VfGH vom 10.12.1996, G127/96
Sammlungsnummer
14703
Leitsatz
Einstellung des Verfahrens zur Prüfung der Regelung der Beigabe eines Amtsverteidigers im Strafprozeß mangels Präjudizialität; Verstoß der Regelung über die Beigebung eines Rechtsanwalts aufgrund eines Gerichtsbeschlusses in der RAO gegen den Gleichheitssatz aufgrund des einseitigen Kostenrisikos des Amtsverteidigers; Belastung mit dem Risiko der Uneinbringlichkeit der Verfahrenskosten kein vernachlässigbarer Härtefall; keine sachliche Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Verfahrenshilfe- und Amtsverteidigern
Spruch
Das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes des § 41 Abs 3 der Strafprozeßordnung idF des Strafprozeßänderungsgesetzes 1993, BGBl. Nr. 526/1993, wird eingestellt.
Die Wortfolge "Hat das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwalts beschlossen oder" sowie das Wort "solche" im § 45 Abs 1 der Rechtsanwaltsordnung idF des BG BGBl. Nr. 383/1983 werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Frühere Gesetzesbestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Mit Beschluß des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , Z 23b Vr 10689/93, wurde der Antrag des in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers abgewiesen und diesem ein Amtsverteidiger gemäß § 41 Abs 3 StPO beigegeben.
1.1.2. Die gegen die Abweisung des Antrages auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers vom Beschuldigten erhobene Beschwerde wurde von der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien mit Beschluß vom ,
Z23b Vr 428/94, abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, daß der Umstand, daß es sich beim Beschuldigten um einen in Israel wohnhaften polnischen Staatsangehörigen handle und daß er bei seiner Festnahme nur geringe Barmittel mit sich führte, nicht geeignet sei, die Voraussetzungen des § 41 Abs 2 StPO zu begründen, weil Israel über einen geordneten Geldverkehr verfüge, sodaß für den Beschuldigten die Inanspruchnahme seiner Vermögenswerte in Israel jederzeit möglich sei.
1.2.1. Mit Bescheid der Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom wurde ein Rechtsanwalt gemäß § 45 RAO zum Amtsverteidiger für den Beschuldigten bestellt.
1.2.2. Gegen diesen Bescheid wurde von dem als Amtsverteidiger bestellten Rechtsanwalt Vorstellung erhoben, der jedoch vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien mit Beschluß vom keine Folge gegeben wurde.
1.3. Die vom bestellten Amtsverteidiger gegen den Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom in eigener Sache erhobene Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom , Z 23 Bs 82, 83/94, als unzulässig zurückgewiesen, weil einerseits ein Rechtszug gegen die nach § 113 Abs 1 StPO ergangene Entscheidung der Ratskammer nicht vorgesehen sei und andererseits, weil dem vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer bestellten Amtsverteidiger gegen die Beigebung eines Amtsverteidigers für einen Beschuldigten keine Beschwerdelegitimation nach § 41 Abs 7 StPO zukomme.
1.4. Nachdem die Hauptverhandlung durchgeführt und am das Urteil gefällt worden war, wurde dem Verurteilten vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluß vom gemäß § 41 Abs 2 StPO die Beigebung eines Verfahrenshelfers bewilligt und der bisherige Amtsverteidiger mit Bescheid der Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom für das Rechtsmittelverfahren als Verfahrenshilfeverteidiger gemäß § 45 RAO zur Ausführung der Berufung gegen das verhängte Urteil bestellt.
2.1. Gegen den Bescheid, mit dem der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien der Vorstellung des bestellten Amtsverteidigers gegen den Bescheid der Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer über seine Bestellung keine Folge gab, wurde von diesem eine auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde erhoben, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf ein gerichtliches Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.
2.2. Bei der Beratung über diese zu B535/94 protokollierte Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes des § 41 Abs 3 StPO idF BGBl. Nr. 526/1993 und der Wortfolge "Hat das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwalts beschlossen oder" sowie des Wortes "solche" im § 45 Abs 1 RAO idF des BG BGBl. Nr. 383/1983 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher mit Beschluß vom von Amts wegen beschlossen, zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der genannten Bestimmungen ein Verfahren gemäß Art 140 Abs 1 B-VG einzuleiten.
3. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen in ihrem rechtlichen Zusammenhang lauten wie folgt:
3.1. § 41 Abs 3 StPO idF BGBl. Nr. 526/1993 - der in Prüfung gezogene zweite Satz ist hervorgehoben - lautet:
"(3) In den Fällen des Abs 1 sind der Beschuldigte (Angeklagte, Betroffene) und sein gesetzlicher Vertreter aufzufordern, einen Verteidiger zu wählen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach Abs 2 zu beantragen. Wählt weder der Beschuldigte noch sein gesetzlicher Vertreter für ihn einen Verteidiger, so ist ihm von Amts wegen ein Verteidiger beizugeben, dessen Kosten er zu tragen hat (Amtsverteidiger)."
§ 45 Abs 1 RAO idF BGBl. Nr. 383/1983 - die in Prüfung gezogenen Stellen sind hervorgehoben - lautet:
"(1) Hat das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwalts beschlossen oder schließt die Bewilligung der Verfahrenshilfe eine solche Beigebung ein, so hat die Partei Anspruch auf die Bestellung eines Rechtsanwalts durch die Rechtsanwaltskammer."
3.2. Diesen Bestimmungen liegt folgendes System zugrunde:
3.2.1.1. § 41 Abs 1 StPO zählt die Fälle auf, für die der Beschuldigte (Angeklagte, Betroffene) eines Verteidigers bedarf. Im Falle einer notwendigen Verteidigung hat das Gericht, wenn ein Anwalt vom Beschuldigten nicht bestellt wird, die Beigebung eines Amtsverteidigers oder Verfahrenshilfeverteidigers zu beschließen, dessen Auswahl und Bestellung der Rechtsanwaltskammer obliegt.
3.2.1.2. Gemäß § 41 Abs 2 StPO hat das Gericht demnach auf Antrag des Beschuldigten zu beschließen, daß diesem ein Verfahrenshilfeverteidiger beigegeben wird, dessen Kosten der Beschuldigte nicht zu tragen hat, wenn der Beschuldigte außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes die Kosten der Verteidigung zu tragen (Verfahrenshilfeverteidiger).
In Fällen der notwendigen Verteidigung ist dem Beschuldigten, wenn die Voraussetzungen für die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nicht vorliegen, er aber dennoch keinen Verteidiger wählt, nach § 41 Abs 3 leg.cit. von Amts wegen ein Verteidiger beizugeben, dessen Kosten der Beschuldigte zu tragen hat (Amtsverteidiger).
3.2.2.1. Rechtsgrundlage für die Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers und eines Amtsverteidigers ist § 45 Abs 1 RAO; die Partei (der Beschuldigte) hat Anspruch auf die Bestellung eines Rechtsanwalts durch die Rechtsanwaltskammer, wenn das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwalts als Amtsverteidiger beschlossen hat oder die gerichtliche Bewilligung der Verfahrenshilfe die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers einschließt.
Gemäß § 16 Abs 2 RAO hat der so bestellte Rechtsanwalt die Vertretung oder Verteidigung der Partei nach Maßgabe des Bestellungsbescheides zu übernehmen und mit der gleichen Sorgfalt wie ein frei gewählter Rechtsanwalt zu besorgen.
3.2.2.2. Nach § 16 Abs 3 RAO haben die in der Liste einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen und nach den §§45 oder 45a bestellten Rechtsanwälte an diese Rechtsanwaltskammer für die Leistungen, für die sie zufolge verfahrensrechtlicher Vorschriften sonst keinen Entlohnungsanspruch hätten, einen Anspruch darauf, daß die Rechtsanwaltskammer jedem von ihnen aus dem ihr zugewiesenen Beitrag der Pauschalvergütung einen gleichen Anteil auf seinen Beitrag zur Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung anrechnet, soweit nicht ein Anspruch auf Vergütung nach Abs 4 des § 16 RAO besteht. Gemäß Abs 4 des § 16 RAO hat ein nach §§45 oder 45a leg.cit. bestellter Verfahrenshilfeverteidiger, der mehr als 10 Verhandlungstage oder insgesamt mehr als 50 Verhandlungsstunden tätigt wird, unter den Voraussetzungen des Abs 3 für alle darüber hinausgehenden Leistungen einen Anspruch auf angemessene Vergütung an die Rechtsanwaltskammer.
3.2.2.3. Gemäß § 47 Abs 1 RAO hat der Bund dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag für die Leistungen der nach § 45 bestellten Rechtsanwälte, für die diese zufolge verfahrensrechtlicher Vorschriften sonst keinen Entlohnungsanspruch hätten, jährlich eine angemessene Pauschalvergütung zu zahlen.
3.2.2.4. § 10 Abs 3 RAO sieht schließlich vor, daß der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer einer zahlungsfähigen Partei, deren Vertretung kein Rechtsanwalt freiwillig übernimmt, einen Rechtsanwalt als Vertreter zu bestellen hat; dieser muß die Vertretung jedoch nur gegen Sicherstellung der Vertretungsgebühren übernehmen.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat im Einleitungsbeschluß zur Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen ausgeführt:
"Der Beschwerdeführer wurde mit dem angefochtenen Bescheid zum Amtsverteidiger bestellt. Die in Prüfung gezogenen Worte des § 45 Abs 1 RAO wurden von der belangten Behörde, wovon der Verfassungsgerichtshof vorläufig ausgeht, als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides angewendet; auch der Verfassungsgerichtshof dürfte bei der Erledigung der an ihn gerichteten Beschwerde die in Prüfung gezogene Wortfolge anzuwenden haben. § 45 Abs 1 RAO kann jedoch nicht isoliert betrachtet werden. Für Rechtsanwälte, die zu Amtsverteidigern aufgrund der in Prüfung gezogenen Worte von der Rechtsanwaltskammer bestellt werden, ergibt sich erst aus der Bestimmung des § 41 Abs 3 zweiter Satz StPO, daß sie dem Beschuldigten nicht unentgeltlich beigegeben werden. Wohl hat § 41 Abs 3 zweiter Satz nur den Beschuldigten zum unmittelbaren Adressaten, wenn in dieser Bestimmung festgelegt wird, daß er die Kosten des ihm beigegebenen Amtsverteidigers zu tragen hat. Daß der Amtsverteidiger seine Honoraransprüche gegen den Beschuldigten geltend zu machen hat, ist, da sich hierüber keine Bestimmung in der RAO findet, wie der Verfassungsgerichtshof vorläufig meint, ausschließlich aus § 41 Abs 3 zweiter Satz StPO zu erschließen. Da § 45 Abs 1 RAO, wie seinem Wortlaut zu entnehmen ist, an die vom Gericht gemäß § 41 StPO beschlossene Beigebung eines Rechtsanwaltes inhaltlich anknüpft, wird Abs 3 zweiter Satz dieser Bestimmung der StPO normativ auch zum Inhalt des § 45 Abs 1 RAO. Die Anwendung des § 45 Abs 1 RAO schließt daher die Anwendung des § 41 Abs 3 zweiter Satz StPO mit ein, sodaß auch dieser Bestimmung Präjudizialität zukommt."
5. Die Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Gesetzesstellen legte der Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluß folgendermaßen dar:
"§45 Abs 1 RAO regelt zwei Fälle: Die Verfahrenshilfe und die Amtsverteidigung. In beiden Fällen wird der Anwalt gesetzlich zu einer Leistung verpflichtet. Im Fall der Verfahrenshilfe ist eine Gegenleistung vorgesehen: Der Bund zahlt für Leistungen des Verfahrenshelfers an den Rechtsanwaltskammertag die Pauschalvergütung, die teilweise die dem zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt zustehenden Ansprüche auf Versorgungsleistungen finanziert. Bei der Amtsverteidigung trifft demgegenüber das Risiko der Einbringlichkeit von Honoraransprüchen ausschließlich den zum Amtsverteidiger bestellten Anwalt.
Nun trifft ein solches Risiko auch einen freigewählten Anwalt. Von einem solchen oder einem nach § 10 Abs 3 RAO bestellten Anwalt unterscheidet sich der Amtsverteidiger jedoch darin, daß er sein Einschreiten nicht davon abhängig machen kann, daß seine Honoraransprüche bevorschußt oder sichergestellt werden.
Dem Verfassungsgerichtshof scheint vorläufig diese Regelung der Amtsverteidigung als unsachlich. Der Verfassungsgerichtshof verweist hiezu auf seine Ausführungen im Erkenntnis VfSlg. 6945/1972 S. 1311 bis 1312.
Er hegt aufgrund der aufgezeigten Umstände somit den Verdacht, daß die in Prüfung gezogenen Bestimmungen mit dem Gleichheitsgebot in Widerspruch stehen."
6. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen nicht hinsichtlich der in Prüfung gezogenen Teile des § 45 Abs 1 RAO, wohl aber hinsichtlich des zweiten Satzes des § 41 Abs 3 StPO bestreitet.
In der Sache tritt die Bundesregierung den vom Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluß aufgeworfenen Bedenken im wesentlichen wie folgt entgegen:
"Wenn und weil die Bestellung eines Amtsverteidigers nach § 41 Abs 3 iVm Abs 4 und Abs 2 StPO zur Voraussetzung hat, daß der Beschuldigte über die zur Bezahlung eines Anwalts erforderlichen Mittel verfügt, kann es unter normalen Umständen zu einer Uneinbringlichkeit der Honorarforderungen des Amtsverteidigers gar nicht kommen. Das den Amtsverteidiger treffende Risiko stellt somit ein bloßes Restrisiko dar, das sich allenfalls in vereinzelten Härtefällen - insbesondere bei unrichtiger Einschätzung der Vermögensverhältnisse des Beschuldigten oder deren nachträglicher Veränderung - aktualisieren kann.
Die Prüfung der Voraussetzung der Beigebung eines Amtsverteidigers obliegt einem unabhängigen Gericht und kann nach § 41 Abs 7 StPO im Rechtsmittelweg überprüft werden. Diese verfahrensrechtlichen Kautelen bieten hinreichende Gewähr, daß der Beschuldigte über Mittel zur Bezahlung seines Anwalts verfügt. Gegen allfällige Fehlentscheidungen der Gerichte kann der Amtsverteidiger im Wege der Amtshaftung vorgehen.
Hinzu kommt, daß das Gericht auch noch anläßlich der Entscheidung über den Kostenbestimmungsantrag nach § 395 Abs 5 StPO darüber befinden kann, ob der Verurteilte imstande war, die Kosten des Amtsverteidigers ohne Beeinträchtigung seines zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts zu tragen, weil er nur unter dieser Voraussetzung zur Bezahlung verpflichtet ist (vgl. EvBl. 1986/36 = SSt 56/41). Dies entspricht dem Grundsatz der StPO, daß alle Beschlüsse, die den Beschuldigten benachteiligen, in analoger Anwendung des § 353 StPO der Wiederaufnahme unterliegen (vgl. Bertel, Grundriß des österreichischen Strafverfahrensrechts, 4. Aufl. 1994, RZ 1072 mwN).
Das Risiko nachträglichen Wegfalls des Deckungsfonds wird für den Amtsverteidiger schließlich auch dadurch gemildert, daß sich seine Tätigkeit auf überschaubare Abschnitte beschränkt. Während nach § 41 Abs 5 StPO die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers für das gesamte Verfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluß und darüber hinaus auch für ein allfälliges Verfahren auf Grund einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes Gültigkeit hat, ist in § 41 Abs 3 StPO vorgesehen, daß ein Amtsverteidiger nur 'punktuell' für die im § 41 Abs 1 StPO bezeichneten Verfahrensabschnitte und Verfahrensteile beigegeben wird. ... Dadurch wird das Risiko der Uneinbringlichkeit von Honoraransprüchen begrenzt.
...
Der Verfassungsgerichtshof weist zurecht darauf hin, daß freigewählte oder nach § 10 Abs 3 RAO bestellte Anwälte im Gegensatz zu Amtsverteidigern ihr Einschreiten davon abhängig machen dürfen, daß der Vertretene die Kosten des Einschreitens sicherstellt oder bevorschußt.
Nach Auffassung der Bundesregierung kann jedoch im Fehlen eines vergleichbaren Vorbehalts für Amtsverteidiger schon deshalb keine Unsachlichkeit erblickt werden, weil ein solcher Vorbehalt dem Sinn der Amtsverteidigung zuwiderlaufen würde. Dieses Rechtsinstitut dient ... der Sicherung einer notwendigen Verteidigung. Hinge die Pflicht zum Einschreiten des Amtsverteidigers von Vorschüssen und Sicherheitsleistungen ab, so hätte es der Beschuldigte in der Hand, seine Vertretung im Ergebnis durch die Weigerung zu vereiteln, die zu erwartenden Anwaltsgebühren sicherzustellen.
Die Bundesregierung räumt ein, daß sich das Risiko der Uneinbringlichkeit der Kosten des Amtsverteidigers auch auf andere Weise - etwa durch Einführung einer Ausfallshaftung des Bundes - ausschließen ließe. Ihrer Auffassung nach ist jedoch der Gesetzgeber dazu von Verfassungs wegen nicht verpflichtet:
§ 8 Abs 2 RAO behält die Befugnis zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, öffentlichen und privaten Angelegenheiten den Rechtsanwälten vor; das Bundesgesetz über den Rechtsanwaltstarif, BGBl. Nr. 189/1969, sichert den Rechtsanwälten eine standesgemäße Entlohnung. Dieser privilegierten Stellung korrespondieren besondere Pflichten, die dem Rechtsanwalt im Interesse einer geordneten Rechtspflege auferlegt sind. Dazu zählt nicht nur das Gebot, nach Bestellung durch den Ausschuß gemäß §§10 Abs 3, 45 oder 45a die Vertretung von Parteien zu übernehmen. Auch freigewählte Anwälte werden mitunter gehalten, eine Partei gegen ihren Willen weiter zu vertreten.
Ein freigewählter Anwalt ist nach § 11 Abs 2 RAO zwar berechtigt, die Vertretung zu kündigen. Er muß jedoch seine Partei noch weitere 14 Tage ab Zustellung der Kündigung insoweit vertreten, als dies nötig ist, um die Partei vor Rechtsnachteilen zu schützen. Es trifft folglich auch ihn eine Verpflichtung, Leistungen zu erbringen, ohne das Einschreiten von der Sicherung seiner Honorarforderungen abhängig machen zu können.
Darüberhinaus unterliegen die Möglichkeiten eines freigewählten Anwalts, seine Forderungen zu sichern, standesrechtlichen Beschränkungen. ...
Das Risiko, die für eine im Interesse der Rechtspflege erforderliche Vertretung gebührende Gegenleistung vom Vertretenen nicht hereinzubringen, trifft demnach Amtsverteidiger und freigewählte Anwälte in vergleichbarer Weise. Es zählt zu den mit dem Beruf eines Rechtsanwalts verbundenen Lasten und wird durch besondere Rechte aufgewogen.
Dabei sei hervorgehoben, daß ein Amtsverteidiger nur dort bestellt werden kann, wo absoluter Verteidigerzwang besteht. Vereinzelte Härtefälle spielen sich daher im Schatten einer Regelung ab, die für den Anwaltsstand insgesamt ohne jeden Zweifel mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden ist, die sich, mittelbar oder unmittelbar auch zum Vorteil des einzelnen Anwalts auswirken."
Weiters weist die Bundesregierung unter Berufung auf § 21 Ärztegesetz, § 21 Abs 3 Tierärztegesetz, § 22 Abs 2 dritter Satz Krankenanstaltengesetz und § 6 Abs 2 Hebammengesetz darauf hin, daß die Rechtsanwaltschaft nicht die einzige Berufsgruppe ist, welcher es der Gesetzgeber im öffentlichen Interesse fallweise zumutet, sich nicht gegen eine Uneinbringlichkeit der ihr gebührenden Gegenleistungen absichern zu können.
Die Bundesregierung stellt den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle das Verfahren zur Prüfung des § 41 Abs 3 zweiter Satz StPO idF BGBl. Nr. 526/1993 einstellen, in eventu den genannten Satz nicht als verfassungswidrig aufheben, sowie das Verfahren hinsichtlich der in Prüfung gezogenen Teile im § 45 Abs 1 RAO idF BGBl. Nr. 383/1983 einstellen, in eventu die bezeichneten Wendungen nicht als verfassungswidrig aufheben. Für den Fall der Aufhebung von Bestimmungen stellt die Bundesregierung den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von 18 Monaten bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.
7. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Prüfungsverfahrens erwogen:
7.1. Der Annahme des Einleitungsbeschlusses, daß vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer im angefochtenen Bescheid des Anlaßverfahrens der in Prüfung gezogene zweite Satz des § 41 Abs 3 StPO angewendet worden ist und daß auch der Verfassungsgerichtshof bei der Entscheidung über die an ihn gerichtete Beschwerde diese Norm anzuwenden hätte, ist die Bundesregierung im wesentlichen wie folgt entgegengetreten:
"Wenn der Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluß ... ins Treffen führt, daß § 45 Abs 1 RAO an die vom Gericht beschlossene Beigebung eines Rechtsanwaltes anknüpfe und daß eben dadurch der zweite Satz des § 41 Abs 3 StPO normativ auch zum Inhalt des § 45 Abs 1 RAO werde, so ist dem entgegenzuhalten, daß in der genannten Bestimmung eine Tatbestandswirkung des gerichtlichen Beschlusses normiert ist, welche es dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer verwehrt, das Vorliegen von Beigebungsvoraussetzungen wie Beigebungsfolgen selbständig zu beurteilen. Mit anderen Worten: Dem Ausschuß ist es selbst auf der Vorfragenebene verwehrt, auf § 41 Abs 3 StPO zu greifen. Ob die Beigebung rechtmäßig ist und von wem die Kosten des beigegebenen Anwalts zu tragen sind, spielt für seine Entscheidung keine Rolle.
Nach Auffassung der Bundesregierung liegen die Prozeßvoraussetzungen hinsichtlich des zweiten Satzes des § 41 Abs 3 StPO mangels Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung nicht vor."
7.2. Der Verfassungsgerichtshof pflichtet diesen Ausführungen mit folgender Maßgabe bei:
7.2.1. Er folgt der Auffassung der Bundesregierung, daß dem aufgrund des § 41 Abs 3 StPO ergehenden Beschluß, wonach einem Beschuldigten ein Amtsverteidiger beigegeben wird, für das vor dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer zu führende Bestellungsverfahren Tatbestandswirkung zukommt und daß es dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer verwehrt ist, in diesem Verfahren das Vorliegen der Voraussetzungen für die Beigebung eines Amtsverteidigers selbständig zu beurteilen oder zu überprüfen. Der zweite Satz des § 41 Abs 3 StPO war daher bei Erlassung des im Anlaßverfahren angefochtenen Bescheides nicht anzuwenden; auch der Verfassungsgerichtshof hätte diese Bestimmung bei Beurteilung der an ihn gerichteten Beschwerde nicht anzuwenden.
Mangels Präjudizialität ist daher das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes des § 41 Abs 3 StPO einzustellen.
7.2.2. Das bedeutet jedoch nicht, daß § 45 Abs 1 RAO nur isoliert betrachtet werden kann. Der Verfassungsgerichtshof folgt auch nicht der Bundesregierung, wenn diese meint, die in Prüfung gezogene Wortfolge des § 45 Abs 1 RAO könne wegen "Kostenblindheit" nicht der Sitz der vom Verfassungsgerichtshof aufgeworfenen Bedenken sein. Er ist vielmehr der Ansicht, daß die in Prüfung gezogenen Teile des § 45 Abs 1 RAO ihren Inhalt aufgrund des sachlichen Zusammenhanges aus dem zweiten Satz des § 41 Abs 3 StPO beziehen. Der Inhalt dieser Bestimmung ist, da sich sonst keine Vorschrift findet, die die Honorierung von Amtsverteidigern regelt, in § 45 Abs 1 RAO eingeflossen, sodaß die im Einleitungsbeschluß aufgeworfenen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes diese Regelung treffen.
Da die in Prüfung gezogenen Teile des § 45 Abs 1 RAO - dieser Ansicht ist auch die Bundesregierung - offenkundig bei Erlassung des angefochtenen Bescheides von der belangten Behörde angewendet wurden und auch vom Verfassungsgerichtshof bei Beurteilung der an ihn gerichteten Beschwerde anzuwenden wären, sind sie präjudiziell, weshalb, da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, das Gesetzesprüfungsverfahren insofern zulässig ist.
8. Der Verfassungsgerichtshof hat, soweit das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig ist, in der Sache selbst erwogen:
8.1. Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes - die, wie bereits dargelegt, ihren Sitz im § 45 Abs 1 RAO haben - lassen sich mit der Frage zusammenfassen, ob es sachlich gerechtfertigt ist, einem Amtsverteidiger, dessen Kosten vom Beschuldigten zu tragen sind, mit dem Risiko der Einbringlichkeit von Honoraransprüchen zu belasten.
8.2. Die Bundesregierung meint, daß der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet sei, dem Amtsverteidiger dieses Risiko abzunehmen.
8.2.1. Zur Rechtfertigung der in Prüfung gezogenen Regelung führt sie aus, daß das den Amtsverteidiger treffende Kostenrisiko ein bloßes Restrisiko sei, das sich allenfalls in vereinzelten Fällen aktualisieren könne.
Der Verfassungsgerichtshof kann diese Auffassung nicht teilen. Mit dem Wort "Restrisiko" umschreibt die Bundesregierung nämlich der Sache nach ihre Meinung, daß nur in einem geringen Teil der Fälle die auflaufenden Verteidigungskosten - aus welchen Gründen immer - unhonoriert bleiben, mit anderen Worten, daß es nur in einem kleinen Teil der Fälle Amtsverteidigern zugemutet werde, auch ohne Honorierung die Verteidigung auszuüben; solche Fälle qualifiziert die Bundesregierung als vereinzelt auftretende Härtefälle.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes können solche Fälle nicht als "vereinzelte Härtefälle" betrachtet werden, zumal in der Praxis Fälle, in denen der Amtsverteidiger unhonoriert bleibt, geradezu den Regelfall darstellen. Die mit den in Prüfung gezogenen Teilen des § 45 Abs 1 RAO geschaffene Rechtslage führt dazu, daß Amtsverteidiger in geradezu typischen Fällen, für die eine notwendige Verteidigung vorgesehen ist, mit dem Risiko der Uneinbringlichkeit der ihnen im Zuge der Verteidigung entstehenden Kosten belastet werden. Daß sich dieses Kostenrisiko nicht in allen Fällen zu Lasten des bestellten Amtsverteidigers auswirkt, macht diese Fälle keineswegs zu Härtefällen, die unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes in Kauf genommen werden können.
Selbst wenn man aber den Ausführungen der Bundesregierung folgen und davon ausgehen würde, daß Amtsverteidiger nur in einzelnen Fällen unhonoriert bleiben, wäre damit für die sachliche Rechtfertigung der in Prüfung gezogenen Teile des § 45 Abs 1 RAO nichts gewonnen: Kann doch von unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes vernachlässigbaren Härtefällen - wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 12638/1991 (dieses betraf die Verfahrenshilfe) ausgeführt hat - dann keine Rede sein, wenn es sich bei ihnen um "Fälle besonders umfangreicher und arbeitsintensiver ...
Strafverteidigungen (handelt), die Verfahrenshelfer wochen- und auch monatelang in Anspruch nehmen". Der Verfassungsgerichtshof zweifelt nicht daran, daß solche Fälle auch bei Amtsverteidigern auftreten. Auch die Bundesregierung hat gegenteiliges nicht vorgebracht.
8.2.2. Im übrigen sind die Ausführungen der Bundesregierung schon im Hinblick darauf, daß sie auf die unterschiedliche Behandlung von Verfahrenshilfe- und Amtsverteidigern im Hinblick auf die Sicherung der Einbringlichkeit ihres Honorars gar nicht Bezug nehmen, nicht geeignet, die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zu zerstreuen.
8.3. Das vom Verfassungsgerichtshof in seinem Einleitungsbeschluß geäußerte Bedenken, daß die in Prüfung gezogenen Teile des § 45 Abs 1 RAO mit dem aus dem Gleichheitssatz der Bundesverfassung erfließenden Sachlichkeitsgebot unvereinbar sind, konnte somit im Gesetzesprüfungsverfahren nicht widerlegt werden.
Die Wortfolge "Hat das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwalts beschlossen oder" sowie das Wort "solche" im § 45 Abs 1 RAO idF des BGBl. Nr. 383/1983 sind daher als verfassungswidrig aufzuheben.
9. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstellen gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG.
Von der Festsetzung einer längeren Frist - wie von der Bundesregierung für den Fall der Aufhebung beantragt - wurde Abstand genommen. Die aufgehobene Bestimmung könnte nämlich (wortgleich) wieder in Kraft gesetzt werden, wenn durch eine Novellierung der Bestimmungen über die Entlohnung von Verfahrenshelfern (§16 Abs 3 und 4 sowie § 47 Abs 1 RAO) vorgesehen würde, daß dann, wenn der Amtsverteidiger seinen Honoraranspruch trotz Ausschöpfung der zumutbaren Schritte nicht abgegolten erhält, er so behandelt wird, als ob er zum Verfahrenshelfer bestellt gewesen wäre. Darüber könnte dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer die Entscheidungsbefugnis zuerkannt werden.
Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.
Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.
10. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.