VfGH vom 05.12.2008, g113/08

VfGH vom 05.12.2008, g113/08

Sammlungsnummer

18642

Leitsatz

Kein Verstoß von Wortfolgen in einer Bestimmung betreffend die Vergabe von Lieferaufträgen im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung im Bundesvergabegesetz 2006 gegen das Determinierungsgebot; Auslegbarkeit der in der Vergabe-Richtlinie und im Bundesvergabegesetz verwendeten, gleichlautenden Begriffe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes; kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz durch behaupteten Einfluss von Auftraggebern auf die Frage der Vergabebekanntmachung sowie durch zu kurze Antragsfristen; Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts; Unzulässigkeit der Aufhebung von das Gemeinschaftsrecht fast wörtlich umsetzenden Bestimmungen mangels gesetzlichen Spielraumes zur Schaffung einer Ersatzregelung

Spruch

Der Antrag, § 29 Abs 2 Z 2 Bundesvergabegesetz 2006, BGBl. I Nr. 17, zur Gänze aufzuheben, wird zurückgewiesen.

Der Antrag, die Wortfolgen "technischen oder" sowie "oder auf Grund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten" in § 29 Abs 2 Z 2 leg.cit. als verfassungswidrig aufzuheben, wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Bundesvergabeamt (im Folgenden: BVA) sind Verfahren

anhängig, denen folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:

Die Bundesbeschaffung GmbH (im Folgenden: BBG) als öffentlicher Auftraggeber führt im eigenen Namen, aber im Interesse anderer öffentlicher Auftraggeber ein Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung zur Beschaffung von so genannten "Stents" (kleine, gitterförmige Gefäßstützen, die der Aufdehnung von verengten Herzkranzgefäßen dienen) samt Zubehör durch. Die BBG plant dabei den Abschluss von Rahmenvereinbarungen mit mehreren Unternehmern. Sie stützt ihre Vorgangsweise, mit etlichen Stent-Vertriebsfirmen jeweils eine eigene Rahmenvereinbarung in einem Verhandlungsverfahren mit nur einem Unternehmer zur Lieferung der jeweils vertriebenen Stents mit Zubehör abschließen zu wollen, auf § 29 Abs 2 Z 2 BundesvergabeG 2006, BGBl. I 17/2006 (im Folgenden: BVergG 2006). Zur Begründung für diese Verfahrenswahl hatte die BBG Expertisen von drei Ärzten eingeholt.

In den von zahlreichen Bietern angestrengten Nachprüfungsverfahren stellte das BVA den Antrag an den Verfassungsgerichtshof, den § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben. Ferner stellte das BVA folgende Eventualanträge:

"Eventualiter dazu möge der Verfassungsgerichtshof die Wortfolgen 'technischen oder' und weiters 'oder auf Grund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten' in § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 als verfassungswidrig aufheben.

Eventualiter dazu möge der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge 'technischen oder' in § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 als verfassungswidrig aufheben."

Zur weiteren Präzisierung der angefochtenen Norm führt das BVA aus:

"Unter BVergG 2006 ist dabei in diesem Gesetzesprüfungsantrag das Bundesvergabegesetz 2006 zu verstehen, wie es durch BGBl. I 2006/17 geschaffen und insbesondere auch im Bereich des hier teilweise angefochtenen § 29 BVergG 2006 zuletzt durch BGBl. I 2007/86 novelliert wurde."

§ 29 Abs 2 Z 2 des BVergG 2006 (die Novelle BGBl. I 86/2007 betraf diese Bestimmung nicht) lautet im Zusammenhang:

"§29.

...

(2) Lieferaufträge können im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben werden, wenn


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1.
...
2.
der Lieferauftrag aus technischen oder künstlerischen Gründen oder auf Grund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Unternehmer ausgeführt werden kann, oder
3.
..."

Das BVA begründet die Präjudizialität der angefochtenen

Bestimmung wie folgt:

"Es ist idS weiters möglich, dass sich die BBG im weiteren Verfahren nunmehr alternativ auf 'den Schutz von Ausschließlichkeitsrechten' beruft, wenn man bedenkt, dass sich zB die Einwendungspartei a GmbH derzeit bereits auf Alleinvertriebsrechte (- ohne hier die Parallelimportsfrage näher zu diskutieren -) für den österreichischen Markt beruft; bzw weil für Medizinprodukte notorisch auch sonst häufig Ausschließlichkeitsrechte bestehen dürften. IdS releviert die Fünftantragstellerin bereits im Nachprüfungsantrag Markenrechte an den eigenen Stent-Produkten, dies dort allerdings ohne Beanspruchung des § 29 Abs 2 Z 2.

Zusätzlich könnte sich die BBG beim in Frage stehenden Sachverhalt in Anbetracht zB der Expertise und Zeugenaussage des Professor Z künftig auch noch auf die ärztliche Kunst und damit auf die künstlerischen Gründe in § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 stützen, um zu begründen, dass für bestimmte Stent-Produkte jeweils immer nur ein Lieferant in Frage kommt.

Nach Kassation der angefochtenen Norm (-bestandteile) erscheinen die Nachprüfungsverfahren laut Deckblatt im Wesentlichen spruchreif, während die Verfahrensführung vor dem Bundesvergabeamt mit dem § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 im aufrechten Rechtsbestand noch weitaus umfangreicher zu gestalten wäre."

Seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung begründet das BVA zunächst damit, dass sie unbestimmt sei. Die angefochtene Norm lasse

"... nicht hinreichend ex ante erkennen, wann sich ein

öffentlicher Auftraggeber auf 'technische' Gründe, auf 'künstlerische' Gründe bzw auf den Grund 'des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten' und damit zur Gänze oder aber in Teilen auf die angefochtene Norm stützen darf, um damit und durch die derart realisierte Intransparenz des Vergabegeschehens jeglichen vergaberechtlichen Wettbewerb und idR auch jeden Rechtsschutz für Konkurrenten entfallen zu lassen."

Ferner hat das BVA das Bedenken, dass die angefochtene Norm dem Gleichheitssatz widerspreche. Hiezu führt das BVA aus:

"Nach Auffassung des erkennenden Senats des Bundesvergabeamts widerspricht nunmehr der gesamte § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 dem Gleichheitsgrundsatz der Bundesverfassung und dem daraus erfließenden Sachlichkeitsgebot, da keine sachlichen Rechtfertigungen ersichtlich sind, warum ein vergaberechtsunterworfener Auftraggeber wie die BBG allein durch die Stützung auf diese Norm bewirken kann, dass erstens keine Vergabebekanntmachung im Oberschwellenbereich zu erfolgen hat;

und dass zweitens insbesondere auch rücksichtlich des Rechtsschutzsystems vor Zuschlagserteilung und auch rücksichtlich der in Anbetracht der gemäß § 332 Abs 3 BVergG 2006 sehr kurzen Antragsfristen für den Rechtsbehelf des § 331 Abs 1 Z 4 BVergG 2006 es für benachteiligte Unternehmer im Regelfall faktisch unmöglich ist, zu verhindern, dass vom Auftraggeber über § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 rechtswidrig bevorzugte Konkurrenten unter Ausschaltung jedweden Parallelwettbewerbs in den Genuss von Rahmenvereinbarungen bzw Leistungsverträgen kommen.

Die fehlende sachliche Rechtfertigung der Norm des § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 wird insbesondere auch dadurch unterstrichen, dass mit den technischen oder künstlerischen Gründen oder dem Grund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten der Gesetzgeber extrem weit auslegbare Tatbestandselemente normiert hat, bei welchen (scil: Tatbestandselementen) auch ex post im Einzelfall häufig mit jeweils vertretbaren Argumenten darüber diskutiert werden kann, ob der Vergabewettbewerb zu Recht entfallen ist.

Wenn diesbezüglich - zusätzlich zu den sonst sehr hoch gesteckten Rechtsschutzanforderungen - § 331 Abs 1 Z 4 BVergG 2006 auch noch eine offenkundige Rechtswidrigkeit verlangt, um einen bereits abgeschlossenen Vertrag wiederum als vergaberechtswidrig beseitigen zu können, dokumentiert dies verstärkt, dass es nicht sachlich gerechtfertigt und damit gleichheitskonform sein kann,

wenn ein vergaberechtsunterworfener Auftraggeber allein durch sein subjektives Befinden, es würden die Voraussetzungen für die Anwendung des § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 und damit für ein Verhandlungsverfahren mit nur einem einzigen Unternehmer vorliegen, den vergabespezifischen Rechtsschutz vor dem Bundesvergabeamt im Regelfall endgültig ausschalten kann.

MaW: Es erscheint sachlich nicht gerechtfertigt, wenn der vom Grundprinzip her über Antrag zu kontrollierende Auftraggeber bereits durch die bloße Berufung auch [auf] einen Ausnahmetatbestand - unter Berücksichtigung der dadurch geschaffenen Intransparenz - das sonst vorhandene vergabespezifische Rechtsschutzsystem ausschalten kann, bei dem (scil: Rechtsschutzsystem) sonst vom Grundsatz her über entsprechende Anträge von sich rechtswidrig benachteiligt erachtenden Unternehmern kontrolliert wird, ob sich der Auftraggeber vergaberechtskonform verhalten hat.

Rücksichtlich der vorstehenden Ausführungen sei nochmals auf die Sachverhaltsschilderung hingewiesen,

wonach die BBG ausweislich der Vergabeunterlagen bzw Verwaltungsakten trotz des Beschaffungswillens auch für Stents mit Einsatzbereichen über die Koronargefäße hinaus erstens nur Kardiologen befragt hat;

und zweitens diese drei Kardiologen in ihren Einvernahmen vor dem Bundesvergabeamt selbst einzuräumen hatten, dass sie in ihrem kardiologischen Operationsbereich bei weitem nicht alle Produkte sämtlicher Stent-Lieferanten zur Verfügung haben; auch wenn zuvor deren 'Expertisen' die notwendige Verfügbarkeit der Produkte aller ([Prof G und Prof W] zumindest: wesentlichen) Lieferanten postuliert hatten.

Wenn insoweit Herr Professor W, den die BBG als einen von drei Kardiologen zur Stützung ihres Standpunkts zur Unterfertigung einer Expertise veranlasste, am plakativ ausgesagt hat,

'... Wenn z.B. ein DES der Fa. x in bestimmter Größe nicht da ist,

muss man zu einer Alternative greifen. ...", zeigt dies eindrucksvoll,

dass entgegen dem Auftraggeberstandpunkt von einer zumindest partiellen Substituierbarkeit der Stents verschiedener Lieferanten auszugehen und damit Wettbewerb auf dem Stentmarkt möglich ist;

dass der § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 das enorme Risiko einer systematischen, über Einzelfälle hinausgehenden Vergaberechtsumgehung in sich trägt;

und dass diese Norm damit umso weniger als dem Gleichheitsgrundsatz entsprechend beurteilt werden kann.

Dieses Umgehungsrisiko bzw insgesamt die Gleichheitswidrigkeit besteht auch dann, wenn man nur die Berufungsmöglichkeit auf die technischen Gründe, die künstlerischen Gründe oder aber den Grund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten je für sich allein als präjudiziell betrachten würde, zumal bei Berufung auf jeden dieser drei alternativen Gründe die Rechtsschutzmöglichkeit zB (auch) von der Zufälligkeit abhängt, dass sich rechtswidrig benachteiligt erachtende Unternehmer irgendwie von der intransparent durchgeführten Beschaffung erfahren."

2. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, mit der sie beantragte, den Antrag zurückzuweisen oder auszusprechen, dass die angefochtene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird. Für den Fall der Aufhebung beantragte sie, für das Außer-Kraft-Treten eine Frist von 18 Monaten zu bestimmen.

Zur Präjudizialität führt die Bundesregierung aus, dass § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 drei Tatbestände enthalte, von denen jedoch nur die Worte "technische oder" präjudiziell seien. Die künstlerischen Gründe seien nur bei der Beschaffung von Kunstwerken relevant. Der Schutz von Ausschließlichkeitsrechten könne keine Grundlage der Entscheidung des BVA sei. Die BBG habe sich im Ausgangsverfahren in keiner Weise auf das Vorliegen von Ausschließlichkeitsrechten berufen.

Zu den geltend gemachten Bedenken verweist die Bundesregierung auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zur differenzierten Beurteilung des Legalitätsprinzips. Bei den Ausnahmetatbeständen technische Gründe, künstlerische Gründe und Schutz von Ausschließlichkeitsrechten handle es sich um unbestimmte Gesetzesbegriffe, die so weit bestimmbar seien, dass der Rechtsunterworfene sein Verhalten danach richten könne, wie auch die Gesetzesmaterialien zeigten.

Mit der Regelung des § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 werde die entsprechende Bestimmung des § 31 Abs 1 litb der Richtlinie 2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. 2004, L 134, S 114, mehrfach berichtigt und geändert (im Folgenden: Vergabe-RL), umgesetzt. Als Ausnahme sei die Bestimmung nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: EuGH) eng auszulegen. Die Beweislast treffe den Auftraggeber.

Sodann stellt die Bundesregierung die Rechtsprechung des EuGH dar und verweist auf einschlägige Literaturstellen.

Auch die Gleichheitsbedenken des BVA teilt die Bundesregierung nicht. Es komme nicht darauf an, ob ein Auftraggeber das Vorliegen eines Tatbestandes behauptet, sondern darauf, ob der Tatbestand objektiv gegeben sei. Die angefochtene Norm führe auch nicht zu einem Entfall des vergabespezifischen Rechtsschutzes, sondern ziehe lediglich unterschiedliche Rechtsfolgen auch im Bereich der Nachprüfung nach sich. Die unzulässige Wahl der gewählten Verfahrensart könne schließlich zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens gemacht werden. Die unterschiedlichen Rechtsfolgen im Bereich des materiellen Vergaberechts seien durch Unterschiede im Tatsächlichen gerechtfertigt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrags erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 140 B-VG bzw. des Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Gleiches gilt für Anträge des BVA auf Gesetzesprüfung gemäß § 291 Abs 3 BVergG 2006 iVm Art 89 B-VG und Art 140 Abs 1 B-VG.

2. § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 enthält drei Tatbestände, bei deren Vorliegen Lieferaufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben werden können, weil ein Lieferauftrag nur von einem bestimmten Unternehmer ausgeführt werden kann, nämlich aus technischen Gründen, aus künstlerischen Gründen oder auf Grund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten.

Nach dem eigenen Vorbringen des BVA waren für die Auftragsvergabe im Verhandlungsverfahren keine künstlerischen Gründe maßgebend, sondern technische. Der (Haupt-)Antrag, § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 zur Gänze, einschließlich der Wortfolge "oder künstlerischen" aufzuheben, war daher zurückzuweisen.

Wie das BVA jedoch dartut, hätte es bei Fortführung der Verfahren auch das Bestehen von Ausschließlichkeitsrechten zu prüfen. Der Verfassungsgerichtshof vermag daher dem BVA nicht entgegenzutreten, wenn es ausführt, dass es auch die Wortfolge "oder auf Grund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten" anzuwenden habe. Der (Eventual-)Antrag, in § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 die Wortfolgen "technischen oder" sowie "oder auf Grund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten" aufzuheben, ist somit zulässig.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Sache erwogen:

1. Die angefochtene Bestimmung steht in folgendem gemeinschaftsrechtlichen Zusammenhang:

§ 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 entspricht nahezu wortwörtlich Art 31 Z 1 litb der Vergabe-RL. Diese Bestimmung lautet im Zusammenhang:

"Fälle, die das Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung rechtfertigen.

Öffentliche Auftraggeber können in folgenden Fällen Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben:

1. Bei öffentlichen Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen:


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a)
...;
b)
wenn der Auftrag aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgeführt werden kann;
c)
..."

Die Vergabe-RL löste unter anderem die Richtlinie 93/36/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ABl. 1993 L 199, S 1 (so genannte Lieferkoordinierungs-RL), zuletzt geändert durch die RL 97/52/EG, ABl. 1997 L 328, S 1, ab, deren Art 6 Abs 3 litc samt Einleitungssatz lautete:

"(3) Die öffentlichen Auftraggeber können in folgenden Fällen Lieferaufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung vergeben:


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a)
...
b)
...
c)
wenn der Gegenstand der Lieferung wegen seiner technischen oder künstlerischen Besonderheiten oder auf Grund des Schutzes eines Ausschließlichkeitsrechts nur von einem bestimmten Lieferanten hergestellt oder geliefert werden kann;
d)
..."

Bereits die Vorgänger-Richtlinien der Vergabe-RL und der Lieferkoordinierungs-RL enthielten Bestimmungen ähnlichen Inhalts, zu denen der EuGH mehrere Urteile erlassen hat:

Nach Art 11 Abs 3 litb der Richtlinie 92/50/EWG betreffend die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. 1992 L 209, S 1, konnten Dienstleistungsaufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben werden, "wenn die Dienstleistungen aus technischen oder künstlerischen Gründen oder auf Grund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Dienstleistungserbringer ausgeführt werden können".

Hiezu stellte der EuGH in seinem Urteil vom , verb. Rs. C-20/01 und C-28/01, Kommission/Deutschland, Slg. 2003, I-03609, fest, dass Umweltschutz zwar einen technischen Grund im Sinne der genannten Bestimmung darstellen könne, jedoch die wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere das Diskriminierungsverbot, zu beachten seien. "Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 92/50, der Ausnahmen von den Vorschriften zulässt, die die Wirksamkeit der durch den EG-Vertrag im Bereich der öffentlichen Dienstleistungsaufträge eingeräumten Rechte gewährleisten sollen, eng auszulegen ist und dass die Beweislast dafür, dass die außergewöhnlichen Umstände, die die Ausnahme rechtfertigen, tatsächlich vorliegen, demjenigen obliegt, der sich auf sie berufen will" (EuGH, Kommission/Deutschland, Rz 58).

In seinem Urteil vom , Rs. C-57/94, Kommission/Italien, Slg. 1995, I-01249, wiederholte der EuGH, dass die Ausnahmen (hier des Art 9 der Richtlinie 71/305/EWG, ABl. 1971 L 185, S 5) eng auszulegen seien. Nach Art 9 litb der genannten Richtlinie können die öffentlichen Auftraggeber Bauaufträge ohne Einhaltung der Vorschriften über die Veröffentlichung im Amtsblatt vergeben, "wenn die Arbeiten aus technischen oder künstlerischen Gründen oder auf Grund des Schutzes des Ausschließlichkeitsrechts nur von einem bestimmten Unternehmer ausgeführt werden können." Der Auftraggeber müsse nicht nur das Vorliegen technischer Gründe dartun, sondern auch beweisen, dass diese technischen Gründe es unbedingt erforderlich machen, den streitigen Auftrag an ein bestimmtes Unternehmen zu vergeben.

Gleiche Aussagen traf der EuGH in seinem Urteil vom , Rs. C-385/02, Kokott, Slg. 2004, I-08121, im Zusammenhang mit Art 7 Abs 3 litc der Richtlinie 93/37/EWG zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. 1993 L 199, S 54.

Schließlich wiederholte der EuGH in seinem Urteil vom , Rs. C-394/02, Kommission/Griechenland, Slg. 2005, I-04713, den kumulativen Charakter der Voraussetzungen im Zusammenhang mit der Ausnahmebestimmung des Art 20 Abs 2 litc der Richtlinie 93/38/EWG zur Koordinierung der Auftragsvergabe im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. 1993 L 199, S 84, idF der Richtlinie 98/4/EG, ABl. 1998 L 101, S 1 (Sektoren-RL). Nach dieser Bestimmung können Auftraggeber auf ein Verfahren ohne vorherigen Aufruf zurückgreifen, "wenn der Auftrag wegen seiner technischen oder künstlerischen Besonderheiten oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von bestimmten Lieferanten, Unternehmen oder Dienstleistungserbringern durchgeführt werden kann." Der EuGH führt dazu weiters Folgendes aus:

"Zum einen müssen Arbeiten, die Gegenstand des Auftrags sind, eine technische Besonderheit aufweisen, und zum anderen muss es aufgrund dieser technischen Besonderheit unbedingt erforderlich sein, den Auftrag an ein bestimmtes Unternehmen zu vergeben."

2. Der österreichische Gesetzgeber hat sich bei der Beschlussfassung über das BVergG 2006 ausdrücklich darauf berufen, dass er mit § 29 Abs 2 Z 2 leg.cit. Gemeinschaftsrecht umgesetzt habe und die Bestimmung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH zu verstehen sei. Die diesbezüglichen Stellen der Gesetzesmaterialien (RV 117 BlgNR 22. GP, zu den §§28-30) lauten:

"Technische oder künstlerische Gründe im Sinne der §§28 Abs 2 Z 2, 29 Abs 2 Z 2 und 30 Abs 2 Z 2 liegen etwa vor, wenn eine Einrichtung ein Kunstwerk in Auftrag gegeben hat, später jedoch ein zweites Kunstwerk in Auftrag geben will, um gewissermaßen ein 'Paar' zu erhalten. In diesem Fall wäre darzulegen, aus welchen Gründen das zweite Kunstwerk nicht bei einem anderen Künstler in Auftrag gegeben werden kann. Die bloße Behauptung, dass eine Gesamtheit von Arbeiten komplex und schwierig sei, genügt nicht für die Inanspruchnahme dieser Ausnahme (vgl. Rs C-385/02). Es müssen vielmehr zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein: zum einen müssen die Leistungen, die Gegenstand des Auftrages sind, eine technische Besonderheit aufweisen, und zum anderen muss es auf Grund dieser technischen Besonderheit unbedingt erforderlich sein, den Auftrag an ein bestimmtes Unternehmen zu vergeben, d.h. nur dieses Unternehmen ist in der Lage diese Leistungen zu erbringen (vgl. Rs C-57/94, C-385/02, C-394/02).

Unter den Tatbestand 'Schutz eines Ausschließlichkeitsrechtes' (§§28 Abs 2 Z 2, 29 Abs 2 Z 2 und 30 Abs 2 Z 2) sind auch jene Fälle zu subsumieren, in denen ein bestimmter Unternehmer das ausschließliche Verfügungs- oder Nutzungsrecht besitzt. In der Rs C-328/92 hat der EuGH betont, dass es nicht genügt, dass die in Rede stehenden Produkte (Arzneimittel und Arzneispezialitäten) durch Ausschließlichkeitsrechte geschützt sind. Es ist auch erforderlich, dass sie nur von einem bestimmten Unternehmer hergestellt oder geliefert werden können. Diese Voraussetzungen liegen nach dem EuGH nur bei denjenigen Arzneimitteln und Arzneispezialitäten vor, für die es auf dem Markt keinen Wettbewerb gibt. Diese Ausnahmebestimmung kann auch nicht in Anspruch genommen werden, wenn Dritte über Lizenzen zur Nutzung dieses ausschließlichen Rechts verfügen oder in angemessener Weise erlangen können."

Ferner weisen die Materialien (RV 117 BlgNR 22. GP, zu § 19) auch darauf hin, dass für die Auslegung der Bestimmungen des BVergG 2006 auch die in § 19 Abs 1 BVergG 2006 enthaltenen Grundsätze heranzuziehen seien:

"Die allgemeinen Grundsätze finden auf sämtliche Verfahren, die im Anwendungsbereich des BvergG abgewickelt werden, Anwendung. Die Bestimmungen des § 19 Abs 1 enthalten den Zweck des Vergabeverfahrens, damit das Schutzobjekt der Schutznorm 'BVergG': es ist dies der freie, faire und lautere Wettbewerb unter Wahrung der Gleichbehandlung aller Bieter und Bewerber. Alle Handlungen und Unterlassungen von Auftraggebern, Bietern oder Bewerbern im Vergabeverfahren sind an diesem Maßstab zu messen.

...

Abs 1 enthält eine Zusammenfassung allgemeiner Grundsätze für die Vergabe von Aufträgen. Diese Grundsätze sind zur Auslegung der übrigen Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes heranzuziehen."

§ 19 Abs 1 BVergG 2006 lautet:

"Vergabeverfahren sind nach einem in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Verfahren, unter Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten sowie des Diskriminierungsverbotes entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbes und der Gleichbehandlung aller Bewerber und Bieter durchzuführen. Die Vergabe hat an befugte, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmer zu angemessenen Preisen zu erfolgen."

3. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg. 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg. 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

4. Das BVA führt zunächst aus, dass die in § 29 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 verwendeten Begriffe unbestimmt seien. Offenbar geht das antragstellende BVA davon aus, dass der österreichische Gesetzgeber sie noch weiter präzisieren hätte können. Wie die Rechtsprechung des EuGH zeigt, sind diese in der Vergabe-RL und im BVergG 2006 verwendeten, gleichlautenden Begriffe durchaus auslegbar. Sie lassen - wie der EuGH aufzeigt - bei richtiger Auslegung gerade keinen weiten Beurteilungsspielraum zu. Nach der oben unter Pkt. III. 1. dargestellten Judikatur des EuGH ist die angefochtene Bestimmung eng auszulegen; bei der Auslegung ist auch das Diskriminierungsverbot zu beachten. Die Anwendung der angefochtenen Bestimmung kommt nur in Betracht, wenn die technischen Besonderheiten, die mit dem Auftrag verbunden sind, oder die Ausschließlichkeitsrechte es unbedingt erforderlich machen, den Auftrag an ein bestimmtes Unternehmen und nur an dieses zu vergeben. Die bloße Berufung auf einen Ausnahmetatbestand durch den öffentlichen Auftraggeber reicht nicht aus. Der öffentliche Auftraggeber hat vielmehr das Vorliegen von Ausnahmetatbeständen zu beweisen.

5. Das BVA äußert weiters das Bedenken, dass keine sachliche Rechtfertigung ersichtlich sei, "warum ein vergaberechtsunterworfener Auftraggeber wie die BBG allein durch die Stützung auf diese Norm bewirken kann, dass erstens keine Vergabebekanntmachung im Oberschwellenbereich zu erfolgen hat; und dass zweitens insbesondere auch rücksichtlich der in Anbetracht des § 332 Abs 3 BVergG 2006 sehr kurzen Antragsfristen für den Rechtsbehelf des § 331 Abs 1 Z 4 BVergG 2006 es für benachteiligte Unternehmer im Regelfall faktisch unmöglich ist, zu verhindern, dass rechtswidrig bevorzugte Konkurrenten unter Ausschaltung jedweden Parallelwettbewerbs in den Genuss von Rahmenvereinbarungen bzw. Leistungsverträgen kommen."

Der Verfassungsgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen ausgeführt, dass der Gesetzgeber auch bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht an die verfassungsrechtlichen Vorgaben gebunden ist (Grundsatz der doppelten Bindung, VfSlg. 14.863/1997 uva.). Auf Grund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts auch vor dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten (vgl. VfSlg. 16.050/2000) wäre aber die Aufhebung einer Bestimmung, die Gemeinschaftsrecht umsetzt, unzulässig, wenn das Gemeinschaftsrecht dem innerstaatlichen Gesetzgeber keinen Spielraum für die inhaltliche Gestaltung einräumt, sodass der Gesetzgeber keine Möglichkeit hätte, eine Ersatzregelung zu schaffen, die sowohl dem Gemeinschaftsrecht als auch dem innerstaatlichen Verfassungsrecht entspricht.

Die gesetzliche Bestimmung, deren Aufhebung begehrt wird, entspricht inhaltlich fast wörtlich dem Art 31 Z 1 litb der Vergabe-RL. Auch diese sieht vor, dass der Auftrag im Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben werden kann. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, warum die "sehr kurze Antragsfrist" des § 332 Abs 2 BVergG 2006 den Rechtsschutz "faktisch unmöglich" machen sollte, läuft doch die Frist von 30 Tagen erst ab Kenntnis oder Kennenmüssen der Zuschlagsentscheidung.

IV. 1. Der Verfassungsgerichtshof vermag daher die geltend gemachten Bedenken nicht zu teilen. Der zulässige Antrag war daher abzuweisen.

2. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4, erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.