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VfGH vom 14.10.1987, g121/87

VfGH vom 14.10.1987, g121/87

Sammlungsnummer

11506

Leitsatz

Prüfung der (verfassungsrechtlich bedenklichen) Organisationsnormen anstatt der (ebenfalls bedenklichen) Strafnormen - weniger einschneidende Änderung der Rechtsordnung; Präjudizialität des § 21 Abs 3 zweiter Satz und § 21 Abs 4; der VfGH kann eine präjudizielle Norm in jeder Hinsicht auf ihre Verfassungsmäßigkiet - völlig unabhängig vom Anlaßfall - prüfen. Der österreichische Vorbehalt zu Art 5 MRK erfaßt nicht Disziplinarverfahren; Strafrecht iS des Art 6 MRK ist "autonom" anhand der Konvention entsprechend deren Sinn und Zweck zu verstehen; einige der in § 23 Abs 1 vorgesehenen Strafen, jedenfalls die dauernde oder zeitliche Entziehung des Rechtes zur Leitung einer Apotheke (lite) und das Verbot zur Ausübung des Apothekerberufes (litf) sind Strafen iS des Art 6 MRK; diese Strafen werden von Art 6 MRK erfaßt

Der Disziplinarberufungssenat (keine Einrichtung der Selbstverwaltung, keine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag, keine Weisungsfreistellung) ist kein Tribunal iS des Art 6 MRK; in dem vom österr. Vorbehalt zu Art 5 MRK nicht erfaßten Bereich (wie hier) ist in Strafverfahren die nachprüfende Kontrolle durch den VwGH oder VfGH nicht ausreichend, um den Garantien des Art 6 MRK zu genügen - über die Stichhaltigkeit von strafrechtlichen Anklagen hat ein Tribunal selbst zu entscheiden; Widerspruch des § 21 Abs 3 zweiter Satz und des § 21 Abs 4 zu Art 6 MRK

Spruch

1. § 21 Abs 3 zweiter Satz und § 21 Abs 4 des BG vom , BGBl. Nr. 152, betreffend die Errichtung einer Apothekerkammer (Apothekerkammergesetz) werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

2. Im übrigen werden die vom VwGH zu G 43, 44, 45, 46/87 gestellten Gesetzesprüfungsanträge zurückgewiesen und die vom VfGH zu G181/86, G121/87 und G122/87 von amtswegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die maßgebenden Gesetzesbestimmungen

Anlaß dieser Gesetzesprüfungsverfahren sind Disziplinarverfahren, die gegen Apotheker geführt worden waren.

Das Disziplinarverfahren gegen Apotheker wird durch die §§18 bis 24 des Apothekerkammergesetzes, BGBl. 152/1947, geregelt. Hier maßgebend ist die Fassung, die im Zeitpunkt der Erlassung der den Gegenstand der Anlaßbeschwerdeverfahren - s.u. II.

- bildenden Bescheide galt, d.i. jene in der Fassung der Novellen BGBl. 173/1957 und 564/1981 sowie des Bundesministeriengesetzes 1973, BGBl. 389 (in der Folge wiederverlautbart als Bundesministeriengesetz 1986, BGBl. 76). Diese Bestimmungen des Apothekerkammergesetzes (ApKG) lauten:

"Disziplinarverfahren.


Tabelle in neuem Fenster öffnen
§18. (1) Ein Mitglied, das die Standesehre oder das Standesansehen der Apothekerschaft beeinträchtigt, macht sich eines Disziplinarvergehens schuldig.

(2) Der disziplinären Verfolgung steht der Umstand nicht entgegen, daß die gleiche Handlung oder Unterlassung auch von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde zu ahnden ist.

(3) Öffentliche Bedienstete unterstehen nicht der Disziplinargewalt der Apothekerkammer. Die Dienstbehörde dieser Mitglieder ist jedoch verpflichtet, die von der Apothekerkammer erstattete Disziplinaranzeige in Behandlung zu nehmen und ihr das Erkenntnis oder den Einstellungsbeschluß zuzustellen.

§19. (1) Über Disziplinarvergehen erkennt der Disziplinarrat:

(2) Der Disziplinarrat besteht aus dem vom Vorstand der Apothekerkammer zu bestellenden Vorsitzenden, der rechtskundig sein muß, und aus zwei weiteren Beisitzern, von denen je einer von jedem der beiden Abteilungsausschüsse bestellt wird. Die Bestellung der Mitglieder des Disziplinarrates bedarf der Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz (§26 Abs 2).

(3) Die Mitglieder des Vorstandes sind in den Disziplinarrat nicht wählbar.

(4) Die Mitglieder des Disziplinarrates versehen ihre Aufgaben ehrenamtlich, doch werden ihre Barauslagen vergütet. Die Entschädigung des Vorsitzenden wird durch die Geschäftsordnung geregelt.

§ 20. Die Anzeige von Disziplinarvergehen sowie die Vertretung der Anzeige beim Disziplinarrat obliegt einem vom Vorstande bestellten Disziplinaranwalt. Über Weisung des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz ist der Disziplinaranwalt verpflichtet, die Disziplinaranzeige zu erstatten und Rechtsmittel zu ergreifen.

§21. (1) Gegen das Erkenntnis des Disziplinarrates sowie gegen einen Beschluß, mit dem die Einleitung des Disziplinarverfahrens abgelehnt wird, ist binnen zwei Wochen die Berufung zulässig.

(2) Die Berufung ist beim Disziplinarrat einzubringen, sie hat aufschiebende Wirkung.

(3) Über Berufungen entscheidet der Disziplinarberufungssenat beim Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz. Er besteht aus einem rechtskundigen Verwaltungsbeamten aus dem Stande des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz als Vorsitzenden, zwei Beamten aus dem Stande des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz, von denen einer rechtskundig sein muß, sowie aus zwei weiteren Beisitzern, von denen je einer von jedem der beiden Abteilungsausschüsse bestellt wird.

(4) Die Mitglieder des Disziplinarberufungssenates mit Ausnahme der von den Abteilungsausschüssen bestellten Mitglieder werden vom Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz bestimmt. Mitglieder des Disziplinarrates sowie des Vorstandes können nicht Mitglieder des Disziplinarberufungssenates sein.

§22. (1) Soweit sich aus den Vorschriften dieses BG nichts anderes ergibt, sind die Bestimmungen der §§107 bis 109, sowie der §§111 bis 151 der Dienstpragmatik, RGBl. Nr. 15/1914, sinngemäß anzuwenden.

(2) Nähere Bestimmungen können vom Vorstand in einer Geschäftsordnung für den Disziplinarrat getroffen werden.

(3) Das Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz kann nähere Bestimmungen für das Verfahren vor dem Disziplinarberufungssenat mit V erlassen.

§23. (1) Disziplinarstrafen sind:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
a)
der schriftliche Verweis;
b)
Geldstrafen bis zur Höhe des fünfzehnfachen Betrages der Gehaltskassenumlage, die für einen angestellten Apotheker auf Grund der Bestimmungen des Gehaltskassengesetzes, BGBl. Nr. 23/1928, (nunmehr des Gehaltskassengesetzes 1959, BGBl. 254, idgF) jeweils zu leisten ist;
c)
die zeitliche oder dauernde Entziehung des Rechtes auf Ausbildung von Aspiranten;
d)
die zeitliche oder dauernde Entziehung des Wahlrechtes und der Wählbarkeit zur Apothekerkammer;
e)
die zeitliche oder dauernde Entziehung des Rechtes zur Leitung einer Apotheke;
f)
das Verbot der Ausübung des Apothekerberufes bis zur Dauer von drei Jahren.

(2) Welche dieser Strafen zu verhängen ist, ist nach der Schwere des Verschuldens und der daraus entstandenen oder drohenden Nachteile zu beurteilen. Die Disziplinarstrafen können auch nebeneinander verhängt werden.

(3) Disziplinarstrafen nach Abs 1 litb bis f können bedingt unter Festsetzung einer Bewährungsfrist von einem bis zu drei Jahre verhängt werden, sofern über den Beschuldigten bisher keine andere Disziplinarstrafe als die des schriftlichen Verweises verhängt worden ist oder eine andere Disziplinarstrafe bereits getilgt ist.

(4) Jede in Rechtskraft erwachsene Disziplinarstrafe ist in eine vom Kammeramt zu führende Vormerkung einzutragen. Disziplinarstrafen nach Abs 1, litc, e und f sind der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde sowie dem Landeshauptmann mitzuteilen. Im Disziplinarerkenntnis kann auf Veröffentlichung desselben in den Mitteilungen der Apothekerkammer erkannt werden.

(5) Auf Ansuchen des disziplinär Bestraften kann jene Stelle (Disziplinarrat oder der Disziplinarberufungssenat), die das Disziplinarerkenntnis in letzter Instanz gefällt hat, die Tilgung einer Disziplinarstrafe verfügen, wenn seit der Rechtskraft des Erkenntnisses mindestens fünf Jahre verstrichen sind und der Antragsteller innerhalb dieser Zeit keines neuerlichen Disziplinarvergehens schuldig erkannt worden ist.

§24. (1) Die Kosten des Disziplinarverfahrens sind im Falle des Schuldspruches vom Verurteilen, im Falle des Freispruches von der Apothekerkammer zu tragen.

(2) Die verhängten Geldstrafen sowie die Kosten des Disziplinarverfahrens werden im Verwaltungswege eingebracht."

II. Der Sachverhalt

A. 1. Die Anlaßverfahren des VfGH, 2. die Prüfungsbeschlüsse
des VfGH, 3. die Äußerung der Bundesregierung

1. Beim VfGH sind zu B695/84, B35/87 und B202/87 Verfahren über auf Art 144 B-VG gegründete Beschwerden gegen drei Berufungsbescheide des Disziplinarberufungssenates (der Österreichischen Apothekerkammer) beim damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz (künftig: Disziplinarberufungssenat) anhängig, denen folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

a) Der Bf. zu B695/84 war bis zum Angestellter einer Apotheke; seit 1. Feber 1980 ist er deren Konzessionär und verantwortlicher Leiter.

Der Disziplinarrat der Österreichischen Apothekerkammer (künftig: Disziplinarrat) erkannte ihn mit Bescheid vom 24. Feber 1982 schuldig, durch bestimmte Handlungen die Standesehre und das Standesansehen der Apothekerschaft beeinträchtigt und sich sohin eines Disziplinarvergehens im Sinne des § 18 Abs 1 ApKG schuldig gemacht zu haben. Über den Bf. wurde gemäß § 23 Abs 1 litb ApKG eine Geldstrafe von S 18.000,-- verhängt.

Der Disziplinarberufungssenat gab der dagegen erhobenen Berufung mit Bescheid (Disziplinarerkenntnis) vom insofern Folge, als die Geldstrafe auf S 9.000,-- herabgesetzt wurde; im übrigen wurde der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

b) Der Disziplinarrat erkannte den Bf. zu B35/87 damals Konzessionär einer öffentlichen Apotheke - mit Bescheid vom schuldig, durch bestimmte Verhaltensweisen die Standesehre und das Standesansehen der Apothekerschaft beeinträchtigt und sohin ein Disziplinarvergehen nach § 18 Abs 1 ApKG begangen zu haben. Über den Bf. wurde gemäß § 23 Abs 1 litb ApKG idF der Nov. BGBl. 564/1986 eine Geldstrafe von 100.000 S verhängt und ihm gemäß § 23 Abs 1 lite leg.cit. das Recht zur Leitung einer Apotheke auf die Dauer von drei Jahren entzogen.

Gegen diesen Bescheid erhoben sowohl der Disziplinaranwalt als auch der Bf. Berufung.

Der Disziplinarberufungssenat gab der Berufung des Disziplinaranwaltes mit Bescheid (Disziplinarerkenntnis) vom insofern Folge, als die Disziplinarstrafe der Entziehung des Rechtes zur Leitung einer Apotheke auf die Dauer von vier Jahren erhöht wurde. Die Berufung des Bf. wurde abgewiesen.

c) Der Disziplinarrat erkannte den Bf. zu B202/87 einen angestellten Apotheker - mit Bescheid vom schuldig, durch bestimte Verhaltensweisen die Standesehre und das Standesansehen der Apothekerschaft beeinträchtigt und somit ein Disziplinarvergehen nach § 18 Abs 1 ApKG begangen zu haben. Über den Bf. wurde gemäß § 23 Abs 1 litb ApKG idF der Nov. BGBl. 564/1981 eine Geldstrafe von 45.000 S verhängt und ihm gemäß § 23 Abs 1 lite leg.cit. das Recht zur Leitung einer Apotheke auf die Dauer von drei Jahren entzogen. Der Vollzug der zuletzt genannten Strafe wurde gemäß § 23 Abs 3 ApKG für einen Zeitraum von drei Jahren vorläufig aufgeschoben.

Gegen diesen Bescheid erhob der Disziplinaranwalt hinsichtlich dieses vorläufigen Aufschubes Berufung.

Der Disziplinarberufungssenat gab der Berufung des Disziplinaranwaltes mit Bescheid (Disziplinarerkenntnis) vom Folge und änderte den erstinstanzlichen Bescheid dahin ab, daß der Aufschub des Vollzuges der gemäß § 23 Abs 1 lite ApKG verhängten Disziplinarstrafe ersatzlos entfiel.

2.a) Der VfGH beschloß aus Anlaß der zu B695/84 erhobenen Beschwerde am , gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von amtswegen die Verfassungsmäßigkeit des § 21 Abs 3 und 4 ApKG zu prüfen (G181/86). Gleichartige Beschlüsse faßte er am zu B35/87 und B202/86 (G121,122/87).

b) Er begründete den Beschluß B695/84 wie folgt:

"1. Der VfGH hat bei Entscheidung über die vorliegende - anscheinend zulässige - Beschwerde auch die Frage zu beurteilen, ob der Bf. etwa im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurde; der Gerichtshof hat hiebei zu untersuchen, ob die bel. Beh. (der Disziplinarberufungssenat) zur Entscheidung zuständig war und ob diese Kollegialbehörde in der gesetzmäßigen Zusammensetzung entschieden hat. Dabei hätte der VfGH u.a. § 21 Abs 3 und 4 des ApothekerkammerG anzuwenden. Diese bundesgesetzlichen Vorschriften scheinen daher präjudiziell zu sein.

2. Gegen sie hat der VfGH das Bedenken, daß sie dem auf Verfassungsstufe stehenden Art 6 Abs 1 MRK widersprechen, wonach jedermann Anspruch darauf hat, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar 'von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht' (tribunal), 'das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat'.

Der VfGH geht vorläufig davon aus, daß der österreichische Vorbehalt zu Art 5 MRK Disziplinarverfahren nicht erfaßt, und zwar auch dann nicht, wenn dem Vorbehalt der Inhalt zukommt, den ihm der VfGH in seiner bisherigen Judikatur (siehe etwa VfSlg. 3806/1960, 3917/1961, 6275/1970, 6552/1971, 6577/1971, 7210/1973, 7814/1976, 7874/1976, 8087/1977, 8234/1978, 8428/1978, 8654/1979, 8685/1979, 8900/1980, 8930/1980, 9158/1981, B333/77, 9409/1982, B457/85) beigemessen hat. Es scheint, daß Sanktionen für die Verletzung von Standespflichten niemals als Strafen iS des VStG 1950 angesehen wurden (vgl. ArtII Abs 6 litc EGVG 1950).

Der VfGH hat in Übereinstimmung mit der älteren Rechtsprechung des EGMR (vgl. die Nachweise bei Kopetzki, JBl. 1981, 468 FN 3) die Meinung vertreten, daß die Ahndung von Verstößen gegen die Standes- oder Berufspflichten (Disziplinarrecht) nicht unter Art 6 MRK fällt (vgl. zB VfSlg. 4710/1964, 5033/1965, 5657/1968, 6239/1970, 7366/1974, 7907/1976).

Die dieser Judikatur zugrundeliegende Auffassung dürfte jedoch in dieser Allgemeinheit nicht zutreffen. Die Garantien (insbesondere die Organisationsgarantien) des Art 6 MRK scheinen immer dann zum Tragen zu kommen, wenn schwere Strafen vorgesehen sind (vgl. die neue Judikatur des EGMR, etwa im Fall Engel, EuGRZ 1976, 221 ff.), also auch dann, wenn sie im Disziplinarbereich verhängt werden (vgl. die neue Judikatur des EGMR, Fall Engel, EuGRZ 1976, 221 ff.; Fall Campbell und Fell, EuGRZ 1985, 535 ff.), ferner dann, wenn über zivile Rechte (civil rights) abgesprochen wird, wie etwa die - beispielsweise in einem Disziplinarverfahren erfolgte - Aberkennung einer Berufsausübungsbefugnis (vgl. hiezu die neuere Judikatur des EGMR in den Fällen König, EuGRZ 1978, 406 ff., Le Compte I, EuGRZ 1981, 551 ff., Albert und Le Compte, EuGRZ 1983, 190 ff.).

§ 23 Abs 1 ApothekerkammerG sieht - wie der VfGH vorläufig annimmt - auch vom Begriff 'strafrechtliche Anklage' iS des Art 6 Abs 1 MRK erfaßte schwere Strafen (ausgenommen lita) oder (auch) in zivile Rechte des Betroffenen eingreifende Verbote (so das Verbot, einen bestimmten Beruf auszuüben) vor (zum Begriff 'civil rights' vgl. etwa VfSlg. 8856/1980 und 9887/1983). Im Gesetzesprüfungsverfahren kommt es anscheinend nicht darauf an, welche Sanktion im Beschwerdeverfahren verhängt wurde (9.000,-- S Geldstrafe), sondern darauf, welche Rechtsfolgen das Gesetz kennt (vgl. EGMR, Fall Öztürk, EuGRZ 1985, 67).

Sollten diese vorläufigen Annahmen zutreffen, so müßte zumindest letztlich ein 'Tribunal' iS des Art 6 MRK zur Entscheidung berufen sein.

Als höchste Administrativinstanz ist hier der Disziplinarberufungssenat vorgesehen (§21 Abs 3 ApothekerkammerG). Dieser ist keine 'Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag' iS des Art 133 Z 4 B-VG. Selbst wenn jedoch die Unabhängigkeit des Disziplinarberufungssenates aus dem Gesamtzusammenhang der diesen betreffenden Regelungen oder aus der sinngemäßen Anwendung der disziplinarrechtlichen Vorschriften der Dienstpragmatik oder des Beamten-Dienstrechtsgesetzes als gesetzlich gewollt zu unterstellen ist, fehlt es an einer gesetzlichen Regelung der Funktionsdauer der Mitglieder des Disziplinarberufungssenates, sodaß die kraft Art 6 Abs 1 MRK zu garantierende Unabhängigkeit dieser Mitglieder auf keinen Fall ausreichend gewährleistet erscheint (vgl. zB ). Der Disziplinarberufungssenat scheint also keinesfalls als 'unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht (Tribunal)' iS des Art 6 Abs 1 MRK zu qualifizieren zu sein.

Der VfGH hat in seiner mit VfSlg. 5100/1965 begonnenen und der darauf aufbauenden Rechtsprechung (etwa VfSlg. 9887/1983 und die dort zitierte weitere Judikatur) zum Ausdruck gebracht, daß kein Widerspruch zu Art 6 Abs 1 MRK bestehe, wenn eine mit administrativen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare behördliche Entscheidung sowohl vor dem VwGH als auch vor dem VfGH in Beschwerde gezogen werden kann.

Es scheint, daß diese Judikatur im Licht der neueren Rechtsprechung der Straßburger Instanzen (zB EGMR, Fall Le Compte I, EuGRZ 1981, 551; EGMR, Fall Sramek, EuGRZ 1985, 336; EKMR, Fall Ettl, EuGRZ 1985, 364; vgl. hiezu etwa auch Holzinger, Die erste Grundrechts-Enquete, EuGRZ 1986, 269, insbes. 273) nicht mehr im vollen Umfang aufrecht erhalten werden kann: Aufgabe des VfGH ist es zu prüfen, ob verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte (also nicht bloß einfachgesetzliche Rechte) oder Rechte wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurden. Aber auch der VwGH scheint nicht mit einer den Erfordernissen des Art 6 Abs 1 MRK genügenden Entscheidungskompetenz ausgestattet zu sein. Art 6 Abs 1 MRK scheint den 'Anspruch auf ein Gericht (Tribunal)' und auf eine gerichtliche Entscheidung in der Sache selbst sowohl hinsichtlich der dieser zugrundeliegenden Tat - als auch hinsichtlich der Rechtsfrage zu gewährleisten (vgl. EGMR, Fall Le Compte I, EuGRZ 1981, 551, insbes. 553; Kopetzki, in Ermacora/Nowak/Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention, S 257 ff., und die dort zitierte weitere Literatur). Der VfGH hegt das Bedenken, daß die begrenzte Entscheidungsbefugnis des VwGH in der Sache selbst ebensowenig diesen Anforderungen genügt wie die auf Verfahrensfehler der Behörde beschränkte Sachverhaltsprüfung des VwGH unter Ausschluß einer umfassenden Kontrolle der behördlichen Beweiswürdigung.

Da die nachprüfende Kontrolle durch die beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes allein nicht ausreichen dürfte, um dem Art 6 Abs 1 MRK zu entsprechen, müßte - wie der VfGH vorläufig annimmt - der Disziplinarberufungssenat als 'Tribunal' eingerichtet sein, um der Organisationsgarantie iS dieser Verfassungsbestimmung zu entsprechen. § 21 Abs 3 und 4 des ApothekerkammerG organisieren nun aber - wie dargetan offenbar den Disziplinarberufungssenat nicht als 'Tribunal'."

3. Die Bundesregierung erstattete in dem von amtswegen zu G181/86 eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren am eine Äußerung:

"I.

1) Zum Anwendungsbereich des Art 6 Abs 1 MRK unter dem Aspekt der 'strafrechtlichen Anklage'

Im Sinne der neueren Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (in der Folge: EGMR) vertritt der VfGH die Auffassung, daß Art 6 Abs 1 MRK auch in Disziplinarverfahren zur Anwendung zu kommen hat, wenn die Verhängung schwerer Strafen vorgesehen ist. Aufbauend auf dieser Überlegung nimmt der VfGH im vorliegenden Unterbrechungsbeschluß an, daß § 23 Abs 1 Apothekerkammergesetz (im folgenden: ApKG) 'auch vom Begriff `strafrechtliche Anklage` iS des Art 6 Abs 1 MRK erfaßte schwere Strafen (ausgenommen lita)' vorsehe.

Dazu möchte die Bundesregierung schon an dieser Stelle vorausschicken, daß sie es nicht für zulässig hält, alle im § 23 Abs 1 ApKG normierten Sanktionsbefugnisse des Disziplinarberufungssenates aus Anlaß des die Gesetzesprüfung auslösenden Beschwerdefalles in Prüfung zu ziehen (dazu Näheres unter Pkt. 2).

Abgesehen davon kann sie bei genauer Betrachtung der Ausführungen in den einschlägigen Urteilen des EGMR auch der Annahme nicht folgenden, daß es sich bei den im § 23 Abs 1 ApKG genannten Sanktionen mit Ausnahme der lita um schwere Strafen handelt. Der EGMR sieht disziplinarrechtliche Sanktionen, die so schwerwiegend sind, daß auch ein disziplinarrechtliches Verfahren unter den Begriff 'strafrechtliche Anklage' fällt, in 'Freiheitsentziehungen, die als Bestrafungen verhängt werden können, mit Ausnahme derer, die nach ihrer Art, Dauer oder Art und Weise ihrer Vollstreckung einen wesentlichen Nachteil nicht verursachen können' (Fall ENGEL EuGRZ 1976, 221ff, insb. 232, Pkt. 82). Im Fall CAMPBELL und FELL (EuGRZ 1985, 534ff, insb. 539, Pkt. 72) hat der EGMR diese Auffassung insofern erweitert, als er auch die Verwirkung der Strafnachsicht als zum Strafrechtsbereich gehörig beurteilt hat, weil diese Sanktion, wenn sie auch keinen eigentlichen Freiheitsentzug darstellt, der Sanktion des Freiheitsentzuges nahekommt.

Ausgehend davon hat der EGMR im Fall ENGEL (Pkt. 85) ausgesprochen, daß die im Zusammenhang mit disziplinarrechtlichen Maßnahmen erfolgte Verhängung von vier Tagen einfachen Arrestes überhaupt keinen Freiheitsentzug darstellt und die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwei Tagen strengen Arrestes von zu kurzer Dauer sei, um in den Bereich des Strafrechtlichen zu fallen. Als so gravierende Sanktionen, daß sie ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zum Disziplinarrecht zum Gegenstand einer 'strafrechtlichen Anklage' wurden, wurde die Strafe der Auferlegung des Aufenthaltes in der Strafkompanie für drei bzw. vier Monate und die Strafe von zwölf Tagen verschäften Arrestes beurteilt. Letztere Strafe wurde, obwohl sie an sich kein Freiheitsentzug ist, auf Grund der Bedeutung dessen, 'was auf dem Spiele stand', als so schwere Sanktion eingestuft, daß das Verfahren als in den Bereich des 'Strafrechtlichen' fallend qualifiziert wurde. Im Fall CAMPBELL und FELL wurden die mögliche Sanktion der Verwirkung der gesamten im Zeitpunkt des Spruches des Ausschusses verfügbaren Strafnachsicht (von etwas weniger als drei Jahren) und die tatsächlich ausgesprochene Verwirkung von 570 Tagen Strafnachsicht als im Hinblick auf die Dauer der Verwahrung des Bf. so schwerwiegende Konsequenzen beurteilt, daß diese Sanktionen für den Bereich der Konvention als 'strafrechtlich' angesehen wurden. Die Rechtsfolgen, auf die es bei der Beurteilung, ob eine strafrechtliche Angelegenheit vorliegt, entscheidend ankommt, und auf die auch der VfGH verweist, wenn er den Fall ÖZTÜRK zitiert, sind also im Hinblick auf Disziplinarstrafen in diesem Sinne durch den EGMR konkretisiert und nicht derart allgemein wie im Fall ÖZTÜRK zu verstehen, in dem es nicht um disziplinarrechtliche Maßnahmen ging.

Bei den im § 23 Abs 1 litb bis f ApKG genannten Sanktionen handelt es sich in keinem Fall um einen Freiheitsentzug oder um eine dem Freiheitsentzug nahestehende Sanktion. Unter dem Aspekt der 'strafrechtlichen Anklage' ist Art 6 Abs 1 MRK nach Auffassung der Bundesregierung auf § 21 Abs 3 und 4 iVm § 23 Abs 1 ApKG, insbesondere auch iVm der in litb vorgesehenen Sanktion, somit keinesfalls anwendbar.

2) Zur Anwendung des Art 6 Abs 1 MRK unter dem Aspekt der 'civil rights'

Der VfGH begründet die Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 MRK auf § 21 Abs 3 und 4 ApKG iS der Judikatur des EGMR ferner auch damit, daß in § 23 Abs 1 ApKG in zivile Rechte des Betroffenen eingreifende Verbote vorgesehen sind, so das Verbot, einen bestimmten Beruf auszuüben.

Dem hat die Bundesregierung folgendes entgegenzuhalten:

Es ist dem VfGH darin zuzustimmen, daß die im § 23 Abs 1 lite und f ApKG vorgesehenen Sanktionen Eingriffe in Berufsausübungsbefugnisse bewirken, die im Sinne der neueren Judikatur des EGMR (Fall KÖNIG, LE COMPTE I und ALBERT und LE COMPTE) bei tatsächlicher Verhängung Eingriffe in zivile Rechte darstellen würden. In diesem Zusammenhang ist nun im besonderen auf folgende - in Frage zu stellende - Überlegung des VfGH einzugehen (S 7 zweiter Absatz letzter Satz):

'Im Gesetzesprüfungsverfahren kommt es anscheinend nicht darauf an, welche Sanktion im Beschwerdeverfahren verhängt wurde (9.000,--S Geldstrafe), sondern darauf, welche Rechtsfolgen das Gesetz kennt (vgl. EGMR, Fall ÖZTÜRK, EuGRZ 1985, 67).'

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Disziplinarverfahren unter den Begriff 'strafrechtliche Anklage' fällt, stellt der EGMR sowohl auf die vom Gesetz vorgesehenen, möglichen Sanktionen, als auch auf die tatsächlich verhängte Sanktion ab. Bei der Beurteilung der Frage aber, ob ein Disziplinarverfahren für zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen bestimmend gewesen ist, stellt der EGMR gerade nicht auf die potentiell möglichen Eingriffe in die Berufsausübung ab. Nach der Judikatur des EGMR ist es im Hinblick auf die Anwendung des Art 6 MRK wegen der Betroffenheit von zivilrechtlichen Ansprüchen und Verpflichtungen erforderlich, daß eine konkrete ernsthafte Streitigkeit über derartige Ansprüche vorliegt (vgl. u.a. Fall SPORRONG-LÖNNROTH, Urteil vom , Punkt 79ff, insbesondere 81, und Fall BENTHEM, Urteil vom , Punkt 32ff, insbesondere 33). In diesem Sinne führt der EGMR u.a. im Falle LE COMPTE I (EuGRZ 1981, 551ff, insb. 553, Pkt. 49, 50) aus:

'Im Gegensatz zu anderen Disziplinarmaßnahmen, denen sich die Bf. aussetzten (wie etwa Ermahnung, Tadel und Rüge, ....), stellt das von ihnen gerügte befristete Berufsverbot zweifellos einen unmittelbaren und nachhaltigen Eingriff in ihr

Recht zur weiteren ärztlichen Berufstätigkeit dar ...... Die von

Art6 Abs 1 gemeinten `Streitigkeiten` können nämlich nicht nur das Bestehen eines zivilrechtlichen Anspruches schlechthin, sondern auch dessen Tragweite oder die Umstände zum Gegenstand haben, unter denen sein Inhaber von ihm Gebrauch machen darf.

Da sich die Anfechtung der gegen den Bf. ergriffenen Maßnahmen auf `zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen` bezog, hatten die Bf Anspruch auf Untersuchung ihrer Sache durch ein den Anforderungen des Art 6 Abs 1 genügendes `Gericht`.'

Aus diesen Ausführungen und aus den angeführten Urteilen ist klar erkennbar, daß die Anwendung der Grundsätze des Art 6 Abs 1 MRK aus dem Grund, daß durch den Ausgang des Disziplinarverfahrens zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen entscheidend berührt werden, auf Disziplinarmaßnahmen immer nur dann erfolgt, wenn es in dem konkreten Verfahren um eine solche zivile Rechte berührende Sanktion geht. Nach Auffassung der Bundesregierung scheint es daher nicht zulässig, unter dem Aspekt der unmittelbaren Betroffenheit von zivilrechtlichen Ansprüchen und Verpflichtungen § 21 Abs 3 und 4 ApKG im Lichte des Art 6 MRK zu prüfen, weil es sich bei der konkret verhängten Geldstrafe eben gerade um keine die Berufsausübung beeinträchtigende Maßnahme handelt.

Der oben zitierte Satz könnte allerdings auch unabhängig von der Judikatur des EGMR - von der grundsätzlichen Position des VfGH in Gesetzesprüfungsverfahren getragen sein, daß er nicht nur die im Anlaßfall sich gegen eine angewendete Gesetzesbestimmung ergebenden Bedenken relevieren kann. Diese Auffassung teilt die Bundesregierung, allerdings verläßt der VfGH im vorliegenden Fall diese Position. Im vorliegenden Fall geht es nämlich nicht um verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine anzuwendende Bestimmung, die im Anlaßfall selbst keine Rolle spielen, sondern um die - vom VfGH als möglich erachtete Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen, die nicht präjudiziell sind. Präjudiziell sind im Anlaßfall § 21 Abs 3 und 4 ApKG und die - nicht in Prüfung gezogene - Vorschrift des § 23 Abs 1 litb ApKG. Die unter dem Aspekt der unmittelbaren Berührung zivilrechtlicher Ansprüche gegen § 21 Abs 3 und 4 gerichteten Bedenken könnten sich aber nur im Zusammenhang mit den im vorliegenden Anlaßfall keinesfalls präjudiziellen § 23 Abs 1 lite und f ApKG ergeben.

Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der VfGH den Bereich, aus dem er Bedenken schöpft, jedenfalls zu weit faßt, wenn er - wie er es im Unterbrechungsbeschluß andeutet sämtliche Sanktionsbefugnisse einer Behörde, die im Anlaßfall in letzter Instanz entschieden hat, auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft. Zwar ist es aus rechtstheoretischer Sicht zutreffend, daß eine Behörde als eine Summe von Zuständigkeiten gesehen werden kann, doch scheint es im Hinblick auf Art 140 Abs 1 B-VG (arg.: '..., sofern aber der VfGH ein solches Gesetz in einer anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte, von Amts wegen.') unzulässig, daß der VfGH in einem von einem Anlaßfall ausgehenden Gesetzesprüfungsverfahren sämtliche - u.U. auch auf verschiedene Gesetze verstreute - Zuständigkeiten der Behörde in Prüfung zieht, auch wenn sie im Anlaßverfahren keine Rolle spielen.

Letztlich spricht gegen die im Unterbrechungsbeschluß angestellten Erwägungen auch, daß bei einem solchen Vorgehen immer nur der viel gravierendere Eingriff in Form der Aufhebung der Regelung betreffend die Einrichtung der Behörde möglich ist, um die Rechtslage zu sanieren, während bei einer Eingrenzung der Präjudizialität im Hinblick auf die ableitbaren Bedenken auf die konkret ausgeübte Zuständigkeit einer Behörde immer auch die Sanierung in Form der Aufhebung der einen verfassungswidrigen Zuständigkeit möglich ist, was jedenfalls den vergleichsweise geringfügigen Eingriff in die Rechtslage darstellte!

3) Zum Tribunalcharakter des Disziplinarberufungssenates

Für den Fall, daß der VfGH bei seiner Auffassung bleibt, daß Art 6 Abs 1 MRK auf § 21 Abs 3 und 4 ApKG

anzuwenden ist, hat die Bundesregierung seinen Bedenken zum iS dieser Konventionsbestimmung nicht ausreichend 'unabhängigen'

Disziplinarberufungssenat folgendes entgegenzuhalten:

a) Zur Frage der Weisungsfreiheit der Mitglieder des Disziplinarberufungssenates:

Der VfGH deutet selbst an, daß die Weisungsfreiheit der Mitglieder des Disziplinarberufungssenates möglicherweise aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen oder aus der sinngemäßen Anwendung der disziplinarrechtlichen Vorschriften der Dienstpragmatik oder des Beamten-Dienstrechtsgesetzes als vom Gesetzgeber gewollt ableitbar sei. In diesem Sinne ist die

Bundesregierung der Auffassung, daß sich auf Grund einer systematischen Interpretation der Bestimmungen des Apothekerkammergesetzes (§1, § 2 Abs 1, § 18ff, § 26) im Zusammenwirken mit den in der österreichischen Rechtsordnung geltenden Prinzipien der Selbstverwaltung (Art115 ff B-VG; vgl. VfSlg. 8215/1977) ergibt, daß die Mitglieder des Disziplinarberufungssenates weisungsfrei sind:

Die Apothekerkammer ist eine gesetzlich eingerichtete, berufliche Interessenvertretung, sie fällt damit unter den Begriff der personellen Selbstverwaltung. Die Überwachung der Erfüllung der Standespflichten der Mitglieder ist nun eine typische Aufgabe derartiger Selbstverwaltungskörper, die in den eigenen Wirkungsbereich dieser Institutionen fällt und von diesen zu besorgen ist. Wenn auch eine ausdrückliche Regelung fehlt, daß diese Aufgaben im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen sind, so scheint dies zum einen aus der Formulierung im § 2 Abs 2 ableitbar: 'Die Apothekerkammer ist, abgesehen von den in besonderen Vorschriften den Standesvertretungen der Apothekerschaft übertragenen Aufgaben, insbesondere berufen:

...'. Daraus ergibt sich, daß die in Abs 1 genannten Aufgaben, ua Disziplinarverfahren, keine solchen des übertragenen Wirkungsbereiches sind. Zum anderen kann für diese Auslegung § 26 ApKG ins Treffen geführt werden, der unmittelbar nach den Regelungen über das Disziplinarverfahren bestimmt, daß die Apothekerkammer nur der Aufsicht des Bundesministers für soziale Verwaltung unterliegt (vgl. VfSlg. 8215/1977 und VfSlg. 4117/1961). Im übrigen gibt es im ApKG auch keinen Hinweis darauf, daß innerhalb der Apothekerkammer eine die Unabhängigkeit gefährdende Einflußnahme eines ihrer Organe auf die Mitglieder des Disziplinarsenates vorgesehen ist.

b) Zu den Bedenken, daß die Funktionsdauer der Kommissionsmitglieder nicht gesetzlich normiert ist:

Den diesbezüglichen Bedenken ist folgendes entgegenzuhalten:

Entgegen dem mit Erkenntnis vom , G232 ua/85, aufgehobenen § 346 Abs 2 und 3 ASVG enthält das ApKG eine Regelung über die Zulässigkeit des Ausscheidens der Mitglieder. § 22 Abs 1 ApKG bestimmt, daß soweit sich aus den Vorschriften dieses BG nichts anderes ergibt, 'die Bestimmungen der §§107 bis 109 sowie der §§111 bis 151 der Dienstpragmatik, RGBl. Nr. 15/1914, sinngemäß anzuwenden' sind. Untersucht man die verwiesenen Regelungen der Dienstpragmatik (im folgenden: DP) in der Stammfassung - im Sinne der Judikatur des VfGH handelt es sich um eine statische Verweisung (Erk. vom 27. Feber 1986, B457/85-8, in dem auch zum Ausdruck kommt, daß das Außerkrafttreten der DP daran nichts ändert) - auf eine Regelung über die Funktionsdauer bzw. das Ausscheiden der Mitglieder, so findet sich in § 108 folgende Anordnung:

'§108. Die zu Kommissionsmitgliedern und Disziplinaranwälten bestellten Beamten scheiden aus, wenn in ihrer dienstlichen Stellung eine Veränderung eintritt, mit der die Voraussetzungen ihrer Bestellung entfallen. Während der Dauer eines gegen einen solchen Beamten anhängigen strafgerichtlichen oder Disziplinarverfahrens darf er zu keiner Amtshandlung bei einer Disziplinarkommission herangezogen werden. Endet das Verfahren mit einer Bestrafung des Beamten, so verliert er seine Stellung und es ist an seiner statt für den Rest der Funktionsdauer ein anderer Beamter in der vorgeschriebenen Weise zu bestellen.'

Bei einer sinngemäßen Anwendung dieser Vorschrift auf die Kommissionsmitglieder des Disziplinarberufungssenates der Apothekerkammer ergibt sich, daß für diese ausdrücklich geregelt ist, wann die Mitglieder ausscheiden. Daraus ist zu schließen, daß die Kommissionsmitglieder solange in der Kommission zu belassen sind, bis eine Voraussetzung für das Ausscheiden gegeben ist. Voraussetzung für das Ausscheiden gemäß § 108 DP ist nun der Wegfall der Voraussetzungen der Bestellung der Mitglieder. Für die Frage, welche Voraussetzungen für die Mitglieder des Disziplinarberufungssenates für ihre Bestellung gelten ergibt sich zunächst aus § 21 Abs 3 ApKG folgendes: Danach müssen zwei Mitglieder rechtskundige Verwaltungsbeamte aus dem Stande des Bundesministeriums für soziale Verwaltung (jetzt des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz) sein und ein weiteres Mitglied Beamter aus dem Stande des Bundesministeriums für soziale Verwaltung (jetzt des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz). Der Fall des Ausscheidens tritt für diese also immer dann ein, wenn sie den Status des Beamten verlieren bzw nicht mehr dem Bundesministerium für soziale Verwaltung (Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz) angehören. Für die beiden von den Abteilungsausschüssen zu bestellenden Beisitzer ergibt sich aus § 21 Abs 3 ApKG selbst keine besondere Voraussetzung der Bestellung. Im Zusammenhalt mit den Regelungen über die Abteilungsausschüsse und ihre Zuständigkeit (§12 insb. Abs 4 ApKG) ist aber wohl abzuleiten, daß Voraussetzung für die Bestellung zum Beisitzer ist, selbständiger bzw. angestellter Apotheker zu sein. Die näheren Voraussetzungen dafür ergeben sich aus dem § 5 ApKG iV mit dem Apothekengesetz (§§3, 4, 5) und der gemäß § 5 Apothekengesetz erlassenen Pharmazeutischen Hilfskräfteverordnung, BGBl. Nr. 40/1930.

Insgesamt folgt daraus, daß die Mitglieder des Disziplinarberufungssenates der Apothekerkammer keinesfalls jederzeit abberufbar sind, sondern nur dann, wenn die Voraussetzung(en) ihrer Bestellung in den Senat wegfällt (wegfallen). Damit ist zwar keine zeitliche Begrenzung ihrer Tätigkeit festgelegt, aber der Gesetzgeber hat Voraussetzungen für das Ausscheiden aus der Funktion bestimmt, woraus sich ergibt, daß die zu Mitgliedern bestellten Personen aus ihrer Funktion gerade nicht durch das zur Bestellung berufene Organ jederzeit abberufen werden können (so VfSlg. 7099/1973, S 523).

4) Zur Problematik der nachprüfenden Kontrolle des VfGH und des VwGH im Lichte des Art 6 Abs 1 MRK

Zuletzt ist auf die Bedenken des VfGH gegen seine eigene bisherige Rechtssprechung einzugehen, nach der auch die nachprüfende Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes Art 6 Abs 1 MRK entspricht:

a) Zur nachprüfenden Kontrolle des VfGH:

Bei den nunmehr vom VfGH gegen die eigene nachprüfende Kontrolle gerichteten Bedenken dürfte es sich um jene Bedenken handeln, die die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR) in ihrem Bericht im Fall ETTL (Nr. 9273/81 vom Juli 1985) zum Ausdruck gebracht hat. Die Bedenken der Kommission gingen dahin, daß der VfGH keine Entscheidung über eine zivilrechtliche Angelegenheit trifft. Er entscheide nämlich nicht in der Sache selbst, sondern überprüfe den Bescheid nur auf seine Vereinbarkeit mit dem Verfassungsrecht.

Dem hat die Bundesregierung folgendes entgegenzuhalten:

Der Vorwurf scheint auf zwei nicht explizit ausgesprochenen Auffassungen aufzubauen: Zum einen, daß zivile Rechte nur durch einfache Gesetze und nicht auch durch verfassungsrechtliche Bestimmungen begründet werden können und daß daher eine verfassungsmäßige Prüfung eines Verwaltungsaktes solche auf einfachen Gesetzen beruhende Rechte nicht berühren kann. Zum anderen scheint der Gerichtshof seine nur aufhebende (kassatorische) Entscheidungsbefugnis nicht als ausreichend zu erachten (vgl. die Abs 79 und 80 des Kommissionsberichtes).

Nach der Rechtsprechung des EGMR liegt aber stets dann eine zivilrechtliche Angelegenheit vor, wenn die Entscheidung auch einer Verwaltungsbehörde - unmittelbare Auswirkungen auf Zivilrechte hat. Die zentrale Institution des Zivilrechtes, das Eigentumsrecht, ist in der österreichischen Rechtsordnung verfassungsrechtlich geschützt (Art5 StGG, Art 1, 1. ZP MRK). Nach der ständigen Judikatur des VfGH sind darunter nicht nur das Eigentum im engeren Sinn sondern alle vermögenswerten Privatrechte zu verstehen. Über die Vereinbarkeit von durch Bescheide bewirkte unmittelbare Eingriffe in zivilrechtliche Angelegenheiten iS von vermögenswerten Privatrechten entscheidet also in letzter Instanz und bei voller Überprüfungsmöglichkeit des von der Behörde angenommenen Sachverhaltes der VfGH.

Selbst wenn man aber die im wesentlichen auf verfassungsrechtliche Aspekte bezogene Kognitionsbefugnis des VfGH in diesem Zusammenhang problematisieren wollte, so ist doch darauf hinzuweisen, daß die verfassungsgerichtliche Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen im Verein mit der durch den VwGH (siehe dazu litb) ein dem Art 6 MRK entsprechendes Rechtsschutzgefüge darstellt.

Gegen die Bedenken, daß der VfGH nur kassatorische Entscheidungen treffen kann und nicht in der Sache selbst entscheidet, ist darauf zu verweisen, daß die Verwaltungsbehörde an die Rechtsanschauung des VfGH gebunden ist und verpflichtet ist, einen Zustand herbeizuführen, der dieser Rechtsansicht entspricht (§87 Abs 2 VerfGG).

b) Zur nachprüfenden Kontrolle des VwGH:

Auch dem Argument der im Regelfall nur kassatorischen Entscheidung des VwGH ist entgegenzuhalten, daß die Verwaltungsbehörde an die Rechtsanschauung des VwGH gebunden ist und in dem betreffenden Fall mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln unverzüglich den dieser Rechtsanschauung entsprechenden Rechtszustand herzustellen hat (§63 Abs 1 VwGG). Auch wenn sich diese Bindung nur auf die Rechtsanschauung bezieht, ist doch im Hinblick auf aufgezeigte Verfahrensmängel gewährleistet, daß die Behörde diese zu beheben - und damit erforderlichenfalls auch die Sachverhaltserhebung zu ergänzen - hat.

Dem Vorwurf der nicht ausreichenden Tatsachenüberprüfung ist entgegenzuhalten, daß sich der prima vista aus § 41 VwGG ergebende Eindruck, daß der VwGH grundsätzlich an den von der Behörde angenommenen Sachverhalt gebunden ist, bei eingehender Betrachtung als haltlos erweist (vgl. den Aufsatz von RINGHOFER,

Der Sachverhalt im verwaltungsgerichtlichen Bescheidprüfungsverfahren, in Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Österreichischen VwGH, 351ff).

Ausgangspunkt für diese Überlegung ist der § 42 Abs 2 Z 3 lita bis c VwGG, nach dem der VwGH den Bescheid wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften dann aufzuheben hat, wenn der Sachverhalt von der bel. Beh. in einem wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen worden ist, der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf oder Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die bel. Beh. zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Daraus ergibt sich unzweifelhaft, daß in all diesen Fällen der VwGH an den von der bel. Beh. angenommenen Sachverhalt nicht gebunden ist. Aus dieser Regelung läßt sich ableiten, daß der VwGH nicht berufen ist, - wie man es bei einer tatsächlichen strikten Bindung an die Sachverhaltsfeststellung der Behörde annehmen müßte - nur eine abstrakte Rechtsfrage zu beantworten, sondern vielmehr einen konkreten Rechtsfall mit dem diesem zugrundeliegenden Sachverhalt zu beurteilen hat.

Um herauszufinden, inwieweit der § 41 VwGG eine Bindung des VwGH an den von der Behörde festgestellten Sachverhalt festlegt, geht RINGHOFER der Frage nach, welche Tatfrage die Verwaltungsbehörde und welche Tatfrage der VwGH zu behandeln hat. Während die Tatfrage für die Verwaltungsbehörde die Ermittlung der von der Partei zu verantwortenden und dieser zuzurechnenden Begebenheit ist, ist die Tatfrage des VwGH 'die von der bel. Beh. zu verantwortende, ihr zuzurechnende Begebenheit, nämlich die Erlassung des angefochtenen Bescheides' (vgl. RINGHOFER, aaO, 364). In bezug auf die so umschriebene Tatfrage der Behörde ist der VwGH im Sinne des § 41 VwGG gebunden. Es zeigt sich aber, wie bereits angedeutet, daß dem VwGH dennoch im Rahmen der ihm gestellten Tatfrage eine Sachverhaltsüberprüfung zukommt.

Der VwGH hat nämlich zu prüfen, ob das im konkreten Fall relevante Verhalten der Behörde den materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften des Gesetzes entspricht. In verfahrensrechtlicher Hinsicht bedeutet dies für den VwGH, daß er die Entscheidung der Behörde immer auch dahingehend zu überprüfen hat, ob sie unter Einhaltung der Vorschriften über das Ermittlungsverfahren, die ihrerseits sichern sollen, daß die entscheidungsrelevanten Tatsachen richtig festgestellt werden, erfolgt ist. Diese Vorschriften des Ermittlungsverfahrens, die sich insbesondere im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) finden, sind zwar großzügige, der Behörde einen weiten Spielraum lassende Bestimmungen. Sie stehen aber unter dem gemeinsamen, im § 37 AVG festgelegten Zweck, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Ob die Behörde iS dieses Zwecks das Verfahren abgeführt hat, hat der VwGH in jeder Hinsicht zu überprüfen. RINGHOFER (aaO, 369) formuliert dies wie folgt:

'Das Verhalten der Verwaltungsbehörde kann als absolut und schlechthin rechtmäßig nur erkannt werden, wenn sie diesen Zweck erreicht, dh den wahren Sachverhalt ermittelt und ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt hat. Es ist wohl nicht erforderlich, diese Einsicht durch Beispiele im einzelnen zu belegen; ihre Richtigkeit wird allein schon durch die Überlegung dargetan, daß weder die Feststellung der Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhalts (§42 Abs 2 litc Z 2 leg.cit.) noch auch die Feststellung, daß die Behörde bei Vermeidung eines Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (§42 Abs 2 litc Z 3 leg.cit.) ohne jedwede kritische

Bedachtnahme auf den von der bel. Beh. festgestellten Sachverhalt getroffen werden kann.'

Und er setzt fort (aaO, 371f):

'Dem VwGH ist derart die Frage aufgegeben, ob die bel. Beh. von ihrer Freiheit, den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen (§39 Abs 2 AVG) und nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als `erwiesen anzunehmen ist oder nicht` (§45 Abs 2 AVG) in der Art Gebrauch gemacht hat, daß der Zweck des Ermittlungsverfahrens - den wirklichen Sachverhalt festzustellen - gesichert scheint. Bejaht er im Einzelfall diese Frage, so hat er zugleich die mit der (Sachverhalts) Feststellung beantworteten Fragen als Tatfragen deklariert und derart seine Bindung an den von der bel. Beh. festgestellten Sachverhalt bejaht. Verneint er sie dagegen, dann stellt sich das als die Beantwortung der Rechtsfrage dar: daß die bel. Beh. von ihrer Freiheit zur Sachverhaltsermittlung nicht `im Sinne des Gesetzes` Gebrauch gemacht hat.'

Mit der Behauptung einer Rechtsverletzung, weil nicht der wahre und richtige Sachverhalt der Entscheidung der letzten Administrativbehörde vorgelegten habe, womit ein wesentlicher, die Rechtswidrigkeit begründender Verfahrensfehler geltend gemacht wird, kann jederzeit vom Bf. vor dem VwGH die Überprüfung des von der Behörde angenommenen Sachverhalts erreicht werden.

In diesem Sinn hat der VfGH selbst (Slg. 5100, 5102/1965) ausgesprochen, daß der VwGH in der Lage und verpflichtet ist, Sachverhaltsmängel in den allermeisten Fällen als Verfahrensmängel zu beseitigen. Im Hinblick auf Art 6 Abs 1 MRK hat er die Auffassung vertreten, daß sich daraus ergebe, §§41, 42 VwGG - wie es der Wortlaut ermöglicht - in diesem weiten Sinne auszulegen und zu handhaben. Gestützt darauf hat der VwGH (VwSlg. 8619 A/1974) ausgesprochen, daß der in § 45 Abs 2 AVG verankerte Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht bedeutet,

'daß dieser in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die in Rede stehende Bestimmung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 hat nur zur Folge, daß, sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, die Würdigung der Beweise keinen anderen gesetzlichen Regelungen unterworfen ist. Diese Regelung schließt aber keinesfalls eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend ermittelt ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind aber solche Erwägungen nur dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren entspricht daher in dieser Hinsicht den Anforderungen, die der VfGH in seinem Erk. (Slg. NF 5100, unter Z 6 leg.cit. zu c) in den Entscheidungsgründen hinsichtlich der Sachverhaltsprüfung einschließlich der Kontrolle der Beweiswürdigung an ein Gericht im Sinne des Art 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention gestellt hat. Wesentliche Mängel der Sachverhaltsfeststellung einschließlich der Beweiswürdigung führen daher zur Aufhebung des Bescheides.'

Und im Erk. (Slg. 9723 A/1978) führt er aus:

'Der VwGH ist aber berechtigt, zur Prüfung der Fragen, ob ein Verfahrensmangel wesentlich ist oder ob die bel. Beh. unter Vermeidung des gegebenen Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, eine Beweisaufnahme durchzuführen; dies auch zum Zwecke der Kontrolle der Beweiswürdigung. Dies deshalb, weil der VwGH zufolge § 42 Abs 2 litc VwGG 1965 verpflichtet ist zu prüfen, ob erstens der Sachverhalt von der bel. Beh. in einem wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen wurde oder zweitens der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf oder drittens Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die bel. Beh. zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Diese Prüfung hat der VwGH von Amts wegen vorzunehmen. Gemäß § 46 AVG 1950 in Verbindung mit § 62 VwGG 1965 kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des für die Durchführung der Rechtskontrolle des VwGH maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach der Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Dem VwGH erschien es im Beschwerdefall deshalb erforderlich, zur Prüfung der Frage, ob der oben aufgezeigte Verfahrensmangel wesentlich ist, bei der neuerlichen Verhandlung vor dem verstärkten Senat sowohl die Bf. persönlich als auch die Vertreter der mitbeteiligten Parteien, den Bürgermeister der Gemeinde Pertelstein und den Obmann der Jagdgesellschaft Pertelstein als Beteiligte im Sinne des § 51 AVG 1950 in Verbindung mit § 62 VwGG

1956 zu vernehmen .......

Angesichts dieses Ermittlungsergebnisses ist der VwGH zur Ansicht gelangt, daß die bel. Beh. die von den Bf. in ihrem Einspruch gegen den Gemeinderatsbeschluß aufgeworfene Frage der Befangenheit des Bürgermeisters bei der Beschlußfassung des Gemeinderates nicht geklärt hat, sie sich vielmehr - der Behauptung des Bürgermeisters folgend - damit begnügte, in der Begründung des angefochtenen Bescheides zu behaupten, daß in der Gemeinderatssitzung gesetzmäßig vorgegangen worden sei. Für diese Begründung des angefochtenen Bescheides bietet aber das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der bel. Beh. keine Deckung. Diese hat es außerdem unterlassen, selbst dieses, für das Beweisthema unzureichende Vernehmungsergebnis den Bf. vorzuhalten, so daß diese erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen.'

Allerdings hält er in diesem Erkenntnis auch fest, daß es nicht zulässig ist, eine von der Verwaltungsbehörde versäumte Beweisaufnahme nachzuholen.

Aus all diesen Erwägungen vertritt die Bundesregierung nach wie vor im Sinne der Judikatur des VfGH (Slg. 5100, 5102/65) und im Sinne der von RINGHOFER vertretenen Rechtsansicht die Auffassung, daß die dargestellte Möglichkeit des VwGH zur Sachverhaltsüberprüfung, die gerade nicht - wie es die Kommission im Fall ETTL gemeint hat - nur in Ausnahmefällen vorkommt, nach wie vor den Anforderungen des Art 6 Abs 1 MRK entspricht. Wie aus den beiden oben zitierten Erkenntnissen ersehen werden kann, sind dem VwGH bei der Überprüfung der Beweiswürdigung keine Grenzen gesetzt. Es ist dabei auch auf die in der jüngeren Literatur in diesem Sinne vertretene Auffassung von HINTERAUER, Ist der VwGH an den von der bel. Beh. angenommenen Sachverhalt gebunden, AnwBl 1980, 15, hinzuweisen.

II.

Die Bundesregierung stellt somit den

Antrag,

der VfGH wolle aussprechen, daß § 21 Abs 3 und 4 des Apothekerkammergesetzes, BGBl. Nr. 152/1947, nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist.

III.

Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den

Antrag,

der VfGH wolle gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen."

B.1. Die Anlaßverfahren des VwGH, 2. die Prüfungsanträge des
VwGH, 3. die Äußerung der Bundesregierung

1. Beim VwGH sind vier Beschwerden anhängig, die sich gegen in Apotheker-Disziplinarsachen ergangene Bescheide wenden.

Die bf. Apotheker waren vom Disziplinarrat schuldig erkannt worden, durch bestimmte Verhaltensweisen die Standesehre und das Standesansehen der Apothekerschaft beeinträchtigt und dadurch Disziplinarvergehen nach § 18 Abs 1 ApKG begangen zu haben. Dagegen erhoben die Bf. Berufungen, über die der Disziplinarberufungssenat entschied.

Diese Berufungsbescheide bilden den Gegegenstand der verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

Die Beschwerde, die Anlaß für den Prüfungsantrag Zl. A163/86 (hg. Zl. G43/87) war, war vom VfGH (nachdem dieser die Behandlung gemäß Art 144 Abs 2 B-VG abgelehnt hatte) nach Art 144 Abs 3 B-VG dem VwGH abgetreten worden.

Im einzelnen wurden gegen die bf. Apotheker mit diesen beim VwGH bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden (Disziplinarerkenntnissen) des Disziplinarberufungssenates folgende Strafen verhängt:

a) Prüfungsantrag des VwGH Zl. A163/86, hg.

Zl. G43/87:

Mit Disziplinarerkenntnis vom gemäß § 23 Abs 1 litb ApKG Geldstrafe von S 50.000,--; Verfahrenskosten nach § 24 Abs 1 ApKG von S 3.771-.

b) Prüfungsantrag des VwGH Zl. A164/86, hg.

Zl. G44/87:

Mit Disziplinarerkenntnis vom gemäß § 23 Abs 1 litb ApKG Geldstrafe von S 250.000,--; Verfahrenskosten nach § 24 Abs 1 ApKG von S 10.359,--.

c) Prüfungsantrag des VwGH Zl. A165/86, hg.

Zl. G45/87:

Mit Disziplinarerkenntnis vom gemäß § 23 Abs 1 litb ApKG eine Geldstrafe von 5 Gehaltskassenumlagen, gemäß § 23 Abs 1 litc ApKG die dauernde Entziehung des Rechtes auf Ausbildung von Aspiranten, gemäß § 23 Abs 1 lite ApKG die Entziehung des Rechtes zur Leitung einer Apotheke auf die Dauer von 5 Jahren und gemäß § 23 Abs 1 litf das Verbot der Ausübung des Apothekerberufes auf die Dauer von 3 Jahren; Verfahrenskosten nach § 24 Abs 1 ApKG von S 14.922,--.

d) Prüfungsantrag des VwGH Zl. A166/86, hg.

Zl. G46/87:

Mit Disziplinarerkenntnis vom 5. Feber 1982 gemäß § 23 Abs 1 lita ApKG Strafe des schriftlichen Verweises;

Verfahrenskosten nach § 24 Abs 1 ApKG von S 7.700,--.

2.a) Aus Anlaß dieser vier bei ihm anhängigen Beschwerden stellt der VwGH gemäß Art 140 Abs 1 B-VG die Anträge, folgende Bestimmungen des ApKG als verfassungswidrig aufzuheben:

aa) Mit Prüfungsanträgen vom , ergänzt mit Anträgen vom 26. Feber 1987, Zlen. A163/86 und A164/86 (hg. Zl. G43/87 und G44/87)


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1.
§23 Abs 1 litb,
2.
in eventu § 21 Abs 3 zweiter Satz und § 21 Abs 4,
3.
in eventu die §§18 bis 24,
4.
in eventu § 21 Abs 3 und 4;


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bb) mit Prüfungsantrag vom , ergänzt mit Antrag vom 26. Feber 1987, Zl. A165/86 (hg. Zl. G45/87)


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1.
§23 Abs 1 litb, e und f
2.
in eventu § 21 Abs 3 zweiter Satz und § 21 Abs 4,
3.
in eventu die §§18 bis 24,
4.
in eventu § 21 Abs 3 und 4;


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cc) mit Prüfungsantrag vom , ergänzt mit Antrag vom 26. Feber 1987, Zl. A166/86 (hg. Zl. G46/87)


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1.
§21 Abs 3 zweiter Satz und § 21 Abs 4,
2.
in eventu die §§18 bis 24,
3.
in eventu § 21 Abs 3 und 4.


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b) aa) Der VwGH führte zur Begründung seines unter Zl. A165/86 (hg. Zl. G45/87) eingebrachten Prüfungsantrages aus:

"1. ........ (Schilderung des Sachverhaltes - siehe den

vorstehenden Pkt. 1)

2.1. ....... (Hinweis auf die in Betracht kommenden

Gesetzesstellen - s.o. I.).

2.2. Hinsichtlich der Präjudizialität der angefochtenen Gesetzesstellen sowie des zur Bereinigung der Rechtslage erforderlichen Aufhebungsumfanges, der seinerseits für den Antragsumfang bestimmend ist, geht der VwGH von folgenden Überlegungen aus:

2.2.1. Der VwGH nimmt zunächst auf seinen eventualiter gestellten Zweitantrag Bezug.

Die vom VfGH mit dem genannten Beschluß vom in Prüfung gezogenen Bestimmungen des § 21 Abs 3 und 4 ApKG sind auch im vorliegenden Beschwerdefall eine der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides und vom VwGH anzuwenden (Art135 Abs 4 in Verbindung mit Art 89 Abs 2 B-VG); die Frage der gesetzmäßigen Organisation der belangten Kollegialbehörde ist unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Unzuständigkeit der bel. Beh. (§42 Abs 2 Z. 2 VwGG) Gegenstand der Prüfung durch den VwGH. Die genannten Bestimmungen sind daher präjudiziell.

Der Umfang der beantragten Aufhebung war gegenüber dem verfassungsgerichtlichen Prüfungsbeschluß um den ersten Satz des § 21 Abs 3 ApKG einzuschränken, da andernfalls nach Aufhebung des § 21 Abs 3 und 4 leg.cit. in dem ins Berufungsstadium zurückgetretenen Verfahren über die nach § 21 Abs 1 und 2 ApKG vorgesehene Berufung neuerlich - jedenfalls - keine dem Art 6 Abs 1 MRK entsprechende Behörde (in erster Linie käme wohl der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz in Betracht) mit Ersatzbescheid zu entscheiden hätte. Die Rechtslage wäre nicht ausreichend bereinigt. Eine solche Bereinigung unter möglichst geringer Veränderung der bestehenden gesetzlichen Regelung würde hingegen gerade durch die Weitergeltung des § 21 Abs 3 erster Satz ApKG, wonach über Berufungen der Disziplinarberufungssenat entscheidet, dann bewirkt, wenn die betreffende Organisationsvorschrift aufgehoben und damit ein Tätigwerden bis zu einer gesetzlichen Neuregelung unterbunden würde. (Hinsichtlich des dadurch eintretenden Schwebezustandes wird darauf hingewiesen, daß der Berufung aufschiebende Wirkung zukommt und nach der Aktenlage eine Suspendierung nicht erfolgt ist.)

2.2.2. Der Drittantrag des VwGH geht davon aus, daß die Gesamtregelung des Disziplinarverfahrens in den §§18 bis 24 ApKG als eine untrennbare Einheit angesehen wird und eine Bereinigung der organisations- und verfahrensrechtlichen Mängel nur durch Aufhebung des ganzen Abschnittes über das 'Disziplinarverfahren' im ApKG möglich erscheint.

2.2.3. Auch die im Erstantrag des VwGH bezeichneten Gesetzesstellen, nämlich § 23 Abs 1 litb, e und f ApKG sind vom VwGH anzuwenden.

Der Erstantrag, der eine Bereinigung der Rechtslage nicht durch Aufhebung der Organisationsnormen, sondern der Sachnormen, die dem betreffenden Organ bestimmte Aufgaben zuweisen, herbeiführen würde, ist vor dem Hintergrund jener dem Art 6 Abs 1 MRK zu unterstellenden Fälle zu sehen, die nicht wie hier von besonderen Organen, sondern von den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung zu vollziehen sind.

Der VwGH sieht den Sitz der Verfassungswidrigkeit in der im § 23 Abs 1 ApKG vorgenommenen Bezeichnung der in den litb, e und f inhaltlich umschriebenen Nachteile (Strafen) als Disziplinarstrafen, weil diese Definition die Befugnisse der in bestimmter Weise organisierten Disziplinarbehörden umschreibt und diesen dabei Aufgaben zuweist, die sie in ihrer bestehenden Organisationsform nicht erfüllen dürfen (und zwar neben anderen Aufgaben, die unbedenklich von ihnen vollzogen werden dürfen lita, c, d).

Der Erstantrag trägt darüber hinaus dem Gebot einer möglichst geringen Inhaltsveränderung des Gesetzes für den Fall der Gesetzesaufhebung Rechnung. Es könnten nämlich diesfalls bis zu einer allfälligen Neuregelung der Organisation der Disziplinarberufungskommission und auch ungeachtet einer solchen weiterhin die Disziplinarstrafen des schriftlichen Verweises (§23 Abs 1 lita ApKG), der zeitlichen oder dauernden Entziehung des Rechtes auf Ausbildung von Aspiranten (litc) und der zeitlichen oder dauernden Entziehung des Wahlrechtes oder der Wählbarkeit zur Apothekerkammer (litd) von den bestehenden Disziplinarbehörden vollzogen werden.

2.3.1. § 23 Abs 1 litb ApKG sieht Geldstrafen bis zur Höhe des 15fachen Betrages der Gehaltskassenumlage, die für einen angestellten Apotheker auf Grund der Bestimmungen des Gehaltskassengesetzes, BGBl. Nr. 23/1928, jeweils zu leisten ist. An die Stelle des zitierten Gesetzes ist das Gehaltskassengesetz 1959, BGBl. Nr. 254, zuletzt idF BGBl. Nr. 104/1985, getreten.

Die Gehaltskassenumlage beträgt derzeit S 27.396,--, die Höchststrafe somit S 410.640,--.

Der VwGH teilt die vorläufige Annahme des VfGH, daß die Garantien (insbesondere die Organisationsgarantien) des Art 6 MRK immer dann zum Tragen zu kommen scheinen, wenn schwere Strafen vorgesehen sind, also auch dann, wenn sie im Disziplinarbereich verhängt werden, und zwar nach Auffassung des VfGH offenbar auch dann, wenn es sich nicht (wie in den vom VfGH zitierten Fällen Engel, EuGRZ 1976, 221 ff, und Campbell und Fell, EuGRZ 1985, 535 ff) um freiheitsentziehende Maßnahmen handelt. Es besteht das Bedenken, daß auch schwere Vermögensstrafen, wie sie nach der anzuwendenden Gesetzesstelle verhängt werden dürfen, nach dem Standard der europäischen Rechtsordnungen nicht von Disziplinarbehörden im Disziplinarverfahren, sondern nur von Gerichten im Sinne des Art 6 MRK verhängt werden dürfen.

Der VwGH tritt ferner der Erwägung des VfGH bei, daß es nicht darauf ankommt, welche Sanktion im Disziplinarverfahren verhängt wurde, sondern darauf, welchen Strafrahmen das Gesetz kennt.

2.3.2. § 23 Abs 1 lite ApKG sieht die zeitliche oder dauernde Entziehung des Rechtes zur Leitung einer Apotheke als Disziplinarstrafe vor.

Das Verbot nach § 23 Abs 1 lite ApKG betrifft sowohl den selbständigen als auch den unselbständigen Apotheker. Für den selbständigen Apotheker bedeutet dies den Ausschluß von der Leitung der Apotheke, deren Inhaber er ist; der Konzessionsinhaber oder Pächter wird durch einen angestellten Leiter für die Leitung Vorsorge zu treffen haben (§17 des Apothekengesetzes, RGBl. Nr. 5/1907 idF BGBl. Nr. 502/1984; im folgenden: ApG); falls der Konzessionsinhaber durch ein Disziplinarerkenntnis von der Leitung einer Apotheke für mehr als drei Jahre entfernt wurde, ist die öffentliche Apotheke zu verpachten (§17 Abs 2 Z. 1 ApG). Für den unselbständigen vertretungsberechtigten Apotheker (§1 Abs 2 Z. 1 der Pharmazeutischen Fachkräfteverordnung, BGBl. Nr. 40/1930 in der geltenden Fassung) bedeutet der Ausschluß von der Leitung einer Apotheke eine Einschränkung des Berechtigungsumfanges und damit des beruflichen Fortkommens sowie des Verlustes der Leiterzulage (derzeit S 6.789,--, 14 mal im Jahr).

Der VwGH hat das Bedenken, daß auch in dieser Sanktion schwere vermögens- und einkommensbeeinträchtigende Eingriffe zu erblicken sind, die nach dem zu Punkt 2.3.1. Gesagten nicht dem Begriff von bloßen Disziplinarmaßnahmen unterstellt werden dürfen.

Für den angestellten Apothekenleiter scheint auch eine unmittelbare Berührung der sich aus dem Dienstvertrag ergebenden zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK vorzuliegen.

2.3.3. Im § 23 Abs 1 litf ApKG wird schließlich das Verbot der Ausübung des Apothekerberufes bis zur Dauer von drei Jahren als Disziplinarstrafe angeführt.

Dieses Verbot schließt den Verlust der Leiterbefugnis in sich.

Für den selbständigen wie für den unselbständigen Apotheker bedeutet dies - über die im Punkt 2.3.2. dargestellten Folgen des Verlustes der Leiterbefugnis hinausgehend - das Verbot, in der Apotheke die dem pharmazeutischen Fachpersonal im § 2 der Pharmazeutischen Fachkräfteverordnung vorbehaltenen Tätigkeiten auszuüben.

Im Hinblick auf die Schwere der Strafsanktion gilt das im Punkt 2.3.2. geltend gemachte Bedenken.

Im Hinblick auf die Berührung zivilrechtlicher Ansprüche und Verpflichtungen unselbständiger Apotheker ist ebenfalls auf Punkt 2.3.2. zu verweisen.

Bei der gegebenen sprachlichen Untrennbarkeit der Strafnormen des § 23 Abs 1 lite und f ApKG erscheinen diese auch in ihrer Anwendung auf selbständige Apotheker verfassungsrechtlich bedenklich, auch wenn sie in diesen Fällen eine Berührung zivilrechtlicher Ansprüche und Verpflichtungen nicht bewirken sollten.

Daß nämlich die über einen selbständigen Apotheker verhängten Disziplinarstrafen nach § 23 Abs 1 lite und f ApKG - die ja nicht den Verlust oder das Ruhen der Konzession zur Folge haben (die im § 19 ApG vorgesehene Zurücknahme der Konzession erfolgt im administrativrechtlichen Verfahren) dessen zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen berühren, ist keineswegs ausgemacht. Der VfGH scheint in seinem Prüfungsbeschluß vorläufig die Annahme zu vertreten, daß durch die im ApKG vorgesehene disziplinäre

'Aberkennung einer Berufsausübungsbefugnis' .... 'über zivile Rechte

(civil rights) abgesprochen' wird. Der VwGH verschließt sich zwar für Zwecke des vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahrens diesen Bedenken nicht, weist jedoch darauf hin, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in den belgischen Ärztedisziplinarfällen die Disziplinarstrafe des Berufsverbotes deshalb als in den Anwendungsbereich des Art 6 MRK fallend angesehen

hat, weil dort der Ausgang des Verfahrens für zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen des Arztes (dessen Recht zur Fortsetzung der Berufsausübung mittels privatrechtlicher Beziehungen zu seinen Patienten verwirklicht wird) unmittelbar bestimmend ist (vgl. unter Bezugnahme auf die Fälle Ringeisen, König von Golder - die Fälle Le Compte I EuGRZ 1981, 551, sowie Albert und Le Compte, EuGRZ 1983, 190). Im vorliegenden Zusammenhang ist der Apotheker als Unternehmer allerdings in seinen zivilrechtlichen Beziehungen zu seinen Kunden nicht bzw. nicht in dieser Unmittelbarkeit berührt; das Leitungs- und Berufsverbot wirkt sich für den sonst persönlich mitarbeitenden selbständigen Apothekenunternehmer (nur) durch den Verlust des sogenannten Unternehmerlohnes im Personalaufwand, bei Verpachtung der Apotheke in der Beschränkung der Einkünfte auf den Pachtschilling, aus. Dies wird noch deutlicher, wenn es sich - wie im Beschwerdefall - um die Disziplinarbehandlung eines selbständigen Apothekers im Sinne des § 5 Abs 1 ApKG handelt, der ein in seiner Apotheke als Pharmazeut tätiger bloßer Miteigentümer (und nicht Konzessionsinhaber) ist.

2.3.4. Der VwGH hat in Ansehung der über den Bf. weiters verhängten Disziplinarstrafe der dauernden Entziehung des Rechtes auf Ausbildung von Aspiranten nach § 23 Abs 1 litc ApKG keine Bedenken dahingehend, daß die bestehende gesetzliche Regelung den Verfassungsgeboten des Art 6 Abs 1 MRK

widerspräche. Der VwGH vermag in der als Disziplinarstrafe ausgesprochenen Zurücknahme der öffentlich-rechtlichen Erlaubnis zur Ausbildung von Aspiranten im Sinne der Pharmazeutischen Fachkräfteverordnung, BGBl. Nr. 40/1930 in der geltenden Fassung, keine Maßnahme zu erblicken, die den vom Art 6 Abs 1 MRK vorausgesetzten Grad der Schwere der vorgesehenen Strafe aufweist oder unmittelbar und intentional zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen des Bestraften berührt.

2.4.1. Der VwGH schließt sich der Beurteilung des VfGH, daß die bel. Beh. nicht als Tribunal im Sinne des Art 6 MRK zu qualifizieren sei, an.

2.4.2. Der VfGH hat in seinem bereits wiederholt zitierten Prüfungsbeschluß vom weiters das Bedenken geäußert, daß die nachprüfende Kontrolle durch die beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (VfSlg. 5100/1965, 7099/1973) den Erfordernissen des Art 6 MRK nicht zu genügen scheine. Er hat auf seine eigene durch die Rechtsverletzungsbehauptung begrenzte Entscheidungszuständigkeit hingewiesen und hinsichtlich der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle das Bedenken formuliert, 'daß die begrenzte Entscheidungsbefugnis des VwGH in der Sache selbst ebensowenig diesen Anforderungen genügt wie die auf Verfahrensfehler der Behörde beschränkte Sachverhaltsprüfung des VwGH unter Ausschluß einer umfassenden Kontrolle der behördlichen Beweiswürdigung'.

Der VwGH vermag sich in dem ihm vorliegenden Beschwerdefall - um dem Bf. nicht von vornherein die Möglichkeit zu nehmen, in den Genuß der Anlaßfallwirkung einer allfälligen Gesetzesaufhebung durch den VfGH im Sinne des Art 140 Abs 7 B-VG zu kommen - diesen Bedenken nicht zu verschließen.

2.5. Der VwGH hat zwar keine Bedenken, die daraus resultieren, daß § 39 Abs 2 Z. 6 VwGG ein Kontrolldefizit darstellen könnte, wonach der VwGH ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen kann, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem VwGH vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt. Diese Bestimmung scheint einer verfassungs- und damit konventionskonformen Auslegung dahingehend zugänglich zu sein, daß der Gerichtshof von dem ihm eingeräumten Ermessen in den Fällen des Art 6 Abs 1 MRK nicht Gebrauch machen darf.

Hingegen findet sich keine (gesetzliche) Norm, die in jedem Fall eine dem Art 6 Abs 1 MRK entsprechende öffentliche Verkündung des Urteils als Rechtsanspruch, etwa durch Hinterlegung bei der Gerichtskanzlei mit Zugang von jedermann zum Text der Entscheidung, gewährleistet (vgl. § 43 Abs 5 VwGG; Fall Pretto u.a., EuGRZ 1985, S 48)."

bb) Die weiteren Prüfungsanträge des VwGH, Zlen. A163/86, A164/86 und A166/86 (hg. Zlen. G43/87, G44/87 und G46/87) werden gleich begründet.

Mit Antrag Zl. A166/86 (hg. Zl. G46/87) wird - anders als in den übrigen Anträgen - nicht (auch) die Aufhebung von Teilen des § 23 Abs 1 ApKG begehrt (s.o. II.B.2.a). Dies wird wie folgt begründet:

"... Da der VwGH keine verfassungsrechtlichen Bedenken

gegen den im vorliegenden Beschwerdefall angewendeten § 23 Abs 1 lita ApKG hegt, kommt die Stellung eines diesbezüglichen Aufhebungsantrages, wie er im bereits mehrfach zitierten hg. Gesetzesprüfungsantrag hinsichtlich anderer literae des § 23 Abs 1 leg.cit. gestellt wurde, nicht in Betracht.

Im Hinblick auf die Untrennbarkeit der - vorsichtshalber - angefochtenen Gesetzesstellen, kommt es nicht darauf an, welche Sanktion im vorliegenden Disziplinarverfahren verhängt wurde, sondern darauf, welche Disziplinarstrafen das Gesetz kennt. Die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Gesetzesstellen hängt nicht davon ab, daß sich der Umstand, der die angefochtenen Normen verfassungswidrig erscheinen läßt, im vorliegenden Anlaßfall

verwirklicht hat. ......"

Die jeweiligen, auf Aufhebung des § 21 Abs 3 und 4 ApKG gerichteten, nachträglich zu G43,44,45/87 gestellten Viertanträge und der nachträglich zu G46/87 gestellte Drittantrag werden wie folgt begründet:

"Der VwGH hat bereits einen Eventualantrag auf Aufhebung der §§18 bis 24 des Apothekerkammergesetzes gestellt. Der vorliegende zusätzliche Eventualantrag hebt daraus jene Gesetzesstellen als Anfechtungsgegenstand besonders heraus, die den Gegenstand des Prüfungsbeschlusses des , bilden. Diesbezüglich schließt sich der VwGH zur Begründung von Präjudizialität und Antragsumfang den Erwägungen und Bedenken des VfGH im eben zitierten Prüfungsbeschluß an. Die übrigen Bedenken sind im Antrag des dargelegt."

Die jeweiligen Erstanträge vom ergänzte der VwGH am 26. Feber 1987 mit nachstehender Begründung:

"Sollte der VfGH - der Auffassung der Bundesregierung in ihrer Äußerung zu G181/86 folgend" (siehe die folgende Z 3) "- von der Zuordnung der Aufgaben (auch) des Disziplinarberufungssenates zum eigenen Wirkungsbereich der als Selbstverwaltungskörper eingerichteten Apothekerkammer ausgehen, macht der VwGH das Bedenken geltend, daß der Inhalt der angewendeten Strafnorm wegen der Schwere der angedrohten Strafsanktion die Grenzen zulässiger Selbstverwaltung überschreitet. Denn einer Selbstverwaltungskörperschaft dürfen zur eigenverantwortlichen, weisungsfreien Besorgung nur solche Angelegenheiten überlassen werden, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der zur Selbstverwaltungskörperschaft zusammengefaßten Personen gelegen und geeignet sind, durch diese Gemeinschaft besorgt zu werden (VfSlg. 8215/1977). Gemessen am Standard der von staatlichen Strafbehörden, insbesondere den Gerichten, zu verhängenden Strafen (es handelt sich zum Teil um geringere Strafdrohungen für Rechtsverstöße mit

vergleichsweise höherem Unrechtsgehalt) einerseits und an dem im Jahr 1920 vom Verfassungsgesetzgeber im Zusammenhang mit der Disziplinargerichtsbarkeit vorausgesetzten Begriffsinhalt der Selbstverwaltung anderseits erweist sich die präjudizielle, im Erstantrag genannte Disziplinarstrafbestimmung als verfassungsrechtlich bedenklich."

3. Die Bundesregierung erstattete am 24. Feber 1987 zu den Prüfungsanträgen des VwGH eine Äußerung, in der sie ausführt:

"I.

1. Zum Erstantrag in den Gesetzesprüfungsverfahren G45/87 (Pkt. 2.2.3), G43/87 und G44/87:

1.1. Dieser vom Unterbrechungsbeschluß des , abweichende Prüfungsantrag wird damit begründet, daß für den Fall des Zutreffens der Bedenken dem Gebot einer möglichst geringen Inhaltsveränderung der Gesetzeslage Rechnung getragen werde, da bei einer solchen Aufhebung 'bis zu einer allfälligen Neuregelung der Organisation der Disziplinarberufungskommission und auch ungeachtet einer solchen weiterhin die Disziplinarstrafen des schriftlichen Verweises (§23 Abs 1 lita ApKG), der zeitlichen oder dauernden Entziehung des Rechtes auf Ausbildung von Aspiranten (litc) und der zeitlichen oder dauernden Entziehung des Wahlrechtes oder der Wählbarkeit zur Apothekerkammer (litd) von den bestehenden Disziplinarbehörden vollzogen werden' könnten. Dieser Aufhebungsantrag und seine Begründung unterstützen das von der Bundesregierung in ihrer Äußerung vom , GZ 602.005/1-V/4/87, vorgetragene Argument (S 7 zweiter Absatz). Dahinter steht allerdings die auch in der zitierten Äußerung vertretene Auffassung, daß verfassungsrechtlich bedenkliche Zuständigkeiten sich nur dann auf die Organisationsvorschrift einer Behörde auswirken können, wenn diese Zuständigkeit im Anlaßfall tatsächlich ausgeübt worden ist. Dieses Verständnis der Präjudizialität ermöglicht es dann auch, den geringfügigeren Eingriff in die Rechtslage, in Form des Zugriffs auf die verfassungsrechtlich bedenkliche Zuständigkeit, vorzunehmen, um die Rechtslage zu bereinigen.

1.2. Der VwGH geht davon aus, daß die in § 23 Abs 1 litb, e, f vorgesehenen Disziplinarstrafen schwere Strafen iS des Art 6 MRK darstellen und daher das Verfahren den Anforderungen des Art 6 MRK genügen müsse. Dazu ist zunächst vor allem auf die Ausführungen unter Punkt I.1 der zitierten Äußerung vom zu verweisen. Folgendes ist zu ergänzen:

Der VwGH geht in bezug auf § 23 Abs 1 litb ApKG davon aus, daß die dort vorgesehenen 'schweren Vermögensstrafen' (bis S 410.640,-) nach dem Standard der europäischen Rechtsordnungen nicht von Disziplinarbehörden in Disziplinarverfahren, sondern nur von Gerichten im Sinne des Art 6 MRK verhängt werden dürften. Dem ist zunächst zu entgegnen, daß der VwGH für das Argument, daß sich aus dem Standard der europäischen Rechtsordnungen eine solche Schlußfolgerung ergäbe, keinerlei Nachweise geliefert hat. In der Judikatur des EGMR ist jedenfalls bisher bezüglich der Frage, ob eine Disziplinarstrafe so schwer ist, daß das Verfahren unter Art 6 MRK fällt, nie ein 'Standard der europäischen Rechtsordnungen' definiert worden.

Weiters ist festzuhalten, daß es wohl richtig ist, dem eingangs zitierten Unterbrechungsbeschluß des VfGH zu unterstellen, er gehe davon aus, daß auch nicht freiheitsentziehende Disziplinarmaßnahmen schwere Strafen im Sinne des Art 6 MRK sein könnten. Aber gerade dieser Ausgangspunkt des VfGH ist bereits in der zitierten Äußerung der Bundesregierung bestritten worden. Nach Auffassung der Bundesregierung ergibt sich nämlich aus den Urteilen des EGMR (ENGEL und CAMPELL und FELL) eindeutig, daß nur solche Disziplinarstrafen unter den Begriff 'strafrechtliche Anklage' fallen, die Freiheitsentziehungen darstellen oder einem Freiheitsentzug nahekommen (vgl. die nähere Begründung dazu unter auf Punkt I.1 der zitierten Äußerung).

Dazu ist noch folgendes festzuhalten:

Aus dem ENGEL-Urteil ergibt sich auch, daß grundsätzlich davon ausgegangen wird, daß die Vertragsstaaten zwischen disziplinarischer Verfolgung und strafrechtlicher Verfolgung unterscheiden können. Der Gerichtshof geht weiters davon aus, daß es ein 'typisches Disziplinarrecht' gibt (Abschnitt 82 des ENGEL-Urteils). Die Maßnahme des Berufsverbotes oder der Einschränkung der Berufsausübung muß nun gerade als eine solche typische disziplinarrechtliche Maßnahme angesehen werden. Dies nicht nur, weil der Verstoß, der die Bestrafung auslöst, eine Norm trifft, die sich nur an ganz bestimmte Personen und nicht an die Allgemeinheit richtet (vgl. dazu auch das Urteil im Fall ÖZTÜRK, Abschnitt 53, 4. Absatz 'Es handelt sich um eine Rechtsregel, die sich nicht an eine vorbestimmte Gruppe mit besonderem Status richtet - etwa in der Art des Disziplinarrechts - sondern an alle Bürger in ihrer Eigenschaft als Verkehrsteilnehmer; ...'), sondern auch, weil die Sanktion des befristeten Berufsausübungsverbotes oder der Einschränkung der Berufsausübung eine typisch disziplinarrechtliche Sanktion darstellt (vgl. ENGEL-Urteil Abschnitt 82: 'In einer auf die Vorherrschaft des Rechts gegründeten Gesellschaft zählen zum `Strafrechtlichen` die Freiheitsentziehungen, die als Bestrafungen verhängt werden können.'). Die Bundesregierung vertritt daher die Auffassung, daß die Sanktionen des befristeten Berufsausübungsverbotes und der Einschränkung der Berufsausübung (§23 Abs 1 lite und f ApKG) im Sinne der Judikatur des EGMR nicht als schwere Strafen iS Art 6 MRK zu qualifizieren sind.

Die Bundesregierung teilt die Auffassung des VwGH, daß die in § 23 Abs 1 lite und f ApKG normierten Sanktionen jedenfalls in 'civil rights' angestellter Apotheker eingreifen. Daher sieht sich die Bundesregierung aber auch nicht veranlaßt, auf den vom VwGH aufgeworfenen Unterschied in dieser Frage zu selbständigen Apothekern einzugehen.

2. Zu den Bedenken, daß der Disziplinarberufungssenat gemäß § 21 Abs 3 und 4 ApKG kein Tribunal iS des Art 6 MRK und daß die nachprüfende Kontrolle beider Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes nicht mehr ausreichend iS des Art 6 MRK sei, wird auf Pkt. I.3 und 4 der zitierten Äußerung der Bundesregierung verwiesen.

3. Zum Zweitantrag in den Gesetzesprüfungsverfahren G45/87 (Pkt. 2.2.1), G43/87 und G44/87:

Der Begründung dieses Antrags ist folgendes entgegenzuhalten:

Nach Auffassung der Bundesregierung ist es nicht richtig, daß es zur Bereinigung der Rechtslage geboten wäre, § 23 Abs 3 ApKG nur teilweise aufzuheben. Die Auffassung, daß im Falle der gänzlichen Aufhebung u.U. eine andere Behörde entscheiden könnte, ist verfehlt, da jede Behörde immer nur die ihr gesetzlich eingeräumten Befugnisse ausüben darf. Nach Aufhebung des § 21 Abs 3 und 4 ApKG bestünde jedoch keine Behörde, der die Zuständigkeit zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide des Disziplinarsenates der Apothekerkammer eingeräumt wäre, sodaß die gänzliche Aufhebung dieser Bestimmungen zur Folge hätte, daß überhaupt keine Behörde als Berufungsinstanz zuständig wäre. Abgesehen vom Widerspruch zu seiner eigenen Argumentation, die mit der Begründung einer 'untrennbaren Einheit' der §§18 bis 24 ApKG die Eventualanträge in allen seinen ggst. Gesetzesprüfungsanträgen tragen soll, übersieht der VwGH, daß Art 140 Abs 5 B-VG dem VfGH eine gerade im Fall der Aufhebung von Organisationsnormen geboten erscheinende Fristsetzung ermöglicht.

4. Zum Drittantrag in den Gesetzesprüfungsverfahren G45/87 (Pkt. 2.2.2), G43/87 und G44/87 sowie zum Zweitantrag im Gesetzesprüfungsverfahren G46/87:

Nach Auffassung der Bundesregierung liegt die vom VwGH in keiner Weise näher ausgeführte 'untrennbare Einheit' der §§18 bis 24 ApKG tatsächlich nicht vor. Gründe für die Annahme eines untrennbaren Zusammenhangs können nämlich nach der Judikatur des VfGH sein,


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-
daß bestimmte nicht präjudizielle Normteile nach Aufhebung der präjudiziellen Teile funktionslos zurückbleiben (VfSlg. 7098, 7182/1973, 7325, 7393/1974),


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-
daß das Zurückbleibende sprachlich mit dem Aufgehobenen in derart engem Zusammenhang steht, daß es ohne das Aufgehobene nicht bestehenbleiben kann, weil es zu Fehlschlüssen Anlaß geben würde (Erkenntnis vom , G8-11/86) oder


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-
daß der Sinngehalt des Zurückbleibenden einen zu stark veränderten Inhalt hätte (Erkenntnis vom , G139/85 ua.).

Aus der Judikatur des VfGH zum untrennbaren Zusammenhang ergibt sich, daß er eine derart weite Auslegung dieses Zusammenhanges im Sinne des VwGH nicht vertritt, sondern den 'Umfang der zu prüfenden und im Falle ihrer Rechtswidrigkeit aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen' hat, 'daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlaßfall ist, daß aber andererseits der verbleibende Text keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt. Es liegt auf der Hand, daß beide Ziele gleichzeitig niemals erreicht werden können. Der VfGH hat daher in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt' (VfSlg. 6674/1972, 7376/1974). Gerade der Erstantrag und der erste Eventualantrag allein zeigen aber schon, daß zur Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtslage Aufhebungen in weit geringerem Ausmaß möglich sind (VfSlg. 7376/1974, 9937, 9995/1984). Nach Auffassung der Bundesregierung ist daher dieser Antrag jedenfalls wegen Nichtvorliegens eines untrennbaren Zusammenhangs zurückzuweisen.

5. Zum Gesetzesprüfungsverfahren G46/87:

Im ggst. Anlaßfallverfahren zu diesem Gesetzesprüfungsantrag ist eine Verwarnung gemäß § 23 Abs 1 lita ApKG ausgesprochen worden. Der VwGH begründet nun seinen Antrag damit, daß es wegen der Untrennbarkeit der angefochtenen Gesetzesstellen nicht darauf ankomme, welche Sanktion im Anlaßfall verhängt worden sei, sondern nur darauf, welche das Gesetz kenne. Weiters meint er: 'Die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Gesetzesstellen hängt nicht davon ab, daß sich der Umstand, der die angefochtenen Normen verfassungswidrig erscheinen läßt, im vorliegenden Anlaßfall verwirklicht hat.'

Dagegen ist aus der Sicht der Bundesregierung - wie schon auf S 6 f. der zitierten Äußerung vom einzuwenden, daß die die verfassungsrechtlichen Bedenken begründenden Zuständigkeiten gemäß § 23 Abs 1 ApKG in dem diesem Gesetzesprüfungsverfahren zugrundeliegenden Anlaßverfahren tatsächlich nicht präjudiziell sind. Nach Auffassung der Bundesregierung geht nämlich auch der VwGH zu weit, wenn er offenkundig die Auffassung vertritt, daß aus Anlaß der Ausübung einer behördlichen Zuständigkeit sämtliche Zuständigkeiten dieser Behörde auf ihre verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit überprüft werden könnten.

Hinsichtlich des im Gesetzesprüfungsantrag A166/86-1 gestellten Erstantrages verweist die Bundesregierung neuerlich auf Pkt. I.3 und 4 ihrer Äußerung vom .

II.

Die Bundesregierung stellt somit den

Antrag,

1. der VfGH wolle die in den Gesetzesprüfungsverfahren G43/87, G44/87, G45/87 und G46/87 gestellten Eventualanträge des VwGH auf Prüfung der §§18 bis 24 des Apothekerkammergesetzes, BGBl. Nr. 152/1947, in der Fassung des BG BGBl. Nr. 173/1957, wegen Nichtvorliegens eines untrennbaren Zusammenhanges zurückweisen;

2. der VfGH wolle in den Gesetzesprüfungsverfahren G43/87 und G44/87 aussprechen, daß § 23 Abs 1 litb, und im Gesetzesprüfungsverfahren G45/87 aussprechen, daß § 23 Abs 1 litb, e und f des Apothekerkammergesetzes, BGBl. Nr. 152/1947 in der Fassung des BG BGBl. Nr. 173/1957, nicht als verfassungswidrig aufzuheben sind;

3. der VfGH wolle in den Gesetzesprüfungsverfahren G43/87, G44/87, G45/87 und G46/87 aussprechen, daß § 21 Abs 3 zweiter Satz und Abs 4 des Apothekerkammergesetzes, BGBl. Nr. 152/1947, in der Fassung des BG BGBl. Nr. 173/1957, nicht als verfassungswidrig aufzuheben sind;

III.

Für den Fall der Aufhebung, in welchem Umfang auch immer, stellt die Bundesregierung den

Antrag,

der VfGH wolle gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen."

III. Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes

A. Zur Zulässigkeit der Gesetzesprüfungsverfahren

1.a) aa) Die in den Einleitungsbeschlüssen des und vom geäußerte vorläufige Annahme, daß die zu B695/84, B35/87 und B202/87 anhängigen Beschwerdeverfahren (die Anlaß für die von amtswegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren G181/86, G121/87 und G 122/87 sind) zulässig seien, hat sich als zutreffend erwiesen.

Der VfGH wird daher über die Beschwerden in der Sache zu entscheiden haben. Hiebei wird er auch die Frage beurteilen müssen, ob die Bf. etwa im verfassungsgesetzlich

gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurden; der Gerichtshof wird hiebei auch zu klären haben, ob die bel. Beh. (der Disziplinarberufungssenat) zur Entscheidung zuständig war und ob diese Kollegialbehörde in der gesetzmäßigen Zusammensetzung entschieden hat. Dabei hätte der VfGH § 21 Abs 3 und 4 ApKG anzuwenden.

bb) Die Bundesregierung wendet ein, daß es genügen würde, zur Herstellung eines Rechtszustandes, gegen den die in den Einleitungsbeschlüssen aufgezeigten Bedenken - im Falle ihres Zutreffens - nicht mehr bestehen, die in Betracht kommenden Strafnormen aufzuheben. Damit ist die Bundesregierung nicht im Recht:

Das Ziel eines vom VfGH von amtswegen oder auf Antrag eines anderen Gerichtes eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens ist es, für das Anlaßverfahren eine verfassungsmäßig einwandfreie Rechtsgrundlage herzustellen. Bei Lösung der Frage, welche Bestimmungen im jeweiligen Fall zu prüfen und aufzuheben sind, hat der VfGH in von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren den Prüfungsumfang derart abzugrenzen, daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlaßfall ist, daß aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg. 7376/1974, 7726/1975, 9374/1982).

Hier hat der VfGH das Bedenken, daß einige der im ApKG vorgesehenen Strafen nur von einem Tribunal verhängt werden dürfen. Es wäre nun tatsächlich - wie die Bundesregierung meint möglich, eine verfassungsrechtlich einwandfreie Rechtsgrundlage entweder dadurch herzustellen, daß die betreffenden Strafbestimmungen oder aber daß die die Strafbehörde konstituierenden Organisationsnormen geprüft und - bei Zutreffen der Bedenken - aufgehoben werden.

Der VfGH hat sich für die zweite Lösung entschieden:

Bei den geltend gemachten Bedenken sind es die Organisationsnormen, auf die in erster Linie geblickt wird (vgl. hiezu etwa VfSlg. 7099/1973, 8523/1979). Sie sind im Verhältnis zu den Strafbestimmungen bloß dienender Natur; die Rechtsordnung würde weniger einschneidend verändert, wenn aus ihr nicht Straf-, sondern Organisationsvorschriften eliminiert würden; eine Ersatzregelung hätte nämlich lediglich die Strafbehörden als Tribunale einzurichten und bräuchte keine neuen Strafnormen einzuführen.

cc) Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken gehen dahin, daß Regelungen über die Zusammensetzung des Disziplinarsenates und über den Bestellungsmodus seiner Mitglieder den Art 5 und 6 MRK widersprechen. Der VfGH hat § 21 Abs 3 und 4 ApKG in Prüfung gezogen. Es würde jedoch hinreichen, den zweiten Satz des Abs 3 und den Abs 4 im § 21 aufzuheben, um - falls die geäußerten Bedenken zutreffen sollten - die Rechtslage so zu bereinigen, daß gegen sie diese Bedenken nicht mehr bestehen. Diese Vorschriften sind präjudiziell in der Bedeutung des Art 140 Abs 1 B-VG.

Daraus folgt, daß - da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen - die von amtswegen zu G181/86, G121/87 und G122/87 eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren zulässig sind, soweit sie sich auf § 21 Abs 3 zweiter Satz und § 21 Abs 4 ApKG beziehen, daß sie jedoch einzustellen sind, soweit sie § 21 Abs 3 erster Satz ApKG zum Gegenstand haben.

b) Die Bundesregierung wendet in Pkt. I.2. ihrer zu G181/86 erstatteten Äußerung (s.o. II.A.3.) ein: Da im Anlaßfall zivile Rechte iS des Art 6 MRK nicht berührt worden seien, sei es nicht zulässig, daß der VfGH "unter dem Aspekt der unmittelbaren Betroffenheit von zivilrechtlichen Ansprüchen und Verpflichtungen § 21 Abs 3 und 4 ApKG im Lichte des Art 6 MRK" prüfe. Die Bundesregierung nimmt dabei Bezug auf Rechtsprechung des EGMR.

Die Äußerungen der Bundesregierung sind nicht dazu geeignet, die Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens im dargestellten Umfang zu widerlegen. Anders als im Verfahren vor dem EGMR, das nur den konkreten Beschwerdefall zum Gegenstand hat, kommt es im Gesetzesprüfungsverfahren vor dem VfGH zunächst darauf an, ob eine bestimmte Gesetzesstelle im Anlaßfall anzuwenden ist, ob sie präjudiziell ist (daß dem so ist, wurde in der vorstehenden lita nachgewiesen); ist sie aber präjudiziell, so kann sie vom VfGH in jeder Hinsicht auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden, und zwar völlig unabhängig vom Anlaßfall. Hiebei ist auf den Zusammenhang der in Prüfung gezogenen Vorschrift mit der gesamten übrigen Rechtsordnung Bedacht zu nehmen.

2.a) Was die vier zu G 43 bis 46/87 protokollierten Gesetzesprüfungsanträge des VwGH anlangt, besteht kein Zweifel daran, daß die Anlaßbeschwerden zulässig sind. Die beim VwGH anhängigen Fälle gleichen dem Anlaßfall des VfGH. Der VwGH hegt die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken wie der VfGH. Aus diesen Gründen stellt sich die Präjudizialitätsfrage für ihn gleich wie für den VfGH (siehe den vorstehenden Pkt. 1) dar, dies mit der Maßgabe, daß der VwGH die Frage der Zuständigkeit des Disziplinarsenates zu klären hat.

Der unter Zl. A163/86 (hg. Zl. G43/87) gestellte Gesetzesprüfungsantrag ist nicht etwa deshalb unzulässig, weil der VfGH die Behandlung der dem VwGH abgetretenen (Anlaß-)Beschwerde nach Art 144 Abs 2 B-VG abgelehnt hatte; eine Bindung irgendwelcher Art ist damit nämlich nicht entstanden (vgl. U. Davy, Die Ablehnungstatbestände des Art 144 Abs 2 B-VG, ZfV 1985, 245).

Die vom VwGH gestellten Gesetzesprüfungsanträge sind daher zulässig, soweit mit ihnen die Aufhebung des § 21 Abs 3 zweiter Satz und des § 21 Abs 4 ApKG begehrt wird.

b) Im übrigen sind sie jedoch als unzulässig zurückzuweisen. Sollten die (auch) vom VwGH geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken zutreffen, so wäre es nämlich, um das Ziel, die Anlaßbeschwerden aufgrund einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsordnung zu entscheiden, zu erreichen, nicht erforderlich, andere oder weitere als die oben erwähnten Gesetzesbestimmungen aufzuheben.

B. Zu den Bedenken selbst

1.a) Die Bundesregierung meint, daß es sich bei den im § 23 Abs 1 vorgesehenen Disziplinarstrafen um keine "strafrechtliche Anklage" iS des Art 6 Abs 1 MRK handle. Sie verweist auf die Judikatur des EGMR, aus der sich ergebe, daß disziplinarrechtliche Sanktionen nur dann unter den Begriff "strafrechtliche Anklage" fallen, wenn es sich um Freiheitsentziehungen handelt oder solchen Sanktionen nahekommt.

b) Mit dieser Ansicht ist die Bundesregierung im Ergebnis nicht im Recht:

Der Einleitungsbeschluß geht davon aus, daß der österreichische Vorbehalt zu Art 5 MRK Disziplinarverfahren nicht zu erfassen scheint. Diese vorläufige Annahme hat sich als zutreffend herausgestellt; auch die Bundesregierung bringt dagegen nichts vor. Sanktionen für die Verletzung von Standespflichten wurden niemals als Strafen iS des VStG 1950 angesehen (siehe ArtII Abs 6 litc EGVG 1950).

Der VfGH hat in Übereinstimmung mit der älteren Rechtsprechung des EGMR (vgl. die Nachweise bei Kopetzki, JBl. 1981, 468 FN 3) die Meinung vertreten, daß die Ahndung von Verstößen gegen die Standes- oder Berufspflichten (Disziplinarrecht) nicht unter Art 6 MRK fällt (vgl. zB VfSlg. 4710/1964, 5033/1965, 5657/1968, 6239/1970, 7366/1974, 7907/1976).

Die dieser Judikatur zugrundeliegende Auffassung trifft jedoch in dieser Allgemeinheit nicht zu. Mit dem EGMR (Fall Engel, EuGRZ 1976, 221, 232; Fall Öztürk, EuGRZ 1985, 62, 67; Fall Campbell und Fell, EuGrZ 1985, 538) ist der VfGH der Meinung, daß der Begriff des Strafrechts im Sinne des Art 6 MRK (Art6 Abs 1 MRK: "strafrechtliche Anklage"; Art 6 Abs 2 MRK:

"strafbare Handlung") "autonom" anhand der Konvention entsprechend deren "Sinn und Zweck" zu verstehen ist. Danach kommt es zwar zunächst darauf an, ob der Text, der die fragliche Zuwiderhandlung umschreibt, nach dem jeweiligen staatlichen Rechtssystem dem Strafrecht angehört. Ist das nicht der Fall, so ist "die Art des Vergehens ebenso wie Art und Schwere der angedrohten Sanktion zu beurteilen, und zwar unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Art 6, des Sinnes, der dieser Bestimmung gewöhnlich zukommt, sowie des Rechts der Vertragsstaaten" (EGMR, Fall Öztürk, aaO, 67). Dabei ist "die Natur der Zuwiderhandlung, gesehen auch im Zusammenhang mit der Natur der entsprechenden Sanktion" nach Meinung des EGMR "ein Beurteilungsfaktor von erheblich größerem Gewicht" als die Zuordnung zum Strafrecht durch das innerstaatliche Recht. Die Garantien (insbesondere die Organisationsgarantien) des Art 6 MRK kommen ferner immer dann zum Tragen, wenn Strafen von bestimmter Schwere vorgesehen sind (vgl. die neue Judikatur des EGMR, etwa im Fall Engel, EuGRZ 1976, 221 ff.), also auch dann, wenn sie im Disziplinarbereich verhängt werden (vgl. die neue Judikatur des EGMR, Fall Engel, EuGRZ 1976, 221 ff.; Fall Campbell und Fell, EuGRZ 1985, 535ff.).

Um Entscheidungen über "strafrechtliche Anklagen" in der Bedeutung des Art 6 Abs 1 MRK handelt es sich jedenfalls dann, wenn längere Freiheitsstrafen zu verhängen sind, und zwar auch dann, wenn es sich dabei um disziplinäre Maßnahmen handelt (vgl. die neuere Judikatur des EGMR: Fall Engel, EuGRZ 1976, 221 ff., Fall Campbell und Fell, EuGRZ 1985, 535 ff.; Fälle De Wilde, Ooms und Versyp (belgische Landstreicherfälle), Urteil vom ).

Gleiches gilt aber für Strafen anderer Art, die diesen Freiheitsstrafen in der Schwere des Übels annähernd gleichkommen, wenn nach der Natur der entsprechenden Sanktion kein Zweifel besteht, daß jener "Charakter einer Bestrafung beibehalten" wird, "durch den sich strafrechtliche Sanktionen gewöhnlich auszeichnen". (Dieses und die nachfolgenden Zitate aus EGMR, Fall Öztürk, aaO, 67). Diesen besonderen Strafrechtscharakter im Sinne der MRK besitzen Sanktionen nur, wenn sie "sowohl ahnden als auch abschrecken". Nach dem "allgemeinen Charakter" der Strafnorm muß "der sowohl präventive als auch repressive Zweck der Sanktion" und wohl auch der strafrechtlichen Sanktionen notwendig innewohnende Tadel deutlich werden. Um derartige, eindeutig als Strafe im Sinne des Art 6 MRK und nicht als sonstige administrative Maßnahmen zu qualifizierende, besonders gravierende Sanktionen handelt es sich bei einigen der im § 23 Abs 1 ApKG vorgesehenen Strafen, so zumindest bei jenen nach lite (die zeitliche oder dauernde Entziehung des Rechtes zur Leitung einer Apotheke) und nach litf (das Verbot der Ausübung des Apothekerberufes bis zur Dauer von drei Jahren); all diese Strafen können praktisch zur Gefährdung oder Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Bestraften führen. Sie zeichnen sich insgesamt nicht nur durch besondere Schwere der Bestrafung, sondern auch durch ein vom Gesetzgeber dem sanktionierten Verhalten gegenüber ausgesprochenes Unwerturteil aus, das dem Wesen einer Strafe im Sinne des Art 6 MRK eigen ist.

In den Gesetzesprüfungsverfahren kommt es nicht darauf an, welche Sanktionen in den den Verfassungsgerichtshofbeschwerden zugrundeliegenden Disziplinarverfahren verhängt wurden, sondern darauf, welche Rechtsfolgen das Gesetz kennt (vgl. EGMR, Fall Öztürk, EuGRZ 1985, 67).

Das aber bedeutet, daß einige der im § 23 Abs 1 ApKG aufgezählten Strafen von Art 6 MRK erfaßt werden und daher nur von Behörden verhängt werden dürften, die den Organisationsgarantien dieser Konventionsbestimmung genügen. Das wäre nur dann der Fall, wenn entweder der Disziplinarberufungssenat ein Tribunal wäre oder wenn im Wege der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes diesen Anforderungen entsprochen würde.

2.a) Die Bundesregierung vertritt den Standpunkt, daß der Disziplinarberufungssenat ein Tribunal in der Bedeutung des Art 6 MRK sei. Die Disziplinarangelegenheiten seien von der Apothekerkammer - einem beruflichen Selbstverwaltungskörper - im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen; dem zuständigen Bundesminister komme also bloß ein Aufsichts-, nicht aber ein Weisungsrecht zu. Die Mitglieder des Senates seien nicht jederzeit abberufbar.

b) Die Mitglieder des Disziplinarberufungssenates sind dem § 21 Abs 3 ApKG zufolge Personen, die in ihrer sonstigen Tätigkeit Beamte oder Apotheker sind. Der Senat ist, da er nicht als Gericht iS des B-VG eingerichtet ist, als Verwaltungsbehörde zu qualifizieren.

Das ApKG enthält darüber, ob die Senatsmitglieder weisungsfrei oder weisungsgebunden sind, keine explizite Aussage. Verwaltungsbehörden sind nun aber gemäß Art 20 Abs 1 B-VG, sofern nicht verfassungsgesetzlich anderes bestimmt wird, auch dann weisungsgebunden, wenn sie als Kollegialbehörden organisiert sind.

Der Disziplinarberufungssenat ist beim zuständigen Bundesministerium eingerichtet; seine Mitglieder werden zum Teil nicht von den Kammerorganen, sondern vom Bundesminister bestellt. Das schließt aus, den Disziplinarberufungssenat als Einrichtung der Selbstverwaltung anzusehen. Es braucht daher nicht erörtert zu werden, ob dieser Senat ein unabhängiges Tribunal iS des Art 6 MRK wäre, wenn er als oberstes Organ eines Selbstverwaltungskörpers zu qualifizieren sein sollte.

Es gibt keine spezielle Verfassungsbestimmung, die den Disziplinarberufungssenat weisungsfrei stellt. Er ist auch nicht als sogenannte Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag (Art. 20 Abs 2, Art 133 Z 4 B-VG) konstruiert, gehört ihm doch kein Richter an.

Der VfGH hat zwar seinerzeit (VfSlg. 2311/1952, 3096/1956, 3136/1956) ausgesprochen, daß die damals in der Dienstpragmatik, RGBl. 15/1914, einfachgesetzlich vorgesehene Weisungsfreistellung der Mitglieder der für Bundesbeamte eingerichteten Disziplinarbehörden verfassungsrechtlich unbedenklich sei, obgleich auch diesen Behörden kein Richter angehörte. Diese aus der historischen Entwicklung abgeleitete Meinung bezog sich ausschließlich auf Disziplinarangelegenheiten der "Angestellten" des Bundes, der Länder, der Bezirke und der Gemeinden. Sie wurde mit dem Hinweis auf den damals noch geltenden Art 133 Z 2 B-VG begründet, wonach derartige Angelegenheiten von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen waren; diese Sonderregelung habe - wie es in den zitierten Erkenntnissen heißt - der Verfassungsgesetzgeber offenbar deshalb getroffen, weil er in den Disziplinarkommissionen (für Beamte) infolge der Eigenart ihrer Zusammensetzung Institutionen erblickte, die eine hinlängliche Gewähr für eine unabhängige Rechtsprechung boten. Auch auf dem Boden der damals (1952/1956) geltenden Rechtsordnung war es also ausgeschlossen, diese Judikatur auf andere Disziplinarbehörden (etwa jene für Apotheker) zu übertragen. Im übrigen wurde durch die B-VG-Nov. 1974, BGBl. 444, der diese Rechtsprechung begründende Art 133 Z 2 B-VG aufgehoben; § 62 Abs 2 BDG 1977 und § 102 Abs 2 BDG 1979, wonach die Mitglieder der Disziplinarkommissionen und Disziplinaroberkommissionen in Ausübung ihres Amtes selbständig und unabhängig sind, wurden als Verfassungsbestimmungen erlassen.

Das ApKG legt nach seinem Wortlaut nahe, daß die Mitglieder des Disziplinarberufungssenates weisungsgebunden sind. Eine andere Interpretation verbietet sich, da das Gesetz - würde es die Mitglieder des Disziplinarberufungssenates weisungsfrei stellen - dem Art 20 Abs 1 B-VG widerspräche; es ist danach unzulässig, durch einfaches Gesetz weisungsfreie Verwaltungsbehörden einzurichten (vgl. zB VfSlg. 2323/1952, 3054/1956, 3096/1956, 3134/1956, 4117/1961, 4455/1963, 5985/1969).

Dem Disziplinarberufungssenat fehlt sohin bereits wegen der Weisungsgebundenheit - und der damit fehlenden Unabhängigkeit in der Bedeutung des Art 6 MRK - seiner Mitglieder die Eigenschaft eines Tribunals. Auf die Frage der Abberufbarkeit der Mitglieder war daher nicht einzugehen; die mangelnde oder eingeschränkte Abberufbarkeit dient nämlich nur dazu, die - hier ohnehin nicht gegebene - Unabhängigkeit der Mitglieder zu sichern.

3.a) Die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen wären im Hinblick auf Art 6 MRK sohin verfassungsrechtlich nur unbedenklich, wenn die - hier vorgesehene - nachprüfende Kontrolle durch den VfGH und den VwGH (auch) im strafrechtlichen Bereich genügt, um dieser Konventionsnorm zu entsprechen. Es ist also der Frage nachzugehen, ob dies zutrifft oder nicht.

Die Bundesregierung bejaht sie unter Hinweis auf die Judikatur des VfGH und auf Literatur.

b) Auch hierin kann ihr der VfGH nicht folgen:

Er hat zwar tatsächlich in den Erkenntnissen VfSlg. 5100/1965 und 5102/1965 - näher begründet - dargetan, daß im Hinblick auf die Bindung der Verwaltungsbehörden an die Entscheidungen der beiden Höchstgerichte und auf deren umfassende Prüfungsbefugnis - trotz des bloß nachprüfenden Charakters der Kontrolle und ungeachtet ihrer auf kassatorische Entscheidungen beschränkten Befugnis - dem Art 6 MRK Genüge getan werde. Dieser Meinung ist der VwGH gefolgt (siehe VwSlg. 8619 A/1974, 9723 A/1978).

Den zitierten Erkenntnissen lagen aber zivilrechtliche Ansprüche und keine strafrechtlichen Anklagen zugrunde; sie sind also nicht ohne weiteres auf die hier zu klärende Frage zu übertragen. Es ist vielmehr zu untersuchen, ob für Strafsachen Besonderes gilt. Sollte dies der Fall sein, so ist eine weitere Auseinandersetzung mit dieser Vorjudikatur entbehrlich.

Der VfGH ließ in dem ein Finanzstrafverfahren (das gleichfalls nicht vom Vorbehalt abgedeckt wird) betreffenden Erkenntnis vom , B 285785 (S 8) (=VfSlg. 10638/1985), die Frage offen, ob und unter welchen Voraussetzungen den Anforderungen des Art 6 MRK Genüge getan wird, wenn die Strafe zwar von einer nicht die Eigenschaft eines Tribunals besitzenden Verwaltungsbehörde verhängt wird, deren Entscheidung aber der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts unterliegt.

Auch das hg. Erkenntnis vom , G24/83 u. a. Zlen. (= VfSlg. 10291/1984), betrifft Strafsachen, nämlich Hausdurchsuchungen, die im Zusammenhang mit Finanzstrafverfahren erfolgten. In dieser Entscheidung (s. insbes. S 63) meinte der VfGH, es verstoße jedenfalls gegen Art 6 MRK, wenn in Verfahren wegen Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen, die im Zuge eines (Finanz-)Strafverfahrens erfolgen, ausschließlich (Finanz-)Behörden tätig werden, denen die Qualität eines Tribunals iS der zitierten Konventionsbestimmung fehlt. Der VfGH ging sohin damals von der Prämisse aus, die nachprüfende Kontrolle durch die beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts reiche in Strafverfahren nicht hin, um den Garantien des Art 6 MRK zu genügen.

Diese Annahme trifft zu:

Art 6 Abs 1 iVm Art 5 Abs 1 lita MRK verlangt, daß über die Stichhältigkeit strafrechtlicher Anklagen ein Tribunal selbst entscheidet. Ein Tribunal, das den Organisationsgarantien des Art 6 MRK entspricht, hat also ein den Verfahrensgarantien desselben Artikels entsprechendes Verfahren durchzuführen und auf Grund der Ergebnisse dieses Verfahrens selbst zur Strafe zu verurteilen. Das gilt - wie dargetan - auch für Disziplinarstrafen, sofern diese auf Grund der Schwere der gesetzlich vorgesehenen Sanktionen und des ihnen innewohnenden strafrechtlichen Charakters von Art 6 Abs 1 MRK erfaßt sind. Das bedeutet, daß das Urteil (Disziplinarerkenntnis) fällende Organ selbst ein Tribunal sein muß und daß die bloß nachprüfende Kontrolle durch ein Tribunal (etwa den Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof) dem Art 6 Abs 1 MRK nicht genügt.

Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Vom erwähnten Inhalt der Konvention geht jedenfalls für Freiheitsstrafen Art 5 Abs 1 lita MRK aus. Nach dieser Bestimmung darf einem Menschen die Freiheit nur dann entzogen werden, "wenn er rechtmäßig nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht in Haft gehalten wird". Aus dieser Formulierung ergibt sich zweifelsfrei, daß eine Verurteilung durch ein Tribunal im Sinne dieser Konventionsbestimmung Voraussetzung für die Haft ist. Aber auch der österreichische Vorbehalt zu Art 5 MRK kann sinnvoll nicht anders verstanden werden. Danach werden dessen Bestimmungen mit der Maßgabe angewendet, daß die in den Verwaltungsverfahrensgesetzen, BGBl. Nr. 172/1950, vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges unter der in der österreichischen Bundesverfassung vorgesehenen nachprüfenden Kontrolle durch den VwGH oder den VfGH unberührt bleiben. Diese Norm muß so gedeutet werden, daß die (bloß) nachprüfende Kontrolle durch die beiden Höchstgerichte in Strafsachen nicht hinreicht, um dem Art 5 MRK zu entsprechen und daß deshalb durch einen entsprechenden Vorbehalt gesichert werden sollte, daß diese Kontrolle in Österreich in dem vom Vorbehalt erfaßten Bereich unberührt bleibt. Eine andere Auslegung ließe den Vorbehalt überflüssig erscheinen.

Der VfGH hat in ständiger Judikatur (VfSlg. 6275/1970, 7210/1973, 7814/1976; 9409/1982, 10237/1984) in Übereinstimmung mit der EKMR (E , 8998/80, EuGRZ 1984, 74) angenommen, daß der zu Art 5 MRK hinsichtlich der Verwaltungsverfahrensgesetze erklärte Vorbehalt bezüglich der unter diese Gesetze fallenden Verfahren auch die Anwendung des Art 6 MRK ausschließt. Diese interpretative Ausdehnung des Vorbehalts ist nur unter der Annahme sinnvoll, daß "über die

Stichhaltigkeit der ... erhobenen strafrechtlichen Anklage" ein

Tribunal in der Sache zu entscheiden hat, soweit es sich eben nicht um "die in den Verwaltungsverfahrensgesetzen, BGBl. Nr. 172/1950, vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges" handelt. Der VfGH (VfSlg. 8234/1978) hat ferner mit Hilfe eines Größenschlusses die Anwendbarkeit des Vorbehaltes auf Geldstrafen ausgedehnt, da diese gemeinsam mit einer Ersatzarreststrafe verhängt werden und es widersinnig wäre, für Geldstrafen höhere Verfahrensgarantien zu gewähren als für Freiheitsstrafen. Wenn es sich als notwendig erwies, den Vorbehalt zu Art 5 MRK wegen des Zusammenhangs dieser Bestimmung mit Art 6 MRK auf dessen Verfahrensgarantien auszudehnen, so muß umgekehrt angenommen werden, daß für den vom Vorbehalt nicht erfaßten Teil strafrechtlicher Sanktionen im Sinne der MRK die (bloß) nachprüfende Kontrolle durch den VwGH oder VfGH nicht ausreicht. Soweit mithin eine vom geschilderten Vorbehalt nicht gedeckte "strafrechtliche Anklage" im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK vorliegt (wie dies auch im bereits zitierten Erkenntnis des VfGH VfSlg. 10291/1984 hinsichtlich finanzstrafverfahrensrechtlicher Verfolgungshandlungen der Fall war), ist von der verfassungsrechtlichen Garantie eines "über die

Stichhaltigkeit der ... strafrechtlichen Anklage" entscheidenden

Tribunals auszugehen.

Wie unter B 1.b) bereits dargestellt, wird das für Apotheker derzeit geltende Disziplinarrecht vom Vorbehalt nicht erfaßt. Somit ist auf diesem Rechtsgebiet Art 6 MRK zu beachten, soweit es sich um Strafsachen im Sinne dieser Konventionsbestimmung handelt. In diesem Bereich vermag die nachprüfende Kontrolle von Disziplinarentscheidungen durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts den mangelnden Tribunalcharakter der Disziplinarbehörde selbst nicht zu ersetzen.

Bei diesem Ergebnis braucht auf die Frage, ob die im § 23 Abs 1 ApKG vorgesehenen Maßnahmen auch zivile Rechte iS des Art 6 MRK berühren, nicht eingegangen und in weiterer Folge auch nicht erörtert zuwerden, ob im Bereich der "civil rights" die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe tatsächlich - wie in der oben zitierten Vorjudikatur angenommen - genügt.

4. Aus all dem folgt, daß dem ApKG zufolge eine nicht den Garantien des Art 6 MRK entsprechende Behörde, nämlich der Disziplinarberufungssenat, in vom österreichischen Vorbehalt zu Art 5 MRK nicht erfaßten Strafsachen zu entscheiden hat, daß die nachprüfende Kontrolle durch den VfGH und den VwGH hier nicht ausreicht, um diesen Mangel zu ersetzen und daß daher die die Organisation dieser Behörde regelnden, präjudiziellen Vorschriften dem auf Verfassungsstufe stehenden Art 6 MRK widersprechen.

Diese bundesgesetzlichen Vorschriften waren sohin als verfassungswidrig aufzuheben.

5. Die übrigen damit zusammenhängenden Aussprüche stützen sich auf Art 140 Abs 5 und 6 B-VG.