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VfGH vom 08.06.2020, E4519/2019

VfGH vom 08.06.2020, E4519/2019

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen des Irans; mangelnde Nachvollziehbarkeit der Beweiswürdigung zur Scheinkonversion und Abgehen vom Akteninhalt zur Verfolgung von Religionszugehörigen der Bahá'í

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, dass er im Iran auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Bahá'í verfolgt werde.

Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig ist. Ferner setzte es eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise.

2. Mit Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei insgesamt zu vage, um daraus eine individuelle Verfolgung ableiten zu können. Der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft darlegen können, dass er auf Grund eines inneren Entschlusses tatsächlich zum Glauben der Bahá'í konvertiert sei. Der Beschwerdeführer nehme zwar an Aktivitäten seiner Glaubensgemeinde teil, jedoch handle es sich um eine Scheinkonversion. Es könne daher nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr die neue Religion praktizieren, nach außen tragen oder gar missionarisch tätig werden würde.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Für die Beurteilung, ob es sich bei der Konversion des Beschwerdeführers um eine Scheinkonversion handelt, kommt nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wie jener des Verwaltungsgerichtshofes der Frage der inneren (Glaubens-)Überzeugung des Beschwerdeführers maßgebliche Bedeutung zu (vgl VfSlg 19.837/2013; ; , U2193/2013; ; , Ra 2017/18/0028; , Ra 2018/19/0603). Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist die Glaubwürdigkeit der Konversion anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln (vgl zB VfSlg 19.837/2013). Sobald auf Grund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, muss sich das Bundesverwaltungsgericht auf Grund der Persönlichkeit, aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins Einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, einen detaillierten Eindruck darüber verschaffen, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht (vgl VfSlg 19.837/2013; ; , E2958/2017; , E4695/2018; , E450/2019).

Maßgeblich für die Gewährung von Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention sind – wie auch in § 3 Abs 2 AsylG 2005 zum Ausdruck kommt – dabei nicht nur jene Gründe, die den Beschwerdeführer zum Verlassen des Herkunftsstaates bewogen haben, sondern auch jene, die zum Entscheidungszeitpunkt eine asylrelevante Verfolgung begründen können (vgl zB mwN).

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht weist den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz deswegen ab, weil es sich beim Übertritt des Beschwerdeführers zur Glaubensgemeinschaft der Bahá'í um eine Scheinkonversion handle. In seiner, diese Annahme begründenden Beweiswürdigung stützt sich das Bundesverwaltungsgericht entscheidend darauf, dass ein in seiner Eigenschaft als "Tutor" des Beschwerdeführers geladener Zeuge eine Scheinkonversion nicht habe ausschließen können. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, dass es der "plausible[n] Ansicht" des Zeugen, der nach eigenen Angaben früher Mitglied des Nationalen Geistigen Rates der Bahá'í in Österreich und damit für die Aufnahme neuer Mitglieder in die Bahá'í-Gemeinde in Österreich verantwortlich gewesen sei, dahingehend folge, "dass eine Scheinkonversion nicht einfach ausgeschlossen werden" könne, womit von einer Scheinkonversion auszugehen sei.

Dieser Zeuge hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht auf die Frage, wie er sicherstellen könne, dass ein Aufnahmewerber nicht zum Schein konvertiere, Folgendes ausgeführt:

"[A]n sich kann man nicht in das Herz eines Menschen schauen. Ich glaube, dass ein einzelner nicht beurteilen kann, wie es in Herz eines Menschen aussieht und welche Gründe er hat, bestimmte Schritte zu setzen. Persönlich kann man ja nur ein Gefühl bekommen, nach monatelangem oder jahrelangem Kontakt, wenn man einen Menschen besser kennenlernt, dass man mehr Gefühl bekommt für den Charakter eines Menschen und seine Motive. Aber welches Motiv auch jemand hat, spielt bei dieser Freundschaft für mich keine Rolle. Aber was wesentlich ist, wenn sich jemand entscheidet Bahai zu werden, sind die Institutionen, die befugt sind, sich eine Meinung zu bilden und sie tun das nicht leichtfertig, sondern nach monatelangem oder jahrelangen Gesprächen und so beurteilen sie diese Ernsthaftigkeit des Ansuchens. Wenn sie jemanden aufnehmen, wenn der nationale geistige Rat jemanden empfiehlt, wird es dort wiederum beraten und dann fällt die Entscheidung. Manchmal dauert diese Prozedur Jahre, manchmal geht es schneller, manchmal langsamer, es ist der Situation angepasst. In diesem Fall wurde dieser Antrag an den geistigen Rat Wien gestellt. Nach der Bestätigung wurde es auch durch den nationalen geistigen Rat bestätigt. Diese Entscheidung ist über das persönliche Gefühl erhaben. Jeder der angenommen wird, ist in der Bahai-Gemeinde willkommen. Es passiert auch sehr oft, dass es abgelehnt wird, es ist nicht so, dass nur ein ausreichend langes Ausharren zum Erfolg führt."

Für den Verfassungsgerichtshof ist nicht nachvollziehbar, warum diese Ausführungen des Zeugen die Annahme einer Scheinkonversion des Beschwerdeführers nahelegen sollen, bekräftigen sie doch bloß aus der Sicht des Zeugen den Umstand, dass eine Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft der Bahá'í nur nach sorgfältiger Prüfung der Ernsthaftigkeit der Glaubensentscheidung erfolgen würde.

2.3. Weiters stellt das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit einer möglichen Verfolgung der Bahá'í im Iran darauf ab, ob sich ein Mitglied dieser Glaubensgemeinschaft in einer exponierten Lage befindet, was es im Hinblick auf den Beschwerdeführer deswegen verneint, weil der Besuch der Gemeinde der Bahá'í nicht zu einem auffälligen Verhalten führe. Damit lässt das Bundesverwaltungsgericht aber die in seiner Entscheidung wiedergegebenen Länderfeststellungen außer Betracht, in denen ausgeführt wird, dass die "etwa 300.000 Anhänger […] systematisch verfolgt [werden], weil sie Propheten nach Mohammed akzeptieren und damit als abtrünnige Muslime gelten"; weiters, dass die Bahá'í "als religiöse Minderheit den schwierigsten Stand in der Gesellschaft" haben und diese "wegen des Bestehens ihrer Zentrale in Haifa/Israel von offizieller iranischer Seite besonders misstrauisch beobachtet und oft als israelische Spione angesehen werden". Zudem gebe es "häufig Berichte über Verhaftungen von Baha'is" und ist von "systematischen Angriffe[n] auf die Glaubensgemeinschaft der Baha'i" sowie von "willkürliche[n] Festnahmen, lange[n] Haftzeiten, Folter und andere[n] Misshandlungen" die Rede.

2.4. Das Bundesverwaltungsgericht ist somit bei seiner Beweiswürdigung leichtfertig, weil ohne nachvollziehbare Begründung vom Inhalt der Akten abgegangen und hat damit sein Erkenntnis mit Willkür belastet.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2020:E4519.2019
Schlagworte:
Asylrecht, Religionsfreiheit, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

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