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VfGH vom 28.09.1990, g126/90

VfGH vom 28.09.1990, g126/90

Sammlungsnummer

12471

Leitsatz

Präjudizialität einer, eine nicht trennbare Einheit bildenden Bestimmung; Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer landesrechtlichen, finanzstrafrechtlichen Norm mangels gerichtlicher Zuständigkeit bei aufgrund der vorgesehenen Strafhöhe in den Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit fallenden Delikten; Verletzung des Gleichheitsrechtes

Spruch

§ 19 des Vergnügungssteuergesetzes 1987, LGBl. für Wien Nr. 43, war verfassungswidrig.

Diese Gesetzesstelle ist nicht mehr anzuwenden.

Der Landeshauptmann von Wien ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem Erkenntnis G6/89 (und weitere Zahlen) vom sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß § 35 des (zufolge § 21 des Vergnügungssteuergesetzes 1987, LGBl. f Wien 43, mit außer Kraft getretenen) Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963, LGBl. 11, (idF der Novellen LGBl. 37/1976 und 16/1981) verfassungswidrig war. Die geprüfte Gesetzesvorschrift verstieß sowohl gegen die aus Art 91 B-VG abzuleitenden Grundsätze als auch gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot. Mit der gleichen Begründung befand der Gerichtshof in seinem Erk. G314/89 (und weitere Zahlen) vom § 9 des Wiener Anzeigenabgabegesetzes 1983, LGBl. 22, als verfassungswidrig und hob diesen Paragraphen idF der Novelle LGBl. 29/1984 als verfassungswidrig auf.

Er setzte diese Rechtsprechung sodann mit dem Erk. G32/90 vom fort und hob damit (unter dem Aspekt des Art 91 B-VG) § 132 des (Vorarlberger) Abgabenverfahrensgesetzes, LGBl. 23/1984, als verfassungswidrig auf.

Der unter der Überschrift "Strafbestimmungen" stehende § 19 des Vergnügungssteuergesetzes 1987, LGBl. f Wien 43, (im folgenden auch: VGSG) hat - zum Vergleich dem § 35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 (idF der erwähnten Novellen) gegenübergestellt - folgenden Wortlaut:

§35 VergnügungssteuerG VergnügungssteuerG 1987

f Wien 1963

(1) Handlungen oder Unter- § 19. (1) Handlungen oder

lassungen, durch die die Unterlassungen, durch die die

Abgabe hinterzogen oder Steuer verkürzt wird, sind als

fahrlässig verkürzt wird, Verwaltungsübertretungen mit

sind als Verwaltungsüber- Geldstrafen bis zum Dreißigfachen

tretungen mit Geld bis zum des Verkürzungsbetrages zu

Dreißigfachen des Verkürzungs- bestrafen. Im Falle der

betrages zu bestrafen. Läßt Uneinbringlichkeit tritt an

sich das Ausmaß der Steuer- Stelle der Geldstrafe eine

verkürzung oder -gefährdung Freiheitsstrafe bis zu drei

nicht feststellen, so hat der Monaten.

im Steuerbescheid festge-

setzte Steuerbetrag die Grund- (2) Die sonstigen Übertretungen

lage für die Bemessung der der Vorschriften dieses Gesetzes

Strafe zu bilden. Im Falle oder der dazu erlassenen

der Uneinbringlichkeit tritt Verordnungen werden mit

an Stelle der Geldstrafe Geldstrafen bis zu 6 000 S, im

eine Freiheitsstrafe bis zu Falle der Uneinbringlichkeit mit

drei Monaten. einer Freiheitsstrafe bis zu

14 Tagen, geahndet.

(2) Die sonstigen Übertre-

tungen der Vorschriften dieses (3) Mit der Strafe kann

Gesetzes oder der dazu er- gleichzeitig der Verfall der

lassenen Durchführungsvor- Gegenstände, die mit der

schriften werden mit Geld- Verwaltungsübertretung im

strafen bis zu 6 000 S, im ursächlichen Zusammenhang stehen,

Falle der Uneinbringlich- ausgesprochen werden.

keit mit einer Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, geahndet.

(3) Mit der Strafe kann

gleichzeitig der Verfall der Gegenstände, die mit der Verwaltungsübertretung im

ursächlichen Zusammenhang

stehen, ausgesprochen werden.

Der eben wiedergegebene § 19 VGSG erhielt durch ArtXVI Z 1 und 3 des Gesetzes vom , LGBl. für Wien 44, mit dem abgabenrechtliche Strafbestimmungen geändert werden, eine neue, zufolge ArtXIX Abs 1 dieses Gesetzes seit geltende Fassung.

2. Der Magistrat Wien befand den Beschwerdeführer des Anlaßbeschwerdeverfahrens B221/90 mit Straferkenntnis vom einer Verwaltungsübertretung nach § 19 Abs 1 VGSG iVm § 9 Abs 1 VStG 1950 schuldig und verhängte über ihn eine Geldstrafe von 960.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe von 42 Tagen), weil er es als vertretungsbefugtes Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft in näher beschriebener Weise unterlassen habe, Vergnügungssteuer im Betrag von 480.000 S einzubekennen und zu entrichten, und dadurch die Vergnügungssteuer mit diesem Betrag verkürzt habe. Der dagegen erhobenen Berufung gab die Wiener Landesregierung mit Bescheid vom keine Folge. In der Begründung dieser Rechtsmittelentscheidung führte die Berufungsbehörde zur Strafbemessung im wesentlichen aus, im Hinblick darauf, daß § 19 Abs 1 VGSG für Handlungen oder Unterlassungen, durch die die Steuer verkürzt wird, Strafen bis zum Dreißigfachen des Verkürzungsbetrages vorsehe, erscheine die verhängte Strafe von 960.000 S, die dem zweifachen verkürzten Steuerbetrag entspreche, nicht hoch und nehme auf die bisherige Unbescholtenheit als mildernden Umstand Bedacht. Allerdings sei die Verkürzungsabsicht (Hinterziehung) als erschwerend zu werten. Immerhin sei das Interesse, dem die Strafdrohung diene (ordnungsgemäße Steuergebarung), erheblich gefährdet gewesen und sei doch das strafbare Verhalten erst durch die Tätigkeit der Behörde beendet worden. Selbst im Falle der Vermögenslosigkeit, ungünstiger Einkommensverhältnisse und erheblicher Sorgepflichten sei daher eine Strafherabsetzung nicht zu vertreten.

II. Aus Anlaß der Beschwerdesache B221/90 beschloß der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 19 VGSG einzuleiten.

Der Gerichtshof ging davon aus, daß er über die vorliegende Beschwerde, der Verfahrenshindernisse anscheinend nicht entgegenstünden, meritorisch zu entscheiden und hiebei § 19 VGSG anzuwenden hätte. Die Absätze 1 bis 3 dieses Paragraphen bildeten - von dem in der Beschwerdesache heranzuziehenden Abs 1 her gesehen - anscheinend eine nicht trennbare Einheit (hiezu wies der Gerichtshof auf Punkt IV des Erk. G6/89 sowie - zur vergleichbaren Regelung im Wiener AnzeigenabgabeG 1983 - Punkt V/2 des Erk. G314/89 und den Beschluß G28,29/89 vom hin).

Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bedenken bezog sich der Verfassungsgerichtshof auf sein die Verfassungsmäßigkeit des § 35 im VergnügungssteuerG f Wien 1963 betreffendes Erk. G6/89 und verwies überdies auf sein die Verfassungsmäßigkeit des § 9 im Wiener AnzeigenabgabeG 1983 behandelndes Erk. G314/89; die in diesen Entscheidungen unter dem Aspekt des Art 91 B-VG und des Gleichheitsgebotes dargelegten Rechtsauffassungen ließen auch die in Prüfung genommene Vorschrift des VGSG als verfassungsrechtlich bedenklich erscheinen.

III. Die Wiener Landesregierung erstattete im Prüfungsverfahren eine Äußerung, in der sie im wesentlichen auf die Novellierung des § 19 VGSG durch das (zum Zeitpunkt ihrer Äußerung noch nicht kundgemachte) Gesetz LGBl. 44/1990 hinwies.

IV. 1. Die Prozeßvoraussetzungen des eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens sind gegeben. Der Verfassungsgerichtshof hält insbesondere an der im Einleitungsbeschluß mit Bezugnahme auf seine Vorjudikatur dargelegten Auffassung fest, daß § 19 VGSG zur Gänze präjudiziell ist.

2. Auch die verfassungsrechtlichen Bedenken erweisen sich als begründet. Der Gerichtshof bleibt auf dem Standpunkt, den er in seiner bisherigen Rechtsprechung (G 6/89 ua. vom , G314/89 ua. vom sowie G32/90 vom ) eingenommen hat. § 19 VGSG verstößt sowohl gegen die aus Art 91 B-VG abzuleitenden Grundsätze als auch gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot.

Es war somit auszusprechen, daß der (zufolge der Novelle LGBl. 44/1990 bereits außer Kraft getretene) § 19 des VergnügungssteuerG 1987 verfassungswidrig war.

Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art 140 Abs 7 zweiter Satz und Art 140 Abs 5 zweiter Satz B-VG.

V. Von einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG abgesehen.

Fundstelle(n):
HAAAE-25477