VfGH vom 26.06.2018, E4387/2017
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags eines irakischen Staatsangehörigen auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung mangels nachvollziehbarer Auseinandersetzung mit der Sicherheits- und Versorgungslage in der Provinz Salah ad-Din
Spruch
I.1.Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2.Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
3.Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1.Der Beschwerdeführer irakischer Staatsangehörigkeit und sunnitischen Glaubens stammt aus der Provinz Diyala, wo er 12 Jahre die Grund- und Mittelschule besuchte, und lebte jedenfalls ca. von 2008 bis 2013 in Tikrit, wo er ein Studium absolvierte. Am stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz wegen Problemen mit schiitischen Milizen; schon wegen seines sunnitisch konnotierten Vornamens drohe ihm Verfolgung.
2. Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) diesen Antrag gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) ab; erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.); und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).
3. Die gegen alle Spruchpunkte erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom vollinhaltlich ab. Es begründet seine Entscheidung hinsichtlich der Abweisung des Asylantrages im Wesentlichen damit, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, aus der dargelegten Fluchtgeschichte eine asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen. Auch die allgemeine Lage im gesamten Herkunftsstaat sei nicht dergestalt, "dass sich konkret für die beschwerdeführende Partei eine begründete Furcht vor einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden asylrelevanten Verfolgung ergeben würde". In Tikrit sei der IS bereits 2015 wieder vertrieben worden.
Hinsichtlich subsidiären Schutzes hält das Bundesverwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung Folgendes fest:
"Im gegenständlichen Fall ist es der beschwerdeführenden Partei nicht gelungen ihre vorgebrachte individuelle Bedrohung bzw. Verfolgungsgefahr im dargestellten Ausmaß glaubhaft zu machen, weshalb sich daraus auch kein zu berücksichtigender Sachverhalt ergibt, der gemäß § 8 Abs 1 AsylG zur Unzulässigkeit der Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung in den Herkunftsstaat führen könnte.
Die beschwerdeführende Partei hat im Verfahren keine relevante Erkrankungen dargelegt, weshalb sich daraus kein Rückkehrhindernis ergibt.
Unter Berücksichtigung der individuellen Situation der beschwerdeführenden Partei ist festzuhalten, dass hinsichtlich der Lebensbedingungen in ihrem Herkunftsstaat von einer lebensbedrohenden Notlage, welche bei einer Rückkehr die reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung iSd Art 3 EMRK indizieren würde, aus Sicht des BVwG nicht gesprochen werden kann. Die bP hat selbst auch keine Bedenken in der Hinsicht geäußert, dass sie im Falle einer Rückkehr in den Irak nicht das zum Leben unbedingt Erforderliche erlangen könnte.
Bei der bP handelt es sich um einen gesunden, arbeitswilligen und erwerbsfähigen Mann der im Irak aufgewachsen ist und dort auch an verschiedenen Orten über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt. Sie hat in Tikrit ein Studium abgeschlossen, dort auch zumindest von 2008 bis 2013 gelebt und Berufserfahrung in mehreren Erwerbszweigen gesammelt.
Ergänzend ist anzuführen, dass auch eine Rückkehrhilfe (über diese wird im erstinstanzlichen Verfahren schon informiert) als Startkapital für die Fortsetzung des bisherigen Lebens in gewährt werden kann. Im Rahmen der Rückkehrhilfe wird dabei der Neubeginn zu Hause unterstützt, Kontakt zu Hilfsorganisationen im Heimatland vermittelt, finanzielle Unterstützung geleistet und beim Zugang zu Wohn-, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten geholfen.
Auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ergibt sich somit kein 'reales Risiko', dass es derzeit durch die Rückführung der beschwerdeführenden Partei in den Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde.
Es kam im Verfahren nicht hervor, dass konkret für die beschwerdeführende Partei im Falle einer Rückverbringung in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr bestünde, als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt zu sein.
Es war unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände daher zu Recht kein Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren."
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Name des Beschwerdeführers darauf hindeute, dass er Sunnit sei und ein sunnitisch konnotierter Name einem Todesurteil gleichkomme. Dem Beschwerdeführer drohe die Ermordung insbesondere durch schiitische Milizen, die die sunnitische Minderheit verfolgen würden. Weiters argumentiert die Beschwerde mit näherer Begründung eine besondere Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift unter Verweis auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung Abstand genommen.
II. Erwägungen
Die Beschwerde ist zulässig.
A. Soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist die Beschwerde auch begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtspre-chung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich der Nichtzuer-kennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erschöpft sich darin, (unter Verweis auf Rückkehrhilfe und Hilfsorganisationen im Heimatland) auszuführen, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen jungen, arbeitsfähigen Mann mit familiären Anknüpfungspunkten im Irak und ausreichender Bildung sowie Berufserfahrung handle, dem es grundsätzlich möglich sein werde, in seinem Herkunftsland ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts zu erwirtschaften.
Zur Sicherheits- und Versorgungslage in der Provinz Diyala trifft das Bundesverwaltungsgericht keinerlei Feststellungen.
Zu Tikrit hält das Bundesverwaltungsgericht lediglich fest, dass die Stadt 2014 unter die Kontrolle des IS geraten sei, wobei es zu einem Massaker an irakischen Soldaten gekommen sei. In der Schlacht um Tikrit im März 2015 sei der IS vertrieben worden. Aktuell stehe Tikrit unter der Kontrolle des irakischen Militärs bzw. der "ISF". Tikrit sei "eine irakische Stadt am Fluss Tigris mit über 100.000 Einwohnern […] etwa 160 km nordwestlich von Bagdad mit fast ausschließlich sunnitischer Bevölkerung." Sie sei die Hauptstadt der Provinz Salah ad-Din. Die Ausführungen zu Tikrit beschränken sich auf diese Aussagen. Damit fehlt auch im Hinblick auf Tikrit eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der Sicherheits- und Versorgungslage durch das Bundesverwaltungsgericht. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Bundesverwaltungsgericht zumindest zur Situation von Personen mit sunnitisch konnotiertem Namen Feststellungen trifft und anhand dieser Feststellungen eine asylrelevante Verfolgung aus Gründen der Führung eines solchen Namens prüft.
2.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat es somit unterlassen, sich konkret mit der aktuellen allgemeinen Lage in jener Region auseinanderzusetzen, aus der der Beschwerdeführer stammt bzw. die als innerstaatliche Fluchtalternative fungieren soll, und diese in der Begründung des Erkenntnisses mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Beziehung zu setzen. Dadurch hat das Bundesverwaltungsgericht Willkür geübt (zu diesen Anforderungen in den Irak betreffenden Fällen vgl. ; , E2100/2016; , E3235/2016; , E566/2017; , E2927/2017; , E4317/2017).
2.3. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Zulässigerklärung der Rückkehrentscheidung bzw. der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht, ist es somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.
B. Im Übrigen (also soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Asylstatus richtet) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 bzw. § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO genießt.
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2018:E4387.2017 |
Schlagworte: | Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsbegründung |
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