VfGH vom 14.12.1987, g131/87
Sammlungsnummer
11588
Leitsatz
In § 73 Abs 2 EStG normierte Hinzurechnung bestimmter Beträge bei schuldhafter Unterlassung der Vorlage der Lohnsteuerkarte mit Hinweis auf VfSlg. 6379/1971 nicht unsachlich; nach dem Zweck der Regelung (Verhinderung von Verschleierungshandlungen) und Verschuldensabhängigkeit - Sanktionscharakter der Regelung; im Hinblick auf das (begrenzte) Ausmaß der Hinzurechnungsbeträge und die Orientierung an der wirtschaftlichen Leistungskraft des Abgabepflichtigen keine Gleichheitsbedenken dagegen, daß die Regelung nicht auf den Verschuldensgrad abstellt; Abweisung des Antrages
Spruch
Dem Antrag wird nicht Folge gegeben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der VwGH beantragt gemäß Art 140 B-VG, im zweiten Halbsatz des letzten Satzes des § 73 Abs 2 des Einkommensteuergesetzes 1972, BGBl. Nr. 440/1972, in der Fassung des BG BGBl. Nr. 563/1980, die Worte "der Monatslohn um die entsprechenden Hinzurechnungsbeträge gemäß § 75 zu erhöhen und" als verfassungswidrig aufzuheben.
Den Anlaß für diesen Antrag bilden beim VwGH angefochtene Abgabenbescheide betreffend den amtswegigen Jahresausgleich für die Jahre 1983 und 1984. Die Abgabenbehörde hat in ihren Entscheidungen vor Anwendung des Lohnsteuertarifs die wegen schuldhafter Unterlassung der Vorlage einer Lohnsteuerkarte im Sinne des § 75 EStG erfolgte Hinzurechnung bestimmter Beträge in Anwendung der Bestimmung des § 73 Abs 2 EStG bei Durchführung des amtswegigen Jahresausgleiches aufrecht erhalten.
2. Die Bundesregierung hat in einer Äußerung die Verfassungsmäßigkeit der bekämpften Bestimmung verteidigt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Nach § 75 Abs 1 EStG 1972 hat der Arbeitgeber für die Berechnung der Lohnsteuer vor Anwendung des Lohnsteuertarifes dem tatsächlichen Arbeitslohn einen - bestimmten - Betrag hinzuzurechnen und die Bestimmungen des § 57 Abs 2 und 4 nicht anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer seine Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber schuldhaft nicht vorlegt oder die Rückgabe der Lohnsteuerkarte schuldhaft verzögert.
Bei einer Veranlagung von lohnsteuerpflichtigen Einkünften sieht § 41 Abs 4 EStG 1972 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 1980, BGBl. 563, vor, daß die Einkünfte um die beim Steuerabzug vom Arbeitslohn berücksichtigten Hinzurechnungsbeträge gemäß § 75 zu erhöhen sind.
Bei der Durchführung des Jahresausgleiches ist im § 73 Abs 2 EStG 1972 in der oben genannten Fassung vorgeschrieben, daß für Lohnzahlungszeiträume, für die aus Verschulden des Arbeitnehmers keine Lohnsteuerkarte vorliegt, der Monatslohn um die entsprechenden Hinzurechnungsbeträge gemäß § 75 zu erhöhen ist und die Bestimmungen des § 57 Abs 2 und 4 nicht anzuwenden sind.
Der diese Bestimmung enthaltende zweite Halbsatz des § 73 Abs 2 EStG hat folgenden Wortlaut:
"für Lohnzahlungszeiträume, für die aus Verschulden des Arbeitnehmers keine Lohnsteuerkarte vorliegt, sind der Monatslohn um die entsprechenden Hinzurechnungsbeträge gemäß § 75 zu erhöhen und die Bestimmungen des § 57 Abs 2 und 4 nicht anzuwenden".
2. Es steht außer Frage, daß der VwGH diese Bestimmung bei der Entscheidung über die bei ihm anhängige Beschwerde anzuwenden haben wird. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
3. Der VwGH begründet seine Bedenken gegen die bekämpfte Regelung wie folgt:
"Die sachliche Rechtfertigung für die Hinzurechnungen gemäß § 75 Abs 1 EStG 1972, mögliche Vorteile eines Arbeitnehmers ohne Lohnsteuerkarte mit Bezügen von verschiedenen Arbeitgebern gegenüber einem Arbeitnehmer hintanzuhalten, der unter Vorlage der Lohnsteuerkarte Bezüge lediglich von einem Arbeitgeber erhält, besteht nur beim Steuerabzug vom Arbeitslohn. Denn beim Jahresausgleich kommt einerseits auch beim Arbeitnehmer, der keine Lohnsteuerkarte vorlegte, die Progression des Lohnsteuertarifes voll zum Tragen, und andererseits werden die genannten Steuerabsetzbeträge und Aufwandpauschalien (für Werbungskosten, Sonderausgaben) so wie bei einem Arbeitnehmer, der mit vorgelegter Lohnsteuerkarte Bezüge nur von einem Arbeitgeber erhält, nur einmal berücksichtigt.
Das Schrifttum wertet die Hinzurechnungen gemäß § 75 Abs 1 EStG 1972 im Rahmen des Jahresausgleiches zum Teil als Strafsanktion (Schubert-Pokorny-Schuch-Quantschnigg, Einkommensteuer-Handbuch2, § 41 Tz 25, Werner-Schuch, Lohnsteuerkommentar, Abschnitt 16 Tz 34). Diese Meinung teilt der VwGH nicht. Zum einen kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er entgegen den Grundsätzen der österreichischen Rechtsordnung ohne Rücksicht auf den Grad des Verschuldens eine Strafe in Form einer nicht am Verschulden, sondern an der wirtschaftlichen Leistungskraft orientierten Steuer verhängen wollte. Zudem geht es nach der aus § 75 EStG 1972 hervorleuchtenden Absicht des Gesetzgebers auch gar nicht darum, den Arbeitnehmer zu bestrafen, sondern ihn - von der Vermeidung ungerechtfertigter Vorteile abgesehen - dazu zu verhalten, die Lohnsteuerkarte sobald als möglich (wieder) dem Arbeitgeber vorzulegen, um sobald als möglich einen dem Gesetz entsprechenden Steuerabzug vom Arbeitslohn herbeizuführen. Das 'Verschulden' des Arbeitnehmers im Sinne des § 75 Abs 1 EStG 1972 ist daher im wesentlichen dahin zu verstehen, daß er die Lohnsteuerkarte nicht sobald als möglich (wieder) dem Arbeitgeber vorlegte. Aus dieser Sicht kann den Hinzurechnungen gemäß § 75 Abs 1 EStG 1972 durchaus im Sinne von Hofstätter-Reichel, Kommentar zum EStG 1972,§ 75 Tz 1, auch der Charakter einer Zwangsmaßnahme beigemessen werden, durch die der Steuerpflichtige zur Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflicht angehalten wird. Diese Zwangsmaßnahme ist allerdings nur dort sinnvoll, wo auch die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflicht abgabenrechtlich bedeutsam ist. Dies ist, wie aufgezeigt, nur beim Steuerabzug vom Arbeitslohn der Fall. Beim Jahresausgleich (von Amts wegen) hingegen kann die ungerechtfertigte Vorteile des Arbeitnehmers ausschließende Lohnsteuerfestsetzung unabhängig davon erfolgen, ob dem Arbeitgeber eine Lohnsteuerkarte vorgelegen hat oder nicht. Die Regelung über die Hinzurechnungen beim Jahresausgleich scheint daher unsachlich zu sein.
Abschließend verweist der VwGH auf die Abhandlung von Beiser, Hinzurechnung wegen Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte verfassungskonform?, ÖStZ Nr. 19/1986. Er teilt die Auffassung dieses Autors, daß die Beibehaltung der Hinzurechnung bei der Durchführung eines Jahresausgleiches im Grunde des Art 7 Abs 1 B-VG verfassungswidrig sein dürfte."
4.a) Die Hinzurechnungsbeträge tragen insbesondere dem Umstand Rechnung, daß der Arbeitnehmer bei Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte unter Umständen mehrfach in den Genuß des Werbungskostenpauschales (§16 Abs 3), des Sonderausgabenpauschales (§18 Abs 3) sowie des allgemeinen Absetzbetrages (§57 Abs 1) gelangen könnte (s.
Schubert-Pokorny-Schuch-Quantschnigg, Einkommensteuer-Handbuch2, § 75, Tz 5). § 75 Abs 1 EStG 1972 wird als Zwangsmaßnahme bezeichnet, durch welche der Steuerpflichtige zur Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten angehalten werden soll (s. Hofstätter-Reichel, Kommentar, § 75 EStG, Tz 1). Der Hinzurechnungsbetrag erfüllt eine Ordnungsfunktion (s. Werner Doralt, Zweifelsfragen zum Steuerrecht, ÖStZ 1974, S. 148). Ob und inwieweit der Regelung pönaler Charakter zukommt, ist in der soeben angeführten Literatur umstritten.
b) Im Erkenntnis VfSlg. 6379/1971, S. 76f, hat der VfGH ausgesprochen, daß die - damals im § 63 EStG 1967 normierte - "Sanktion" der Hinzurechnung bestimmter Beträge bei schuldhafter Unterlassung der Vorlage der Lohnsteuerkarte nicht unsachlich und die damit verbundene Differenzierung daher, gemessen am Gleichheitsgebot, unbedenklich sei. Hiezu ist ergänzend zu bemerken, daß im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses VfSlg. 6379/1971 der dem § 73 des EStG 1972 entsprechende § 77 des EStG 1967 in Geltung stand. Der Gerichtshof sieht aus folgenden Erwägungen keinen Anlaß, von diesem Erkenntnis, das allerdings keine nähere Begründung für die dort zum Ausdruck gebrachte Auffassung enthält, abzurücken:
Der VfGH geht mit dem antragstellenden VwGH, der Vorjudikatur und der angeführten Literatur davon aus, daß die im § 75 EStG 1972 bei schuldhaftem Verhalten vorgesehene Rechtsfolge unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes unbedenklich ist.
Für die Besteuerung des Arbeitslohnes kommt der Lohnsteuerkarte zentrale Bedeutung zu. Schon die Ausschreibung der Lohnsteuerkarte zieht Folgewirkungen nach sich, die für eine ordnungsgemäße gesetzmäßige Besteuerung der Arbeitslöhne von Bedeutung sind. So haben die Gemeinden dem Finanzamt ein Verzeichnis der (nachträglich) ausgeschriebenen Lohnsteuerkarten zu übermitteln (§53 EStG), womit dem Finanzamt offenbar die Kontrolle der dem amtswegigen Jahresausgleich unterliegenden Fälle erleichtert werden soll. Die Ausschreibung der Lohnsteuerkarte für den Ehegatten führt ferner zur Streichung des allenfalls auf der Ersten Lohnsteuerkarte des anderen Ehegatten eingetragenen Alleinverdienerabsetzbetrages. Legt der Arbeitnehmer eine Lohnsteuerkarte nicht vor, so nimmt er damit entgegen der Auffassung von Beiser ("Hinzurechnung wegen Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte verfassungskonform?", ÖStZ 1986, S. 244ff.) - nicht nur Nachteile durch den Hinzurechnungsbetrag auf sich, sondern erreicht unter Umständen, daß das Finanzamt von einer mehrfachen Beschäftigung nichts erfährt (wenn etwa der Arbeitgeber seiner Meldepflicht nach § 72 Abs 3 EStG nicht nachkommt) und ein amtswegiger Jahresausgleich unterbleibt, oder daß auf der Lohnsteuerkarte des anderen Ehegatten der Alleinverdienerabsetzbetrag zu Unrecht eingetragen bleibt. Wenn der Gesetzgeber einen Hinzurechnungsbetrag bei der Lohnsteuer vorsieht, so könnte dieser durchaus auch den Zweck haben, derartige Verschleierungen hintanzuhalten. Dieser Zweck rechtfertigt es aber, den Hinzurechnungsbetrag auch im Fall der Durchführung eines Jahresausgleichs aufrechtzuerhalten, zumal die Sanktion nur bei schuldhaftem Verhalten des Steuerpflichtigen verhängt wird.
Für diese Überlegungen spricht auch, daß der Hinzurechnungsbetrag im Falle einer Veranlagung von lohnsteuerpflichtigen Einkünften ebenfalls aufrecht bleibt. Die angefochtene Bestimmung stellt also einen Teil einer Regelung dar, mit welcher der Gesetzgeber die Folgen einer - nicht überschießenden - Reaktion auf ein bestimmtes, schuldhaftes Verhalten des Abgabepflichtigen für alle davon Betroffenen gleich gestaltet hat.
Hinzuzufügen ist, daß der Zweck der Regelung (Verhinderung von Verschleierungshandlungen) und die Voraussetzung des Vorliegens eines Verschuldens dafür sprechen, daß der bekämpften Bestimmung insoweit der Charakter einer Sanktion (s. hiezu bereits VfSlg. 6379/1971) zukommt. Der VfGH findet es aber im Hinblick auf das - nach oben begrenzte - Ausmaß der Hinzurechnungsbeträge und die - unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes durchaus zulässige - Orientierung an der wirtschaftlichen Leistungskraft des Abgabepflichtigen nicht bedenklich, wenn die Sanktion nicht auf den Grad des Verschuldens abstellt.
Der VfGH teilt daher die vom VwGH vorgebrachten Bedenken gegen die angefochtene Gesetzesbestimmung nicht.
c) Obwohl der VfGH bei Entscheidung über den vorliegenden Antrag von jener Rechtslage auszugehen hat, auf Grund welcher der VwGH über die bei ihm anhängige Beschwerde zu befinden hat, sei der Vollständigkeit halber folgendes bemerkt:
Die nunmehr (für nach dem endende Lohnzahlungszeiträume, BGBl. 562/1986) jedem Lohnsteuerpflichtigen offenstehende Möglichkeit, die Durchführung eines Jahresausgleiches zu beantragen, ändert an den oben angeführten Erwägungen des VfGH nichts, zumal es der Abgabepflichtige sonst in der Hand hätte, durch die - allenfalls ausschließlich zu diesem Zweck gestellte - Beantragung eines Jahresausgleiches die Sanktion rückwirkend wieder aus der Welt zu schaffen.
5. Dem Antrag ist daher nicht Folge zu geben.
Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.