VfGH vom 30.11.2000, g110/99

VfGH vom 30.11.2000, g110/99

Sammlungsnummer

16027

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Festlegung eines Schwellenwertes im Bundesvergabegesetz; Gemeinschaftsrechtskonformität keine sachliche Rechtfertigung aufgrund der doppelten Bindung gesetzlicher Regelungen an gemeinschaftsrechtliche und verfassungsrechtliche Vorgaben; Gleichheitswidrigkeit des Verzichts auf außenwirksame Regelungen des Vergabeverfahrens im Unterschwellenbereich und des dadurch bedingten Fehlens jeglichen vergabespezifischen Rechtsschutzes

Spruch

Die Wortfolge "dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens fünf Millionen ECU beträgt" in § 3 Abs 1 des Bundesvergabegesetzes, BGBl. Nr. 462/1993, war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind Verfahren über Beschwerden gegen zwei Bescheide des Bundesvergabeamtes (BVA) vom , N-10/96 und N-11/96, anhängig. Diesen Bescheiden liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

a) Zwei Reinhalteverbände (Wasserverbände im Sinne der §§87 WRG) führten 1996 Verfahren zur Vergabe der Lieferung der maschinellen Ausrüstung für je einen bestimmten Bauabschnitt einer Verbandskläranlage durch. Im Laufe der Vergabeverfahren wandte sich ein Bieter mit Schlichtungsanträgen an die Bundes-Vergabekontrollkommission (B-VKK), die aber die Durchführung von Schlichtungsverfahren mangels Zuständigkeit ablehnte: Der Auftrag sei als Bauauftrag zu qualifizieren und der geschätzte Auftragswert der Baulose erreiche nicht den Schwellenwert für Bauaufträge gemäß § 3 des Bundesvergabegesetzes (BVergG), BGBl. 462/1993.

Mit Schriftsätzen vom beantragte der Bieter sodann die Durchführung von Nachprüfungsverfahren und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung beim BVA. Die Vorhaben seien aus Mitteln des Umweltförderungsgesetzes (UFG 1993) gefördert und dementsprechend seien die von der Bundesministerin für Umwelt erlassenen Vergaberichtlinien (ABl. zur Wiener Zeitung Nr. 50 vom ) anzuwenden, deren § 1 die Förderungswerber verpflichte, bei allen nach dem UFG 1993 geförderten Bauvorhaben die jeweils für sie verbindlichen Vergabenormen einzuhalten. Diese Vorschrift sei als Erstreckungsverordnung im Sinne des § 8 BVergG (in der Stammfassung) anzusehen. (Diese Bestimmung ermächtigte die Bundesregierung, die gesetzlichen Regelungen über das Vergabeverfahren und die Vergabekontrolle auch für den Bereich unter den Schwellenwerten für bindend zu erklären, und enthielt in Abs 2 eine Ermächtigung an die Bundesminister, bis zur Erlassung einer Verordnung der Bundesregierung eine solche Erstreckungsverordnung für ihren Wirkungsbereich zu erlassen.) Angesichts dessen seien die Regeln über das Vergabeverfahren und die Vergabekontrolle auch im gegenständlichen Fall anwendbar.

b) Mit Bescheiden des BVA vom wurden die Anträge zurückgewiesen: Es handle sich jeweils um einen Teil eines Bauauftrages, dessen Gesamtherstellungskosten den Schwellenwert gemäß § 3 BVergG nicht erreichten; die von der antragstellenden Gesellschaft dem BVA gegenüber ins Treffen geführten Vergaberichtlinien der Bundesministerin für Umwelt seien nicht so zu verstehen, daß durch sie die Bestimmungen des BVergG für bindend erklärt werden sollten.

2. a) Gegen diese Bescheide wenden sich die auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in denen unter anderem die Verfassungswidrigkeit der angewendeten Gesetzesvorschriften, insbesondere wegen Unsachlichkeit der Schwellenwertregelung, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der Bescheide begehrt wird.

b) Bei Behandlung der Beschwerden entstanden beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens fünf Millionen ECU beträgt" in § 3 Abs 1 BVergG, durch die die gesetzliche Regelung des Vergabeverfahrens und des vergabespezifischen Rechtsschutzes für die Vergabe von Bauaufträgen auf Aufträge beschränkt wird, deren geschätzes Auftragsvolumen einen bestimmten Betrag übersteigt. Der Verfassungsgerichtshof hat daher - nachdem er ein beim EuGH anhängiges Verfahren abgewartet hatte (EuGH, Rs C-103/97, Köllensperger, Slg. 1999, I-0551), dessen Ausgang er für seine Entscheidung als möglicherweise relevant erachtet hatte - beschlossen, diese Bestimmung auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Er nahm vorläufig an, daß die Beschwerden zulässig sind und daß er bei ihrer Beurteilung unter anderem § 3 BVergG in der Stammfassung anzuwenden hätte. Da er Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Schwellenwertregelung hegte und davon ausging, daß die angenommene Verfassungswidrigkeit ihren Sitz in der vorhin genannten Wortfolge des § 3 Abs 1 BVergG habe, beschloß er, diese Wortfolge in Prüfung zu nehmen.

c) Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie primär beantragte, das Verfahren mangels Präjudizialität der in Prüfung genommenen Wortfolge einzustellen, in eventu auszusprechen, daß die in Prüfung genommene Wortfolge nicht verfassungswidrig war.

II. Die in Prüfung gezogene Wortfolge steht im folgenden normativen Zusammenhang:

Das BVergG galt in seiner Stammfassung für die Vergabe von Bau- (einschließlich sog. Baukonzessions-)aufträgen und Lieferaufträgen durch bestimmte öffentliche Auftraggeber oberhalb bestimmter Schwellenwerte. (Durch die Novelle BGBl. 776/1996 wurde einerseits der Anwendungsbereich auf Dienstleistungsaufträge erstreckt, andererseits wurde das bei der Vergabe einzuhaltende Verfahren auch für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte geregelt, und zwar im wesentlichen durch Verbindlicherklärung der ÖNORM A 2050 (vgl. § 8 BVergG idF der zitierten Novelle; nunmehr § 13 BVergG 1997).)

Für die in seinen Geltungsbereich fallenden Vergaben sah das Gesetz in seinem 2. Teil allgemeine Bestimmungen über das bei der Auftragsvergabe einzuhaltende Verfahren sowie in seinem 3. Teil besondere, gemeinschaftsrechtlich für Vergaben oberhalb der Schwellenwerte gebotene Bestimmungen vor. Der 4. Teil des Gesetzes enthielt Vorschriften über den Rechtsschutz.

Der Schwellenwert betrug gemäß § 2 BVergG bei Lieferaufträgen je nachdem, welche öffentlichen Auftraggeber tätig wurden 130.000 bzw. 200.000 ECU.

Hinsichtlich der Schwellenwerte bei Bauaufträgen und Baukonzessionsaufträgen bestimmte § 3 BVergG in der Stammfassung (die in Prüfung genommene Wortfolge ist hervorgehoben):

"§3. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Bauaufträgen und Baukonzessionsaufträgen dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens fünf Millionen ECU beträgt.

(2) Besteht ein Bauwerk aus mehreren Losen, für die jeweils ein gesonderter Auftrag vergeben wird, so muß bei der Errechnung des in Abs 1 angegebenen Betrages der Wert eines jeden Loses berücksichtigt werden. Beläuft sich der kumulierte Wert der Lose auf den in Abs 1 genannten Betrag oder einen höheren, unterliegen alle Lose diesem Bundesgesetz. Dies gilt nicht für Lose, deren geschätzter Auftragswert ohne Umsatzsteuer weniger als eine Million ECU beträgt, sofern der kumulierte Auftragswert dieser Lose 20 vH des kumulierten Wertes aller Lose nicht übersteigt.

(3) Bauaufträge, insbesondere die von diesen erfaßten Bauwerke, dürfen nicht in der Absicht aufgeteilt werden, sie der Anwendung dieses Bundesgesetzes zu entziehen.

(4) Bei der Berechnung des geschätzten Auftragswertes von Bauaufträgen ist außer dem Auftragswert auch der geschätzte Wert der Lieferungen zu berücksichtigen, die für die Ausführung der Arbeiten erforderlich sind und dem Auftragnehmer vom öffentlichen Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden."

(Der Betrag von 5 Mio ECU entsprach zum maßgeblichen Zeitpunkt einem Betrag von etwas über 67 Mio S.)

Der die Möglichkeit der Erstreckung der vergabegesetzlichen Regelung auch auf Aufträge unterhalb der Schwellenwerte schaffende § 8 leg.cit. stand unter der Rubrik "Erweiterung des Anwendungsbereiches" und lautete:

"§8. (1) Die Bundesregierung kann mit Verordnung den 2. und 4. Teil dieses Bundesgesetzes für in § 6 Abs 1 Z 1 bis 4 genannte Auftraggeber auch unterhalb der in den §§2 bis 4 festgelegten Schwellenwerte für bindend erklären, wenn dies im Interesse des Wettbewerbes, des Rechtsschutzes von Bewerbern oder Bietern und im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise bei der Vergabe von Aufträgen zweckmäßig ist.

(2) Bis zur Erlassung einer Verordnung der Bundesregierung gemäß Abs 1 kann jeder Bundesminister für seinen Wirkungsbereich eine solche Verordnung erlassen.

(3) In Verordnungen nach Abs 1 oder Abs 2 ist die ÖNORM A 2050 'Vergabe von Aufträgen über Leistungen - Ausschreibung, Angebot und Zuschlag - Verfahrensnorm' vom für bindend zu erklären, soweit ihr Inhalt - von den Regelungen des 3. Teiles dieses Bundesgesetzes abgesehen - weder bundesgesetzlichen Regelungen noch den auf Grund des 2. Teiles dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen widerspricht."

(Von dieser Ermächtigung hat - was aber im vorliegenden Fall ohne weitere Bedeutung ist - der (damalige) Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Gebrauch gemacht: vgl. dessen sog. Erstreckungsverordnung, BGBl. 802/1995.)

III. Der Verfassungsgerichtshof ist im Prüfungsbeschluß vorläufig davon ausgegangen, daß die Beschwerden zulässig sind und daß er bei ihrer Behandlung § 3 BVergG anzuwenden habe, sodaß diese Vorschrift präjudiziell im Sinne des Art 140 Abs 1 B-VG sein dürfte. Dieser Annahme ist die Bundesregierung entgegengetreten:

Zum einen meint sie, daß die Vergaberichtlinien der Bundesministerin für Umwelt - anders als es die beschwerdeführende Gesellschaft in den Anlaßverfahren meint - nicht als Erstreckungsverordnung im Sinne des § 8 BVergG anzusehen sei. Die Bundesministerin für Umwelt habe in Befolgung der gesetzlichen Anordnung des § 13 Abs 4 UFG 1993 die Vergaberichtlinie 1995 erlassen, welche mit in Kraft getreten sei. Gemäß deren § 1 habe "der Förderungswerber ... bei allen nach dem Umweltförderungsgesetz geförderten Bauvorhaben die jeweils für ihn verbindlichen Vergabenormen einzuhalten". Dadurch sei bloß eine Überbindung von materiellen Verhaltenspflichten vorgenommen worden, keinesfalls jedoch eine Unterwerfung des Verpflichteten unter die Zuständigkeit von vergabespezifischen Rechtsschutzeinrichtungen; eine solche Erstreckung wäre vom UFG 1993 gar nicht gedeckt.

Weshalb dieses Vorbringen geeignet sein soll, die mangelnde Präjudizialität der Schwellenwertregelung des § 3 BVergG darzutun, bleibt freilich unerfindlich. Das BVA hat - offenbar gerade weil es davon ausgegangen ist, daß die Vergaberichtlinien der Bundesministerin für Umwelt nicht als Erstreckungsverordung im Sinne des § 8 BVergG zu qualifizieren sind - seine Zuständigkeit unter Anwendung der in Prüfung genommenen Wortfolge des § 3 BVergG abgelehnt. Dies war offenkundig denkmöglich, nach Auffassung der Bundesregierung sogar rechtsrichtig, sodaß Zweifel an der Präjudizialität dieser Bestimmung nicht gerechtfertigt sind.

Die Bundesregierung meint weiter, daß durch die Aufhebung der in Prüfung gezogenen Wortfolge die im Prüfungsbeschluß angenommene Verfassungswidrigkeit gar nicht beseitigt werden könnte, da auch diesfalls kein Rechtsschutz für den im Anlaßverfahren gegenständlichen Auftrag geschaffen werden würde. Auch dies ist unverständlich: Wenn eine gesetzliche Bestimmung, die die Geltung von außenwirksamen Vorschriften über das von Auftraggebern einzuhaltende Verfahren und über den vergabespezifischen Rechtsschutz für Vergaben unterhalb bestimmter Schwellenwert ausschließt, behoben würde, so würden die entsprechenden Vorschriften eben auch für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte gelten.

Schließlich weist die Bundesregierung darauf hin,

"daß die in Aussicht genommene Aufhebung nicht dazu führen darf, daß dem Gesetz ein vollständig veränderter, dem Rechtssetzer überhaupt nicht zusinnbarer Inhalt gegeben wird (VfSlg 12.465/1990, 14.131/1995 und 14.308/1995). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die gedachte Aufhebung einen dem Verfassungsgerichshof verwehrten Akt positiver Gesetzgebung dastellen würde (VfSlg 12.465/1990, 13.140/1992 und 13.915/1994). Gerade dies träfe jedoch auf den vorliegenden Prüfungsbeschluß zu, da die Aufhebung der in Prüfung gezogenen Wortfolge zur Konsequenz hätte, daß die vom Gesetzgeber intendierte Differenzierung der Gestaltung des Rechtsschutzes im Vergabebereich restlos beseitigt werden würde."

Die Bundesregierung meint damit offenkundig, daß der Verfassungsgerichtshof den gesamten § 3 Abs 1 in Prüfung hätte ziehen müssen. Sie berücksichtigt dabei freilich nicht ausreichend, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bei der Abwägung über die Abgrenzung der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen auch zu bedenken ist, daß die verbleibende Regelung zu keinem gemeinschaftsrechtswidrigen Ergebnis führen darf (vgl. etwa ). Die von der Bundesregierung intendierte Prüfung des gesamten Abs 1 des § 3 BVergG würde jedoch im Falle der Aufhebung evidentermaßen zu einem gemeinschaftsrechtswidrigen Ergebnis führen.

Die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes über die Präjudizialität der in Prüfung genommenen Wortfolge hat sich somit als zutreffend erwiesen. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das Verfahren zulässig.

IV. 1. In der Sache hatte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß die Schwellenwertregelung, wie sie in der Stammfassung des BVergG enthalten war, zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen der Rechtsposition von Bewerbern und Bietern im Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge führte, und legte seine Bedenken folgendermaßen dar:

"Durch das BVergG wurden die öffentlichen Auftraggeber - außenwirksam - zur Einhaltung eines bestimmten Verfahrens bei der Vergabe öffentlicher Aufträge verpflichtet und den Bewerbern und Bietern wurden vice versa Rechtspositionen zur Durchsetzung der Einhaltung der verfahrensrechtlichen Verpflichtungen der öffentlichen Auftraggeber eingeräumt. Dem Verfassungsgerichtshof ist zunächst nicht erkennbar, was es sachlich rechtfertigen könnte, Bewerbern und Bietern derartige Rechtspositionen nur einzuräumen, wenn sie sich um Aufträge über einem bestimmten Schwellenwert bemühen, nicht aber, wenn der Auftrag diese Größenordnung nicht erreicht. Wieso etwa ein Bewerber um einen Bauauftrag in der Größenordnung von 50 Mio S - anders als ein Bewerber um einen Lieferauftrag in gleicher Größenordnung oder um einen Bauauftrag in der Größenordnung von 70 Mio S - kein subjektives Recht auf Einhaltung der die öffentlichen Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bindenden Vorschriften haben soll, ist vorläufig nicht einsichtig. Auch in der Literatur wurden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung geäußert, so etwa von Thienel, Das Nachprüfungsverfahren nach dem BVergG, WBl. 1993, 374 f.

Die Schwellenwertregelung des BVergG orientiert sich an den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts. Die gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien regeln bloß die Vergabe öffentlicher Aufträge, die bestimmte Schwellenwerte übersteigen; dies im Hinblick darauf, daß Kleinaufträge für den Wettbewerb, wie ihn die Vergaberichtlinien der EG im Interesse der Herstellung eines offenen Binnenmarktes für öffentliche Aufträge vorsehen, außer Acht gelassen werden können (so die Erwägungsgründe der Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG, ABl. 1993 L 199/54).

Daß eine entsprechende, den Bewerbern und Bietern subjektive Rechte einräumende gesetzliche Regelung aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts bloß oberhalb der Schwellenwerte geboten ist, dürfte aber für sich allein die Differenzierung im nationalen Recht noch nicht rechtfertigen. Denn es ist in Lehre und verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung unbestritten, daß der Gesetzgeber bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht jedenfalls insoweit an bundesverfassungsgesetzliche Vorgaben gebunden bleibt, als eine Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben durch diese nicht inhibiert wird. Der Gesetzgeber unterliegt in diesen Fällen also einer doppelten Bindung, nämlich einer Bindung an das Gemeinschaftsrecht und einer Bindung an den verfassungsgesetzlich gezogenen Rahmen (so , mwH; vgl. auch Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 1998, 107, ebenfalls mwH). Nun bestünden keine Bedenken dagegen, daß der Gesetzgeber bei der Regelung des Verfahrens und des Rechtsschutzes im 'Unterschwellenbereich' nicht alle, gemeinschaftsrechtlich bloß für größere Aufträge erforderlichen Regelungen übernimmt, sondern andere, etwa einfachere oder leichter handhabbare Verfahrensvorschriften aufstellt (wie dies durch § 13 BVergG 1997 geschehen ist), insbesondere indem er Grenzwerte für das zu wählende Vergabeverfahren normiert, und ein vereinfachtes Rechtsschutzverfahren für Vergaben im Unterschwellenbereich zur Verfügung stellt. Daß er aber in diesem Bereich auf eine außenwirksame Regelung des Vergabeverfahrens überhaupt verzichtet, den Bewerbern und Bietern keine subjektiven Rechtspositionen einräumt und sie damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz gänzlich ausnimmt, dürfte sachlich nicht zu rechtfertigen sein, zumal in diesen Bereichen der gerichtliche Rechtsschutz nicht in allen Fällen in ausreichendem Maß greifen dürfte (vgl. (mit Hinweis auf Aicher, Die Vergabekontrollkommission in ihrer Bedeutung für die österreichische Rechtsentwicklung und für die Angleichung an das Recht der EG, in:

Korinek/Aicher, Vergabekontrollkommission, 1991, 30 f.), , B2630/96, , G120/97)."

2. Die Bundesregierung hielt dem folgendes entgegen:

"1. Zum Bedenken der Gleichheitswidrigkeit des § 3 Abs 1 des Bundesvergabegesetzes (BVergG) in der Stammfassung, BGBl Nr 462/1993:

Der Verfassungsgerichtshof hat im gegenständlichen Unterbrechungsbeschluß zum wiederholten Male festgestellt, daß der Gesetzgeber bei der Gestaltung von Regelungen, die der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht dienen, einer doppelten Bindung insoweit unterliegt, als er auch den verfassungsgesetzlich gezogenen Rahmen zu berücksichtigen hat, solange dadurch die Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nicht behindert wird.

Wie sich aus Punkt 6. (zur Frage der Sachlichkeit im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes) des allgemeinen Teils der Erläuterungen zum Stammgesetz (972 BlgNR XVIII. GP) ergibt, unterzieht das Bundesvergabegesetz in seiner Stammfassung das Vergabewesen nur soweit einer gesetzlichen Regelung, als dies zur Umsetzung der durch das EWR-Abkommen übernommenen EG-Richtlinien auf dem Gebiet des Auftragswesens unbedingt erforderlich erscheint.

Als sachliche Erwägungen für die Einführung dieser Regelungen oberhalb bestimmter Schwellenwerte auf Gemeinschaftsebene werden unter Punkt 6.2. der Erläuterungen insbesondere die Förderung und Sicherung des Bieterwettbewerbs und die Kanalisierung der Nachfragemacht öffentlicher Auftraggeber genannt. Umgekehrt ist es danach aus Gründen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit sachlich geboten, Aufträge mit kleinerem Auftragsvolumen mit entsprechend geringerem Aufwand zur Vergabe zu bringen.

Nach Ansicht der Bundesregierung ist es daher objektiv nachvollziehbar, daß sich der österreichische Gesetzgeber eben diese Grenzziehung zu eigen macht und ein aufwendiges, den Vergaberichtlinien entsprechendes, spezifisches Vergabeverfahren und Rechtsschutzsystem nur dort vorsieht, wo ein Auftrag meßbare Auswirkungen auf die Volkswirtschaft oder potentiell Auswirkungen auf den gemeinschaftsweiten Wettbewerb und den Binnenmarkt hat, was wohl erst in dem Bereich oberhalb des gemeinschaftsrechtlich determinierten Schwellenwerts der Fall sein wird.

Es darf darauf hingewiesen werden, daß der österreichischen Rechtsordnung auch in anderen Bereichen der Gedanke, Art und Ausmaß des Rechtsschutzes an die Erreichung einer bestimmten betragsmäßigen Grenze zu knüpfen, nicht fremd ist. Der Verfassungsgerichtshof selbst hat in ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß derartige Grenzziehungen aus Gründen der Verwaltungsökonomie gerechtfertigt sein können. Die Entstehung von Härtefällen im Grenzbereich bewirkt noch nicht die Gleichheitswidrigkeit der Regelung an sich (vgl. zB. VfSlg. 3568, 7891, 8767, 8942). Ebensowenig wurde die Verfassungkonformität der ebenfalls betragsmäßig festgelegten Rechtsmittelbeschränkungen der ZPO (z.B. § 502 Abs 2 und § 528 Abs 2 Z 1 erste Wortfolge) in Zweifel gezogen (vgl. OGH in EvBl. 1970/211 und RdW 1996, 475).

Im Lichte dieser Rechtsprechung wird man dem Gesetzgeber wohl auch einen Gestaltungsspielraum zugestehen müssen, in welchem Bereich er die Garantien eines durchnormierten Vergabeverfahrens gewähren möchte.

Auch seitens des Verfassungsgerichtshofes bestehen, wie sich dem gegenständlichen Beschluß entnehmen läßt, offenbar 'keine Bedenken dagegen, daß der Gesetzgeber bei der Regelung des Verfahrens und des Rechtsschutzes im 'Unterschwellenwertbereich' nicht alle, gemeinschaftsrechtlich bloß für größere Aufträge erforderlichen Regelungen übernimmt, sondern andere, etwa einfachere oder leichter handhabbare Verfahrensvorschriften aufstellt, ...'.

Es ist für die Bundesregierung jedoch nicht nachvollziehbar, wie der Gerichtshof zu dem Schluß kommt, daß ein Bieter oder Bewerber, der sich um einen Bauauftrag im 'Unterschwellenwertbereich' bemüht, einerseits kein subjektives Recht auf Einhaltung der die öffentlichen Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bindenden Vorschriften haben soll und andererseits von einem vergabespezifischen Rechtsschutz gänzlich ausgeschlossen ist. Allein aus der Tatsache, daß entsprechende Bestimmungen nicht im selben Regelungskontext normiert sind, läßt sich noch nicht zwingend erschließen, daß sie nicht existent sind, wie im folgenden zu zeigen sein wird.

2. Gerichtlicher Rechtsschutz für Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte

Nach Auffassung der Bundesregierung ist dem Verfassungsgerichtshof zuzugestehen, daß die sogenannte 'Schwellenwertregelung' im Einzelfall zu gewissen Verzerrungen führen kann. Dies zeigt nicht zuletzt das nicht allzu pointierte Beispiel, das der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss anführt. Allerdings ist die Bundesregierung doch der Auffassung, daß sich für die an der Größenordnung orientierte unterschiedliche Behandlung von Bauaufträgen sehr wohl Gründe finden lassen. Nach Einschätzung der Bundesregierung spielen dabei wohl auch die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit eine bedeutende Rolle. Es steht außer Zweifel, daß die Sonderbehandlung für die unter den 'Schwellenwerten' liegenden Bau- und Lieferaufträge für die öffentliche Hand gewisse Ersparnisse nach sich zieht. Für den Rechtsschutz und das Kontrollverfahren ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß eine Ausdehnung der Befugnisse der im Bundesvergabegesetz zur Schlichtung und Entscheidung berufenen Stellen bzw. Behörden weitere Belastungen dieser Einrichtungen nach sich ziehen würde. Demgegenüber dürfte die Übertragung der rechtsförmigen Kontrolle in Vergabeverfahren unterhalb der 'Schwellenwerte' nicht zu einer nennenswerten Belastung der dazu berufenen Gerichte führen. Diesen Aspekt läßt der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß außer Acht.

Unrichtig ist jedenfalls der von Thienel, Das Nachprüfungsverfahren nach dem BVergG, Wbl. 1993, 374 f, insinuierte Schluß, daß der Bieter und Bewerber unterhalb der 'Schwellenwerte' jeglichen Rechtsschutzes beraubt sei. Der Verfassungsgerichtshof erkennt im Gegenteil an, daß in diesen Bereichen der gerichtliche Rechtsschutz greift.

3. Zur Effektivität des zivilrechtlichen Bieterschutzes

Schon in den vorhin zitierten Erläuterungen zum BVergG in seiner Stammfassung unter Punkt 6.3 befindet sich ein Hinweis auf die (mittlerweile gefestigte) Rechtsprechung des OGH. Danach kommt den rechtswidrig übergangenen Bewerbern bzw. Bietern im nicht durch das BVergG geregelten Bereich ein zivilrechtlicher Bieterschutz zu.

Als Beispiel für die bestehende reichhaltige Judikatur des OGH sei die in ecolex 1995, 328 f veröffentlichte Entscheidung genannt, in welcher der OGH - unter Hinweis auf die grundsätzliche Entscheidung in JBl. 1990, 520 - ausgesprochen hat, daß die an einer öffentlichen Auftragsvergabe interessierten potentiellen Bieter einen vorvertraglichen Anspruch auf Gleichbehandlung mit allen anderen Bewerbern haben, und daß daraus der Anspruch auf Beteiligung am Verfahren nach Ausschreibung, den jeder interessierte Bieter mit Leistungsklage durchsetzen kann, folgt. Ausdrücklich hat der OGH in dieser Entscheidung ausgesprochen, daß eine derartige, auf Beteiligung an einer öffentlichen Ausschreibung gerichtete Klage gerade auch in dem Bereich, der unterhalb der in den §§2 bis 4 BVergG genannten Schwellenwerte liegt, möglich ist.

Auch in der Entscheidung ecolex 1992, 18 f, hat der OGH festgehalten, daß die öffentliche Hand einzelnen den sonst üblichen Abschluß eines bestimmten Vertrages nicht in gleichheitswidriger Weise, d.h. ohne sachlichen Grund verweigern darf, und hinzugefügt, daß bei ungerechtfertigter Weigerung direkt auf Leistung geklagt werden kann.

Schon in der vorerwähnten Entscheidung ecolex 1995, 328 hat es der OGH aber darüber hinaus für möglich erachtet, daß dem durch eine 'Sperre' von öffentlichen Ausschreibungen willkürlich diskriminierten Bietinteressenten zusätzlich ein Anspruch auf Unterlassung weiterer diskriminierender Handlungen zuerkannt werden kann. In der Entscheidung WBl. 1997, 217 ff, hat der OGH an dieser Rechtsansicht (Möglichkeit einer Unterlassungsklage) festgehalten und darüber hinaus - und dies erscheint für die Effizienz des 'bloßen' zivilrechtlichen Schutzes eines Bieters von besonderer Bedeutung - ausgesprochen, daß zur Sicherung eines derartigen Unterlassungsanspruches die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zulässig ist. So kann mit einstweiliger Verfügung etwa der ausschreibenden Stelle geboten werden, in einem konkreten Vergabeverfahren die Zuschlagserteilung an ein bestimmtes Unternehmen zu unterlassen.

Für den Anlaßfall läßt sich anhand der oben dargelegten Judikatur festhalten, daß auch außerhalb der Bestimmungen des BVergG in der Stammfassung, BGBl. Nr. 462/1993 (insbesondere der Bestimmungen der §§91 Abs 2 und 93 leg.cit) durch Inanspruchnahme des zivilrechtlichen Instrumentariums für die übergangenen Bieter bzw. Bewerber ein effizientes und ausreichendes Rechtsschutzsystem zur Verfügung steht.

Die Bundesregierung kann sich daher nicht der Auffassung anschließen, daß unterhalb der im BVergG festgesetzten Schwellenwerte 'keine Rechtsschutzmöglichkeiten' bestünden. Auch Meinungen, denen zufolge bestimmte Benachteiligungen im Zuge des Vergabeverfahrens durch Schadenersatzansprüche nicht ausgeglichen werden könnten, lassen die vorerwähnte Judikatur, die dem zu Unrecht übergangenen Bieter bzw. Bewerber neben den Schadenersatzansprüchen auch Unterlassungsansprüche einschließlich der Erwirkung von einstweiligen Verfügungen einräumt, außer Acht.

Weiters ist aus der Sicht der Bundesregierung festzuhalten, daß das Vergabewesen im wesentlichen Vertragsrecht regelt, also klassisches Zivilrecht. Die Kontrolle durch ordentliche Gerichte kann daher im Vergleich zur Kontrolle durch (wie im BVergG vorgesehen) gerichtsähnliche Kontrollinstanzen keineswegs als geringerwertig eingestuft werden.

Im übrigen gibt die Bundesregierung zu bedenken, daß eine Aufhebung der Schwellenwertregelung für Bau- und Baukonzessionsaufträge konsequenterweise auch eine Aufhebung der Schwellenwerte für die anderen Auftragsarten nach sich ziehen müßte. Zusätzlich ist bei Aufträgen im Unterschwellenwertbereich erfahrungsgemäß ein größerer Bieterkreis zu gewärtigen als im Oberschwellenwertbereich, was - bei Wegfall der Schwellenwerte - zur Folge hätte, daß auch eine größere Anzahl von Unternehmern ein Nachprüfungsverfahren nach den Bestimmungen des BVergG einleiten könnte. Eine massive Steigerung der Anzahl der Nachprüfungsverfahren vor den Vergabeinstanzen ist daher absehbar.

Im Hinblick darauf, daß die vergabespezifischen Rechtschutzeinrichtungen des Bundes (BVKK, BVA) schon derzeit überlastet sind, wird eine derartige Ausweitung der Rechtsschutzmöglichkeiten eine effiziente Vergabekontrolle wohl unmöglich machen. Darüber hinaus wird es dadurch gerade bei geringwertigeren Auftragsvergaben im Unterschwellenwertbereich - im Vergleich zur bestehenden Rechtslage - zu unwirtschaftlichen Verzögerungen bei Ausschreibungen kommen, was einer der Hauptzielsetzungen des Vergaberechts völlig zuwiderläuft.

Um diese negativen Auswirkungen zu verhindern und die Effizienz der Vergabeverfahren vor allem im Bereich oberhalb der Schwellenwerte zu sichern (was gemeinschaftsrechtlich geboten ist!), wäre der Gesetzgeber verpflichtet, bestimmte Filter (Gebühren, Erfolgsaussichten, Beschränkung auf Rechtsfragen, etc.) im Bereich des Rechtsschutzes durch die Kontrollinstanzen des BVergG einzubauen, um eine Beschränkung der Zugangsmöglichkeiten erzielen. Ob dies eine Verbesserung gegenüber der bestehenden Situation zu bewirken vermag, darf bezweifelt werden."

3. Die Ausführungen der Bundesregierung sind nicht geeignet, die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zu zerstreuen: Der Umstand, daß die Schwellenwertregelung den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entspricht, vermag sie noch nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner im Prüfungsbeschluß näher dargelegten Auffassung, daß gesetzliche Regelungen insofern einer doppelten Bindung unterliegen, als sie sowohl den gemeinschaftsrechtlichen als auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen müssen. Auch durch das Gemeinschaftsrecht ermöglichte Regelungen können daher vor dem Gleichheitsgrundsatz nur dann Bestand haben, wenn sie zu keinen sachlich nicht zu rechtfertigenden Differenzierungen führen (vgl. VfSlg. 15.106/1998 mit weiteren Hinweisen auf Judikatur und Literatur).

a) Das erste Bedenken des Verfassungsgerichtshofes ging nun dahin, es widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz, daß das bei der Vergabe öffentlicher Aufträge einzuhaltende Verfahren nur im Bereich oberhalb bestimmter Schwellenwerte gesetzlich geregelt war, sodaß den Bewerbern und Bietern Rechtspositionen nur in diesem Bereich eingeräumt waren. Zur Zeit der Geltung der in Prüfung stehenden Regelung (idF vor der Novelle BGBl. 776/1996; durch diese Novelle wurde die ÖNORM A 2050 Ausgabedatum - mit bestimmten Ausnahmen und Modifikationen - für den Unterschwellenbereich gesetzlich für verbindlich erklärt, sodaß seither auch hier eine außenwirksame gesetzliche Regelung des Vergabeverfahrens besteht) gab es weder im BVergG noch in anderen gesetzlichen Vorschriften außenwirksame gesetzliche Regelungen über das bei der Vergabe einzuhaltende Verfahren, aus denen die Bewerber und Bieter subjektive Rechte hätten ableiten können. Die in fast allen Bereichen existierenden sog. "selbstbindenden Verwaltungsvorschriften", die für die mit der Vergabe betrauten Bediensteten verbindlich waren und mit denen in der Regel die Vorschriften der ÖNORM A 2050 (teilweise jener des Jahres 1957, teilweise jener aus 1993), allerdings in der Regel mit - unterschiedlichen - Abweichungen, verbindlich gemacht wurden, waren als generelle Weisungen etwa eines Bundesministers naturgemäß nicht geeignet, den Bundesminister selbst zu binden, noch auch waren sie außenwirksam in dem Sinn, daß die Bewerber und Bieter aus ihnen ein subjektives Recht auf Einhaltung der selbstbindenden Vorschriften ableiten konnten. Zwar hat die zivilgerichtliche Judikatur - zum Teil unter Heranziehung des Instituts der culpa in contrahendo, zum Teil aus der Fiskalgeltung des Gleichheitsgrundsatzes - unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche von Bewerbern und Bietern anerkannt, doch substituiert dies nicht eine außenwirksame gesetzliche Regelung, durch die den Bewerbern und Bietern unmittelbar subjektive Rechtspositionen auf Einhaltung der die vergebenden Stellen bindenden Vorschriften eingeräumt werden. Dies wird insbesondere deutlich, wenn man bedenkt, daß die "selbstbindenden Verwaltungsvorschriften" größtenteils nicht publiziert waren und es den Bietern und Bewerbern daher oft gar nicht möglich war, deren Einhaltung zu kontrollieren und allenfalls zu erstreiten.

Grenzwertregelungen, wie sie sich in der Rechtsordnung häufig finden, sind keineswegs a priori unsachlich. Wenn die Bundesregierung aber meint, es stehe im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, in welchen Bereichen er die Garantien eines durchnormierten Vergabeverfahrens gewähren möchte, und dem Gesetzgeber sei nicht entgegenzutreten, wenn er ein spezifisches Vergabeverfahren nur dort vorsehe, wo ein Auftrag meßbare Auswirkungen auf die Volkswirtschaft habe, so ist ihr zu erwidern, daß ein solcher rechtspolitischer Gestaltungsspielraum nicht unbegrenzt besteht. Der Verfassungsgerichtshof hat schon im Prüfungsbeschluß darauf hingewiesen, daß es unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, würde der Gesetzgeber - wie er es übrigens durch die Verbindlicherklärung der ÖNORM A 2050 mit der Novelle BGBl. 776/1996 getan hat - für die Vergabe von Aufträgen geringeren Wertes vereinfachte Vorschriften vorsehen und auf ein aufwendiges Vergabeverfahren verzichten. Auch bestehen keine Bedenken dagegen, vergebenden Stellen bei der Beschaffung von Gütern und Leistungen geringen Wertes freihändige Vergaben ohne formalisiertes Vergabeverfahren zu ermöglichen. Nicht ist es jedoch sachlich zu rechtfertigen, im Unterschwellenbereich den Bewerbern und Bietern nicht einmal ein Minimum an Verfahrensgarantien zu gewährleisten; das aber ist die Konsequenz der Schwellenwertregelung, wie sie sich in der Stammfassung des BVergG findet.

Der Verzicht auf jedwede außenwirksame Regelung des Vergabeverfahrens im Unterschwellenbereich und die damit verbundene Konsequenz für die Rechtsstellung der Bewerber und Bieter erweist sich somit als gleichheitswidrig.

b) Weiters hatte der Gerichtshof das Bedenken, es widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz, daß es im "Unterschwellenbereich" einen vergabespezifischen Rechtsschutz überhaupt nicht gebe. Es bestünden keine Bedenken dagegen, hier ein vereinfachtes Rechtsschutzverfahren einzuführen; den vergabespezifischen Rechtsschutz aber gänzlich auszuschalten, dürfte sachlich nicht zu rechtfertigen sein, zumal der gerichtliche Rechtsschutz nicht in allen Fällen in ausreichendem Maße greifen dürfte.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner das Tiroler Vergabegesetz idF LGBl. Nr. 87/1994 betreffenden Entscheidung VfSlg. 15.106/1998 zum - damaligen - gänzlichen Ausschluß von Vergaben im sog. Sektorenbereich vom vergabespezifischen Rechtsschutz festgehalten, daß

"die vergabespezifischen Rechtsvorschriften des TirVergG sichern (sollen), daß den Bewerbern und Bietern ein den besonderen Anforderungen des Vergabewesens entsprechender, umfassender, rascher und effektiver Rechtsschutz gewährt wird, der die in der Lehre konstatierten Defizite bloß gerichtsförmiger Kontrolle des Vergabeverfahrens (vgl. insb. Aicher, Die Vergabekontrollkommission in ihrer Bedeutung für die österreichische Rechtsentwicklung und für die Angleichung an das Recht der EG, in: Korinek-Aicher, Vergabekontrollkommission, 1991, 19 ff., insb. 30 f.) ausgleichen soll".

Eine sachliche Rechtfertigung für den Ausschluß eines vergabespezifischen Rechtsschutzes für bestimmte Vergaben konnte der Gerichtshof nicht erkennen. In seiner das BVergG betreffenden Entscheidung VfSlg. 15.204/1998 bekräftigte er diese Auffassung und sieht sich auch im gegebenen Zusammenhang nicht veranlaßt, von ihr abzugehen.

Der Verfassungsgerichtshof hat in diesen Entscheidungen nicht zum Ausdruck gebracht, daß es unmöglich wäre, durch entsprechende Gestaltung der zivilverfahrensrechtlichen Vorschriften einen unter den in VfSlg. 15.106/1998 genannten Aspekten effektiven Rechtsschutz einzurichten. Er hat allerdings die Auffassung vertreten, daß es der derzeitigen Ausgestaltung des zivilrechtlichen Bieterschutzes in der Phase der Kontrolle des Vergabeverfahrens vor Zuschlagserteilung an der notwendigen Effektivität mangelt, sodaß die gänzliche Ausschaltung eines vergabespezifischen Rechtsschutzes für Teilbereiche der Vergabekontrolle den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht entspricht.

Die Bundesregierung legt in ihrer Äußerung zu Recht dar, es wäre nicht richtig anzunehmen, daß es immer dann, wenn ein vergabespezifischer Rechtsschutz nicht eingerichtet ist, an jeglichem Rechtsschutz mangle. Die jüngere zivilgerichtliche Judikatur hat in der Tat in verschiedenen Konstellationen Wege gefunden, auch in solchen Fällen einen gewissen Rechtsschutz zu gewährleisten (vgl. etwa die Hinweise bei Elsner, Vergaberecht, 1999, 90 f.). Ungeachtet dessen hat der Verfassungsgerichtshof in den zitierten Entscheidungen erkannt, daß der gänzliche Ausschluß bestimmter öffentlicher Vergaben vom vergabespezifischen Rechtsschutz dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht, weil der bloß gerichtsförmigen Kontrolle des Vergabeverfahrens ausschlaggebende Defizite anhaften. Er bleibt bei dieser Ansicht: Für die Effektivität des vergaberechtlichen Rechtsschutzes ist im Bereich der Kontrolle des Vergabeverfahrens vor der Zuschlagserteilung für den Bieter zum einen entscheidend, daß das Verfahren nicht allzu aufwendig gestaltet ist, und zum anderen, daß er rasch und einfach zu den (für den Bereich oberhalb der Schwellenwerte gemeinschaftsrechtlich verpflichtend vorzusehenden) Provisorialentscheidungen gelangen kann; für die betroffenen Auftraggeber und die zum Zuge gekommenen Bieter ist es hingegen von entscheidender Bedeutung, daß die Entscheidungen rasch erfolgen und Vergabeverfahren und Zuschlagserteilung nicht in einer den öffentlichen Interessen widersprechenden Weise ungebührlich verzögert werden. Nun fehlt es aber - wie auch in der Literatur betont wird (vgl. etwa Schlosser, Reformbedarf im Vergaberechtsschutz aus der Sicht eines Senatsvorsitzenden des Bundesvergabeamtes, JRP 1999, 242 f., und Aicher, Aspekte des Vergaberechtsschutzes vor den Zivilgerichten, JRP 1999, 253 ff.) - derzeit an geeigneten zivilverfahrensrechtlichen Vorschriften, die den besonderen Bedürfnissen einer raschen, vielfach keinen Aufschub duldenden, vergaberechtlichen Rechtskontrolle Rechnung tragen.

Das ist der Grund dafür, daß die vergaberechtlichen Vorschriften des Bundes und der Länder im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes vergabespezifische Rechtsschutzinstrumente für die Kontrolle der Einhaltung der Regelungen des Vergabeverfahrens vorsehen. Diese nur für Vergaben oberhalb bestimmter Schwellenwerte zur Verfügung zu stellen und bei Vergaben von Aufträgen geringeren Wertes in bestimmten Konstellationen auf einen solchen zu verzichten und sich ansonsten mit einem weniger effektiven Rechtsschutz zu begnügen, nämlich den Rechtsschutz in diesem Bereich komplizierter und aufwendiger zu gestalten, ist sachlich nicht zu rechtfertigen:

Zwar bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Regelung, die bei Verfahren unterhalb bestimmter Wertgrenzen Verfahrensvereinfachungen oder Verfahrensbeschleunigungen vorsieht, die die Entscheidungskompetenz Einzelrichtern überträgt, die denkbare Rechtszüge beschänkt o.ä. Nicht aber ist es sachlich gerechtfertigt, in solchen Fällen die Kontrolle aufwendiger zu gestalten, Provisorialentscheidungen zu erschweren und das Interesse des Auftraggebers an raschen Entscheidungen geringer zu veranschlagen.

Mit anderen Worten: Die Konsequenzen des gerichtlichen Bieterschutzes für die Kontrolle des Vergabeverfahrens vor der Zuschlagsentscheidung stehen in keiner sachlichen Relation zu den unterschiedlichen tatsächlichen Gegebenheiten, an die sie anknüpfen.

Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich somit auch insoweit als gerechtfertigt erwiesen.

c) Es war daher auszusprechen, daß die in Prüfung genommene Wortfolge verfassungswidrig war.

V. Entgegen der Auffassung der Bundesregierung kommt für den Fall eines solchen Ausspruchs eine Fristsetzung nicht in Betracht.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG iVm § 2 Abs 1 Z 4 BGBlG.

VI. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.