VfGH vom 30.11.2011, g111/11
Sammlungsnummer
19565
Leitsatz
Aufhebung auch der Regelung über die Bewertung von Grundbesitz im Stiftungseingangssteuergesetz in der Fassung der Novelle 2009 unter Hinweis auf die Vorjudikatur
Spruch
I. Der letzte Satz des § 1 Abs 5 des Bundesgesetzes
über ein Stiftungseingangssteuergesetz, BGBl. I Nr. 85/2008, in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
III. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B1023/10 und B1312/10 auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerden gegen Bescheide des Unabhängigen Finanzsenates (in der Folge: UFS) anhängig, denen jeweils (zusammengefasst) folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Den mit Notariatsakt errichteten beschwerdeführenden Privatstiftungen wurde jeweils im Rahmen einer Nachstiftungsvereinbarung im Oktober 2009 eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft mit bestimmtem Wert gewidmet. In weiterer Folge reichten die beschwerdeführenden Privatstiftungen die Stiftungseingangssteuererklärung ein; die Stiftungseingangssteuer wurde daraufhin vom jeweils zuständigen Finanzamt am Abgabenkonto in bestimmter Höhe festgesetzt.
In der Folge wurden von den beschwerdeführenden Privatstiftungen Feststellungsbescheide über die Höhe der festgesetzten Stiftungseingangssteuer erwirkt. In den Berufungen gegen diese Bescheide wurden verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Stiftungseingangssteuer erhoben und die Aufhebung der Bescheide sowie die Rückerstattung der entrichteten Stiftungseingangssteuer beantragt. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wies der UFS die Berufungen wegen fehlender Kompetenz zur Beurteilung der geltend gemachten Verfassungswidrigkeit ab.
Gegen diese Bescheide richten sich jeweils auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerden, die gleichlautend die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des § 1 Abs 1 iVm § 1 Abs 5 des Bundesgesetzes über ein Stiftungseingangssteuergesetz (in der Folge: StiftEG), behaupten.
2. Bei der Behandlung der Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs 5 letzter Satz StiftEG, BGBl. I 85/2008, in der Fassung BGBl. I 52/2009 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher die Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom unterbrochen und von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der genannten Bestimmung eingeleitet.
Der Verfassungsgerichtshof ist im Prüfungsbeschluss (vorläufig) davon ausgegangen, dass die belangte Behörde bei Erlassung der angefochtenen Bescheide jeweils die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung des § 1 Abs 5 letzter Satz StiftEG in der novellierten Fassung BGBl. I 52/2009 angewendet hat. Die Erwägungen, die den Verfassungsgerichtshof zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens veranlasst hatten, legte er in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"2. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G150/10, den letzten Satz des § 1 Abs 5 StiftEG in der Stammfassung BGBl. I 85/2008 ('Für die Bewertung ist - vorbehaltlich § 3 Abs 4 - § 19 des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes 1955 anzuwenden.') als verfassungswidrig aufgehoben. Er ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass die Höhe der Steuerbelastung bei der Stiftungseingangssteuer nicht davon abhänge, was dem Vermögensträger - gemessen an Verkehrswerten - insgesamt zugewendet wird, sondern davon, welcher Art sein Erwerb ist. Bei gleichem Verkehrswert habe eine Privatstiftung oder eine vergleichbare Vermögensmasse, die Grundbesitz erwirbt, im Hinblick auf die notorische Unterbewertung, die sich als Folge des Anknüpfens an die historischen Einheitswerte ergebe, in der Regel lediglich einen Bruchteil jener Bemessungsgrundlage anzusetzen, die im Fall einer steuerpflichtigen Zuwendung von Unternehmensanteilen, Wertpapieren oder Bargeld zur Anwendung komme. Für diese bemessungsrechtliche Differenzierung sei kein sachlicher Grund zu sehen.
Im Prüfungsbeschluss (vom ) zu B1473/09, der in der Folge zur oben genannten Aufhebung führte, hatte der Verfassungsgerichtshof unter Wiedergabe der Judikatur zur Erbschafts- und Schenkungssteuer (vgl. VfSlg. 18.093/2007) seine Bedenken gegen die bei der Stiftungseingangssteuer anzuwendenden Bewertungsregeln wie folgt zusammengefasst:
'2.4. Die Situation bei der Stiftungseingangssteuer scheint sich von der Rechtslage bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer nur insoweit zu unterscheiden, als einerseits die Steuerpflicht bloß unentgeltliche Zuwendungen an bestimmte Stiftungen erfasst und andererseits hiebei kein progressiver, sondern ein proportionaler Steuersatz zur Anwendung kommt. Das dürften keine wesentlichen Unterschiede sein. Die in der Bewertung liegenden Unsachlichkeiten dürften sich im Bereich der auf unentgeltliche Zuwendungen an Stiftungen beschränkten Stiftungseingangssteuer genauso auswirken wie im Bereich der umfassend angelegten Erbschafts- und Schenkungssteuer. Auch kann nach der vorläufigen Einschätzung des Verfassungsgerichtshofes nicht davon die Rede sein, dass die Stiftungseingangssteuer derart geringfügig ist, dass Verzerrungen in der Bewertung des zugewendeten Vermögens noch hingenommen werden könnten. Zum einen erreichen gerade Zuwendungen an Stiftungen, wie gerichtsbekannt ist und auch der Beschwerdefall zeigt, im Regelfall Dimensionen, bei denen ein Steuersatz von 2,5 vH eine absolut gewichtige Steuerbelastung nach sich ziehen kann und Verzerrungen im Bereich der Bewertung daher ins Gewicht fallen dürften. Zum anderen sieht das Gesetz bei verschiedenen, anscheinend nicht bloß als Ausnahmefälle zu wertenden Konstellationen eine Erhöhung der Steuer auf 25 vH vor.
Auf der anderen Seite dürfte eine Rechtfertigung der Regelung mit verwaltungsökonomischen Aspekten letztlich nicht in Betracht kommen. Wenn der Bundesminister für Finanzen in seiner Stellungnahme im Beschwerdeverfahren vorbringt, im Hinblick auf die geringe Zahl der in Österreich errichteten Privatstiftungen könne der mit der Durchführung einer neuerlichen Hauptfeststellung einhergehende Verwaltungsaufwand nicht gerechtfertigt werden, so kann der Verfassungsgerichtshof dem durchaus folgen. Er kann aber vorderhand nicht der Schlussfolgerung beitreten, dass deshalb die Beibehaltung der derzeitigen Regelung im Lichte verwaltungsökonomischer Gründe geradezu geboten sei. Ist die Zahl der Fälle, die zu Grundbesitzbewertungen Anlass geben, relativ gering - und davon dürfte bei einer Steuer, die auf unentgeltliche Zuwendungen an Stiftungen beschränkt ist, auszugehen sein - , so scheint nichts einer individuellen Wertermittlung im jeweiligen Zuwendungsfall entgegenzustehen. Warum eine Ermittlung des aktuellen Wertes bei Zuwendung von Grundbesitz auf größere Schwierigkeiten stoßen sollte als etwa die Ermittlung des gemeinen Wertes von zugewendeten Kapitalgesellschaftsanteilen, vermag der Verfassungsgerichtshof vorderhand nicht zu erkennen.'
Diese Bedenken scheinen in gleicher Weise auf die
hier maßgebliche Fassung des letzten Satzes des § 1 Abs 5 StiftEG, BGBl. I 52/2009, zuzutreffen. Der mit BGBl. I 52/2009 eingefügte Halbsatz ', wobei in den Fällen des § 19 Abs 2 des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes 1955 der Abzug von Schulden und Lasten nur bis zur Höhe des dreifachen Einheitswertes oder des nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wertes zulässig ist' scheint daran nichts zu ändern."
3. Die Bundesregierung teilte mit, dass im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G150/10, von einer meritorischen Stellungnahme Abstand genommen werde.
II. Rechtslage
1. Der Stiftungseingangssteuer unterliegen gemäß § 1 Abs 1 StiftEG unentgeltliche Zuwendungen an eine privatrechtliche Stiftung oder auf damit vergleichbare Vermögensmassen. Die Steuerpflicht ist im Zeitpunkt der Zuwendung gegeben. Steuerschuldner ist grundsätzlich der Erwerber, somit die privatrechtliche Stiftung (Vermögensmasse).
2. § 1 Abs 5 StiftEG ordnet in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I 52/2009, welche am in Kraft getreten ist, Folgendes an (der in Prüfung gezogene Satz ist hervorgehoben):
"(5) Die Steuer ist vom zugewendeten Vermögen nach Abzug von Schulden und Lasten, die in wirtschaftlicher Beziehung zum zugewendeten Vermögen stehen, zu berechnen. Für die Wertermittlung ist der Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld maßgeblich. Für die Bewertung ist - vorbehaltlich § 3 Abs 4 - § 19 des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes 1955 anzuwenden, wobei in den Fällen des § 19 Abs 2 des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes 1955 der Abzug von Schulden und Lasten nur bis zur Höhe des dreifachen Einheitswertes oder des nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wertes zulässig ist."
§1 Abs 6 StiftEG regelt, welche Zuwendungen steuerfrei bleiben; § 3 Abs 4 leg.cit. sieht spezielle Regelungen für die Bewertung ausländischen Grundbesitzes vor.
3. § 19 des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes 1955 (in der Folge: ErbStG), BGBl. 141, idF BGBl. I 180/2004 regelt die Bewertung folgendermaßen:
"(1) Die Bewertung richtet sich, soweit nicht im Abs 2 etwas Besonderes vorgeschrieben ist, nach den Vorschriften des Ersten Teiles des Bewertungsgesetzes (Allgemeine Bewertungsvorschriften).
(2) Für inländisches land- und forstwirtschaftliches Vermögen, für inländisches Grundvermögen und für inländische Betriebsgrundstücke ist das Dreifache des Einheitswertes maßgebend, der nach den Vorschriften des Zweiten Teiles des Bewertungsgesetzes (Besondere Bewertungsvorschriften) auf den dem Entstehen der Steuerschuld unmittelbar vorausgegangenen Feststellungszeitpunkt festgestellt ist oder festgestellt wird. Wird von einem Steuerschuldner nachgewiesen, dass der gemeine Wert dieser Vermögenswerte im Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld geringer ist als das Dreifache des Einheitswertes, ist der nachgewiesene gemeine Wert maßgebend.
(3) Haben sich in den Fällen des Abs 2 die Verhältnisse zwischen dem unmittelbar vorausgegangenen Feststellungszeitpunkt und dem Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld dergestalt geändert, daß nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes die Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung oder eine Artfortschreibung gegeben sind, so ist auf den Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld ein besonderer Einheitswert zu ermitteln. In diesem Fall ist das Dreifache des besonderen Einheitswertes maßgebend."
4. Am hat der Nationalrat das Budgetbegleitgesetz 2012 verabschiedet, das u.a. mit Wirkung ab die Regelungen betreffend die Behandlung von Grundbesitz für Zwecke der Stiftungseingangssteuer, und daher auch die in Prüfung gezogene Vorschrift, verändert.
III. Erwägungen
1. Prozessvoraussetzungen
Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die gegen die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes über die Zulässigkeit der Beschwerde und die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung sprechen würden. Es sind auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen.
2. In der Sache
Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen die in Prüfung gezogene Norm haben sich als gerechtfertigt erwiesen:
In seinem Erkenntnis vom , G150/10, ist der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis gekommen, dass der letzte Satz des § 1 Abs 5 StiftEG in der (Stamm)Fassung BGBl. I 85/2008 iVm § 19 ErbStG dazu führt, dass die Höhe der Steuerbelastung bei einer Zuwendung an eine Privatstiftung oder eine vergleichbare Vermögensmasse nicht davon abhängt, was dem Vermögensträger - gemessen an Verkehrswerten - insgesamt zugewendet wird, sondern davon, welcher Art sein Erwerb ist: Bei gleichem Verkehrswert hat eine Privatstiftung oder eine vergleichbare Vermögensmasse, die Grundbesitz erwirbt, im Hinblick auf die notorische Unterbewertung, die sich als Folge des Anknüpfens an die historischen Einheitswerte ergibt, in der Regel lediglich einen Bruchteil jener Bemessungsgrundlage anzusetzen, die im Fall einer steuerpflichtigen Zuwendung von Unternehmensanteilen, Wertpapieren oder Bargeld zur Anwendung kommt.
Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner im Prüfungsbeschluss vertretenen Auffassung, dass die mit BGBl. I 52/2009 erfolgte Einfügung des Halbsatzes ", wobei in den Fällen des § 19 Abs 2 des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes 1955 der Abzug von Schulden und Lasten nur bis zur Höhe des dreifachen Einheitswertes oder des nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wertes zulässig ist" nichts an dieser Belastungsdiskrepanz ändert. Auch die Bundesregierung ist den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken nicht entgegengetreten.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich daher als zutreffend erwiesen, weshalb der letzte Satz des § 1 Abs 5 StiftEG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I 52/2009 als verfassungswidrig aufzuheben war.
2. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche
Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.
3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.