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VfGH vom 30.06.2012, g132/11

VfGH vom 30.06.2012, g132/11

Sammlungsnummer

19665

Leitsatz

Abweisung eines Drittelantrags von Mitgliedern des Oberösterreichischen Landtages auf Aufhebung von Bestimmungen betreffend die Bettelei in Oberösterreich; Kompetenz des Landesgesetzgebers zur Erlassung der Regelungen als Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei; kein absolutes Bettelverbot im Oö Polizeistrafgesetz normiert; kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und das Sachlichkeitsgebot; Bettelei kein geschützter Erwerbszweig und nicht vom Schutzbereich des Rechts auf Privatleben nach der EMRK umfasst; Zulässigkeit der Bestellung besonderer Aufsichtsorgane zur Festnahme von Personen

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die antragstellenden Mitglieder des Oberösterreichischen Landtages (im Folgenden: Oö. Landtag) beantragen die Aufhebung von in dem Antrag näher bezeichneten Bestimmungen betreffend Bettelei, die durch die Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle 2011, LGBl. 36, in das Gesetz vom über polizeirechtliche Angelegenheiten (O.ö. Polizeistrafgesetz - O.ö.PolStG.), LGBl. 36, (im Folgenden: Oö. Polizeistrafgesetz) eingefügt wurden, als verfassungswidrig.

2. Wörtlich beantragen die antragstellenden

Mitglieder des Oö. Landtages

"der Verfassungsgerichtshof möge gemäß Art 140 B-VG und § 62 VfGG im Gesetz vom über polizeirechtliche Angelegenheiten (Oö.Polizeistrafgesetz - OÖ.PolStG), LGBl Nr. 36/1979 in der Fassung LGBl Nr 36/2011, als verfassungswidrig aufheben

a. den § 1a (Bettelei) zur Gänze, in § 10 Abs 1 die Textfolge '1a', § 10 Abs 1 litb) zur Gänze ('§1a Abs 1 und Abs 3 mit Geldstrafe bis 720 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu einer Woche'), in § 10 Abs 1 litd) die Textfolge '§1a Abs 2 und' sowie den § 10 Abs 5 zur Gänze,

b. in § 1b (Kontrolle der Einhaltung) Abs 1 Z 1 das Wort 'oder' und § 1b Abs 1 die Z 2 zur Gänze ('besondere Aufsichtsorgane bestellen. Die Bestellung kann befristet erfolgen.'), und § 1b Abs 2, 3, 4, 5, 6 zur Gänze,


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b1. in eventu § 1b Abs 3 Z 3 zur Gänze,


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b2. in eventu in § 1b Abs 2 die Worte 'sowie zur Sicherung des Strafverfahrens und des Strafvollzugs' und die Worte 'Anhaltung von Personen zum Zweck der Feststellung ihrer Identität und',


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b3. in eventu sowohl § 1b Abs 3 Z 3 zur Gänze als auch in § 1b Abs 2 die Worte 'sowie zur Sicherung des Strafverfahrens und des Strafvollzugs' und die Worte 'Anhaltung von Personen zum Zweck der Feststellung ihrer Identität und'." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten idF

LGBl. 36/2011 (zur Prüfung gestellter Teil hervorgehoben):

"§1a

Bettelei

(1) Wer in aufdringlicher oder aggressiver Weise, wie durch Anfassen oder unaufgefordertes Begleiten oder Beschimpfen, um Geld oder geldwerte Sachen an einem öffentlichen Ort bettelt oder von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus umherzieht, um so zu betteln oder als Beteiligter einer organisierten Gruppe in dieser Weise bettelt, begeht eine Verwaltungsübertretung.

(2) Wer eine andere Person zum Betteln im Sinn des Abs 1, in welcher Form auch immer, veranlasst oder ein solches Betteln organisiert, begeht eine Verwaltungsübertretung.

(3) Wer eine unmündige minderjährige Person beim

Betteln im Sinn des Abs 1, in welcher Form auch immer, mitführt, begeht eine Verwaltungsübertretung.

(4) Bei Verwaltungsübertretungen nach Abs 1 bis 3 ist jeweils auch der Versuch strafbar.

(5) Eine Verwaltungsübertretung liegt nicht vor, wenn eine Tat gemäß Abs 1 bis 4 den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.

§1b

Kontrolle der Einhaltung

(1) Die Kontrolle der Einhaltung dieses Abschnitts dieses Landesgesetzes fällt - unbeschadet der §§9 und 10 - in die Zuständigkeit der Gemeinden; die Gemeinden können mit der Kontrolle der Einhaltung

1. Mitglieder eines in der Gemeinde eingerichteten Gemeindewachkörpers betrauen oder

2. besondere Aufsichtsorgane bestellen. Die Bestellung kann befristet erfolgen.

(2) Für die Bestellung der Aufsichtsorgane, das Ende der Bestellung, deren Dienstabzeichen und Dienstausweis sowie dem Schutz dieser gelten § 5b bis 5d und § 6 Abs 3

Oö. Parkgebührengesetz sinngemäß.

(3) Aufsichtsorgane haben die Befugnis zur Mitwirkung an der Vollziehung dieses Abschnitts durch

1. Vorbeugemaßnahmen gegen drohende Verwaltungsübertretungen,

2. Maßnahmen, die für die Einleitung von Verwaltungsstrafverfahren sowie die Sicherung des Strafverfahrens und des Strafvollzugs erforderlich sind, insbesondere die Anhaltung von Personen zum Zweck der Feststellung ihrer Identität und Erstattung von Anzeigen,

3. die Festnahme von Personen, die sie bei einer Verwaltungsübertretung nach § 1a Abs 1 bis 4 auf frischer Tat betreten, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 35 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 vorliegen, aber kein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einschreiten kann. Die festgenommenen Personen sind, wenn der Grund der Festnahme nicht schon vorher entfallen ist, von den Aufsichtsorganen unverzüglich der Behörde vorzuführen oder einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zweck der Vorführung vor die Behörde zu übergeben.

(4) Aufsichtsorgane haben nach Maßgabe des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 zusätzlich folgende Befugnisse:

1. Aussprechen von Ermahnungen gemäß § 21 Abs 2 VStG;

2. Beschlagnahme von Gegenständen gemäß § 39 Abs 2

VStG;

beschlagnahmte Gegenstände sind unverzüglich der Behörde oder zur Übergabe an diese einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu übergeben;

3. Ausstellung von Organstrafverfügungen gemäß § 50 VStG nach Ermächtigung durch die Verwaltungsstrafbehörde.

Als gelinderes Mittel kommt jeweils die Wegweisung der Person vom öffentlichen Ort in Betracht.

(5) Die Aufsichtsorgane sind bei der Durchführung der Kontrolle gemäß Abs 1 an die Weisungen der zuständigen Gemeindeorgane gebunden. Sie haben alle in Ausübung ihres Amtes gemachten Wahrnehmungen, die ein behördliches Tätigwerden erfordern, der zuständigen Behörde unverzüglich mitzuteilen, unterliegen im Übrigen aber der Amtsverschwiegenheit nach Art 20 Abs 3 B-VG und sind in Ausübung ihres Dienstes Beamte im Sinn des § 74 StGB.

(6) Bei der Durchführung der Kontrolle gemäß Abs 1

haben die Aufsichtsorgane so vorzugehen, dass damit eine möglichst geringe Beeinträchtigung verbunden ist und jedes unnötige Aufsehen tunlichst vermieden wird.

[...]

§10

Strafbestimmungen

(1) Verwaltungsübertretungen gemäß den §§1, 1a, 2

Abs3, § 2a Abs 5 und § 3 sind von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Wirkungsbereich einer Bundespolizeidirektion von dieser, bei Übertretungen nach

a) den §§1 und 3 mit Geldstrafe bis 360 Euro,

b) § 1a Abs 1 und Abs 3 mit Geldstrafe bis 720 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu einer Woche,

c) § 2a Abs 5 mit Geldstrafe bis 7.200 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen,

d) § 1a Abs 2 und § 2 Abs 3 mit Geldstrafe bis

14.500 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen

zu bestrafen.

[...]

(5) Als Strafe kommt auch die Erklärung von Geld und geldwerten Sachen, die durch eine Verwaltungsübertretung nach § 1a Abs 1 bis 3 erworben worden sind, für verfallen in Betracht. "

2.2. Dazu führen die Mitglieder des Oö. Landtages in ihrem Antrag aus, dass in § 517 StG 1852 (Anm: Strafgesetz 1852, RGBl. 117) die Bettelei ursprünglich als Übertretung gegen die öffentliche Sittlichkeit gesehen worden sei, sie heute jedoch nicht als unsittlich, sondern als eine unter dem Schutz des Art 8 EMRK stehende frei gewählte Lebensform gelte, die auch in der Öffentlichkeit gezeigt und gelebt werden dürfe. Nicht unter diesem Schutz stehe das aufdringliche und aggressive Betteln und es sei legitime Aufgabe der Gesetzgebung durch aufdringliches und aggressives Verhalten belästigte, bedrängte und beängstigte Menschen zu schützen. Diese Aufgabe komme nach der Kompetenzordnung der Bundesverfassung (Art10 Abs 1 Z 7 B-VG) jedoch dem Bundesgesetzgeber zu. Der Bundesgesetzgeber habe aufdringliches und aggressives Verhalten in der Öffentlichkeit insbesondere durch § 81 Abs 1 und § 82 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz 1991, BGBl. 566, idgF (im Folgenden: SPG) unter Verwaltungsstrafe gestellt. Aufdringliches und aggressives Betteln sei ein "besonders rücksichtsloses Verhalten", störe die "öffentliche Ordnung" und sei nach § 81 Abs 1 SPG mit den sich an diesen Paragraphen knüpfenden Sanktionen verboten. Die für die Novelle LGBl. 36/2011 des Oö. Polizeistrafgesetzes Beschluss fassende Mehrheit des Oö. Landtages habe jedoch §§81, 82 SPG außer Acht gelassen und die Kompetenz zum Erlass von Beschränkungen der aufdringlichen und aggressiven Bettelei auf die örtliche Sicherheitspolizei (Art15 Abs 2 B-VG iVm Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG und Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG) gestützt. Solche Betteleibeschränkungen würden aber nicht in die örtliche Sicherheitspolizei, sondern in die allgemeine Sicherheitspolizei fallen.

Der Landesgesetzgeber - so die antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages - habe mit den Neuregelungen die "Belästigten, Bedrängten und Beängstigten" schützen wollen.

Wörtlich führen sie weiters aus:

"Der VfGH hob bereits in VSlg 11195 § 3a Sbg.Landes-Polizeistrafgesetz, das die Landstreicherei unter Verwaltungsstrafe stellte, als kompetenzwidrig auf, weil Verwaltungsstraftatbestände gegen die Landstreicherei in die allgemeine Sicherheitspolizei, nicht in die örtliche Sicherheitspolizei fallen.

Schon immer ging die Justiz davon aus, dass 'Betteln

und Landstreicherei ihrem Wesen nach eng verwandt' sind und

'zumeist Hand in Hand gehen' (OGH SSt.XXV 26, JBl 1954

S. 407). Der Justizausschuss führte zum

Strafrechtsanpassungsgesetz 1974, BGBl Nr 422/1974, das

insbesondere justizstrafrechtliche Bestimmungen im

Zusammenhang mit der Landstreicherei aufhob, - auch in

Kenntnis der bereits beschlossenen B-VG-Novelle 1974, BGBl

Nr 444/1974, welche die Abgrenzung der örtlichen zur

allgemeinen Sicherheitspolizei in Art 15 Abs 2 B-VG neu wertete

- ausdrücklich aus, 'dass ... die gesamte Materie in Hinkunft

unter Bedachtnahme ... auf sicherheitspolizeiliche

Gesichtspunkte durch Bundesgesetz geregelt werden' wird (1236 BlgNR XIII.GP).

Der VfGH begründete in VfSlg 11195 die Aufhebung des

der allgemeinen Sicherheitspolizei zugehörigen

Verwaltungsstraftatbestands der Landstreicherei im

Sbg.Landes-Polizeistrafgesetz wie folgt: 'Schon rein

begrifflich handelt es sich bei der Abwehr (allgemeiner)

Gefahren, die von Personen ausgehen, die weder einen

bestimmten Wohnsitz noch die Mittel für ihren Unterhalt

besitzen, und weder ein Gewerbe noch einen Beruf gewerbsmäßig

ausüben, um eine Angelegenheit, die nicht im ausschließlichen

oder überwiegenden Interesse einer ... Gemeinde ... gelegen

sein kann. Gleichgültig, ob man die Zielsetzung des

Regelungsgegenstandes in der Hintanhaltung kriminogener

Einflüsse oder anderer die Sicherheit und Ordnung betreffender

Umstände erblickt, handelt es sich jedenfalls nicht um eine

bloße Wahrung des öffentlichen Anstandes. Die beabsichtigte

Gefahrenabwehr hat den Schutz von allgemeine Bedeutung

besitzenden und nicht nur den örtlichen Verhältnissen

zuzuordnenden Rechtsgütern zum Ziel, deren Beeinträchtigung

mit den lokalen Verhältnissen offenkundig weder in sachlicher

noch in persönlicher Hinsicht notwendig verknüpft ist ...

Dafür spricht nicht zuletzt ..., dass es sich bei der Landstreicherei um ein Problem handelt, das europaweit besteht. Auch wenn die Landstreicherei tatsächlich nur in bestimmten Gemeinden (Städten) in Erscheinung treten sollte, ist dieser Umstand für die Zuordnung der Materie Landstreicherei zur allgemeinen Sicherheitspolizei ohne Bedeutung. Falls der - zuständige - (Bundes-)Gesetzgeber es nicht für erforderlich erachten sollte, eine gesetzliche Regelung zu treffen, so ist dies ebenfalls unmaßgeblich. Kompetenzmäßig entscheidend ist, dass es sich beim Regelungsgegenstand um eine Angelegenheit handelt, die der örtlichen Sicherheitspolizei nicht zugezählt werden kann'.

Im Erkenntnis VfSlg 11195 ließ der VfGH die Frage der Zuordnung der Bettelei zur örtlichen Sicherheitspolizei oder zur Sittlichkeitspolizei nach Art 118 Abs 3 Z 8 B-VG mangels Relevanz für den zu entscheidenden Fall ausdrücklich offen. Aber alle Argumente, mit denen der VfGH die Kompetenzwidrigkeit verwaltungsstrafrechtlicher Regelungen des Landes gegen die Landstreicherei begründete, treffen in gleicher Weise für die Bettelei, insbesondere für die aufdringliche oder aggressive Bettelei, zu. Auch hier geht es um die Abwehr von allgemeinen Gefahren, die von Personen ausgehen, die etwa die Mittel für ihren Unterhalt nicht besitzen. Die Gefahrenabwehr hat den Schutz von allgemeine Bedeutung besitzenden und nicht nur den örtlichen Verhältnissen zuzuordnenden Rechtsgütern zum Ziel, deren Beeinträchtigung mit den lokalen Verhältnissen weder in sachlicher noch in persönlicher Hinsicht notwendig verknüpft ist. Das Phänomen der Bettelei besteht europaweit. Auch wenn es tatsächlich nur in bestimmten Gemeinden (Städten) in Erscheinung treten sollte, ist damit der spezifisch örtliche Bezug nicht gegeben. Dass der zuständige Bundesgesetzgeber keine Regelung gegen die Bettelei - was für die aufdringliche oder aggressive Bettelei im Hinblick auf § 81 Abs 1 SPG im Übrigen nicht stimmt - erlassen hat, ist kompetenzrechtlich unmaßgeblich.

3. Diese kompetenzrechtlichen Überlegungen gelten

nicht nur für den Grundtatbestand des § 1a Oö.PolStrG, der sich gegen das aufdringliche und aggressive Betteln richtet, sondern auch für die besonderen Formen des aufdringlichen und aggressiven Betteln[s], die im Weiteren in § 1a Oö.PolStrG genannt sind. Also das Herumziehen von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus, um 'so' zu betteln, Beteiligung in einer organisierten Gruppe, um 'in dieser Weise' zu betteln (§1a Abs 1 Oö.PolStrG); Veranlassung zum Betteln 'im Sinn des Abs 1', Organisieren eines 'solchen Bettelns' (§1a Abs 1 Oö.PolStrG); Mitführen einer unmündigen minderjährigen Person beim Betteln 'im Sinn des Abs 1' (§1a Abs 3 Oö.PolStrG)." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen).

Neben kompetenzrechtlichen Bedenken werden zur Begründung der Aufhebung des § 1a, der Textfolge "1a" in § 10 Abs 1 sowie des § 10 Abs 1 litb, sowie der Textfolge "§1a Abs 2 und" in § 10 Abs 1 litd, sowie des § 10 Abs 5 zur Gänze auch ein Verstoß gegen das Bestimmtheits- und gegen das Übermaßverbot geltend gemacht und ein Verstoß gegen den "Gemeindeamts-, Stadtamts-, Magistratsvorbehalt" gerügt; des Weiteren wird vorgebracht, dass Festnahmen sowie Identitätsfeststellungen nur durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgen dürften. Zur Untermauerung ihrer Auffassung haben die antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages die in ihrem Antrag zitierten Rechtsgutachten beigelegt.

Diese Bedenken formulieren sie wie folgt:

"B. Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot [Antrag a]

Gemäß Art 18 Abs 1 B-VG und Art 7 Abs 1 EMRK gilt insbesondere für das Verwaltungsstrafrecht ein Bestimmtheitsgebot. Die Verfassung verlangt eine klare Umschreibung des Tatbilds im Gesetz. Der Gesetzestext enthält in § 1a Abs 1 bis 3 Oö.PolStrG ein Sammelsurium von verschiedenen Aspekten des aufdringlichen und aggressiven Bettelns, das in Widerspruch zu der in den Erläuterungen vorgegebenen Intention steht, nur die Spitze des Bettelverhaltens, in denen Grenzen gegenüber dem Angebettelten überschritten werden, unter Strafe stellen zu wollen. Nach den Tatbildern des § 1a Abs 1 bis 3 Oö.PolStrG ist für niemanden die Grenze präzise absehbar, wann Bettelverhalten strafbar ist und wann nicht. Ein zunächst ruhiger Bettler, der auf eine Beschimpfung durch den Angebettelten mit einer Gegen-Beschimpfung angemessen reagiert, könnte schon strafbar sein. Auch ein Bettler, der jemanden anspricht und ihm einige[] Schritte nachgeht, um seine Bitte zu wiederholen, könnte schon strafbar sein, insbesondere weil der Gesetzestext während des Begleitens ein aggressives Verhalten nicht als Voraussetzung für die Strafbarkeit verlangt. Die bezüglichen Ausführungen im beiliegenden Gutachten Alois Birklbauer vom März 2011, Punkt 2, Verbot bestimmter Formen von Bettelei, S 3ff, werden zur Vermeidung von Weitläufigkeiten in diesen Schriftsatz inkludiert. Die Grenze zwischen erlaubtem und nicht erlaubtem Betteln wird vollends durch § 1a Abs 4 Oö.PolStrG verwischt, der unbeschadet aller unklarer Abgrenzungen in den Tatbildern auch noch den Versuch unter Strafe stellt. Funk, vgl das beiliegende Rechtsgutachten Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle 2011 - Bettelverbot, S 3, bezeichnet die Formulierungen des Gesetzestextes als 'schwerwiegende legislative Fehlleistung'. Zur Vermeidung von Weitläufigkeiten werden die bezüglichen Ausführungen im beiliegenden Gutachten in diesen Schriftsatz inkludiert. Birklbauer [bezeichnet] im genannten Gutachten S 6 [...] die Formulierung des Gesetzes als eine 'Einladung zu einer unsachlichen bzw willkürlichen Gesetzesanwendung'.

C. Verstoß gegen das Übermaßverbot [Antrag a, b]

Verwaltungsstraftatbestände des aufdringlichen und aggressiven Bettelns, wie sie § 1a Oö.PolStrG formuliert, sind nach dem beiliegenden Rechtsgutachten Funk,

Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle 2011 - Bettelverbot, S 2 ff, unverhältnismäßige und verfassungswidrige Beschränkungen der Grundrechte der Achtung des Privatlebens (Art10 EMRK) [gemeint wohl: Art 8 EMRK], der Erwerbsfreiheit (Art6 StGG), des Verbots erniedrigender Behandlung (Art3 EMRK) und des Gleichheitssatzes (Art7 B-VG, Art 14 EMRK). Die gravierenden Strafdrohungen, verbunden mit den Möglichkeiten unmittelbaren Zwangs zur Sicherstellung von Sachen und zu Eingriffen in die persönliche Freiheit steh[en] zu den Schutzgütern, abzuwehrenden Gefahren, Vollzugsinstrumenten und Rechtsbeeinträchtigungen in einem Missverhältnis. Es ist zu erwarten, dass die Drohung mit der Anwendung von Zwangsmitteln und Sanktionen dazu führt, dass auch gesetzlich erlaubte Formen des Bettelns unterbunden werden, was auch der Sinn der Regelungen sein dürfte. Das Gesetz enthält geradezu eine Einladung zu einem Vorgehen, welches dem Übermaßverbot nicht entspricht.

Dem vorprogrammierten Übermaß des Eingreifens steht ein auffallendes Untermaß bei den gesetzlichen Eignungserfordernissen der zur Gesetzesanwendung zugelassenen besonderen Aufsichtsorgane gegenüber. Die weitreichenden Eingriffsbefugnisse dieser Organe, deren Tätigkeit ein hohes Maß an Professionalität zur Sicherung eines rechtskonformen Vorgehens erfordert, haben keine Entsprechung in den Anforderungen an die Schulung und Ausbildung. Der Verweis auf die Bestellungsmodalitäten des Oö. Parkgebührengesetzes wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

D. Gemeindeamts-, Stadtamts-, Magistratsvorbehalt

[Antrag b]

1. Die Vollziehung der Landesmaterie der örtlichen Sicherheitspolizei, damit auch das Oö.PolStrG, obliegt gemäß Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG und § 11 Abs 2 Oö.PolStrG den Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich. Im Rahmen der Gemeindeorganisation können Gemeindewachkörper als Organe der öffentlichen Sicherheit eingerichtet sein. Gemäß § 9 OöPolStrG haben die Organe der Bundespolizei im Bereich des Verwaltungsstrafrechts durch Vorbeugemaßnahmen gegen drohende Verwaltungsübertretungen, Maßnahmen für die Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren und Anzeigepflichten mitzuwirken.

2. Die Organisation der Gemeinden ist unter Bindung an die bundesverfassungsgesetzlichen Vorgaben Sache des Landesgesetzgebers. Eine Bindung gibt Art 117 Abs 7 B-VG vor:

'Die Geschäfte der Gemeinden werden durch das Gemeindeamt (Stadtamt), jene der Städte mit eigenem Statut durch den Magistrat besorgt. Zum Leiter des inneren Dienstes des Magistrates ist ein rechtskundiger Verwaltungsbeamter als Magistratsdirektor zu bestellen'. Alle Aufgaben der Gemeinde stehen unter diesem Amtsvorbehalt. Der Landesgesetzgeber darf daher amtliche Vollziehungsaufgaben nicht außerhalb des Gemeindeamts, Stadtamts und Magistrats organisieren. Das schließt nicht in das Gemeindeamt, Stadtamt, oder in den Magistrat eingebundene mit amtlichen Vollziehungsaufgaben des eigenen Wirkungsbereichs betraute Organe aus. Und das hat einen guten Grund. Mit der Eingliederung in das Amt ist sichergestellt, dass alle Gemeindeaufgaben unter einheitlicher Leitung auf einer rechtlich gesicherten Basis wahrgenommen werden. Für Magistrate verlangt Art 117 Abs 7 B-VG in diesem Sinn ausdrücklich einen 'rechtskundigen Verwaltungsbeamten' als Magistratsdirektor.

3. Gegen Art 117 Abs 7 B-VG verstößt § 1b Oö.PolStrG in den im Antrag b genannten Punkten. Für die Kontrolle der Einhaltung der 'Wahrung des öffentlichen Anstands' (§1 Oö.PolStrG) und der 'Bettelei' (§1a Oö.PolStrG) können die Gemeinden nach § 1b Abs 1 Z 2 Oö.PolStrG Aufsichtsorgane bestellen. Das sind Privatpersonen, die zwar die Gemeinde bestellt, die aber nicht in das Amt eingegliedert sind. Daran ändert nichts, wenn § 1a Oö. PolStrG die Aufsichtsorgane an die Weisungen der zuständigen Gemeindeorgane bindet und der Amtsverschwiegenheit unterwirft.

Bei den Aufgaben der Aufsichtsorgane handelt es sich um massive bis zum Eingriff in die persönliche Freiheit reichende Zuständigkeiten. Bei diesen Aufgaben geht es nicht bloß um innerorganisatorische Vorkehrungen, die der VfGH für ausgliederungsfähig hält (VfSlg 8844). § 1b Oö.PolStrG verstößt daher gegen den Gemeindeamts-, Stadtamts- und Magistratsvorbehalt des Art 117 Abs 7 B-VG.

E. Festnahme nur durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts [Antrag b1, b3]

1. Gemäß § 35 VStG dürfen nur Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Dienste des Verwaltungsstrafrechts Personen festnehmen. Mit dem VStG hat der Bundesgesetzgeber von der Bedarfskompetenz des Art 11 Abs 2 B-VG Gebrauch gemacht, mit der Wirkung, dass von Verfassungs wegen der Bundes- und die Landesgesetzgeber 'abweichende Regelungen' nur erlassen dürfen, 'wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind'.

2. § 1b Abs 3 Z 3 Oö.PolStrG erlaubt - abweichend von § 35 VStG - den kommunalen Aufsichtsorganen, Festnahmen wegen Anstandsverletzungen und Betteleien vorzunehmen. Warum sollte es erforderlich sein, dass im Bereich der örtlichen Sicherheitspolizei zusätzlich zu den Kompetenzen der Polizeiorgane private Aufsichtsorgane Festnahmen durchführen, wenn es allgemein, insbesondere in der allgemeinen Sicherheitspolizei, solche Festnahmerechte durch private Aufsichtsorgane nicht gibt? Weder der Initiativantrag der Abgeordneten, welche die gegenständliche Novelle des Oö.PolStrG initiierten (Blg 225/2011 LT XXVII.GP) noch der Bericht des Ausschusses für allgemeine innere Angelegenheiten (Blg LT 317/2011 XXVII.GP) sagen dazu etwas. Eine nachvollziehbare Begründung findet sich nirgends.

3. Nicht zu vergleichen mit § 1b Oö.PolStrG ist etwa § 30 Eisenbahngesetz 1957, BGBl Nr 60/1957 idgF, der Eisenbahnaufsichtsorgane einsetzt und diesen in Abs 3 auch die Festnahme erlaubt. Eisenbahnaufsichtsorgane sind Bedienstete von Eisenbahnunternehmen, sie haben besondere Schutzaufgaben. Sie schützen Eisenbahnanlagen und den Verkehr in Schienenfahrzeugen, wo Sicherheitsorgane nicht immer präsent sein können. Das rechtfertigt eine Abweichung von § 35 VStG. Bei der Anstandsverletzung und der Bettelei ist eine solche spezifische Schutzaufgabe nicht zu erkennen.

Soweit die Oö.PolStrG-Novelle 2011 selbst in § 1b Abs 2 Oö.PolStrG auf das der Finanzverfassung unterliegende Oö.Parkgebührengesetz verweist, so ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber bei der Einräumung besonderer Befugnisse für die Parküberwachungsorgane ausdrücklich auf die Beschränkung der Befugnisse hinwies. 'Ausdrücklich anzumerken bleibt, dass eine Befugnis zur Festnahme von Personen, auch wenn diese auf frischer Tat betreten werden, den Aufsichtsorganen nicht zukommt' (Blg 132/1992 LT XXIV.GP). Im Hinblick auf die Verfassungsbestimmung des § 7 Abs 6 F-VG idF BGBl I Nr 103/2007, der 'das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und der Gemeinden verwalteten Abgaben' nunmehr ausschließlich und ohne Möglichkeit der Abweichung dem Bund übertrug, muss vielleicht auch das O.ö.Parkgebührengesetz neu überdacht werden.

F. Identitätsfeststellung nur durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts [Antrag b2, b3]

§35 VStG impliziert in Z 1 mittelbar das Recht der Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts zur Identitätsfeststellung. Nach VStG ist die Anhaltung zur Identitätsfeststellung nur im Zusammenhang mit § 35 VStG erlaubt. Also bei Betreten auf frischer (Verwaltungsstraf)Tat zur Vermeidung einer Festnahme. Eine Befugnis zur vom Betreten auf frischer Tat unabhängigen Identitätsfeststellung kennt das VStG nicht.

Die Bestimmung in § 1b Abs 3 Z 2 Oö.PolStrG, die insbesondere die 'Anhaltung von Personen zum. Zweck der Feststellung ihrer Identität' erlaubt, ist eine Abweichung von § 35 VStG, deren Erforderlichkeit nach Art 11 Abs 2 B-VG zu rechtfertigen ist. In den Materialien fehlt dazu jede nachvollziehbare Begründung, warum nach dem Oö.PolStrG eine Anhaltung von Personen zulässig sein sollte, auch wenn die Aufsichtsorgane die betroffenen Person gar nicht auf frischer Tat betreten haben, sondern etwa Informationen von irgendwelchen anderen Personen erhalten haben sollten." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen).

3. Die Oö. Landesregierung erstattete eine Äußerung zu dem Antrag, in der sie zunächst das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen bestreitet, weil zum einen das Antragsvorbringen in Antragsteil a. zu eng gefasst und zum anderen die angeführten Gesetzesbestimmungen in den Eventualantragsteilen b2. und b3. falsch wiedergegeben seien.

3.1. Inhaltlich tritt die Landesregierung den von den antragstellenden Mitgliedern des Oö. Landtages vorgebrachten kompetenzrechtlichen Bedenken - auszugsweise - wie folgt entgegen:

"Der Oö Polizeistrafgesetz-Novelle 2011, LGBI.

Nr. 36[...], gingen mehrere Schreiben des Oö. Gemeindebunds, zahlreiche Resolutionen der jeweiligen Gemeinderäte sowie ein Initiativantrag voraus. Die Resolutionen [...] waren alle mit dem Ersuchen um Novellierung des Oö. Polizeistrafgesetzes dahingehend verbunden, dass Betteln in aggressiver und aufdringlicher Weise, Betteln als Beteiligter einer organisierten Gruppe sowie Betteln mit oder durch Minderjährige sowohl auf öffentlichen Plätzen als auch von Haus zu Haus verboten werden. Begründend wurde ausgeführt, dass die Bevölkerung diese Formen der Bettelei als Belästigung und beängstigend empfindet. Insgesamt würde das Bettlerunwesen großen Unmut bei der Bevölkerung erzeugen. Alle Resolutionen wurden vom Petitions- und Rechtsbereinigungsausschuss des Oö. Landtags dem Ausschuss für allgemeine innere Angelegenheiten zur weiteren Beratung zugewiesen. Auch die Schreiben des Oö. Gemeindebunds und der Initiativantrag selbst wiesen den Resolutionen vergleichbare 'Forderungen' und Inhalte auf. Die Betteleibestimmungen wurden insofern nicht unter dem Aspekt der Anstandswahrung oder der Sittlichkeit, sondern unter den - gleichfalls unter die örtliche Sicherheitspolizei fallenden - Aspekten der Abwehr allgemeiner Gefahren für die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung getroffen. Dieser Schutzzweck schließt jedoch - im Gegensatz zu der von den Antragstellern vertretenen Rechtsansicht - den Anwendungsbereich der örtlichen Sicherheitspolizei nicht aus. Vielmehr stehen auch bei den - unter den Kompetenztatbestand der örtlichen Sicherheitspolizei fallenden - gesetzlichen Bestimmungen der Länder zum Lärmschutz, zur Hundehaltung sowie zur Haltung von (gefährlichen) Tieren, die Abwehr allgemeiner Gefahren für die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung und somit der Schutz der Allgemeinheit im Vordergrund. Ähnlich verhält es sich bei ortspolizeilichen Verordnungen, welche die Gemeinde gemäß Art 118 Abs 6 B-VG in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs zur Abwehr unmittelbar zu erwartender oder zur Beseitigung bestehender, das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstände zu erlassen hat.

Zu der von den Antragstellern vorgeschlagenen Heranziehung der §§81 f SPG ist Folgendes zu sagen: § 81 Abs 1 SPG zufolge begeht eine Verwaltungsübertretung, wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört. Tatbildlich ist demnach jedes menschliche Verhalten, das als besonders rücksichtslos qualifiziert wird. Die besondere Rücksichtslosigkeit ist oft nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. dazu die bei Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, Kommentar4 [2011] § 81 SPG, S 773 f, angeführten Anschauungsbeispiele). Zudem muss die Ordnung an einem öffentlichen Ort ungerechtfertigt gestört werden (Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, Kommentar4 [2011] § 81 SPG, S 776).

§82 SPG bezieht sich auf aggressives Verhalten gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber Militärwachen. Die §§81 f SPG erfüllen jedoch nicht die vom Landesgesetzgeber mit der Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle 2011 verfolgten Zwecke, wonach aufdringliches oder aggressives Betteln, alle Formen des organisierten Bettelns sowie der Einsatz von unmündigen Minderjährigen zum Betteln als Verwaltungsübertretung qualifiziert und unter Strafe gestellt werden. Es ist anzunehmen, dass durch diese in § 1a Oö. PolStG aufgezählten Formen des Bettelns die Tatbestandselemente des § 81 Abs 1 SPG (besondere Rücksichtslosigkeit, ungerechtfertigte Störung der öffentlichen Ordnung) meistens nicht erfüllt werden (mit anderen Worten 'niederschwelliger' sind). Die Normierung bestimmter Bettelverbote im Oö. Polizeistrafgesetz ist zur Wahrung öffentlicher Interessen, insbesondere zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich [...].

Zur Beurteilung der zentralen Frage, jener der Abgrenzung zwischen örtlicher Sicherheitspolizei und allgemeiner Sicherheitspolizei, ist entscheidend, 'ob es um jenen Teil der Sicherheitspolizei geht, der das Interesse der Gemeinde zunächst berührt, ob also räumliche Grundlage des geschützten Interesses nur das Gemeindegebiet oder ein Teil davon ist und ob die Gemeinde innerhalb ihrer Grenzen durch eigene Kräfte besorgen kann' (Stolzlechner unter Verweis auf VfSlg. 9653/1983, Art 118 B-VG, Rz. 5, in Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht,

3. Lfg. [2004]). Damit eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde vorliegt, genügt es, dass die Angelegenheit im überwiegenden Interesse der örtlichen Gemeinschaft gelegen ist; das Vorhandensein überörtlicher Interessen nimmt einer Angelegenheit nicht jene Merkmale, die für ihre Zuordnung zum eigenen Wirkungsbereich wesentlich sind. Erst wenn überörtliche Interessen überwiegen, liegt eine staatliche Verwaltungsaufgabe vor (Stolzlechner, Art 118 B-VG, Rz. 5, in Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 3. Lfg. [2004]).

Wendet man nun die für den eigenen Wirkungsbereich maßgeblichen Kriterien des 'Interesses' und der 'Eignung' auf das 'Bettelwesen' an, so ergibt sich, dass diese Angelegenheit dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde und somit dem Kompetenztatbestand der örtlichen Sicherheitspolizei zugeordnet werden kann und soll. Wie im Allgemeinen Teil der Erläuterungen zur Polizeistrafgesetz-Novelle 2011 unter dem Punkt 'Anlass und Inhalt des Gesetzentwurfs' ausgeführt, tritt Bettelei in Oberösterreich in unterschiedlichen Formen und in unterschiedlicher Intensität auf. So fühlen sich Personen im städtischen Bereich (konkret in den Ballungsräumen Linz, Wels und Steyr) insbesondere durch aufdringliches Betteln an öffentlichen Orten, jene im ländlichen Bereich überwiegend durch das Betteln von Haus zu Haus belästigt. Auf Grundlage der daraufhin erfolgten gesetzlichen Regelung der Bettelei auf Landesebene, können die Gemeinden nun gegen die in ihrem jeweiligen örtlichen Wirkungsbereich auftretenden Erscheinungsformen der Bettelei vorgehen. Die Tatsache, dass vielerorts, ja sogar europaweit gebettelt wird, ändert nicht[s] daran, dass es sich bei der Bettelei um eine Angelegenheit handelt, die zunächst das Gemeindeinteresse betrifft und somit (zumindest) im überwiegenden Interesse der Ortsgemeinschaft gelegen ist. Das 'Bettelwesen' eignet sich auch dazu, von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich besorgt zu werden, zumal eine entsprechende Mitwirkung von Bundesorganen in § 9 Oö. PolStG vorgesehen ist und die Gemeinde zusätzlich Gemeindewachkörper oder besondere Aufsichtsorgane mit der Kontrolle der in § 1a Oö. PolStG normierten Bettelverbote betrauen kann (vgl. § 1b Abs 1 Oö. PolStG). Auch aus den unter Punkt 1.2.1. dargestellten Regelungsinhalten der allgemeinen und der örtlichen Sicherheitspolizei ergibt sich eine Zuordnung der Bettelmaterie zur örtlichen Sicherheitspolizei.

Zur Untermauerung der behaupteten Kompetenzwidrigkeit vergleichen die Antragsteller die Bettelei mit der Landstreicherei; alle Argumente, mit denen der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 11195/1986 die Kompetenzwidrigkeit verwaltungsstrafrechtlicher Regelungen des Landes gegen die Landstreicherei begründete, würden in gleicher Weise für die (aggressive und aufdringliche) Bettelei zutreffen.

Diese Rechtsansicht wird nicht geteilt. Der Landstreicherei sind - im Gegensatz zur Bettelei - das Umherziehen, das Vagabundieren und somit die Überörtlichkeit immanent. Die in § 1a Oö. PolStG als Verwaltungsübertretung normierten Betteltatbestände verfolgen das Ziel, gegen aggressives oder aufdringliches Betteln, Betteln mit Kindern sowie das Veranlassen oder Organisieren von Betteln vorzugehen. Dem Element des Umherziehens kommt dabei keine eigenständige rechtliche Bedeutung zu. Selbst das Betteln von Ort zu Ort, welches einen überörtlichen Aspekt aufweist, ist nur strafbar, wenn es in aufdringlicher oder aggressiver Weise erfolgt. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich sowohl die Erscheinungsformen der Landstreicherei und der Bettelei als auch deren rechtliche Beurteilung stets ändern. So ist beispielsweise die Landstreicherei im Hinblick auf das allen Unionsbürgern und ihren Angehörigen in den EU-Mitgliedstaaten zustehende allgemeine Aufenthalts- und Freizügigkeitsrecht neu zu definieren.

Auch Oberndorfer hat zur Abgrenzung zwischen der örtlichen und der allgemeinen Sicherheitspolizei unter Anwendung der konkreten Beispiele der Landstreicherei und der Bettelei Folgendes ausgeführt: 'Auch die 'Landstreicherei' ist keine Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei (VfSIg. 11.195/1986), wohl aber kann die 'Bettelei' im Rahmen der örtlichen Sicherheitspolizei bekämpft werden, sofern sie nicht über den örtlichen Rahmen hinausgreift und wegen ihrer aggressiven Form einen zu bekämpfenden Missstand bildet.'

(Oberndorfer, Teil 1, Rz. 101: Allgemeine Bestimmungen in Klug/Oberndorfer/Wolny [Hrsg.], Das österreichische Gemeinderecht [2008]; Steiner, Teil 9, Rz. 52: Rechtsstellung und Aufgaben der Gemeindeorgane in Klug/Oberndorfer/Wolny [Hrsg.], das österreichische Gemeinderecht [2008])." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

3.2. In weiterer Folge verteidigt die Landesregierung die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen betreffend Bettelei in ihrer Äußerung und tritt dabei ausführlich den vorgebrachten Bedenken im Einzelnen entgegen. So heißt es etwa zum aufgeworfenen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot auszugsweise:

"2.2.3. Das Oö. Polizeistrafgesetz qualifiziert aufdringliches oder aggressives Betteln sowohl an öffentlichen Orten (§1a Abs 1 erste Alternative) als auch im Umherziehen (§1a Abs 1 zweite Alternative), das Betteln im Rahmen einer organisierten Gruppe sowohl an öffentlichen Orten als auch im Umherziehen (§1a Abs 1 dritte Alternative), das Veranlassen anderer zum Betteln (§1a Abs 2 erste Alternative), das Organisieren von Betteln (§1a Abs 2 zweite Alternative) sowie das Mitführen von Minderjährigen beim Betteln (§1a Abs 3) als Verwaltungsübertretung.

2.2.4. Im Gutachten Birklbauer wird auf Seite 3 ausgeführt, dass die - trotz Anführung von Beispielen - sehr unbestimmten Begriffe 'aufdringlich' und 'aggressiv' schwer handhabbar sind und zur Willkür einladen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass im Sinn der zuvor angeführten Judikatur des Verfassungsgerichtshofs die Verwendung von unbestimmten Begriffen per se zulässig ist. Vielmehr ist die Verwendung unbestimmter Begriffe der Legistik immanent (versucht man doch durch den Einsatz abstrakter Begriffe unterschiedliche konkrete Sachverhalte zu erfassen) und kann keinesfalls zur Gänze vermieden werden. Der Landesgesetzgeber hat zudem nicht nur in den Erläuterungen, sondern im Gesetzestext selbst Beispiele für aufdringliches und aggressives Betteln angeführt, wodurch Inhalt und Umfang der Gesetzesbegriffe verdeutlicht werden sollen. Folglich lautet § 1a Abs 1 Oö. PolStG auszugsweise: 'Wer in aufdringlicher und aggressiver Weise, wie durch Anfassen oder unaufgefordertes Begleiten oder Beschimpfen, um Geld oder geldwerte Sachen an einem öffentlichen Ort bettelt ...'[.] Gerade durch die angeführten Beispiele 'Anfassen', 'unaufgefordertes Begleiten' oder 'Beschimpfen' sind sowohl für die das Polizeistrafgesetz vollziehenden Organe als auch für die Normadressaten jene Verhaltensweisen erkennbar, die der Landesgesetzgeber im Zusammenhang mit der Ausübung von aufdringlicher oder aggressiver Bettelei als Verwaltungsübertretung normieren wollte. Das in § 1a Abs 1 Oö. PolStG enthaltene Verbot aufdringlichen oder aggressiven Bettelns ist - samt seiner beispielhaften Konkretisierung - insbesondere auch hinsichtlich der Abgrenzung zu einem generellen Bettelverbot [] erforderlich. Schließlich liegt bei den Begriffen 'aufdringlich' und 'aggressiv' keine Gegensätzlichkeit vor, die zu einer verfassungswidrigen Unbestimmtheit führen könnte.

Birklbauer weist in seinem Gutachten (S 3) darauf

hin, dass durch 'allzu aggressives Betteln' schon derzeit gerichtliche Straftatbestände erfüllt werden können. Die dazu angeführten Straftatbestände der gefährlichen Drohung (§107 StGB), der Nötigung (§105 StGB) und der Erpressung (§144 StGB) gehen jedoch weit über die Zielsetzung der Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle 2011, durch die Normierung bestimmter Verwaltungsstraftatbestände gewissen von der Bevölkerung unerwünschten Formen der Bettelei entgegenzuwirken, hinaus (vgl. dazu AB 317/2011 BlgLT XXVII. GP, S 1). Auch ein Vergleich mit seinen sonstigen Regelungsinhalten zeigt, dass das Oö. Polizeistrafgesetz zur Verankerung spezifischer Bettelverbote samt damit einhergehender Strafbestimmungen geeignet und zweckmäßig ist.

Betreffend den auf Seite 4 des Gutachtens Birklbauer enthaltenen Formulierungsvorschlag, dem zufolge nur 'inständiges' Betteln beim Begleiten strafbar sein soll, ist nicht nachvollziehbar, inwieweit die Verwendung des Begriffs 'inständig' dem behaupteten Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot abhelfen könnte. Das Anführen der zweiten Alternative des § 1a Abs 1 Oö. PolStG (vgl. dazu das Gutachten Birklbauer, S 4) ist insofern erforderlich, als die erste Alternative lediglich aufdringliches oder aggressives Betteln an einem öffentlichen Ort, die zweite Alternative jedoch derartiges Betteln im Umherziehen (von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus) umfasst, welches oftmals auf Privatgrundstücken (und somit nicht an öffentlichen Orten) ausgeübt wird. Zu den Ausführungen auf Seite 5 des Gutachtens Birklbauer wird klargestellt, dass bei der dritten Alternative von § 1a Abs 1 Oö.PolStG die Beteiligung an einer organisierten Gruppe das zentrale Tatbestandselement ist und nicht die Art des Bettelns (aufdringlich oder aggressiv). Die auf Seite 5 des Gutachtens Birklbauer zu § 1a Abs 2 Oö. PolStG entworfene Konstruktion, dass auch ein Vermieter, der seinen mittellosen Mieter auf die Straße setzt diesen zum Betteln veranlasst und daher strafbar ist, entspricht nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

3.3. Zum Verstoß gegen das "Übermaßverbot" wird eine Darstellung der Oö. Landtagsdirektion vom , L-219/3-XXVII-Mar, wiedergegeben, in welcher anlässlich der im Initiativantrag 225/2010 BlgLT XXVII. GP beantragten Erweiterung des Oö. Polizeistrafgesetzes um ein Bettelverbot eine Abgrenzung zwischen dem Oö. Sammlungsgesetz und der Bettelei erörtert wurde. Wörtlich heißt es dazu:

"Gemäß § 1 Abs 1 Oö. Sammlungsgesetz 1996 gilt als

Sammlung die persönliche Aufforderung an eine Mehrheit von Personen zur Hingabe von Geld, wenn keine oder eine unverhältnismäßig geringfügige Gegenleistung in Aussicht gestellt wird und die Aufforderung in Form einer Haussammlung oder Straßensammlung erfolgt. [...] Einer reinen Wortinterpretation des § 1 Abs 1 Oö. Sammlungsgesetz 1996 (insbesondere der Passage 'persönliche Aufforderung an eine Mehrheit von Personen zur Hingabe von Geld') zufolge, würde auch das 'Betteln' den Sammlungsbegriff erfüllen. Die Interpretation der Worte hat jedoch gemäß den in § 6 ABGB enthaltenen allgemeinen Auslegungsregeln in ihrem Zusammenhang und nach der klaren Absicht des Gesetzgebers zu erfolgen. Damit ist nicht nur der sprachliche Zusammenhang gemeint, sondern der Zusammenhang aller Sätze des Gesetzes und der Wille des (historischen) Gesetzgebers, der wiederum Schlüsse auf den Gesetzeszweck (Telos) zulässt (vgl. dazu Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts8 (1996), Rz 131). Schon eine nähere Betrachtung von § 2 Oö. Sammlungsgesetz 1996, wo von einem Veranstalter, einem Sammlungszweck, einer Sammlungsform, einem Sammlungszeitraum und einem Sammlungsort gesprochen wird, verdeutlicht dass 'Bettelei' nicht in den Anwendungsbereich des Oö. Sammlungsgesetzes 1996 fällt. Diese Schlussfolgerung ergibt sich bereits daraus, dass ein Bettler nicht als 'Veranstalter einer Sammlung' zu qualifizieren ist, und mit Bettelei, unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung, grundsätzlich keine Bewilligungs- und Dokumentationspflichten, wie sie in den §§2 bis 4 Oö. Sammlungsgesetz 1996 vorgesehen sind, einhergehen. Auch die Materialien (GP XXIV RV 872/1996 AB 896/1996) zum Oö. Sammlungsgesetz 1996 enthalten keinen einzigen Hinweis darauf, dass das 'Betteln' eine (besondere) Sammlungsform darstellt und daher vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst ist. Den allgemeinen Erläuterungen zufolge sollte das Oö. Sammlungsgesetz 1996 das aus dem Jahr 1956 stammende Sammlungsgesetz an die geänderten Lebensverhältnisse anpassen und die bestehenden Bewilligungspflichten weitgehend einschränken. Als Kompetenzgrundlagen werden Art 15 Abs 1 B-VG und ArtIV BGBl. Nr. 685/1988, wodurch die Erlassung von Regelungen, die eine auf Gewinn gerichtete Tätigkeit in Verbindung mit Sammlungen für gemeinnützige und wohltätige Zwecke Beschränkungen unterwerfen, in die Kompetenz der Länder übertragen werden, genannt. Aus diesen Kompetenzgrundlagen lässt sich ebenfalls nicht ableiten, dass 'Bettelei', welche ihrem Inhalt nach dem Bereich der örtlichen Sicherheitspolizei zuzuordnen ist, unter das Oö. Sammlungsgesetz 1996 fällt. [...]". (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

3.4. Auch wird auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung eingegangen und abschließend befunden, dass der Oö. Landesgesetzgeber verschiedene Formen der Bettelei zu Verwaltungsübertretungen erklärt habe, im Ergebnis aber kein generelles Bettelverbot in Oberösterreich bestehe. Bettelei gelte nicht als Beruf und stelle keine in den Schutzbereich des Art 6 StGG fallende Erwerbstätigkeit dar. Eine Verletzung des Art 3 EMRK erfolge insbesondere auf der Vollzugsebene, § 1a Oö. Polizeistrafgesetz stelle demgegenüber eine "legistische Maßnahme" dar.

3.5. Zum Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht nach Art 8 EMRK heißt es:

"Mit den §§1a und 1b sowie den entsprechenden Strafbestimmungen in § 10 Oö. PolStG liegt die im Sinn von Art 8 Abs 2 EMRK erforderliche gesetzliche Grundlage vor. Alle in § 1a Abs 1 bis 3 Oö. PolStG normierten Bettelverbote dienen (der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit; § 1a Abs 2 Oö. PolStG und § 1a Abs 3 Oö. PolStG bezwecken zudem noch den Schutz der Gesundheit sowie den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Einen vergleichbaren Schutzzweck verfolgt auch die Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer, welche in ihrem Erwägungsgrund 11 sowie in Art 2 Abs 3 ausführt, dass der Begriff 'Ausbeutung' auch Betteltätigkeiten umfassen kann. Diese gesetzlichen Maßnahmen (Bettelverbote) sind zum Schutz der genannten Rechtsgüter geeignet und auch erforderlich, um den von der Bevölkerung unerwünschten Formen der Bettelei entgegenzuwirken (vgl. dazu IA 225/2010 BlgLT XXVII. GP, AB 317/2011 BlgLT XXVII. GP, S 1 sowie die beigelegten Resolutionen). Es liegt somit kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art 8 Abs 1 EMRK vor.

Ebenso wenig stellen die §§1a und 1b sowie die entsprechenden Strafbestimmungen in § 10 Oö. PoIStG eine verfassungswidrige Beschränkung des Gleichheitssatzes (Art7 B-VG) dar: Das Oö. Polizeistrafgesetz enthält kein allgemeines, undifferenziertes Bettelverbot, sondern erklärt in § 1a Abs 1 bis 3 Oö. PoIStG bestimmte Formen des Bettelns zu Verwaltungsübertretungen. Entgegen der im Gutachten Funk vertretenen Ansicht (S 3) misst der Landesgesetzgeber auch dem Betteln innerhalb einer organisierten Gruppe und dem Mitführen unmündiger minderjähriger Personen beim Betteln einen gewissen Unrechtsgehalt zu. Die einzelnen Verbotstatbestände unterliegen - je nach Unrechtsgehalt - gemäß § 10 Abs 1 litb und d Oö. PolStG auch einem unterschiedlich hohen Strafrahmen. Der Landesgesetzgeber hat weder mit den spezifischen Bettelverboten noch mit den dazugehörigen differenzierten Strafbestimmungen eine im Sinn von Art 7 B-VG unsachliche Differenzierung vorgenommen. Auch das den von der Gemeinde gegebenenfalls bestellten besonderen Aufsichtsorganen (§1b Abs 1 Z 2 Oö. PolStG) zukommende subsidiäre Festnahmerecht (§1b Abs 3 Z 3 Oö. PolStG) und das Recht zur Beschlagnahme von Gegenständen (§1b Abs 4 Z 2 Oö. PolStG) führen nicht zu einer unverhältnismäßigen und damit verfassungswidrigen Beschränkung des Gleichheitssatzes." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

3.6. Dem Vorbringen der antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages, dass die Einbeziehung besonderer Aufsichtsorgane gegen Art 117 Abs 7 B-VG verstoße, wird entgegnet, dass der "Amtsvorbehalt" in Art 117 Abs 7 B-VG die Einrichtung von mit amtlichen Vollziehungsaufgaben betrauten, nicht in das Gemeindeamt, Stadtamt oder den Magistrat eingebundenen, Organen nicht ausschließe. Die Gemeinde sei an sich (nur) für die Kontrolltätigkeiten zuständig, sodass die besonderen Aufsichtsorgane ausschließlich im Bereich der Kontrolltätigkeiten für die Gemeinde tätig werden können. Soweit Aufsichtsorgane Agenden im Bereich von Verwaltungsstrafverfahren besorgen würden, würden diese nicht für die Gemeinde, sondern für die zuständigen Verwaltungsstrafbehörden nach § 10 Oö. Polizeistrafgesetz tätig werden, sodass für diese Tätigkeitsbereiche eine Aufgabenbesorgung durch die besonderen Aufsichtsorgane nicht dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden zugerechnet werden könne. Entgegen der Auffassung der antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages sei aus Art 117 Abs 7 B-VG jedenfalls kein absolutes Geschäftsbesorgungsmonopol abzuleiten. Dafür spreche etwa auch VfSlg. 8844/1980. Die Übertragung von Kontrollaufgaben an Aufsichtsorgane erweise sich als sachlich gerechtfertigt und dem Effizienzgebot entsprechend.

3.7. Zum ausschließlichen Festnahmerecht durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach § 35 VStG heißt es schließlich:

"Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind

nach § 5 Abs 2 SPG Angehörige des Wachkörpers Bundespolizei, der Gemeindewachkörper und des rechtskundigen Dienstes bei Sicherheitsbehörden, wenn die Organe zur Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt sind. Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zählen ihrerseits zu den Organen der öffentlichen Aufsicht, worunter alle Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie alle dem Staat zurechenbare Organe, die durch das besondere Verwaltungsrecht mit besonderen Aufsichtsrechten betraut sind, zu zählen sind. Gemäß § 1b Abs 3 Z 3 Oö. PolStG werden besondere Aufsichtsorgane unter bestimmten Voraussetzungen zur Festnahme von Personen ermächtigt.

§35 VStG enthält eine Generalermächtigung für Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Festnahme von Personen, soweit im konkreten Fall der Verdacht einer Verwaltungsübertretung vorliegt, die nach den Vorschriften des Verwaltungsstrafgesetzes zu verfolgen ist (vgl. K. Stöger, § 35 VStG Rz. 1, in Raschauer/Wessely [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsstrafgesetz [2011]). Zur Frage der Zulässigkeit abweichender Regelungen ist zu bemerken, dass § 35 VStG selbst auf diese Möglichkeit hinweist ('außer in den gesetzlich vorgesehenen Fällen'). Nach K. Stöger ist die Normierung weiterer Festnahmeermächtigungen im Rahmen des Verwaltungsstrafverfahrens grundsätzlich am Erforderlichkeitsgebot des Art 11 Abs 2 B-VG zu messen. Dies wird damit begründet, dass § 35 VStG schon 1925 als zentrale Festnahmeermächtigung im Rahmen des Verwaltungsstrafverfahrens gesehen wurde. Gleichzeitig verweist er jedoch auf die im Hinblick auf das Verwaltungsstrafverfahren in großer Zahl erlassenen Ausnahmeregelungen (vgl. K. Stöger, § 35 VStG Rz. 2). Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger führen aus, dass auch anderen Organen als jenen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (zB. Organen der öffentlichen Aufsicht) durch Bundes- oder Landesgesetz die Ermächtigung zur Festnahme nur unter der Voraussetzung des Art 11 Abs 2 B-VG eingeräumt werden darf (Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts9 [2011] Rz. 838).

Art 11 Abs 2 BVG umfasst jedoch nicht die Organisationskompetenz, welche der jeweiligen Materienkompetenz folgt (vgl. Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9, Rz. 838). Die Organisation der Verwaltung in den Ländern zählt seit Inkrafttreten der B-VG Novelle 1974 mit zum selbständigen Wirkungsbereich der Länder nach Art 15 Abs 1 B-VG. Unter dem Begriff 'Organisation' ist die Aufstellung und Einrichtung von Organen zu verstehen. Regelungen zur Bestellung von besonderen Aufsichtsorganen (im Rahmen der örtlichen Sicherheitspolizei) und deren Rechtsbeziehungen fallen somit unter die Kompetenz des Landesgesetzgebers; dieser kann neben der Bestellung, den Aufgaben und fachlichen Voraussetzungen von Aufsichtsorganen auch festlegen, dass als besondere Aufsichtsorgane jene Personen in Betracht kommen, die dienstrechtlich nicht in den Verwaltungsapparat des Landes oder einer Gemeinde eingegliedert sind.

§35 VStG schließt ein Festnahmerecht auf Basis

anderer gesetzlicher Grundlagen nicht aus. Es gibt verschiedene Regelungen auf Bundes- und Länderebene, welche besondere Aufsichtsorgane vorsehen (vgl. etwa Jagdaufsichtsorgane, Fischereiaufsichtsorgane, Gewässeraufsichtsogane, Eienbahnaufsichsorgane, Schifffahrtsaufsichtsorgane, Naturschutz- oder Bergwachtorgane, Parkgebührenaufsichtsorgane, Aufsichtsorgane im Bereich der Fluggast- und Gerichtsgebäudekontrolle, Pistenaufsichtsorgane); einigen dieser Aufsichtsorgane - darunter auch Beliehenen (vgl. K.Stöger, § 35 VStG Rz. 5) - wurde gesetzlich die Befugnis zur Festnahme von Personen eingeräumt (so zB. § 112 Forstgesetz, § 30 Abs 3 Eisenbahngesetz 1957, § 38 Abs 6 Schifffahrtsgesetz, § 26 Abs 4 Ausländerbeschäftigungsgesetz). Auch das BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit erfordert keinen § 35 VStG-Vorbehalt, da im Wesentlichen auf die konkreten Festnahmevoraussetzungen und nicht auf die handelnden Organe abgestellt wird. Ebenso wenig lässt sich - schon aus kompetenzrechtlichen Überlegungen - eine solche Auslegung der Strafprozessordnung 1975 entnehmen, da diese die Festnahme im Dienste der Strafjustiz vor Augen hat (Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze17 [2008] § 35 VStG Anm. 1). Gleiches gilt für das in der Strafprozessordnung 1975 geregelte Anhalterecht, welches die Festnahmebefugnis von Privaten und nicht von behördlichen Hilfsorganen zum Inhalt hat.

Unter Anwendung des Erforderlichkeitskriteriums des Art 11 Abs 2 B-VG auf § 1b Abs 3 Z 3 Oö. PolStG ist darauf hinzuweisen, dass den besonderen Aufsichtsorganen nur unter sehr engen gesetzlichen Voraussetzungen ein Festnahmerecht zukommt: Gemäß § 1b Abs 3 Z 3 Oö.PolStG haben die Aufsichtsorgane die Befugnis zur Mitwirkung an der Vollziehung durch die Festnahme von Personen, die sie bei einer Verwaltungsübertretung nach § 1a Abs 1 bis 4 auf frischer Tat betreten, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 35 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 vorliegen, aber kein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einschreiten kann. Das Festnahmerecht gilt demnach nur subsidiär und unter den inhaltlichen Voraussetzungen des § 35 VStG.

Die Antragsteller führen aus, dass im Rahmen der örtlichen Sicherheitspolizei und den diesbezüglich ergangenen Bettelverboten - im Gegensatz zum in § 30 Eisenbahngesetz 1957 normierten Festnahmerecht für Eisenbahnaufsichtsorgane - keine spezifische Schutzaufgabe zu erkennen sei.

Wie bereits unter Punkt 2.3.4. hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit ausgeführt, dienen alle durch die Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle 2011 erlassenen speziellen Bettelverbote der Wahrung öffentlicher Interessen;

insbesondere § 1a Abs 2 Oö. PolStG, welcher das Veranlassen und das Organisieren von Betteln, sowie § 1a Abs 3 Oö. PolStG, welcher das Mitführen unmündig Minderjähriger beim Betteln, als Verwaltungsübertretung normiert, sind zum Schutz von Menschen vor Ausbeutung und Missbrauch in Form organisierter Bettelei sowie zum Schutz von Kindern im Hinblick auf Ausbeutung und gesundheitliche Aspekte erforderlich. So führt de Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer in ihrem Erwägungsgrund 11 sowie in Art 2 Abs 3 aus, dass der Begriff 'Ausbeutung' auch Betteltätigkeiten umfassen kann (beispielsweise durch den Einsatz abhängiger Opfer des Menschenhandels als Bettler). Den gegebenenfalls durch die Gemeinde mit der Kontrolle der Bettelei nach § 1a Oö. PolStG betrauten Aufsichtsorganen kommen somit, wenn sie an der Vollziehung von § 1a Oö. PolStG durch die Ausübung ihrer (subsidiären) Festnahmebefugnis mitwirken, ebenfalls spezifische Schutzaufgaben zu." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

4. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Schreiben vom sowohl allen Landesregierungen - insbesondere im Hinblick auf die in mehreren Anträgen behauptete Kompetenzwidrigkeit der landesgesetzlich normierten Bettelverbote - die Möglichkeit eingeräumt, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, als auch den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes zur Stellungnahme eingeladen.

Die eingelangten Äußerungen beziehen sich daher auf mehrere beim Verfassungsgerichtshof zu dieser Frage anhängige Verfahren.

4.1. Die Salzburger Landesregierung brachte in ihrer Stellungnahme wörtlich dazu - auszugsweise - Folgendes vor:

"Zur Frage der Zuständigkeit des Landesgesetzgebers, das so genannte 'aggressive' Betteln (also etwa durch Anfassen, unaufgefordertes Begleiten und Beschimpfen) und das Betteln unter Zuhilfenahme unmündiger Minderjähriger zu verbieten sowie unter Verwaltungsstrafe zu stellen, liegt eine eindeutige Aussage des Verfassungsgerichtshofes aus jüngerer Vergangenheit vor: Mit Erkenntnis VfSlg 18.305/2007 wurde eine ortspolizeiliche Verordnung der Stadtgemeinde Fürstenfeld, die ein Bettelverbot beinhaltete, das über das Verbot derartigen Bettelns des Steiermärkische[n] Landes-Sicherheitsgesetzes (StLSG) hinausging, also auch die passive Form pönalisierte, mangels Vorliegen eines örtlichen Missstandes und somit wegen Widerspruchs zu Art 118 Abs 6 B-VG aufgehoben. In diesem Erkenntnis findet sich folgende Aussage des Gerichtshofes:

'Die verordnungserlassende Gemeinde verkennt dabei jedoch, dass der zuständige Landesgesetzgeber mit § 3a StLSG bereits jene Erscheinungsformen der Bettelei verboten hat, die seiner Auffassung nach im Allgemeinen als unerwünscht erachtet werden.' Angesichts dieser Wortwahl ('zuständiger Landesgesetzgeber') ist nicht daran zu zweifeln, dass der VfGH ein entsprechendes Landesgesetz als Kompetenzkonform erachtet.

2. Diese Einschätzung wird durch eine historische Betrachtung untermauert: Das StG aus 1852 (RGBl Nr 117) behandelte im XIII. Hauptstück in den §§500 bis 525 die Vergehen und Übertretungen gegen die öffentliche Sittlichkeit und normierte in diesem Zusammenhang im § 517 den Tatbestand des Bettelns. Diese Bestimmung wurde anlässlich des Inkrafttretens des Gesetzes vom 24.5.1885, RGBl Nr 89, womit strafrechtliche Bestimmungen in betreff der Zulässigkeit der Anhaltung in Zwangsarbeits- oder Besserungsanstalten getroffen werden, außer Kraft gesetzt und durch § 2 des genannten Gesetzes, in dem Betteln ebenfalls für strafbar erklärt wurde, ersetzt. Die Tatsache, dass eine Neuregelung der gesetzlichen Bestimmungen über das Betteln durch erwähnte Gesetz erfolgte, ändert nichts daran, dass das Betteln weiterhin - jedenfalls bis zum Inkrafttreten der Kompetenzverteilung des B-VG - als Handlung; gegen die öffentliche Sittlichkeit anzusehen war, wie es dem Willen des Gesetzgebers nach der Fassung des § 500 Abs 2 litc StG entsprach, wonach Betteln als Handeln gegen die öffentliche Sittlichkeit angeführt war (so , JBl 1954, 407f).

Gemäß ArtXI Abs 2 Z 8 des Strafrechtsanpassungsgesetzes BGBl Nr 422/1974 verlor das Gesetz RGBl Nr 89/1885 mit Ablauf des seine Wirksamkeit, sodass ab diesem Zeitpunkt Betteln nicht mehr justizstrafrechtlich mit Strafe bedroht war. Da aber die Regelung der Sittlichkeitspolizei nach Art 15 Abs 1 B-VG dem Landesgesetzgeber obliegt (VfSlg 8445/1978, 9252/1981, 11.860/1988), kann die Aufhebung der auf Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG beruhenden gerichtlichen Strafdrohung durch den Bund nur dazu führen, dass seit dem der Landesgesetzgeber Verwaltungsübertretungen betreffend das Betteln regeln kann, zumal vom Strafrechtswesen nach Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG das Verwaltungsstrafrecht in jenen Angelegenheiten, die in den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallen, ausdrücklich ausgenommen ist.

Im Erkenntnis VfSlg 11.195/1986, mit dem die Bestimmung über die Landstreicherei im damaligen Salzburger Landes-Polizeistrafgesetz wegen Kompetenzwidrigkeit aufgehoben worden ist, hat der VfGH die Zuordnung des Bettelns zur Sittlichkeitspolizei offen gelassen, diesbezüglich jedoch auf VfSlg 7960/1976 verwiesen. Wenn nicht - so der Gerichtshof in diesem Erkenntnis - bestimmte Formen der Prostitution unter den Tatbestand Sittlichkeitspolizei im Sinn des Art 118 Abs 3 Z 8 B-VG fielen, wäre dieser zum Zeitpunkt seiner Erlassung (1962) nahezu inhaltsleer gewesen. Aus der Wendung 'zum Zeitpunkt seiner Erlassung' leuchtet die Auffassung des VfGH hervor, dass sich dies später - nach Aufhebung der gerichtlichen Strafdrohung betreffend das Betteln - geändert hat und dieser Tatbestand auch ohne Prostitutionsregelungen einen entsprechenden Gehalt aufwiese.

Im Übrigen wird im 'Landstreicherei-Erkenntnis' aus 1986 ganz klar zwischen Betteln und Landstreicherei differenziert und auf den unterschiedlichen Unwert mit Bezug auf die Judikatur des OGH hingewiesen (11 Os 102/71, JBl 1972, 109). Die Bemühungen der Antragsteller in den gegenständlichen Verfahren, eine Parallelität zwischen Betteln und Landstreicherei herzustellen und daraus auch die Kompetenzwidrigkeit der Bettelbestimmungen abzuleiten gehen daher ins Leere. Dies auch deshalb, weil die Landstreicherei im Erkenntnis VfSlg 11.195/1986 der allgemeinen (und nicht der örtlichen) Sicherheitspolizei zugeordnet worden ist. Das Betteln ist dagegen der örtlichen Sicherheitspolizei zuzuordnen - siehe dazu auch die Aufhebungsgründe des Erkenntnisses VfSlg 18.305/2007 - und unter einen eigenen, von Art 15 Abs 1 B-VG erfassten Tatbestand 'Sittlichkeitspolizei' zu subsumieren.

3. Darüber hinaus können landesrechtliche Bettelregelungen, insbesondere solche, die auch passives Betteln einbeziehen, auf einen Kompetenztatbestand 'Sammlungswesen' gestützt werden, auf den sich etwa der Salzburger Landesgesetzgeber beruft (vgl RV 192 BlgLT 4. Sess 7. GP zum Gesetz LGBl Nr 13/1979). Nach

VfSIg 5573/1967 fällt nämlich die Regelung der Sammlung von Spenden gemäß Art 15 Abs 1 B-VG jedenfalls insoweit in die Zuständigkeit der Länder, als sich nicht etwa aus den speziellen Kompetenztatbeständen zugunsten des Bundes oder aus sonstigen Verfassungsvorschriften ausnahmsweise anderes ergibt.

Eine solche Bundeskompetenz ist nicht ersichtlich. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass das aggressive Betteln als Ordnungsstörung durch besonders rücksichtsloses Verhalten (§81 Abs 1 SPG) zur allgemeinen Sicherheitspolizei gehört - was von der Salzburger Landesregierung wegen der von ihr angenommenen Zuordnung zur Sittlichkeitspolizei bestritten wird - verschlägt dies nichts, wenn ein und dasselbe Verhalten unter verschiedenen kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten regelbar ist (so zB VfSlg 14.178/1995, 15.552/1999, 18.096/2007), und man davon ausgeht, dass der Landesgesetzgeber daneben den sammlungsrechtlichen Aspekt einer Regelung zuführen kann.

Ebenso wenig ist ersichtlich, wieso eine Spendensammlung in der spezifischen Form des Bettelns vom VfGH als solchen erkannten Zuständigkeit des Landesgesetzgebers nicht umfasst sein sollte. Zwar bezieht sich der Rechtssatz des Kompetenzfeststellungserkenntnisses VfSlg 9337/1982 auf die Sammlung zugunsten gemeinnütziger und wohltätiger Zwecke, doch schließt dies zum einen eine Zuständigkeit des Landesgesetzgebers bei der Sammlung von Spenden zu anderen Zwecken nicht aus, zum anderen wird die Spende an einen Bettler jedenfalls als 'mildtätig' zu qualifizieren sein. Mildtätige Zwecke waren in jenem dem VfGH nach Art 138 Abs 2 B-VG vorgelegten Gesetzesentwurf, der dem Erkenntnis VfSIg 9337/1982 zugrunde lag, (bzw in dem von der Bundesregierung beeinspruchten Gesetzesbeschluss) solche Zwecke, die darauf gerichtet sind, hilfsbedürftige Personen zu unterstützen. Wenn der Spender einem Bettler Geld gibt, kann er davon ausgehen, dass er eine hilfsbedürftige Person unterstützt, er also einen mildtätigen Zweck in diesem Sinn verfolgt. Dass die Spende gleichzeitig auch einem gemeinnützigen Zweck dienen müsste, könnte zwar aus dem angesprochenen Rechtssatz hervorleuchten (arg 'und'), doch zeigt der vom Gerichtshof beurteilte Gesetzentwurf, dass die Kompetenz des Landesgesetzgebers auch gegeben ist, wenn gemeinnützige 'oder' mildtätige Zwecke verfolgt werden (§1 Abs 1, siehe VfSlg 9337/1982), zumal insoweit keinerlei Problem gesehen wurde. Mildtätig ist eine Spende an einen Bettler aber - wie gesagt - allemal.

4. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass dem Landesgesetzgeber die Kompetenz zukommt, Regelungen betreffend Betteln zu treffen."

4.2. Die Steiermärkische Landesregierung äußerte sich zur Frage der Kompetenzmäßigkeit von landesgesetzlichen Bettelverboten folgendermaßen:

"Nach Ansicht der Steiermärkischen Landesregierung fällt die Erlassung landesgesetzlicher Regelungen betreffend die Bettelei unter den Kompetenztatbestand der örtlichen Sicherheitspolizei (Art10 Abs 1 Z 7 B-VG iVm 15 Abs 1 B-VG; vgl. die Erläuterungen zu § 3a Steiermärkisches Landes-Sicherheitsgesetz, Einl. Zahl 217/1, XVI. GP Landtag Steiermark).

Gemäß Art 15 Abs 2 B-VG ist die örtliche Sicherheitspolizei der Teil der Sicherheitspolizei, der im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden.

Nach der in der Judikatur vorgenommenen Abgrenzung der örtlichen zur allgemeinen Sicherheitspolizei kann eine Regelung nur dann der örtlichen Sicherheitspolizei zugeordnet werden, wenn räumliche Grundlage des geschützten Interesses das Gemeindegebiet oder ein Teil desselben ist. Der mit der Regelung bezweckte Schutz eines Rechtsgutes muss ein solcher sein, der von den örtlichen Verhältnissen abhängt, also zumindest in einer engen und untrennbaren Verbindung mit diesen steht. Denn nur dann ist die in der Judikatur geforderte notwendige Verknüpfung der Beeinträchtigung des Rechtsgutes mit den lokalen Verhältnissen gegeben (vgl. dazu VfSlg 3570/1959, 5510/1967, 9653/1983, 11.195/1986; VwSlg 7026/1966).

Aus Sicht der Steiermärkischen Landesregierung ist die Regelung eines Bettelverbotes im überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen. Diese Angelegenheit ist auch geeignet, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden. Bei der Bettelei handelt es sich um ein örtlich gebundenes Phänomen, das hauptsächlich in einzelnen größeren Städten auftritt. Selbst in größeren Städten kommt die Bettelei nur im Zentrum und an bestimmten stark frequentierten Orten vor. Die räumliche Grundlage des geschützten Interesses ist daher das Gemeindegebiet oder ein Teil desselben. Es handelt sich um eine Angelegenheit, die hauptsächlich die Gemeindebewohner und deren unmittelbares Umfeld betrifft. Der mit dem Bettelverbot bezweckte Schutz von Rechtsgütern - nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit - hängt untrennbar von den jeweiligen örtlichen Verhältnissen ab bzw. steht mit diesen in einer engen und untrennbaren Verbindung. Es handelt sich nicht um den Schutz von Rechtsgütern allgemeiner oder regionaler Bedeutung, sondern ausschließlich um solche von örtlicher Bedeutung. Allein aus dem Umstand, dass die Bettelei ein Phänomen ist, das auch in anderen Gemeinden vorkommt bzw. europaweit verbreitet ist, kann aus Sicht der Steiermärkischen Landesregierung nicht auf den überörtlichen Charakter geschlossen werden (vgl. dazu auch Wiederin, Sicherheitspolizeirecht (1998), Rz 113).

Entgegen dem Vorbringen in den Gesetzesanfechtungen vertritt die Steiermärkische Landesregierung die Ansicht, dass aus dem Erkenntnis VfSlg 11.195/1986 zur Landstreicherei gerade nicht der Schluss gezogen werden kann, dass auch die Bettelei der allgemeinen Sicherheitspolizei zuzuordnen wäre. Wie der Verfassungsgerichtshof selbst betont, unterscheiden sich die Tatbestände der Landstreicherei und der Bettelei grundsätzlich voneinander. Bei der Landstreicherei - deren Wesen im Umherziehen liegt - handle es sich schon begrifflich nicht um eine Angelegenheit, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen sein kann (VfSlg 11.195/1986). Unter Berufung auf ein (JBI 1972, 109), führt der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich aus, dass es sich bei der Landstreicherei und der Bettelei um jeweils durchaus selbständige Verhaltensweisen mit unterschiedlichem Unwert und nicht gleichartigen Rechtsverletzungen handelt. Daher können aus Sicht der Steiermärkischen Landesregierung die kompetenzrechtlichen Erwägungen zur Landstreicherei nicht auf die Bettelei übertragen werden (vgl. dazu auch Wiederin, Sicherheitspolizeirecht (1998), Rz 116, der ausführt, dass in der Praxis das Erkenntnis VfSlg 11.195/1986 als Bestätigung der von den Ländern in Anspruch genommenen Kompetenz für die Regelung der Bettelei gedeutet wird; vgl. auch Peyerl, in:

Poier/Wieser, Steiermärkisches Landesrecht, Band 3, 10). Während es also bei der Landstreicherei um den Schutz von allgemeine Bedeutung besitzenden Rechtsgütern geht, die nicht den örtlichen Verhältnissen zuzuordnen sind, geht es bei der Bettelei - wie oben aufgezeigt - sehr wohl um den Schutz von Rechtsgütern, die mit den lokalen Verhältnissen verknüpft sind.

Hinsichtlich des Argumentes, dass der Justizausschuss zum Strafrechtsanpassungsgesetz 1974, ausdrücklich ausführte,

'dass die gesamte Materie in Hinkunft .... durch Bundesgesetz

geregelt werde' (1236 BlgNR 13. GP) ist anzumerken, dass der Entwurf einer EGVG-Novelle 1975 die Strafbarkeit der Bettelei vorsah (vgl. das Schreiben des BKA vom , GZ 600.519/1-VI/1/75). Diese Bestimmungen wurden jedoch unter anderem wegen kompetenzrechtlicher Bedenken nicht in die Regierungsvorlage übernommen (438 BlgNR 14. GP)." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

4.3. Die Vorarlberger Landesregierung äußerte sich ebenfalls zu den kompetenzrechtlichen Bedenken wie folgt:

"Für die kompetenzrechtliche Zuordnung von Regelungen gilt ganz grundsätzlich, dass nach dem bundesverfassungsrechtlichen System der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung die Generalkompetenz zur Gesetzgebung gemäß Art 15 Abs 1 B-VG bei den Ländern liegt. Von der Zuständigkeit der Länder sind nur diejenigen Angelegenheiten ausgenommen, welche in die Zuständigkeit des Bundes verwiesen sind. Die Vorschriften über das Betteln fallen in keinen solchen Zuständigkeitsbereich des Bundes.

2.1. Sammlungswesen:

Das Betteln an öffentlichen Orten ist als Sammeln von Spenden für sich selbst oder für Dritte anzusehen. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichthofes (VfSlg. 9337/1982 mwN) besteht keine ausdrückliche verfassungsrechtliche Bestimmung, die die gesetzliche Regelung des Sammlungswesens dem Bund zuweist. Insbesondere kommt keinem Kompetenztatbestand der Art 10 bis 14 B-VG ein Inhalt zu, der das Sammlungswesen insgesamt umfassen würde. Es fällt daher auf Grund der Generalkompetenz des Art 15 Abs 1 B-VG die Regelung des Sammlungswesens grundsätzlich in die Kompetenz der Länder.

Trotz dieser grundsätzlichen Zuordnung des Sammlungswesens in die Gesetzgebungskompetenz der Länder können einzelne Aspekte von Sammlungen in einem so engen sachlichen Zusammenhang mit einer Verwaltungsmaterie stehen, für die die Gesetzgebungskompetenz nach den Kompetenzartikeln des B-VG dem Bund zukommt, dass die Regelung der betreffenden Angelegenheit als Angelegenheit dieser Verwaltungsmaterie in die Bundeskompetenz fällt. Ein derart enger sachlicher Zusammenhang mit einer Verwaltungsmaterie des Bundes hat der Verfassungsgerichtshof unter den im Erkenntnis näher beschriebenen Umständen in der Angelegenheit der Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs gemäß Art 10 Abs 1 Z. 8 B-VG gesehen (VfSlg. 9337/1982).

Die Antragsteller begründen die Kompetenzwidrigkeit der einzelnen Bettelbestimmungen damit, dass diese Regelungen in die Zuständigkeit des Bundes im Rahmen der allgemeinen Sicherheitspolizei gemäß Art 10 Abs 1 Z. 7 B-VG (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit) fallen. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 11.195/1986 mwN) gehören zur Sicherheitspolizei jene Maßnahmen, die der Abwehr der allgemeinen Gefahren für die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung dienen. Eine Gefahr ist dann eine allgemeine, wenn sie keiner bestimmten Verwaltungsmaterie (außer der Sicherheitspolizei) zugeordnet werden kann und wenn sie nicht nur innerhalb einer bestimmten Verwaltungsmaterie auftritt. Als solche Verwaltungsmaterie kommt auch eine Angelegenheit in Betracht, die gemäß Art 15 Abs 1 B-VG in die Zuständigkeit der Länder fällt (vgl. VfSlg. 6262/1970 hinsichtlich der Baupolizei als Teilbereich des Bauwesens oder VfSlg. 6842/1972 hinsichtlich der Feuerpolizei). Da die mit dem Betteln (im Sinne von Sammeln von Spenden) verbundenen Gefahren einer konkreten Verwaltungsmaterie - nämlich dem in die Zuständigkeit der Länder fallenden Sammlungswesen - zugeordnet werden können und diese Gefahren auch nicht in anderen Verwaltungsmaterien auftreten, d.h. sie sind auf die Verwaltungsmaterie 'Sammlungswesen' beschränkt, scheidet der Kompetenztatbestand der allgemeinen Sicherheitspolizei gemäß Art 10 Abs 1 Z. 7 B-VG als Grundlage für die Erlassung von Bettelbestimmungen von Vornherein aus.

Daher ist - entsprechend dem Erkenntnis

VfSlg. 9337/1982 - die Erlassung von Bettelbestimmungen denn Sammlungswesen zuzuordnen und fällt somit in die Regelungszuständigkeit der Länder.

[...]

Im Hinblick auf die örtliche Interessenslage der Gemeinde kann die Bettelei mit der unter die Sittlichkeitspolizei fallenden Prostitution, dabei insbesondere mit der Erscheinungsform der Straßenprostitution, verglichen werden. Auch die Straßenprostitution betrifft zunächst das Interesse der Gemeinde, sie kann aber auch überörtliche Interessen berühren. Der Verfassungsgesetzgeber hat die Regelung der Prostitution dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden (Art118 Abs 3 Z. 8 B-VG) zugeordnet. Zwar gehören die im Art 118 Abs 3 B-VG genannten Angelegenheiten unwiderlegbar zum eigenen Wirkungsbereich und sie sind einer dynamischen Überprüfung nach den Kriterien des Art 118 Abs 2 B-VG nicht in der Weise zugänglich, dass sie durch eine Änderung der Verhältnisse ihren Charakter als Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches verlieren können (Weber in:

Korinek/Holoubek [Hrsg.] Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Band II, Art 118, Rz. 11). Dennoch ist der Katalog der im Art 118 Abs 3 B-VG aufgezählten Aufgaben im Lichte der Kriterien nach Art 118 Abs 2 B-VG erstellt worden. Dies zeigen auch die Erläuterungen in der RV zur B-VG-Novelle 1962 (639 Blg.NR IX GP): Danach wurde dieser Aufgabenkatalog unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Praxis sowie unter Berücksichtigung des Grundsatzes erstellt, dass die Gemeinde alle diejenigen Aufgaben zu erfüllen hat, die si[e] als unterste Zusammenfassung der Staatsbürger auf territorialer Grundlage und angesichts des lokalen Charakters dieser Aufgaben am besten und einfachsten durchzuführen in der Lage ist.

Auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Straßenprostitution als Angelegenheit der Sittenpolizei unter Bedachtnahme auf die Kriterien des Art 118 Abs 2 B-VG ausdrücklich dem eigenen Wirkungsbereich zugewiesen wurde und diese Aufgabe im Hinblick auf die örtlichen Interessen der Gemeinde mit der Bettelei vergleichbar ist, kommt eine Zuordnung der Bettelei zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde und somit zur örtlichen Sicherheitspolizei (Art15 Abs 2 iVm Art 118 Abs 3 Z. 3 B-VG) in Betracht.

Soweit die Antragsteller versuchen, die Bettelei mit der Landstreicherei zu vergleichen, ist darauf hinzuweisen, dass bereits das Landstreichergesetz 1885 aufgrund ihrer unterschiedlichen Natur zwischen Landstreicherei und Betteln differenzierte (VfSlg. 11.195/1986 mit Verweis auf ). Festzuhalten ist, dass - anders als bei der Bettelei - das Umherziehen, das Vagabundieren und somit das Überörtliche kennzeichnend für die Landstreicherei ist.

Demgegenüber erfolgt die Bettelei in der Regel ortsbezogen. In diesem Zusammenhang geht auch Oberndorfer davon aus, dass zwar die 'Landstreicherei' keine Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei ist (VfSlg. 11.195/1986), wohl aber die 'Bettelei' im Rahmen der örtlichen Sicherheitspolizei bekämpft werden kann, sofern sie nicht über den örtlichen Rahmen hinausgreift und wegen ihrer aggressiven Form einen zu bekämpfenden Missstand bildet. (Oberndorfer, Teil 1, Rz 101: Allgemeine Bestimmungen in Klug/Oberndorfer/Wolny [Hrsg.], Das österreichische Gemeinderecht [2008]). Folglich kann aus dem Erkenntnis VfSIg. 11.195/1986 nicht der Schluss gezogen werden, dass ein Bettelverbot nicht denn Kompetenztatbestand der örtlichen Sicherheitspolizei zugeordnet werden kann.

Im Ergebnis vertritt die Vorarlberger Landesregierung die Auffassung, dass die Regelung der Bettelei in die Regelungszuständigkeit der Länder fällt." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

4.4. Auch die Tiroler Landesregierung gab eine Stellungnahme ab, in der sie zunächst dem Vorbringen der Antragsteller, dass der Umfang des Kompetenztatbestandes der Sicherheitspolizei mittels historischer Interpretation zu ermitteln sei, entgegentritt und schließlich die kompetenzrechtliche Zuständigkeit der Länder begründet:

"Darüber hinaus ist dem weiteren Argument der Antragsteller, dass durch die im Versteinerungszeitpunkt bestehende Regelung der Bettelei (allein) im Justizstrafrecht deren Subsumtion unter den Kompetenztatbestand der Sicherheitspolizei nicht möglich sei, entgegen zu halten, dass es sich beim Justizstrafrecht (Art10 Abs 1 Z. 6 B-VG) um einen an sich kompetenzneutralen Bereich handelt (vgl Funk, Das System der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung im Lichte der Verfassungsrechtsprechung [1980] 55 und 60f). Schon deshalb ist das Argument der Antragteller, dass die seinerzeitige Regelung der Bettelei durch das gerichtliche Strafrecht die nunmehrige Subsumtion unter den Kompetenztatbestand der Sicherheitspolizei ausschließe, nicht haltbar, bewirkt doch die justizstrafrechtliche Pönalisierung eines bestimmten Verhaltens unter dem Gesichtspunkt seiner besonderen Verwerflichkeit und erheblichen sozialen Schädlichkeit nicht den Wegfall der diesbezüglichen Regelungskompetenz des Materiengesetzgebers (hier konkret des Landesgesetzgebers).

[...]

Aus der Tatsache, dass die Bettelei im von den Antragstellern im Rahmen der von ihnen vertretenen historischen Interpretation bezogenen Versteinerungszeitpunkt allein justizstrafrechtlich geregelt und sanktioniert war, lässt sich also für die Frage der Beurteilung der Regelungskompetenz außerhalb dieses Bereichs, also unter anderen Gesichtspunkten, nichts gewinnen. Keinesfalls lässt sich daraus auf eine 'Versteinerung' des Kompetenztatbestands der Sicherheitspolizei dahingehend, dass diesem derartige Angelegenheiten keinesfalls angehören können, schließen. Eine solche Auffassung stünde zum einem in einem unüberbrückbaren Spannungsverhältnis zum durch die Generalklausel des Art 15 Abs 1 B-VG geprägten System der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung; dies umso mehr, als die Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei seit jeher aufgrund von Art 15 Abs 1 B-VG in die Zuständigkeit der Länder fallen, woran auch die von den Antragstellern ins Treffen geführte B-VG-Novelle 1929, BGBl. Nr. 392, nichts geändert hat (vgl. zu deren Genese nur Wiederin, Art 15/2 B-VG, in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht Kommentar, Rz 2). Sie vernachlässigt zudem auch die nach den anerkannten Regeln der Kompetenzinterpretation gebotene intrasystematische Fortentwicklung (hier vorgeblich) 'versteinerter' Kompetenztatbestände, die - wie vorstehend bereits dargelegt - vorliegend jedenfalls geboten ist.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11.195/1986 dem von den Antragstellern vertretenen kompetenzrechtlichen Ansatz in Bezug auf die Landstreicherei ausdrücklich nicht gefolgt ist, indem er diese als Angelegenheit der Sicherheitspolizei qualifiziert und gerade nicht dem gerichtlichen Strafwesen zugeordnet hat. Nichts anderes kann aber hinsichtlich auf die Bettelei geben.

Es ist daher in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob die Angelegenheiten der Bettelei - im Unterschied zu jenen der Landstreicherei - zur in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallenden örtlichen Sicherheitspolizei zu zählen sind.

[...]

Die Erlassung von Regelungen über den Bettel ist nach Ansicht der Tiroler Landesregierung jedenfalls eine Angelegenheit, die das Interesse der Gemeinde zunächst berührt. Die Bettelei tritt in örtlicher Hinsicht in unterschiedlicher Intensität auf, in Tirol nahezu ausschließlich im städtischen bzw. urban geprägten Bereich, wobei vorwiegend eine Konzentration auf die Landeshauptstadt Innsbruck und einzelne, an den Hauptverkehrsadern im Inntal liegende Zentralorte zu beobachten ist. Bettler verfügen zudem zumeist über einen Wohnsitz bzw. eine Unterkunftsmöglichkeit in einer bestimmten Gemeinde und sind somit lokal gebunden. Es zeigt sich also, dass es sich bei der Bettelei um eine mit den lokalen Verhältnissen verknüpfte Problematik handelt. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass sich die Bettelei von jeher als örtlicher Missstand äußerte, dem vielfach mit der Erlassung ortspolizeilicher Verordnungen begegnet wurde. Bekanntlich haben die Länder die von den Gemeinden typischer Welse mittels ortspolizeilicher Verordnungen geregelten Materien sukzessive in ihren Landes-Polizeigesetzen kodifiziert (vgl. etwa Blum, Die Sicherheitspolizei und ihre Handlungsformen [1987] 74; ebenfalls Ranacher, Das ortspolizeiliche Verordnungsrecht im Spiegel der Rechtsprechung, RFG 4 [2004], [161]; dazu auch Giese, Sicherheitspolizeirecht, in Bachmann et al [Hrsg.], Besonderes Verwaltungsrecht8 [2010] 6). Dies bedeutet allerdings nicht, dass diese Angelegenheiten dadurch zu überörtlichen geworden wären. Dies trifft gerade auch auf die Bettelei zu, welche nach wie vor jeweils örtlich in Erscheinung tritt und als örtlicher Missstand wahrgenommen wird.

Die Regelung der Bettelei liegt daher nach wie vor im überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft, wodurch das erste der beiden für die Unterscheidung zwischen örtlicher und allgemeiner Sicherheitspolizei relevanten differentia specifica (vgl. Wiederin, Art 15/2 B-VG, aaO, Rz 6) im Hinblick auf die Einordnung zur örtlichen Sicherheitspolizei zu bejahen ist.

Daran ändert auch das weitere Argument der Antragsteller nichts, dass das Betteln europaweit stattfinde und dass es sich deshalb um eine Angelegenheit der allgemeinen Sicherheitspolizei handle. Dass eine Angelegenheit ein europaweites Problem darstellt, ist nämlich ebenso wenig ein schlagendes Argument gegen die Zuordnung zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde wie der Umstand, dass die bekämpften Misstände auch in anderen Gemeinden aufgetreten sind oder auftreten (zutreffend Wiederin, Sicherheitspolizeirecht [1998], Rz 113). Dabei wird nicht übersehen, dass der Gerichtshof einen in diese Richtung weisenden Ansatz in seinem sog. 'Landstreicherei-Erkenntnis' (VfSlg. 11.195/1986) verfolgt hat. Diesem Ansatz ist in der Literatur freilich zutreffend entgegengehalten worden, dass Art 15 Abs 2 B-VG sowie Art 118 Abs 2 B-VG als Voraussetzung für eine Zuordnung zur örtlichen Sicherheitspolizei bzw. zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde lediglich das Interesse und die Fähigkeit der Gemeinde zur Aufgabenbesorgung statuieren. Zu prüfen ist vorliegend daher nicht, ob Bettelei als europaweites bzw. österreichweites Phänomen auftritt - dies ist bei Lärmerregung, Anstandsverletzung, Prostitution usw. ja gleichfalls zu bejahen - sondern ob die hoheitliche Regelung der Bettelei im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden (vgl. in dieser Hinsicht kritisch zum Landstreicherei-Erkenntnis Pernthaler, Kompetenzverteilung in der Krise [1989], 156). Aus den meist zwangsläufigen überregionalen Bezügen schon auf den überörtlichen Charakter zu schließen, erscheint daher nach Auffassung der Tiroler Landesregierung bedenklich und würde im Größenschluss dazu führen, dass eine Angelegenheit trotz Vorliegen der beiden verfassungsgesetzlich dafür normierten Voraussetzungen (Interesse und Eignung) immer dann dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde entzogen wäre, wenn dasselbe regelungsbedürftige Problem zumindest auch in einer relevanten Anzahl anderer Gemeinden auftritt. Dies würde zu einer vom Bundesverfassungsgesetzgeber so wohl nicht intendierten und auch sachlich nicht gerechtfertigten Einschränkung des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde führen und trägt - bezogen auf die hier in Rede stehende Abgrenzungsfrage - den Unterscheidungsmerkmalen zwischen der allgemeinen und der örtlichen Sicherheitspolizei kaum ausreichend Rechnung. (vgl. in diesem Sinne ua Wiederin, Sicherheitspolizeirecht, Rz. 113; Weber/Schlag, Sicherheitspolizei und Föderalismus [1995], 79).

Selbst wenn man dem vom Verfassungsgerichtshof in

seinem sog. 'Landstreicherei-Erkenntnis' verfolgten Ansatz folgen möchte, ist dessen Übertragung auf andere Phänomene, die einer Regelung im Rahmen der örtlichen Sicherheitspolizei unterworfen werden, alles andere als zwingend. Der Landstreicherei ist nämlich - gerade auch im Gegensatz zur hier in Rede stehenden Bettelei - das Merkmal des Umherziehens, das einen eher überörtlichen Charakter dieser Angelegenheit nahe legen mag, immanent. Davon sind aber Konstellationen zu unterscheiden, in denen - wie hier - örtlich in Erscheinung tretende Missstände in mehreren Gemeinden auftreten. Ein bloßes regional, national oder gar europaweit gehäuftes Auftreten eines Problems vermag aber angesichts des von Verfassung wegen vorgegebenen abstrakten Beurteilungsmaßstabs an der kompetenzrechtlichen Zugehörigkeit der Regelung dieser Angelegenheit zur örtlichen Sicherheitspolizei nichts zu ändern.

Schließlich ist auch das zweite Kriterium, die Eignung, durch de Gemeinschaft innerhalb ihrer Grenzen besorgt zu werden, im vorliegenden Fall gegeben. So lässt schon ein Vergleich mit den von der Gemeinde noch Art 118 Abs 3 B-VG jedenfalls im Rahmen des eigenen Wirkungsbereichs zu besorgenden Aufgaben (wie etwa jenen der Straßenprostitution als Angelegenheit der Sittlichkeitspolizei, die im Hinblick auf die örtlichen Interessen der Gemeinde mit der Bettelei vergleichbar ist) nicht erkennen, warum die Gemeinde, wenn ihr diese Vollzugsaufgaben zugemutet werden, nicht auch jene in Bezug auf die örtlich in Erscheinung tretende Bettelei bewältigen kann. Vielmehr legt es der Umstand, dass dieser Aufgabenkatalog ausweislich der EBRV (638 BlgNR 9. GP) unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Praxis sowie unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass die Gemeinde alle diejenigen Aufgaben zu erfüllen hat, die sie als unterste Zusammenfassung der Staatsbürger auf territorialer Grundlage und angesichts des lokalen Charakters dieser Aufgaben am besten und einfachsten durchzuführen in der Lage ist, erstellt wurde, nahe, die Eignung der Aufgabenbesorgung auf örtlicher Ebene auch in Bezug auf die Bettelei anzunehmen.

Aus allen diesen Gründen ist die Tiroler

Landesregierung der Ansicht, dass landesgesetzliche Bestimmungen über die Bettelei auf den Kompetenztatbestand der örtlichen Sicherheitspolizei gestützt werden können.

[...]

3. Sollte der Verfassungsgerichtshof die Ansicht,

dass der Landesgesetzgeber Regelungen betreffend die Bettelei im Rahmen seiner Kompetenz zur Regelung der örtlichen Sicherheitspolizei erlassen kann, nicht teilen, so kann dessen Zuständigkeit nach Auffassung der Tiroler Landesregierung auch unter Rückgriff auf die Kompetenz zur Regelung der Sittlichkeitspolizei (Art118 Abs 3 Z. 8 B - VG) begründet werden.

Der Tatbestand des Bettelns wurde im Strafgesetz von 1852 als Übertretung gegen die öffentliche Sittlichkeit (XIII. Hauptstück) geregelt. Auch der OGH bekräftigte in seinem Urteil vom , 5 Os 90/54, dass der Bettel als Handlung gegen die öffentliche Sittlichkeit zu qualifizieren sei, Diese Einordnung, die sowohl vom seinerzeitigen Strafgesetzgeber als auch vom OGH getroffen wurde, spricht dafür, dass der Landesgesetzgeber zur Regelung dieser Materie (auch) aufgrund des Kompetenztatbestandes der Sittlichkeitspolizei zuständig ist. Wenn in den einzelnen Anträgen in diesem Zusammenhang auf das zuvor bereits erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes verwiesen wird, mit dem landesgesetzliche Bestimmungen gegen die Landstreicherei als kompetenzwidrig aufgehoben wurden (VfSlg. 11.195/1986), so ist darauf hinzuweisen, dass dieses in Bezug auf die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers zur Erlassung von Bestimmungen über die Bettelei unter dem Gesichtspunkt der Sittlichkeitspolizei nichts aussagt. Die Frage, ob die Erlassung von Bestimmungen über die Bettelei auf den Kompetenztatbestand der Sittlichkeitspolizei gestützt werden kann, hat der Verfassungsgerichtshof in diesem Erkenntnis nämlich ausdrücklich offen gelassen.

Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang auch auf die Unterschiedlichkeit der beiden Angelegenheiten hinzuweisen, die einer Übertragung der vom Verfassungsgerichtshof in diesem Erkenntnis zur Frage, ob Bestimmungen über die Landstreicherei im Rahmen der Regelung der Sittlichkeitspolizei erfolgen können, angestellten Überlegungen auf die hier in Rede stehende Bettelei entgegenstehen. Zum Einen hält der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 11.195/1986 fest, dass im zitierten Hauptstück des Strafgesetzes über die Übertretungen gegen die öffentliche Sittlichkeit zwar der Tatbestand des Bettelns enthalten war, eine Strafbestimmung gegen die Landstreicherei im zitierten Hauptstück jedoch nicht eingeschlossen war. Weiters betont der Verfassungsgerichthof [...] explizit die unterschiedliche Natur der Landstreicherei und der Bettelei, die sich ferner aus dem ergibt. Darin hielt der OGH fest, dass die Tatbestände der §§1 (Landstreicherei) und 5 (Betteln) des Landstreichereigesetzes 1885 jeweils durchaus selbständige Verhaltensweisen mit unterschiedlichem Unwert erfassen. In einem weiteren Erkenntnis zum Landstreichereigesetz (; 12 Os 167/73; 9 Os 47/74) hielt der OGH fest:

'Der Begriff des 'Umherziehens' ist auf ein zielloses und zweckloses Herumtreiben eingeschränkt. Werden mit dem Herumstreichen andere sozialschädliche Zwecke verbunden, wie zB Bettelei, Prostitution usw, so kommt § 1 LandstreicherG nicht zur Anwendung.' Aus diesen Urteilen geht der unterschiedliche Charakter der Tatbestände der Landstreicherei und der Bettelei klar hervor.

Aufgrund der Tatsache, dass die Bettelei im Verhältnis zur Landstreicherei ein 'aliud' darstellt und eben (nur) die Bettelei im zitierten Hauptstück des StG über Übertretungen gegen die öffentliche Sittlichkeit enthalten war, vertritt die Tiroler Landesregierung die Auffassung, dass die diese Materie regelnden Bestimmungen auch auf den Kompetenztatbestand der Sittlichkeitspolizei gestützt werden können." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

4.5. In dem vom Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst - nach Einholung einer Stellungnahme der Bundesministerin für Inneres - übermittelten Schreiben heißt es ua. wörtlich:

"2. Zur örtlichen Sicherheitspolizei im Besonderen

2.1. Zur räumlichen Dimension der örtlichen Sicherheitspolizei

Ein Kernsatz des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 11.195/1986, womit das in § 3a des Salzburger Landespolizeistrafgesetzes, LGBl. Nr. 58/1975, enthaltene Verbot der Landstreicherei als verfassungs-, näherhin kompetenzwidrig (ausführlich Grussmann, Landstreicher und Bundesverfassung, ZfV 1988, 210ff) aufgehoben wurde, besagt mit Blick auf die Pönalisierung der Landstreicherei:

'Die beabsichtigte Gefahrenabwehr hat den Schutz von allgemeine Bedeutung besitzenden und nicht nur den örtlichen Verhältnissen zuzuordnenden Rechtsgütern zum Ziel, deren Beeinträchtigung mit den lokalen Verhältnissen offenkundig weder in sachlicher noch in persönlicher Hinsicht notwendig verknüpft ist.' Man wird diesen Satz so zu deuten haben, dass der Schutz von allgemeine Bedeutung besitzenden Rechtsgütern für die Zuordnung zur allgemeinen Sicherheitspolizei, hingegen der Schutz von 'nur den örtlichen Verhältnissen zuzuordnenden Rechtsgütern' sowie der Schutz vor 'in sachlicher oder in persönlicher Hinsicht mit den lokalen Verhältnissen notwendig verknüpften Beeinträchtigungen' für die Zuordnung zur örtlichen Sicherheitspolizei spricht.

So stellten für das Vorliegen örtlicher Sicherheitspolizei und damit für die Bejahung der Frage, ob 'das Interesse der Gemeinde zunächst berührt' wird, einige Erkenntnisse darauf ab, ob 'räumliche Grundlage des geschützten Interesses nur das Gemeindegebiet oder ein Teil desselben ist' (VfSlg. 3570/1959 unter Verweis auf Adamovich, Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechtes I [1954] 103).

Eine etwas andere Ausdeutung findet sich in der Heranziehung des Kriteriums des 'überregionalen Auftretens'. So hat der Verfassungsgerichtshof die Abwehr von Hausbesetzungsaktionen (VfSlg. 9653/1983) ua. mit dem Argument aus der örtlichen Sicherheitspolizei ausgeklammert, diese 'treten erfahrungsgemäß überregional in Erscheinung'. Dasselbe Argument klingt in VfSlg. 11.195/1986 an, wenn erwogen wird, dass 'es sich bei der Landstreicherei um ein Problem handelt, das europaweit besteht'. Dieser Gesichtspunkt kann aber gewiss nicht als Ausschlusskriterium verselbständigt werden, sondern erscheint nur als Maßstab für das Kriterium der Beherrschbarkeit durch die Gemeinde, also der Eignung der Angelegenheit zur Besorgung durch die Gemeinde innerhalb ihrer örtlichen Grenzen, berechtigt. Wie weit ein Problem verbreitet ist, hat mit der Frage, in wessen Interesse (hier: der örtlichen Gemeinschaft) seine Lösung gelegen ist, keinen erkennbaren näheren Zusammenhang (vgl. zB oa. VfSlg. 17.559/2005 zur Zuordnung von Bedürfnissen und Wünschen der Touristen zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde).

2.2. Bettelei zwischen Anstandsverletzung und ungebührlicher Lärmerregung

Im Fall der Bettelei fiele es in der Tat schwer, 'nur den örtlichen Verhältnissen zuzuordnende Rechtsgüter' oder 'mit den lokalen Verhältnissen notwendig verknüpfte Beeinträchtigungen' im Sinne der vorstehend erörterten Formulierungen des Erkenntnisses VfSlg. 11.195/1986 zu identifizieren.

In diesen Formulierungen kann aber schwerlich eine abschließende Umschreibung der Angelegenheiten gesehen werden, die 'das Interesse der Gemeinde zunächst berühren'.

Hier erscheint ein in dem in Rede stehenden

Erkenntnis nur gestreifter Gesichtspunkt von Belang: Der Verfassungsgesetzgeber hat mit der Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1974 beispielhaft auch die Wahrung des öffentlichen Anstandes und die Abwehr ungebührlicherweise hervorgerufenen störenden Lärmes in die Umschreibung der örtlichen Sicherheitspolizei einbezogen; dies, ausweislich der Erläuterungen der zugrundeliegenden Regierungsvorlage (182 BlgNR XIII. GP), da es sich 'in der Regel um geringfügige Angelegenheiten handelt', die der Verfassungsgesetzgeber - wie der Verfassungsgerichtshof im in Rede stehenden Erkenntnis formuliert - in ihrer Bedeutung so einschätzte, dass sie von den Gemeinden als Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei im eigenen Wirkungsbereich besorgt werden können.

Dass Bettelei als solche in jedem Fall eine Anstandsverletzung sei, wird nicht gesagt werden können. Nach einer etablierten Umschreibung (VfSlg. 10.070/1985 und 15128/1998 unter Hinweis auf VwSlg. 7308/A, 8007/A, 11.077/A ua.) ist eine Verletzung des öffentlichen Anstandes jedes Verhalten in der Öffentlichkeit, das mit den allgemein anerkannten Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen die Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat.

Zwischen den Angelegenheiten der Wahrung des

öffentlichen Anstandes und der Abwehr ungebührlicherweise hervorgerufenen störenden Lärmes einerseits und der Bettelei bestehen aber jedenfalls offensichtliche Gemeinsamkeiten - jeweils handelt es sich um (öffentlich in Erscheinung tretendes) menschliches Verhalten, das von anderen Menschen als störend wahrgenommen und (wie in den Wertbegriffen 'Anstand' und 'ungebührlich' zum Ausdruck kommt) missbilligt wird, dessen Auswirkungen aber örtlich begrenzt und verhältnismäßig gering sind. Letzteres leuchtet zumindest für passives Betteln leicht ein."

Auf das Wesentliche zusammengefasst, kommt das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst schließlich zu dem Ergebnis, "dass die Bettelei jedenfalls das Interesse der Gemeinde berührt, räumliche Grundlage des geschützten Interesses jeweils nur ein Teil eines bestimmten Gemeindegebietes ist und die Gemeinde die Angelegenheit innerhalb ihrer Grenzen durch eigene Kräfte besorgen kann". Unter Bezug auf näher wiedergegebene Quellen geht auch das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst davon aus, dass Regelungen gegen unerwünschte Erscheinungsformen der Bettelei der örtlichen Sicherheitspolizei zuzuordnen sind.

5. In der mündlichen Verhandlung vom erneuerten die Verfahrensparteien im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen; insbesondere wurden die vom Verfassungsgerichtshof zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen mit den Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofes erörtert.

II. Erwägungen

1. Prozessvoraussetzungen

Gemäß Art 140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen auch auf Antrag eines Drittels der Mitglieder des Landtages, sofern dies durch ein Landesverfassungsgesetz bestimmt ist. Art 40 Abs 1 Oö. Landes-Verfassungsgesetz, LGBl. 122/1991, idgF sieht ein solches Antragsrecht vor.

Die einschreitenden 19 Mitglieder des Landtages verkörpern mehr als ein Drittel der 56 Mitglieder des Landtages (Art16 Abs 1 Oö. Landes-Verfassungsgesetz). Daher ist die in Art 140 Abs 1 dritter Satz B-VG normierte Antragsvoraussetzung gegeben.

Wenn die antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages - nach Wiedergabe der am in Kraft getretenen Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle 2011, LGBl. 36, - in ihrem Antrag die Aufhebung einzelner Bestimmungen begehren, ohne diese neuerlich präzise zu bezeichnen, genügt dies im gegebenen Zusammenhang dem Erfordernis der genauen Bezeichnung der angefochtenen Regelungen.

Auch ist der Verfassungsgerichtshof - anders als die Oö. Landesregierung - der Auffassung, dass ein untrennbarer Zusammenhang nicht schon dann anzunehmen ist, wenn wegen einer allfälligen Aufhebung des angefochtenen Grundtatbestandes des § 1a Oö. Polizeistrafgesetzes eine Verweisung in § 1b Oö. Polizeistrafgesetz ins Leere ginge (vgl. zum hier nicht vorliegenden unzulässigen Anfechtungsumfang etwa VfSlg. 15.935/2000 mwH).

Der Antrag ist daher zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof erinnert eingangs

daran, dass er sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken hat (vgl. VfSlg. 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtenen Bestimmungen aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig sind (VfSlg. 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Zu den kompetenzrechtlichen Bedenken:

Die Bedenken der antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages gehen zunächst - zusammengefasst - dahin, dass die angefochtenen Bestimmungen, insbesondere der Grundtatbestand in § 1a Oö. Polizeistrafgesetz betreffend das Bettelverbot, kompetenzwidrig und damit verfassungswidrig seien.

2.2.1. Das Strafgesetz 1852, RGBl. 117, (im Folgenden: StG 1852) regelte den Tatbestand der Bettelei unter dem Titel "Von Vergehen und Übertretungen gegen die öffentliche Sittlichkeit". Laut § 517 dieses Gesetzes war die "Vorkehrung gegen das Betteln" eine Angelegenheit der Ortspolizei. Das Betteln wurde aber zu einer Übertretung nach dem StG 1852, "wenn bei bestehenden Versorgungsanstalten eine mehrmalige Betretung, Hang zum Müssiggange und Fruchtlosigkeit der geschehenen Abmahnung oder ersten Bestrafung bezeugt." In den an § 517 StG 1852 anschließenden Bestimmungen wurde sodann Betteln in besonderen Erscheinungsformen, etwa "Betteln mit verstellten körperlichen Gebrechen", "Betteln der Kinder" oder "Herleihen der Kinder zum Betteln" unter Strafe gestellt. Mit § 2 des Gesetzes vom 24. Mai 1885, RGBl. 89, womit "strafrechtliche Bestimmungen in Betreff der Zulässigkeit der Anhaltung in Zwangsarbeits- und Besserungsanstalten" getroffen wurden, wurden die bis dahin geltenden Bestimmungen des StG 1852 zur Gänze ersetzt. Die ab diesem Zeitpunkt geltende Bestimmung lautete:

"Wegen Bettelns ist zu bestrafen:

1. Wer an öffentlichen Orten oder von Haus zu Haus bettelt oder aus Arbeitsscheu die öffentliche Mildtätigkeit in Anspruch nimmt.

2. Wer Unmündige zum Betteln verleitet, ausschickt oder Anderen überlässt. [...]"

Mit dieser Neuregelung der Bettelei hat sich an deren Zuordnung zum Strafrecht nichts geändert.

Im Rahmen der Strafrechtsnovelle durch das Strafrechtsanpassungsgesetz 1974, BGBl. 422, wurde in Artikel XI Abs 2 Z 8 das Gesetz RGBl. 89/1885 mit Ablauf des aufgehoben. Ab diesem Zeitpunkt war die Bettelei somit kein gerichtlicher Straftatbestand mehr. Den Materialien zur Aufhebung des Gesetzes RGBl. 89/1885 ist zu entnehmen, dass der Justizausschuss der Ansicht sei, dass "bloße Ordnungswidrigkeiten sowie Gefährdungsdelikte geringen Unrechtsgehalts zumal dann, wenn ihre Verfolgung im engen Zusammenhang mit einer Verwaltungstätigkeit steht, der verwaltungsbehördlichen Ahndung vorbehalten werden soll. Die gesamte Materie wird in Hinkunft unter Bedachtnahme sowohl auf sanitätspolizeiliche als auch auf sicherheitspolizeiliche Gesichtspunkte durch Bundesgesetze geregelt werden" (JAB 1236 BlgNR 13. GP, 4).

Im Rahmen der EGVG-Novelle 1975 wurde - wie bereits zum Zeitpunkt der Aufhebung des Straftatbestandes angekündigt - vorerst in Aussicht genommen, die Bettelei bei Verwaltungsstrafe zu verbieten, da dies zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig wäre. In den Beilagen zur Regierungsvorlage (RV 438 BlgNR 14. GP, 5 ff.) wurde eingehend auf die Frage der Abgrenzung zwischen der allgemeinen und der örtlichen Sicherheitspolizei eingegangen. Zu einer Verwirklichung der noch im Entwurf der EGVG-Novelle 1975 intendierten bundesgesetzlichen Regelung als eine Angelegenheit der allgemeinen Sicherheitspolizei kam es nicht.

2.2.2. Nach der Kompetenzverteilung des B-VG ist - bereits seit BGBl. 392/1929 - die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit ausgenommen die örtliche Sicherheitspolizei (seit Erlassung des Sicherheitspolizeigesetzes 1991, BGBl. 566, nunmehr: "die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, einschließlich der ersten allgemeinen Hilfeleistung, mit Ausnahme der örtlichen Sicherheitspolizei") gemäß Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG Aufgabe des Bundesgesetzgebers. Die Bekämpfung allgemeiner Gefahren ist dem Kompetenztatbestand Sicherheitspolizei zuzuordnen, wobei unter allgemeine Gefahren all jene fallen, die nur der Verwaltungsmaterie Sicherheitspolizei, sonst aber keiner anderen Materie zugeordnet werden können. Gegen besondere Gefahren gerichtete Maßnahmen des Staates fallen demgegenüber unter den Begriff der Verwaltungspolizei. Alle Polizei, die nicht Verwaltungspolizei ist, ist daher Sicherheitspolizei (VfSlg. 3201/1957, 3650/1959). Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG als die die allgemeine Sicherheitspolizei regelnde Bestimmung hat es für den Verwaltungsbereich der Bettelei keine explizite Bundeskompetenz gegeben. Aus dem Umstand, dass das Verbot der Bettelei als Straftatbestand bis zum Inkrafttreten des Strafrechtsanpassungsgesetzes 1974 strafrechtsbewehrt war, lässt sich für die kompetenzrechtliche Zuordnung der "Bettelei" nichts gewinnen; insbesondere kann daraus nicht automatisch geschlossen werden, dass jedwede Regelung zur Hintanhaltung der Bettelei in die Zuständigkeit des Bundes fallen müsste. Insofern scheint es erklärbar, dass der im Entwurf einer EGVG Novelle 1975 enthaltene generelle Verwaltungsstraftatbestand im Zuge der Beratungen dazu ausfiel.

Gemäß Art 15 Abs 2 B-VG fallen Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Der Begriff der örtlichen Sicherheitspolizei wird dabei unter Anknüpfung an den allgemeinen Sicherheitspolizeibegriff nach Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG sowie unter Anknüpfung an die Kriterien des Interesses und der Eignung im Sinne des Art 118 Abs 2 B-VG definiert. Durch die Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1974, BGBl. 444, (im Folgenden: B-VG-Novelle 1974) wurde die örtliche Sicherheitspolizei in Art 15 Abs 2 B-VG dahingehend neu gefasst, dass auch damit Angelegenheiten wie beispielhaft die Wahrung des öffentlichen Anstandes erfasst werden, die bis dahin als Angelegenheit der allgemeinen Sicherheitspolizei angesehen wurden.

Zwischen der allgemeinen, in den Kompetenzbereich des Bundes fallenden, und der örtlichen, in den Kompetenzbereich der Länder fallenden Sicherheitspolizei, besteht kein Unterschied grundsätzlicher Natur; die Abgrenzung zwischen allgemeiner und örtlicher Sicherheitspolizei wird verfassungsrechtlich nach den selben Kriterien vorgenommen wie nach jenen, durch die der eigene Wirkungsbereich der Gemeinden bestimmt wird. Es kommt im zweiten Fall primär darauf an, ob es um Angelegenheiten der Sicherheitspolizei geht, die "das Interesse der Gemeinde berühr[en]" und "ob räumliche Grundlage des geschützten Interesses nur das Gemeindegebiet oder ein Teil davon ist", und schließlich, "ob die Gemeinde die Angelegenheit innerhalb ihrer Grenzen durch eigene Kräfte besorgen kann" (VfSlg. 9653/1983 mwN).

Gemäß Art 15 Abs 2 B-VG ist jener Teil der Sicherheitspolizei, "der im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden, wie die Wahrung des öffentlichen Anstandes und die Abwehr ungebührlicher Weise hervorgerufenen störenden Lärmes", Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei.

Da die B-VG-Novelle 1974 mit ihrer Neufassung des Art 15 Abs 2 B-VG den Begriff der örtlichen Sicherheitspolizei weiter konkretisierte und die Wahrung des öffentlichen Anstandes und die Abwehr ungebührlicher Weise hervorgerufenen störenden Lärmes zusätzlich ausdrücklich erfasste, hat sich die Zuständigkeit der Länder zur Gesetzgebung und Vollziehung als Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei im Ergebnis erweitert:

In der Entscheidung VfSlg. 8159/1977 stellte der Verfassungsgerichtshof in Bezug auf eine behauptete umfassende Kompetenzerweiterung der Länder allerdings fest, dass, insofern eine solche vorläge, diese eng auszulegen sei:

"Nach der Neufassung des Art 15 Abs 2 B-VG durch die B-VG-Nov. 1974, BGBI. 444/1974, ist die Wahrung des öffentlichen Anstandes nach ArtVIII Abs 1 lita zweiter Tatbestand und die Abwehr ungebührlicherweise hervorgerufenen Lärms nach ArtVIII Abs 1 lita dritter Tatbestand EGVG i.d.F. vor der Novelle BGBl. 232/1977 nunmehr eine Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei, die in Gesetzgebung und Vollziehung in die Zuständigkeit der Länder fällt.

Für den ersten Tatbestand nach ArtVIII Abs 1 lita

(Störung der Ordnung an öffentlichen Orten) und für die Tatbestände nach ArtVIII Abs 1 litb EGVG (nach der Novelle BGBl. 232/1977: ArtIX Abs 1 Z. 1 und 2) ist eine Änderung der Kompetenzrechtslage durch die B-VG-Nov. 1974 (Zugehörigkeit zum Kompetenztatbestand 'Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit' gemäß Art 10 Abs 1 Z. 7 B-VG) nicht eingetreten (vgl. Slg. 7697/1975)."

Die Anwendung der Kriterien des eigenen

Wirkungsbereiches der Gemeinde zur Abgrenzung der Zuständigkeiten (VfSlg. 8155/1977) ergibt, dass Maßnahmen zum Schutz von "nur den örtlichen Verhältnissen zuzuordnenden Rechtsgütern" sowie zum Schutz vor "in sachlicher [sowie] in persönlicher Hinsicht" mit den lokalen Verhältnissen notwendig verknüpften Beeinträchtigungen für die Zuordnung zur Zuständigkeit der örtlichen Sicherheitspolizei sprechen (VfSlg. 11.195/1986).

2.2.3. Wenn nun die antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes betreffend Landstreicherei, VfSlg. 11.195/1986, als Beleg dafür anführen, dass es sich bei Regelungen gegen die Bettelei um eine Gefahrenabwehr handelt, die - gleich der Wertung im Erkenntnis zur Landstreicherei - den Schutz der Allgemeinheit in den Vordergrund stellt, verkennen sie, dass im zitierten Erkenntnis der Verfassungsgerichtshof, damals der Ansicht der Salzburger Landesregierung entgegentretend, die Auffassung vertrat, dass Landstreicherei und Bettelei gerade nicht als gleichartig zu betrachten sind; er betonte sogar, dass - auch historisch betrachtet - Landstreicherei und Betteln jeweils als "durchaus selbständige Verhaltensweisen mit unterschiedlichem Unwert" durch unterschiedliche Regelungen erfasst wurden. Der Verfassungsgerichtshof wies damals - handelte es sich in diesem Erkenntnis doch bloß um die Frage der Landstreicherei - ergänzend darauf hin, dass die Frage, ob "Verwaltungsregelungen, die gegen eine solche Verhaltensweise [Anm. Bettelei] gerichtet sind, heute dem Kompetenztatbestand der Sittlichkeitspolizei nach Art 118 Abs 3 Z 8 B-VG zuzuordnen wären", zum damaligen Zeitpunkt nicht zu erörtern wäre. Aus diesem Erkenntnis ist daher für die Frage, wer zur Erlassung von Maßnahmen betreffend die Bettelei zuständig ist, nichts zu gewinnen.

2.2.4. Der angefochtene § 1a Oö. Polizeistrafgesetz normiert, dass jemand eine Verwaltungsübertretung begeht, der "in aufdringlicher oder aggressiver Weise, wie durch Anfassen oder unaufgefordertes Begleiten oder Beschimpfen, um Geld oder geldwerte Sachen an einem öffentlichen Ort bettelt oder von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus umherzieht, um so zu betteln oder als Beteiligter einer organisierten Gruppe in dieser Weise bettelt". Die Abs 2 und 3 normieren spezielle zusätzliche Verbotstatbestände, insbesondere das Verbot, Kinder mitzuführen; Abs 4 normiert, dass auch der Versuch strafbar ist.

Mit der angefochtenen Bestimmung werden also

bestimmte Erscheinungsformen der Bettelei vom landesgesetzlichen Verbot erfasst, zumal die pönalisierten Verhaltensweisen - anders als die stille Bettelei - als im besonderen Maße geeignet erachtet werden, das örtliche Zusammenleben zu stören. Es ist der - auch in den Erläuternden Bemerkungen zur Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle (Beilage 317/2011 zu den Wortprotokollen des Oö. Landtages, 27. GP) zum Ausdruck kommenden - Analyse zuzustimmen, dass die Neuregelungen neben dem Schutz der zum Betteln Angehaltenen auch die von den Bettlern durch deren besonderes Verhalten bedrängten Mitglieder der örtlichen Gemeinschaft schützen sollen.

Selbst wenn diese Erscheinungsformen des Bettelns überregional verbreitet sind, was wohl nicht zu bestreiten ist, kann daraus mit Blick auf Art 15 Abs 2 B-VG und Art 118 Abs 2 B-VG für die Frage, in wessen Interesse diese Regelungen liegen, nichts gewonnen werden:

Denn allein der Umstand, dass eine Gefahr, der zu begegnen der örtlichen Sicherheitspolizei obliegt, auch an anderen Orten auftreten kann und auch auftritt, kann nicht dazu führen, dass damit automatisch eine Subsumtion zur Materie "örtliche Sicherheitspolizei" ausscheidet.

Voraussetzung für die Zuständigkeit der Länder gemäß Art 15 Abs 2 B-VG zur Erlassung von Maßnahmen gegen die Bettelei ist, dass die Bekämpfung dieser Formen der Bettelei das Interesse der Gemeinden berührt und dass die Gemeinden die Angelegenheit innerhalb ihrer Grenzen durch eigene Kräfte besorgen können (VfSlg. 9653/1983).

Wenngleich die Behauptung, dass Regelungen gegen die Bettelei bloß im ausschließlichen Interesse der Gemeinde lägen, wohl zu verneinen ist, ist ein überwiegendes Interesse der örtlichen Gemeinschaft zu bejahen, treffen doch die Folgen der Nichtregelung der Bettelei vorrangig bloß diese. Von der Befähigung der Gemeinden, Maßnahmen zur Bekämpfung der Bettelei zu normieren, kann ausgegangen werden. Dafür spricht auch, dass die Zuordnung durchaus vergleichbarer Aufgaben, wie etwa der örtlichen Straßenpolizei oder der örtlichen Veranstaltungspolizei, gemäß Art 118 Abs 3 B-VG von der Überzeugung getragen ist, dass hiefür die Gemeinden besonders befähigt sind.

Hiezu kommt, dass Regelungen bestimmter, bei den Zielpersonen als besonders bedrängende Form des Bettelns wahrgenommener Verhaltensweisen jedenfalls auch noch der Wahrung des öffentlichen Anstandes iSd Art 15 Abs 2 B-VG dienen, sodass diesbezüglich jedenfalls die Zuständigkeit des Bundes zur Regelung unter den Kompetenztatbestand der allgemeinen Sicherheitspolizei auszuschließen ist.

Wenn der Oö. Landesgesetzgeber davon ausgeht, dass Regelungen bestimmter Formen der Bettelei als überwiegend im Interesse der örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind von dieser besorgt zu werden, und daher die Zuständigkeit der "örtlichen Sicherheitspolizei" vorliegt, ist dies verfassungsrechtlich zutreffend.

Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, dass es dem Landesgesetzgeber zusteht, Regelungen betreffend unerwünschte Erscheinungsformen der Bettelei auf Basis des Kompetenztatbestandes des Art 15 Abs 2 B-VG als Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei zu erlassen. Jedenfalls handelt es sich bei Regelungen, die spezifische die örtliche Gemeinschaft störende Formen der Bettelei verbieten, um keine Angelegenheit, die - von Angelegenheiten des Strafrechtswesens iSd Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG abgesehen - der Bundesgesetzgeber zu regeln befugt ist.

2.3. Im Weiteren beanstanden die antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages eine Verletzung des Bestimmtheitsgebotes, des Übermaßverbotes und des Gemeindeamts-, Stadtamts- und Magistratsvorbehaltes.

2.3.1. Zum behaupteten Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot:

Die antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages vertreten die Auffassung, dass gemäß Art 18 Abs 1 B-VG und Art 7 Abs 1 EMRK insbesondere für das Verwaltungsstrafrecht ein Bestimmtheitsgebot gelte, dem der Gesetzestext des § 1a Abs 1 bis 3 Oö. Polizeistrafgesetz nicht entspreche. Diesem fehle eine klare Umschreibung des Tatbildes, und für niemanden sei die Grenze präzise absehbar, unter welchen Voraussetzungen Bettelverhalten strafbar sei und unter welchen Voraussetzungen nicht. Nach Anführung mehrerer Beispiele und unter Berufung auf die beigelegten Gutachten wird schließlich die Auffassung vertreten, dass insbesondere durch den in § 1a Abs 4

Oö. Polizeistrafgesetz als strafbar festgelegten "Versuch" die Bestimmungen derart unpräzise würden, dass sie den gebotenen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht entsprächen. Schließlich wird noch darauf hingewiesen, dass in einem der beigelegten Gutachten diese Formulierungen des Gesetzes als "Einladung zu einer unsachlichen bzw. willkürlichen Gesetzesanwendung" zu verstehen seien.

Zutreffend ist, dass aus Art 18 Abs 1 B-VG und aus dem - auch für das Verwaltungsstrafrecht geltenden - Gebot des Art 7 Abs 1 EMRK erfließt, dass der Gesetzgeber ausreichend bestimmte Regelungen zu erlassen hat und dass es dem Einzelnen möglich sein muss, sein Verhalten am Gesetz zu orientieren (vgl. dazu etwa VfSlg. 18.516/2008 mwH). Nach der Judikatur sowohl des EGMR als auch des Verfassungsgerichtshofes ist diese Bedingung dann erfüllt, wenn der Einzelne aus dem Wortlaut der maßgeblichen Bestimmung erkennen kann, erforderlichenfalls aber auch mit Hilfe der Auslegung dieser Bestimmung durch Gerichte, welche Handlungen und Unterlassungen ihn strafbar werden lassen (EGMR , Fall Kokkinakis, Appl. 14.307/88, Z 52; VfSlg. 18.516/2008).

Nicht anders als bei Landesgesetzen, die eine Verletzung des öffentlichen Anstandes dann sanktionieren, wenn ein grober Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt (§1 Abs 2 Oö. Polizeistrafgesetz, vgl. idZ auch VfSlg. 11.776/1988), ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass nach den obgenannten Kriterien diese Straftatbestände einer Auslegung zugänglich sind. Die Regelung des Verbotes des aufdringlichen oder aggressiven Bettelns an öffentlichen Orten oder von Tür zu Tür zielt darauf ab, eine besonders aktive, insistierende Form des Bettelns zu verbieten, nicht aber stille Formen des Bettelns zu erfassen. Auch der Umstand, dass der Gesetzgeber das Betteln in § 1a Abs 1 bis 3 Oö. Polizeistrafgesetz im Rahmen einer organisierten Gruppe oder das Veranlassen anderer zum Betteln, das Organisieren von Betteln oder das Mitführen von unmündigen Minderjährigen beim Betteln als Verwaltungsübertretung normiert, macht deutlich, dass es dem Gesetzgeber nicht darum ging, den bloßen Anblick der Bettler als den Passanten nicht zumutbare Belästigung zu "ersparen", sondern entsprechende Beschränkungen vorzusehen, um problematische Teilaspekte des Phänomens Bettelei zurückzudrängen.

An dieser Beurteilung ändert auch nichts, dass die angefochtenen Bestimmungen teilweise sprachlich misslungen sind, zumal die Regelungen des § 1a Abs 2 und 3

Oö. Polizeistrafgesetz (restriktiv) so zu verstehen sind, dass jedenfalls nur auf die in Abs 1 genannten Bettelmodalitäten in den dort genannten Begehungsformen (nämlich in aufdringlicher oder aggressiver Weise, wie durch Anfassen oder unaufgefordertes Begleiten oder Beschimpfen, an einem öffentlichen Ort oder von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus oder als Beteiligter einer organisierten Gruppe) abgestellt wird. Die Formulierungen "in welcher Form auch immer" in Abs 2 und Abs 3 leg. cit. sind - vor dem Hintergrund, dass strafgesetzliche Bestimmungen nicht erweiternd ausgelegt werden dürfen (vgl. VfSlg. 8695/1979) - jedenfalls so zu verstehen, dass sie nicht jedwede Bettelmodalität (aufdringliches, aggressives, aktives, stilles Betteln) erfassen, sondern allein auf die Begehungsformen des § 1a Abs 1 Oö. Polizeistrafgesetz abstellen. Sohin normieren die Abs 2 und 3 leg. cit. gegenüber Abs 1 bloß spezielle Straftatbestände, die der Landesgesetzgeber als - wohl mit Blick auf den Unrechtsgehalt - hervorhebenswert erachtet, nämlich den "Missbrauch" von Kindern zur Bettelei und die Organisation der Bettelei. Ein darüber hinausgehender Regelungsgehalt - wie etwa ein Verbot der stillen Bettelei - ist diesem Verwaltungsstraftatbestand nicht zusinnbar. Auch die Vorverlagerung der Strafbarkeit durch die Versuchsregelung des § 1a Abs 4 Oö. Polizeistrafgesetz ändert an der Bestimmtheit der Regelungen nichts.

Die angefochtenen Regelungen verstoßen daher nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

2.3.2. Zu den behaupteten Verstößen gegen

Grundrechte:

Die antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages behaupten - unter Hinweis auf beigelegte Rechtsgutachten -, dass die angefochtenen Verwaltungsstraftatbestände "unverhältnismäßige und verfassungswidrige Beschränkungen der Grundrechte der Achtung des Privatlebens (Art10 EMRK [gemeint wohl: Art 8 EMRK]), der Erwerbsfreiheit (Art6 StGG), des Verbots erniedrigender Behandlung (Art3 EMRK) und des Gleichheitssatzes (Art7 B-VG, Art 14 EMRK)" wären.

Demgegenüber bestreitet - auf das Wesentliche zusammengefasst - die Oö. Landesregierung eine Verletzung der genannten Grundrechte, insbesondere mit dem Argument, dass es sich um differenzierte Regelungen gegen näher bestimmte Erscheinungsformen der Bettelei handle und nicht um das Verbot der Bettelei schlechthin. Eingangs bestreitet sie jedoch in ihrer Äußerung, dass eine Verletzung des Art 6 StGG und Art 3 EMRK überhaupt in Betracht kommen könne, da die Bettelei nicht von dem Schutzbereich der genannten Verfassungsnormen erfasst sei, bejaht aber schließlich die Anwendbarkeit des Art 8 EMRK auf die Bettelei. Die Regelungen seien jedoch - da kein allgemeines undifferenziertes Bettelverbot verhängt wurde - weder überschießend noch unsachlich.

Im Ergebnis teilt der Verfassungsgerichtshof die Auffassung der Oö. Landesregierung:

2.3.2.1. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht

finden, dass - und davon gehen die antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages aus - die Bettelei, in welcher Form auch immer, ein durch Art 6 StGG geschützter Erwerbszweig ist. Es ist nicht zu bestreiten, dass die Bettelei eine Methode darstellen kann, um sich als Bedürftiger eine fortlaufende Einnahmequelle zu erschließen, doch genügt weder die Intention noch das Ergebnis der Tätigkeit der Bettelei, um den grundrechtlichen Schutz als Erwerbszweig zu erlangen. Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, dass jedwede Form der Bettelei keinen Beruf und keine in den Schutzbereich von Art 6 StGG fallende Erwerbstätigkeit darstellt (siehe grundsätzlich zu Art 6 StGG etwa VfSlg. 11.749/1988 mwH).

2.3.2.2. Zum behaupteten Verstoß gegen Art 8 EMRK ist Folgendes festzustellen:

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes lässt sich nach der Rechtsprechung des EGMR aus Art 8 EMRK kein Recht darauf ableiten, die Bettelei als Beruf oder Erwerbszweig zu wählen. Bei der vom EGMR entwickelten Judikatur zu beruflichen Beziehungen und dem Recht auf Privatleben nach Art 8 EMRK (EGMR , Fall Sidabras und Dziautas, Appl. 55.480/00 und 59.330/00, Z 47, und EGMR , Fall Niemietz, Appl. 13.710/88) handelt es sich nämlich keineswegs um ein (mit Art 18 StGG vergleichbares) Grundrecht auf Berufsfreiheit. Selbst wenn in bestimmten Konstellationen das Ergreifen eines Berufes als Bestandteil des durch Art 8 EMRK geschützten Rechtes auf Privatleben angesehen wird (EGMR , Fall Sidabras und Dziautas, Appl. 55.480/00 und 59.330/00, Z 47f.), stellt die Bettelei keine Form der Teilhabe am Wirtschaftsleben dar, wie sie den bisherigen Entscheidungen des EGMR im Zusammenhang mit der Aufnahme beruflicher Tätigkeiten vor dem Hintergrund des Art 8 EMRK zugrunde lag.

Der Schutzbereich des Art 8 EMRK beinhaltet zwar nach ständiger Rechtsprechung des EGMR auch das Recht auf freie Gestaltung der Lebensführung (EGMR , Fall Bigaeva, Appl. 26.713/05, Z 22). Geschützt ist demnach das Recht, das Leben nach eigenen Vorstellungen ohne staatliche Einwirkung auf den individuellen Entscheidungsprozess einzurichten und zu führen (vgl. auch Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5, 2012, § 22 Rz 12).

In seiner Entscheidung "Chapman" setzte sich der EGMR mit der Reichweite des Art 8 EMRK auseinander und erkannte, dass in diesem Fall zwar eine Berücksichtigungspflicht des besonderen Lebensstils einer Minderheit bestünde, eine positive Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu treffen, um einem Angehörigen einer Minderheit seinen Lebensstil zu ermöglichen, sei aber aus Art 8 EMRK nicht abzuleiten (sog. "Gypsy Cases": EGMR [GK], Fall Chapman, Appl. 27.238/95). Dass die freie Lebensführung auch in die Öffentlichkeit ausstrahlt, schadet vor diesem Hintergrund grundsätzlich nicht (EKMR , Nr. 9278/81, DR 35/30). Art 8 EMRK stellt auch die menschliche Persönlichkeit selbst in ihrer Identität, Individualität und Integrität unter Schutz. Die Selbstverwirklichung umfasst auch das Recht, einen individuellen Lebensstil zu pflegen. Art 8 EMRK ist dabei auf den Schutz der unterschiedlichen Ausdrucksformen der menschlichen Persönlichkeit gerichtet.

Nicht umfasst ist allerdings eine allgemeine Handlungsfreiheit (Grabenwarter/Pabel, aaO, Rz 12). Nicht jedes menschliche Handeln stellt also zugleich eine von Art 8 EMRK geschützte Ausdrucksform der Persönlichkeit dar (EGMR , Fälle Friend u. Countryside Alliance, Appl. 16.072/06 und 27.809/08).

Für den Verfassungsgerichtshof folgt aus dieser Rechtslage, dass Bettelei, die im Kern die Behebung oder Linderung einer persönlichen Notlage bezweckt, nicht als Ausdrucksform eines individuellen Lebensstils iSd Art 8 EMRK angesehen werden kann und daher auch nicht in den Schutzbereich dieses Grundrechts fällt.

2.3.2.3. Keinen Zweifel hegt der Verfassungsgerichtshof jedoch dahingehend, dass Regelungen, wie die in § 1a Oö. Polizeistrafgesetz angefochtenen, dem Sachlichkeitsgebot des Art 7 B-VG entsprechen müssen. Wenn der Landesgesetzgeber bestimmte Erscheinungsformen des Bettelns als Verwaltungsstraftatbestand normiert, unterschiedliche Ausprägungen - wie sie in § 1a Oö. Polizeistrafgesetz genannt sind - mit unterschiedlichen Strafen sanktioniert und damit dem Anliegen, bestimmte Erscheinungsformen des Bettelns hintanzuhalten, nachkommt, ist ihm aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten.

2.3.3. Zum behaupteten Verstoß gegen den

"Gemeindeamts-, Stadtamts- und Magistratsvorbehalt"des Art 117 Abs 7 B-VG:

Die antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages beantragen schließlich mit ihrem Antrag b. in § 1b Abs 1 Z 1 das Wort "oder" und § 1b Abs 1 Z 2 zur Gänze sowie § 1b Abs 2, 3, 4, 5 und 6 Oö. Polizeistrafgesetz zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben, da "§1b Oö.PolStrG [...] gegen den Gemeindeamts-, Stadtamts- und Magistratsvorbehalt des Art 117 Abs 7 B-VG" verstoße. Die Ermächtigung der Gemeinden, auch Aufsichtsorgane zu bestellen, die nicht in das Amt eingegliedert sind, widerspreche diesem Vorbehalt, wobei hinzukomme, dass diese Organe "massive bis zum Eingriff in die persönliche Freiheit reichende Zuständigkeiten" wahrnehmen dürften, die nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nicht ausgliederungsfähig wären.

Diese Bedenken bestehen nicht zu Recht:

Nach Art 117 Abs 7 B-VG stellt das Gemeindeamt das exekutive Hilfsorgan zur Besorgung der Geschäfte der Gemeinde dar. Dies schließt jedoch nicht aus, dass auch außerhalb des Organkomplexes stehende Einrichtungen zu bürokratischen Hilfstätigkeiten herangezogen werden können (vgl. dazu VfSlg. 8844/1980).

Gemäß § 1b Abs 1 Oö. Polizeistrafgesetz fällt die Kontrolle der Einhaltung der Bettelverbote nach § 1a Oö. Polizeistrafgesetz in die Zuständigkeit der Gemeinden. Nach § 1b Abs 1 Z 1 und 2 Oö. Polizeistrafgesetz sind die Gemeinden ermächtigt, neben den eingerichteten Gemeindewachkörpern auch noch besondere Aufsichtsorgane zur Kontrolle der Einhaltung der Regelungen über das Bettelverbot zu bestellen.

Diesen Organen kommen gemäß Abs 3 und 4 leg. cit. besondere Befugnisse zu, wobei sie bei Ausübung ihrer Aufgaben gemäß Abs 5 an die Weisungen der zuständigen Gemeindeorgane gebunden sind. Gemäß § 1b Abs 3 Z 3 Oö. Polizeistrafgesetz sind die Aufsichtsorgane auch zur Festnahme von Personen befugt, die sie bei einer Verwaltungsübertretung auf frischer Tat betreten, sofern auch die übrigen Voraussetzungen des § 35 VStG


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
auf den in § 1b Abs 3 Z 3 Oö. Polizeistrafgesetz verwiesen wird
-
vorliegen und kein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einschreiten kann.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zählt die Handhabung des Verwaltungsstrafrechts nicht zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (VfSlg. 8155/1977, 9704/1983, 10.614/1985, 11.653/1988).

Wenn § 1b Abs 3 Z 3 Oö. Polizeistrafgesetz die Gemeinden ermächtigt, besondere Aufsichtsorgane zur Festnahme von Personen (unter näher beschriebenen Voraussetzungen) zu bestellen, handelt es sich bei der Übertragung dieser Befugnisse um solche, die im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens eine entscheidende Rolle spielen und daher mit diesem in derart engem Zusammenhang stehen, dass sie als Teil dessen zu werten sind (in diesem Sinne Triendl, Angehörige von Gemeindewachkörpern als Organe der Straßenaufsicht, Bestellungs- und Ermächtigungsdefizite, ZVR 2007/2, S 8).

Die vorgebrachten Bedenken der antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages, die sich allein auf einen Verstoß des § 1b Oö. Polizeistrafgesetz gegen Art 117 Abs 7 B-VG beschränken und dabei insbesondere die Möglichkeit der Ermächtigung Dritter zur Festnahme von Personen ins Treffen führen, gehen schon deshalb ins Leere, weil die Führung des Verwaltungsstrafverfahrens - wozu auch die Festnahmebefugnis zählt (Triendl, aaO) - nicht als von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu vollziehende Angelegenheit zu beurteilen ist (VfSlg. 8654/1979 mwN).

Angesichts dessen erübrigt es sich auf das Vorbringen, es handle sich bei den Festnahmebefugnissen im Sinne des Oö. Polizeistrafgesetzes um "ausgliederungsfeste" Aufgaben, einzugehen.

2.3.4. Schließlich bringen die antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages vor, die in § 1b Abs 3 Z 2 und 3 Oö. Polizeistrafgesetz genannten Befugnisse, insbesondere die Festnahmebefugnis, stellen eine Abweichung von § 35 VStG dar, deren Erforderlichkeit nach Art 11 Abs 2 B-VG zu rechtfertigen sei. Eine Begründung für die Erforderlichkeit dieser Bestimmung lasse der Landesgesetzgeber vermissen.

Auch dieses Bedenken trifft nicht zu:

§35 VStG regelt die Festnahmebefugnis dergestalt,

dass "[d]ie Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes [...] außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen [...]" unter bestimmten im VStG festgelegten Voraussetzungen Festnahmen vornehmen dürfen. § 35 VStG birgt also selbst in sich (arg. "außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen"), dass in Materiengesetzen spezifische Regelungen getroffen werden können.

Der Gesetzgeber hat von der Möglichkeit, auch anderen Organen als jenen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, wie zB Organen der öffentlichen Aufsicht, durch Bundes- oder Landesgesetz die Ermächtigung zur Festnahme einzuräumen, oftmals Gebrauch gemacht. Dementsprechende Bestimmungen hat der Gesetzgeber in Hinblick auf das Verwaltungsstrafverfahren in größerer Zahl erlassen, wobei diese Normen regelmäßig die Festnahmebefugnis durch Aufsichtsorgane zum Zweck der Sicherung eines Verwaltungsstrafverfahrens vorsehen. In diesem Zusammenhang kann beispielhaft auf § 112 litc ForstG ("Forstschutzorgane"), § 30 Abs 3 EisbG ("Eisenbahnaufsichtsorgane") sowie insbesondere auf das Jagd - , Fischerei- und Flurschutzrecht der Länder verwiesen werden.

Bereits § 35 VStG erlaubt abweichende Regelungen, wenn dies zur Kontrolle - hier der Einhaltung der Bettelverbote - notwendig ist. Besondere Aufsichtsorgane zu bestellen und diesen auch die Befugnis zur Festnahme von Personen, die sie bei einer Verwaltungsübertretung nach § 1a Abs 1 bis 4 Oö. Polizeistrafgesetz auf frischer Tat betreten, zu übertragen, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 35 VStG vorliegen, aber kein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einschreiten kann, ist gemäß § 35 VStG selbst zulässig. Das Bedenken, diese Regelung verletze Art 11 Abs 2 B-VG, geht daher ist Leere.

III. Ergebnis

Der Antrag ist als unbegründet abzuweisen.