VfGH vom 04.10.1988, g107/88
Sammlungsnummer
11848
Leitsatz
LadenschlußG; unzulässige Beschränkung der Erwerbsausübung durch die in § 2 Abs 4 dem Landeshauptmann übertragene Möglichkeit, bestimmte Sperrzeiten innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Offenhaltezeiten festzulegen
Stmk. LadenschlußV; Feststellung der Gesetzwidrigkeit einiger Worte in § 2 Abs 1 (Mittagssperre) infolge Aufhebung ihrer gesetzlichen Grundlage
Spruch
1. In § 2 Abs 4 des Ladenschlußgesetzes, BGBl. Nr. 156/1958, werden die Worte "entweder a)" und "oder b) die Verkaufsstellen während der Geschäftszeiten durch höchstens zwei Stunden geschlossen zu halten sind" als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
2. In § 2 Abs 1 der V des Landeshauptmannes der Steiermark vom über den Ladenschluß an Werktagen (Steiermärkische Ladenschlußverordnung), LGBl. für Steiermark Nr. 40/1978, waren die Worte ", in der Landeshauptstadt Graz jedoch von 13.00 bis 15.00 Uhr" gesetzwidrig.
Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim VfGH ist ein Verfahren zur Prüfung eines im Instanzenzug ergangenen Bescheides des Landeshauptmannes von Steiermark vom anhängig, mit dem über den Bf. gemäß § 9 der V des Landeshauptmannes der Steiermark vom (Steiermärkische Ladenschlußverordnung, im folgenden: Stmk. LSchV), LGBl. 40/1978, iVm deren § 3 Abs 1 (richtig: § 2 Abs 1) eine Geldstrafe und eine Ersatzarreststrafe verhängt wurde, weil er als Filialgeschäftsführer nicht dafür gesorgt habe, daß die Verkaufsstelle eines Handelsunternehmens in Graz am um 14.32 Uhr geschlossen gehalten wurde.
2. Bei der Beratung über diese Beschwerde sind beim VfGH Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Worte "entweder a)" und "oder b) die Verkaufsstellen während der Geschäftszeiten durch höchstens zwei Stunden geschlossen zu halten sind" in § 2 Abs 4 des Ladenschlußgesetzes (im folgenden: LSchG), BGBl. 156/1958, sowie Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Worte ", in der Landeshauptstadt Graz jedoch von 13.00 bis 15.00 Uhr" in der Stammfassung des § 2 Abs 1 Stmk. LSchV entstanden. Der Gerichtshof hat daher beschlossen, von Amts wegen Verfahren zur Prüfung dieser Bestimmungen einzuleiten.
Der Gerichtshof hatte das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Wortfolge des § 2 Abs 4 LSchG aus eben jenen Gründen der Erwerbsausübungsfreiheit widerspricht, die zur Aufhebung der Abs 1 und 3 des § 3 LSchG durch seine Entscheidung vom , G132/87 ua, geführt haben, und daß die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle im Falle der Aufhebung der Wendung in § 2 Abs 4 LSchG einer gesetzlichen Grundlage entbehre.
3.a) Im Gesetzesprüfungsverfahren hat die Bundesregierung von der Abgabe einer gesonderten Äußerung abgesehen und "hinsichtlich der grundsätzlichen Problematik des § 2 LSchG" auf ihre Stellungnahme im Verfahren G153/87 (in dem mit der dort gegenständliche Gesetzesprüfungsantrag als unzulässig zurückgewiesen wurde) verwiesen. In der verwiesenen (und der Äußerung beigelegten) Stellungnahme hat die Bundesregierung nach einer gerafften Wiedergabe der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses des ua - die Bedeutung der Regelung des LSchG für die Einhaltung der arbeitszeitrechtlich normierten Ruhevorschriften und Nachtarbeitsverbote dargelegt.
b) Im Verordnungsprüfungsverfahren hat der Landeshauptmann von Steiermark den Standpunkt eingenommen, daß die in Prüfung gezogenen Worte der Stmk. LSchV in der Ermächtigung des § 2 Abs 4 litb LSchG, zu deren Verfassungsmäßigkeit keine Stellungnahme abgegeben werde, Deckung finde.
Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hat die Gesetzmäßigkeit der V verteidigt und im übrigen darauf hingewiesen, daß deren Schicksal vom Ergebnis des gleichzeitig eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens abhängig sein werde.
II. Die in Prüfung stehenden Bestimmungen haben folgenden normativen Inhalt:
1. § 2 Abs 1 Stmk. LSchV bestimmte in der im gegenständlichen Fall maßgeblichen Fassung vor der Nov. LGBl. 55/1987 (durch die ua die in Prüfung gezogene Bestimmung vorerst befristet und sodann (LGBl. 6/1988) unbefristet aufgehoben wurde):
"Die Verkaufsstellen (§1 Abs 1 bis 3) sind, soweit sich nicht nach den folgenden Bestimmungen anderes ergibt, an Werktagen von 18.00 Uhr bis 7.30 Uhr und von 12.30 Uhr bis 14.30 Uhr, beim Kleinverkauf von Lebensmitteln von 18.30 Uhr bis 6.30 Uhr und von 12.30 Uhr bis 14.30 Uhr, in der Landeshauptstadt Graz jedoch von 13.00 bis 15.00 Uhr geschlossen zu halten."
(Die in Prüfung stehenden Worte sind hervorgehoben.)
2. Die Bestimmung über die Mittagssperre stützt sich auf § 2 Abs 4 litb LSchG:
Nach § 2 Abs 1 bis 3 LSchG haben Verkaufsstellen für den Kleinverkauf von Waren zu bestimmten Abend- und Nachtzeiten geschlossen zu halten. § 2 Abs 4 LSchG ermächtigt den Landeshauptmann unter bestimmten Voraussetzungen zu einer davon abweichenden Regelung; diese Ermächtigung lautet:
"(4) Wenn die Einkaufsbedürfnisse, insbesondere der berufstätigen Bevölkerung, dies zulassen, kann der Landeshauptmann mit V allgemein oder für Verkaufsstellen bestimmter Art oder für bestimmte Gebiete anordnen, daß, abweichend von den in den Abs 1 bis 3 festgesetzten Ladenschlußzeiten, entweder
a) die Verkaufsstellen um höchstens eine Stunde früher zu schließen und um höchstens eine Stunde länger geschlossen zu halten sind oder
b) die Verkaufsstellen während der Geschäftszeiten durch höchstens zwei Stunden geschlossen zu halten sind."
(Die in Prüfung stehenden Worte sind hervorgehoben.)
III. 1. Der Gerichtshof nahm in dem diese Verfahren einleitenden Beschluß an, daß die Beschwerde zulässig ist und daß sich der angefochtene Bescheid der Sache nach auf die in Prüfung gezogenen Worte in § 2 Abs 1 Stmk. LSchV stützt, weshalb er diese Bestimmung als für die Behandlung der Beschwerde präjudiziell erachtete und die Prozeßvoraussetzungen für das Verordnungsprüfungsverfahren als gegeben annahm.
Der Gerichtshof nahm im Prüfungsbeschluß weiters an, daß die in Prüfung gezogene Wortfolge der Stmk. LSchV ihre gesetzliche Grundlage in § 2 Abs 4 litb LSchG finde, weshalb er die in Prüfung gezogenen Worte des § 2 Abs 4 LSchG (die miteinander in einem untrennbaren Sinnzusammenhang stünden) anzuwenden haben dürfte. Er nahm damit auch die Prozeßvoraussetzungen für das Gesetzesprüfungsverfahren als gegeben an.
2. In den Verfahren ist weder vorgebracht worden noch sonst hervorgekommen, daß die vorläufigen Annahmen des VfGH über die Zulässigkeit der Beschwerde und die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen unzutreffend wären.
Da alle Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, sind die Verfahren zulässig.
IV. 1. In seinem Einleitungsbeschluß hat der VfGH das Bedenken geäußert, daß die in Prüfung gezogenen Worte des § 2 Abs 4 LSchG wegen Widerspruchs zur Erwerbsausübungsfreiheit (Art6 Abs 1 letzter Fall StGG) verfassungswidrig seien. Er hat dies folgendermaßen begründet:
"§2 LSchG begrenzt die zulässigen Öffnungszeiten von Verkaufsstellen für den Kleinverkauf von Waren, beschränkt damit die Möglichkeit der Erwerbsausübung und greift daher in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsfreiheit ein. Ein solcher Eingriff ist als eine Beschränkung der Erwerbsausübung nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. insb. das Erk. G132/87 (und Folgezahlen) vom , mwH) nur zulässig, wenn er durch ein öffentliches Interesse bestimmt und auch sonst sachlich gerechtfertigt ist. Wenn auch dem (einfachen) Gesetzgeber bei Regelung der Berufsausübung ein größerer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum offen steht als bei Regelungen, die den Erwerbsantritt beschränken, weil und insoweit durch Ausübungsregeln der Eingriff in die verfassungsgesetzlich geschützte Rechtssphäre weniger gravierend ist, müssen - wie der VfGH in dem eben zitierten Erkenntnis ausgeführt hat - doch auch Ausübungsregelungen bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig sein.
Der VfGH zweifelt nun - was sich ebenfalls aus dem bereits zitierten Erkenntnis ergibt - nicht daran, daß die Ziele, denen das LSchG dient, im öffentlichen Interesse liegen und daß es ein an sich taugliches Mittel zur Erreichung dieser Ziele darstellt, die zulässigen Öffnungszeiten gesetzlich zu limitieren; Art und Ausmaß dieser Begrenzung müssen jedoch verhältnismäßig sein.
Die in Prüfung gezogene Regelung beschränkt nun die Dispositionsmöglichkeit des Unternehmers über die Zeiten, in denen sein Betrieb offengehalten werden darf und überträgt die Bestimmung dieser Offenhaltezeit zu einem Teil dem Landeshauptmann. Der VfGH vermag - im Lichte der Entscheidungsgründe seines Erkenntnisses G132/87 (und Folgezahlen) vom - vorerst keine Umstände zu erkennen, die die Beschränkung der Erwerbsausübung, die mit der Übertragung der Bestimmung der Offenhaltezeit an ein Verwaltungsorgan für den Grundrechtsträger verbunden ist, zu rechtfertigen vermögen. Er ist vielmehr der Auffassung, daß diese Gesetzesstellen aus eben jenen Gründen verfassungswidrig sind, die zur Aufhebung der Abs 1 und 3 des § 3 LSchG in dem genannten Erkenntnis geführt haben."
2. Die auf ihre Verfassungskonformität zu beurteilende Regelung ermächtigt den Landeshauptmann, innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Offenhaltezeiten bestimmte Sperrzeiten festzulegen. Der VfGH hatte in diesem Verfahren nicht zu beurteilen, ob es zulässig wäre, von Gesetzes wegen solche Sperrzeiten festzulegen, sondern ob die in Prüfung gezogene gesetzliche Regelung der Erwerbsausübungsfreiheit entspricht. Den diesbezüglich erhobenen Bedenken des VfGH ist im Verfahren nicht entgegengetreten worden (die von der Bundesregierung "zur grundsätzlichen Problematik des § 2 LSchG" angestellten Erwägungen (vgl. oben Pkt. I./3./a)) tragen zu der hier zu behandelnden Frage nichts bei).
Die Ermächtigung an den Landeshauptmann, die gesetzlich vorgesehene Offenhaltezeit durch die Anordnung zu verkürzen, daß die Verkaufsstellen während der Geschäftszeiten zu bestimmten Zeiten geschlossen zu halten sind, ist ein erheblicher Eingriff in die einem Handelsgewerbetreibenden zukommende Erwerbsausübungsfreiheit. Sie nimmt dem Gewerbetreibenden die Möglichkeit, die Öffnungszeiten nach seinen Vorstellungen (die durch verschiedene Kriterien, wie insb. durch den spezifischen Bedarf der Konsumenten für sein Unternehmen oder die Möglichkeiten des Einsatzes der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer und deren Interessen bestimmt wird) festzulegen und überläßt diese Entscheidung einem Verwaltungsorgan, ohne daß dies durch Erwägungen gerechtfertigt werden könnte, denen die Ladenschlußregelungen dienen und die der Gerichtshof als im öffentlichen Interesse liegend angesehen hat: Weder das Ziel, dem Konsumenten ausreichende Möglichkeiten zum Einkauf zu bieten, noch das Ziel, die Handelsgewerbetreibenden nicht zu überlangen Geschäftszeiten zu veranlassen, und die damit verbundene sozialpolitische Funktion des Ladenschlußrechts im Interesse der Einhaltung arbeitszeitrechtlicher Vorschriften vermögen eine Regelung sachlich zu rechtfertigen, die dem Landeshauptmann die Möglichkeit überträgt, bestimmte Sperrzeiten innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Offenhaltezeiten festzulegen.
Die im Prüfungsbeschluß geäußerten Bedenken treffen daher zu, weshalb die in Prüfung stehende Gesetzesbestimmung wegen Widerspruchs zu der verfassungsrechtlich grundgelegten Erwerbsausübungsfreiheit (Art6 Abs 1 letzter Fall StGG) aufzuheben war.
3. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG.
Der Ausspruch, daß frührere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.
Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.
V. 1. Durch die Aufhebung der gesetzlichen Regelung, die den Landeshauptmann zur Festlegung einer maximal zweistündigen Geschäftssperre während der Geschäftszeit ermächtigt, wird der in Prüfung stehenden Verordnungsstelle die gesetzliche Grundlage entzogen, was deren Gesetzwidrigkeit bewirkt. Da die geprüften Worte jedoch seit deren Nov. zur Stmk. LSchV, LGBl. 55/1987, nicht mehr dem Rechtsbestand angehören, war auszusprechen, daß sie gesetzwidrig waren.
2. Die Verpflichtung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs erfließt aus Art 139 Abs 5 erster und zweiter Satz.
VI. Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war (vgl. oben Pkt. I./3.) hat der VfGH von einer mündlichen Verhandlung abgesehen und die Entscheidung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen (§19 Abs 4 erster Satz VerfGG).