VfGH vom 25.11.2003, g106/03
Sammlungsnummer
17052
Leitsatz
Feststellung der Verfassungswidrigkeit der im Wiener Landesvergabegesetz vorgesehenen Nachprüfung von Vergabeentscheidungen der Gemeinde Wien durch den Vergabekontrollsenat (VKS) als Landesorgan; Unzulässigkeit der Einrichtung eines Rechtsmittels in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches an ein Verwaltungsorgan außerhalb der Gemeinde; Gemeinderat verfassungsgesetzlich als oberstes Organ der Gemeinde eingerichtet; doppelte Bindung des Gesetzgebers bei der Ausführung von Gemeinschaftsrecht; Konvalidation der geprüften Bestimmung mit Erlassung einer verfassungsrechtlichen Sonderregelung
Spruch
Die Wortfolge "die Gemeinde und" in § 12 Abs 1 Z 1 des Steiermärkischen Vergabegesetzes 1998 - StVergG, LGBl. für das Land Steiermark Nr. 74, war bis zum Ablauf des verfassungswidrig.
Der Landeshauptmann von Steiermark ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Verwaltungsgerichtshof beantragt aus Anlass eines bei ihm zur Z 2000/04/0209 anhängigen Beschwerdeverfahrens gegen einen Bescheid des Vergabekontrollsenates des Landes Steiermark vom die Feststellung, dass die Wortfolge "die Gemeinde und" in § 12 Abs 1 Z 1 des Steiermärkischen Vergabegesetzes 1998 (StVergG), LGBl. für das Land Steiermark 74, bis zum Ablauf des verfassungswidrig war.
a) Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid habe - so der Verwaltungsgerichtshof - der Vergabekontrollsenat des Landes Steiermark den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Durchführung des Nachprüfungsverfahrens nach Zuschlagserteilung mit einem näher bezeichneten Feststellungsbegehren als unzulässig zurückgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides werde die Zurückweisung im Wesentlichen damit begründet, dass der Antrag kein (nach Zuschlagserteilung allein zulässiges) Begehren auf Feststellung enthalte, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Gesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt worden sei; vielmehr werde die Feststellung begehrt, "dass ein Auftraggeber wegen Verstößen gegen das StVergG den Zuschlag nicht einem Bieter als dem wirklichen Bestbieter erteilt hat". Ein solcher Antrag sei im StVergG aber nicht vorgesehen.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes scheine sich der bei ihm angefochtene Bescheid auf die Geltungsbereichsbestimmung des § 12 Abs 1 Z 1 StVergG - und zwar hinsichtlich der Gemeinden (als öffentliche Auftraggeber) - zu stützen: "Bei der Überprüfung des bekämpften Bescheides hätte der Verwaltungsgerichtshof (auch) diese Bestimmung anzuwenden, weil öffentlicher Auftraggeber die Landeshauptstadt Graz war und der Vergabekontrollsenat des Landes Steiermark bei Erlassung des bekämpften Bescheides die Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Vergabeentscheidung eines die Gemeinde (Landeshauptstadt) Graz vertretenden Organs der Verwaltung in Anspruch genommen haben dürfte."
b) Unter Berufung auf den hg. Prüfungsbeschluss vom , B1095/01 ua., hegt der Verwaltungsgerichtshof gegen die angefochtene Bestimmung das Bedenken, dass die Zuständigkeit des Vergabekontrollsenates für das Land Steiermark zur Kontrolle bzw. Aufhebung von Vergabeakten der Gemeinde, also von Vergabeentscheidungen, die von Gemeindeorganen, darunter auch dem Gemeinderat, im eigenen Wirkungsbereich getroffen werden, bis zum Ablauf des dem Art 118 Abs 4 und 5 B-VG widersprochen habe. Er begründet dies wie folgt:
Im Beschluss vom , B1095/01 ua., habe der Verfassungsgerichtshof seine Bedenken gegen eine ähnliche Regelung im Wiener Landesvergabegesetz (WLVergG) zusammengefasst darin gesehen,
"dass alle Gemeindeorgane für die Erfüllung ihrer dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugehörigen Aufgaben dem Gemeinderat verantwortlich seien, sodass der Gemeinderat 'damit in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde ... ein den übrigen Gemeindeorganen vorgesetztes Organ [ist]; diese sind daher insoweit dem Gemeinderat gegenüber weisungsgebunden' (Hinweis auf VfSlg. 13.304/1992); weiters folge aus Art 118 Abs 5 B-VG, 'dass der Gemeinderat - in seiner Eigenschaft als einziges unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ der Gemeinde (Art117 Abs 1 lita B-VG) - das oberste Organ der Gemeinde zu sein hat' (Hinweis auf VwSlg. 12.123 A/1986). Wie sich ferner aus Art 118 Abs 4 B-VG ergebe, seien die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches von der Gemeinde 'unter Ausschluss eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde zu besorgen'. Wie der Verfassungsgerichtshof im Beschluss vom weiters vorläufig davon ausgeht, handle es sich beim Vergabekontrollsenat für Wien um kein 'allenfalls bestellte[s] andere[s] Organ[...] der Gemeinde', das gemäß Art 118 Abs 5 B-VG dem Gemeinderat für die Erfüllung seiner dem eigenen Wirkungsbereich zugehörigen Aufgaben verantwortlich wäre. Der Verfassungsgerichtshof kommt daher hinsichtlich seiner Bedenken zum Schluss, 'dass die Kontrollzuständigkeit des VKS über Vergabeentscheidungen, die von den Gemeindeorganen, darunter auch dem Gemeinderat, im eigenen Wirkungsbereich getroffen werden, weder mit der verfassungsrechtlichen Position des Gemeinderates als des obersten Organs der Vollziehung der Gemeinde gemäß Art 118 Abs 5 B-VG noch mit dem Ausschluss eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde gemäß Art 118 Abs 4 B-VG vereinbar ist."
Die vom Verfassungsgerichtshof hinsichtlich der Zuständigkeit des Vergabekontrollsenates für Wien zur Nachprüfung von Gemeindevergaben geäußerten Bedenken treffen nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch auf den Vergabekontrollsenat des Landes Steiermark zu.
Abschließend verweist der Verwaltungsgerichtshof darauf, dass er bei seinem Antrag davon ausgehe, dass die Regelung des § 12 Abs 1 Z 1 StVergG ab In-Kraft-Treten der Verfassungsbestimmung des Art 4 Abs 1 des Bundesgesetzes BGBl. I 99/2002 mit ihre Deckung in dieser Bestimmung hat; dass es im vorliegenden Fall aber auf die Rechtslage vor diesem Zeitpunkt ankomme, weil der Vergabekontrollsenat des Landes Steiermark davor tätig wurde (Bescheid vom ). Die Formulierung des Antrages begründe sich überdies darin, dass
"durch den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes im Erkenntnis vom , G185/02, wonach die Wortfolge 'das Land,' im § 12 Abs 1 Z 1 StVergG bis zum Ablauf des verfassungswidrig war (vgl. die Kundmachung LGBl. für das Land Steiermark Nr. 4/2003), der verbleibende Rest dieser Gesetzesstelle einen sprachlich unverständlichen Torso hinterlassen würde (nämlich: '1. und die Gemeindeverbände')".
2. Die vom Verwaltungsgerichtshof seiner Entscheidung zugrunde zu legende Rechtslage beschreibt dieser wie folgt:
Das - mittlerweile außer Kraft getretene [vgl. Art 151 Abs 27 B-VG; § 20 Steiermärkisches Vergabe-Nachprüfungsgesetz, LGBl. für das Land Steiermark 43/2003] StVergG regelte die Vergabe von Liefer-, Bau-, Baukonzessions- und Dienstleistungsaufträgen durch in § 12 aufgezählte öffentliche Auftraggeber, darunter die Gemeinden. § 12 (idF vor der Kdm. LGBl. 4/2003) lautete auszugsweise wie folgt (die angefochtene Wortfolge ist durch Fettdruck hervorgehoben):
"(1) Öffentliche Auftraggeber (im folgenden Auftraggeber genannt) sind
1. das Land, die Gemeinden und die Gemeindeverbände,
2. - 4. ..."
[Die - kursiv gesetzten - Worte "das Land," waren bis zum Ablauf des verfassungswidrig (s. , und Kdm LBGl. 4/2003.]
Zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit des näher geregelten Vergabeverfahrens berief § 100 StVergG - in der vom Verwaltungsgerichtshof noch anzuwendenden Fassung vor der Novelle LGBl. 94/2002 - einen Vergabekontrollsenat, dessen Mitglieder kraft der Verfassungsbestimmung des § 102 Abs 1 StVergG in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden waren. Gemäß § 105 Abs 3 StVergG entschied dieser in erster und letzter Instanz. Seine Bescheide unterlagen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege; die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes war zulässig.
Der Vergabekontrollsenat war (über Antrag eines Unternehmers, der ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich des StVergG unterfallenden Vertrages behauptet und dem durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden war oder zu entstehen drohte) gemäß § 105 StVergG zuständig,
"(1) [b]is zur Zuschlagserteilung ... zum Zwecke der Beseitigung von Verstößen gegen dieses Gesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen ...
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1. | zur Erlassung einstweiliger Verfügungen sowie | |||||||||
2. | zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen der vergebenden Stelle des Auftraggebers. |
(2) Nach Zuschlagserteilung oder nach Abschluß des Vergabeverfahrens ist der Vergabekontrollsenat zuständig, festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Gesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. In einem solchen Verfahren ist der Vergabekontrollsenat ferner zuständig, auf Antrag des Auftraggebers festzustellen, ob ein übergangener Bewerber oder Bieter auch bei Einhaltung der Bestimmungen dieses Gesetzes und der hiezu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätte".
3. Die Steiermärkische Landesregierung nahm von der Erstattung einer schriftlichen Äußerung Abstand.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung des Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 140 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10.296/1984, 11.565/1987, 12.189/1989).
Da dies hier nicht der Fall ist und der meritorischen Behandlung des Antrages auch keine sonstigen Prozesshindernisse entgegenstehen, ist dieser zulässig.
2. Der Antrag ist auch begründet:
a) Die angefochtene Bestimmung beruft den - als Landesorgan eingerichteten (vgl. § 101 Abs 1 StVergG idF vor LGBl. 94/2002 über die Bestellung der Mitglieder durch die Landesregierung) - Vergabekontrollsenat zur Kontrolle von (Vergabe-)Entscheidungen der Gemeinden in der Steiermark, die von diesen gemäß Art 116 Abs 2 und Art 118 Abs 2 B-VG im eigenen Wirkungsbereich getroffen werden.
b) In seinem Erkenntnis vom , G53-55/03, führte der Verfassungsgerichtshof in Bezug auf eine gleichartige Regelung im WLVergG aus:
"Aus Art 118 Abs 4 B-VG ... ergibt sich, dass die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches von der Gemeinde 'unter Ausschluß eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde zu besorgen' sind. Der Verfassungsgerichtshof hat deshalb in VfSlg. 16.320/2001 eine gesetzliche Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben, mit der 'entgegen Art 118 Abs 4 B-VG Entscheidungen über Rechtsmittel in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde an eine Behörde außerhalb der Gemeinde' (dort an den Unabhängigen Verwaltungssenat) übertragen wurden.
Es ist im Verfahren unbestritten geblieben, dass der VKS als Landesorgan eingerichtet wurde. Seine Mitglieder sind nämlich gemäß § 95 Abs 1 WLVergG nicht nur von der Landesregierung zu bestellen und gemäß Abs 4 dieser Bestimmung in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden, sondern das Amt der Wiener Landesregierung ist auch die mit der administrativen Betreuung des VKS betraute Stelle (§95 Abs 11 WLVergG). Aufgabe des VKS ist es, 'die in den einzelnen Schritten des (Vergabe-)Verfahrens nach außen zum Ausdruck kommenden Entscheidungen selbst zu beurteilen ... und gegebenenfalls aufzuheben' (so VfSlg. 15.578/1999 zur analogen Aufgabenstellung des Bundesvergabeamtes). Er ist deshalb gleich einem Rechtsmittelorgan mit der Kontrolle von Entscheidungen der Gemeindeorgane, u.U. auch des Gemeinderates, betraut.
Die rechtliche Möglichkeit, Vergabeentscheidungen der Gemeinde Wien beim VKS, einem Landesorgan, anzufechten, bildet die Einrichtung eines Rechtsmittels an ein Verwaltungsorgan 'außerhalb der Gemeinde'. Sie stand damit bis zum (vgl. Art 4 des Bundesgesetzes BGBl. I 99/2002 sowie nunmehr Art 14b Abs 6 B-VG) im Widerspruch zu Art 118 Abs 4 B-VG.
Die geschilderte Zuständigkeit verstieß aber bis zum genannten Zeitpunkt auch gegen Art 118 Abs 5 B-VG, demzufolge der Gemeinderat das oberste Organ der Gemeinde zu sein hat (VfSlg. 13.304/1992). Es war daher verfassungswidrig, Vergabeentscheidungen, die von der Gemeinde Wien im eigenen Wirkungsbereich getroffen wurden, von einem nicht dem Gemeinderat verantwortlichen Organ, dem VKS, (außerhalb eines hier von vornherein nicht in Betracht kommenden aufsichtsbehördlichen Verfahrens) überprüfen und u.U. für nichtig erklären zu lassen.
Es war somit festzustellen, dass die gesetzliche Bestimmung des § 12 Abs 1 Z. 1 WLVergG teilweise (: bezüglich der Wortfolge "oder Gemeinde") verfassungswidrig war."
c) Gleiches gilt - worauf der Verwaltungsgerichtshof zutreffend hinweist - auch für die Zuständigkeit des Vergabekontrollsenates für das Land Steiermark zur Überprüfung von Vergaben durch die Gemeinden.
Da die hinsichtlich der Nachprüfung von Vergabeentscheidungen der Gemeinden als Auftraggeber durch den Vergabekontrollsenat im Widerspruch zu Art 118 Abs 4 und 5 B-VG stehende Gesetzesbestimmung des § 12 Abs 1 Z 1 StVergG auf Grund der Sonderregelung des Art 4 Abs 1 des Bundesgesetzes BGBl. I 99/2002 mit Wirkung eine verfassungsrechtliche Deckung erhalten hat, war auszusprechen, dass die Wortfolge "die Gemeinde und" in § 12 Abs 1 Z 1 StVergG bis zum Ablauf des verfassungswidrig war.
d) Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Steiermark zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches erfließt aus Art 140 Abs 5 B-VG.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.