VfGH vom 01.10.1992, g107/92
Sammlungsnummer
13179
Leitsatz
Aufhebung der die unmittelbare Anrufbarkeit des unabhängigen Verwaltungssenats mit Berufung regelnden Bestimmung des VStG mangels Zustimmung der Länder zur Kundmachung; Erfordernis der Zustimmung der Länder auch hinsichtlich der Bedarfskompetenz des Bundes zur Regelung des Verwaltungsverfahrens
Spruch
I. Die Anträge des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, in § 51 Abs 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, die Wortfolgen "an den unabhängigen Verwaltungssenat" und ", in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde" als verfassungswidrig aufzuheben, werden zurückgewiesen.
II. § 51 Abs 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich stellte durch eines seiner Mitglieder (§51 c VStG) zum AZ G103/92 in dem bei ihm anhängigen Verfahren über die Berufung des Gerhard Schlack gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Marktgemeinde Artstetten-Pöbring vom , Z 4/1991-Sch, womit wegen der Übertretung nach § 115 Abs 1 Z 1 und Abs 2 iVm § 92 Abs 1 Z 8 NÖ BauO 1976, LGBl. 8200, eine 10.000 S nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, gemäß Art 140 Abs 1 iVm Art 129 a Abs 3 und Art 89 Abs 2 B-VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge "in § 51 Abs 1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52, die Wortfolgen 'an den unabhängigen Verwaltungssenat' und ', in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde', in eventu § 51 Abs 1 VStG zur Gänze als verfassungswidrig auf(zu)heben."
1.1.1.2. Der antragstellende Senat führte zur Frage der Präjudizialität der angefochtenen Norm aus:
"Beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich
ist eine Berufung gegen ein Straferkenntnis der Marktgemeinde
Artstetten-Pöbring vom . . . anhängig. Darin wird
über den Berufungswerber eine Geldstrafe in der Höhe von 6.000 S
(Ersatzfreiheitsstrafe: drei Tage) wegen Übertretung des § 115
Abs1 Z 1 iVm § 115 Abs 2 NÖ BauO 1976 . . . verhängt. Das
Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber am
zugestellt, er hat seine Berufung dagegen am und
somit rechtzeitig bei der Marktgemeinde Artstetten-Pöbring
eingebracht. . .
Da die Tat laut erstinstanzlichem Straferkenntnis in Niederösterreich begangen wurde, begründet § 51 Abs 1 VStG die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, die Bestimmung ist somit für den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich im vorliegenden Fall präjudiziell."
Zur Sache selbst heißt es ua.:
"Das Verwaltungsstrafgesetz 1991 sieht die unmittelbare Anfechtung der Bescheide erster Instanz bei den unabhängigen Verwaltungssenaten vor. Wie Thienel (Das Verfahren der Verwaltungssenate, zweite Auflage, Wien 1992, S 221 - 226) ausführlich und nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich schlüssig darlegt, ist der Bund zu dieser Regelung aufgrund seiner Bedarfskompetenz nach Art 11 Abs 2 B-VG zuständig. Allerdings normiert Art 129 a Abs 2 zweiter Satz B-VG hiefür in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung sowie der Art 11 und 12 die Zustimmung der beteiligten Länder als Kundmachungsvoraussetzung.
Der Wortlaut des Art 129 a Abs 2 B-VG bietet keinerlei Anhaltspunkt für die Annahme, daß sich dieser Verweis lediglich auf den ersten und nicht auch auf den zweiten Absatz des Art 11 bezieht. Weder der Text der Verfassung noch die Materialien zur Verfassungsnovelle - der Ausschußbericht (817 BlgNR XVII. GP) enthält hinsichtlich des Art 129 a Abs 2 B-VG keinerlei Aussage - legen eine vom klaren Gesetzeswortlaut abweichende restriktive Auslegung nahe (Thienel, S 34). Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich ist daher der Ansicht, daß der aufgrund der Bedarfskompetenz nach Art 11 Abs 2 B-VG erlassene § 51 Abs 1 VStG mangels der gemäß Art 129 a Abs 2 B-VG erforderlichen Kundmachungszustimmung der Länder (im gegenständlichen Fall des Landes Niederösterreich) verfassungswidrig ist.
Die aufgezeigte Verfassungswidrigkeit könnte - sieht man von einer laut Thienel (S 226) zulässigen Sanierung durch nachträgliche Einholung der Zustimmung ab - durch Aufhebung der Wortfolgen 'an den unabhängigen Verwaltungssenat' und ', in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde' beseitigt werden. Dadurch wäre sichergestellt, daß die Anrufung eines unabhängigen Verwaltungssenates nicht die einzige Berufungsmöglichkeit darstellt. Für den Fall, daß durch eine lediglich teilweise Aufhebung des § 51 Abs 1 VStG der Sinn des Gesetzes gegen den Willen des Gesetzgebers völlig verändert würde, wird in eventu die Aufhebung des ganzen ersten Absatzes beantragt.
. .
Schließt man sich der in den Gesetzesmaterialien zur VStG-Novelle BGBl. 358/1990 (1090 BlgNR XVII. GP) vertretenen Meinung an, daß sich der Verweis in Art 129 a Abs 2 zweiter Satz B-VG nur auf Sachmaterien, also nicht auch auf den zweiten Absatz des Art 11 B-VG bezieht, dann stellt sich die Frage, warum Art 129 a Abs 2 zweiter Satz B-VG nicht auch auf den im gegenständlichen Fall (NÖ BauO) maßgeblichen Art 15 B-VG verweist. Der Verweis bezöge sich nämlich auf solche Sachmaterien, bei welchen Landesorgane (Landeshauptmann bzw. Landesregierung) Vollzugskompetenzen haben. Wenn nun in einer Angelegenheit des Art 15 B-VG den Ländern keine Mitwirkung gemäß Art 129 a Abs 2 zweiter Satz B-VG eingeräumt wird, dann kann es sich dabei nur um eine unbeabsichtigte Lücke handeln oder der Verfassungsgesetzgeber ist davon ausgegangen, daß die Länder im Rahmen des Art 15 B-VG allein für die Regelung des Instanzenzuges zuständig sind und hier kein Fall der Bedarfsgesetzgebung gemäß Art 11 Abs 2 B-VG vorliegt.
Andernfalls käme man zu dem unverständlichen Ergebnis, daß die Länder zwar im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung sowie der Art 11 und 12 B-VG eine Mitwirkungsbefugnis hätten, daß aber dort, wo sowohl die Gesetzgebung als auch die Vollziehung in die Zuständigkeit der Länder fällt, der Bund die direkte Anrufbarkeit der unabhängigen Verwaltungssenate ohne Mitwirkung der Länder normieren könnte.
Art 129 a Abs 2 B-VG könnte somit auch dahingehend interpretiert werden, daß in den Angelegenheiten der unmittelbaren Bundesverwaltung der Bundesgesetzgeber die unmittelbare Anfechtung erstinstanzlicher Entscheidungen bei den unabhängigen Verwaltungssenaten vorsehen kann, ohne daß es der Zustimmung der Länder bedürfte, in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung sowie der Art 11 und 12 B-VG derartige Bundesgesetze nur mit Zustimmung der beteiligten Länder kundgemacht werden dürfen und in den Angelegenheiten des Art 15 B-VG ausschließlich die Länder dazu berufen sind, die unmittelbare Anrufung der unabhängigen Verwaltungssenate gegen erstinstanzliche Bescheide zu normieren.
Sollte der Verfassungsgesetzgeber tatsächlich davon ausgegangen sein, daß in Angelegenheiten des Art 15 B-VG ausschließlich die Länder die unmittelbare Berufungsmöglichkeit an die unabhängigen Verwaltungssenate vorsehen dürfen, dann folgt daraus, daß unter der Annahme, daß § 51 Abs 1 VStG generell die unabhängigen Verwaltungssenate als zweite Instanz in Verwaltungsstrafsachen vorsieht, diese Bestimmung im Fall einer Angelegenheit gemäß Art 15 B-VG verfassungswidrig ist oder sich § 51 Abs 1 VStG verfassungskonform dahingehend interpretieren ließe, daß diese Bestimmung landesgesetzlichen Zuständigkeitsregelungen nicht derogiert; im gegenständlichen Fall wäre dann gemäß § 116 Abs 7 NÖ BauO ... die Bezirkshauptmannschaft, wenn der angefochtene Bescheid von einer solchen oder einem Magistrat erlassen wurde, die Landesregierung Strafbehörde zweiter Instanz, der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich könnte folglich erst in dritter Instanz angerufen werden ..."
1.1.2.1. Die zur Äußerung aufgeforderte Bundesregierung gab eine schriftliche Stellungnahme ab. Sie begehrte zunächst, der Verfassungsgerichtshof wolle den (Primär-)Antrag auf Aufhebung der Wortfolgen "an den unabhängigen Verwaltungssenat" und ", in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde" zurückweisen, verteidigte aber im übrigen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Norm und trat dafür ein, § 51 Abs 1 VStG nicht als verfassungswidrig aufzuheben.
1.1.2.2. Begründend wurde ua. wörtlich vorgebracht:
"Zu den Prozeßvoraussetzungen:
Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes hat sich die Aufhebung einer verfassungswidrigen Bestimmung darauf zu beschränken, jene Teile einer gesetzlichen Bestimmung zu beseitigen, durch deren Wegfall die Verfassungswidrigkeit behoben würde. Wie der Verfassungsgerichtshof aber ebenfalls mehrfach ausgesprochen hat, ist bei einer teilweisen Aufhebung einer Regelung darauf Bedacht zu nehmen, daß der verbleibende Teil der Bestimmung nicht eine Veränderung seiner Bedeutung erfährt ( u.a., mit Hinweis auf VfSlg. 7376/1974 und 7726/1975).
Diese an sich zur Frage des Umfangs der Aufhebung entwickelte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes hat auch Rückwirkungen auf die Zulässigkeit von Anträgen auf Aufhebung von gesetzlichen Bestimmungen (so der Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis vom , G181/86 u.a., hinsichtlich der Einleitung eines Prüfungsverfahrens von Amts wegen, für die auf Antrag eingeleiteten Verfahren hat der Verfassungsgerichtshof diese Auffassung ebenfalls ausdrücklich vertreten, vgl. VfSlg. 8155/1977). Wenn bei Aufhebung bloß eines Teiles einer Norm der Sinn der verbleibenden Bestimmung nicht mehr dem erkennbaren gesetzgeberischen Willen entspräche, wäre nur der Antrag auf Aufhebung der gesamten Regelung zulässig.
Ein derartiger Fall liegt beim Antrag des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vor. Der Antrag auf Aufhebung lediglich der beiden im Antrag bezeichneten Wortfolgen in § 51 Abs 1 VStG erscheint unzulässig. Damit würde nämlich nicht bloß die gesetzgeberische Absicht, die unmittelbare Anrufbarkeit der unabhängigen Verwaltungssenate gegen Entscheidungen der ersten und einzigen Administrativinstanz vorzusehen und das für das Berufungsverfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten geltende Verfahrensrecht zu regeln, vereitelt, sondern - gleichsam positiv rechtsschöpfend - die Zuständigkeit der Administrativbehörden für Berufungen in Verwaltungsstrafsachen begründet. Dabei würde für diese Behörden keine ausdrückliche verfahrensrechtliche Regelung mehr bestehen. Es wäre weiters keine Regelung darüber im VStG enthalten, ob es zwei oder mehrere Administrativinstanzen gibt, sodaß gegebenenfalls weitere Berufungen an übergeordnete Verwaltungsbehörden zulässig wären. Insgesamt wäre der damit hervorgerufene Bedeutungswandel des verbleibenden Normtextes so gravierend, daß eine bloß teilweise Aufhebung des § 51 Abs 1 VStG unzulässig erscheint. Nach der vom Verfassungsgerichtshof in vergleichbaren Fällen angestellten Überlegung, daß abzuwägen sei, durch welche Aufhebung die Rechtsordnung weniger einschneidend verändert würde, kommt im vorliegenden Fall - die Verfassungswidrigkeit der Regelung einmal angenommen - nur die Aufhebung des gesamten § 51 Abs 1 VStG in Betracht.
In der Sache:
Zunächst sei außer Streit gestellt, daß vor der Kundmachung des Bundesgesetzes BGBl. 358/1990 die Zustimmung der Länder, somit auch jene des Landes Niederösterreich, nicht eingeholt wurde.
Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich beruft sich zur Begründung seiner Auffassung, daß dies verfassungswidrig sei, im wesentlichen auf Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate, 2. Aufl., 34. Da der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich selbst keine weitere Begründung für seine Auffassung gibt, sondern ausdrücklich die erwähnte Lehrmeinung (derzufolge gemäß Art 129 a Abs 2 zweiter Satz B-VG auch ein Bundesgesetz aufgrund der Bedarfskompetenz nach Art 11 Abs 2 B-VG der Zustimmung der Länder bedarf, wenn es die Anrufbarkeit des unabhängigen Verwaltungssenats gegen Entscheidungen der ersten und einzigen Administrativinstanz vorsieht) zu seiner eigenen macht, ist im folgenden näher auf diese Rechtsmeinung einzugehen.
Vorauszuschicken ist, daß zur Frage, ob die Erlassung der in § 51 Abs 1 VStG getroffenen Regelung der (unmittelbaren) Anrufbarkeit des unmittelbaren (gemeint: unabhängigen) Verwaltungssenats im Berufungswege in die Kompetenz des Bundesgesetzgebers gemäß Art 11 Abs 2 B-VG fällt, keine weiteren Ausführungen erforderlich erscheinen. In dieser Hinsicht gehen nämlich sowohl die Bundesregierung als auch die vom antragstellenden unabhängigen Verwaltungssenat zugrundegelegte Rechtsmeinung davon aus, daß dies zu bejahen sei.
Fraglich ist daher lediglich, ob sich das (Zustimmungs-)Erfordernis des Art 129 a Abs 2 B-VG auch auf Art 11 Abs 2 B-VG bezieht. Thienel (aaO 34) meint, daß schon der Wortlaut des Art 129 a Abs 2 B-VG gegen die in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur VStG-Novelle 1990, 1090 BlgNR XVII. GP 17, vertretene - gegenteilige - Auffassung spreche. Er begründet dies damit, daß in Art 129 a Abs 2 B-VG - zu ergänzen wäre: im ersten Satz! - von der unmittelbaren Anfechtbarkeit erstinstanzlicher Entscheidungen die Rede sei, ohne daß zwischen verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Bescheiden differenziert werde.
Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß die Frage, welche bundesgesetzlichen Bestimmungen der Zustimmung der beteiligten Länder bedürfen, ausschließlich in Art 129 a Abs 2 zweiter Satz B-VG geregelt ist. Art 129 a Abs 2 zweiter Satz B-VG nimmt aber auf 'Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung sowie der Art 11 und 12' Bezug. Eine Wortinterpretation - wie sie die erwähnte Lehrmeinung offenbar vertritt - muß sohin klären, was die Worte 'Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung sowie der Art 11 und 12' im einzelnen bedeuten. Soweit Thienel dabei auf den Wortlaut dieses Satzes verweist, ist darauf aufmerksam zu machen, daß es nicht zutreffend wäre, von einem allgemeinen Verständnis des Wortes 'Angelegenheiten' auszugehen. Es ist nämlich keineswegs so, daß Art 129 a Abs 2 'auf Art 11 B-VG schlechthin' verweist. Die Bestimmung nimmt vielmehr ausdrücklich auf die 'Angelegenheiten ... (des) Art 11' Bezug.
Wenn man nun unter dem Gesichtspunkt dieser spezifischen Wortwahl in Art 129 a B-VG die Kompetenzartikel der Art 10 ff B-VG analysiert, so fällt auf, daß der Bundesverfassungsgesetzgeber darin jeweils vorsieht, daß die Gesetzgebung und die Vollziehung 'in folgenden Angelegenheiten' (vgl. Art 10 Abs 1, Einleitung, Art 11 Abs 1, Einleitung, und Art 12 Abs 1, Einleitung, sowie Art 15 Abs 1) einer bestimmten Gebietskörperschaft zukomme.
Nun trifft es zwar zu, daß das Wort 'Angelegenheiten' auch in Art 11 Abs 2 B-VG Verwendung findet, nämlich derart, daß nach diesem Absatz unter den dort genannten Voraussetzungen 'das Verwaltungsverfahren, die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes, das Verwaltungsstrafverfahren und die Verwaltungsvollstreckung auch in den Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung den Ländern zusteht, insbesondere auch in den Angelegenheiten des Abgabenwesens', durch Bundesgesetz geregelt werden kann.
Daraus folgt aber, daß der Verfassungsgesetzgeber in diesem Zusammenhang zwischen 'Angelegenheiten' einerseits (worunter nichts anderes zu verstehen ist als die in den Kompetenzartikeln im übrigen ausdrücklich oder implizit geregelten (Regelungs-)Bereiche) und dem 'Verwaltungsverfahren', den 'allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes', dem 'Verwaltungsstrafverfahren' und der 'Verwaltungsvollstreckung' (in diesen 'Angelegenheiten') andererseits unterscheiden wollte. Dieses Auslegungsergebnis wird im übrigen durch Art 11 Abs 4 B-VG bestätigt, welche Bestimmung die spezifische kompetenzrechtliche Struktur des 'Verwaltungsverfahrens', der 'allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes', des 'Verwaltungsstrafverfahrens' und der 'Verwaltungsvollstreckung' erneut deutlich macht.
Einer derartigen 'an der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang' orientierten Auslegung ist im Hinblick auf die in der Lehre anerkannten Auslegungsgrundsätze der Vorzug zu geben ...
Von den zu Art 129 a Abs 2 B-VG zu entwickelnden
Normhypothesen hat daher jene, die dem aus dem Zusammenhang ableitbaren Wortsinn den Vorrang einräumt, einen erhöhten Grad der Plausibilität für sich (vgl. zur Auslegung des Wortsinns nach dem Kontext: Korinek, Zur Interpretation von Verfassungsrecht, in:
FS Robert Walter, 363, hier: 366, unter Hinweis auf Rill,
Hermeneutik des kommunikationstheoretischen Ansatzes, in:
Vetter-Potacs (Hrsg.), Beiträge zur juristischen Hermeneutik (1990), 53 ff., insbesondere 60 ff.).
Wenn man bei der Auslegung des Art 129 a Abs 2 zweiter Satz B-VG an die erwähnte Begriffsbildung des Art 11 B-VG anknüpft - und der gleichartige Wortlaut dieser Bestimmung gebietet dies (arg. '(I)n den Angelegenheiten ... der Art 11 und 12 ...') -, so ergibt sich, daß im Hinblick auf die dort verwendete Terminologie, derzufolge bestimmte Angelegenheiten entweder vom Bund oder von den Ländern geregelt werden können und derzufolge die in Art 11 Abs 2 geregelte Bedarfskompetenz Regelungen erlaubt, welche ansonsten nach dem Adhäsionsprinzip zusammen mit einer bestimmten Angelegenheit vom jeweiligen Gesetzgeber geregelt werden könnten, auch Art 129 a Abs 2 B-VG den Begriff der Angelegenheiten iS einer 'Sachmaterie' in den Art 10 bis 12 B-VG verwendet. Die Gegenstände, die aufgrund des Art 11 Abs 2 B-VG geregelt werden können, werden dagegen offenbar von der Bundesverfassung nicht als 'Angelegenheiten' verstanden.
Es trifft daher nicht zu, daß der Wortlaut des Art 129 a Abs 2 B-VG die in den Materialien zur VStG-Novelle 1990 vertretene Auffassung widerlege.
Aber auch eine teleologische Auslegung kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Wenn man damit argumentieren wollte, daß kein Grund ersichtlich sei, weshalb die Mitsprachemöglichkeit der Länder nur hinsichtlich materieller Bescheide, die keine Strafbescheide sind, bestehen soll, so ist demgegenüber darauf hinzuweisen, daß nach den Grundsätzen der Verfassungsauslegung einem allenfalls hinter einer Norm stehenden Motiv für die Auslegung nur dann ein Übergewicht zukommen kann, wenn der Wortlaut zweifelhaft und der vermeintliche Sinn bzw. das behauptete Motiv eindeutig feststellbar ist. Bei der hier vertretenen Auffassung, daß sich aus dem Wortlaut eine Bezugnahme auf die vom B-VG als 'Angelegenheiten' bezeichneten Kompetenztatbestände ergebe, wäre daher eine andere Auslegung kraft ergänzender teleologischer Interpretation insbesondere nur zulässig, wenn das behauptete Motiv tatsächlich (auch für den Bereich des Art 11 Abs 2 B-VG) nachweisbar wäre. (Diese Auffassung entspricht auch der vom Verfassungsgerichtshof bei der Verfassungsauslegung angewendeten Maxime vom Vorrang des Wortlautes; VfSlg. 2872/1955, 3437/1958; vgl. auch Schäffer, Die Interpretation, in: Schambeck (Hrsg.), Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, 57).
Wie Thienel, aaO, 35, jedoch zutreffend hervorhebt, wurde dieses vermutlich hinter der Norm stehende Motiv nicht explizit gemacht.
Wenn er darauf hinweist, daß die Mitsprachemöglichkeit der Länder 'auch dann notwendig (sei), wenn es um Strafbescheide oder um verfahrensrechtliche Bescheide' geht, so ist dazu festzuhalten, daß bei dieser Überlegung eine rechtspolitische Wertung einfließt, von der sich nicht belegen läßt, daß sie vom historischen Verfassungsgesetzgeber angestellt wurde.
Es ist vielmehr im Gegenteil darauf hinzuweisen, daß es nachweislich der Wille des Verfassungsgesetzgebers war, mit der B-VG-Novelle 1988 die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß in jenen Streitigkeiten, die unter Art 6 EMRK fallen, ein den Anforderungen der EMRK entsprechendes Tribunal in einem dem Art 6 EMRK entsprechenden Verfahren entscheidet, und daß bei diesem Gedanken den strafrechtlichen Anklagen besonderes Gewicht beigemessen wurde (vgl. die Entschließung des Nationalrates E-89-NR/XVII. GP, die aus Anlaß der Beschlußfassung über die B-VG-Novelle 1988 gefaßt wurde und in der der Nationalrat die Bundesregierung aufforderte, das Verfahrensrecht für die unabhängigen Verwaltungssenate so zu gestalten, daß die Zurückziehung des österreichischen Vorbehaltes zu Art 5 EMRK möglich wird).
Nicht zuletzt zählt zu den Anforderungen an ein Verfahren nach Art 6 EMRK die Entscheidung 'within a reasonable time'. So wurde etwa im Begutachtungsverfahren zu den Novellen zu den Verfahrensgesetzen mit Hinweis auf diesen Grundsatz die Auffassung vertreten, daß eine dem § 51 Abs 5 VStG aF entsprechende Regelung aus dem Gesichtspunkt der EMRK heraus unbedingt erforderlich sei, da es nicht hinreiche, wenn (erst) nach drei Jahren bei allfälliger Untätigkeit der zuständigen Behörde die Strafbarkeitsverjährung eintritt.
Der rasche und unmittelbare Zugang zum unabhängigen Tribunal ist daher auch ein Erfordernis des Art 6 EMRK.
Es ist nun einzuräumen, daß dieses Erfordernis nicht nur für die Fälle der strafrechtlichen Anklage gilt; es gilt vielmehr gleichermaßen für die Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche. Insofern läßt sich aus der Überlegung, daß der Verfassungsgesetzgeber ein der EMRK entsprechendes Verfahren ermöglichen wollte, kein zwingender Schluß für die Auslegung des Art 129 a Abs 2 B-VG ableiten.
Aus dem Umstand aber, daß in der genannten Entschließung ausdrücklich der Vorbehalt zu Art 5 EMRK angesprochen ist, läßt sich ableiten, daß dem Verfassungsgesetzgeber offensichtlich die Verfahren über strafrechtliche Anklagen ein besonderes rechtspolitisches Anliegen waren. Wenn die gleiche 'Notwendigkeit' für eine Mitsprache der Länder auch in diesen Angelegenheiten behauptet wird, so ist dazu festzuhalten, daß der Verfassungsgesetzgeber andererseits insbesondere die Schaffung einer der EMRK entsprechenden Rechtslage für das Verwaltungsstrafverfahren anstrebte. Wenn für diese Verfahren in Art 129 a Abs 2 B-VG eine andere Rechtslage geschaffen wurde als für die Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche, so erlaubt dies dennoch nicht, etwa mit Hinweis auf vom Interpreten vermutete 'Notwendigkeiten', eine korrigierende Auslegung der Norm vorzunehmen. Es kann daher dem oben als zutreffend bezeichneten Normverständnis auch nicht entgegengehalten werden, daß dem B-VG bei einer derartigen Auslegung ein Wertungswiderspruch zugrunde liege, da die Strafbescheide in gleicher Weise zu beurteilen wären wie sonstige materielle Bescheide (so der Sache nach Thienel, aaO, 35).
Bei teleologischer Auslegung sprechen im Gegenteil gute Gründe dafür, daß die Ausnahme des Art 129 a Abs 2 B-VG (übrigens auch dem Charakter als Ausnahme entsprechend) nicht erweiternd auszulegen ist.
Zu den ... (weiteren) Überlegungen des Unabhängigen Verwaltungssenats im Land Niederösterreich wird auf folgendes hingewiesen:
Die Ausführungen sind insofern nicht recht einsichtig, als Angelegenheiten des Art 15 B-VG in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen und sich daher die Frage der Zustimmung der Länder zu einem Akt der Bundesgesetzgebung in diesem Zusammenhang von vornherein nicht stellt."
1.2. Auch in weiteren Berufungsverfahren wegen Übertretungen der NÖ BauO 1976 stellte der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich - teils durch eines seiner Mitglieder, teils durch eine Kammer (§51 c VStG) - gleich lautende Aufhebungsanträge, die im wesentlichen in der gleichen Weise begründet waren und zu den AZ G 104-107, G 123-127, G 131, G 160 und G177/92 protokolliert sind.
Die zu Äußerungen aufgeforderte Bundesregierung antwortete zT durch die zitierte Stellungnahme, zT verwies sie auf sie.
1.3.1. Art 11 Abs 2 B-VG hat folgenden Wortlaut:
"Soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet wird, werden das Verwaltungsverfahren, die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes, das Verwaltungsstrafverfahren und die Verwaltungsvollstreckung auch in den Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung den Ländern zusteht, insbesondere auch in den Angelegenheiten des Abgabenwesens, durch Bundesgesetz geregelt; abweichende Regelungen können in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind."
1.3.2. § 51 Abs 1 VStG 1991, BGBl. 52, lautet:
"Dem Beschuldigten steht das Recht der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat zu, in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde."
2. Über die Anträge wurde erwogen:
2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen
2.1.1. Mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 187 und 269/91, wurde Anträgen des Unabängigen Verwaltungssenats Wien, den zweiten Halbsatz des § 51 Abs 1 VStG 1991, BGBl. 52/1991, hilfsweise den § 51 Abs 1 leg.cit. zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben, nicht Folge gegeben.
Nunmehr liegen abermals Anträge eines unabhängigen Verwaltungssenats, und zwar des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, auf Aufhebung des § 51 Abs 1 VStG vor, doch stützen sich diese neuerlichen Anträge auf verfassungsrechtliche Bedenken, die mit den im Erkenntnis vom abgehandelten nicht übereinstimmen.
Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt erkannte, schafft eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes (nur) im Hinblick auf einen bestimmten Anfechtungsgrund (bestimmt umschriebene Bedenken) nach allen Seiten hin Rechtskraft (VfSlg. 5872/1968, 6391/1971, 7329/1974, 9186/1981, 10311/1984), sodaß hier von entschiedener Sache iS des § 19 Abs 3 Z 2 litd VerfGG 1953 jedenfalls nicht gesprochen werden kann.
2.1.2. In amtswegig eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren nahm der Gerichtshof den Standpunkt ein, er habe den Umfang der zu prüfenden und im Fall ihrer Rechtswidrigkeit aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden werde, als Voraussetzung für den Anlaßfall bilde, daß aber anderseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfahre; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden könnten, habe der Verfassungsgerichtshof in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebühre. Die Grenzen der Aufhebung einer zu prüfenden Gesetzesbestimmung müßten - wie der Gerichtshof weiters darlegte - so gezogen werden, daß einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekomme und daß anderseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen mit erfaßt würden; dies gelte sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren (s. VfSlg. 12235/1989; uam.).
Bezieht man diese eben dargelegte Rechtsauffassung auf die hier mit den Primäranträgen angegriffenen Teile des § 51 Abs 1 VStG, so folgt daraus, daß die Anträge in diesem Umfang zurückgewiesen werden müssen. Eine entsprechende Gesetzesaufhebung gäbe nämlich dem verbleibenden Restteil des § 51 Abs 1 VStG einen gänzlich veränderten, dem Gesetzgeber überhaupt nicht zusinnbaren Inhalt. Die Bundesregierung weist in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hin, daß dann die gesetzgeberische Absicht, die unmittelbare Anrufbarkeit der unabhängigen Verwaltungssenate gegen Entscheidungen der ersten und einzigen Administrativinstanz vorzusehen und das für das Berufungsverfahren vor den unabhängigen Verwaltungsenaten geltende Verfahrensrecht zu regeln, in gleichsam positiver Rechtsschöpfung vereitelt würde.
Demgemäß waren die Primäranträge zurückzuweisen.
2.1.3. Zu den Eventualanträgen vertritt der Verfassungsgerichtshof auf Grund der Aktenlage die Auffassung, daß der anfechtende Verwaltungssenat die Präjudizialitätsfrage denkmöglich bejahte.
Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, sind die hilfsweise gestellten, auf Aufhebung des gesamten Abs 1 des § 51 VStG gerichteten Gesetzesprüfungsanträge zulässig.
2.2. Zur Sache
2.2.1. Der antragstellende unabhängige Verwaltungssenat macht in erster Linie - sinngemäß zusammengefaßt - geltend, daß der Bundesgesetzgeber zwar zur Erlassung des § 51 Abs 1 VStG zuständig gewesen sei, es sei aber vor der Kundmachung dieses Gesetzes nicht die erforderliche Zustimmung der Länder eingeholt worden.
Die Bundesregierung stellte das Fehlen dieser Zustimmung außer Streit und stimmt mit dem antragstellenden Verwaltungssenat darin überein, daß die Erlassung der in § 51 Abs 1 VStG getroffenen Regelung der unmittelbaren Anrufbarkeit des unabhängigen Verwaltungssenats mit Berufung in die Kompetenz des Bundesgesetzgebers gemäß Art 11 Abs 2 B-VG fällt. Von dieser Rechtsansicht geht auch der Verfassungsgerichtshof aus.
2.2.2. Art 129 a Abs 2 B-VG wurde durch die B-VG-Nov. 1988, BGBl. 685, in das B-VG eingefügt und hat folgenden Wortlaut:
"Es kann gesetzlich vorgesehen werden, daß die Entscheidungen in erster Instanz unmittelbar beim unabhängigen Verwaltungssenat angefochten werden können. In den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung sowie der Art 11 und 12 dürfen derartige Bundesgesetze nur mit Zustimmung der beteiligten Länder kundgemacht werden."
Die Regierungsvorlage (132 BlgNR 17. GP) enthielt noch keine derartige Vorschrift, der Ausschußbericht (817 BlgNR 17. GP) erläutert sie nicht.
Da also Art 129 a Abs 2 Satz 2 B-VG für die Kundmachung von Bundesgesetzen in "Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung sowie der Art 11 und 12" die Zustimmung der beteiligten Länder verlangt, ist die Frage zu beantworten, ob sich dieses Zustimmungserfordernis auf Art 11 Abs 1 und 2 oder, wie die Bundesregierung meint, lediglich auf den ersten Absatz erstreckt, den hier relevanten Abs 2 (des Art 11 B-VG) aber gar nicht miterfaßt.
Die Bundesregierung sucht § 51 Abs 1 VStG mit dem Hinweis zu verteidigen, daß die Vorschrift des Art 129 a Abs 2 zweiter Satz B-VG, wenn sie von "Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung sowie der Art 11 und 12" B-VG spreche, sich nur auf Art 10 Abs 1, Art 11 Abs 1 und Art 12 Abs 1 B-VG beziehe, hingegen nicht auf Art 11 Abs 2 B-VG, weil dort nicht von derartigen "Angelegenheiten" die Rede sei.
Dem kann nicht gefolgt werden. Dem Wort "Angelegenheiten" im Art 129 a Abs 2 Satz 2 B-VG kann der von der Bundesregierung ins Treffen geführte Sinn, nämlich die Bezeichnung nur der in Abs 1 des Art 11 B-VG genannten "Angelegenheiten", allein schon deshalb nicht beigemessen werden, weil auch Art 11 Abs 2 B-VG von "Angelegenheiten" spricht. Wie Thienel (Das Verfahren der Verwaltungssenate2 (1992) 34) zutreffend ausführt, gehört zu den Angelegenheiten des Art 11 B-VG, von denen in Art 129 a Abs 2 Satz 2 B-VG die Rede ist, eben gerade auch die in Abs 2 dieses Verfassungsartikels normierte Bedarfskompetenz des Bundes zur Regelung des Verwaltungsverfahrens. Denn nichts weist darauf hin, daß diese - den zentralen Regelungsinhalt des Art 11 Abs 2 B-VG bildende - Bedarfskompetenz von den "Angelegenheiten" des Art 11 B-VG in Art 129 a Abs 2 Satz 2 B-VG ausgenommen ist oder auch nur sein sollte. Art 129 a Abs 2 Satz 2 B-VG erfaßt vielmehr nach seinem vollkommen klaren, unmißverständlichen Wortlaut auch Art 11 Abs 2 B-VG, und zwar als Teil des in Art 129 a Abs 2 Satz 2 B-VG zitierten gesamten "Art11". Weder der Text der Verfassung noch die Materialien zur Verfassungsnovelle legen eine den eindeutigen Verfassungswortlaut berichtigende Auslegung nahe.
Für eine derartige Regelung bestanden letztlich auch - wenngleich in den Materialien nicht dokumentierte - gewichtige Gründe, weil das Zustimmungserfordernis des Art 129 a Abs 2 Satz 2 B-VG den Ländern offenbar eine Mitsprachemöglichkeit einräumen sollte, wenn sie Bundesgesetze zu vollziehen haben oder wenn es um die Anfechtung von Bescheiden im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung geht. Thienel (aaO 35) hebt in diesem Zusammenhang richtig hervor, daß es nicht einsichtig wäre, diese Mitsprachemöglichkeit auf das Gebiet materiell-rechtlicher Bescheide, die keine Strafbescheide sind, zu beschränken.
2.2.3. Für die Kundmachung des § 51 Abs 1 VStG 1950 idF der VStG-Nov. 1990, BGBl. 358, wiederverlautbart als Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. 52, war daher gemäß Art 129 a Abs 2 Satz 2 B-VG die Zustimmung der beteiligten Länder erforderlich.
Da kein Bundesland zugestimmt hat, war den Anträgen des Unabhängigen Verwaltungssenats im Land Niederösterreich Folge zu geben und § 51 Abs 1 VStG als verfassungswidrig aufzuheben (vgl. VfSlg. 1312/1930, 2598/1953 und 8155/1977).
Bei diesem Ergebnis war auf das weitere beiderseitige Parteienvorbringen nicht mehr einzugehen.
2.3. Der Verfassungsgerichtshof hält es nach Lage des Falles nicht für notwendig, gemäß Art 140 Abs 6 Satz 1 B-VG im Erkenntnis auszusprechen, daß jene gesetzlichen Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, die durch das als verfassungswidrig erkannte Gesetz aufgehoben worden waren (§51 Abs 1 VStG aF), sodaß es bei den in Art 140 Abs 6 Satz 1 B-VG normierten regelmäßigen Wirkungen des aufhebenden Erkenntnisses verbleibt.
Die Kundmachungsverpflichtung des Bundeskanzlers erfließt aus Art 140 Abs 5 Satz 1 iVm Abs 6 Satz 2 B-VG.
2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.