VfGH vom 03.10.1985, g131/85
Sammlungsnummer
10598
Leitsatz
Wr. BauO; Verfassungswidrigkeit der Worte "Verfassungs- oder" in § 138 Abs 8 idF LGBl. 30/1984; schreibt der Bundesgesetzgeber nach Art 10 Abs 1 Z 1 B-VG die Erstattung einer Gegenschrift durch die bel. Beh. vor, setzt dies bei einer Kollegialbehörde die Willensbildung durch das Kollegium voraus; eine hievon endgültig abweichend wirkende landesgesetzliche Regelung greift verfassungswidrig in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers ein
Spruch
I. Die Wortfolge "Verfassungs- oder" in § 138 Abs 8 der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930, idF der Bauordnungsnov. 1984, LGBl. 30, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im LGBl. verpflichtet.
II. Im übrigen wird das Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Bauoberbehörde für Wien verbot mit ihrem im Instanzenzug erlassenen Bescheid vom dem Beteiligten als Hauseigentümer unter Berufung auf § 112 Abs 2 der Bauordnung für Wien den Betrieb bestimmter Feuerstätten. Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu B666/84 erhobene VfGH-Beschwerde.
2. Nach Einleitung des Vorverfahrens (§83 Abs 1 VerfGG) wurden namens der belangten Bauoberbehörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.
II. Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens beschloß der VfGH gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen das gegenwärtige Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der im § 138 Abs 8 der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930, idF der Bauordnungsnov. 1984, LGBl. 30, enthaltenen Wortfolge "und im Verfahren vor dem VfGH oder VwGH ohne Einholung eines Beschlusses der Bauoberbehörde in deren Namen die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen, Gegenschriften zu erstatten, Stellungnahmen abzugeben und einen Vertreter zu bestellen" einzuleiten. Er begründete dies folgendermaßen:
"1. Der Gerichtshof geht davon aus, daß er im Hinblick auf das erwähnte Prozeßgeschehen die wiedergegebene, anscheinend eine nicht trennbare Einheit bildende Wortfolge im § 138 Abs 8 der Bauordnung für Wien im Beschwerdeverfahren anzuwenden hätte.
2. § 138 der Bauordnung für Wien erhielt durch die mit in Kraft getretene Bauordnungsnovelle 1984 eine neue Fassung, gemäß der sein Absatz 8 wie folgt lautet:
'(8) Dem Landesamtsdirektor oder dem von ihm bestellten Vertreter obliegt es, die Bescheide der Bauoberbehörde zu unterfertigen und im Verfahren vor dem Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof ohne Einholung eines Beschlusses der Bauoberbehörde in deren Namen die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen, Gegenschriften zu erstatten, Stellungnahmen abzugeben und einen Vertreter zu bestellen. Mit der Unterfertigung von Bescheiden, Gegenschriften und Stellungnahmen kann der Landesamtsdirektor oder der von ihm bestellte Vertreter ein Mitglied der Bauoberbehörde beauftragen.'
Zur Novellierung wurde in den Erläuternden Bemerkungen des zugrunde liegenden Gesetzentwurfes unter Bezugnahme auf die Erkenntnisse des /0205, und vom , Z 82/17/0068, folgendes ausgeführt:
'Diese Erkenntnisse bedingen, daß die zeitmäßig kaum einzuhaltende Befassung der Bauoberbehörde mit den zur Verteidigung ihrer Entscheidungen erforderlichen Handlungen nur dadurch bewirkt werden kann, daß die Vornahme derartiger Handlungen einem ihrer Mitglieder übertragen wird. Als solches bietet sich ein im § 138 Abs 1 litb genanntes Mitglied, und zwar der Landesamtsdirektor und der von ihm bestellte Vertreter an.
Des weiteren kann auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung auch ein Stellvertreter des vom Landesamtsdirektor hiezu ermächtigten Mitgliedes der Bauoberbehörde mit der Erfüllung dieser Aufgaben betraut werden, sodaß der Personenkreis der mit diesen Aufgaben zu betrauenden Personen um den Stellvertreter des ermächtigten Mitgliedes der Bauoberbehörde erweitert werden kann, um zu gewährleisten, daß die Tätigkeit der Bauoberbehörde nicht dadurch eine Verzögerung erfährt, daß das mit der Erfüllung der genannten Aufgaben betraute ermächtigte Mitglied aus irgendeinem Grunde verhindert ist, diesen Aufgaben nachzukommen.'
In dem von der Wiener Landesregierung in ihrer Sitzung vom zum Beschluß erhobenen Antrag des amtsführenden Stadtrates der Geschäftsgruppe Personal, Rechtsangelegenheiten und Konsumentenschutz vom wurde der Gesetzentwurf - gleichfalls unter Bezugnahme auf die angeführten Erkenntnisse des VwGH - eingehender begründet. Im einzelnen wurde dargelegt:
'Die Bestimmung des § 138 der Bauordnung, die die Einrichtung und Zusammensetzung der Bauoberbehörde für Wien als Berufungsbehörde in Bauangelegenheiten regelt, wird daher so ergänzt, daß die Aufgaben der Unterfertigung der Bescheide der Bauoberbehörde sowie der Vorlage von Akten des Verwaltungsverfahrens, der Erstattung von Gegenschriften und der Abgabe von Stellungnahmen im Verfahren vor dem VwGH oder VfGH ohne Einholung eines Beschlusses der Bauoberbehörde in deren Namen dem Landesdirektor oder dem von ihm bestellten Vertreter übertragen werden. Zu diesen Aufgaben wird auch das Recht gesellt, einen Vertreter zu bestellen; unter einem wird der Landesamtsdirektor bzw. der von ihm bestellte Vertreter ermächtigt, mit der Unterfertigung von Bescheiden, Gegenschriften und Stellungnahmen ein Mitglied der Bauoberbehörde beauftragen zu können. Diese Regelungen bringen die Gewähr, daß die Bauoberbehörde mit den zur Verteidigung ihrer Entscheidungen erforderlichen Handlungen durch das Einholen von Beschlüssen der Bauoberbehörde zeitlich nicht in Verzug gerät, zumal die Bauoberbehörde nur in solchen Zeitabständen tagt, die oftmals nicht erlauben, innerhalb der vom VfGH oder VwGH gesetzten Fristen einen formellen Beschluß des Kollegialorganes der Bauoberbehörde einzuholen. Die nunmehr getroffene Bestimmung dient daher neben der Schaffung der Rechtsbasis für die Unterfertigung der Bescheide der Bauoberbehörde, die Aktenvorlage, die Erstattung von Gegenschriften, die Abgabe von Stellungnahmen und die Bestellung eines Vertreters durch den Landesamtsdirektor auch einer Verwaltungsvereinfachung und Beschleunigung des Berufungsverfahrens.'
Die dargestellte Entstehungsgeschichte des Absatzes 8 im neugefaßten § 138 der Bauordnung für Wien belegt, daß diese Bestimmung (soweit sie sich auf das Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts bezieht) nicht bloß organisationsrechtliche Vorkehrungen für den Fall trifft, daß die Bauoberbehörde vor dem VfGH oder dem VwGH belangt wird, sondern darüber weit hinausgeht. Sie räumt nämlich dem Landesamtsdirektor (oder dem von ihm bestellten Vertreter) als einem (dem Kollegium gegenüber nicht weisungsgebundenen) Mitglied des Kollegialorganes die Befugnis ein, der kollegial eingerichteten Behörde zuzurechnende Willensakte nach eigenem Gutdünken vorzunehmen, im Ergebnis also seinen Willen an die Stelle der kollegialen Willensbildung zu setzen. Diesen Vorgang einschränkende Anordnungen - etwa dahin, daß die vom Landesamtsdirektor vorgenommenen Rechtshandlungen einer nachträglichen Sanktionierung durch das Kollegium bedürfen - können der in Erörterung stehenden Gesetzesstelle anscheinend auch nicht im Wege teleologischer Interpretation entnommen werden. Insgesamt bietet sich das Bild, daß der Landesamtsdirektor (oder der von ihm bestellte Vertreter) nicht für, sondern anstelle der Bauoberbehörde handelt, wenn es um deren Auftreten in einem Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts geht.
Wie der VfGH vorläufig annimmt, unterliegen solche Vorschriften, soweit sie das verfassungsgerichtliche Verfahren betreffen, kompetenzmäßig jedoch dem im Zusammenhalt mit Art 148 B-VG (wonach die näheren Bestimmungen über die Organisation und das Verfahren des VfGH durch ein besonderes Bundesgesetz geregelt werden) zu verstehenden Zuständigkeitstatbestand 'Verfassungsgerichtsbarkeit' (Art10 Abs 1 Z 1 B-VG) und sind daher dem Landesgesetzgeber verwehrt. Nimmt man Maß an dem verfassungsrechtlich wohl unbedenklichen § 20 Abs 2 und § 83 Abs 1 VerfGG, welche die Vorlage der Verwaltungsakten und die Erstattung einer Gegenschrift als Prozeßhandlungen der belangten Verwaltungsbehörde vorsehen, so wird die Unzulässigkeit einer geradezu die Substituierung der belangten Behörde als Prozeßpartei durch ein anderes Verwaltungsorgan bewirkenden Regelung durch den Landesgesetzgeber deutlich."
III. Die Wr. Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den verfassungsrechtlichen Bedenken des Gerichtshofs folgendes entgegenhielt:
"Es gehört zum Organisationsrecht einer Behörde, zu bestimmen, wer die Behörde nach außen vertritt. Bestimmungen über die Vertretung einer Behörde nach außen sind gerade hinsichtlich von Kollegialorganen erforderlich, weil man ansonsten zum Ergebnis kommen müßte, daß nur das Gesamtorgan nach außen handelnd auftreten kann, was bei strikter Befolgung dieser Auffassung zu unmöglichen bis lächerlichen Ergebnissen führen müßte. Organisationsgesetzgeber ist nun hinsichtlich der Bauoberbehörde für Wien der Landtag für Wien. Der Bundesgesetzgeber wäre zuständig, Bestimmungen darüber zu treffen, wer vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes handelnd für Personen oder Behörden auftreten darf. Er könnte etwa Anwaltszwang vor diesen Gerichtshöfen auch hinsichtlich der Vertretung von Behörden vorsehen.
Eine Vertretung der Bauoberbehörde für Wien nach außen kommt nun, abgesehen von der Befugnis zur Unterfertigung der Erledigungen oder zur Setzung von Verfahrenshandlungen im Namen der Behörde, nur vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes in Frage.
Die in Prüfung gezogene Bestimmung wurde deshalb so eng gefaßt und auf das Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes abgestellt und ist daher nach Auffassung der Wiener Landesregierung verfassungskonform so auszulegen, daß sie regelt, wer organisationsrechtlich befugt ist, die Behörde nach außen zu vertreten, wer also etwa bei Anwaltszwang befugt wäre, einen Vertreter der belangten Behörde im Verfahren vor dem VfGH zu bestellen.
Es ist in diesem Zusammenhang auch wesentlich, daß die in Prüfung gezogene Bestimmung ja dem Landesamtsdirektor nicht etwa die Befugnis überträgt, Entscheidungen anstelle der Behörde zu treffen, sondern ihm lediglich die Befugnis einräumt, Entscheidungen, also Willensakte der Behörde zu verteidigen, wobei er bei verfassungskonformer Auslegung der Gesetzesstelle, die ohne weiteres möglich ist, an allfällige Weisungen des Kollegialorganes gebunden ist. Auch ansonsten sind ja Vertreter vor Gerichten oder sonstigen Behörden nicht verhalten, nachzuweisen, daß der Inhalt ihrer Verteidigungshandlungen im einzelnen vom Vertretenen ausdrücklich gebilligt wurde. Daß eine solche Billigung vorläge, muß nach Ansicht der Wiener Landesregierung auch eine organisationsrechtliche Bestimmung der hier in Rede stehenden Art nicht fordern.
Es wird daher nach Auffassung der belangten Behörde kein anderes Verwaltungsorgan mit der Vorlage der Prozeßakten und der Erstattung der Gegenschriften betraut, sondern der Landesamtsdirektor lediglich ermächtigt, für die Bauoberbehörde für Wien nach außen handelnd aufzutreten, wobei er an die Weisungen derselben eben als ein bloßer Vertreter nach außen gebunden bleibt.
Abschließend darf bemerkt werden, daß die Neufassung des § 138 Abs 8 der Bauordnung für Wien lediglich der Kodifizierung einer jahrzehntelang unangefochten geübten Praxis diente."
IV. Der VfGH hat erwogen:
1. Die im § 138 Abs 8 der BauO für Wien enthaltene, vom Einleitungsbeschluß umfaßte Regelung hätte der Gerichtshof im Anlaßbeschwerdeverfahren insoweit anzuwenden, als namens der belangten Bauoberbehörde unter Vorlage der Verwaltungsakten eine Gegenschrift erstattet wurde. Der in dieser Beziehung - also für das verfassungsgerichtliche Verfahren - in Betracht kommende sachliche Geltungsbereich der Vorschrift wird durch die Wortfolge "Verfassungsoder" ausgedrückt; von ihr ist der übrige Inhalt der Bestimmung sprachlich trennbar. Das eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren ist mithin bezüglich dieser Wortfolge (zumal auch die anderen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind) zulässig; im restlichen, das verwaltungsgerichtliche Verfahren betreffenden Umfang ist es dagegen einzustellen.
2. In der Sache vermag der VfGH der Wr. Landesregierung nicht beizupflichten, wenn sie die Anordnung, daß die Gegenschrift durch den Landesamtsdirektor (oder einen von ihm bestellten Vertreter) namens der Bauoberbehörde zu erstatten ist, als eine organisationsrechtliche Regelung der Befugnis deutet, die Behörde nach außen zu vertreten. Es geht hier nicht um die Art und Weise, in der ein behördlicher Willensakt nach außen in einem Gerichtsverfahren in Erscheinung tritt, sondern darum, wie der einem Kollegium zuzurechnende Wille gebildet wird. Schreibt das Gesetz (in einer unstrittig dem im Zusammenhalt mit Art 148 B-VG zu verstehenden Kompetenztatbestand "Verfassungsgerichtsbarkeit" (Art10 Abs 1 Z 1 B-VG) zu unterstellenden Bestimmung) die Erstattung einer Gegenschrift, also eine schriftliche Darlegung des Prozeßstandpunktes - ausnahmslos -, durch die bel. Beh. vor, so wird dieser Anordnung bei einer kollegial eingerichteten Behörde nur dann entsprochen, wenn die für die Willensbildung des Kollegiums sonst maßgeblichen Regeln eingehalten werden. Eine landesgesetzliche Bestimmung, welche ein hievon - nicht etwa bloß vorübergehend, sondern endgültig wirkendes - abweichendes Vorgehen erlaubt, greift sohin verfassungwidrig in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers ein.
Da sich die in Prüfung stehende Wortfolge unter dem Aspekt der Gegenschrifterstattung als verfassungswidrig erweist, ist es entbehrlich, die weiteren Bedenken des Gerichtshofs zu erörtern.
3. Die Wortfolge "Verfassungs- oder" war sohin als verfassungswidrig aufzuheben.
Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.
Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Wien zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung folgt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.