VfGH vom 06.03.2017, G1/2016 ua
Leitsatz
Keine Gleichheitswidrigkeit einer Übergangsvorschrift betreffend die Bemessung des im Anschluss an eine befristete Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension gebührenden Rehabilitationsgeldes; Anpassung der Ausgleichszulage auf Grund verfassungskonformer Interpretation der Regelung auch in diesen Übergangsfällen möglich
Spruch
Die Anträge werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I.Anträge
1.Gestützt auf Art 140 Abs 1 Z 1 litd B-VG begehrt der Antragsteller im zu G1/2016 protokollierten Verfahren, die Wortfolge "Abs1" in der Wortfolge "und zwar einschließlich der dazu geleisteten Ausgleichszulage (§293 Abs 1)" in § 669 Abs 6a ASVG idF BGBl I 2/2015 als verfassungswidrig aufzuheben.
2.Gestützt auf Art 140 Abs 1 Z 1 lita B-VG begehrt das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen im zu G92/2016 protokollierten Verfahren "festzustellen, dass der erste Satz des § 669 Abs 6a ASVG (BGBl I 2014/30) […] verfassungswidrig war; in eventu: den ersten Satz des § 669 Abs 6a ASVG (BGBl I 2014/30) […] als verfassungswidrig aufzuheben".
II.Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die im zu G1/2016 protokollierten Antrag angefochtenen Bestimmungen sind durch Fettdruck, die im zu G92/2016 protokollierten Antrag angefochtenen Bestimmungen sind durch Unterstreichung hervorgehoben):
1.§143a Abs 1 bis 3 ASVG in der zum Stichtag anwendbaren Stammfassung BGBl I 3/2013 lautet:
"Rehabilitationsgeld
§143a. (1) Personen, für die auf Antrag bescheidmäßig festgestellt wurde, dass vorübergehende Invalidität (Berufsunfähigkeit) voraussichtlich im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt (§367 Abs 4) und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig (§303 Abs 3) oder nicht zumutbar (§303 Abs 4) sind, haben ab Vorliegen der vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit) für deren Dauer Anspruch auf Rehabilitationsgeld. Das weitere Vorliegen der vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit) ist vom Krankenversicherungsträger jeweils bei Bedarf, jedenfalls aber nach Ablauf eines Jahres nach der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes oder der letzten Begutachtung, im Rahmen des Case Managements zu überprüfen, und zwar unter Inanspruchnahme des Kompetenzzentrums Begutachtung (§307g). Die Zuerkennung sowie die Entziehung des Rehabilitationsgeldes erfolgt durch Bescheid des Pensionsversicherungsträgers.
(2) Das Rehabilitationsgeld gebührt im Ausmaß des Krankengeldes nach § 141 Abs 1 und ab dem 43. Tag im Ausmaß des erhöhten Krankengeldes nach § 141 Abs 2, das aus der letzten Erwerbstätigkeit gebührt hätte, wobei unmittelbar vorangehende Zeiten des Krankengeldbezuges anzurechnen sind. Jedenfalls gebührt es jedoch in der Höhe des Richtsatzes nach § 293 Abs 1 lita sublitbb. Die Erhöhung bis zu diesem Richtsatz ist nur zu gewähren, so lange die das Rehabilitationsgeld beziehende Person ihren rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.
(3) Trifft der Anspruch auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Erwerbseinkommen, das den Betrag nach § 5 Abs 2 Z 2 übersteigt, zusammen, so gebührt ein Teilrehabilitationsgeld, dessen Höhe sinngemäß nach § 254 Abs 7 zu bestimmen ist. Trifft der Anspruch auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Krankengeld zusammen, so ruht der Anspruch auf Krankengeld mit dem Betrag des Rehabilitationsgeldes. § 143 Abs 1 Z 3 ist anzuwenden. Zeiten, für die der Anspruch auf Krankengeld auf Grund des Rehabilitationsgeldbezuges ruht, sind auf die Höchstdauer nach § 139 nicht anzurechnen."
2.§669 Abs 5 ASVG idF der 78. Novelle zum ASVG, BGBl I 3/2013, sowie der bis in Geltung gestandene § 669 Abs 6a ASVG, BGBl I 3/2013 idF BGBl I 30/2014, lauten:
"(5) Auf Personen, die das 50. Lebensjahr bereits vor dem vollendet haben, sind die §§222 Abs 1 und 2, 251a Abs 1, 253e, 254 Abs 1 Z 1 und 2, 256, 270a, 271 Abs 1 Z 1 und 2 sowie Abs 3, 276e, 277 Abs 2, 279 Abs 1 Z 1 und 2 sowie Abs 3, 301 Abs 1, 306 Abs 1, 362 Abs 2 und 367 Abs 1 in der am geltenden Fassung weiterhin anzuwenden.
(6) […]
(6a) Hat eine Person nach Abs 6 unmittelbar nach dem Ende der befristet zuerkannten Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit Anspruch auf Rehabilitationsgeld, so ist § 143a Abs 2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 3/2013 so anzuwenden, dass das Rehabilitationsgeld im Ausmaß der zuletzt bezogenen, um 11,5 % erhöhten Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension gebührt, und zwar einschließlich der dazu geleisteten Ausgleichszulage (§293 Abs1) und der dazu geleisteten Kinderzuschüsse (§262). Der Pensionsversicherungsträger hat die Höhe des Rehabilitationsgeldes rückwirkend von Amts wegen neu festzusetzen, wenn das bereits zuerkannte Rehabilitationsgeld niedriger ist als die zuletzt bezogene Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension im Sinne des ersten Satzes."
III.Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1.Den beiden Anträgen liegen folgende Sachverhalte zugrunde:
1.1.Der Antragsteller im zu G1/2016 protokollierten Verfahren bezog bis eine befristete Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit inklusive Ausgleichszulage iHv € 857,73 monatlich. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: PVA) vom wurde ausgesprochen, dass weiterhin vorübergehende Berufsunfähigkeit beim Kläger vorliege und er daher Anspruch auf Rehabilitationsgeld habe. Mit Schreiben der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse (im Folgenden: Stmk. GKK) vom wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass er Anspruch auf Rehabilitationsgeld habe.
Mit Bescheid der Stmk. GKK vom wurde ausgesprochen, dass der Antragsteller ab Anspruch auf Rehabilitationsgeld iHv € 31,88 brutto täglich habe; ein darüber hinausgehender Anspruch sei nicht gegeben.
Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht begehrte der Antragsteller Rehabilitationsgeld im gesetzlichen Ausmaß unter Anwendung der Regelungen über die Anpassung der Ausgleichszulagenrichtsätze gemäß § 293 Abs 2 ASVG. Im Urteil des Landesgerichtes vom wurde ausgesprochen, dass der Antragsteller Anspruch auf Rehabilitationsgeld ab dem iHv € 31,88 brutto täglich habe und dass ein darüber hinausgehender Anspruch nicht gegeben sei. Aus Anlass der Berufung gegen diese Entscheidung wird der vorliegende Antrag gestellt.
1.2.1. Im Verfahren, das dem Antrag des Oberlandesgerichtes Innsbruck (G 92/2016) zugrunde liegt, bezog die Klägerin von der PVA eine mit befristete Berufsunfähigkeitspension, zu der ihr eine Ausgleichszulage in Höhe des Differenzbetrages zum Richtsatz nach § 293 Abs 1 lita sublitbb ASVG gewährt wurde. Wegen des Verdachts einer entgeltlichen Beschäftigung der Klägerin stellte die PVA mit Bescheid vom diese Ausgleichszulage ab vorläufig ein.
Nach der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage wurde die PVA mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom verpflichtet, der Klägerin "die Ausgleichszulage in der gesetzlichen Höhe, das ist die sich aus der im Gewährungsbescheid genannten letzten Pensionshöhe und dem Richtsatz sowie aus den seither eingetretenen gesetzlichen Erhöhungen der Pension und des Richtsatzes ergebend[e] Höhe, weiterhin zu gewähren".
Während der Dauer jenes Verfahrens stand der Klägerin keine Ausgleichszulage zur Verfügung, sodass sie sich gezwungen sah, vom bis eine entgeltliche Beschäftigung aufzunehmen.
1.2.2. Am stellte die Klägerin den Antrag auf Weitergewährung der befristeten Berufsunfähigkeitspension, der mit Bescheid der PVA vom abgelehnt und in dem festgestellt wurde, dass bei der Klägerin ab weiterhin vorübergehende Berufsunfähigkeit vorliege und sie daher Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung habe. Die Höhe der bis befristet gewährten Berufsunfähigkeitspension wurde im Bescheid mit € 503,90 angegeben.
Mit Bescheid der beklagten Vorarlberger Gebietskrankenkasse (im Folgenden: Vbg. GKK) vom wurde auf Antrag das der Klägerin aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ab zustehende Rehabilitationsgeld mit täglich € 18,73 festgesetzt, wobei u.a. gemäß § 292 ASVG keine Ausgleichzulage berücksichtigt wurde, da im Zeitraum von Juni 2014 bis August 2014 einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wurde und dies nach § 669 Abs 6a ASVG bei der Bemessung des Rehabilitationsgeldes auch nicht berücksichtigt werden könne.
Nach der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage der Klägerin erkannte das Erstgericht die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab Rehabilitationsgeld in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes von € 872,31 unter Berücksichtigung bereits geleisteter Zahlungen zu gewähren; nach dieser Entscheidung waren bereits geleistete Zahlungen entsprechend zu berücksichtigen und die bereits fällig gewordenen Differenzbeträge binnen 14 Tagen ab Urteilszustellung zu zahlen. In seiner Entscheidungsbegründung verwies das Erstgericht auf § 669 Abs 6 ASVG, wonach auf die Klägerin § 256 ASVG in der am geltenden Fassung bis zum Ablauf der jeweiligen Befristung weiterhin anzuwenden sei. Nach (gemeint wohl) § 669 Abs 6a ASVG sei § 143a Abs 2 ASVG idF BGBI. I 3/2013 so anzuwenden, dass das Rehabilitationsgeld im Ausmaß der zuletzt bezogenen, um 11,5 % erhöhten lnvaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension gebühre, und zwar einschließlich der dazu geleisteten Ausgleichszulage, wenn eine Person nach Abs 6 unmittelbar nach dem Ende der befristet zuerkannten Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit Anspruch auf Rehabilitationsgeld habe, wobei letzteres nach § 143a Abs 2 ASVG mindestens in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende gebühre. Mit anderen Worten sei bei der Berechnung des Rehabilitationsgeldes in diesen Übergangsfällen auf die zuletzt bezogene Invaliditätspension inklusive der Ausgleichszulage insoweit Rücksicht zu nehmen, als dieser Betrag nicht unterschritten werden dürfe. Daraus den Schluss zu ziehen, dass die zum damaligen Zeitpunkt nicht angefallene Ausgleichszulage dazu führe, dass diese jedenfalls auch weiterhin nicht zu gewähren sei, widerspreche der Bestimmung des § 143a Abs 2 ASVG und der Intention des Gesetzgebers in Bezug auf die Bestimmung des § 669 Abs 6a ASVG, weshalb das Rehabilitationsgeld in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes festzusetzen sei.
Gegen diese Entscheidung erhob die Vbg. GKK Berufung an das Oberlandesgericht Innsbruck.
2.Die Bedenken, die die antragstellende Partei und das Oberlandesgericht Innsbruck zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, legen sie wie folgt dar:
2.1.Der Antragsteller zu G1/2016 macht geltend, die Verweisung des § 669 Abs 6a ASVG (idF BGBl I 2/2015) nur auf § 293 Abs 1 ASVG und nicht auch auf Abs 2 dieser Bestimmung sei verfassungswidrig. Während jene Personen, die auf Grund des § 143a ASVG erstmals Anspruch auf Rehabilitationsgeld hätten, dieses zumindest in der Höhe des jeweiligen jährlich angepassten Ausgleichzulagenrichtsatzes erhielten, sei eine derartige Anpassung bei jenen Personen, die – wie er – im Anschluss an eine befristete Invaliditätspension Rehabilitationsgeld gemäß § 669 Abs 6a ASVG erhielten, nicht der Fall. Durch die Aufhebung des Ausdrucks "Abs1" in der Verweisung "§293 Abs 1" im ersten Satz des § 669 Abs 6a ASVG könne ein verfassungskonformer Zustand hergestellt werden.
2.2.Das zu G92/2016 antragstellende Oberlandesgericht Innsbruck beantragt hingegen den ersten Satz des § 669 Abs 6a ASVG als verfassungswidrig aufzuheben bzw. festzustellen, dass diese Bestimmung verfassungswidrig war, und zwar mit im Wesentlichen folgender Begründung:
Im Unterschied zu § 143a ASVG fließe bei den Übergangsfällen durch den Verweis auf den gesamten ersten Absatz des § 293 ASVG die zuletzt tatsächlich bezogene Ausgleichszulage in die Berechnung des Rehabilitationsgeldes gemäß § 669 Abs 6a ASVG ein. Zumindest für Übergangsfälle gelte daher, dass Änderungen in den Einkommensverhältnissen all jener Personen, die unter das Regime des § 669 Abs 6 ASVG fielen, weder zu ihren Gunsten noch zu ihren Lasten berücksichtigt würden. Umgekehrt erhalte eine von der Regelung des § 669 Abs 6a ASVG betroffene Person auch dann, wenn ihr nur in dem einen maßgeblichen Monat vor Anfall des Übergangsgeldes keine Ausgleichszulage gebührt habe, das Rehabilitationsgeld auch bei geänderten Verhältnissen niemals zumindest in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes für eine Einzelperson gemäß § 293 Abs 1 lita sublitbb ASVG. Die "Unter- oder Überdotierungen", die sich sowohl bei Vergleich von verschiedenen von der Übergangsregelung des § 669 Abs 6a ASVG jeweils betroffenen Versicherten als auch bei Gegenüberstellung der Ansprüche der unter das Regime dieser Übergangsregelung fallenden Personen mit den dem direkten Anwendungsbereich des § 143a ASVG unterliegenden Versicherten ergeben, würden zeigen, dass sich bei der in der Praxis häufig anzutreffenden Konstellation einer immer wieder prolongierten vorübergehenden Invalidität (Berufsunfähigkeit) über längere Zeiträume, oft auch über mehrere Jahre, die daraus resultierenden finanziellen Folgen durchaus schwerwiegende Ausmaße im Sinne einer existenziellen Bedrohung des Anspruchswerbers annehmen können, zumal die Finanzkraft des betroffenen Personenkreises in der Regel bescheiden sei.
3.Die Bundesregierung hat jeweils eine Äußerung erstattet, in der sie keine Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Anträge hat und den in den Anträgen erhobenen Bedenken gegen die angefochtenen Wortfolgen entgegentritt.
4.Die Klägerin im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Innsbruck hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des antragstellenden Gerichtes anschließt.
IV.Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat in den in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Verfahren erwogen:
1.Zur Zulässigkeit der Anträge
1.1.Zur Zulässigkeit des zu G1/2016 protokollierten Antrags
1.1.1.Gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach § 62a Abs 1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.
1.1.2.Der Antrag wurde aus Anlass der Berufung gegen die Entscheidung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht gestellt. Mit diesem Urteil wurde die Rechtssache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs 1 Z 1 litd B-VG).
1.1.3.Als Kläger ist der Antragsteller Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht, womit er zur Antragstellung gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B-VG berechtigt ist.
1.1.4.Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat der Antragsteller jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass er den vorliegenden Antrag und das Rechtsmittel gegen die Entscheidung am selben Tag erhoben und eingebracht hat (vgl. ).
Im Übrigen geht der Verfassungsgerichtshof auf Grund einer entsprechenden Mitteilung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz davon aus, dass das erhobene Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.
1.1.5.1. Ein auf Art 140 Abs 1 Z 1 litd B-VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß § 62 Abs 2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw. die Verfassungsmäßig-keit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (; vgl. ).
1.1.5.2. Das Erstgericht hat jene Normen, deren Verfassungswidrigkeit der Antragsteller behauptet, angewendet. Die angefochtenen Bestimmungen sind somit als präjudiziell anzusehen.
1.1.6. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der zu G1/2016 protokollierte Antrag daher als zulässig.
1.2.Zur Zulässigkeit des zu G92/2016 protokollierten Antrags
1.2.1.Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG bzw. des Art 140 Abs 1 Z 1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2.2.Es ist nicht denkunmöglich, dass das antragstellende Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung die angefochtene Bestimmung anzuwenden haben wird.
1.2.3.Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der zu G92/2016 protokollierte Antrag daher als zulässig.
2. In der Sache
Die Anträge sind nicht begründet.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
2.2. Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s. etwa VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s. etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002). Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (zB VfSlg 14.301/1995, 15.980/2000 und 16.814/2003).
2.3. In beiden Anträgen wird im Wesentlichen übereinstimmend geltend gemacht, dass das Rehabilitationsgeld, welches nach dem jeweiligen Grundtatbestand für die Leistungsbemessung in einer Höhe zu bemessen sei, die unter dem ausgleichszulagenrechtlichen Richtsatz für eine Einzelperson gemäß § 293 Abs 1 lita sublitbb ASVG liege, in dem einen Fall (nämlich in dem des § 143a ASVG), jedenfalls in der (jeweiligen) Höhe der Ausgleichszulage gebühre, während in jenen vergleichbaren Fällen, in denen Rehabilitationsgeld im Anschluss an eine befristete Invaliditätspension gemäß § 669 Abs 6a ASVG zu bemessen sei, eine solche Anpassung entweder nicht stattfinde oder aber eine einmal gewährte Ausgleichszulage auch bei einer positiven Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht mehr wegfallen könne.
2.4. Die antragstellende Partei und das antragstellende Gericht sind zunächst mit ihrer Auffassung im Recht, dass die von ihnen unterstellte Rechtslage mit dem Gleichheitssatz nicht im Einklang stünde:
2.4.1. Der Gesetzgeber hat mit dem Rehabilitationsgeld eine Geldleistung geschaffen, die – wie die aus den Gesetzesmaterialien hervorgehende Absicht des Gesetzgebers zeigt (vgl. Erläut. zur RV 2000 BlgNR 24. GP, 7 [zu Art 5 Z 25] und 22 [zu Art 5 Z 26 ua.] sowie AB 60 BlgNR 25. GP, 2 f.) – bei der betroffenen Personengruppe der ab dem Geborenen (das sind jene, die das 50. Lebensjahr nicht bereits vor dem vollendet haben – § 669 Abs 5 ASVG) an die Stelle der befristeten Invaliditätspension bei vorübergehender Invalidität treten sollte.
2.4.2. Die nachträglich und rückwirkend zum geschaffene Übergangsvorschrift des § 669 Abs 6a ASVG hat die Funktion, bei jenen Personen, deren noch in der Zeit vor dem gewährte befristete Invaliditätspension nach dem ausgelaufen ist und bei denen im Anschluss daran aber weiterhin vorübergehende Invalidität in der Dauer von zumindest sechs Monaten vorliegt, eine Art Bestandschutz dahin zu bewirken, dass das Rehabilitationsgeld nicht in der Höhe des (fiktiven) Krankengeldes, wie dies in § 143a ASVG vorgesehen wäre, sondern in der Höhe der soeben ausgelaufenen Invaliditätspension einschließlich Ausgleichszulage und Kinderzuschuss zu bemessen ist. Wie der letzte Satz des § 669 Abs 6a ASVG zeigt, sollte dies nur dann gelten, wenn das zunächst nach § 143a ASVG (dh. auf Grund von unter Umständen schon länger zurückliegenden Arbeitsentgelten) bemessene Rehabilitationsgeld geringer gewesen wäre als die zuletzt bezogene Invaliditätspension.
2.4.3. Beim Rehabilitationsgeld, das nach § 143a ASVG bemessen wird, und jenem, das nach § 669 Abs 6a ASVG bemessen wird, handelt es sich aber – abgesehen von der unterschiedlichen Erstbemessung – um keine verschiedenen Leistungen. Der Gesetzgeber ist daher allein deshalb, weil das Rehabilitationsgeld für bisherige Bezieher einer befristeten Invaliditätspension zur allfälligen Besitzstandswahrung der Höhe nach anders bemessen wird als jenes für zuletzt noch Erwerbstätige, nicht frei darin, auch ganz beliebig weitere Bedingungen, unter denen diese Leistung gewährt wird, für die Gruppe der Bezieher nach § 669 Abs 6a ASVG einerseits bzw. jener nach § 143a ASVG andererseits ohne sachlichen Grund verschieden zu regeln.
2.4.4. Dies trifft insbesondere für die Frage zu, inwieweit das Rehabilitationsgeld auch (mindest-)existenzsichernden Charakter haben soll:
2.4.4.1. Es liegt zwar im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, das Rehabilitationsgeld analog zu einem Pensionsanspruch durch Gewährung einer Ausgleichzulage entweder (mindest-)existenzsichernd auszugestalten oder die Bezieher insoweit auf das System der landesgesetzlich eingerichteten Mindestsicherung zu verweisen (zum rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ermittlung sozialer Bedarfslagen und bei der Ausgestaltung der an diese Bedarfslagen anknüpfenden sozialen Maßnahmen VfSlg 18.885/2009). Hat sich der Gesetzgeber aber für die existenzsichernde Variante entschieden, dann darf er innerhalb der Gruppe von Beziehern von Rehabilitationsgeld, dessen Höhe den Richtsatz gemäß § 293 Abs 1 lita sublitbb ASVG nicht erreicht, nicht ohne sachlichen Grund differenzieren.
2.4.4.2. Ob jemand vor diesem den Richtsatz unterschreitenden Rehabilitationsgeld Arbeitsentgelt, Arbeitslosengeld, Krankengeld oder eine befristete Invaliditätspension bezogen hat, vermag mangels einer inneren Beziehung dieses Umstandes zur Frage der Gewährung und der Fortdauer der Existenzsicherung nach dem Ende dieser Leistungen eine derartige Differenzierung jedenfalls nicht zu rechtfertigen.
2.4.5. Es entspräche also ebenso wenig dem Sachlichkeitsgebot, Beziehern von Rehabilitationsgeld nur im Anschluss an eine Invaliditätspension eine Ausgleichszulage unabhängig von den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen weiter zu gewähren, wie im Anschluss an eine befristet gewährte Invaliditätspension eine Ausgleichszulage unabhängig von der Höhe des Rehabilitationsgeldes auf Dauer nur deshalb zu versagen, weil zum Zeitpunkt des letzten Pensionsbezuges ein Anspruch auf Ausgleichszulage (aus welchem Grund immer) nicht bestanden hat.
2.5. Ob der Gesetzgeber allerdings – wie die antragstellende Partei und das antragstellende Gericht meinen – eine insoweit als verfassungswidrig zu beurteilende Rechtslage geschaffen hat, hängt davon ab, ob § 669 Abs 6a ASVG in der Weise zu interpretieren ist, wie dies in den Anträgen angenommen wird.
2.5.1. Der Wortlaut des § 669 Abs 6a ASVG legt zunächst nur nahe, dass es sich dabei um eine von § 143a Abs 2 ASVG abweichende Bemessungsvorschrift handelt. Wie sich aber aus dem letzten Satz des § 669 Abs 6a ASVG ergibt, hatte der Gesetzgeber keineswegs die Absicht, die Bestimmung des § 143a Abs 2 ASVG zur Gänze zu verdrängen bzw. zu überlagern. Im Gegenteil: Die nachträglich und rückwirkend geschaffene Übergangsbestimmung des § 669 Abs 6a ASVG sollte nur dann zu einer Neuberechnung des bereits nach § 143a ASVG zuerkannten Rehabilitationsgeldes führen, wenn dies für die Partei günstiger war.
2.5.2. Daraus ergibt sich aber zwanglos, dass sich § 669 Abs 6a erster Satz ASVG nicht auf den gesamten § 143a Abs 2 ASVG beziehen kann, sondern nur auf dessen ersten Satz: Denn nur insoweit ergibt die ausdrückliche Einbeziehung einer zur Invaliditätspension bezogenen Ausgleichzulage in die Berechnung nach § 669 Abs 6a ASVG einen Sinn. Würde nämlich die Vorschrift des § 669 Abs 6a erster Satz ASVG als lex specialis den gesamten § 143a Abs 2 ASVG verdrängen, dann käme in diesem Fall eine Neuberechnung von vornherein nicht in Betracht, da § 143a Abs 2 zweiter Satz ASVG ohnehin eine Mindesthöhe des Rehabilitationsgeldes im Ausmaß des genannten Richtsatzes garantiert.
2.6. § 143a Abs 2 ASVG und § 669 Abs 6a ASVG im Zusammenhang gelesen führen daher weder zwingend zu der Annahme des antragstellenden Gerichtes, dass der Gesetzgeber mit der Übergangsbestimmung bestimmten Beziehern von Rehabilitationsgeld eine garantierte, andererseits aber auch "eingefrorene" Ausgleichszulage schaffen wollte, noch zwingend zu der Annahme, dass bei einer Bemessung des Rehabilitationsgeldes nach § 669 Abs 6a erster Satz ASVG die Anwendung des § 143a Abs 2 zweiter und dritter Satz ASVG ausgeschlossen wäre. Wenn aber – wie hier nach dem soeben Gesagten – bei einer Rechtsnorm mehrere Interpretationen in Betracht kommen, ist jene zu wählen, nach der die Norm nicht als verfassungswidrig erscheint (zum Grundsatz der verfassungskonformen Interpretation vgl. zB VfSlg 10.066/1984, 11.576/1987, 12.469/1990, 12.501/1990, 12.572/1990, 18.910/2009, 19.583/2011).
2.7. Verfassungskonform interpretiert gewährleistet § 669 Abs 6a ASVG daher weder eine von einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse unabhängige Ausgleichszulage (§143a Abs 2 und Abs 3 ASVG in der hier noch anzuwendenden Fassung bleiben vielmehr auch auf Ausgleichszulagen, die nach § 669 Abs 6a ASVG einbezogen wurden, anwendbar) noch schließt § 669 Abs 6a erster Satz ASVG für den Fall, dass zur befristeten Invaliditätspension zuletzt keine Ausgleichszulage gebührt hat, die Anwendung des zweiten und dritten Satzes des § 143a Abs 2 ASVG aus. Die in den Anträgen behaupteten Verstöße gegen den Gleichheitssatz liegen daher nicht vor.
V.Ergebnis
1.Die von der antragstellenden Partei und vom Oberlandesgericht Innsbruck ob der Verfassungsmäßigkeit der näher bezeichneten Wortfolgen des § 669 Abs 6a ASVG erhobenen Bedenken treffen daher nicht zu. Die Anträge sind abzuweisen.
2.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3.Im zu G1/2016 protokollierten Verfahren sind Kosten nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines Antrages gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litd B-VG Sache des zuständigen ordentlichen Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB ; , G497/2015).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2017:G1.2016 |
Schlagworte: | Sozialversicherung, Pensionsversicherung, Invalidität, Rehabilitation, Ausgleichszulage, Auslegung verfassungskonforme, Übergangsbestimmung |
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