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VfGH vom 11.06.2021, E3737/2020

VfGH vom 11.06.2021, E3737/2020

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Verweigerung einer Sachentscheidung betreffend die Bewilligung für eine Sportveranstaltung nach Ablauf des für die Veranstaltung vorgesehenen Zeitraums; Gewährleistung von Rechtsschutz auch nach Ablauf des Bewilligungszeitraums geboten

Spruch

I.Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II.Das Land Tirol ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin, eine Veranstalterin von Extremsportereignissen, hat mit Eingabe vom die Veranstaltung "Spartan Race Oberndorf" vom 11. bis bei der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel angezeigt. Mit Bescheid vom wurde die Bewilligung – mit näherer Begründung, nämlich insbesondere wegen eines nicht hinreichenden Sicherheitskonzeptes – nicht erteilt.

2. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde vom wurde vom Landesverwaltungsgericht Tirol mit Entscheidung vom "als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt". Begründend und unter Verweisung auf Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes führt das erkennende Gericht – auf das Wesentliche zusammengefasst – aus, dass das Rechtschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin jedenfalls dann zu verneinen sei, wenn der Zeitraum, für den eine Bewilligung erreicht werden soll, im Zeitpunkt der Entscheidung über den Bewilligungsantrag bereits abgelaufen sei.

3. Gegen diese Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Beschwerdeführerin die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten – insbesondere auch im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art 83 Abs 2 B-VG – behauptet.

4. Das Landesverwaltungsgericht Tirol legte die Gerichts- und Behördenakten vor, stellte den Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, und verzichtete im Übrigen auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 (EpidemieG 1950), BGBl 186, lauten in den hier anzuwendenden Fassungen BGBl I 43/2020 bzw BGBl I 98/2001 auszugsweise wie folgt:

"Maßnahmen gegen das Zusammenströmen größerer Menschenmengen.

§15. (1) Sofern und solange dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, sind Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen,

1.zu untersagen, oder

2.an die Einhaltung bestimmter Voraussetzungen oder Auflagen zu binden, oder

3.ist deren Abhaltung auf bestimmte Personen- oder Berufsgruppen einzuschränken.

(2) […]

(3) Voraussetzungen oder Auflagen im Sinne des Abs 1 dürfen nicht die Verwendung von Contact -Tracing-Technologien umfassen.

(4) […]

[…]

Sonstige Übertretungen.

§40. Wer durch Handlungen oder Unterlassungen

a)[…]

b)den auf Grund der in den § 7, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 19, 20, 21, 22, 23 und 24 angeführten Bestimmungen erlassenen behördlichen Geboten oder Verboten oder

c)den Geboten oder Verboten, die in den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen enthalten sind, zuwiderhandelt oder

d)in Verletzung seiner Fürsorgepflichten nicht dafür Sorge trägt, daß die seiner Fürsorge und Obhut unterstellte Person sich einer auf Grund des § 5 Abs 1 angeordneten ärztlichen Untersuchung sowie Entnahme von Untersuchungsmaterial unterzieht,

macht sich, sofern die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist mit Geldstrafe bis zu 1 450 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen."

2. § 3 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz – COVID-19-MG) lautet in der hier maßgeblichen Stammfassung BGBl I 12/2020 wie folgt:

"Strafbestimmungen

§3. (1) Wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten gemäß § 1 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

(2) Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte, deren Betreten gemäß § 1 untersagt ist, nicht betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 30 000 Euro zu bestrafen. Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte höchstens von der in der Verordnung genannten Zahl an Personen betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

(3) Wer einen Ort betritt, dessen Betreten gemäß § 2 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen."

3. § 10 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden (COVID-19-Lockerungsverordnung – COVID-19-LV), BGBl II 197/2020, lautet in der hier maßgeblichen Fassung BGBl II 342/2020 auszugsweise wie folgt:

"Veranstaltungen

§10. (1) Als Veranstaltungen im Sinne dieser Verordnung gelten insbesondere geplante Zusammenkünfte und Unternehmungen zur Unterhaltung, Belustigung, körperlichen und geistigen Ertüchtigung und Erbauung. Dazu zählen jedenfalls kulturelle Veranstaltungen, Sportveranstaltungen, Hochzeiten, Begräbnisse, Filmvorführungen, Ausstellungen, Vernissagen, Kongresse, Angebote der außerschulischen Jugenderziehung und Jugendarbeit, Schulungen und Aus- und Fortbildungen.

(2) […]

(3) Mit sind Veranstaltungen ohne zugewiesene und gekennzeichnete Sitzplätze mit mehr als 200 Personen untersagt. Mit sind Veranstaltungen mit zugewiesenen und gekennzeichneten Sitzplätzen in geschlossenen Räumen mit bis zu 500 Personen und im Freiluftbereich mit bis zu 750 Personen zulässig. Personen, die zur Durchführung der Veranstaltung erforderlich sind, sind in diese Höchstzahlen nicht einzurechnen. Für das Verabreichen von Speisen und den Ausschank von Getränken an Besucher sowie für die Sperrstundenregelung gilt § 6.

(4) […]

(5) Jeder Veranstalter von Veranstaltungen mit über 100 Personen und ab 1. August mit über 200 Personen hat einen COVID-19-Beauftragten zu bestellen und ein COVID-19-Präventionskonzept auszuarbeiten und dieses umzusetzen. Das COVID-19-Präventionskonzept hat insbesondere Vorgaben zur Schulung der Mitarbeiter und basierend auf einer Risikoanalyse Maßnahmen zur Minimierung des Infektionsrisikos zu beinhalten. Hiezu zählen insbesondere:

1. Regelungen zur Steuerung der Besucherströme,

2. spezifische Hygienevorgaben,

3. Regelungen zum Verhalten bei Auftreten einer SARS-CoV-2-Infektion,

4. Regelungen betreffend die Nutzung sanitärer Einrichtungen,

5. Regelungen betreffend die Verabreichung von Speisen und Getränken.

Das COVID-19-Präventionskonzept kann auch ein datenschutzkonformes System zur Nachvollziehbarkeit von Kontakten wie beispielsweise ein System zur Erfassung von Anwesenheiten auf freiwilliger Basis beinhalten.

(5a) - (7) […]

(8) Bei Veranstaltungen ohne zugewiesene und gekennzeichnete Sitzplätze ist gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten. Weiters ist in geschlossenen Räumen eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen.

(9) – (10) […]

(11) Die Abs 1 bis 9 gelten nicht für

1. Veranstaltungen im privaten Wohnbereich,

2. Veranstaltungen zur Religionsausübung,

3. Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz 1953, BGBl Nr 98/1953. Diese sind unter den Voraussetzungen des genannten Bundesgesetzes zulässig, mit der Maßgabe, dass Teilnehmer eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen haben, sofern nicht ein Abstand von mindestens einem Meter zwischen Teilnehmern, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, eingehalten werden kann.

4. Zusammenkünfte zu beruflichen Zwecken, wenn diese zur Aufrechterhaltung der beruflichen Tätigkeit erforderlich sind,

5. Zusammenkünfte von Organen politischer Parteien,

6. Zusammenkünfte von Organen juristischer Personen,

7. Zusammenkünfte gemäß ArbeitsverfassungsgesetzArbVG, BGBl 22/1974,

8. Betretungen von Theatern, Konzertsälen und -arenen, Kinos, Varietees und Kabaretts, die mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen erfolgen.

(12) – (13) […]"

4. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes vom , mit dem das Veranstaltungswesen in Tirol geregelt wird (Tiroler Veranstaltungsgesetz 2003 – TVG), LGBl 86/2003 lauten in den hier anzuwendenden Fassungen LBGl. 138/2019 bzw LGBl 32/2017 auszugsweise wie folgt:

"§19

Verbote

(1) Verboten sind:

a) Veranstaltungen, durch die Besucher gefährdet werden können, insbesondere Vorführungen von Hypnose und Suggestion, bei denen Personen aus dem Kreis der Besucher herangezogen werden;

b) – d) […]

(2) – (3) […]

[…]

§32

Strafbestimmungen

(1) […]

(2) Wer

a) eine anmeldepflichtige Veranstaltung ohne Anmeldung oder trotz Untersagung durchführt,

b) den Verpflichtungen nach den § 5 Abs 5, 10 Abs 4, 11 Abs 1 und 2, 12 Abs 1 und 4, 13 Abs 1 und 2, 14, 16, 17 oder 21 Abs 1, Abs 3 vierter Satz, Abs 6 und 7 nicht nachkommt,

c) einer Anordnung nach den § 8, 9 Abs 5 und 6, 13 Abs 3 und 4, 15 Abs 1 und 4, 18 oder 24 Abs 1 nicht nachkommt,

d) eine Veranstaltung entgegen dem Verbot nach § 19 Abs 1 lita, b oder d durchführt oder

e) eine Veranstaltung entgegen einer zeitlichen Beschränkung nach § 20 durchführt,

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 15.000,– Euro zu bestrafen.

(3) Wer

a) außer in den Fällen nach Abs 1 oder 2 einer Bestimmung dieses Gesetzes oder einer Verordnung aufgrund dieses Gesetzes zuwiderhandelt oder

b) sonst in Entscheidungen enthaltene Auflagen oder Vorschreibungen nicht einhält,

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 5.000,– Euro zu bestrafen.

(4) […]

(5) Der Versuch ist strafbar.

(6) […]"

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

3. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Tirol bei seiner Entscheidung unterlaufen:

3.1. Das Landesverwaltungsgericht Tirol begründet die angefochtene Entscheidung, mit der die Beschwerde als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt wurde, allein damit, dass der zu bewilligende Zeitraum der angezeigten Veranstaltung zwischenzeitlich bereits verstrichen sei und der Beschwerdeführerin folglich kein Rechtsschutzbedürfnis mehr zukomme.

3.2. Im vorliegenden Fall wurde die mit Eingabe vom angezeigte und vom 11. bis geplante Veranstaltung mit Bescheid vom untersagt; die dagegen gerichtete Beschwerde vom wurde mit Erkenntnis vom – sohin einen Tag nach Ende des Bewilligungszeitraumes – als gegenstandslos erklärt und eingestellt.

3.3. Damit hat das Landesverwaltungsgericht Tirol jedoch die Bewilligungswerberin in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

3.4. Wenn das Landesverwaltungsgericht Tirol einen Tag nach dem Ende des Bewilligungszeitraumes die Beschwerde dadurch erledigte, dass es die Einstellung verfügte, weil durch Zeitablauf kein Rechtsschutzinteresse seitens der Beschwerdeführerin mehr vorliege, verkennt es, dass in Konstellationen wie der vorliegenden bei diesem Verständnis dem Rechtsschutzwerber generell der Rechtsschutz entzogen wäre. So würde angesichts des im Regelfall gegebenen zeitlichen Rahmens solcher Verfahren eine Rechtsmittelentscheidung kaum jemals vor Ablauf des beantragten Bewilligungszeitraumes ergehen ().

3.5. Im Hinblick auf die Rechtsverletzungsmöglichkeit der Beschwerdeführerin ist ferner zu bedenken, dass sie als "professionelle Organisatorin und Veranstalterin von Extremsportveranstaltungen" zudem vermutlich in Zukunft Veranstaltungen abhalten wird wollen, womit die Bedeutung der Entscheidung für gleich- oder ähnlich gelagerte Sachverhalte für sie weiterhin gegeben ist (vgl sinngemäß VfSlg 20.190/2017, 20.312/2019; mwN).

3.6. Schließlich kann und soll der Beschwerdeführerin nicht zugemutet werden, trotz der bescheidmäßigen Untersagung durch die Behörde die Veranstaltung abzuhalten und so eine Verwaltungsübertretung zu begehen, um schließlich in einem Strafverfahren – etwa nach den Bestimmungen des EpidemieG 1950, des COVID-19-MG oder des TVG – Rechtsschutz zu erlangen (vgl mwN).

4. Da die bescheidmäßige Untersagung der Veranstaltung sohin auch nach dem Ablauf des Bewilligungszeitraumes rechtliche Wirkung zu entfalten geeignet ist, hätte das Landesverwaltungsgericht Tirol im vorliegenden Fall durch eine Sachentscheidung – und zwar selbst nach Ablauf des für die Veranstaltung vorgesehenen Zeitraumes – Rechtsschutz gewähren müssen. Durch die Gegenstandsloserklärung der Beschwerde und Einstellung des Verfahrens hat das Landesverwaltungsgericht Tirol zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert und damit das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2021:E3737.2020
Schlagworte:
Veranstaltungswesen, Rechtsschutz, Geltungsbereich, Rückwirkung

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