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VfGH vom 02.12.1999, G106/99

VfGH vom 02.12.1999, G106/99

Sammlungsnummer

15674

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung des EStG 1988 betreffend Normierung der Tariflohnsteuer ua für Nachzahlungen und nachträgliche Zahlungen von laufenden Bezügen für abgelaufene Kalenderjahre als fester Steuersatz; keine sachliche Rechtfertigung für die dadurch bewirkte Außerachtlassung solcher Bezüge bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Zuge einer Veranlagung ohne Rücksicht auf Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen

Spruch

Im letzten Satz des § 67 Abs 9 Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400, wird die Wortfolge "sowie die Tariflohnsteuer des Abs 8" als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit in Kraft.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Zuge einer Veranlagung bleiben nach § 41 Abs 4 Einkommensteuergesetz 1988 (unter anderem) Bezüge, die mit dem festen Satz des § 67 zu versteuern waren, außer Ansatz. Nachzahlungen und nachträgliche Zahlungen von laufenden und sonstigen Bezügen für abgelaufene Kalenderjahre, die neben laufendem Arbeitslohn von demselben Arbeitgeber oder in einem Konkursverfahren geleistet werden und nicht auf einer willkürlichen Verschiebung des Auszahlungszeitpunktes beruhen, sind nach § 67 Abs 8 lita (zweiter Gedankenstrich) mit dem Steuersatz zu versteuern, der tarifmäßig dem Arbeitslohn des letzten vollen Kalenderjahres entspricht. Gemäß Abs 9 dieser Gesetzesstelle gilt (unter anderem) auch "die Tariflohnsteuer des Abs 8" als "fester Steuersatz".

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B2604/97 das Verfahren über die Beschwerde einer ehemaligen Arbeitnehmerin anhängig, die im Kalenderjahr 1995 wegen Konkurses ihres Arbeitgebers ihre Bezüge vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds nachgezahlt erhielt, weshalb diese gemäß § 67 Abs 8 lita EStG mit dem Belastungsprozentsatz zu versteuern waren. Da keine in die Veranlagung einzubeziehenden Einkünfte vorlagen, unterblieb die begehrte Berücksichtigung von Sonderausgaben, Werbungskosten und außergewöhnlichen Belastungen für das Jahr 1995.

Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des anscheinend auch von ihm anzuwendenden letzten Satzes des § 67 Abs 9 EStG entstanden (wobei er davon ausging, daß schon der Wegfall der Wortfolge "sowie der Tariflohnsteuer des Abs 8" die in § 41 Abs 4 EStG vorgesehene Rechtsfolge vermeidet, weil die Tariflohnsteuer des § 67 Abs 8 für sich betrachtet kein fester Steuersatz ist und dann nicht mehr vom § 41 Abs 4 EStG erfaßt wird).

Eine sachliche Rechtfertigung dafür, beispielsweise wegen Konkurses nachgezahlte laufende Bezüge bei der Veranlagung außer Betracht zu lassen und solcherart ohne Rücksicht auf Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen zu besteuern, hatte die belangte Behörde nicht vorgebracht und konnte auch der Gerichtshof vorläufig nicht finden: Die in Abs 8 lita vorgesehene Behandlung von Nachzahlungen und nachträglichen Zahlungen jedenfalls von laufenden Bezügen solle offenbar ungerechtfertigte Belastungen der Lohnsteuerpflichtigen durch die nach allgemeinen Regeln eintretende Progression vermeiden. Das scheine aber kein Grund dafür zu sein, nach Lage des Einzelfalles in Betracht kommende Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen schlechthin unberücksichtigt zu lassen.

Die Außerachtlassung der nach Abs 8 tariflohnversteuerten Bezüge scheine darüber hinaus dazu zu führen, daß eine Veranlagung von Einkünften, die bei Anwendung des Tarifes gar keine Steuerbelastung nach sich ziehen würden, unterbleibt.

2. Diesen Bedenken hält die Bundesregierung folgendes entgegen:

"I. Zum Regelungssystem

I.1. Zu Inhalt und Wesen der Bestimmung

Gemäß § 67 Abs 8 EStG 1988 sind u.a. Nachzahlungen und nachträgliche Zahlungen von laufenden und sonstigen Bezügen für abgelaufene Kalenderjahre, die neben laufendem Arbeitslohn von demselben Arbeitgeber oder in einem Konkursverfahren geleistet werden und nicht auf einer willkürlichen Verschiebung des Auszahlungszeitpunktes beruhen, mit dem Steuersatz zu versteuern, der tarifmäßig dem Arbeitslohn des letzten vollen Kalenderjahres entspricht. Gemäß § 67 Abs 9 EStG 1988 gelten als fester Steuersatz auch die vervielfachte Tariflohnsteuer der Abs 3 und 4 sowie die Tariflohnsteuer des Abs 8. Gemäß § 41 Abs 4 EStG 1988 bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit Bezüge, die nach § 67 Abs 1 oder § 68 steuerfrei bleiben oder mit dem festen Satz des § 67 oder mit den Pauschsätzen des § 69 Abs 1 zu versteuern waren, außer Ansatz.

Bei Beurteilung der Bestimmung des § 67 Abs 8 lita EStG 1988 ist zunächst auf dessen Wesen und Wirkungsweise einzugehen.

Ihrem Wesen nach soll die Besteuerung nach § 67 Abs 8 lita EStG 1988 im Falle von Nachzahlungen für abgelaufene Kalenderjahre etwa jene Besteuerungssituation herstellen, wie sie gegeben wäre, wenn die Zahlung nicht nach Ablauf, sondern noch zu Lasten des wirtschaftlichen Bezugsjahres erfolgt wäre.

Die Gesetzgebung hat den Weg einer Besteuerung im Sinne des § 67 Abs 8 lita EStG 1988 aus verwaltungsökonomischen Gründen gewählt. Es wäre auch eine gesetzliche Regelung denkbar, die vorsieht, daß derartige Nachzahlungen zu Lasten des wirtschaftlichen Bezugsjahres - also in die Vergangenheit 'projiziert' zu versteuern sind. Dies hätte eine Aufrollung der bereits abgeschlossenen Besteuerung des Vorjahres zur Folge. Wie erwähnt wird aus Vereinfachungsgründen ein anderer Weg gegangen. Es erfolgt zwar die Besteuerung im Jahr der tatsächlichen Bezugsauszahlung, es werden aber die steuerlichen Verhältnisse des Vorjahres herangezogen und damit zwar keine tatsächliche, vielmehr eine 'virtuelle' Aufrollung der Besteuerung des Bezugsjahres vorgenommen. Dies ist daraus zu ersehen, daß die gesetzliche Regelung konsequent auf die Steuerverhältnisse des Vorjahres abstellt. Die vorgesehene Ermittlung des Belastungsprozentsatzes bezieht dabei auch die im Vorjahr beim Lohnsteuerabzug berücksichtigten Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen mit ein. Wäre die Besteuerung tatsächlich im Vorjahr vorgenommen worden, wären auch (nur) diese Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen zum Tragen gekommen, und nicht jene eines späteren Jahres (des tatsächlichen Eingehens der Nachzahlung).

I.2. Zur Wirkungsweise der Bestimmung

Denkt man diese Konzeption an Hand des Beschwerdefalles durch, so zeigt sich, daß die Regelung des § 67 Abs 8 lita EStG 1988 zu keinem gleichheitswidrigen Ergebnis führt. Wie in der Beschwerde richtig dargestellt, handelt es sich bei den der Besteuerung nach § 67 Abs 8 lita EStG 1988 unterworfenen Bezügen um Nachzahlungen, und zwar um Nachzahlungen zu einem im Kalenderjahr 1994 (konkret am wegen Konkurseröffnung) beendeten Dienstverhältnis. Wäre es nun bereits im Jahr 1994 zu einer Besteuerung dieser Bezüge gekommen (die tatsächlich im Jahr 1995 nachgezahlt wurden), so wären die geltend gemachten Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen des Jahres 1995 mangels eines steuerpflichtigen Einkommens in diesem Jahr ebenfalls ins Leere gegangen. Das gleiche Ergebnis tritt nun durch die Besteuerung nach § 67 Abs 8 lita EStG 1988 ein.

Nach Ansicht der Bundesregierung käme es gerade bei einer Berücksichtigung von Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen im Jahr der tatsächlichen Auszahlung (also im Beschwerdefall für das Jahr 1995) zu gleichheitsrechtlich bedenklichen Ergebnissen. In diesem Fall ergebe sich nämlich eine (unsachliche) Durchmischung der steuerlichen Verhältnisse des wirtschaftlichen Bezugsjahres der Lohnzahlung einerseits und jener des Jahres der tatsächlichen Auszahlung andererseits. Es würden dann nämlich sowohl die Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen des Vorjahres (im Beschwerdefall des Jahres 1994) über die Ermittlung des Belastungsprozentsatzes berücksichtigt und zusätzlich jene des Jahres der tatsächlichen Auszahlung (im Beschwerdefall des Jahres 1995). Dies wäre im Bereich der besagten Ausgaben mit einem Kumulationseffekt (im Beschwerdefall des Jahres 1994 und 1995) verbunden, der sachlich nicht zu rechtfertigen ist.

Vergleicht man die Wirkungsweise der Bestimmung nunmehr vertiefend mit jener, wie sie bei einer 'echten' rückverlagerten Besteuerung durch Aufrollung des wirtschaftlichen Bezugsjahres eintritt, so können sich nur in Ausnahmefällen Unterschiede in den Besteuerungseffekten ergeben. Insbesondere dann, wenn im wirtschaftlichen Bezugsjahr anfallende Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen nicht oder nicht in vollem Umfang bei der Lohnverrechnung berücksichtigt werden konnten, weil sie erstmals angefallen und daher noch nicht in einem Freibetragsbescheid ausgewiesen waren (also erst bei der Veranlagung berücksichtigt werden konnten), gehen derartige Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen nicht in die Ermittlung des Belastungsprozentsatzes ein. Zur Klarstellung sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß dies im konkreten Beschwerdefall die Ausgaben des Jahres 1994 (nicht die in der Beschwerde angesprochenen Ausgaben des Jahres 1995) wären.

Den aus einer Besteuerung nach § 67 Abs 8 lita EStG 1988 allenfalls resultierenden Nachteilen steht allerdings folgender erheblicher Vorteil gegenüber: Die Besteuerung mit dem Belastungsprozentsatz bewirkt im Vergleich zu einer Besteuerung im Wege der Aufrollung der Besteuerung des wirtschaftlichen Bezugsjahres eine beachtliche Progressionsminderung. Wäre zB im Jahr 1994 tatsächlich ein Einkommen von 800.000 S angefallen und käme es 1995 zu einer Nachzahlung von 100.000 S, so zeigt sich folgendes Vergleichsergebnis: Bei einer Versteuerung im Wege der Aufrollung des wirtschaftlichen Bezugsjahres wären die nachgezahlten Einkünfte von 100.000 S mit einem Steuersatz von 50 % zu belegen (§33 Abs 1 EStG 1988). Es ergebe sich also eine Steuer von 50.000 S. Bei der Besteuerung dieser Nachzahlung auf Grundlage des § 67 Abs 8 lita EStG 1988, wird auf die nachgezahlten Einkünfte lediglich der aus der Einkommenssituation des Jahres 1994 abgeleitete Belastungsprozentsatz (das ist ein Durchschnittsteuersatz) angewendet, also bei einer angenommenen - auf das Einkommen von 800.000 S entfallenden - Steuer von 200.000 S 25 %, das sind 25.000 S.

Der eben dargestellte Effekt hebt nach Auffassung der Bundesregierung allfällige Nachteile, die sich in seltenen Fällen aus der Nichtberücksichtigung bestimmter Ausgaben ergeben können, in aller Regel gänzlich, in Ausnahmefällen zumindest teilweise wieder auf. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, daß die Progressionsmilderung des § 67 Abs 8 lita EStG 1988 sogar doppelt wirkt. Einerseits wird nicht der im wirtschaftlichen Bezugsjahr wirksam gewordene Spitzensteuersatz, sondern lediglich der Durchschnittsteuersatz angewendet. Andererseits wird der Durchschnittsteuersatz auch dadurch reduziert, daß sich die Nachzahlung auf den Steuersatz des wirtschaftlichen Bezugsjahres nicht auswirkt; es kommt also insoweit zu einem 'zeitlichen Einkommenssplitting'.

Im Lichte dieser Darstellung ist § 67 Abs 8 lita EStG 1988 als Bestimmung zu verstehen, die eine Art Pauschalbesteuerung darstellt. Daß sich diese an sachlichen Kriterien orientiert, und überhaupt nur in bestimmten Fällen - etwa wenn Ausgaben erstmals anfallen und der im Beispiel gezeigte progressionsmildernde Effekt diesen Nachteil nicht aufwiegt - zum Nachteil des Steuerpflichtigen auswirken kann, wurde zuvor dargestellt.

II. Zur Zulässigkeit pauschaler Formen der Besteuerung

Zur Frage von pauschalen Formen der Besteuerung vertritt der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß es das Gleichheitsprinzip nicht verbietet, pauschalierende, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen, wenn sie den Erfahrungen des täglichen Lebens entsprechen und im Interesse der Verwaltungsökonomie liegen, also sachlich begründbar sind (vgl. VfSlg. 9624/1983 m.w.N.; ; , V90/98).

Der Belastungsprozentsatz führt wie unter Pkt. I.2. dargestellt nur in seltenen Fällen zu Nachteilen beim Abzug bestimmter Ausgaben. Überdies ist er undifferenziert auf alle nachgezahlten Lohnbestandteile sowie für alle Zahlungen im Konkursverfahren anzuwenden, somit auch auf solche, die bei Aufrollung einzelner Lohnzahlungszeiträume möglicherweise steuerfrei bzw. als sonstiger Bezug geringer zu besteuern wären.

Dem steht gegenüber, daß die Anwendung des Belastungsprozentsatzes zu gravierenden Progressionsmilderungen führt, und zwar sowohl im Vergleich zu der in Pkt. I.2. dargestellten 'normalen' Versteuerung der Nachzahlungen im wirtschaftlichen Bezugsjahr als auch im Vergleich zu einer vollen Tarifbesteuerung in einem späteren Nachzahlungsjahr (ergebe eine Kumulierung der laufenden Bezüge und der Nachzahlungen mit entsprechenden Progressionseffekten). Damit wird der pauschalierende Charakter des Belastungsprozentsatzes deutlich. Bei dessen Anwendung können sich positive und negative Steuereffekte ergeben, wobei die steuerentlastenden Effekte in aller Regel die steuernachteiligen überwiegen.

Nach Auffassung der Bundesregierung steht vor dem Hintergrund der oben zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes der Gleichheitsgrundsatz der gegenständlichen Regelung nicht entgegen, zumal sie im Interesse der Verwaltungsökonomie gelegen und sachlich begründbar ist. Darüber hinaus wirkt sie sich im Durchschnitt betrachtet zum Vorteil der Steuerpflichtigen aus (vgl. zur Zulässigkeit einer von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehenden pauschalierenden Regelung VfSlg. 14867/1997 m. w.N.)."

II. Das Verfahren ist zulässig. Die geäußerten Bedenken erweisen sich auch als begründet.

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Beschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung im Anlaßverfahren zweifeln ließe, und auch sonst sind die Prozeßvoraussetzungen gegeben. In der Sache kann die Äußerung der Bundesregierung die Bedenken nicht entkräften:

1. Was die Bundesregierung zu Inhalt, Wesen und Wirkungsweise des § 67 Abs 8 lita EStG ausführt, trifft an sich zu. In der Regel vermeidet diese Bestimmung nicht nur, daß sich durch die Zusammenballung von Einkünften im Jahr der Nachzahlung infolge der Progression ungerechtfertigte Belastungen ergeben; sie erspart auch ein zur Vermeidung dieses Ergebnisses denkbares (im geltenden Recht freilich gar nicht vorgesehenes) Aufrollen der bereits abgeschlossenen Besteuerung des Vorjahres. Da der Steuersatz des Vorjahres für die Nachzahlung herangezogen wird, ohne daß sich diese selbst auf den maßgeblichen Steuersatz auswirkt, wird die Nachzahlung sogar niederer besteuert als wenn sie dem Einkommen des Vorjahres hinzugerechnet würde.

Der Bundesregierung ist auch dahin beizupflichten, daß die Besteuerung nach dem Belastungsprozentsatz Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen des Vorjahres bereits berücksichtigt. Wieweit der Abzug von Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen des laufenden Jahres bei gleichzeitiger Maßgeblichkeit dieses "festen Tarifes" angesichts der vielfältigen Möglichkeiten des Anfalles und der Geltendmachung von Abzugsposten auf eine ungerechtfertigte doppelte Berücksichtigung solcher Abzugsposten hinausliefe, kann indes dahingestellt bleiben.

Die Bundesregierung ist nämlich nicht im Recht, wenn sie der geltenden Regelung nur die Alternative der - wie sie meint - doppelten Begünstigung oder ein - systemfremdes - Aufrollen der Vorjahrsbesteuerung gegenüberstellt (für das es angesichts der grundsätzlichen Maßgeblichkeit des Zeitpunktes des Zufließens einer besonderen Rechtfertigung bedürfte). Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs gehen von jenen - auch von der Bundesregierung nicht in Abrede gestellten - Fällen aus, in denen sich § 67 in Verbindung mit § 41 Abs 4 zum Nachteil des Steuerpflichtigen auswirkt, und vermissen eine sachliche Rechtfertigung dafür, daß ein Teil des Einkommens des laufenden Kalenderjahres (als Nachzahlung) bei der Veranlagung immer und daher auch dann außer Ansatz bleibt, wenn sich die Anwendung des Belastungsprozentsatzes ungünstiger auswirkt als die Anwendung des Tarifs.

Würde nämlich die Nachzahlung bei Veranlagung für das Jahr, in dem sie zugeflossen ist, in Ansatz gebracht, würde das ebensowenig ein Aufrollen der bereits abgeschlossenen Besteuerung des Vorjahres voraussetzen, wie wenn die Nachzahlung außer Ansatz bleibt; nur müßte die Nachzahlung dann in die Tarifbesteuerung einbezogen werden. Das ist, da das laufende Kalenderjahr ohnedies erst besteuert werden muß, kein besonderer Verwaltungsaufwand, und es ist unter den gegebenen Verhältnissen auch keine besondere Aufgabe festzustellen, ob die Versteuerung nach dem Belastungsprozentsatz unter Ausscheiden aus der Veranlagung oder die Anwendung des Tarifes für den Steuerpflichtigen günstiger ist (wobei dem Steuerpflichtigen zwischen beiden Vorgangsweisen auch die Wahl überlassen werden könnte).

2. Die Bundesregierung sieht den Zweck des § 67 Abs 8 lita (zweiter Gedankenstrich) in erster Linie in der Verwaltungsvereinfachung und versteht die in Prüfung gezogene Vorgangsweise als "eine Art Pauschalbesteuerung", die dem Steuerpflichtigen regelmäßig Vorteile und nur selten Nachteile bringe. Ob diese Einschätzung angesichts der progressionsbedingten Folgen einer streng an das Jahr des Zufließens abstellenden Besteuerung von Nachzahlungen des Arbeitgebers richtig ist oder nicht vielmehr verhindert werden soll, daß der Zahlungsverzug des Arbeitgebers dem Arbeitnehmer wegen des Zusammentreffens von Nachzahlung und laufenden Lohn noch zusätzliche steuerliche Nachteile bringt, kann hier dahinstehen. Der Verfassungsgerichtshof kann jedenfalls nach wie vor keine Rechtfertigung (mehr) dafür finden, daß auch an die Stelle einer günstigeren Besteuerung nach dem Tarif nur deshalb, weil § 67 anderen Steuerpflichtigen Vorteile bringt, der Nachteil einer Besteuerung nach dem Belastungsprozentsatz unabwendbar sein soll. Ob in die Veranlagung eine Nachzahlung einbezogen wird oder nicht, ist unter dem Blickwinkel der Verwaltungsökonomie gleichgültig. Das Vorjahr muß aufgerollt werden. Die Sachlichkeit der Versteuerung nach dem Belastungsprozentsatz hängt auch nicht etwa davon ab, daß die damit verbundenen Vorteile durch Nachteile in anderen Fällen wieder ausgeglichen werden. Diese Nachteile sind keine notwendige Folge des § 67 Abs 8 EStG, sie ergeben sich vielmehr nur aus der Starrheit der vom Gesetzgeber gewählten Regelung. Sie greift einerseits, was den Anfall der Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen betrifft, rein zufällig und trifft andererseits besonders jene Arbeitnehmer, die im Jahr der Nachzahlung gar kein Einkommen oder nur mehr (steuerfreies) Arbeitslosengeld beziehen, sodaß die Tarifbesteuerung unter Berücksichtigung der Abzugsposten häufig gar keine oder doch nur eine geringere Steuerbelastung ergäbe.

Es fehlt diesem Teil der Regelung eine sachliche Rechtfertigung; sie widerspricht dem Gleichheitssatz.

3. Die in Prüfung gezogene Vorschrift lautet vor dem Hintergrund des unter anderem auf den festen Satz des § 67 abstellenden § 41 Abs 4 EStG folgendermaßen (in Prüfung stehender Teil hervorgehoben):

"Als fester Steuersatz gelten auch die vervielfachte Tariflohnsteuer der Abs 3 und 4 sowie die Tariflohnsteuer des Abs 8."

Wird die Wortfolge "sowie die Tariflohnsteuer des Abs 8" aufgehoben, bezieht sich § 41 Abs 4 EStG nicht mehr auf die in Abs 8 geregelten Fälle (sondern nur mehr auf die eigentlichen festen Steuersätze), sodaß die in diesem Verfahren aufgegriffene Verfassungswidrigkeit beseitigt wird. Ob im Lichte dieser Aufhebung deren Voraussetzung - daß nämlich die Nachzahlung in der Veranlagung der Tarifsteuer unterzogen werden muß - dem verbleibenden Gesetzestext ausreichend deutlich zu entnehmen ist, kann dahingestellt bleiben, weil dem Gesetzgeber ohnedies eine Frist eingeräumt werden muß, um die für die Abgrenzung der beiden Besteuerungsmöglichkeiten erforderliche Regelung noch vor dem Inkrafttreten der Aufhebung zu treffen (Art140 Abs 5 B-VG).

Die übrigen Aussprüche gründen sich auf Art 140 Abs 5 und 6

B-VG.

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs 4 Satz 1 VerfGG).