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VfGH vom 29.11.2018, G112/2018

VfGH vom 29.11.2018, G112/2018

Leitsatz

Abweisung eines Antrags des Verwaltungsgerichtshofs auf Aufhebung einer Bestimmung der RAO betreffend den Anspruch auf Sondervergütung für Verfahrenshilfeleistungen bei Erreichen von mehr als zehn Verhandlungstagen oder 50 Verhandlungsstunden; Abstellen auf die Verhandlungszeit in Zivilverfahren nicht gleichheitswidrig

Spruch

I.Soweit sich der Antrag gegen § 16 Abs 4 RAO, RGBl 96/1868, idF BGBl Nr I 159/2013 richtet, wird er abgewiesen.

II.Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art 140 Abs 1 Z 1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt der Verwaltungsgerichtshof, jeweils die Wortteile "Verhandlungs" in § 16 Abs 4 erster Satz RAO, RGBl 96/1868, idF BGBl 474/1990, sowie in eventu § 16 Abs 2 RAO, RGBl 96/1868, idF BGBl 474/1990 sowie § 16 Abs 4 RAO, RGBl 96/1868 idF BGBl I 159/2013 jeweils zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.

II.Rechtslage

§16 Rechtsanwaltsordnung (RAO), RGBl 96/1868, idF BGBl I 159/2013 lautet wie folgt (die im Hauptantrag angefochtenen Wortteile sind hervorgehoben):

"§16. (1) Der Rechtsanwalt kann sein Honorar mit der Partei frei vereinbaren. Er ist jedoch nicht berechtigt, eine ihm anvertraute Streitsache ganz oder teilweise an sich zu lösen.

(2) Der nach den § 45 oder 45a bestellte Rechtsanwalt hat die Vertretung oder Verteidigung der Partei nach Maßgabe des Bestellungsbescheides zu übernehmen und mit der gleichen Sorgfalt wie ein frei gewählter Rechtsanwalt zu besorgen. Er hat an die von ihm vertretene oder verteidigte Partei, vorbehaltlich weitergehender verfahrensrechtlicher Vorschriften, nur so weit einen Entlohnungsanspruch, als ihr der unterlegene Gegner Kosten ersetzt.

(3) Für die Leistungen, für die die nach den § 45 oder 45a bestellten Rechtsanwälte zufolge verfahrensrechtlicher Vorschriften sonst keinen Entlohnungsanspruch hätten, haben die in der Liste einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwälte an diese Rechtsanwaltskammer einen Anspruch darauf, daß sie jedem von ihnen aus dem ihr zugewiesenen Betrag der Pauschalvergütung einen gleichen Anteil auf seinen Beitrag zur Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung anrechnet, soweit nicht ein Anspruch auf Vergütung nach Abs 4 besteht.

(4) In Verfahren, in denen der nach den § 45 oder 45a bestellte Rechtsanwalt innerhalb eines Jahres mehr als zehn Verhandlungstage oder insgesamt mehr als 50 Verhandlungsstunden tätig wird, hat er unter den Voraussetzungen des Abs 3 für alle jährlich darüber hinausgehenden Leistungen an die Rechtanwaltskammer Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Auf Antrag des Rechtsanwalts ist bei Verfahren, in denen das Gericht unter Heranziehung von § 285 Abs 2 StPO eine Verlängerung der Frist zur Ausführung des Rechtsmittels beschließt, die Tätigkeit zur Erstellung der Rechtsmittelschrift in Ansehung jeder vollen Woche, um die die Rechtsmittelfrist verlängert wurde, der Teilnahme an zehn Verhandlungsstunden gleichzuhalten. Der Antrag auf Vergütung ist vom Rechtsanwalt bei sonstigem Ausschluss bis spätestens zum 31. März des auf das abgelaufene Kalenderjahr, in dem der Rechtsanwalt seine Leistungen erbracht hat, folgenden Jahres bei der Rechtsanwaltskammer einzubringen. Auf diese Vergütung ist dem Rechtsanwalt auf sein Verlangen nach Maßgabe von Vorschußzahlungen nach § 47 Abs 5 letzter Satz von der Rechtsanwaltskammer ein angemessener Vorschuß zu gewähren. Über die Höhe der Vergütung sowie über die Gewährung des Vorschusses und über dessen Höhe entscheidet der Ausschuß. Im Rahmen der Festsetzung der angemessenen Vergütung sind die vom Rechtsanwalt in seinem Antrag verzeichneten Leistungen entsprechend der zeitlichen Abfolge ihrer Erbringung zu berücksichtigen und zu beurteilen. Ist die Vergütung, die der Rechtsanwalt erhält, geringer als der ihm gewährte Vorschuß, so hat der Rechtsanwalt den betreffenden Betrag dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer zurückzuerstatten.

(5) Die Regelungen der Abs 3 und 4 sind auch sinngemäß anzuwenden, wenn sich der Entlohnungsanspruch eines nach § 61 Abs 3 StPO bestellten Amtsverteidigers trotz Ausschöpfung der ihm zur Hereinbringung zumutbaren Schritte als uneinbringlich erweist und dies vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer festgestellt wurde."

III.Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Beim Verwaltungsgerichtshof ist eine Revision gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom anhängig, mit welchem die Beschwerde des (nunmehrigen) Revisionswerbers im Ausgangsverfahren gegen den Bescheid des Plenums des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom abgewiesen worden ist. Der Bescheid hat den Antrag des Beschwerdeführers auf Bestimmung einer Vergütung gemäß § 16 Abs 4 RAO für seine im Kalenderjahr 2015 erbrachten Leistungen als Verfahrenshelfer in Höhe von € 73.536,86 abgewiesen.

Dem Ausgangsverfahren ist der Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vorausgegangen, auf Grund dessen der Revisionswerber mit Bescheid der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom zum Verfahrenshelfer bestellt wurde. Gegenstand des Verfahrens vor dem Landesgericht Innsbruck war die Geltendmachung von Forderungen in der Höhe von ungefähr € 40 Mio. Der Revisionswerber brachte in Vertretung der verfahrensbeholfenen Partei am und am Klagen beim Landesgericht Innsbruck ein.

Im verfahrenseinleitenden Antrag bei der Tiroler Rechtsanwaltskammer machte der Revisionswerber für die beiden Verfahren im Jahr 2015 einen Zeitaufwand von ca. 200 Stunden geltend.

Der geltend gemachte Zeitaufwand wurde von der Tiroler Rechtsanwaltskammer geprüft und, zumal die getätigten Angaben zu den Leistungen allesamt dokumentiert gewesen seien, als glaubwürdig und plausibel befunden.

Im Verfahren über die Klage vom verrichtete der Revisionswerber im Jahr 2015 mündliche Streitverhandlungen im Ausmaß von (zusammengefasst) 36 Stunden und brachte gegen das Teilurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom Berufung sowie gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom außerordentliche Revision ein.

Im Verfahren über die Klage vom verrichtete der Revisionswerber im Jahr 2015 mündliche Streitverhandlungen im Ausmaß von (zusammengefasst) fünf Stunden, erstattete mit Schriftsatz vom ein weiteres Vorbringen und legte dabei 55 Urkunden vor. Weiters brachte er am einen Schriftsatz (Replik zu einem Vorbringen der beklagten Partei) und am einen weiteren (aufgetragenen) Schriftsatz samt Urkundenvorlage (35 Urkunden) ein.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hat die Tiroler Rechtsanwaltskammer einleitend ausgeführt, dass es feststehe, dass die vom Revisionswerber geführten Verfahren schon allein auf Grund der beträchtlichen Klagsforderungen und eingewendeten Gegenforderungen äußerst aufwändig gewesen seien und den Revisionswerber zeitlich erheblich beansprucht und belastet hätten. Bei Durchsicht der von ihm verfassten Schriftsätze und Rechtsmittel habe sich gezeigt, dass sich der Revisionswerber auch mit früheren vom Verfahrensbeholfenen geführten Verfahren auseinandergesetzt habe und dass es sich bei diesen Rechtsstreitigkeiten um solche mit komplexen wirtschaftlichen Strukturen gehandelt habe. Während die Führung eines Zivilprozesses vorrangig im Studium der relevanten Unterlagen, deren Aufbereitung in Schriftsätzen samt Beweisanträgen und der schriftlichen Erwiderung auf gegnerisches Vorbringen bestehe, komme der Verrichtung von mündlichen Verhandlungen im Gegensatz zu einem Strafverfahren nur eine untergeordnete Rolle zu. Wie der Revisionswerber selbst zugestehe, erfülle er die in § 16 Abs 4 RAO normierte Voraussetzung für einen Vergütungsanspruch, nämlich das Erreichen des "Schwellenwertes" von 50 Verhandlungsstunden bzw von zehn Verhandlungstagen in einem Jahr, nicht. Ausgehend vom klaren Gesetzeswortlaut des § 16 Abs 4 RAO sei (auch vor dem Hintergrund näher zitierter Judikatur) ungeachtet des Ausmaßes der vom Revisionswerber im Kalenderjahr 2015 verrichteten Tätigkeit als Verfahrenshelfer sein Antrag auf Gewährung einer Sondervergütung nicht berechtigt.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Auch wenn dem Revisionswerber im Jahr 2015 tatsächlich ein Zeitaufwand von 200 Stunden für seine Tätigkeit als Verfahrenshelfer entstanden sei, sei doch entscheidend, dass der in § 16 Abs 4 RAO festgelegte Schwellenwert nicht überschritten worden sei. Der eindeutige Gesetzeswortlaut lasse, wenngleich nicht verkannt werde, dass der dem Revisionswerber entstandene Aufwand für seine Tätigkeit als Verfahrenshelfer eine außerordentlich große Belastung dargestellt habe, keinen Raum für den geforderten Zuspruch.

2.Der Verwaltungsgerichtshof legt die Bedenken, die ihn zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"Die jetzt maßgebenden Bestimmungen der RAO gehen im Wesentlichen zurück auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G135/90 u.a., VfSlg 12.638, bzw die Novellen BGBl Nr 474/1990, BGBl I Nr 71/1999 und BGBl I Nr 111/2007:

Mit dem angesprochenen Erkenntnis vom hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Bestimmung des § 16 Abs 2 RAO i.d.F. BGBl Nr 570/1973 verfassungswidrig war. Diese Regelung hatte - ohne eine dem nunmehrigen Abs 4 vergleichbare Bestimmung - angeordnet, dass einem Verfahrenshelfer an die von ihm vertretene oder verteidigte Partei nur soweit ein Entlohnungsanspruch zustand, als ihr der unterlegene Gegner Kosten ersetzt. Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass es dem Gleichheitsgrundsatz i.S.d. Art 7 B-VG widerspricht, wenn Verfahrenshelfer auch für Verfahren zu bestellen sind, die eine weit überdurchschnittliche Belastung der bestehenden Rechtsanwälte bewirken, sodass für die Betroffenen unzumutbare Belastungen eintreten können. Dabei handle es sich nicht um vernachlässigbare Härtefälle, sondern um Auswirkungen, die dem System innewohnten. Auch wenn im Falle der Bestellung eines Rechtsanwalts für ein monatelanges Verfahren eine neuerliche Heranziehung zur Verfahrenshilfe allenfalls erst nach Jahren zulässig wäre, könne eine solche Vertretungsverpflichtung zu Belastungen führen, die sich für Anwälte existenzgefährdend auswirken könnten.

Vor diesem Hintergrund ging der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 16 Abs 4 RAO durch die Novelle BGBl Nr 474/1990 davon aus, dass die Einführung einer individuellen Vergütung für zu Verfahrenshelfern bestellte Rechtsanwälte, deren Inanspruchnahme einen bestimmten Umfang überschreitet (vgl AB, 1380 BlgNR 17. GP: 'für diejenigen Verfahrenshilfeanwälte ..., die in überdurchschnittlich lang dauernden Verfahren herangezogen werden'), notwendig ist, um existenzbedrohende Situationen für Rechtsanwälte, die durch den Umfang ihrer Tätigkeit in solchen Verfahren am anderweitigen Erwerb gehindert sind, zu vermeiden (vgl auch ).

Nach der Einführung der 'Jahresregel' mit der Novelle BGBl I. Nr 71/1999 wurde mit der Novelle BGBl I Nr 111/2007 § 16 Abs 4 RAO insofern erweitert, als nunmehr bei Verfahren, in denen das Gericht unter Heranziehung des § 285 Abs 2 StPO eine Verlängerung der Frist zur Ausführung des Rechtsmittels beschließt, die Tätigkeit zur Erstellung der Rechtsmittelschrift in Ansehung jeder vollen Woche, um welche die Rechtsmittelfrist verlängert wurde, der Teilnahme an zehn Verhandlungsstunden gleichzuhalten ist. Damit wurde bewusst dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gesetz selbst im Falle des § 285 Abs 2 StPO auf den besonderen Umfang der Rechtssache Bedacht nimmt und anerkannt, dass mit der üblicherweise für die Erstellung einer Rechtsmittelschrift zur Verfügung stehenden Zeit nicht das Auslangen gefunden werden kann. Tragender Erwägungsgrund dafür war, dass bei Rechtsmitteln in solchen 'Monsterverfahren' der besonders hohe Aufwand, der mit der Erstellung des Rechtsmittels verbunden ist, durch die Entscheidung des Gerichts auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist objektiviert ist (RV 303 BlgNR 23. GP, 23). In diesen Erläuterungen wird zudem betont, dass zur Ermittlung der - im Übrigen - maßgeblichen Grenze von zehn Verhandlungstagen bzw 50 Verhandlungsstunden nach dem Gesetzeswortlaut nur auf die 'tatsächliche Verhandlungstätigkeit vor Gericht' abzustellen ist.

Die von der Rechtsanwaltschaft im Rahmen der Verfahrenshilfe erbrachten Leistungen werden also grundsätzlich durch die vom Bund dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag gemäß § 47 Abs 1 RAO zu leistende Vergütung abgegolten. Der einzelne Rechtsanwalt erwirbt im Allgemeinen durch seine Leistungen in einem Verfahren, in dem er gemäß § 45 oder § 45a RAO bestellt wurde, gegenüber der Rechtsanwaltskammer - abgesehen vom Anspruch auf anteilsmäßige Anrechnung auf die Beiträge gemäß § 16 Abs 3 RAO - keinen individuellen Vergütungsanspruch. Von diesem Grundsatz normiert § 16 Abs 4 RAO eine Ausnahme: Wird der Rechtsanwalt im besonderen Umfang in Anspruch genommen, so gebührt ihm eine individuelle Vergütung. Dabei wird in § 16 Abs 4 erster Satz RAO zwecks Festlegung der maßgebenden Grenze daran angeknüpft, dass der betreffende Rechtsanwalt, dessen Vergütungsanspruch zu beurteilen ist, mehr als zehn Verhandlungstage oder 50 Verhandlungsstunden - pro Jahr – in Anspruch genommen wurde, wobei eine nach § 285 Abs 2 StPO erfolgte Verlängerung der Rechtsmittelfrist gegebenenfalls zu einer Erweiterung führt (zweiter Satz).

Explizites Ziel der bestehenden Regelung nach § 16 Abs 4 RAO ist es, die Belastungen des Rechtsanwalts durch die Bestellung zum Verfahrenshelfer auch für Prozesse von überdurchschnittlich langer Dauer abzumildern bzw unzumutbare, unter Umständen sogar existenzbedrohende Belastungen hintanzuhalten. Zur Festlegung der danach maßgeblichen Grenze wird vom Gesetzgeber an die Dauer der vom Verfahrenshelfer verrichteten Gerichtsverhandlungen angeknüpft. Wortlaut und Materialien stehen einer Auslegung entgegen, die nicht bloß auf die tatsächliche Verhandlungstätigkeit vor Gericht abstellen wollte (sondern etwa auch auf den Zeitaufwand für das Abfassen von - in Gerichtsverfahren einzubringenden - Schriftsätzen).

Diese Regelung begegnet folgenden Bedenken:

Wird bloß auf die Dauer der Tätigkeit des Verfahrenshelfers im Rahmen gerichtlicher Verhandlungen abgestellt, ohne das Zeitausmaß der Tätigkeit des Verfahrenshelfers außerhalb von gerichtlichen Verhandlungen zu berücksichtigen, werden Verfahren, in denen ein erheblicher Teil der anwaltlichen Vertretungsleistungen außerhalb von gerichtlichen Verhandlungen erbracht wird, ungleich gegenüber jenen behandelt, in denen dies nicht der Fall ist.

Dies führt dazu, dass jene Verfahrenshelfer unsachlich benachteiligt sind, deren überdurchschnittliche Belastung sich nicht in einer besonders zeitintensiven Verhandlungstätigkeit, sondern in der Tätigkeit außerhalb der Verhandlungen, etwa in der Abfassung besonders komplexer Schriftsätze, widerspiegelt.

Der Gesetzgeber trug diesem Umstand nur für einen einzigen Fall, nämlich jenem der Fristverlängerung gemäß § 285 Abs 2 StPO bei extremem Umfang des (Straf-)Verfahrens Rechnung.

Für den Bereich des Zivilverfahrens findet sich hingegen keine - vergleichbare - Ausnahmeregelung, obwohl auch hier, wie der vorliegende Fall zeigt, ein beträchtlicher Zeitaufwand des Verfahrenshelfers außerhalb der Verhandlung liegen kann. Dass es sich dabei nur um vernachlässigbare Härtefälle handeln würde, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen. Die Abfassung vollständiger und umfangreicher Schriftsätze, die für den Verfahrenshelfer in komplexen Zivilverfahren auch überdurchschnittlichen Arbeits- und Zeitaufwand begründen kann, dient nämlich gerade der effektiven Verfahrensführung, indem sich die Verhandlung vorrangig auf die Beweisaufnahme konzentrieren und entsprechend kürzer ausfallen kann. Dass der Verfahrenshelfer, der diesen Zielen entspricht, in der Entlohnung schlechter gestellt sein sollte als jene Verfahrenshelfer, die - aus welchen Gründen auch immer - ihre Tätigkeit vor allem in der Verhandlung erbringen, ist nicht einzusehen.

Es besteht daher das Bedenken, dass eine undifferenzierte Anwendung des bestehenden Regelungssystems zur Zuerkennung einer angemessenen Vergütung für ungewöhnlich hohen Arbeitsaufwand eines Verfahrenshelfers in Zivilverfahren zur Gleichheitswidrigkeit führt.

Es wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht übersehen, dass die derzeitige Regelung, indem sie auf die - rasch objektivierbare – tatsächliche Verhandlungstätigkeit vor Gericht abstellt, leichter vollziehbar ist als eine solche, die (auch) den u.U. nur schwer ermittelbaren zeitlichen Aufwand für die Abfassung von Schriftsätzen mitberücksichtigt; im Widerstreit mit dem Gleichheitsgebot haben nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes allerdings Aspekte der Verfahrensökonomie zurückzutreten."

3.Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

"[II. Zur Zulässigkeit:]

2.2. Der Verwaltungsgerichtshof beantragt in seinem Hauptantrag lediglich die Aufhebung der Wortteile 'Verhandlungs' in § 16 Abs 4 erster Satz RAO. Dies hätte zur Folge, dass ein Anspruch auf angemessene Vergütung gemäß § 16 Abs 4 RAO bereits bei einem Aufwand von mehr als zehn Tagen oder insgesamt mehr als 50 Stunden für ein Verfahren innerhalb eines Jahres bestünde, wobei irrelevant wäre, welche Art von Leistungen in diesen Zeiträumen erbracht werden. Im Ergebnis würde dies dazu führen, dass in einer Vielzahl der Verfahrenshilfevertretungsfälle ein Anspruch auf Sondervergütung bestünde. Dies würde aber nicht der Intention der Gesetzgebung entsprechen, nach der der Anspruch auf angemessene Vergütung lediglich im Ausnahmefall einer besonderen Inanspruchnahme des Verfahrenshelfers bestehen soll […].

Der Hauptantrag erweist sich daher als zu eng gefasst.

2.3. Hinsichtlich des Eventualantrags weist die Bundesregierung darauf hin, dass im Falle der Aufhebung des § 16 Abs 2 und 4 RAO unklar wäre, ob eine Pauschalvergütung gemäß § 47 Abs 5 RAO für nach § 45 RAO bestellte Rechtsanwälte festgesetzt und gezahlt werden müsste. Gleiches gilt hinsichtlich § 56a Abs 5 RAO für nach § 45a RAO bestellte Rechtsanwälte. Auch der Eventualantrag erweist sich insofern als zu eng gefasst.

[III. In der Sache:]

5. Rechtsanwälte, die gemäß § 45 oder 45a RAO als Verfahrenshelfer tätig werden, haben – soweit sie ihre Kosten nicht von der unterlegenen Partei ersetzt bekommen – einen Anspruch auf Honorierung im Rahmen des Pauschalvergütungssystems nach § 16 Abs 3 RAO […]. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist dieses Pauschalvergütungssystem, in dem nicht die Leistung des einzelnen, sondern die der Rechtsanwaltschaft in ihrer Gesamtheit abgegolten wird und die daher jedem Rechtsanwalt – gleichgültig, ob und in welchem Umfang er Verfahrenshilfe geleistet hat – zugute kommt, verfassungsrechtlich unbedenklich. Aus Sicht des Gleichheitssatzes muss aber sichergestellt sein, dass Verfahrenshelfer, die durch besonders umfangreiche und intensive Vertretungen und Strafverteidigungen in ungewöhnlich hohem Ausmaß – unter Umständen bis hin zur Existenzbedrohung – belastet wurden, eine darüber hinaus gehende Honorierung erhalten können (vgl VfSlg 12.638/1991).

6. Eine solche Honorierung ist in § 16 Abs 4 RAO geregelt: Wird ein Verfahrenshelfer in einem bestimmten Verfahren innerhalb eines Jahres in einem besonderen Ausmaß in Anspruch genommen, verfügt er gemäß § 16 Abs 4 RAO über einen Anspruch auf – individuelle – 'angemessene Vergütung' unmittelbar gegenüber der Rechtsanwaltskammer. Ein besonderes Ausmaß an Inanspruchnahme liegt nach dieser Bestimmung dann vor, wenn der Verfahrenshelfer 'innerhalb eines Jahres mehr als zehn Verhandlungstage oder insgesamt mehr als 50 Verhandlungsstunden tätig' wurde.

6.1. § 16 Abs 4 RAO dient – ausweislich der Gesetzesmaterialien sowie im Hinblick auf das genannte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 12.638/1991 […]) – dem Ausgleich von besonders umfangreichen und arbeitsintensiven Vertretungen und Strafverteidigungen von Verfahrenshelfern, die diese wochen- und auch monatelange in Anspruch nehmen und daher gravierende, mitunter existenzbedrohende Auswirkungen haben können (vgl ). Ein solcher Ausgleich ist verfassungsrechtlich geboten (s VfSlg 12.638/1991). Soweit dieses Ziel erreicht wird, verfügt die Gesetzgebung bei der Ausgestaltung der entsprechenden Regelungen nach Auffassung der Bundesregierung über einen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum (vgl ).

6.2. Entsprechend dem dargelegten Ziel des Ausgleichs von übermäßigen Belastungen eines Verfahrenshelfers wird der Vergütungsanspruch nach § 16 Abs 4 RAO vom Erreichen eines bestimmten Schwellenwertes der Belastung des betreffenden Rechtsanwalts abhängig gemacht. Der Schwellenwert nach § 16 Abs 4 RAO besteht in zehn Verhandlungstagen oder 50 Verhandlungsstunden innerhalb eines Jahres. Er muss in einem bestimmten Verfahren erreicht worden sein (vgl ; , Ra 2015/03/0088). Dass der individuelle Vergütungsanspruch an das Erreichen eines bestimmten Schwellenwertes geknüpft ist, begegnet schon im Hinblick auf das dargelegte Ziel der Bestimmung, das mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zu VfSlg 12.638/1991 korrespondiert, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl auch , wonach es im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zu VfSlg 12.638/1991 dem Gleichheitsgebot entspricht, wenn eine individuelle Vergütung für den Rechtsanwalt 'erst ab dem Erreichen eines bestimmten Arbeitsumfanges für diesen' vorgesehen ist). Hinsichtlich der Höhe des Schwellenwertes geht die Gesetzgebung – einer Durchschnittsbetrachtung folgend (vgl ) – davon aus, dass damit im Allgemeinen ein Belastungsausmaß des Verfahrenshelfers erreicht ist, das durch das allgemeine Pauschalvergütungssystem nicht mehr hinreichend honoriert wird. Dieser Annahme ist nach Auffassung der Bundesregierung ebensowenig entgegen zu treten. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Antrag weder Bedenken gegen die Anknüpfung des individuellen Vergütungsanspruchs an einen Schwellenwert noch gegen das Ausmaß von zehn Tagen bzw 50 Stunden geäußert.

6.3. Der Verwaltungsgerichtshof wendet sich jedoch dagegen, dass sich der Schwellenwert nach den Intentionen der Gesetzgebung (vgl ErläutRV 303 BlgNR 23. GP, 22, s. dazu oben Pkt. I.3.5.4.) auf die tatsächliche Verhandlungstätigkeit des Verfahrenshelfers vor Gericht bezieht. Nach Auffassung der Bundesregierung erweist sich aber auch dieser Umstand im Hinblick auf das dargelegte Ziel der Regelung als sachgerecht und liegt daher ebenfalls innerhalb des, der Gesetzgebung eingeräumten, rechtspolitischen Gestaltungsspielraums: Da Verhandlungstermine vom Verfahrenshelfer in der Regel ad personam wahrzunehmen und seine zeitlichen Kapazitäten insofern fix gebunden sind, ist es vor allem die Verpflichtung zur Teilnahme an einer Verhandlung, die ihn an anderweitigem Erwerb hindert (vgl dazu ) und somit zu finanziellen Einschränkungen (die bei entsprechend intensiver zeitlicher Inanspruchnahme existenzbedrohende Auswirkungen haben können) führen kann. Zudem ist dieses Kriterium objektiv beleg- und nachvollziehbar. Anhand der Gerichtsakten kann ohne Schwierigkeiten sowohl vom Verfahrenshelfer belegt als auch von der Rechtsanwaltskammer bzw vom Gericht nachgeprüft werden, wie viele Verhandlungsstunden bzw Verhandlungstage in einem bestimmten Verfahren stattgefunden haben. Die Überprüfung bzw Beurteilung anderer Leistungen unterliegt demgegenüber großen praktischen Schwierigkeiten: Es fehlt sowohl im Rechtsanwaltstarifgesetz als auch in den Allgemeinen Honorarkriterien an einem einheitlichen und verbindlichen Maßstab zur Beurteilung der Frage, mit welchem Zeitaufwand die Erstellung eines in einem Gerichtsverfahren erstatteten Schriftsatzes oder sonstiger Leistungen des Rechtsanwalts verbunden sein kann/darf, damit diese (noch) als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig beurteilt werden können (zumal fraglich erscheint, ob ein entsprechender einheitlicher Bewertungsmaßstab für sämtliche möglichen Verfahren überhaupt geschaffen werden könnte). Die von den Verfahrenshelfern gemachten Angaben könnten in der Praxis daher schwerlich innerhalb angemessener Fristen und in eindeutiger und hinreichend verlässlicher Weise überprüft bzw objektiv beurteilt werden. Das Kriterium dient insofern zudem der Vermeidung von Beweisschwierigkeiten und ist daher nach Auffassung der Bundesregierung auch aus Gründen der Verfahrensökonomie gerechtfertigt. Darüber hinaus führt es aber gerade auch zu einer Gleichbehandlung der Verfahrenshelfer, da der Anspruch auf individuelle Vergütung bei einer Anknüpfung an die unmittelbare Verhandlungstätigkeit weniger abhängig ist vom individuellen Einsatz eines Verfahrenshelfers, dem naturgemäß eine gewisse subjektive Komponente innewohnt.

6.4. Daneben trägt die angefochtene Regelung des § 16 Abs 4 RAO durchaus auch dem Umstand Rechnung, dass in einem Verfahren besonders komplexe, und daher zeitaufwändige, Schriftsätze zu erstellen sind:

6.4.1. So kann dieser Umstand unmittelbar bei der Beurteilung, ob die Schwellenwerte gemäß § 16 Abs 4 RAO erreicht wurden, relevant sein. Gemäß § 16 Abs 4 zweiter Satz RAO ist es ausdrücklich möglich, Rechtsmittelfristen, die gemäß § 285 Abs 2 StPO verlängert worden sind, der Teilnahme an Verhandlungsstunden gleichzuhalten. Dass diese Möglichkeit nur in Bezug auf Rechtsmittel nach der StPO besteht, nicht aber in Bezug auf Schriftsätze nach der ZPO, ist dem Umstand geschuldet, dass in § 285 Abs 2 StPO auf die besondere Komplexität und den besonderen Umfang der betreffenden Rechtssache Bedacht genommen und somit vom Gesetz selbst anerkannt wird, dass mit der üblicherweise für die Erstellung einer Rechtsmittelschrift zur Verfügung stehenden Zeit nicht das Auslangen gefunden werden kann (vgl ErläutRV 303 BlgNR 23. GP, 23). Der hohe Aufwand, der mit der Erstellung eines solchen Rechtsmittels verbunden ist, ist in diesen Fällen daher durch die Entscheidung des Gerichts auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist objektiviert (vgl mwN). Eine vergleichbare gesetzliche Anerkennung existiert in Bezug auf Schriftsätze nach der ZPO nicht. Der Gesetzgebung kann vor diesem Hintergrund nicht entgegen getreten werden, wenn sie eine solche Möglichkeit nicht auch für andere, als von § 285 Abs 2 StPO erfasste, Schriftsätze vorsieht.

6.4.2. Ferner können besonders komplexe und daher ungewöhnlich zeitaufwändige Schriftsätze – sowohl im Straf- als auch im Zivilprozess – auch unabhängig von § 16 Abs 4 zweiter Satz RAO Bedeutung für einen Anspruch auf Sondervergütung nach § 16 Abs 4 RAO haben. Dies gilt auch für einen sonstigen außergewöhnlichen Vertretungs- oder Verteidigungsaufwand eines Verfahrenshelfers:

Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 16 Abs 4 RAO hat der Verfahrenshelfer im Fall der Überschreitung des Schwellenwerts Anspruch auf eine angemessene Vergütung für alle jährlich darüber hinausgehenden Leistungen. Demgemäß werden den Verfahrenshelfern in der Praxis von den Rechtsanwaltskammern – bei Erbringung von Verhandlungsleistungen in dem im § 16 Abs 4 erster Satz RAO genannten Umfang (mit denen bis zum Erreichen des Schwellenwerts ja auch die 'üblichen' Nebenleistungen im Rahmen einer Rechtsvertretung einhergehen) – regelmäßig sämtliche der nach diesem Zeitpunkt und innerhalb der Jahresfrist des § 16 Abs 4 erster Satz RAO anfallenden Vertretungsleistungen (einschließlich des Schriftsatzaufwandes) im Rahmen der Sondervergütung abgegolten (sodass diesfalls selbstverständlich auch besonders aufwändige Nebenleistungen berücksichtigt werden).

6.4.3. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Judikatur einen Anspruch auf Sondervergütung gemäß § 16 Abs 4 RAO nicht nur für geleistete Verhandlungsstunden bzw Verhandlungstage, sondern auch hinsichtlich solcher Nebenleistungen bejaht, wobei er sich dabei jeweils mit Vertretungsleistungen auseinanderzusetzen hatte, die zeitlich vor dem Erreichen des Schwellenwertes an Verhandlungsstunden bzw Verhandlungstagen bzw sogar vor der ersten Vertretungsleistung im Rahmen einer Verhandlung erbracht wurden. Wesentlich für deren Berücksichtigung im Rahmen eines Vergütungsanspruchs nach § 16 Abs 4 RAO ist nach dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes lediglich, dass die Nebenleistungen über jenes Ausmaß an Leistungen hinausgehen, das ein Verteidiger in einem entsprechenden 'typischen' Verfahren zu erbringen hat (vgl ; , 2003/06/0050, , 2006/06/0264, , 2007/06/0218).

Somit können durchaus auch Nebenleistungen, die nicht in unmittelbarer Verhandlungstätigkeit bestehen, wie insbesondere die Abfassung von besonders komplexen und zeitaufwändigen Schriftsätzen oder sonstige außergewöhnliche Vertretungsleistungen von Relevanz für den individuellen Vergütungsanspruch nach § 16 Abs 4 RAO und bei seiner Bemessung zu berücksichtigen sein.

6.5. Vor diesem Hintergrund hat die Gesetzgebung nach Auffassung der Bundesregierung mit der angefochtenen Bestimmung ihren rechtspolitischen Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung des Anspruchs eines Verfahrenshelfers auf Vergütung außergewöhnlicher Leistungen nicht überschritten."

4.Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag hat eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

"1. Zur Zulässigkeit:

Nach Ansicht des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages stehen der Zulässigkeit sowohl des zu lita) gestellten Primärantrags als auch des zu litb) gestellten Eventualantrags mehrere Gründe entgegen:

1.1. Zum Primärantrag:

1.1.1. Der Verwaltungsgerichtshof beantragt die beiden Wortteile 'Verhandlungs' in § 16 Abs 4 erster Satz RAO (in der durch die Novelle BGBI 474/1990 geschaffenen und seither unverändert gebliebenen Fassung) zur Aufhebung und begründet diesen Anfechtungsumfang damit, dass damit die angenommene Verfassungswidrigkeit beseitigt werden könne, 'ohne dass damit ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht zusinnbarer Inhalt gegeben wäre' […].

Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag vermag sich dieser Sichtweise aus folgenden Erwägungen nicht anzuschließen:

Bereits aus Anlass der Schaffung des Sonderpauschalvergütungsanspruchs durch die Novelle BGBI 474/1990 war es die erklärte Absicht des Gesetzgebers, nur auf 'Verhandlungstage' und 'Verhandlungsstunden' abzustellen (vgl AB 1380 BIgNR 27. GP 7). Dem liegt der Regelungsgedanke zugrunde, dass nur dieser Aufwand objektiv überprüfbar ist. In diesem Sinne wird in den ErläutRV 303 BIgNR 23. GP 22 f (zur Novelle BGBI 1111/2007) ausdrücklich festgehalten (Hervorhebung hinzugefügt):

'Zur Ermittlung der maßgeblichen Grenze von zehn Verhandlungstagen bzw von fünfzig Verhandlungsstunden ist nach dem Gesetzeswortlaut dabei nur auf die tatsächliche Verhandlungstätigkeit vor Gericht abzustellen; wird diese nicht überschritten, ist nach der Intention des Gesetzgebers aber etwa auch nicht der — kaum überprüfbare — zeitliche Aufwand zu berücksichtigen, der mit der Abfassung von Schriftsätzen verbunden ist.'

Davon machte der Gesetzgeber bloß eine einzige Ausnahme in § 16 Abs 4 Satz 2 RAO idF BGBI 1111/2007, die in den Gesetzesmaterialien wie folgt begründet wurde (vgl ErläutRV 303 BIgNR 23. GP 23):

'Dies scheint freilich dort nicht sachgerecht, wo das Gesetz selbst auf die besondere Komplexität und den besonderen Umfang einer Rechtssache Bedacht nimmt und anerkennt, dass mit der üblicherweise für die Erstellung einer Rechtsmittelschrift zur Verfügung stehenden Zeit nicht das Auslangen gefunden werden kann. Eine solche Verlängerung der Rechtsmittelfrist durch das Gericht sieht — im Gefolge der E des AZ G151/99 — derzeit ausdrücklich § 285 Abs 2 StPO vor, dies für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde (und der Gegenausführung dazu). Hinsichtlich der Rechtsmittel in solchen ,Monsterverfahren', in denen der ganz besondere Aufwand, der mit der Erstellung des Rechtsmittels verbunden ist, durch die Entscheidung des Gerichts auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist letztlich objektiviert ist, scheint es auch angemessen, auf diesen im Rahmen der Sondervergütung nach § 16 Abs 4 RAO besonders Bedacht zu nehmen.'

Auch bei dieser Ausnahme hat der Gesetzgeber aber darauf Wert gelegt, dass der 'ganz besondere Aufwand, der mit der Erstellung des Rechtsmittels verbunden ist, durch die Entscheidung des Gerichts auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist letztlich objektiviert ist' (vgl erneut ErläutRV 303 BIgNR 23. GP 23).

Würden nun aber im Sinne des zu lita) gestellten Primärantrags des Verwaltungsgerichtshofes die Wortteile 'Verhandlungs' in § 16 Abs 4 erster Satz RAO aufgehoben werden, so würde dies zu einer uferlosen Erweiterung der für die Ermittlung der Sonderpauschalvergütungsgrenze maßgeblichen anwaltlichen Tätigkeiten führen, indem schlechthin auf jeglichen (tatsächlichen) Zeitaufwand abzustellen wäre, der in einer Verfahrenshilfesache entsteht (arg 'tage' und 'stunden'), ohne dass eine Möglichkeit bestünde, diesen Zeitaufwand objektiv zu überprüfen […]. Damit jedoch wäre eine Regelung geschaffen, die der Gesetzgeber selbst niemals vor Augen hatte.

Nach Ansicht des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages würde somit durch eine Aufhebung der Wortteile 'Verhandlungs' in § 16 Abs 4 erster Satz RAO dieser Vorschrift ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben werden, der auf einen unzulässigen Akt positiver Normsetzung hinausliefe (vgl dazu etwa VfSlg 18.885/2009 mwN).

Darüber hinaus wäre bei einer solchen Aufhebung des Wortteiles die Bestimmung unklar (und damit verfassungswidrig), weil der Rechtsanwalt dann schon Anspruch auf eine angemessene Vergütung hat, wenn er innerhalb eines Jahres 'mehr als zehn Tage [...] tätig wird"' Der Begriff 'Tage' ist freilich in diesem Zusammenhang zu unbestimmt und würde gegen Art 18 B-VG verstoßen. Wieviel Stunden Arbeit einen Tag zu einem 'Arbeitstag' iSd § 16 Abs 4 RAO machen, könnte selbst unter Heranziehung sämtlicher Interpretationsmethoden nicht ermittelt werden.

[…]

1.2. Zum Eventualantrag:

Der zu litb) gestellte Eventualantrag erweist sich in mehrfacher Hinsicht als zu eng:

a. Soweit '§16 Abs 2 RAO, RGBL Nr 96/1868, in der durch die Novelle BGBl Nr 474/1990 geschaffenen und seither insofern unverändert gebliebenen Fassung' zur Aufhebung beantragt wird, ist dieses Aufhebungsbegehren von den im Antrag artikulierten Normbedenken nicht gedeckt. Der Aufhebungsantrag wird allein deswegen auf § 16 Abs 2 RAO in der angegebenen Fassung bezogen, weil auch der VfGH im Erkenntnis VfSlg 12.638/1991 die Bestimmung des § 16 Abs 2 RAO (RGBI 96/1868 idF BGBI 570/1973) als verfassungswidrig aufgehoben hat […].

1.3. Nach Ansicht des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages erweisen sich somit sowohl der Hauptantrag als auch der Eventualantrag als unzulässig.

2. In der Sache:

Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag vermag sich im Übrigen den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes ob der Gleichheitskonformität der angefochtenen Vorschriften auch in der Sache nicht anzuschließen:

[…]

2.2. Wenn der Gesetzgeber in § 16 Abs 4 RAO an die Verhandlungstätigkeit vor Gericht anknüpft, so ist diese Anknüpfung im Hinblick darauf sachlich, dass es sowohl in Zivilrechtssachen als auch in Strafrechtssachen letztlich auf jene Verfahrensinhalte bzw anwaltliche Vertretungsleistungen (va Vorbringen, Beweisanträge, Mitwirkung an Beweisaufnahmen etc) ankommt, die in der mündlichen Verhandlung vorgekommen bzw vorzunehmen sind.

Die Dauer der mündlichen Verhandlung ist solcherart ein verlässlicher Indikator, wie aufwändig sich eine Verfahrenshilfesache tatsächlich darstellt, und somit ein unter dem Gesichtspunkt des Art 7 B-VG sachlicher Anknüpfungspunkt.

Dass es in der Praxis vorkommen mag, dass ein Gericht Verhandlungstermine in größerem zeitlichen Abstand anberaumt und deswegen der nach § 16 Abs 4 RAO pro Jahr maßgebliche Schwellenwert von zehn Verhandlungstagen bzw 50 Verhandlungsstunden nicht erreicht wird, ist allein ein Aspekt der Vollziehung der Verfahrensgesetze; dies wirkt aber nicht auf die Regelung in § 16 Abs 4 RAO zurück (vgl etwa VfSlg 12.922/1991).

[…]

2.3. Die gegenwärtige Regelung entspricht aber auch deswegen dem Gleichheits-grundsatz, weil sie sowohl der Verwaltungsvereinfachung (zB VfSlg 20.115/2016) als auch der Verhinderung von Manipulationen (VfSlg 14.048/1995, 20.065/2016) dient:

Es ist nicht zu leugnen, dass letztlich nur der tatsächliche Verhandlungsaufwand vor Gericht objektiv überprüfbar ist (vgl erneut ErläutRV 303 BIgNR 23. GP 22 f). Der für die Gewährung von Sonderpauschalvergütungen zuständige Ausschuss der Rechtsanwaltskammer (vgl § 28 Abs 1 liti RAO) kann die Verhandlungsdauer mit verhältnismäßigem Aufwand anhand der Verhandlungsprotokolle, die den Charakter öffentlicher Urkunden haben, feststellen. Wollte man der Bemessung der Sonderpauschalvergütung hingegen den tatsächlichen Zeitaufwand für alle anwaltlichen Verfahrenshilfeleistungen zugrunde legen — wozu die beantragte Aufhebung führte —, wäre ein umfassendes Beweisverfahren erforderlich, das jede einzelne Leistung in den Blick zu nehmen hätte, ohne dass jedoch dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer die Möglichkeit einer objektiven Überprüfung der Angaben des Verfahrenshelfers betreffend seinen Zeitaufwand offen stünde. Die Regelung wäre aus diesem Grund nicht administrierbar.

In diesem Zusammenhang muss auch auf die Gefahr von Manipulationen hingewiesen werden, die in der Judikatur des VfGH zum Gleichheitsgrundsatz als Rechtfertigungs-grund anerkannt ist (VfSlg 14.048/1995, 20.065/2016): Der außerhalb von Verhandlungen aufgewendete Zeitaufwand könnte von einem Verfahrenshelfer stets unschwer so weit ausgedehnt werden, dass die 'Sonderpauschalvergütungsgrenze' überschritten wird. Zugespitzt könnte man sagen, dass ein 50-stündiger Zeitaufwand ohne weiteres auch auf den ersten Schriftsatz in einem Verfahren verwendet werden könnte, womit die Sonderpauschalvergütungsgrenze erreicht und alle weiteren Leistungen nach Maßgabe des § 16 Abs 4 RAO zu honorieren wären. Und es bestünde — selbst im Fall der Beweisbarkeit — nicht einmal eine Rechtsgrundlage (im Sinne eines Korrektivs) dafür, unnotwendigen (mitunter sogar 'geschundenen') Zeitaufwand aus der Bemessung nach § 16 Abs 4 RAO auszuscheiden. Mit der gegenwärtigen Regelung ist die Gefahr derartiger Manipulationen ausgeschlossen. Dagegen wäre im Fall einer Erweiterung des § 16 Abs 4 RAO auf sämtliche anwaltlichen, nach tatsächlichem Zeitaufwand bemessenen Vertretungsleistungen dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.

2.4. Die einzige Ungleichbehandlung zwischen dem Zivilverfahren und dem Strafverfahren ist in § 16 Abs 4 Satz 2 RAO normiert, wonach (nur) Rechtsmittel im Sinne des § 285 Abs 2 StPO mit einem fiktiven Verhandlungsstundenäquivalenz für das Erreichen der Sonderpauschalvergütungsgrenze für relevant erklärt (jedoch in dieser Form nicht vergütet) werden. Die sachliche Rechtfertigung für diese differenzierende Regelung liegt darin, dass nur in § 285 Abs 2 StPO eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist vorgesehen ist, während die Fristen für andere Rechtsmittel (insbesondere im Zivilverfahren) nicht verlängerbar sind (so auch ErläutRV 303 BIgNR 23. GP 23; siehe auch ), und dass hier auch die Gefahr von Manipulationen nicht besteht (vgl VfSlg 14.048/1995, 20.065/2016), weil stets ein Gericht nach gesetzlich vorgegebenen Kriterien über die Verlängerung der Rechtsmittelfrist entscheidet.

2.5. Nach Ansicht des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages stehen daher die angefochtenen Vorschriften mit dem Gleichheitsgrundsatz in Einklang."

IV.Erwägungen

1.Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1.Zum Hauptantrag

1.1.1.Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG bzw des Art 140 Abs 1 Z 1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).

Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2001). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; ).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; ; , G444/2015; , G662/2015), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015; ).

1.1.2.Aus den Materialien zu § 16 Abs 4 RAO idF BGBl I 111/2007 (Erläut zur RV 303 BlgNR 23. GP, 22 f.) wird die Absicht des Gesetzgebers deutlich. Die Verhandlungszeit soll – neben der Abfassung der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285 Abs 2 StPO – als Maßstab für die Beurteilung des Verfahrensaufwandes für den Verfahrenshelfer dienen:

"[…] Zur Ermittlung der maßgeblichen Grenze von zehn Verhandlungstagen bzw von fünfzig Verhandlungsstunden ist nach dem Gesetzeswortlaut dabei nur auf die tatsächliche Verhandlungstätigkeit vor Gericht abzustellen; wird diese nicht überschritten, ist nach der Intention des Gesetzgebers aber etwa auch nicht der – kaum überprüfbare – zeitliche Aufwand zu berücksichtigen, der mit der Abfassung von Schriftsätzen verbunden ist."

Vor diesem Hintergrund erweist sich der Hauptantrag auf Aufhebung der Wortteile "Verhandlungs" in § 16 Abs 4 erster Satz RAO als unzulässig, weil er zu eng gefasst ist. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes gilt für den Fall, dass bei Aufhebung bloß eines Teiles einer Bestimmung der Sinn der verbleibenden Bestimmung nicht mehr dem erkennbaren gesetzgeberischen Willen entspricht, dass nur der Antrag auf Aufhebung der gesamten Regelung zulässig ist (zB VfSlg 16.911/2003 mwN). Ein solcher Fall liegt vor, weil der Verwaltungsgerichtshof im Hauptantrag § 16 Abs 4 RAO nicht zur Gänze anficht.

Der nach der beantragten Aufhebung verbleibende Teil des § 16 Abs 4 RAO würde einen völlig veränderten Inhalt erhalten. Ein zum Verfahrenshelfer bestellter Rechtsanwalt, der innerhalb eines Jahres mehr als "zehn Tage oder insgesamt mehr als 50 Stunden tätig wird", hätte Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Dieser Inhalt ist dem Gesetzgeber nicht mehr zusinnbar (vgl zB VfSlg 19.411/2011, 19.639/2012), weil gleichsam jede Beschäftigung mit dem Verfahren, in dem der Rechtsanwalt als Verfahrenshelfer bestellt wird, einen Anspruch auf Gewährung einer Sondervergütung hervorrufen würde.

1.1.3. Der Hauptantrag ist daher zurückzuweisen.

1.2.Zum Eventualantrag

1.2.1.Die unter Punkt 1.1.1. ausgeführten Erwägungen zur Zulässigkeit des Hauptantrages sind auch auf den Eventualantrag zu übertragen. Zum Eventualantrag ist weiters festzuhalten, dass eine zu weite Fassung des Antrages diesen nicht in jedem Fall unzulässig macht. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit das Gericht solche Bestimmungen anficht, die denkmöglich eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bilden und damit präjudiziell sind; dabei darf aber nach § 62 Abs 1 VfGG nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN ua; vgl auch ; , G103-104/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies — wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen — im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; ua).

Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die für das antragstellende Gericht offenkundig keine Voraussetzung seiner Entscheidung im Anlassfall bilden und die somit nicht präjudiziell sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), so ist der Antrag insgesamt zulässig (VfSlg 20.111/2016). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle eines ganzen Gesetzes), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; ; , G183/2016 ua).

Der Verfassungsgerichtshof entscheidet daher – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über die Frage, ob gegebenenfalls auch Bestimmungen aufzuheben sind, die nicht präjudiziell sind, aber mit präjudiziellen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl zB VfSlg 19.939/2014, 20.086/2016), nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages, sondern im Einzelnen erst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof, erweist sich der Antrag als begründet, den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen abzugrenzen hat.

1.2.2.In seinem Eventualantrag beantragt der Verwaltungsgerichtshof die Aufhebung von § 16 Abs 2 und 4 RAO jeweils zur Gänze. Der Antrag werde für den Fall gestellt, dass der Verfassungsgerichtshof den Sitz der Verfassungswidrigkeit in § 16 Abs 2 RAO lokalisiert, weil diese Regelung den zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt zur Übernahme der Vertretung ohne Honoraranspruch auch für Verfahren mit übermäßiger Belastung verpflichte, oder dass der Hauptantrag zu eng gefasst sei.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken richten sich in erster Linie – wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Hauptantrag in Bezug auf die Verletzung des Gleichheitssatzes darlegt – gegen § 16 Abs 4 RAO, jene Bestimmung, die die Sondervergütung für zum Verfahrenshelfer bestellte Rechtsanwälte regelt. Nur diese Bestimmung ist vom Verwaltungsgerichtshof anzuwenden. Die Bestimmung, mit der die Sorgfaltspflichten und der Entlohnungsanspruch des Verfahrenshelfers gegenüber der vertretenen oder verteidigten Partei geregelt werden, ist hingegen bei der Beurteilung des Anspruchs auf Sondervergütung offenkundig nicht präjudiziell. Die beiden Bestimmungen sind zudem auch deshalb trennbar, weil sie unterschiedliche Regelungsinhalte haben, die einerseits Rechte und Pflichten des Rechtsanwaltes gegenüber dem Verfahrensbeholfenen und andererseits Ansprüche des Rechtsanwaltes gegenüber der Rechtsanwaltskammer zum Gegenstand haben.

In Bezug auf § 16 Abs 2 RAO ist der Eventualantrag sohin als zu weit gefasst zurückzuweisen, weil die Bestimmung im vorliegenden Fall weder präjudiziell ist, noch in einem offenkundigen Zusammenhang mit § 16 Abs 4 RAO steht. Hinsichtlich der beantragten Aufhebung des § 16 Abs 4 RAO erweist er sich vor dem Hintergrund der vom Verwaltungsgerichtshof dargelegten Bedenken hingegen als zulässig.

2.In der Sache

2.1.Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Soweit zulässig, ist der Antrag jedoch nicht begründet.

In seinem Erkenntnis VfSlg 12.638/1991 stellte der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 4 B-VG fest, dass § 16 Abs 2 RAO, RGBl 96/1868, idF BGBl 570/1973 verfassungswidrig war. Nach der in diesem Verfahren geltenden Rechtslage war neben der Pauschalvergütung keine weitere Vergütung für erbrachte Verfahrenshilfeleistungen vorgesehen. Mit § 16 Abs 4 RAO idF BGBl 474/1990 wurde die Möglichkeit der Beantragung einer "Sondervergütung" unter der Voraussetzung geschaffen, dass der bestellte Verfahrenshelfer in einem Verfahren innerhalb eines Jahres an mehr als zehn Verhandlungstagen oder insgesamt mehr als 50 Verhandlungsstunden tätig wird. Das Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008 idF BGBl I 111/2007 ergänzte § 16 Abs 4 RAO dahingehend, dass in Verfahren, in denen das Gericht gemäß § 285 Abs 2 StPO eine Verlängerung der Frist zur Ausführung des Rechtsmittels verfügt, die Tätigkeit zur Erstellung der Rechtsmittelschrift in Ansehung jeder vollen Woche, um die die Rechtsmittelfrist verlängert wurde, der Teilnahme an zehn Verhandlungsstunden gleichzuhalten ist.

Die Materialien (Erläut zu RV 303 BlgNR, 23. GP, 22 f.) zu § 16 Abs 4 RAO idF BGBl I 111/2007 (Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008) erläutern hiezu wie folgt:

"Mit der vorgeschlagenen Erweiterung des § 16 Abs 4 RAO soll den praktischen Erfahrungen im Zusammenhang mit der verordnungsmäßigen Festsetzung der sog 'Sonderpauschalvergütung', also der Abgeltung von Verfahrenshilfeleistungen in überdurchschnittlich lang dauernden Verfahren, Rechnung getragen werden. Nach § 16 Abs 4 erster Satz RAO setzt der Anspruch des zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalts auf Sondervergütung insbesondere voraus, dass der Rechtsanwalt im betreffenden Verfahren innerhalb eines Jahres mehr als zehn Verhandlungstage oder insgesamt mehr als 50 Verhandlungsstunden tätig wird. Übersteigen die im konkreten Verfahren pro Jahr erbrachten Verfahrenshilfeleistungen diesen Umfang nicht, so besteht kein Anspruch (wobei freilich auch solche Verfahrenshilfeleistungen vom Rechtsanwalt letztlich nicht unentgeltlich zu erbringen sind, sondern von der Republik Österreich im Rahmen der allgemeinen Pauschalvergütung nach § 47 Abs 1 RAO abgegolten werden). Zur Ermittlung der maßgeblichen Grenze von zehn Verhandlungstagen bzw von fünfzig Verhandlungsstunden ist nach dem Gesetzeswortlaut dabei nur auf die tatsächliche Verhandlungstätigkeit vor Gericht abzustellen; wird diese nicht überschritten, ist nach der Intention des Gesetzgebers aber etwa auch nicht der – kaum überprüfbare – zeitliche Aufwand zu berücksichtigen, der mit der Abfassung von Schriftsätzen verbunden ist. Dies scheint freilich dort nicht sachgerecht, wo das Gesetz selbst auf die besondere Komplexität und den besonderen Umfang einer Rechtssache Bedacht nimmt und anerkennt, dass mit der üblicherweise für die Erstellung einer Rechtsmittelschrift zur Verfügung stehenden Zeit nicht das Auslangen gefunden werden kann. Eine solche Verlängerung der Rechtsmittelfrist durch das Gericht sieht – im Gefolge der E des AZ G151/99 – derzeit ausdrücklich § 285 Abs 2 StPO vor, dies für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde (und der Gegenausführung dazu). Hinsichtlich der Rechtsmittel in solchen 'Monsterverfahren', in denen der ganz besondere Aufwand, der mit der Erstellung des Rechtsmittels verbunden ist, durch die Entscheidung des Gerichts auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist letztlich objektiviert ist, scheint es auch angemessen, auf diesen im Rahmen der Sondervergütung nach § 16 Abs 4 RAO besonders Bedacht zu nehmen. Der Vorschlag sieht daher vor, dass auf Antrag des die Gewährung einer Sondervergütung verlangenden Rechtsanwalts bei solchen Verfahren, in denen das Gericht unter Heranziehung des § 285 Abs 2 StPO (was sowohl hinsichtlich anderer Rechtsmittel als auch anderer Verfahrensarten möglich scheint) eine Verlängerung der Frist zur Ausführung des Rechtsmittels beschließt, jede volle Woche, um die die Rechtsmittelfrist verlängert wurde, einer Tätigkeit des Rechtsanwalts im Ausmaß von zehn Verhandlungsstunden gleichzuhalten ist. Klarzustellen ist gleichzeitig, dass diese Fiktion lediglich bei der Ermittlung der 'Sondervergütungsgrenze' von 50 Verhandlungsstunden zum Tragen kommt; bei der Festsetzung der Höhe der Entlohnung des Rechtsanwalts für das Rechtsmittel ist sie dagegen nicht in gleicher Weise heranzuziehen."

2.2.1.Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bestehen gegen eine Pauschalvergütung der im Rahmen der Verfahrenshilfe erbrachten Leistungen, durch die nicht die Leistung des einzelnen, sondern die der Rechtsanwaltschaft in ihrer Gesamtheit abgegolten wird und die daher jedem Rechtsanwalt – gleichgültig, ob und in welchem Umfang er Verfahrenshilfe geleistet hat – zugutekommt, keine Bedenken (vgl VfSlg 12.638/1991 mwN). Die Pauschalvergütung hat jedenfalls sachgerecht und verhältnismäßig ausgestaltet zu sein (vgl VfSlg 6945/1972).

2.2.2.Vor diesem Hintergrund ist dem Gesetzgeber aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten, wenn einem Verfahrenshelfer erst bei Erreichen eines objektivierbaren Schwellenwertes von mehr als zehn Verhandlungstagen oder 50 Verhandlungsstunden ein Anspruch auf Sondervergütung gewährt wird. Diese Regelung gewährleistet insbesondere, dass der Verfahrenshelfer lediglich für Leistungen in besonders aufwändigen Verfahren entlohnt wird, die in nachvollziehbarer Weise erbracht wurden. Dem Gesetzgeber ist auch nicht entgegenzutreten, wenn er in diesem Zusammenhang nicht auch den kaum überprüfbaren Aufwand berücksichtigt, der mit der Abfassung von Schriftsätzen verbunden ist (vgl Erläut zur RV 303 BlgNR 23. GP, 22 f.). Bei den geleisteten Verhandlungsstunden handelt es sich daher um einen sachlichen Anknüpfungspunkt für die Gewährung einer Sondervergütung neben der allgemeinen Pauschalvergütung.

Der Gesetzgeber trägt zudem dem Umstand Rechnung, dass insbesondere das Verfassen von umfangreichen Rechtsmitteln zu einem erheblichen Aufwand führen kann. Die gesetzliche Fiktion, dass bei Verfahren, in denen das Gericht gemäß § 285 Abs 2 StPO eine Verlängerung der Frist zur Ausführung des Rechtsmittels beschließt, die Tätigkeit zur Erstellung der Rechtsmittelschrift in Ansehung jeder vollen Woche, um die die Rechtsmittelfrist verlängert wurde, der Teilnahme an zehn Verhandlungsstunden gleichzuhalten ist, besteht in Strafverfahren für die Abfassung einer Nichtigkeitsbeschwerde. Die Fristverlängerung kann sich insbesondere im Hinblick auf Art 6 EMRK als notwendig erweisen (vgl hiezu VfSlg 15.786/2000). Dass § 16 Abs 4 RAO eine solche Regelung für Zivilverfahren nicht vorsieht, ist vor allem den wesentlichen Unterschieden zwischen Straf- und Zivilverfahren geschuldet. Eine Fristverlängerung ist in Strafverfahren alleine im Falle extremen Umfangs des Verfahrens vorgesehen. Ob ein solcher "Extremfall" vorliegt, hat gemäß § 285 Abs 3 StPO der Vorsitzende des erkennenden Gerichtes unanfechtbar im Rahmen einer Gesamtschau des Verfahrens zu beurteilen (s hiezu auch Ratz in Fuchs/Ratz WK StPO § 285 Rz 18 [Stand: , rdb.at]). Es ist dem Gesetzgeber daher aus gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegenzutreten, wenn bei der Frage, ob ein besonders komplexes bzw umfangreiches Strafverfahren vorliegt, auf eine Entscheidung des mit der Sache befassten Gerichtes abgestellt wird. Dies gewährleistet zudem aus verwaltungsökonomischen Überlegungen eine für die jeweilige Rechtsanwaltskammer einfach handhabbare Regelung, um sicherzustellen, dass Verfahrenshelfern, die objektivierbar in einem besonders aufwändigen Verfahren bestellt wurden, zeitnahe eine Sondervergütung gemäß § 16 Abs 4 RAO erhalten.

Dass bei Zivilverfahren alleine auf die Verhandlungszeit abgestellt wird, verstößt vor diesem Hintergrund nicht gegen den Gleichheitssatz. Neben dem Verhandlungsaufwand besteht hier – im Gegensatz zu bestimmten Strafverfahren – kein in verwaltungsökonomischer Weise objektivierbarer Anknüpfungspunkt zur Feststellung eines notwendigen "außergewöhnlichen Verfahrensaufwandes".

Schließlich erfolgen Verfahrenshilfeleistungen auch nicht unentgeltlich, die in Verfahren erbracht werden, in denen die Schwellenwerte des § 16 Abs 4 RAO nicht erreicht werden. Diese werden nämlich vom Bund im Rahmen der allgemeinen Pauschalvergütung gemäß § 47 Abs 1 RAO abgegolten (vgl Erläut zur RV 303 BlgNR 23. GP, 22).

V.Ergebnis

1.Die Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 16 Abs 4 RAO, RGBl 96/1868, idF BGBl I 159/2013 treffen nicht zu. Der Antrag ist daher insoweit abzuweisen.

Im Übrigen ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

2.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2018:G112.2018
Schlagworte:
Rechtsanwälte, Pflichtverteidigung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang

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