VfGH vom 11.10.2006, g124/06

VfGH vom 11.10.2006, g124/06

Sammlungsnummer

17970

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der Regelung des Bundesvergabegesetzes 2002 betreffend die für Feststellungsanträge im Nachprüfungsverfahren zu leistende Pauschalgebühr für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes; Kumulierung und Multiplizierung der hohen Gebühren infolge verschiedenartiger Anträge sachlich nicht gerechtfertigt; Behinderung der Effizienz des Rechtsschutzes;

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Gebühr für Bauaufträge im Unterschwellenbereich;

Feststellung der Gesetzwidrigkeit der gleichlautenden Bestimmung in der Pauschalgebührenverordnung mangels gesetzlicher Grundlage

Spruch

I. Die Wortfolge ", 171 Abs 1" in § 177 Abs 1 und die Wortfolge "Liefer- und Dienstleistungsaufträge ..." in der letzten Zeile des Anhanges X jeweils des Bundesvergabegesetzes, BGBl. I Nr. 99/2002, war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II. Die Wortfolge "Liefer- und Dienstleistungsaufträge ... 1600 €" in der letzten Zeile des § 1 der Verordnung der Bundesregierung betreffend die Gebühren für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes, BGBl. II Nr. 324/2002, war gesetzwidrig.

Die Bundesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit einem beim Verfassungsgerichtshof zu B850/05 angefochtenen Bescheid des Bundesvergabeamtes vom wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft für den mit einem Nachprüfungsantrag (§162 Abs 2 Z 2 BVergG 2002) betreffs eines Lieferauftrags im Sinne des § 2 BVergG 2002 (mit einem geschätzten Auftragswert von 2,1 Mio €) gestellten Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (§171 Abs 1 BVergG 2002) eine Pauschalgebühr von (weiteren) 1600 € vorgeschrieben.

In der gegen diese Vorschreibung erhobenen Beschwerde wird die Gesetzwidrigkeit der Pauschalgebührenverordnung und die Gleichheitswidrigkeit der Gebührenvorschreibung gerügt und darüber hinaus die Verfassungswidrigkeit des Pauschalgebührensystems behauptet.

II. Unter der Rubrik "Gebühren und Gebührenersatz" bestimmte § 177 BVergG 2002 Folgendes (in Prüfung Gezogenes hervorgehoben):

"§177. (1) Für Anträge gemäß den §§163 Abs 1, 164 Abs 1, 171 Abs 1 und 175 Abs 1 hat der Antragsteller eine Pauschalgebühr zu entrichten.

(2) Die Höhe der Pauschalgebühr gemäß Abs 1 richtet sich nach dem vom Auftraggeber durchgeführten Verfahren und ist gemäß den in Anhang X ausgewiesenen Sätzen bei Antragstellung zu entrichten.

(3) bis (5) ..."

Anhang X lautete:

"Gebühren für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes

Direktvergaben..................................... 200 €

Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung

gemäß § 26 Abs 3

Bauaufträge........................................ 400 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge................ 300 €

Geistig-schöpferische Dienstleistungen....

Nicht offene Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung

gemäß § 26 Abs 1

Bauaufträge........................................ 600 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge.......

Sonstige Verfahren im Unterschwellenbereich

Bauaufträge........................................ 2 500 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge.......

Sonstige Verfahren im Oberschwellenbereich

Bauaufträge........................................ 5 000 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge....... "

Unter der Rubrik "Vollziehung" sieht § 191 Abs 4 BVergG 2002 vor:

"(4) Die Bundesregierung hat die Gebührensätze in Anhang X durch Verordnung entsprechend anzupassen, falls es der mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes verbundene Personal- und Sachaufwand zur Deckung der Kosten der Rechtschutzeinrichtung erfordert."

Am erließ die Bundesregierung unter Berufung auf § 191 Abs 4 des Gesetzes folgende Verordnung:

"§1. Die Gebührensätze in Anhang X des Bundesvergabegesetzes 2002 werden wie folgt angepasst:

Direktvergaben..................................... 200 €

Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung

gemäß § 26 Abs 3 und 4

Bauaufträge........................................ 400 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge................ 300 €

Geistig-schöpferische Dienstleistungen............. 350 €

Nicht offene Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung

gemäß § 26 Abs 1

Bauaufträge........................................ 600 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge................ 350 €

Sonstige Verfahren im Unterschwellenbereich

Bauaufträge........................................ 2 500 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge................ 800 €

Sonstige Verfahren im Oberschwellenbereich

Bauaufträge........................................ 5 000 €

Liefer- und Dienstleistungsaufträge................ 1 600 €

§ 2. Diese Verordnung tritt mit in Kraft."

Mit Erkenntnis vom , G154/05, V118/05 wurde die Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "und § 175 Abs 1" in § 177 Abs 1 des BVergG 2002 sowie der Position "Bauaufträge ... 2500 €" in der fünftletzten Zeile des Anhanges X des BVergG 2002 und die Gesetzwidrigkeit der einschlägigen Position der Pauschalgebührenverordnung festgestellt. Diese Aussprüche wurden im Bundesgesetzblatt unter den Nummern I 52/2006 sowie II 175/2006 jeweils am kundgemacht.

Am war nämlich das BVergG 2006 in Kraft getreten, hatte das BVergG 2002 außer Kraft gesetzt und die Pauschalgebührenverordnung aufgehoben (§345 Abs 1 Z 1, Z 3 und Abs 11 BVergG 2006). Anhängige Verfahren sind jedoch vom Bundesvergabeamt nach den Bestimmungen des Gesetzes 2002 fortzuführen (§345 Abs 4 BVergG 2006).

Aus Anlass des Beschwerdeverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof am beschlossen

1. gemäß Art 140 Abs 1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge ", 171 Abs 1" in § 177 Abs 1 und die Wortfolge "Liefer- und Dienstleistungsaufträge ..." in der letzten Zeile des Anhanges X jeweils des Bundesvergabegesetzes, BGBl. I Nr. 99/2002, und

2. gemäß Art 139 Abs 1 B-VG die Gesetzmäßigkeit der Wortfolge "Liefer- und Dienstleistungsaufträge ... 1600 €" in der letzten Zeile des § 1 der Verordnung der Bundesregierung betreffend die Gebühren für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes, BGBl. II Nr. 324/2002,

von Amts wegen zu prüfen.

Er ist vorläufig davon ausgegangen, dass die Beschwerde zulässig ist und er bei der Beurteilung des vorliegenden, vor In-Kraft-Treten des BVergG 2006 entschiedenen Fall den § 177 Abs 1 und den Anhang X des BVergG 2002 sowie die Pauschalgebührenverordnung anzuwenden hätte und zwar im Hinblick auf die Überschreitung der Schwellengrenze von 200.000 € (§9 Abs 1 Z 2 BVergG 2002) den Gebührenansatz für Verfahren im Oberschwellenbereich betreffend Liefer- und Dienstleistungsaufträge. Es scheint nämlich, dass diese Aufträge ungeachtet des Fehlens eines Gebührensatzes in das gesetzliche Pauschalgebührensystem einbezogen sind.

Er äußerte

a) gegen die Verfassungsmäßigkeit der Einbeziehung auch von Anträgen auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung im Zuge eines Nachprüfungsverfahrens (durch die Wortfolge ", 171 Abs 1" in § 177 Abs 1 BVergG 2002) angesichts des gleichen Gebührensatzes für alle in § 177 Abs 1 BVergG 2002 genannten Anträge das Bedenken, dass die mehrfache Gebührenpflicht für Anträge betreffend dieselbe Vergabe in keinem auch nur annähernden Verhältnis zum jeweiligen Verfahrensaufwand steht und die Effizienz des Rechtsschutzes beeinträchtigen kann (vgl. das genannte Erkenntnis G154/05, V118/05 und den dort wiedergegebenen, auch Anträge auf einstweilige Verfügungen erfassenden Prüfungsbeschluss),

b) gegen die Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "Liefer- und Dienstleistungsaufträge ..." im Anhang X BVergG 2002 das Bedenken, dass das Auferlegen einer Gebührenpflicht nicht ohne Festsetzung eines bestimmten Gebührensatzes zulässig ist (zumal der fehlende Gebührensatz auch aus keiner anderen Gesetzesbestimmung suppliert werden zu können scheint), und

c) gegen die Gesetzmäßigkeit des einschlägigen Satzes der Pauschalgebührenverordnung das Bedenken, dass die Bundesregierung nicht ermächtigt ist, einen im Gesetz fehlenden Gebührensatz unter Berufung auf die Möglichkeit der Anpassung der im Gesetz geregelten Gebührensätze (§191 Abs 4 BVergG 2002) - erstmals - festzulegen.

Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen.

IV. Die Normenprüfungsverfahren sind zulässig und die Bedenken des Gerichtshofes begründet.

1. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlassbeschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Normen zweifeln ließe. Insbesondere ermangelt die in Prüfung gezogene Wortfolge im Anhang X des Gesetzes wegen des Fehlens des Gebührensatzes nicht etwa der normativen Wirkung. Sie legt nämlich ausdrücklich die Gebührenpflicht von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen im Oberschwellenbereich fest (und hat auch die Bundesregierung zur "Anpassung" eines Gebührensatzes veranlasst).

Auch sonst sind die Prozessvoraussetzungen gegeben.

2. Wie der Verfassungsgerichtshof schon im Erkenntnis G154/05, V118/05 vom dargelegt hat, steht die mehrfache Gebührenpflicht für Anträge betreffend dieselbe Vergabe in keinem auch nur annähernden Verhältnis zum jeweiligen Verfahrensaufwand und kann die Effizienz des Rechtsschutzes beeinträchtigen. Es ist nichts hervorgekommen, was für Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu einer anderen Beurteilung führen könnte.

Der fehlende Gebührensatz der einschlägigen Position im Anhang X des Gesetzes ist wohl - wie in anderen Positionen - ein Redaktionsversehen, kann aber aus keiner anderen Gesetzesbestimmung suppliert werden; eine sinngemäße Übertragung der Differenz zwischen Bauaufträgen und Liefer- und Dienstleistungsaufträgen im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung - für die anderen Verfahren fehlt der Vergleichsbetrag ebenfalls - scheitert an den unterschiedlichen Voraussetzungen und Ansätzen (wie denn auch die Verordnung ganz andere Beträge festlegt). Es wäre Aufgabe des Gesetzgebers gewesen, die Gebühr festzulegen.

Fällt aber der unvollständige Posten im Anhang X infolge Aufhebung weg, erweist sich auch die "Anpassung" des Gebührensatzes als gesetzwidrig.

Infolgedessen war die Rechtswidrigkeit der in Prüfung gezogenen (inzwischen außer Kraft getretenen) Normen festzustellen (Art140 Abs 4 und Art 139 Abs 4 B-VG).

Die Kundmachungsverpflichtungen stützen sich auf Art 140 Abs 5 und Art 139 Abs 5 B-VG.

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 erster Satz und Z 2 VfGG).