorliegen. Das Vorliegen dieser für die Enthebung erforderlichen Umstände liegt somit keinesfalls in der beliebigen Verfügung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten. Lediglich die grobe Amtspflichtverletzung bzw. -vernachlässigung gibt ihm durch die Verwendung von unbestimmten Gesetzesbegriffen einen gewissen Spielraum. Eine Auslegung der Unabhängigkeit des Art 6 Abs 1 MRK in die Richtung, daß es jedenfalls unzulässig ist, grobe Amtspflichtverletzungen von Mitgliedern von Tribunalen zu ahnden, verbietet sich auch deshalb, da auch Art 6 Abs 1 MRK davon ausgehen muß, daß das ordnungsgemäße Funktionieren der in Art 6 Abs 1 MRK genannten Tribunale vom Gesetzgeber gesichert werden muß. Entgegen der Auffassung des VfGH wird im übrigen bereits aus der Formulierung des § 40 Abs 5 IKG deutlich, daß Mitglieder dieses Kollegialorgans nicht 'schon wegen jeder Pflichtverletzung absetzbar' sind. Vielmehr muß es sich hiebei um eine grobe Pflichtverletzung oder -vernachlässigung handeln, was die Anwendungsmöglichkeiten dieser Vorschrift bedeutend einschränkt.

Als zusätzliches Argument ist noch anzuführen, daß der Spielraum, den der Bundesminister bei der Entscheidung der Amtsenthebung in den Fällen grober Amtspflichtverletzung oder -vernachlässigung hat, auch dadurch eingeschränkt wird, daß diese vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes angefochten werden kann. Dieser Umstand sichert in verfahrensmäßiger Hinsicht die Unabhängigkeit der Organwalter und spricht gegen die Annahme der Möglichkeit beliebiger Amtsenthebung.

Aus all diesen Gründen wird nach Auffassung der Bundesregierung die Unabhängigkeit der Berufungskommission im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK durch die in § 40 Abs 5 IKG

vorgesehenen Enthebungstatbestände nicht in Frage gestellt."

Die Bundesregierung stellt sohin den Antrag, die §§40 Abs 5 und 51 des Ingenieurkammergesetzes nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Ein Antrag auf Fristsetzung für das Außerkrafttreten der genannten Bestimmungen im Falle ihrer Aufhebung durch den VfGH wird von der Bundesregierung nur für den Fall gestellt, "daß sich die Aufhebung im Rahmen des § 51 IKG nicht auf die Worte '- oder Ruhe' in § 51 Abs 2 erster Satz beschränkt".

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Der VfGH wird bei der Entscheidung über die Beschwerden, die Anlaß zur Einleitung dieses Gesetzesprüfungsverfahrens boten und die zulässig sind, zu prüfen haben, ob die Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurden. Der Gerichtshof wird hiebei auch zu klären haben, ob die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten als jeweils bel. Beh. zur Entscheidung zuständig war und ob diese Behörde rechtmäßig zusammengesetzt war. Dabei hat der VfGH sowohl die die Einrichtung, Zusammensetzung und Funktionsdauer der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten betreffenden Bestimmungen des § 51 des Ingenieurkammergesetzes als auch die Vorschrift des § 40 Abs 5 des Ingenieurkammergesetzes über die Amtsenthebung aller nach diesem Gesetz bestellten "Funktionäre" und sohin auch der Mitglieder der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten anzuwenden.

Alle diese, die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten als bel. Beh. der Anlaßfälle konstituierenden Organisationsnormen sind sohin präjudiziell im Sinne des Art 140 Abs 1 B-VG (vgl. , II.A., - Wirtschaftstreuhänder-Disziplinarordnung - ).

Die Gesetzesprüfungsverfahren sind daher zulässig.

2. Wie der VfGH bereits in seinem Erk. VfSlg. 11569/1987, ausgeführt - und die Bundesregierung im vorliegenden Verfahren auch nicht bestritten - hat, "handelt es sich bei Disziplinarstrafverfahren nach dem V. Abschnitt des Ingenieurkammergesetzes zumindest insoweit um 'strafrechtliche Anklagen' im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK, als gemäß § 49 Abs 1 Z 5 Ingenieurkammergesetz als Disziplinarstrafe der Verlust der Befugnis droht." Derartige Disziplinarstrafverfahren sind vom österreichischen Vorbehalt zu Art 5 MRK nicht erfaßt, weil "Sanktionen für die Verletzung von Standespflichten ... niemals als Strafen iS des VStG 1950 angesehen (wurden)" (VfSlg. 11506/1987 - Apothekerkammergesetz - ; - Wirtschaftstreuhänder-Disziplinarordnung - ). Da Art 6 Abs 1 in Verbindung mit Art 5 Abs 1 lita MRK verlangt, daß über die Stichhältigkeit strafrechtlicher Anklagen ein Tribunal selbst entscheidet (und die nachprüfende Kontrolle von Disziplinarentscheidungen durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts diesen Anforderungen nicht genügt), muß die Disziplinarbehörde, welche die Disziplinarstrafe letztlich verhängt, d. i. hier die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten, als Tribunal im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK eingerichtet sein.

3. Der VfGH äußerte in den dieses Verfahren einleitenden Prüfungsbeschlüssen vorerst das Bedenken, daß die für Mitglieder eines "Tribunals" kraft Art 6 Abs 1 MRK gebotene Unabhängigkeit und (zumindest für einen gewissen Zeitraum zu gewährleistende) Unabsetzbarkeit durch die Bestimmung des § 40 Abs 5 Ingenieurkammergesetz in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise gefährdet werde.

Dieses Bedenken trifft nicht zu.

§ 40 Abs 5 Ingenieurkammergesetz räumt dem zuständigen Bundesminister die Möglichkeit ein, Mitglieder der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten auch vor Ablauf ihrer Funktionsperiode ihres Amtes zu entheben, "bei denen nachträglich wahlausschließende Tatsachen (§34 Abs 2) eintreten oder bekannt werden, oder die ihre Amtspflichten grob verletzen oder vernachlässigen".

Wie die Bundesregierung in ihrer Äußerung zu Recht ausführt, wird durch diese Bestimmung das ordnungsgemäße Funktionieren der Disziplinarbehörde sichergestellt. Mitglieder der Berufungskommission, "die ihre Amtspflichten grob verletzen oder vernachlässigen" oder die ein in der gesamten Rechtsordnung als negativ bewertetes, zum Wahlausschluß führendes Verhalten gesetzt haben und insofern als Mitglieder einer Disziplinarbehörde untragbar geworden sind, sollen auf diese Weise aus ihrem Amt entfernt werden.

Wie der VfGH bereits in seinem Erkenntnis vom , G238/87, ausführte, eröffnet eine derartige Befugnis, Mitglieder eines Tribunales ihres Amtes zu entheben, der Verwaltung nicht die Möglichkeit, "auf die Zusammensetzung des Berufungssenates (also des Tribunals) während einer laufenden Funktionsperiode - (auch) willkürlich - Einfluß zu nehmen." Auch der EGMR hat in seinem Urteil Nr. 5/1983/61/95 (Fall Sramek, EuGRZ 1985, 340) ausdrücklich ausgesprochen, daß das, ein Tribunal einrichtende Gesetz den Erfordernissen des Art 6 MRK (hinsichtlich der Dauer der Amtszeit der Mitglieder des Tribunals) entspricht, wenn das Gesetz "die - eingeschränkte Möglichkeit, diese abzuberufen", vorsieht (im Ergebnis ähnlich EGMR, Urteil Nr. 12/1985/98/146, Fall Ettl, Z 41. in Verbindung mit Z 20.). Der VfGH bleibt sohin bei seiner bereits im Erkenntnis vom , G238/87, vertretenen Auffassung, wonach ein Gesetz, das ausreichend konkretisiert und sachgerecht die Voraussetzungen, unter denen ein Mitglied eines Tribunals von der Verwaltungsbehörde abberufen werden darf, umschreibt und damit gleichzeitig die Abberufung verbietet, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, den Anforderungen an die Unabhängigkeit des Tribunals nach Art 6 Abs 1 MRK genügt, zumal die durch Bescheid vorzunehmende Enthebung von Mitgliedern der Berufungskommission gem. § 40 Abs 5 Ingenieurkammergesetz von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts überprüft werden kann.

§ 40 Abs 5 Ingenieurkammergesetz ist sohin unter dem Blickwinkel der im vorliegenden Verfahren zu prüfenden verfassungsrechtlichen Bedenken nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

4. Gemäß § 51 Abs 5 Ingenieurkammergesetz sind die Mitglieder der Berufungskommission in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden. Die Erkenntnisse der Berufungskommission unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege. Aus diesen Regelungen ist in Verbindung mit den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Ingenieurkammergesetzes (1067 BlgNR, XI. GP) zu entnehmen, daß der Gesetzgeber die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten als Kollegialbehörde gem. Art 133 Z 4 B-VG einrichten wollte. Aufgrund dieser Verfassungsvorschrift muß sich ferner unter den Mitgliedern der Kollegialbehörde "wenigstens ein Richter befinde(n)". § 51 Abs 2 Ingenieurkammergesetz sucht diesem verfassungsrechtlichen Gebot dadurch Rechnung zu tragen, daß er anordnet, daß der Vorsitzende der Berufungskommission und sein Stellvertreter "Richter des Aktiv- oder Ruhestandes sein müssen".

Die in den, dieses Verfahren einleitenden Prüfungsbeschlüssen geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit, auch Richter des Ruhestandes (anstelle eines Richters des Aktivstandes) zum Vorsitzenden oder Vorsitzenden-Stellvertreter der Berufungskommission zu bestellen, haben sich als zutreffend erwiesen.

Soll die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten gem. § 51 Ingenieurkammergesetz eine unabhängige Kollegialbehörde gem. Art 133 Z 4 B-VG sein, so bedarf sie der vom Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Mitgliedschaft wenigstens eines Richters. Wie der VfGH bereits in VfSlg. 5684/1968 im Einklang mit der Judikatur des VwGH (VwSlg. 4427 A/1957, 8802 A/1975) und der Literatur (Werner, Kollegiale Verwaltungsbehörden mit richterlichem Einschlag, JBl. 1958, S. 220; Pernthaler, Die Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag, 1977, 51 f.; Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1972, 500) ausgesprochen hat, ist unter "Richter" im Sinne des Art 133 Z 4 B-VG "nur ein aktiver Richter zu verstehen". Ein "Richter im Ruhestand" ist kein Richter. Offenkundig war es die Absicht des Verfassungsgesetzgebers, durch die Errichtung von sogenannten "Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag" nach Art 133 Z 4 B-VG Kollegialorgane zu schaffen, die eine gerichtsähnliche Stellung besitzen und diese auch dadurch zu gewährleisten, daß ein bereits mit den richterlichen Garantien der Unabhängigkeit, Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit gem. Art 87 und 88 B-VG ausgestatteter Organwalter zum Mitglied der Kollegialbehörde ernannt wird.

Die im Erkenntnis VfSlg. 10343/1985 ohne nähere Prüfung und Begründung vertretene, den eigenen Überlegungen in VfSlg. 5684/1968 im Ergebnis widersprechende Rechtsauffassung, wonach die Berufungskommission nach § 51 Ingenieurkammergesetz wegen der Qualifikation des Vorsitzenden als Richter eine Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG ist, vermag der VfGH sohin nicht aufrecht zu erhalten. Wenn von Verfassungs wegen zum Zeitpunkt der Ernennung zum Mitglied der Berufungskommission die Qualifikation als Richter des Aktivstandes (im Hinblick auf die nur diesem verbürgten richterlichen Garantien der Unabhängigkeit) gegeben und gesetzlich vorgesehen sein muß, damit diese Kommission die Erfordernisse einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG erfüllt, ist die Regelung des § 51 Abs 2 Ingenieurkammergesetz verfassungswidrig, weil und insofern sie zuläßt, daß zum Vorsitzenden der Berufungskommission und zu dessen Stellvertreter nicht nur ein Richter des Aktivstandes, sondern auch ein Richter des Ruhestandes bestellt werden kann.

Dagegen kann weder die einfachgesetzliche Anordnung des "nach erfolgtem Übertritt in den Ruhestand weiterhin aufrechte(n) Beamtendienstverhältnis(ses)" (so VfSlg. 3389/1958) ins Treffen geführt werden, weil es der einfache Gesetzgeber nicht in der Hand hat, die verfassungsrechtliche Qualifikation als "Richter" im Sinne des Art 87 und 88 B-VG zu verändern, insbesondere auch zeitlich zu verlängern; noch ist es gerade auch im Hinblick auf den Zweck, den der Verfassungsgesetzgeber mit der Berufung eines "Richters" in eine Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG verfolgt hat, berechtigt, Personen diesem Verfassungsbegriff zu subsumieren, die sich zum Zeitpunkt der Ernennung als Mitglied der gerichtsähnlichen Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG nicht (mehr) "in Ausübung ihres richterlichen Amtes" gem. Art 87 Abs 1 B-VG befinden.

Durch Art 133 Z 4 B-VG (iVm Art 20 Abs 2 B-VG) ist der einfache Gesetzgeber, wenn er die "Einrichtung" einer kollegialen Verwaltungsbehörde mit richterlichem Einschlag regelt, zwar gehalten, wenigstens ein Mitglied der Behörde bestellen zu lassen, das im Zeitpunkt der Bestellung aktiver Richter ist. Der Gesetzgeber ist jedoch durch keine Verfassungsvorschrift verpflichtet, festzulegen, daß dieses Mitglied, wenn es als Richter in den Ruhestand versetzt wird, auch sein Amt in der Behörde nach Art 133 Z 4 B-VG verliert oder davon zu entheben ist.

Der VfGH schließt mithin - anders als dies noch im Erkenntnis VfSlg. 5684/1968 angeklungen sein mag -, nicht aus, daß ein als aktiver Richter ernanntes Mitglied einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG die Qualifikation des "Richters" im Sinne dieser Verfassungsbestimmung - und damit seine Mitgliedschaft in der Kollegialbehörde bis zum Ablauf seiner gesetzlichen Bestellungsdauer - beibehält, wenn er nach seiner Ernennung als Mitglied der Kollegialbehörde gem. Art 88 B-VG als Richter in den Ruhestand versetzt wird. Insoweit folgt der VfGH der auf seine Erkenntnisse VfSlg. 5095 und 5096/1965 gestützten Rechtsansicht der Bundesregierung, daß sich auch für den Richter nach seiner Ernennung zum Mitglied einer Kollegialbehörde gem. Art 133 Z 4 B-VG die diesem in Ausübung dieser Funktion zukommende Unabhängigkeit auf Grund des Art 133 Z 4 B-VG in Verbindung mit dem die Kollegialbehörde einrichtenden Gesetz ergibt. Weil zwar die aktive "Ausübung (seines) richterlichen Amtes" (Art87 Abs 1 B-VG) notwendig ist, um die von Art 133 Z 4 B-VG geforderte Bestellung eines mit den entsprechenden Garantien ausgestatteten Richters zum Mitglied einer Kollegialbehörde sicherzustellen, gleichwohl aber das Ende seines richterlichen Amtes der Unabhängigkeit des Richters als bereits bestelltes Mitglied der Kollegialbehörde nicht zu schaden vermag, genügt dem Art 133 Z 4 B-VG eine gesetzliche Bestimmung, die eine derartige Kollegialbehörde einrichtet, wenn das Gesetz vorsieht, daß mindestens ein Mitglied zum Zeitpunkt seiner Ernennung aktiver Richter ist.

Die Wortfolge "- oder Ruhe" in § 51 Abs 2 Ingenieurkammergesetz ist sohin wegen ihres Widerspruchs zu Art 133 Z 4 B-VG in Verbindung mit Art 6 Abs 1 MRK, demzufolge die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten von Verfassungs wegen ein unabhängiges Tribunal sein muß, aufzuheben. Da nach der Aufhebung der genannten Worte gegen den Rest des § 51 Ingenieurkammergesetz die ursprünglich geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht mehr bestehen, sind diesbezüglich die Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen.

5. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur Kundmachung der Aufhebung erwächst aus Art 140 Abs 5 B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, stützt sich auf Art 140 Abs 6

B-VG.

Der VfGH konnte davon absehen, für das Inkrafttreten der Aufhebung gem. Art 140 Abs 5 B-VG eine Frist zu setzen, weil nicht nur die Bundesregierung eine derartige Fristsetzung bezüglich der aufgehobenen Wortfolge nicht beantragt hat, sondern das Gesetz nach Aufhebung auch ohne Ersatzregelung im Einklang mit Art 6 Abs 1 MRK vollziehbar bleibt.