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VfGH vom 15.12.1994, g126/93

VfGH vom 15.12.1994, g126/93

Sammlungsnummer

13989

Leitsatz

Keine Aufhebung der Festlegung eines erhöhten Streitwertes für bestimmte Verbandsklagen im Konsumentenschutz; sachliche Rechtfertigung der solcherart bewirkten Zulässigkeit einer Anrufung des Obersten Gerichtshofes aufgrund der überindividuellen Interessen an einer oberstgerichtlichen Rechtsprechung zu Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Das Oberlandesgericht Linz beantragt gemäß Art 89 Abs 2 und 140 B-VG die Aufhebung des § 55 Abs 4 der Jurisdiktionsnorm (JN) in der Fassung der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989, BGBl. 343, wegen Verfassungswidrigkeit.

§ 55 Abs 4 JN lautet:

"(4) In Rechtsstreitigkeiten, in denen ein im § 29 KSchG genannter Verband einen ihm zur Geltendmachung abgetretenen, in Geld bestehenden Anspruch gegen eine Partei klagsweise geltend macht, gilt, wenn der begehrte Geldbetrag niedriger ist, der Betrag von 60 000 S als Streitwert."

b) Beim Oberlandesgericht Linz ist ein Berufungsverfahren über eine Klage des (damaligen) Österreichischen Arbeiterkammertages gegen den Sonderverwalter für Rechtsstreitigkeiten im Konkurs einer AG anhängig. Mit der Klage hat der Österreichische Arbeiterkammertag einen ihm abgetretenen Anspruch von S 3.104,43 samt 4 % Zinsen klagsweise geltend gemacht.

Das Oberlandesgericht Linz verweist in seinem Antrag darauf, daß es - soferne aufgrund der Berufung nicht ein Aufhebungs- oder Zurückweisungsbeschluß gefaßt werden muß - mit der Entscheidung über die Hauptsache auch eine Kostenentscheidung zu treffen haben werde, wobei der (fiktive) Streitwert des § 55 Abs 4 JN Bemessungsgrundlage für Rechtsanwaltskosten und Gerichtsgebühren sei. Im Falle einer Abänderung des Ersturteiles in der Hauptsache betreffe dies auch die vom Berufungsgericht neu zu fassende Entscheidung über die Prozeßkosten erster Instanz. Ferner sei § 55 Abs 4 JN auch für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln maßgebend. Daher sei die Geltung des § 55 Abs 4 JN für den Ausspruch des Berufungsgerichtes maßgeblich, ob die Revision jedenfalls unzulässig ist oder ob die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist oder nicht.

Da das antragstellende Berufungsgericht somit nicht entscheiden könne, ohne den § 55 Abs 4 JN anzuwenden, sei die erforderliche Präjudizialität der bekämpften Gesetzesstelle gegeben.

c) Seine Bedenken gegen die angefochtene Gesetzesbestimmung gründet das Oberlandesgericht Linz im wesentlichen auf folgende Überlegungen:

§ 55 Abs 4 JN werde in der Literatur als Teilaspekt des Instituts der Verbandsklage gesehen (Hinweis auf Schoibl, Die Verbandsklage als Instrument zur Wahrung "öffentlicher" oder "überindividueller" Interessen im österreichischen Zivilverfahrensrecht, ZfRV 1990, 3ff.). Die (eigentliche) Verbandsklage sei auf die Wahrung "öffentlicher Interessen" oder spezifisch "kollektiver" Gruppeninteressen, also insgesamt auf den Schutz "überindividueller" Belange gerichtet.

Den Verbandsklagen nach § 14 UWG und § 28ff. KSchG sowie den Verbandsanträgen nach § 44 Abs 1 KartellG und § 7 NahversorgungsG 1977 sei gemeinsam, daß das Gesetz den klageberechtigten Verbänden (zumindest treuhänderisch) einen eigenen Unterlassungsanspruch einräumt. In bezug auf andere Klage- bzw. Antragsberechtigte entfalteten solche Verbandsklagen bzw. -anträge keine Wirkungen, die die Prozeßhindernisse der Streitanhängigkeit bzw. Rechtskraft zur Folge hätten.

Die bei derartigen Unterlassungsklagen vom Berufungsgericht vorzunehmende Bewertung gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO ermögliche hier in der Regel den Zugang zum Obersten Gerichtshof.

Sodann verweist das Oberlandesgericht Linz darauf, daß § 55 Abs 1 Z 3 JN in der Fassung der Zivilverfahrens-Novelle 1983 den ersten Versuch des Gesetzgebers dargestellt habe, bei gleichartigen, aber niedrigen Geldansprüchen im Wege einer Art Verbandsklage (durch Abtretung an einen Verband und Zusammenrechnung der mehreren eingeklagten Forderungen) den Weg zum Obersten Gerichtshof zu eröffnen. Die Erweiterte Wertgrenzen-Novelle 1989 gehe mit dem durch sie geschaffenen § 55 Abs 4 JN einen anderen Weg. Die (niedrige) Geldforderung müsse nach wie vor einem der in § 29 KSchG genannten Verbände zur Geltendmachung abgetreten werden. Wenn dann dieser Verband die ihm abgetretene Geldforderung einklage, gelte ohne weitere Voraussetzungen ein Betrag von S 60.000,- als Streitwert, was nach § 55 Abs 5 JN den Zugang zum Obersten Gerichtshof eröffne. Diese neue Regelung erfordere kein "überindividuelles" Rechtsschutzinteresse und sehe keine Auswirkungen eines allfälligen "Testprozesses" auf andere, ähnliche Geldforderungen anderer Gläubiger vor. Es fehle auch die Erforderlichkeit eines Nachweises, daß diese Abtretung und Klagsführung in den gesetzlichen oder statutarischen Aufgabenbereich des klagenden Verbandes fällt.

Schoibl (ZfRV 1990, 24) bezeichne diese Festlegung eines Mindeststreitwertes als "nicht näher durchdacht". Arnold (Gerichtsgebührenrechtliche Überlegungen zur Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989, AnwBl. 1989, 524) halte den neuen § 55 Abs 4 JN für verfassungswidrig.

Weder die Bundesverfassung (Art92 Abs 1 B-VG) noch Art 6 EMRK garantierten ein Recht auf einen Instanzenzug. Soferne man aus Art 92 Abs 1 B-VG die Notwendigkeit eines Instanzenzuges in Zivilsachen ableite, müsse dieser nicht in allen Zivilsachen beim Obersten Gerichtshof enden. Allerdings erfordere es das Gleichheitsgebot, daß für vergleichbare Rechtsmaterien und Prozeßlagen gleichartige Rechtsmittelbeschränkungen bestehen (Hinweis auf Fasching, Verfassungsmäßige Gerichtsorganisation, 26; Fasching, Rechtsmittelklarheit im österreichischen zivilgerichtlichen Verfahren, in FS Kralik (1986), 151). § 55 Abs 4 JN verletze den Gleichheitsgrundsatz "in der Ausprägung, daß für vergleichbare Rechtsmaterien gleichartige Rechtsmittelbeschränkungen bestehen müssen".

Das antragstellende Oberlandesgericht Linz weist darauf hin, daß es nach § 55 Abs 4 JN schon ausreiche, daß eine S 50.000,-

nicht übersteigende Geldforderung an einen der im § 29 KSchG genannten Verbände zur Geltendmachung abgetreten und von diesem eingeklagt wird. Dann könne der Oberste Gerichtshof mit ordentlicher oder außerordentlicher Revision oder allenfalls mit einem (zugelassenen) Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluß angerufen werden. Dies benachteilige alle anderen Gläubiger von Geldforderungen, welche den Betrag von S 50.000,- nicht übersteigen und bei welchen die Revisionsbeschränkung des § 502 Abs 2 ZPO voll zum Tragen komme. Es fehle nämlich die Anordnung einer erweiterten Rechtskraftwirkung oder zumindest einer Hemmung der Verjährung gleichartiger Forderungen anderer Gläubiger; dies unterscheide die angefochtene Norm etwa von den Regelungen des § 54 ASGG.

Gehe man davon aus, daß die im § 29 KSchG aufgezählten Verbände nur im Rahmen ihres gesetzlichen oder statutarischen Aufgabenbereiches tätig werden, bestehe die Möglichkeit, daß Gläubiger ungeachtet der überindividuellen Bedeutsamkeit ihrer (geringen) Geldforderungen keinen Verband finden, welcher bereit bzw. berechtigt wäre, sich eine solche Geldforderung zur Geltendmachung abtreten zu lassen und dann einzuklagen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs 4 JN werde der Zedent, dem der Erfolg der gerichtlichen Geltendmachung der abgetretenen Forderung zugute komme, gegenüber anderen Gläubigern, die diesen Weg nicht einschlagen können oder wollen, in unsachlicher Weise bevorzugt ("in der Ausprägung des gleichen Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen").

Während die Zession einer Forderung - wird im Antrag schließlich ausgeführt - sonst keinen Einfluß auf den Streitwert hat, führe im Fall des § 55 Abs 4 JN die privatrechtliche Übertragung einer (geringen) Geldforderung auf einen der im § 29 KSchG aufgezählten Verbände zu einer Erweiterung der prozessualen Möglichkeiten bei gerichtlicher Geltendmachung der abgetretenen Geldforderung. Es sei aber nicht vorgesorgt, daß bei allen Gläubigern, deren Forderungen von überindividueller Bedeutung und mit der Lösung erheblicher Rechtsfragen (§502 Abs 1 ZPO) verbunden sind, eine derartige Beeinflussung des Verfahrensrechtes durch privates Rechtsgeschäft (Zession) möglich ist.

2. Die Bundesregierung stellt in einer Äußerung den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle die bekämpfte Gesetzesbestimmung nicht als verfassungswidrig aufheben. In der Äußerung wird einleitend auf das Verfahrensrecht betreffende Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes hingewiesen, wonach der Gerichtshof die Auswirkungen verfahrensrechtlicher Bestimmungen auf das materielle Recht bzw. die Sachlichkeit der Regelung an sich (Hinweis auf VfSlg. 10367/1985 und ) geprüft, den Vergleich von Verfahrenssystemen aber nur bei Gründen exzeptionellen Gewichts (Hinweis auf VfSlg. 11795/1988) vorgenommen habe.

Mit der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989 sei generell - führt die Bundesregierung aus - bei Streitgegenständen von über S 300.000,- das System der Zulassungsrevision eingeführt und als Grenze der absoluten Revisionsunzulässigkeit ein Streitwert in der Höhe von S 50.000,- (statt S 15.000,-) festgelegt worden (§502 Abs 2 ZPO); hievon seien nur gewisse familienrechtliche und bestandrechtliche Streitigkeiten (§502 Abs 3 ZPO) ausgenommen worden. Mit dieser Änderung sollte der Oberste Gerichtshof seiner Leitfunktion (noch) besser gerecht werden, als wenn die Revisionszulässigkeit durch vordergründige und dem Zufall ausgesetzte Gesichtspunkte wie den Wert des Anfechtungsgegenstandes bestimmt wird (Hinweis auf AB 991 BlgNR 17. GP, 65). Damit sollte einer Überlastung des Obersten Gerichtshofs entgegengewirkt und seine Anrufbarkeit möglichst gerecht und möglichst umfassend gesichert werden, ohne daß vermögensrechtliche Aspekte unsachlich überbewertet werden (Hinweis auf die zitierten parlamentarischen Materialien, 66).

Gleichzeitig sei die mit der Zivilverfahrens-Novelle 1983 eingeführte besondere Zusammenrechnungsbestimmung des § 55 Abs 1 Z 3 JN aufgehoben und die hier angefochtene Bestimmung des § 55 Abs 4 JN eingeführt worden. Damit sollten in Musterprozessen der in § 29 KSchG genannten Verbände Testverfahren ermöglicht werden (neuerlicher Hinweis auf die genannten parlamentarischen Materialien, S. 62). Für die Revisionszulässigkeit sollte nicht die Erzielung der Fallgerechtigkeit im Parteieninteresse ausreichend sein, es müsse vielmehr ein öffentliches Rechtspflegeinteresse hinzutreten (Hinweis auf Fasching, Lehrbuch des österreichischen Zivilprozeßrechts, Rz 1843, 1846).

§ 55 Abs 4 JN habe eine den anderen Verbandsklagen vergleichbare Funktion (Hinweis auf Schoibl, Verbandsklage als Instrument zur Wahrung "öffentlicher" oder "überindividueller" Interessen im österreichischen Zivilverfahrensrecht, ZfRV 1990,

24) und sei vor dem Hintergrund zu verstehen, daß der individuellen Interessendurchsetzung nur die Funktion eines Anknüpfungspunktes zukomme, um im Interesse breiter Bevölkerungskreise eine angestrebte Abklärung der Rechtslage durch entsprechend organisierte Verbände zu erreichen. Den Aufgaben der Verbandsklage entspreche es auch, für diese Art von Prozessen eigene Bestimmungen über die Revisionszulässigkeit vorzusehen.

Die bekämpfte Bestimmung solle gewährleisten, daß auch bei Ansprüchen, die im einzelnen gering, wirtschaftlich aber insgesamt gesehen von erheblicher Bedeutung sind, richtungweisende Entscheidungen herbeigeführt werden können. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen - führt die Bundesregierung weiter aus - daß gerade die für den Konsumenten in der Praxis bedeutsamen Fragestellungen mit einiger Breitenwirkung häufig nur Ansprüche von im einzelnen geringer Höhe betreffen. Beispielhaft seien hier Kaufverträge und Reparaturaufträge betreffend Haushaltsartikel, Wartungs- und Sanierungsaufträge oder Dienstleistungsverträge angeführt.

Bei zusammenschauender Betrachtung der Rechtslage sei auch für die Regelung des § 55 Abs 4 JN (die einen Verweis auf die im § 29 KSchG genannten Verbände enthält) ein eigener Interessenbezug der Verbände erforderlich. Schon aus den auch hier - allenfalls auch aus Gründen der verfassungskonformen Interpretation - zu beachtenden Organisationsbestimmungen dieser Verbände leite sich ab, daß nur in den jeweiligen Aufgabenbereich fallende Klagsführungen vorgenommen werden dürfen. Aus diesen Bestimmungen ergebe sich auch, daß die erleichterte Anrufbarkeit des Obersten Gerichtshofs zur Wahrnehmung seiner Leitfunktion und die Zurückstellung individueller Interessen an einer raschen und verfahrensökonomischen Prozeßerledigung sachlich und nicht von Zufälligkeiten abhängig erfolge. Dies bedeute allerdings nicht, daß die Kammern bzw. der ÖGB sich nur Ansprüche eines Mitglieds abtreten lassen könnten. Wesentliche Voraussetzung für eine Klagsführung sei nur, daß diese im Rahmen des gesetzlichen bzw. statutarischen Wirkungskreises gelegen und von überindividuellem Interesse sei. Gerade der nicht gegebene Rechtsanspruch des Betroffenen mache deutlich, daß die Verbandsklage gemäß § 55 Abs 4 JN nicht der individuellen Rechtsverfolgung, sondern der überindividuellen Interessenwahrnehmung diene.

Die in der bekämpften Regelung hergestellte Verbindung zu § 29 KSchG bewirke, daß nur Verbände auftreten, die mit Sicherheit erwarten ließen, daß Klagen nur nach objektiven Kriterien erhoben würden. Hiemit solle wirksam einem Mißbrauch des Klagerechts entgegengewirkt werden (Hinweis auf Jelinek in Krejci, Handbuch zum KSchG, 826 ff.). Es sei als ein Ausdruck der allgemein herrschenden Einschätzung dieser Verbände anzusehen, daß sie - auch wenn es sich nicht bei allen von ihnen um öffentlichrechtliche Körperschaften handle - im Hinblick auf ihre Statuten und ihre Bedeutung in verschiedensten Bereichen mit Aufgaben betraut seien, welche denen öffentlich-rechtlicher Körperschaften vergleichbar seien. Dies sei ein zusätzliches Argument dafür, ihnen auch hier eine besondere Rolle zuzubilligen.

Wenn das antragstellende Gericht in der Begründung seines Anfechtungsbeschlusses meine, daß es Gläubiger mit Geldforderungen geben könnte, die keinen Verband finden, so sei dazu - meint die Bundesregierung schließlich - darauf hinzuweisen, daß auch hinsichtlich der Klagen nach den §§28 f. KSchG, 14 UWG usw. kein Anspruch der einzelnen Berechtigten auf eine Klage des Verbandes bestehe (Hinweis auf das Problem der "Aufgreiferzuständigkeit" bei Lindacher, Zur Sonderprozeßrechtsnatur der lauterkeitsrechtlichen Verbands- und Konkurrentenklage sowie der Verbandsklage nach dem AGB-Gesetz, ZZP 103 Band 4/1990, 403).

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über den - zulässigen (Prozeßhindernisse wurden nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht hervorgekommen) - Antrag erwogen:

1. Der in § 55 Abs 4 JN verwiesene § 29 KSchG ermächtigt die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, den Österreichischen Arbeiterkammertag (nunmehr Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte), den Österreichischen Landarbeiterkammertag, die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, den Österreichischen Gewerkschaftsbund und den Verein für Konsumenteninformation zur Erhebung von Verbandsklagen. Der in der bekämpften Regelung festgesetzte (fiktive) Streitwert bewirkt in den von § 55 Abs 4 JN im Zusammenhang mit § 29 KSchG erfaßten Rechtsstreitigkeiten die Zulässigkeit der Anrufung des Obersten Gerichtshofes - entgegen der allgemeinen Revisionsbeschränkung des § 502 Abs 2 ZPO - unabhängig vom tatsächlichen Streitwert.

2. Das Bedenken des antragstellenden Oberlandesgerichtes, auf dessen Erörterung sich der Verfassungsgerichtshof im Normprüfungsverfahren zu beschränken hat (vgl. zB VfSlg. 8253/1978, 9185/1981, 9287/1981, 9911/1983), besteht im Kern darin, die bekämpfte Regelung bewirke eine unsachliche Bevorzugung jener Gläubiger, die ihre Forderung einem Verband im Sinne des § 29 KSchG abtreten konnten; diese Gläubiger hätten einen besseren Zugang zu den Rechtsmittelinstanzen als andere Gläubiger mit gleich hohen Forderungen.

3. Der Verfassungsgerichtshof kann dieses Bedenken nicht teilen.

a) Die in der Äußerung der Bundesregierung zitierte ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hatte den Vergleich zwischen unterschiedlichen Verfahrensarten zum Gegenstand (im Erkenntnis VfSlg. 8017/1977 den Vergleich zwischen dem gerichtlichen Strafverfahren und dem Verwaltungsstrafverfahren, im Erkenntnis VfSlg. 10084/1984 den Vergleich zwischen verschiedenen Disziplinarrechten, im Erkenntnis VfSlg. 10367/1984 jenen zwischen den Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und dem Verwaltungsgerichtshof, im Erkenntnis VfSlg. 11795/1988 jenen zwischen der Verjährungsregelung im Disziplinarrecht der Rechtsanwälte und jener des StGB sowie des VStG sowie im Erkenntnis vom , G233/92 den Vergleich zwischen unterschiedlichen Arten von Arbeitsrechtssachen).

Diese Judikatur ist jedoch auf den vorliegenden Fall schon deshalb nicht anwendbar, weil es sich bei der bekämpften Regelung um eine Ausnahme von der Regel (Revisionsbeschränkung) innerhalb ein und derselben Verfahrensart handelt. Eine solche Differenzierung muß jedenfalls sachlich begründet sein.

b) Solche Gründe sind hier gegeben:

Der Verfassungsgerichtshof teilt die Auffassung der Bundesregierung, daß die bekämpfte Bestimmung - ihrer Konstruktion entsprechend - eine den Verbandsklagen (gegen deren Sachlichkeit im Antrag nichts vorgebracht wurde) vergleichbare Funktion hat (zur Testfunktion von Verbandsklagen vgl. auch Machacek, Struktur und Funktion einer zu schaffenden Sozialgerichtsbarkeit, in FS Floretta (1983), 723 (756)). Bereits aus diesem Umstand ergibt sich ein sachlicher Grund für eine besondere Regelung des Zugangs zu den Rechtsmittelinstanzen, um im allgemeinen Interesse eine Klärung bestimmter, über den Einzelfall weit hinausgehender Rechtsfragen zu bewirken; es soll "ein Testverfahren ermöglicht werden" (AB 991 BlgNR 17. GP., 6).

Schon aus diesen Motiven, welche der bekämpften Regelung zugrundeliegen (und gegen deren Sachlichkeit vom antragstellenden Gericht ebenfalls nichts vorgebracht wird), ist zu ersehen, daß § 55 Abs 4 JN einen ganz anderen Zweck hat als jenen, aus welchem das Oberlandesgericht Linz seine Bedenken ableitet. Wenn die angefochtene Regelung - als Nebeneffekt - eine Besserstellung jener Gläubiger mit sich bringt, die ihre Forderung einem Verband im Sinne des § 29 KSchG abtreten konnten, kommt diesem Umstand hier unter dem Aspekt des Sachlichkeitsgebotes aus folgenden Erwägungen keine ausschlaggebende Bedeutung zu:

Die auf eine sachliche Differenzierung im individuellen Rechtsschutz gerichtete Ausgangsposition des Oberlandesgerichts Linz ist deshalb unzutreffend, weil es hier nicht um die Bevorzugung einer bestimmten Gruppe von Gläubigern geht, sondern um überindividuelle Interessen, um die Ermöglichung einer oberstgerichtlichen Rechtsprechung zu Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung. Hiebei ist davon auszugehen (Gegenteiliges wurde im Verfahren auch nicht behauptet), daß die von § 29 KSchG erfaßten Verbände im Sinne ihrer gemeinwohlorientierten Aufgaben im Regelfall (auf welchen bei der Beurteilung der Sachlichkeit einer Norm abzustellen ist, s. zB VfSlg. 11469/1987 und 11615/1988) lediglich solche Forderungen an sich ziehen, bei denen an der Klärung von Rechtsfragen ein Allgemeininteresse besteht.

Diese Bedeutung rechtfertigt die angefochtene Regelung unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes.

In diesen Erwägungen liegt auch die von Arnold (Gerichtsgebührenrechtliche Überlegungen zur Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989, AnwBl. 1989, 528) vermißte ("keinerlei erkennbare verfassungsrechtliche Rechtfertigung") Begründung für die Sachlichkeit des § 55 Abs 4 JN; ebenso die von Fasching (Rechtsmittelklarheit im österreichischen zivilgerichtlichen Verfahren, in FS Kralik (1986), 151) ganz allgemein verlangte sachliche Rechtfertigung für die "Benachteiligung einer der Parteien" (die übrigen vom antragstellenden Oberlandesgericht herangezogenen Literaturstellen befassen sich nicht mit der hier einzig relevanten verfassungsrechtlichen Frage).

4. Der Antrag ist daher abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.