VfGH vom 04.03.2020, E4399/2019
Leitsatz
Keine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleitsteten Rechten durch Abweisung des Status auf internationalen Schutz betreffend einen im Iran aufgewachsenen afghanischen Staatsangehörigen; hinreichende Auseinandersetzung mit dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif auch ohne Unterstützungsnetzwerk
Spruch
I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
II.Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.
Begründung
Entscheidungsgründe
I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1.Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, stammt aus der Provinz Herat, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Im Alter von drei Jahren verließ er mit seinen Eltern Afghanistan in Richtung Iran, wo er bis zu seiner Ausreise in Teheran lebte. Der Beschwerdeführer stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2.Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
3.Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.
3.1.Das Bundesverwaltungsgericht führt darin zusammengefasst aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine begründete Furcht vor Verfolgung auf Grund einer Affäre mit einer verheirateten Frau im Iran oder der Vergangenheit seines Vaters darzutun. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan drohe. Auch die Abkehr vom islamischen Glauben sowie eine Verfolgung auf Grund eines "westlichen" Lebensstils hätten nicht glaubhaft gemacht werden können.
3.2.Zum subsidiären Schutz führt das Bundesverwaltungsgericht Folgendes aus:
"Es bedarf somit wie zuvor ausgeführt, im Rahmen einer Einzelfallprüfung einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat.
Im Fall des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Feststellungen zu seiner persönlichen Situation vor dem Hintergrund der spezifischen Länderfeststellungen keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses bei der Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan.
Nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist – wie oben bereits dargestellt – davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer weder aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Asylgründe sein Land verlassen hat, noch, dass er im Falle seiner Rückkehr einer realen Gefahr im Sinne von Artikel 2 oder Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre, die eine Zuerkennung subsidiären Schutzes notwendig machen würde. Denn auch unabhängig vom individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers sind keine außergewöhnlichen, exzeptionellen Umstände hervorgekommen, die ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan drohen könnten und die ein Abschiebungshindernis im Sinne von Artikel 3 EMRK iVm § 8 AsylG 2005 darstellen könnten, wie etwa eine dramatische Versorgungslage (zB Hungersnöte), eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar der Verlust des Lebens
[…].
Wie festgestellt, kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass eine Überstellung des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Herat aufgrund der schwachen und nicht gesicherten Infrastruktur ausgehend von Kabul bis in die Provinz Herat mit ernstzunehmender Gefahr für Leib und Leben verbunden ist, weshalb ihm eine Rückkehr dorthin nicht zugemutet werden kann.
Der Beschwerdeführer kann aber aufgrund der allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände festgestelltermaßen auf eine andere Region des Landes – nämlich in die Stadt Mazar-e Sharif– verwiesen werden. Der Rückreiseweg in diese Stadt ist sicher über deren internationalen Flughafen möglich und finanziell abgesichert, zumal gemäß § 52a BFA-VG iVm § 12 Abs 2 GVG-B 2005 die Rückkehrhilfe jedenfalls die notwendigen Kosten der Rückreise umfasst. Zusätzlich stehen dem Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr diverse Hilfsprogramme (ERIN, RESTART II, 'Post Arrival Assistance') zur Verfügung.
Mazar-e Sharif wird sowohl von UNHCR als auch von EASO als hinreichend sicher bezeichnet, sodass kein Zivilist, wie es der Beschwerdeführer ist, reelle Gefahr läuft, dort Opfer von Gewalthandlungen zu werden. Das heißt, dass Mazar-e Sharif für Normalbürger, die nicht mit Ausländern bzw Sicherheitskräften zusammenarbeiten, ausreichend sicher und über den Flughafen gut erreichbar ist. Auch der Zugang zu Unterkunft und grundlegender Versorgung sowie zu Erwerbsmöglichkeiten ist jeweils in ausreichendem Umfang gewährleistet.
Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter, ist gesund, hat ungefähr sechs Jahre lang Privatunterricht im Iran erhalten und verfügt über Berufserfahrung als Installateur im Iran. Er spricht Dari, hat zwar im Alter von drei Jahren Afghanistan verlassen und im Iran gelebt, ist aber in einer afghanischen Familie und in einem afghanischen Umfeld im Iran aufgewachsen und damit mit den sprachlichen und kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut und hat die Möglichkeit, sich allenfalls durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern.
Es wird dabei nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer lange Zeit im Iran verbracht hat. Laut den EASO Leitlinien 2018 ist in diesem Fall auf die Kriterien eines Unterstützungsnetzwerkes, Kenntnisse der afghanischen Kultur und den sozialen und ökonomischen Hintergrund Bedacht zu nehmen (EASO Leitlinien 2018, Seite 109):
Der Beschwerdeführer hat zwar in Mazar-e-Sharif selbst kein Unterstützungsnetzwerk, gehört aber keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung.
Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner Sozialisierung in einer afghanischen Familie mit den kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Landes ausreichend vertraut. Der Beschwerdeführer kann zudem allenfalls Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen, wodurch er Unterstützung für die Existenzgründung bei einer Rückkehr erlangen kann. Dafür, dass der Beschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (zB Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gibt es keine hinreichenden Hinweise auf Basis der offiziellen Länderinformationen.
Insgesamt bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre.
Für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan reicht es auch nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung des Artikels 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen. Solche Umstände konnte der Beschwerdeführer im Verfahren jedoch nicht glaubhaft machen.
Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt daher im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass für den Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif besteht und ihm diese auch zumutbar ist, zumal sich aus den Länderfeststellungen ergibt, dass der Beschwerdeführer in dieser Stadt nach eventuell anfänglichen Schwierigkeiten Fuß fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten führen kann, wie es auch andere Landsleute führen können (vgl , mwN).
Der Beschwerdeführer konnte auch, wie zuvor ausgeführt, im gesamten Verfahren keine individuellen Umstände glaubhaft machen, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung des Artikels 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Rückverbringung des Beschwerdeführers nach Afghanistan steht daher nicht im Widerspruch zu § 8 Abs 1 AsylG 2005, weshalb dem Beschwerdeführer nach den genannten Bestimmungen der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuzuerkennen ist."
3.3.Im Rahmen der nach Art 8 Abs 2 EMRK gebotenen Interessenabwägung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass diese Prüfung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und der österreichischen Höchstgerichte von den Umständen des Einzelfalles abhänge. Zwar werde nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer umfangreiche integrative Schritte gesetzt habe; jedoch liege keine solche "außergewöhnliche Konstellation" vor, wie sie in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gefordert werde (). Die Interessenabwägung schlage daher zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus.
4.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), im Recht keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Folter) unterworfen zu werden (Art3 EMRK) sowie im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, sowie die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wird.
4.1.Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht, insbesondere auch vor dem Hintergrund der "Country-Guidance: Afghanistan - guidance note and common analysis" des EASO vom Juni 2018 und der UNHCR-Richtlinien, nicht mit der Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe, der ab seinem dritten Lebensjahr bis zu seiner Ausreise im Iran gelebt habe. Das Bundesverwaltungsgericht habe mit der Feststellung, der Beschwerdeführer könne nach Mazar-e Sharif zurückkehren, Willkür geübt und eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK geschaffen. Zusätzlich habe das Bundesverwaltungsgericht Art 8 EMRK verletzt, indem es die Integration des Beschwerdeführers nicht ausreichend berücksichtigt habe.
5.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
6.Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung Folge gegeben.
II.Erwägungen
1.Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.
Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
2.Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Bundesverwaltungsgericht nicht vorzuwerfen:
2.1.Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s etwa EGMR , Fall Soering, EuGRZ1989, 314 [319]; , Fall Vilvarajah ua, ÖJZ1992, 309 [309]; , Fall Hilal, ÖJZ2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuweisen – oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen – unter dem Blickwinkel des Art 3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995 und 14.998/1997).
2.2.Zur Beurteilung dessen sind vor allem hinreichend aktuelle Länderberichte heranzuziehen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; ; , U2557/2012; , U1159/2012 ua; , E1542/2014; , E1641/2016; , E1796/2016; , E2124/2017).
2.3.Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang etwa auf die Richtlinien des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR) oder auf die Berichte des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office – EASO). Im Zusammenhang mit der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative ordnet Art 8 Abs 2 der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationaler Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) an, dass genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des UNHCR oder des EASO, eingeholt werden; diesen misst das Unionsrecht auch sonst besonderes Gewicht bei (vgl zB auch Art 10 Abs 3 litb der Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes [Verfahrensrichtlinie] und etwa , Halaf, Rz 44). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl etwa VfSlg 20.021/2015, 20.166/2017; ; , E3870/2018, sowie zuletzt ) und des Verwaltungsgerichtshofes (jüngst etwa ; , Ra 2019/14/0114) ist diesen Berichten daher besondere Beachtung zu schenken.
3.Das Bundesverwaltungsgericht ist im vorliegenden Fall davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom mit Stand vom , der UNHCR-Richtlinien und der "Country-Guidance: Afghanistan - guidance note and common analysis" des EASO von Juni 2018 auf eine innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative in Mazar-e Sharif verwiesen werden könne.
3.1.Die "Country-Guidance: Afghanistan - guidance note and common analysis" vom Juni 2018 (die aktuelle Fassung vom Juni 2019 enthält keine hier relevanten Neuerungen) geht davon aus, dass alleinstehenden Männern eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul zumutbar sei, auch wenn es in dem Neuansiedlungsgebiet kein Unterstützungsnetzwerk gebe.
3.2.Von dieser Beurteilung werden jene Rückkehrer ausgenommen, die lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben. Die Berichte des EASO gehen davon aus, dass für diese Personengruppe eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könnte, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe (vgl S. 109 der "Country-Guidance: Afghanistan - guidance note and common analysis"): Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund (insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung, Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans).
3.3.Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in dieser Hinsicht hinreichend mit der Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Es hat hiezu auf Tatsachenebene festgestellt, dass der Beschwerdeführer jung und arbeitsfähig sei und eine sechsjährige Schulausbildung im Iran erhalten habe. Zusätzlich habe er Berufserfahrung als Installateur. In seiner rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht weiters aus, dass Umstände vorlägen, die es dem Beschwerdeführer erlauben, nach Mazar-e Sharif zurückzukehren, obwohl er kein Unterstützungsnetzwerk habe. Er gehöre keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen sei, dass er in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger sei als die übrige Bevölkerung. Der Beschwerdeführer sei auf Grund der Sozialisierung in einer afghanischen Familie mit den kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Landes vertraut und könne zudem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen, wodurch er bei einer Rückkehr nach Afghanistan Unterstützung für die Existenzgründung erlangen könne. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich daher mit dem sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund des Beschwerdeführers in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auseinandergesetzt.
3.4.Vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles ist die vorgenommene Einzelfallprüfung des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des im Iran aufgewachsenen Beschwerdeführers aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
4.Auch sonst kann der Verfassungsgerichtshof keine in die Verfassungssphäre reichende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses erkennen:
4.1.Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art 8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).
4.2.Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung des Beschwerdeführers in seinen Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art 8 EMRK überwiegt (vgl VfSlg 19.086/2010).
III.Ergebnis
1.Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
2.Die Beschwerde ist daher abzuweisen und gemäß Art 144 Abs 3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2020:E4399.2019 |
Schlagworte: | Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung |
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