VfGH vom 04.12.2019, E4256/2018

VfGH vom 04.12.2019, E4256/2018

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1.Der Beschwerdeführer war im Jahr 2005 als atypisch stiller Gesellschafter an einer Mitunternehmerschaft beteiligt, für die ein Feststellungsbescheid nach § 188 Bundesabgabenordnung (BAO) für das Jahr 2005 (Grundlagenbescheid) am erlassen wurde. Unter Berücksichtigung dieses Grundlagenbescheides wurde die Einkommensteuer des Beschwerdeführers für das Jahr 2005 mit Bescheid vom (abgeleiteter Bescheid) festgesetzt.

Nach einer Außenprüfung bei der Mitunternehmerschaft erging am eine als neuer Grundlagenbescheid intendierte Enunziation, woraufhin gemäß § 295 Abs 1 BAO am ein berichtigter Einkommensteuerbescheid 2005 erlassen wurde. Das gegen die als neuer Grundlagenbescheid intendierte Enunziation eingebrachte Rechtsmittel wurde mit Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom zurückgewiesen, da diese Erledigung des Finanzamtes auf Grund einer mangelhaften Adressierung als "Nichtbescheid" anzusehen sei. Daraufhin erließ das Finanzamt am einen betragsmäßig gleichlautenden Grundlagenbescheid, gegen den Beschwerde erhoben wurde.

2.Am stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2005 vom gemäß § 295 Abs 4 BAO, da dieser auf einem "Nichtbescheid" basiere.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt Graz-Stadt diesen Antrag zurück, da die Eingabe nicht fristgerecht erfolgt sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Die Beschwerde gegen den Grundlagenbescheid vom war im Zeitpunkt der Fällung dieses Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichtes noch vor dem Bundesfinanzgericht anhängig.

Unter Anwendung von § 295 Abs 4 BAO idF BGBl I 70/2013 iVm § 304 BAO idF BGBl I 14/2013 führte das Bundesfinanzgericht begründend im Wesentlichen aus, dass die Verjährungsfrist der Einkommensteuer 2005 mit zu laufen begonnen habe. Während der laufenden fünfjährigen Verjährungsfrist sei ein Einkommensteuerbescheid erlassen worden, weshalb sich die Verjährungsfrist um ein Jahr verlängert habe. Am (somit im "Verlängerungsjahr") sei gemäß § 295 Abs 1 BAO ein berichtigter Einkommensteuerbescheid ergangen. Dagegen sei weder Berufung erhoben worden, noch seien seitens des Finanzamtes weitere nach außen erkennbare (verjährungsfristverlängernde) Amtshandlungen gesetzt worden. In Bezug auf die Einkommensteuer 2005 sei daher am Verjährung eingetreten.

Der Antrag nach § 295 Abs 4 BAO sei am , somit nach Eintritt der Verjährung, eingebracht worden. Die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages sei daher als unbegründet abzuweisen.

3.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

4.Das Finanzamt Graz-Stadt hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der es den in der Beschwerde erhobenen Bedenken entgegentritt.

5.Das Bundesfinanzgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt, eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

6.Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 litb B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Satzes "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen." in § 295 Abs 4 BAO, BGBl 194/1961, idF BGBl I 70/2013 ein. Mit Erkenntnis vom , G159/2019 ua, hob der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung als verfassungswidrig auf.

7.Die Beschwerde ist begründet.

8.Das Bundesfinanzgericht hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).

9.Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

10.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

11.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2019:E4256.2018
Schlagworte:
VfGH / Anlassfall

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