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VfGH vom 11.06.2018, E4360/2017

VfGH vom 11.06.2018, E4360/2017

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Verweigerung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für den Zweck "Künstler"; Einkommen selbständiger Künstler durch Haftungserklärung substituierbar

Spruch

I.Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt und Beschwerde

1.Die Beschwerdeführerin ist japanische Staatsangehörige und meldete beginnend mit in Österreich einen Nebenwohnsitz, um im Jahr 1996 das Instrumentalstudium "Viola" an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien aufzunehmen. Bis zum Abschluss des Studiums im Jahr 2006 verfügte die Beschwerdeführerin über einen Aufenthaltstitel für Studierende.

1.1.Mit Zweckänderungsantrag vom beantragte die Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsbewilligung für den Zweck "Künstler". Am übernahm die Beschwerdeführerin diesen Aufenthaltstitel. In den folgenden Jahren wurde dieser Aufenthaltstitel verlängert, zuletzt mit einer Gültigkeitsdauer bis .

1.2.Am beantragte die Beschwerdeführerin neuerlich die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) für den Zweck "Künstler" gemäß § 61 NAG abgewiesen.

2.Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.); weiters wurde der Beschwerdeführerin der Ersatz der Barauslagen für die zur mündlichen Verhandlung beigezogene nichtamtliche Dolmetscherin dem Grunde nach auferlegt (Spruchpunkt II.).

2.1.Das Verwaltungsgericht Wien stellte fest, dass die Beschwerdeführerin zur (teilweisen) Finanzierung ihres Lebensunterhaltes Auftritte mit ihrem Instrument (Viola) im Rahmen selbständiger Tätigkeit bestreite. Aus dieser Tätigkeit hätte sie im Jahr 2016 ein Einkommen in der Höhe von € 7.931,– erlangt. Für das Jahr 2018 erwarte die Beschwerdeführerin einen leichten Einkommensrückgang. Sie rechne mit einem Einkommen in der Höhe von € 6.000,– bis € 7.000,–. Die Beschwerdeführerin verfüge über Ersparnisse in der Höhe von € 314.057,– aus der Erbschaft ihres Vaters und ziehe diese heran, wenn der finanzielle Bedarf zur Lebensführung ihre Einkünfte aus der künstlerischen Tätigkeit übersteige. An Miete habe die Beschwerdeführerin ca. € 700,– pro Monat zu bezahlen. Zudem liege eine Haftungserklärung gemäß § 2 Abs 1 Z 15 NAG vom vor.

2.2.Aus rechtlicher Sicht führte das Verwaltungsgericht Wien aus, dass der von der Beschwerdeführerin eingebrachte Antrag vom auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung für Künstler (§61 NAG) abziele. Mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 sei § 61 NAG aufgehoben worden und könnten Künstler nunmehr nach geltender Rechtslage eine Niederlassungsbewilligung beantragen (§43a NAG), wobei die Tatbestandsvoraussetzungen unverändert geblieben seien. Gemäß § 43a Abs 1 Z 2 NAG müsse bei der selbständigen Tätigkeit als Künstler der Unterhalt durch das Einkommen mit der künstlerischen Tätigkeit gedeckt werden. Zwar sei eine Haftungserklärung auch im Fall eines selbständigen Künstlers zulässig, aber eine solche könne lediglich zur Absicherung des Lebensunterhaltes im Sinn der in § 11 Abs 5 NAG angeführten Richtsätze als allgemeine Erteilungsvoraussetzung dienen. Bei den in § 43a Abs 1 Z 2 NAG genannten Voraussetzungen handle es sich hingegen um besondere Voraussetzungen. Da es sich bei der in § 43a Abs 1 Z 2 NAG getroffenen Regelung nicht um eine Unterhaltsregelung zur Vermeidung einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft handle, liege eine Festlegung vor, die bestimme, wann im Sinne des Gesetzes von einem Künstler die Rede sei, der eine Niederlassungsbewilligung erteilt bekommen könne. Der Gesetzgeber habe aus der Gruppe der Personen, die sich künstlerisch betätigen, jene ausgewählt, die zumindest ihren Unterhalt mit der künstlerischen Tätigkeit abdecken können. Die Beschwerdeführerin könne mit ihrem Einkommen nicht ihre Lebenshaltungskosten finanzieren, sodass die besondere Erteilungsvoraussetzung des § 43a Abs 1 Z 2 NAG nicht erfüllt sei.

3.Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung von Art 17a StGG, Art 8 EMRK und des Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

3.1.Begründend wird dazu zusammengefasst ausgeführt, dass das Verwaltungsgericht Wien den angewendeten Bestimmungen einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Tätigkeit der Beschwerdeführerin überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt sei. Das ausschließliche Abstellen auf das Kriterium des ausreichenden Unterhalts werde von Gesetzeswortlaut nicht gedeckt, weil einerseits klargestellt sei, dass eine Haftungserklärung zulässig sei und andererseits gerade bei künstlerischen Tätigkeiten ein schwankendes Einkommen nicht ausgeschlossen werden könne.

3.2.Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 43a NAG führe zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung von selbständigen und unselbständigen Künstlern. Während nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtes Wien bei selbständigen Künstlern der Unterhalt zur Gänze durch das Einkommen aus der künstlerischen Tätigkeit gedeckt sein müsse, könnten unselbständige Künstler auch nur einen Teil ihres Einkommens aus dieser Tätigkeit zur Abdeckung ihres Unterhalts erzielen und würde eine Haftungserklärung zur Abdeckung des restlichen Lebensunterhalts ausreichen, während dies bei selbständigen Künstlern nicht möglich sein sollte. Eine derartige Ungleichbehandlung unselbständiger und selbständiger Künstler sei sachlich nicht gerechtfertigt. Im Übrigen bliebe bei der vom Verwaltungsgericht Wien vorgenommenen Auslegung kein Raum für die Anwendung der Bestimmung über die Haftungserklärung. Vielmehr sei durch § 11 Abs 6 NAG klargestellt, dass selbständige Künstler durch Vorlage einer Haftungserklärung den Nachweis ihrer ausreichenden Unterhaltsmittel erbringen können.

3.3.Die Beendigung des mehr als 20-jährigen rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich sei ohne eine Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK nicht zulässig. Die von der Beschwerdeführerin in den letzten 20 Jahren im Inland begründeten privaten Interessen hätten berücksichtigt werden müssen.

4.Der Landeshauptmann von Wien und das Verwaltungsgericht Wien legten die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, erstatteten jedoch keine Gegenschrift.

II.Rechtslage

1.Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und AufenthaltsgesetzNAG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017, lauteten samt Überschriften – auszugsweise – wie folgt:

"1. TEIL

ALLGEMEINER TEIL

[…]

Begriffsbestimmungen

§2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

[…]

15. Haftungserklärung: die von einem österreichischen Notar oder einem inländischen Gericht beglaubigte Erklärung Dritter mit mindestens fünfjähriger Gültigkeitsdauer, dass sie für die Erfordernisse einer Unterkunft und entsprechender Unterhaltsmittel aufkommen und für den Ersatz jener Kosten haften, die einer Gebietskörperschaft bei der Durchsetzung einer Rückkehrentscheidung, eines Aufenthaltsverbotes, einer Ausweisung, einer Zurückschiebung, der Vollziehung der Schubhaft oder als Aufwendung für den Einsatz gelinderer Mittel, sowie aus dem Titel der Sozialhilfe oder eines Bundes- oder Landesgesetzes, das die Grundversorgungsvereinbarung nach Art 15a B-VG, BGBl I Nr 80/2004, umsetzt, entstehen, und die Leistungsfähigkeit des Dritten zum Tragen der Kosten zum Zeitpunkt der Erklärung nachgewiesen wird;

[…]

4. Hauptstück

Allgemeine Voraussetzungen

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§11. (1) […]

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und

7. in den Fällen der §§58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs 5 mehr als vier Monate vergangen sind.

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 1 bis 7 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische MenschenrechtskonventionEMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(4) […]

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§2 Abs 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§2 Abs 1 Z 15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

(6) Die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs 2 Z 2 und 4 mit einer Haftungserklärung (§2 Abs 1 Z 15) erbringen zu können, muss ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein.

[…]

2. TEIL

BESONDERER TEIL

1. Hauptstück

Niederlassung von Drittstaatsangehörigen

[…]

'Niederlassungsbewilligung – Künstler'

§43a. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine 'Niederlassungsbewilligung – Künstler' ausgestellt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

1. im Fall der Unselbständigkeit eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 20d Abs 1 Z 6 AuslBG vorliegt oder

2. im Fall der Selbständigkeit deren Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist, sofern ihr Unterhalt durch das Einkommen gedeckt wird, das sie aus ihrer künstlerischen Tätigkeit beziehen.

(2) Eine Haftungserklärung ist zulässig. § 47 Abs 5 gilt sinngemäß.

[…]

Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und 'Niederlassungsbewilligung – Angehöriger'

§47. [(1) - (4) …]

(5) In den Fällen des Abs 4 ist von der Einholung einer schriftlichen Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle oder eines Gutachtens der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice abzusehen, wenn der Antrag

1. wegen eines Formmangels oder Fehlens einer Voraussetzung gemäß §§19 bis 24 zurück- oder abzuweisen ist,

2. wegen des Mangels an einem Quotenplatz zurückzuweisen ist, oder

3. wegen zwingender Erteilungshindernisse gemäß § 11 Abs 1 abzuweisen ist.

Erwächst die negative Entscheidung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice über die Zulassung im Fall des § 20e Abs 1 Z 1 AuslBG in Rechtskraft, ist das Verfahren ohne Weiteres einzustellen."

2.Vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017, BGBl I 84/2017, wurde die Aufenthaltsbewilligung für Künstler in § 61 NAG geregelt:

2.1.§61 NAG idF BGBl I 100/2005 lautete:

"Künstler

§61. Drittstaatsangehörigen kann eine Aufenthaltsbewilligung als Künstler ausgestellt werden, wenn

1. deren Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist, sofern ihr Unterhalt durch das Einkommen gedeckt wird, das sie aus ihrer künstlerischen Tätigkeit beziehen; eine Haftungserklärung ist zulässig;

2. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

3. im Fall der Unselbständigkeit eine Sicherungsbescheinigung oder eine Beschäftigungsbewilligung als Künstler nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz vorliegt."

2.2.§61 NAG idF BGBl I 68/2013 lautete:

"Künstler

§61. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine Aufenthaltsbewilligung als Künstler ausgestellt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen; eine Haftungserklärung ist zulässig; und

1. im Fall der Unselbständigkeit eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 20d Abs 1 Z 6 AuslBG vorliegt oder

2. im Fall der Selbständigkeit, deren Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist, sofern ihr Unterhalt durch das Einkommen gedeckt wird, das sie aus ihrer künstlerischen Tätigkeit beziehen.

(2) § 47 Abs 5 gilt sinngemäß."

III.Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2.Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Entscheidung mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszugehen, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtslage gröblich bzw. in besonderem Maße verkennt (zB VfSlg 18.091/2007, 19.283/2010 mwN, 19.475/2011).

3.Ein solcher, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Verwaltungsgericht Wien bei seiner Entscheidung unterlaufen:

3.1.Gemäß § 11 Abs 6 NAG wird für bestimmte Fälle die Möglichkeit der Abgabe einer Haftungserklärung eröffnet, wenn diese im Besonderen Teil beim jeweiligen Aufenthaltszweck jeweils ausdrücklich für zulässig erklärt wird.

3.2.Gemäß § 43a Abs 1 NAG ist jedenfalls Voraussetzung für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung – Künstler, dass die Voraussetzungen des ersten Teiles des NAG erfüllt werden. Zudem muss bei der selbständigen Tätigkeit als Künstler gemäß § 43a Abs 1 Z 2 NAG die Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt sein und der Unterhalt durch das Einkommen gedeckt sein. Nach § 43a Abs 2 NAG ist – in Ausführung des § 11 Abs 6 NAG – eine Haftungserklärung bei einer Niederlassungsbewilligung – Künstler zulässig.

3.3.Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes Wien könne eine solche Haftungserklärung nach § 43a Abs 2 NAG lediglich zur Absicherung des Lebensunterhaltes im Sinn der in § 11 Abs 5 NAG angeführten Richtsätze als allgemeine Erteilungsvoraussetzung dienen und komme bei den in § 43a Abs 1 Z 2 NAG aufgezählten besonderen Voraussetzungen nicht in Betracht. Der Gesetzgeber habe für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung an Künstler jene ausgewählt, die zumindest ihren Unterhalt mit der künstlerischen Tätigkeit abdecken könnten.

3.4.Mit dieser Auslegung verkennt das Verwaltungsgericht Wien die Rechtslage in einem entscheidenden Punkt: Durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017, BGBl I 84/2017, wurde durch § 43a Abs 2 NAG zweifelsfrei festgelegt, dass eine Haftungserklärung sowohl bei unselbständigen Künstlern als auch bei selbständigen Künstlern zulässig ist. Gemäß § 2 Abs 1 Z 15 NAG handelt es sich bei einer Haftungserklärung um eine von einem österreichischen Notar oder einem inländischen Gericht beglaubigte Erklärung von einem Dritten, dass dieser für die Erfordernisse einer Unterkunft und entsprechender Unterhaltsmittel sowie für alle Kosten, die einer Gebietskörperschaft durch den Fremden entstehen, aufkommt und dafür haftet.

Wenn nunmehr in § 43a Abs 1 Z 2 NAG der Aufenthaltstitel Künstler nur jenen selbständigen Künstlern gewährt werden soll, deren künstlerische Tätigkeit eine gewisse Intensität erreicht und der Gesetzgeber dies annimmt, wenn der Unterhalt durch das Einkommen gedeckt ist, bestehen gegen diese Regelung an sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Wenn jedoch die Abgabe einer Haftungserklärung gemäß § 43a Abs 2 NAG für zulässig erklärt wird, kann das Einkommen gemäß § 43a Abs 1 Z 2 NAG durch die Haftungserklärung substituiert werden, weil durch das Einkommen lediglich der – auch mit der Haftungserklärung abgesicherte – Unterhalt gedeckt sein muss; andernfalls würde nämlich die Abgabe einer Haftungserklärung gemäß § 2 Abs 1 Z 15 NAG, bei der ein Dritter die Haftung u.a. für die Erfordernisse einer Unterkunft und entsprechender Unterhaltsmittel übernimmt, bei selbständigen Künstlern ins Leere laufen. Wird daher eine Haftungserklärung für einen selbständigen Künstler abgegeben, bleibt hinsichtlich der Intensität der Tätigkeit lediglich zu prüfen, ob die Tätigkeit des Drittstaatsangehörigen überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist.

3.5.Durch die Verkennung der Wirkung der – sich im verwaltungsgerichtlichen Akt befindlichen – Haftungserklärung hat das Verwaltungsgericht Wien die Rechtslage gröblich verkannt.

IV.Ergebnis

1.Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2018:E4360.2017
Schlagworte:
Fremdenrecht, Aufenthaltsrecht

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