zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 24.09.2019, E4241/2018

VfGH vom 24.09.2019, E4241/2018

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht auf Grund der Abweisung eines Antrags auf Leistungen nach dem Wr MindestsicherungsG; grobe Verkennung des Aufenthaltsrechts einer Unionsbürgerin; Gewährung von tatsächlichem Unterhalt vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht erforderlich

Spruch

I.Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Das Land Wien ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Die 20-jährige Beschwerdeführerin ist bulgarische Staatsangehörige und ist seit 2009 in Österreich aufhältig. Zwischen 2009 und 2014 war die Beschwerdeführerin in heilpädagogischen Einrichtungen untergebracht. Am beantragte die Beschwerdeführerin Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG). Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom wurde der Antrag abgewiesen.

2.Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis vom ab. Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Beschwerdeführerin über kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verfüge und sie österreichischen Staatsbürgerinnen daher gemäß § 5 WMG nicht gleichzustellen sei. Die Eltern der Beschwerdeführerin seien bulgarische Staatsangehörige und verfügten beide über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht, wobei der Vater der Beschwerdeführerin im Dezember 2016 verstorben sei. Die Beschwerdeführerin sei seit 2009 faktisch in Österreich aufhältig. Von 2009 bis 2014 sei sie in einer heilpädagogischen Einrichtung fremduntergebracht gewesen; vom bis sei der Beschwerdeführerin durch ihre Eltern tatsächlich Unterhalt gewährt worden. Vom bis sei die Beschwerdeführerin unselbständig erwerbstätig gewesen. Am und am sei die Beschwerdeführerin arbeitsuchend gemeldet gewesen. Aktuell sei sie nicht arbeitsuchend gemeldet. Die Erwerbstätigeneigenschaft der Beschwerdeführerin sei gemäß § 51 Abs 2 Z 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) nur aufrecht, solange sich die Beschwerdeführerin dem Arbeitsmarktservice zur Verfügung stelle und sei überdies auf sechs Monate beschränkt. Die Erwerbstätigeneigenschaft der Beschwerdeführerin sei daher nur bis aufrecht geblieben. Da die aufenthaltsberechtigten Eltern der Beschwerdeführerin lediglich vom bis tatsächlich Unterhalt gewährt hätten, könne die Beschwerdeführerin auch kein Aufenthaltsrecht von ihren Eltern ableiten. § 52 Abs 1 Z 2 NAG fordere eine tatsächliche Unterhaltsgewährung bei Verwandten in gerader absteigender Linie. Da die Beschwerdeführerin keine fünf Jahre aufenthaltsberechtigt gewesen sei, habe sie auch kein Daueraufenthaltsrecht erworben. Die Beschwerdeführerin verfüge demnach über kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht und sei österreichischen Staatsbürgerinnen nicht gemäß § 5 Abs 2 Z 2 WMG gleichgestellt.

3.Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

4.Das Verwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II.Rechtslage

1.Das Wiener Mindestsicherungsgesetz idF LGBl 2/2018 lautet auszugsweise wie folgt:

"Personenkreis

§5. (1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur volljährigen österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.

(2) Den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie volljährig sind, sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:

1. Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtige, denen dieser Status nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005AsylG 2005) zuerkannt wurde sowie Personen, die Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz und Opfer von Menschenhandel, grenzüberschreitenden Prostitutionshandel oder Opfer von Gewalt sind oder die über eine Aufenthaltsberechtigung als Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder als Opfer von Gewalt verfügen (§57 Abs 1 Z 2 und 3 AsylG 2005);

2. Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs 2 Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und AufenthaltsgesetzNAG) erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben und deren Familienangehörige;

3. Personen mit einem Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EU' oder deren vor Inkrafttreten des NAG erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigung als solche gemäß § 81 Abs 2 NAG in Verbindung mit der NAG-DV weiter gilt, sowie Personen mit einem vor dem ausgestellten Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – Familienangehöriger' oder 'Daueraufenthalt – EG', welche gemäß § 81 Abs 29 NAG als Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' weiter gelten;

4. Personen mit einem Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' eines anderen Mitgliedstaates, denen ein Aufenthaltstitel nach § 49 Abs 1, Abs 2 oder Abs 4 NAG erteilt wurde,

5. Ehegattinnen und Ehegatten, eingetragene Partnerinnen und eingetragene Partner von Personen gemäß Abs 1 oder Abs 2 Z 1 bis 4, die mit diesen in einem gemeinsamen Haushalt leben und sich rechtmäßig in Österreich aufhalten.

(3) Personen, die nach den Bestimmungen des AsylG 2005 einen Asylantrag gestellt haben, steht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens kein Anspruch auf Leistungen der Wiener Mindestsicherung zu."

2.Das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz idF BGBl I 56/2018 lautet auszugsweise wie folgt:

"4. Hauptstück

Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht

Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate

§51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.

Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern

§52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

4. Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder

5. sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,

a) die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,

b) die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder

c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.

(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs 1.

Anmeldebescheinigung

§53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 51 Abs 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;

2. nach § 51 Abs 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;

3. nach § 51 Abs 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;

4. nach § 52 Abs 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;

5. nach § 52 Abs 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung;

6. nach § 52 Abs 1 Z 4: ein Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung mit dem EWR-Bürger;

7. nach § 52 Abs 1 Z 5: ein urkundlicher Nachweis einer zuständigen Behörde des Herkunftsstaates der Unterhaltsleistung des EWR-Bürgers oder des Lebens in häuslicher Gemeinschaft oder der Nachweis der schwerwiegenden gesundheitlichen Gründe, die die persönliche Pflege durch den EWR-Bürger zwingend erforderlich machen.

Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern

§53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat."

III.Erwägungen

1.Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1.1.Das nach Art 7 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz kommt seinem Wortlaut nach lediglich Staatsbürgern zu. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts findet der Staatsbürgervorbehalt des Art 7 B-VG allerdings keine Anwendung, da das Verbot der Diskriminierung der Unionsbürger aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art18 AEUV) verlangt, dass im Anwendungsbereich des Unionsrechts Unionsbürger gegenüber Staatsbürgern nicht schlechter gestellt werden dürfen; eine von einem Unionsbürger erhobene Beschwerde nach Art 144 B-VG darf nicht wegen der fehlenden (österreichischen) Staatsangehörigkeit ab- oder zurückgewiesen werden, weshalb mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz ebenso davon auszugehen ist, dass sich sein Schutz auch auf Unionsbürger mit nichtösterreichischer Staatsangehörigkeit erstreckt (VfSlg 19.156/2010).

1.2.Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass das Verwaltungsgericht diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn das Verwaltungsgericht Willkür geübt hätte.

1.3.Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

2.Ein solcher Fehler ist dem Verwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.Gemäß § 5 Abs 2 Z 2 WMG haben aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger grundsätzlich Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Im vorliegenden Fall kommen insbesondere ein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nach § 52 NAG oder ein Daueraufenthaltsrecht nach § 53a NAG in Betracht: § 52 NAG sieht unter anderem ein Aufenthaltsrecht für EWR-Bürger vor, die Kinder von EWR-Bürgern sind. Bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Kindes steht dem Kind dieses Aufenthaltsrecht ohne weitere Voraussetzungen zu. Ab Vollendung des 21. Lebensjahres des Kindes besteht das Aufenthaltsrecht hingegen nur mehr, soweit die unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten Eltern ihren Kindern tatsächlich Unterhalt gewähren (siehe auch Art 7 Abs 1 litd und Art 2 Z 2 litc der Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten [im Folgenden: Freizügigkeits-RL]; vgl auch Abermann in: Abermann/Czech/Kind/Peyrl [Hrsg.], NAG² 2019, § 52 Rz 9). Das Daueraufenthaltsrecht nach § 53a NAG kommt EWR-Bürgern bspw. dann zu, wenn sie fünf Jahre über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 52 NAG verfügt haben und daher fünf Jahre lang rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich aufhältig waren.

2.2.Im vorliegenden Fall hatte das Verwaltungsgericht folglich zu beurteilen, ob den Eltern der Beschwerdeführerin ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zugekommen ist und ob die 20-jährige Beschwerdeführerin daher ein Aufenthaltsrecht nach § 52 NAG hat(te). Sofern der Beschwerdeführerin ein solches Aufenthaltsrecht – auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit – zusteht oder zustand, wäre außerdem zu prüfen, ob sie mittlerweile ein Daueraufenthaltsrecht nach § 53a NAG erworben hat.

2.3.Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass die Beschwerdeführerin seit 2009 – sohin seit zehn Jahren – in Österreich aufhältig ist. Außerdem führt das Verwaltungsgericht aus, dass der Vater der Beschwerdeführerin von 1995 bis zu seinem Tod im Jahr 2016 erwerbstätig gewesen sei und daher kein Zweifel an dessen Aufenthaltsrecht bestehe. Im Hinblick auf ein etwaiges Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin interpretiert das Verwaltungsgericht § 52 Abs 1 Z 2 NAG aber dahingehend, dass Kindern nur dann ein Aufenthaltsrecht zukomme, wenn ihnen ihre aufenthaltsberechtigten Eltern tatsächlich Unterhalt gewährten.

2.4.§52 Abs 1 Z 2 NAG erkennt besondere Umstände an, bei deren Vorliegen die für Kinder typische Abhängigkeit von ihren Eltern auch im Erwachsenenalter weiterhin angenommen wird (vgl dazu auch ). Die Auslegung des Verwaltungsgerichtes spricht der in § 52 Abs 1 Z 2 NAG geregelten Altersgrenze aber jegliche Bedeutung ab. Diesfalls käme nämlich das Aufenthaltsrecht – unabhängig vom Alter der Kinder – immer nur Kindern zu, denen tatsächlich Unterhalt gewährt wird. Auch aus systematischen Überlegungen ist die Auslegung des Verwaltungsgerichtes abzulehnen, verlangt doch § 53 Abs 2 Z 5 NAG nur "bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres" einen Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung vorzulegen. Außerdem nimmt das Verwaltungsgericht eine unionsrechtswidrige Auslegung vor: Das Ignorieren der Altersgrenze widerspricht Art 2 Z 2 litc Freizügigkeits-RL, der Familienangehörige als Verwandte in gerader absteigender Linie definiert, "die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen […] Unterhalt gewährt wird".

2.5.Indem das Verwaltungsgericht die eindeutige Rechtslage in diesem – entscheidungswesentlichen – Punkt grob verkennt und daher eine nachvollziehbare Begründung unterlässt, hat es seine Entscheidung mit Willkür belastet (vgl VfSlg 14.776/1997, 15.409/1999, 16.962/2003).

IV.Ergebnis

1.Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2019:E4241.2018
Schlagworte:
Mindestsicherung, Unterhalt, Armenwesen, Aufenthaltsrecht

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.