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VfGH vom 30.09.1996, g115/96

VfGH vom 30.09.1996, g115/96

Sammlungsnummer

14611

Leitsatz

Aufhebung der die beschränkte Ausübung des Reisebürogewerbes nur hinsichtlich bestimmter Teiltätigkeiten gestattenden Regelung der GewO 1994 wegen Verstoß gegen die Erwerbsausübungsfreiheit; keine Ermächtigung des Gesetzgebers zur Vorwegnahme der Markteinschätzung oder der Ertragseinschätzung einer bestimmten Tätigkeit durch den Unternehmer

Spruch

§ 166 Abs 2 der Gewerbeordnung 1994, Anlage 1 zur Kundmachung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Gewerbeordnung 1973 wiederverlautbart wird, BGBl. Nr. 194/1994, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin zu B76/95 auf Nachsicht vom Befähigungsnachweis für das "Reisebürogewerbe, eingeschränkt auf die Vermittlung und Besorgung von Unterkunft in Heilkurorten und Rehabilitationszentren" die Stattgabe mit der Begründung "verweigert", daß die vorgesehene Einschränkung der beabsichtigten Gewerbetätigkeit nach § 166 Abs 2 GewO 1994 (Anlage 1 zur Kundmachung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Gewerbeordnung 1973 wiederverlautbart wird, BGBl. 194/1994) rechtlich nicht möglich sei und daß die Antragstellerin eine hinreichende tatsächliche Befähigung zur Ausübung des Gewerbes nicht besitze.

Der dagegen erhobenen Berufung gab der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Bescheid vom keine Folge, änderte jedoch den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, daß das Ansuchen "um Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis für das Reisebürogewerbe, eingeschränkt auf die Vermittlung und Besorgung von Unterkunft in Heilkurorten und Rehabilitationszentren, im Grunde der §§28 Abs 1 und 166 Abs 2 GewO 1994 als unzulässig zurückgewiesen wird". Begründend wird ausgeführt, daß "der nachsichtsgegenständliche Gewerbewortlaut" unzulässig sei, weshalb der Antrag zurückzuweisen sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Erwerbsausübung und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie eine Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird. Die Vorschrift des § 166 Abs 2 GewO 1994 sei verfassungswidrig: Sie schränke zum einen die Erwerbsfreiheit unverhältnismäßig ein, weil sie die auf eine Teiltätigkeit beschränkte Ausübung des Reisebürogewerbes ohne Notwendigkeit und sachliche Rechtfertigung nur in ganz bestimmten Fällen zulasse, zum anderen sei sie auch gleichheitswidrig, weil sie die Ausübung des Reisebürogewerbes hinsichtlich verschiedener Teiltätigkeiten ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedlich behandle.

II. Aus Anlaß dieser Beschwerdesache beschloß der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 B-VG, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 166 Abs 2 GewO 1994 einzuleiten.

1. Diese Bestimmung steht in folgendem Zusammenhang:

Nach der Gewerbeordnung besteht im allgemeinen die Möglichkeit, eine Gewerbeberechtigung auch nur für Teiltätigkeiten eines Gewerbes anzustreben (). Bei Gewerben, die aufgrund einer Gewerbeanmeldung ausgeübt werden dürfen, steht es daher dem Anmelder grundsätzlich frei, die Gewerbeausübung bloß in eingeschränktem Ausmaß anzustreben und anzumelden.

Nach § 166 Abs 1 GewO 1994 ist das Reisebürogewerbe grundsätzlich ein gebundenes Gewerbe (Abs3 normiert hievon einige - hier nicht relevante - Ausnahmen; die dort genannten Teiltätigkeiten können daher als freie Gewerbe betrieben werden). Von der Möglichkeit, die ansonsten bei gebundenen Gewerben besteht, die Gewerbeausübung nur auf bestimmte Teiltätigkeiten zu beschränken, statuiert § 166 Abs 2 leg.cit. insofern eine Ausnahme, als er die Ausübung des gebundenen Reisebürogewerbes nur unbeschränkt oder auf bestimmte, in Abs 2 ausdrücklich genannte Konstellationen beschränkt zuläßt.

Der in Prüfung genommene Abs 2 des § 166 GewO 1994 sowie die beiden weiteren eben genannten Abs 1 und 3 des § 166 leg.cit. haben folgenden Wortlaut:

"§166. (1) Einer Gewerbeberechtigung für das Gewerbe der Reisebüros (§124 Z 17) bedarf es für die Ausgabe, Vermittlung und Besorgung von Fahrausweisen (einschließlich der Anweisungen auf Liege- und Schlafwagenplätze, Platzkarten u. dgl.) in- und ausländischer Verkehrsunternehmen jeder Art, die Vermittlung von durch Verkehrsunternehmen durchzuführenden Personenbeförderungen, die Vermittlung von Pauschalreisen (Gesellschaftsfahrten), die Vermittlung und die Besorgung von für Reisende bestimmter Unterkunft oder Verpflegung sowie die Veranstaltung von Pauschalreisen (Gesellschaftsfahrten), die der Veranstalter direkt oder über einen Vermittler anbietet.

(2) Ist die Gewerbeanmeldung (§339) nicht auf die Ausübung des unbeschränkten Reisebürogewerbes gerichtet, so muß sie eine Einschränkung enthalten, die eine der folgenden Tätigkeiten bezeichnet:

1. die Vermittlung und Besorgung von Unterkunft oder Verpflegung innerhalb der Tourismusregion (Abs5), zu der die Standortgemeinde gehört;

2. die Veranstaltung von Pauschalreisen (Gesellschaftsfahrten) in Kraftfahrzeugen, die der Veranstalter direkt oder über einen Vermittler anbietet;

3. die Vermittlung von Pauschalreisen (Gesellschaftsfahrten).

(3) Kein gebundenes Gewerbe gemäß § 124 Z 17 sind

1. die Ausgabe, Vermittlung oder Besorgung von Fahrausweisen durch Verkehrsunternehmen für gleichartige Unternehmen und, soweit es sich um eine Tätigkeit untergeordneten Umfanges handelt, von Fahrausweisen für Anschlußfahrten für Verkehrsunternehmen anderer Art;

2. die Ausgabe, Vermittlung oder Besorgung von Fahrausweisen der Verkehrsunternehmen für den Straßenbahn-, Stadtbahn-, Schnellbahn- und Kraftfahrlinienverkehr innerhalb des Gemeindegebietes oder von und zu Gemeindegebieten der näheren Umgebung (Vororteverkehr);

3. die Vermittlung von Unterkunft für Reisende in Verbindung mit der Ausgabe von Fahrausweisen durch Fluglinienunternehmen sowie durch Eisenbahnunternehmen, jedoch mit Ausnahme von Pauschalreisen; diese Vermittlungstätigkeit darf jedoch nur auf Wunsch der Reisenden durchgeführt werden und es darf keine Werbung hiefür erfolgen;

4. die Vermittlung von Personenbeförderungsleistungen des Taxi-Gewerbes durch Taxifunk;

5. die Vermittlung von Privatzimmern an Reisende zu vorübergehendem Aufenthalt."

2. Ausgehend von der vorläufigen Annahme, daß die Beschwerde zulässig und die in Prüfung genommene Gesetzesbestimmung präjudiziell sei, legte der Verfassungsgerichtshof seine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 166 Abs 2 GewO 1994 im Einleitungsbeschluß folgendermaßen dar:

"Der Verfassungsgerichtshof hat das Bedenken, daß die in Prüfung genommene Bestimmung gegen die auch den Gesetzgeber bindende verfassungsrechtliche Gewährleistung der Freiheit der Erwerbsbetätigung verstößt:

...

Die in Prüfung genommene Bestimmung scheint den Antritt einer Erwerbstätigkeit im Bereich des Reisebürogewerbes insofern zu beschränken, als sie bewirkt, daß das gebundene Gewerbe der Reisebüros entweder nur unbeschränkt (also hinsichtlich des vollen Umfanges) oder nur hinsichtlich einer in § 166 Abs 2 ausdrücklich genannten Teiltätigkeit angemeldet und ausgeübt werden darf, nicht aber hinsichtlich anders abgegrenzter Teiltätigkeiten.

Der Verfassungsgerichtshof vermag vorläufig nicht zu erkennen, welchen öffentlichen Interessen eine solche Regelung dienen soll. In der (unter Pkt. I.3. genannten) hausinternen Stellungnahme der legistischen Abteilung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten wird zu dieser Frage unter Bezugnahme auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der GewO 1972 (395 BlgNR XIII.GP, 221), in denen die Ansicht vertreten wird, daß die Kunden von einem Reisebüro eine umfassende Erfüllung ihrer Wünsche erwarten, dazu u.a. ausgeführt:

'Der Gesetzgeber ging also in erster Linie von den praktischen Anforderungen aus, die an Reisebüros gestellt werden. ... Ein moderner Dienstleistungsbetrieb, der in der Reisebürobranche tätig ist, sollte daher in der Regel ein umfassendes Service bieten können. Der Gesetzgeber hat ein Interesse daran, daß nur Unternehmer Zutritt zum Markt bekommen, die den durchschnittlichen Erwartungen ihrer Kunden Rechnung tragen können. Ein Reisebüro, dem in vielen Fällen die Hände gebunden werden, weil es nur ein ausgefallenes Teilsegment der Reisebürotätigkeit ausübt, wäre daher für eine funktionierende Tourismuswirtschaft von Nachteil. ...

Der im § 167 GewO 1994 festgelegte Schutz der Bezeichnungen 'Reisebüro' und 'Verkehrsbüro' allein könnte eine Aufsplitterung des Reisebürogewerbes nicht verhindern. Die umfassende Berechtigung wäre zwar nach außen hin deutlich kenntlich gemacht, es wäre jedoch möglich, Gewerbeberechtigungen zu begründen, die für die potentiellen Kunden des Gewerbetreibenden keinen optimalen Nutzen bringen. Eine Regelung, die das verhindert, ist nach Auffassung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten im öffentlichen Interesse gelegen.'

Jedenfalls vorläufig kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden, daß es ein legitimes öffentliches Interesse darstellen soll, daß Dienstleistungsunternehmen in der Regel ein umfassendes Service bieten und Spezialisierungen auf diesem Gebiet hintangehalten werden sollen. Zwar stellt es zweifelsohne ein öffentliches Interesse dar, das zu verfolgen dem Gesetzgeber durch die grundrechtliche Gewährleistung nicht verboten ist, Konsumenten vor Irreführungen zu schützen. Der Gerichtshof vermag aber nicht zu erkennen, daß die in Rede stehende Regelung geeignet sein soll, diesem Interesse zu dienen. Aber selbst wenn man solches annehmen wollte, dürfte die Regelung überschießend sein, da zur Erreichung dieses Ziels die Regelung des § 167 GewO 1994 ausreichen dürfte, die es ausschließen würde, daß Konsumenten durch das Anbieten von Leistungen durch Unternehmungen, die auf bestimmte Teilbereiche des Gewerbes beschränkt sind, in die Irre geführt werden.

Auch kann der Verfassungsgerichtshof im Rahmen der ihm hier obliegenden vorläufigen Beurteilung nicht finden, daß die Gefahr der Übertretung gewerberechtlicher Vorschriften durch Überschreiten des zulässigen Tätigkeitsbereiches die Regelung zu rechtfertigen geeignet ist. Wollte man dies als Rechtfertigung ansehen, käme man anscheinend mit dem System der Gewerbeordnung in Widerspruch, das vom Erfordernis je und je spezifischer Gewerbeberechtigungen und diese tragender Befähigungsnachweise ausgeht und nach wie vor teilweise eng begrenzte Berechtigungen kennt und zuläßt (vgl. § 28 Abs 3 GewO 1994), ja zum Teil sogar zwingend vorschreibt (vgl. etwa § 94 Z 11 und 95, Z 43 und 44 oder Z 47 und 48 GewO 1994). Im Ergebnis würde eine solche Argumentation dazu führen anzunehmen, es sei gerechtfertigt, umfassende Gewerbeberechtigungen (und damit auch umfassende fachliche Befähigungsnachweise) auch von jenen zu verlangen, die einen Teil der Berechtigung gar nicht ausüben wollen; ein Ergebnis, das wohl mit dem Grundgedanken der Erwerbsfreiheit nicht mehr in Einklang gebracht werden könnte."

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung mit dem Begehren, § 166 Abs 2 GewO 1994 nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung stellt sie den Antrag, gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

Im einzelnen hält die Bundesregierung den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes folgendes entgegen:

"2. Die Gewerbeordnung 1994, BGBl. Nr. 194 (GewO 1994) geht grundsätzlich davon aus, die Umfänge der Gewerbe festzulegen und durch Schaffung einer entsprechenden Befähigungsnachweisregelung die Ausübung des betreffenden Gewerbes in vollem Umfang zu ermöglichen. Den unterschiedlichen Gegebenheiten des Wirtschaftslebens wird dadurch Rechnung getragen, daß einerseits eine volle Befähigung nicht dazu zwingt, das Gewerbe auch tatsächlich in seinem vollen Umfang auszuüben, und andererseits, daß das Bestreben auf Erlangung einer Gewerbeberechtigung a priori auf einen Teilbereich des betreffenden Gewerbes gerichtet sein kann, wobei es im allgemeinen dem Gewerbeanmelder überlassen bleibt, welchen Teilbereich er zum Gegenstand seines Gewerbes machen will. Wenn das Gesetz in Einzelfällen von diesem System abweicht, so müssen besondere Gründe hiefür maßgeblich sein.

3. Die Normierung fest abgegrenzter Teilbereiche des Reisebürogewerbes im § 166 Abs 2 GewO 1994, an die der Anmelder bei seiner Anmeldung gebunden ist, ist nach Auffassung der Bundesregierung dadurch im öffentlichen Interesse begründet, als der Schutz jener Personen, die die Leistungen des Gewerbes in Anspruch nehmen, auch dann gewährleistet sein muß, wenn das Reisebürogewerbe nicht in vollem Umfang ausgeübt wird. Dies ist aber nach Ansicht der Bundesregierung nur dann der Fall, wenn eine nach den tatsächlichen Gegebenheiten im Tourismusgeschäft sinnvoll erscheinende und wirtschaftlich gerechtfertigte Schaffung von Teilbereichen erfolgt, die auch einen entsprechenden Ertrag erwarten lassen und einen spezifisch abgestimmten Befähigungsnachweis ermöglichen. Andernfalls kann nicht ausgeschlossen werden, daß aus dem vollen Umfang des Reisebürogewerbes wahllos einzelne Teiltätigkeiten herausgegriffen und angemeldet werden, die sich letztendlich in ihrem Umfang als unzureichend erweisen. Der Kunde bestimmt seine Bedürfnisse, denen von Unternehmerseite nur dann entsprochen werden kann, wenn die Gewerbeberechtigung dies auch gestattet. Es ist daher Aufgabe des Gesetzgebers, solche Teilbereiche zu schaffen, die eine sinnvolle Abstimmung zwischen Nachfrage und Leistungsangebot ermöglichen.

4. Es wird weiters darauf hingewiesen, daß es sich bei der Schaffung von typisierten Reisebüroleistungen um eine vom Gesetzgeber selbst vorgenommene Normierung bestimmter, für das Reisebürogewerbe charakteristischer Kerntätigkeiten handelt, welche die für diese Tätigkeiten erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen voraussetzen. Damit soll auch eine allfällige Aufsplitterung des Reisebürogewerbes in einfache Teiltätigkeiten hintangehalten werden.

In diesem Zusammenhang ist auf folgendes hinzuweisen: Die GewO 1994 ermöglicht wie bisher, Tätigkeiten, die an sich in den Berechtigungsumfang von Handwerken oder gebundenen Gewerben fallen, als freies Gewerbe auszuüben. Neben Sonderregelungen für einzelne Gewerbe im II. Hauptstück, vgl. §§99, 121, 135 Abs 3, 143, 158, 166 Abs 3, durch die einzelne Tätigkeiten aus dem Vorbehaltsbereich der betreffenden Gewerbe ausgenommen werden, enthält § 31 GewO 1994 eine allgemeine Bestimmung: Nach dem ersten Satz sind einfache Tätigkeiten von Handwerken oder gebundenen Gewerben, deren fachgemäße Ausübung den sonst vorgeschriebenen Befähigungsnachweis nicht erfordert, den betreffenden Gewerben nicht vorbehalten. Diese einfachen Tätigkeiten können als freies Gewerbe angemeldet werden. Die Gewerberechtsnovelle 1992 fügte einen zweiten Satz an, wonach als einfache Tätigkeiten jedenfalls nicht die für ein Gewerbe typischen Kerntätigkeiten gelten, welche die für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen voraussetzen. Sie bilden das typische Erscheinungsbild und die essentiellen Tätigkeiten des betreffenden Gewerbes. Damit sollte der 'Wesensgehalt' eines Gewerbes besser geschützt werden, indem der Gefahr einer 'Zerlegung' von Gewerben in einfache Teiltätigkeiten entgegengewirkt wird. Jene Kerntätigkeiten eines Gewerbes, für deren Ausübung entsprechende Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erforderlich sind, sind dem betreffenden Gewerbe vorbehalten und sollen nicht als freies Gewerbe ausgeübt werden (vgl. Thienel, Gewerbeumfang und Gewerbeausübung, in: Korinek (Hrsg.), Gewerberecht, 1995, 90 f.). Im Bericht des Handelsausschusses zur Regierungsvorlage der Gewerberechtsnovelle 1992, 876 BlgNR 18. GP, 4, wird hiezu folgendes ausgeführt:

'...im Zusammenhang mit der Ausweitung der Rechte des Handels ... ist der Gefahr einer Zerlegung von Gewerben in einfache Teiltätigkeiten entgegenzuwirken. Durch den zweiten Satz wird klargestellt, daß 'typische Kerntätigkeiten' eines Gewerbes, die entsprechende 'Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen' erfordern, keine 'einfache Tätigkeit' sein können, die in Zukunft dem Handel als Nebenrecht zusteht. Damit wird der Wesensgehalt eines Gewerbes besser geschützt...'

Bei dieser Neuerung des § 31 durch die Gewerberechtsnovelle 1992 handelt es sich jedoch im Grunde nur um eine klarstellende Festschreibung des bisherigen Verständnisses dieser Bestimmung (vgl. die Erläuternden Bemerkungen zur RV 1973, 395 BlgNR 13. GP, 132; Thienel, Gewerbeumfang und Gewerbeausübung, 102 f.). In diesem Sinne sollten schon damals Tätigkeiten, die nach den charakteristischen Merkmalen des an den Befähigungsnachweis gebundenen Gewerbes einen integrierenden Bestandteil desselben bilden, diesem Gewerbe vorbehalten sein. Eine Zerlegung eines an einen Befähigungsnachweis gebundenen Gewerbes in mehrere freie Gewerbe war daher schon nach bisherigen Verständnis ausgeschlossen (vgl. Kupka, Umfang des Gewerberechts, in: Rill, Gewerberecht, 1978, 328).

5. Was nun im besonderen die Teilberechtigung des § 166 Abs 2 Z 1 GewO 1994 betrifft, so handelt es sich dabei um eine historisch gewachsene und wirtschaftlich notwendig gewordene Maßnahme: Schon bei der Erlassung der Gewerberechtsnovelle 1981 war es im öffentlichen Interesse gelegen, den am 'Incomingtourismus' Interessierten die Möglichkeit einzuräumen, im Rahmen einer vom Landeshauptmann festzulegenden Tourismusregion unter erleichterten Voraussetzungen tätig zu werden, wobei die Grundlage für diese spezielle Reisebürotätigkeit auf eine Empfehlung des Kuratoriums für den österreichischen Fremdenverkehr zurückgeht und im Interesse der österreichischen Fremdenverkehrswirtschaft gelegen ist. In den Erläuternden Bemerkungen zur Gewerberechtsnovelle 1981, 798 BlgNR

13. GP, 15 wird hiezu folgendes ausgeführt:

'Gemäß § 208 Abs 2 sind Konzessionen für das Reisebürogewerbe mit allen in § 208 Abs 1 angeführten Berechtigungen zu erteilen, es sei denn, daß es sich um in § 208 Abs 3 angeführte Teilberechtigungen handelt. Durch die im § 208 Abs 3 Z 1 a vorgesehene neue Teilberechtigung soll der Zugang zu Reisebürokonzession erleichtert werden, die speziell auf das sogenannte Incoming-Geschäft abgestellt sind. Die derzeit gemäß § 208 Abs 3 Z 2 Gewerbeordnung 1973 vorgesehene Teilberechtigung reicht hiezu nämlich oft nicht aus, weil sie die Vermittlung und Besorgung von Unterkunft oder Verpflegung innerhalb der Standortgemeinde für bereits in der Standortgemeinde anwesende Reisende zum Gegenstand hat. Die neu vorgesehene Teilberechtigung hat keine solche Einschränkung. Außerdem soll danach auch ein größerer räumlicher Tätigkeitsbereich als der der Standortgemeinde eingeräumt werden, nämlich der einer Fremdenverkehrsregion. ... Die neu zu schaffende Teilberechtigung, die auf eine Empfehlung des Kuratoriums für den österreichischen Fremdenverkehr zurückgeht, erweist sich deswegen als notwendig, weil die Erteilung einer Vollkonzession sowohl wegen des hiefür erforderlichen Befähigungsnachweises als auch wegen der bei der Ausübung einer Vollkonzession für das Reisebürogewerbe zu beachtenden Ausübungsvorschriften auf Schwierigkeiten stößt, andererseits aber die durch die neue Teilberechtigung möglichen Tätigkeiten im Interesse der Tsterreichischen Fremdenverkehrswirtschaft gelegen sind...'

Anläßlich der Überprüfung des geltenden Rechtsbestandes und im Hinblick auf eine den zwischenzeitlich geänderten Erfordernissen Rechnung zu tragenden Neuformulierung der Reisebürotätigkeiten im Rahmen der Gewerberechtsnovelle 1992, erwies es sich als erforderlich, den Teilbereich 'Incomingtourismus' als eingeschränkte Reisebürotätigkeit weiter in Geltung zu belassen.

6. Im übrigen darf nicht außer Acht gelassen werden, daß das Reisebürogewerbe in hohem Ausmaß konsumentenschutzrechtlichen Ansprüchen gerecht zu werden hat, die sich je nach Berechtigungsart differenziert darstellen. Es müssen daher bestimmte Typen von Reisebüroleistungen, wie etwa Veranstaltung von Pauschalreisen, Vermittlung von Pauschalreisen, uneingeschränktes bzw. eingeschränktes Incominggeschäft geschaffen werden, um einen auf diese Reisebüroleistungen spezifisch abgestimmten Komplex konsumentenschutzrechtlicher Schutzbestimmungen, diesen an die Seite stellen zu können."

Abschließend verweist die Bundesregierung noch auf die Richtlinie des Rates vom über Pauschalreisen (90/314/EWG), ABl. L 158 vom , S. 59, und meint, daß die Rahmenbedingungen wie Ausübungsvorschriften für das Reisebürogewerbe bzw. Befähigungsnachweisregelungen für das Reisebürogewerbe der konsumentenschutzrechtlichen Zielsetzung dieser Richtlinie Rechnung trügen.

III. Der Verfassungsgerichtshof

hat erwogen:

1. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig.

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde oder der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung zweifeln ließe. Auch sonst sind die Prozeßvoraussetzungen gegeben.

2. Die Bedenken des Gerichtshofes treffen auch zu.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist der Gesetzgeber durch Art 6 StGG ermächtigt, die Ausübung der Berufe dergestalt zu regeln, daß sie unter gewissen Voraussetzungen erlaubt oder unter gewissen Voraussetzungen verboten sind. Er darf dabei auch den Erwerbsantritt behindernde Vorschriften erlassen. Solche Beschränkungen sind aber nach der ständigen Rechtsprechung nur zulässig, wenn sie durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, dieser adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen sind (vgl. zB VfSlg. 11276/1987, 12098/1989, 12677/1991 ua.).

Die in Prüfung genommene Bestimmung bewirkt, daß das Reisebürogewerbe nur entweder unbeschränkt (also hinsichtlich des vollen Umfangs) oder hinsichtlich einer in § 166 Abs 2 GewO 1994 ausdrücklich genannten Teiltätigkeit angemeldet werden darf. Sie beschränkt damit die Möglichkeit des Antritts einer Erwerbstätigkeit und greift damit in den Schutzbereich des Grundrechts der Erwerbsfreiheit ein.

b) Der Verfassungsgerichtshof führte im Prüfungsbeschluß aus, er könne vorerst nicht erkennen, welches öffentliche Interesse eine Regelung rechtfertigen könne, der zufolge das Reisebürogewerbe - sofern es nicht unbeschränkt angemeldet wird - nur hinsichtlich bestimmter, vom Gesetz gestatteter Teiltätigkeiten, nicht aber hinsichtlich anderer Teiltätigkeiten angestrebt und angemeldet werden darf. Die Bundesregierung meint dazu, diese Regelung liege deshalb im öffentlichen Interesse, weil "der Schutz jener Personen, die die Leistungen des Gewerbes in Anspruch nehmen, auch dann gewährleistet sein muß, wenn das Reisebürogewerbe nicht in vollem Umfang ausgeübt wird".

Dieses Ziel des Konsumentenschutzes liegt unzweifelhaft im öffentlichen Interesse. Wieso es aber durch eine Regelung erreicht werden kann, die die Beschränkung des Gewerbes nur auf bestimmte Teiltätigkeiten zuläßt, nicht aber auf andere, bleibt unerfindlich. Auch die Bundesregierung vermag die Tauglichkeit dieser Einschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit zur Erreichung des genannten Ziels nicht zu begründen. Sie verweist darauf, daß dem Ziel des Konsumentenschutzes nur entsprochen werden könne, "wenn eine nach den tatsächlichen Gegebenheiten im Tourismusgeschäft sinnvoll erscheinende und wirtschaftlich gerechtfertigte Schaffung von Teilbereichen erfolgt, die auch einen entsprechenden Ertrag erwarten lassen". Andernfalls könnten Teiltätigkeiten herausgegriffen werden, die sich "als unzureichend erweisen". Es sei daher "Aufgabe des Gesetzgebers, solche Teilbereiche zu schaffen, die eine sinnvolle Abstimmung zwischen Nachfrage und Leistungsangebot ermöglichen".

Damit verkennt die Bundesregierung aber die Aufgabe des Gesetzgebers: Es ist in dem durch die Erwerbsfreiheit mitkonstituierten System einer Wettbewerbswirtschaft (vgl. VfSlg. 11483/1987) gerade nicht Sache des Gesetzgebers festzulegen, welche Unternehmenstätigkeiten zur Befriedigung der Nachfrage sinnvoll sind und welche Teiltätigkeiten eines Unternehmens wirtschaftlich einen entsprechenden Ertrag erwarten lassen. Dispositionen darüber zu treffen, ist Sache des durch die Erwerbsfreiheit hinsichtlich des Erwerbsantritts und der Erwerbsausübung geschützten Grundrechtsträgers. Der Gesetzgeber ist durch den Gesetzesvorbehalt des Grundrechts der Erwerbsfreiheit ermächtigt, Regelungen zum Schutz des Gemeinwohls oder von Interessenspositionen anderer zu erlassen, die die Erwerbsfreiheit beschränken; nicht aber ermächtigt ihn der Gesetzesvorbehalt, die Markteinschätzung oder die Ertragseinschätzung einer bestimmten Tätigkeit durch den Unternehmer vorwegzunehmen (vgl. auch VfSlg. 12379/1990).

c) Auch die weiteren im Gesetzesprüfungsverfahren vorgebrachten Argumente vermögen die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht zu zerstreuen: Weder geht es darum, Tätigkeiten, die das typische Erscheinungsbild eines gebundenen Gewerbes ausmachen, als freie Gewerbe auszuüben (dies zu Pkt. 4. der oben wiedergegebenen Äußerung der Bundesregierung), noch hat der Gerichtshof Bedenken ob der Zulässigkeit der Einschränkung der Gewerbeberechtigung des Reisebürogewerbes auf einen Teilbereich, der dem "Incoming-Tourismus" dient (zu Pkt. 5. der Äußerung). Seine Bedenken gingen vielmehr dahin, daß die geltende Regelung die Einschränkung auf andere Teilbereiche als die in § 166 Abs 2 GewO 1994 ausdrücklich genannten nicht zuläßt.

Nicht zielführend ist auch der Hinweis der Bundesregierung, die Festlegung bestimmter zulässiger Teilbereiche sei gerechtfertigt, um "spezifisch abgestimmte Befähigungsnachweise" zu ermöglichen. Abgesehen davon, daß es der Konzeption der Erwerbsausübungsfreiheit widerspräche, die Zulässigkeit bestimmter Erwerbstätigkeiten davon abhängig zu machen, ob hiefür bestimmte Befähigungsnachweise angeordnet sind (vielmehr haben sich diese an den angestrebten Erwerbstätigkeiten zu orientieren), übersieht diese Argumentation, daß - wie auch die Bundesregierung zugesteht - der Gesetzgeber es im allgemeinen dem Gewerbetreibenden überläßt, ob er sein Gewerbe umfassend oder nur für von ihm bestimmte Teilbereiche anmeldet, ohne daß dies mit dem Befähigungsnachweissystem in Konflikt käme. Daß insoweit im Bereich der Reisebüros Besonderheiten bestünden, die gerade hier eine spezifische Regelung erfordern, hat die Bundesregierung aber nicht dargetan.

Schließlich vermag der Verfassungsgerichtshof auch nicht zu erkennen, wieso - wie die Bundesregierung (freilich ohne dies näher zu begründen) meint - die Richtlinie des Rates (der Europäischen Gemeinschaften) vom über Pauschalreisen die in Rede stehende Beschränkung rechtfertigen können soll. Die dort vorgesehenen Konsumentenschutzbestimmungen treffen die Veranstalter von Pauschalreisen völlig unabhängig davon, wie ihr Berechtigungsumfang im übrigen gestaltet ist.

d) Da die Bedenken des Gerichtshofes somit nicht zerstreut werden konnten, war die in Prüfung genommene Bestimmung als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Für die Bestimmung einer Frist sah der Verfassungsgerichtshof keinen Anlaß, da nach Aufhebung des § 166 Abs 2 GewO 1994 nunmehr für Reisebürogewerbe wie für andere Gewerbe die Möglichkeit besteht, eine Gewerbeberechtigung auch nur für Teiltätigkeiten eines Gewerbes anzustreben, wobei die Abgrenzung der angestrebten Tätigkeit sowohl in der Weise möglich ist, wie sie bisher in § 166 Abs 2 vorgesehen ist, als auch in anderer Weise. Die Notwendigkeit einer Ersatzregelung ist daher nicht erkennbar. Daß spezifische Anpassungen anderer Rechtsvorschriften erforderlich sein könnten, hat weder die Bundesregierung dargetan, noch ist solches sonst im Verfahren hervorgekommen.

4. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne vorhergehende mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.