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VfGH vom 16.12.1987, g129/87

VfGH vom 16.12.1987, g129/87

Sammlungsnummer

11591

Leitsatz

Präjudizialität des § 120 Abs 2 zweiter und dritter

Satz Nö. JagdG - Zurückweisung des weitergehenden Gerichtsantrags;

Regelungen über den Ersatz von Jagd- und Wildschäden - Zivilrecht iSd. österr. Rechtssystems und "civil rights" iSd. Art 6 MRK;

kompetenzrechtliche Seite berührt die Anwendbarkeit des Art 6 MRK nicht; Oberkommission für Jagd- und Wildschäden kein Tribunal iSd Art 6 MRK; nachprüfende Kontrolle des VwGH reicht für Entscheidungen über Angelegenheiten des Kernbereichs der civil rights nicht aus (Hinweis auf VfSlg. 11500/1987; Abkehr zu VfSlg. 5100/1965)

Spruch

In § 120 Abs 2 des niederösterreichischen Jagdgesetzes 1974, LGBl. 6500-5, wird der zweite und dritte Satz als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Niederösterreich ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Im übrigen werden die Anträge des VwGH zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Nach den §§101 ff des niederösterreichischen JagdG 1974 ist der Jagdausübungsberechtigte verpflichtet, in seinem Jagdgebiet den an Grund und Boden, an den land- und forstwirtschaftlichen Kulturen oder an deren noch nicht eingebrachten Erzeugnissen bei der Ausübung der Jagd oder von den jagdbaren Tieren verursachten Schaden (Jagd- und Wildschaden) zu ersetzen. Über Ansprüche aufgrund des Gesetzes entscheidet die in jeder Gemeinde einzurichtende, aus einem Obmann und zwei Mitgliedern bestehende Jagd- und Wildschadenskommission (§108). Unter der Rubrik "Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Kommission" bestimmt § 120:

"(1) Gegen die Entscheidung der Kommission steht die binnen zwei Wochen nach der Zustellung bei der Bezirksverwaltungsbehörde einzubringende Berufung an die Oberkommission für Jagd- und Wildschäden, im folgenden kurz Oberkommission genannt, offen.

(2) Für jeden Verwaltungsbezirk ist eine Oberkommission einzurichten. Sie besteht aus einem rechtskundigen Beamten der Bezirksverwaltungsbehörde als Vorsitzenden und je zwei über Vorschlag der Landes-Landwirtschaftskammer und des Landesjagdverbandes auf die Dauer von sechs Jahren vom Bezirkshauptmann, in Städten mit eigenem Statut vom Bürgermeister, zu bestellenden Mitgliedern. Die Bestellung der Mitglieder kann zurückgenommen werden, wenn sie ihre Obliegenheiten nicht in einer den Bestimmungen dieses Gesetzes entsprechenden Weise versehen.

(3) Zur Beschlußfähigkeit der Oberkommission ist die Anwesenheit des Vorsitzenden und dreier weiterer Mitglieder erforderlich. Für ihre Entscheidungen gilt einfache Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit gilt jene Meinung, der der Vorsitzende beigetreten ist. Bilden sich bei Schadensbeträgen mehr als zwei, nicht von der einfachen Mehrheit gestützte Meinungen, so werden die für die größte Summe abgegebenen Stimmen den für die zunächst geringere Summe abgegebenen solange hinzugezählt, bis sich die erforderliche Mehrheit bildet.

(4) Keinem Kommissionsmitglied ist es gestattet, sich bei einer Entscheidung der Stimme zu enthalten.

(5) Über die Verhandlung der Oberkommission ist vom Vorsitzenden eine Niederschrift zu verfassen, die von den anwesenden Mitgliedern zu unterfertigen ist. Die Verweigerung der Unterschrift ist vom Vorsitzenden zu beurkunden.

(6) Gegen die Entscheidung der Oberkommission ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig."

1. Der VwGH stellt aus Anlaß mehrerer bei ihm anhängiger Beschwerden gegen Entscheidungen von Oberkommissionen für Jagd- und Wildschäden Anträge, die Abs 2 bis 6 des § 120 nö. JagdG als verfassungswidrig aufzuheben. Er geht davon aus, daß den Mitgliedern der Oberkommission vom Gesetz keine Unabhängigkeit garantiert ist, und hat dagegen folgende Bedenken:

"Ansprüche auf Ersatz von Wildschäden fallen als Schadenersatzansprüche unter den Begriff der zivilen Rechte ('civil rights and obligations') im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK (vgl. u.a. VfSlg. 5100). Über solche Ansprüche ist nach der genannten Bestimmung 'von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht (Tribunal)' zu entscheiden. Die bel. Beh. ist ihrer oben dargestellten Organisationsform nach nicht als 'Tribunal' im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK zu qualifizieren.

Der VfGH hat in seiner mit VfSlg. 5100 begonnenen und der darauf aufbauenden Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, daß kein Widerspruch zu Art 6 Abs 1 MRK bestehe, wenn eine mit administrativen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare behördliche Entscheidung sowohl vor dem VwGH als auch vor dem VfGH in Beschwerde gezogen werden kann. In den Beschlüssen vom , B695/84, und vom , B757/86, hat der VfGH jedoch das Bedenken geäußert, daß die nachprüfende Kontrolle durch die beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes den Erfordernissen des Art 6 MRK nicht zu genügen scheine. Er hat auf seine eigene, auf qualifizierte Rechtsverletzungen beschränkte Entscheidungszuständigkeit hingewiesen und hinsichtlich der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle das Bedenken formuliert, daß die begrenzte Entscheidungsbefugnis des VwGH in der Sache selbst ebensowenig diesen Anforderungen genüge wie die auf Verfahrensfehler der Behörde beschränkte Sachverhaltsprüfung des VwGH unter Ausschluß einer umfassenden Kontrolle der behördlichen Beweiswürdigung."

2. Auch beim VfGH ist zu B384/86 eine Beschwerde gegen die Entscheidung einer Oberkommission für Jagd- und Wildschäden anhängig. Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der VfGH von Amts wegen die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des zweiten und dritten Satzes des § 120 Abs 2 nö. JagdG beschlossen und unter Hinweis auf das soeben ergangene Erkenntnis B267/86 vom gleichfalls das Bedenken erhoben, die Oberkommission sei nicht als unabhängiges und unparteiisches Tribunal eingerichtet, wie dies Art 6 MRK von dem in der Sache selbst entscheidenden Organ zu verlangen scheine.

3. Die Niederösterreichische Landesregierung hält den Antrag des VwGH für zu eng, weil die gegen die Verfassungsmäßigkeit der Abs 2 bis 6 ins Treffen geführten Gründe auch die Verfassungswidrigkeit des Abs 1 bewirken müßten, und verteidigt die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Bestimmung zunächst auf dem Boden der bisherigen Rechtsprechung des VfGH. Sollte jedoch die Entscheidungsbefugnis des VwGH entgegen dieser Praxis nicht ausreichen, sieht sie den Sitz der Verfassungswidrigkeit in den einschränkenden Bestimmungen der §§41 und 42 VwGG:

"Diese Bestimmungen dürften sodann der aus Art 136 B-VG resultierenden Verpflichtung des Bundesgesetzgebers nicht mehr entsprechen, die auch die Schaffung einer Art 6 MRK konformen Kognitionsbefugnis für die Verwaltungsgerichtsbarkeit gebietet. Keinesfalls dürfte aber wegen dieser generellen verfassungsgesetzlichen Unterwerfung der Verwaltung unter die Kontrolle der Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts die Verfassungswidrigkeit in den einzelnen materiengesetzlichen Bestimmungen, die die Entscheidung über zivile Rechte durch Verwaltungsorgane regeln, angesiedelt werden. Andernfalls würde der Übernahme des Art 6 Abs 1 MRK in das österreichische Bundesverfassungsrecht eine sehr weitgehende Veränderung der Verfassung unterlegt, die bis in den baugesetzlichen Bereich des B-VG gehen dürfte. Vielmehr müßte auch bei der Interpretation des Art 6 Abs 1 MRK auf eine baugesetzkonforme Auslegung Bedacht genommen werden.

Die nachprüfende Kontrolle verwaltungsbehördlicher Entscheidungen durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts war auch bereits zum Zeitpunkt der Erhebung des Art 6 Abs 1 MRK in den Verfassungsrang fundamentaler Bestandteil der österreichischen Bundesverfassung, ebenso wie die für die Verwaltung essentielle Leitungsbefugnis (und -verpflichtung) der obersten Organe nach Art 20 Abs 1, 69 Abs 1 und 101 Abs 1 B-VG und die damit korrespondierende Weisungsgebundenheit der Verwaltungsorgane (Art20 Abs 1 B-VG). . . .

Demnach dürfte und darf der einfache Gesetzgeber gar keine Ausnahme von Art 20 Abs 1 normieren. Wenn nun vor dieser Rechtslage Art 6 Abs 1 MRK über die bestehende nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts hinaus zur Einrichtung von Tribunalen für die Entscheidung über zivile Rechte im Bereich der Verwaltung verpflichten würde, hieße dies, daß der Bundesverfassungsgesetzgeber mit ArtII des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 59/1964 Art 20 Abs 1 B-VG inhaltlich derart geändert habe, als er neben der Weisungsgebundenheit der Verwaltungsorgane auch die Leitungsbefugnis der obersten Organe für die verwaltungsbehördliche Entscheidung zivilrechtlicher Ansprüche und Verpflichtungen ausgeschaltet hätte."

Eine Verpflichtung zur Verwirklichung der Garantien des Art 6 MRK im Bereich der Verwaltung führe zur Ausschaltung des Landeshauptmannes als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung, widerspräche einer baugesetzkonformen Auslegung der Bundesverfassung und beschränke die Zuständigkeit der Länder, die sowohl für die Schaffung von Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag als auch für die Übertragung des Vollzuges an die ordentlichen Gerichte der Zustimmung der Bundesregierung bedürften (Hinweis auf VfSlg. 10294/1984), weshalb zu prüfen wäre, ob ArtII des BVG BGBl. 59/1964 (wonach die MRK in Verfassungsrang gehoben wurde) im Hinblick auf Art 44 Abs 2 B-VG überhaupt verfassungsmäßig zustandegekommen ist.

II. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind in bezug auf den zweiten und dritten Satz des § 120 Abs 2 nö. JagdG zulässig. Die Anträge des VwGH auf Aufhebung des ersten Satzes in § 120 Abs 2 und der Abs 3 bis 6 sind dagegen zurückzuweisen.

Es ist offenkundig, daß der VwGH in den bei ihm anhängigen Verfahren den zweiten Satz des § 120 Abs 2 anzuwenden hätte, daß die Anlaßbeschwerde beim VfGH zulässig ist und auch für den VfGH der zweite Satz des § 120 Abs 2 nö. JagdG präjudiziell ist. Mit den im zweiten Satz des § 120 Abs 2 enthaltenen Bestimmungen über die Berufung und Stellung der Mitglieder der Kommission steht aber der dritte über die Möglichkeit ihrer Abberufung in untrennbarem Zusammenhang.

Anzuwenden hätten die beiden Gerichtshöfe wohl auch noch den ersten Satz des § 120 Abs 2 sowie Abs 6 und möglicherweise - auch Teile anderer Absätze des § 120. Jedoch beziehen sich die geltend gemachten Bedenken nicht auf diese Vorschriften. Weder die Regelung über den Sprengel der Kommission (§120 Abs 2 erster Satz) noch jene über ihre Geschäftsführung (Abs3 bis 5) und die Zulässigkeit eines Rechtsmittels (Abs6) haben mit der allein maßgeblichen Frage nach der Zusammensetzung der Kommission und der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ihrer Mitglieder etwas zu tun. Es besteht auch insofern kein untrennbarer Zusammenhang mit dem zweiten und dritten Satz des § 120 Abs 2, als deren Aufhebung den verbleibenden Inhalt des Gesetzes zwar unanwendbar macht, aber nicht in eine andere Richtung verändert. Es ist daher nicht erforderlich, andere als die von Amts wegen in Prüfung gezogenen beiden Sätze aufzuheben, wenn sich die Bedenken als begründet erweisen (vgl. G181/86 ua. vom = VfSlg. 11506/1987).

III. Die Bedenken gegen die letzten beiden Sätze des § 120 Abs 2 nö. JagdG sind begründet. Diese Vorschriften verstoßen gegen das Recht, von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört zu werden, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat.

1. Auszugehen ist von der im Verfahren nicht in Frage gestellten Feststellung im Erkenntnis VfSlg. 5100/1965, daß es bei Regelungen über den Ersatz von Jagd- und Wildschäden um Zivilrecht im Sinne des österreichischen Rechtssystems geht und folglich über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne des Art 6 MRK zu entscheiden ist. Nähere Ausführungen in diese Richtung erübrigen sich daher. Ob sich die Zuständigkeit des Jagdgesetzgebers zur Regelung dieser Angelegenheit aus einer historisch zu erklärenden Herausnahme dieser Materie aus dem Kompetenzbegriff Zivilrechtswesen (Art10 Abs 1 Z 6 B-VG) oder aus der Möglichkeit ergibt, die zur Regelung eines Gegenstandes erforderlichen Bestimmungen auch auf dem Gebiet des Zivilrechtes zu treffen (Art15 Abs 9 B-VG), kann hier dahingestellt bleiben: Mit der kompetenzrechtlichen Seite der Sache hat die Anwendbarkeit des Art 6 MRK nicht zu tun.

Im Verfahren ist auch nicht bezweifelt worden, daß die zur Entscheidung über Jagd- und Wildschäden (in zweiter Instanz) berufene Oberkommission nicht als ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal im Sinne des Art 6 MRK eingerichtet ist. Ihre Mitglieder sind weisungsgebundene Verwaltungsorgane und schon wegen jedweder Pflichtverletzung absetzbar. Zu beantworten ist daher nur mehr die Frage, ob die nachprüfende Kontrolle des VwGH (gegebenenfalls in Verbindung mit der Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof) den Anforderungen des Art 6 MRK genügt.

2. Diese Frage hat der VfGH im Erkenntnis VfSlg. 5100/1965 bejaht. Es ist zwar in einem Gesetzesprüfungsverfahren ergangen, bewirkt aber Rechtskraft nur für den damals in Prüfung gestandenen § 99 Abs 1 des burgenländischen JagdG, LGBl. 2/1951. Der VfGH ist durch dieses Erkenntnis also nicht gehindert, die Verfassungsmäßigkeit des nö. JagdG aufgrund derselben Bedenken zu überprüfen und seinem Urteil den gegenwärtigen Stand seiner unter Beachtung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gewonnenen - Erkenntnisse zugrundezulegen.

Neuerliche Zweifel, ob die nachprüfende Kontrolle des VwGH den Anforderungen des Art 6 MRK genügt, hat der VfGH bereits in den vom VwGH bezogenen Prüfungsbeschlüssen geäußert. Er hat das durch den Beschluß zu B695/84 eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren betreffend § 21 ApothekerkammerG (Disziplinarberufungssenat) zwar inzwischen mit Erkenntnis G181/86 ua. vom abgeschlossen, mußte die erwähnte Frage aber offen lassen, weil die Angelegenheit sich als die Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage erwiesen hat und der Gerichtshof dafür das Einschreiten eines Tribunals für erforderlich hält. Auch das in einer Bausache ergangene Erkenntnis B267/86 vom gleichen Tag, das die im Einleitungsbeschluß des vorliegenden Verfahrens G232/87 wiedergegebenen Bedenken formuliert, hat die Frage letztlich unbeantwortet gelassen (II 4 e). Nur als eine der möglichen Schlußfolgerungen aus den zum Verwaltungsrecht angestellten Überlegungen hat der Gerichtshof dort die Auffassung angedeutet, die traditionelle Ziviljustiz könnte einen Kernbereich des Art 6 MRK darstellen, für welchen ähnliches gilt wie für das Strafrecht (II 4 f dd vorletzter Absatz). Ob diese Erwägungen stichhältig sind, muß im vorliegenden Verfahren erst entschieden werden.

3. Art 6 MRK lautet in dem hier in Betracht kommenden Teil:

"Jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muß öffentlich verkündet werden, . . .".

Demnach verlangt Art 6 Abs 1 MRK, daß über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der strafrechtlichen Anklage ein Tribunal selbst entscheidet. Die Bedeutung dieser Garantie läßt sich nicht allein aus dem Text des Art 6 ablesen. Im Erkenntnis G181/86 ua. vom hat der VfGH - dem Erkenntnis VfSlg. 10291/1984 folgend - unter Heranziehung des Art 5 MRK und des österreichischen Vorbehalts zu diesem Artikel dargelegt, daß ein den Organisationsgarantien des Art 6 MRK entsprechendes Tribunal das Verfahren nach den Garantien desselben Artikels durchzuführen und aufgrund der Ergebnisse dieses Verfahrens selbst zur Strafe zu verurteilen hat. Der so für den Bereich des Strafrechts ermittelte Inhalt des Art 6 muß offenbar auch für den Kernbereich der civil rights gelten. Einer Auslegung, nach der für die Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen die Garantie eines Tribunals weniger wirksam wäre als für die Entscheidung über strafrechtliche Anklagen, bietet der Text der Konvention keine Handhabe. Auch in der Literatur werden insofern Unterschiede nicht behauptet (vgl. Frowein-Peukert, Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 1985, RdZ 37ff zu Art 6). Daß diese Gleichstellung mit dem Strafrecht freilich nur für die Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen selbst gelten kann und nicht auch für Streitigkeiten (öffentlich-rechtlicher Natur), die solche Ansprüche und Verpflichtungen nur in ihren Auswirkungen betreffen, hat der VfGH im wiederholt genannten Erkenntnis B267/86 vom (= VfSlg. 11500/1987) ausführlich dargelegt; zur Vermeidung von Wiederholungen sei auf dieses Erkenntnis (II 4 f dd) verwiesen. Anders als die dort behandelten Verwaltungsmaterien gehört aber die Entscheidung über den Ersatz von Jagd- und Wildschäden ihrer rechtlichen Natur nach zur traditionellen Ziviljustiz. Die Eigenart des österreichischen Rechts, Angelegenheiten der Jagd- und Wildschäden ungeachtet ihrer bürgerlich-rechtlichen Natur des engen Sachzusammenhanges wegen in den jagdrechtlichen (und daher dem Landesgesetzgeber vorbehaltenen) Vorschriften zu regeln, und die damit verbundene Neigung, die Entscheidung endgültig Verwaltungsbehörden zuzuweisen, muß dabei außer Betracht bleiben. Auf solche Besonderheiten nimmt der autonom auszulegende Art 6 MRK nicht Rücksicht.

Die besonderen Ziele und Folgen eines Zivilverfahrens machen es wohl möglich, der Entscheidung durch das Tribunal ein Verfahren vor einer weisungsgebundenen Verwaltungsbehörde vorzuschalten. Es reicht aus, wenn das letztlich maßgebliche Tribunal aufgrund selbständiger Feststellung und Würdigung der Tat- und Rechtsfragen die Sachentscheidung fällt. Für diese Aufgabe ist der VwGH aber ungeachtet seiner weitgehenden Entscheidungsbefugnis nicht eingerichtet.

Für die Entscheidung über Angelegenheiten des Kernbereichs der civil rights reicht daher die nachprüfende Kontrolle durch den VwGH nicht aus.

Ein gänzlicher Umbau der österreichischen Rechtsordnung, wie ihn die niederösterreichische Landesregierung befürchtet und der VfGH im Erkenntnis B267/86 als unvermeidlich nachgewiesen hat, falls das Gros der Verwaltungsmaterien unter gleich strenge Garantien fallen sollte, wird durch die Garantie eines Tribunals im engeren Bereich des Zivilrechts nicht notwendig. Auch das österreichische Recht weist solche Angelegenheiten ja nur in Ausnahmefällen anderen Behörden als Gerichten zu. Was der VfGH gegen eine Auslegung ins Treffen geführt hat, nach welcher die nachprüfende Kontrolle durch den VwGH auch im Verwaltungsrecht nicht genügen würde, kann daher im Bereich des eigentlichen Zivilrechts nicht durchschlagen. Die ausnahmsweise Zuweisung bürgerlicher Rechtssachen an ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal ist mit dem österreichischen Rechtssystem verträglich. Das Belassen der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur Entscheidung über bürgerliche Rechtsstreitigkeiten (§1 JN) oder die Einrichtung von Tribunalen in Form weisungsfreier Kommissionen hat keine wesentliche Umgestaltung des österreichischen Staatsorganisationsrechts zur Folge und bewirkt keine entscheidende Veränderung der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Ob die niederösterreichische Landesregierung aus dem Erkenntnis VfSlg. 10294/1984 für das Verhältnis der Länder zum Bund die richtigen Schlüsse zieht, kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben (vgl. auch VfSlg. 8654/1979 S. 174).

Die in Prüfung stehenden Vorschriften sind daher als verfassungswidrig aufzuheben.

IV. Im Hinblick auf die Art des Verfassungsverstoßes sieht sich der Gerichtshof nicht veranlaßt, für das Inkrafttreten der Aufhebung eine Frist zu setzen. Er hält es für erträglich, wenn die Verfolgung von Schadenersatzansprüche bis zur Neuregelung der Angelegenheit mangels Anwendbarkeit des § 120 JagdG für eine gewisse Zeit gehemmt bleibt. Das in Art 6 MRK verankerte Recht, "innerhalb einer angemessenen Frist gehört" zu werden, verpflichtet den Gesetzgeber allerdings zur raschen Herstellung eines konventionsgemäßen Tribunals.

Der Ausspruch über die Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art 140 Abs 5 B-VG, der Ausschluß des Wirksamwerdens früherer Vorschriften auf Art 140 Abs 6 B-VG.