VfGH vom 17.10.1998, G120/98

VfGH vom 17.10.1998, G120/98

Sammlungsnummer

15321

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses der Anwendung von Bestimmungen über den Rechtsschutz für Vergaben im sogenannten Sektorenbereich nach dem Oö VergabeG infolge Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz und dem Rechtsstaatsgebot

Spruch

§ 44 Abs 4 des Landesgesetzes vom über die Vergabe öffentlicher Aufträge (O.ö. Vergabegesetz), LGBl. für Oberösterreich Nr. 59/1994, war verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B3203/96 ein Verfahren über eine Beschwerde anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrundeliegt: Die Oberösterreichische Kraftwerke AG (künftig: OKA) hatte näher bestimmte Leistungen für ein Traunkraftwerk an einen bestimmten Bieter vergeben. Das Anbot von in einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) anbietenden Gesellschaften wurde dabei ausgeschieden. Der von diesen und von der ARGE gestellte Nachprüfungsantrag gemäß § 61 Abs 4 Oö VergabeG wurde von der Oberösterreichischen Landesregierung abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde vom UVS des Landes Oberösterreich als unzulässig zurückgewiesen. Der UVS begründete seine Unzuständigkeit damit, daß nach § 44 Abs 1 und 4 Oö VergG im sog. Sektorenbereich eine nachprüfende Kontrolle nach den Bestimmungen des den Rechtsschutz betreffenden 4. Teiles des Oö VergG nicht vorgesehen sei.

2. a) Bei Behandlung dieser Beschwerde entstanden beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 44 Abs 4 Oö VergG. Der Gerichtshof beschloß daher, diese Bestimmung auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

b) Die Oberösterreichische Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G2/97, die Auffassung vertritt, daß die belangte Behörde die in Prüfung genommene Norm "mit großer Wahrscheinlichkeit" denkmöglich angewendet hat und diese Bestimmung somit im verfassungsgerichtlichen Verfahren präjudiziell sei. In der Sache beantragt die Oberösterreichische Landesregierung, "der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, daß die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht gesetzwidrig war".

c) Die beteiligte OKA gab eine Äußerung ab, in der sie die Präjudizialität der in Prüfung genommenen Bestimmung bestritt und in der Sache den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entgegentrat.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Im Land Oberösterreich unterliegt die Vergabe von Aufträgen durch bestimmte öffentliche Auftraggeber, zu denen gemäß § 2 Abs 1 Z 6 Oö VergG auch die OKA zählt, einer gesetzlichen Regelung. Das III. Hauptstück des 3. Teiles des Gesetzes enthält inhaltliche Vorschriften über die Auftragsvergabe im sog. Sektorenbereich, und zwar im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung (sowie seit der Novelle LGBl. 34/1997 auch im Telekommunikationssektor); § 44 Abs 1 leg.cit., der sich in diesem Hauptstück findet, bestimmte idF vor der zitierten Novelle (die aber in der Sache an dieser Regelung nichts geändert hat):

"(1) Dieses Hauptstück gilt für die Vergabe von Leistungen durch Auftraggeber, die die nachstehend angeführten Tätigkeiten besorgen:


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1.
Die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Erzeugung oder der Verteilung von
-
Trinkwasser oder
-
Strom oder
-
Gas oder
-
Wärme
oder die Versorgung dieser Netze mit Trinkwasser, Strom, Gas oder Wärme;


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..."


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Sodann hieß es in § 44 Abs 4 Oö VergG (idF vor der Novelle):

"(4) Die übrigen Bestimmungen dieses Landesgesetzes sind auf alle Auftraggeber gemäß § 2 Abs 1, soweit sie eine Tätigkeit nach Abs 1 ausüben - unbeschadet des 1. und des 5. Teiles -, nicht anzuwenden."

Damit wurde u.a. die Anwendung des 4. Teiles des Gesetzes, der Bestimmungen über den Rechtsschutz enthält, für Vergaben im sog. Sektorenbereich ausgeschlossen (dies wurde durch Z 84 der mehrfach zitierten Novelle LGBl. 34/1997 geändert).

2. a) Die Anlaßbeschwerde ist zulässig. Das Verfahren hat nichts ergeben, was den vorläufigen Annahmen des Einleitungsbeschlusses widersprechen würde. Ob und in welchem Umfang es zur teilweisen Zurückweisung der Beschwerde mangels Rechtspersönlichkeit der ersteinschreitenden Arbeitsgemeinschaft kommt, ist hier nicht zu prüfen, weil dieser Umstand auf die Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens angesichts der Zulässigkeit der Beschwerde der zweit- und dritteinschreitenden Gesellschaften nach Lage der Sache keinen Einfluß hätte (VfSlg. 9336/1982).

b) Der bekämpfte Bescheid stützt sich explizit und der Sache nach auf die in Prüfung genommene Bestimmung des Oö VergG. Die Behörde hat diese Bestimmung, auch vor dem Hintergrund des europäischen Gemeinschaftsrechts, denkmöglich angewendet (). Denn es ist Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, welches Gericht (im Sinne des Art 177 EGV) für die Entscheidung von Vergaberechtsstreitigkeiten zuständig ist (vgl. , Dorsch Consult; ). Auch die Rechtsprechung des EuGH zu Art 1 Abs 1 der sog. Sektoren-RL 92/13/EWG, ABl. L 76/1992, 14, bestätigt dies:

Aus der letztgenannten Bestimmung ergibt sich nämlich nicht, daß mangels Umsetzung der RL die zur Vergabe öffentlicher Bau- und Lieferaufträge zuständigen Instanzen der Mitgliedstaaten auch zur Nachprüfung von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge im Sektorenbereich zuständig sind (, EvoBus Austria GesmbH).

c) Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das Verfahren zulässig.

3. a) Im Einleitungsbeschluß ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß die Vergabe von Aufträgen durch bestimmte öffentliche Auftraggeber, zu denen gemäß § 2 Abs 1 Z 6 Oö VergG auch die OKA zählt, einer gesetzlichen Regelung unterliegt. Weiters nahm der Verfassungsgerichtshof an, daß das III. Hauptstück des 3. Teiles des Gesetzes inhaltliche Vorschriften über die Auftragsvergabe im sog. Sektorenbereich enthält, die Anwendung des 4. Teiles des Gesetzes, der Bestimmungen über den Rechtsschutz enthält, für Vergaben aus diesem Bereich jedoch ausgeschlossen ist. Dies schien dem Verfassungsgerichtshof sowohl mit dem Gleichheitssatz als auch mit dem Rechtsstaatsgebot unvereinbar zu sein; zur Begründung dieser Ansicht verwies der Gerichtshof auf sein Erkenntnis vom , G450/97, mit dem er eine ähnliche Regelung im Tiroler Vergabegesetz aufgehoben hatte, und führte aus:

"Während somit keine Bedenken dagegen bestehen, daß durch die in Prüfung genommene Bestimmung die Feststellung der Rechtmäßigkeit des Zuschlags nicht an das TVA übertragen wurde, sondern bei den Gerichten verbleibt, hat sich die Differenzierung hinsichtlich des Nachprüfungsverfahrens vor Zuschlagserteilung als sachlich nicht rechtfertigbar erwiesen. Für diesen Bereich sollen die vergabespezifischen Rechtsvorschriften des TirVergG sichern, daß den Bewerbern und Bietern ein den besonderen Anforderungen des Vergabewesens entsprechender, umfassender, rascher und effektiver Rechtsschutz gewährt wird, der die in der Lehre konstatierten Defizite bloß gerichtsförmiger Kontrolle des Vergabeverfahrens (vgl. insb. Aicher, Die Vergabekontrollkommission in ihrer Bedeutung für die österreichische Rechtsentwicklung und für die Angleichung an das Recht der EG, in: Korinek-Aicher, Vergabekontrollkommission, 1991, 19 ff., insb. 30 f.) ausgleichen soll. Von diesem vergabespezifischen Rechtsschutz sind durch die in Prüfung stehende Regelung Vergabeverfahren im Bereich der sogenannten geschützten Sektoren ausgenommen; eine sachliche Rechtfertigung hiefür hat weder die Tiroler Landesregierung genannt, noch ist sie im Verfahren sonst hervorgekommen."

b) In ihrer Stellungnahme warf die Oberösterreichische Landesregierung anhand einiger Beispiele Fragen des Verhältnisses der Bindung des Gesetzgebers an gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zur Bindung an den Gleichheitsgrundsatz auf und meinte:

"In den genannten Beispielen und allen vergleichbaren Fällen stellt sich für den zur Umsetzung der Richtlinien verpflichteten Gesetz-(Verordnungs-)geber im Fall des Ausspruches, daß § 44 Abs 4 O.ö. Vergabegesetz in seiner Stammfassung verfassungswidrig war, die Frage, ob bei der Umsetzung von Richtlinien in das innerstaatliche Recht regelmäßig geprüft werden muß, ob gleichheitsrechtliche Erwägungen eine Übertragung der Regelungen der Richtlinie auf vergleichbare, von der Richtlinie aber nicht erfaßte Sachverhalte erfordern.

Damit im Zusammenhang wird auch auch über kurz oder lang die Frage relevant werden, welche Instanz in welchem Umfang und an welchem Maßstab künftig die Prüfung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften in bezug auf den Gleichheitssatz vornehmen wird, zumal sich auch in der Judikatur des EuGH deutliche Hinweise finden lassen, daß er sich zur Überprüfung von gemeinschaftlichen Rechtsakten auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgebot als zuständig erachtet (z.B. , Rs 250/83, Sammlung 1985, S. 131)."

c) Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich als zutreffend erwiesen. Es ist sachlich nicht zu rechtfertigen und mit dem Rechtsstaatsgebot unvereinbar, den Bewerbern und Bietern in einem Teilbereich der gesetzlichen Regelungen unterliegenden Vergabeverfahren einen ansonsten als notwendig erachteten effektiven Rechtsschutz zu versagen. Zur Begründung genügt es auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom , G450/97, zu verweisen. Auch zu den von der Landesregierung aufgeworfenen Fragen hat der Verfassungsgerichtshof schon in seiner oben genannten Entscheidung Stellung genommen und mit näheren Hinweisen ausgeführt, es sei

"in Lehre und Rechtsprechung unbestritten, daß der Gesetzgeber bei der Ausführung von Gemeinschaftsrecht jedenfalls insoweit an bundesverfassungsgesetzliche Vorgaben gebunden bleibt, als eine Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben durch diese nicht inhibiert wird. Der Gesetzgeber unterliegt in diesen Fällen also einer doppelten Bindung, nämlich einer Bindung an das Gemeinschaftsrecht und einer Bindung an den verfassungsgesetzlich gezogenen Rahmen ... Es ist auch unbestritten, daß - insoweit Bindung an die Verfassung gegeben ist - die Frage der Entsprechung gesetzlicher Regelungen mit der Verfassung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt, und zwar auch dann, wenn es sich um Ausführungsregelungen zum Gemeinschaftsrecht handelt ..."

Der Verfassungsgerichtshof hält an dieser, auch von der jüngeren Lehre geteilten Ansicht (vgl. Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 1998, 107 f.) fest.

d) Die Bedenken haben sich somit als zutreffend erwiesen. Im Hinblick darauf, daß die Regelung inzwischen außer Kraft getreten ist, war gemäß Art 140 Abs 4 B-VG auszusprechen, daß die als verfassungswidrig erkannte Bestimmung verfassungswidrig war.

4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt erfließt aus Art 140 Abs 5 erster und zweiter Satz B-VG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.