VfGH vom 24.02.2020, E3683/2019 ua
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten betreffend eine Familie irakischer Staatsangehöriger; mangelhafte Auseinandersetzung mit der Minderjährigkeit zweier Familienmitglieder
Spruch
I.1.Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen werden, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2.Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.379,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige, Araber und Muslime der schiitischen Glaubensgemeinschaft. Sie haben vor ihrer Ausreise aus dem Irak in Bagdad gelebt. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind standesamtlich verheiratet und Eltern der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin und des minderjährigen Viertbeschwerdeführers.
2. Der Erstbeschwerdeführer reiste mit seiner Tochter, der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin, illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie gemeinsam am einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 stellten. Die Zweitbeschwerdeführerin verblieb mit dem minderjährigen Viertbeschwerdeführer aus finanziellen Gründen noch etwa für drei weitere Monate im Irak, bevor sie dem Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin folgten.
3. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom wurden diese Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (jeweils Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (jeweils Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde den Beschwerdeführern nicht erteilt (jeweils Spruchpunkt III.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (jeweils Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (jeweils Spruchpunkt V.). Darüber hinaus wurde ihnen eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise eingeräumt (jeweils Spruchpunkt VI.).
4. Die gegen alle Spruchpunkte erhobenen Beschwerden wurden vom Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am – mit Erkenntnissen vom als unbegründet abgewiesen.
4.1. In den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes finden sich zur Lage von Kindern im Irak folgende Ausführungen:
"6.2.Allgemeine Lage von Kindern
Die Hälfte der irakischen Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind nach Angaben der Vereinten Nationen in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage betroffen. Sehr viele Kinder und Jugendliche sind durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen (AA ). Laut UNICEF machten Kinder im August 2017 fast die Hälfte der damals drei Millionen durch den Konflikt vertriebenen Iraker aus (USDOS ).
Art29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Irak ist dem Zusatzprotokoll zur VN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA ). Das Gesetz verbietet die kommerzielle Ausbeutung von Kindern, sowie Pornografie jeglicher Art, einschließlich Kinderpornografie (USDOS ).
Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weit verbreiteten Problem bezüglich
Kindern, die im IS-Gebiet geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten (USDOS ).
Die Grundschulbildung ist für Kinder, die die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten. In der kurdischen Autonomieregion besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten. Der Zugang zu Bildung von Kindern, die aufgrund des Konfliktes intern vertrieben wurden, ist stark einschränkt (USDOS ). Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7 Prozent), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der Autonomen Region Kurdistan fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig. In den vom IS beherrschten Gebieten fand kein regulärer Schulunterricht statt (AA ).
Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen (UN News ; vgl UNICEF ). Armut wirkt sich nicht nur negativ auf die Bildung, sondern auch auf die Gesundheit von Kindern aus (UNICEF ). 22,6 Prozent der Kinder im Irak sind unterernährt (AA ). Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw im Wachstum zurückgeblieben (UNICEF ).
Gewalt gegen Kinder bleibt ein großes Problem. Im Jahr 2011 waren 46 Prozent der Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren familiärer Gewalt ausgesetzt (USDOS ). Die Zahl der Fälle von Kindesmissbrauch nimmt zu. Soziale Medien helfen verstärkt bei der Aufdeckung von Missbrauch und Folter (Al Monitor ). Berichten zufolge verkaufen Menschenhandelsnetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland. Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln und Drogen zu verkaufen (USDOS ).
Auch Kinderprostitution ist ein Problem. Da die Strafmündigkeit im Irak in den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung neun Jahre beträgt und in der Autonomen Region Kurdistan elf, behandeln die Behörden sexuell ausgebeutete Kinder oft wie Kriminelle und nicht wie Opfer. Strafen für die kommerzielle Ausbeutung von Kindern reichen von Bußgeldern und Freiheitsstrafen bis hin zur Todesstrafe. Es lagen jedoch keine Informationen darüber vor, mit welcher Wirksamkeit der Staat diese Strafen durchsetzt (USDOS ).
Die Verfassung und das Gesetz verbieten Kinderarbeit. In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Das Gesetz begrenzt die Arbeitszeit für Personen unter 18 Jahren auf sieben Stunden pro Tag und verbietet Beschäftigungen, die der Gesundheit, Sicherheit oder Moral von Personen unter 18 Jahren schaden. Trotzdem gibt es im ganzen Land Fälle von Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen. Es gibt dokumentierte Fälle von durch den Konflikt intern vertriebenen Kindern, die gezwungen wurden Kinderarbeit zu leisten. Versuche der Regierung Kinderarbeit zB durch Inspektionen zu überwachen, blieben erfolglos (USDOS ).
6.2.1. Kindersoldaten, Rekrutierung von Kindern:
Es gibt keine Berichte, wonach von staatlicher Seite Kinder zum Dienst in den Sicherheitskräften einberufen oder rekrutiert werden (USDOS ). Kinder sind jedoch weiterhin in hohem Maße von gewaltsamer Rekrutierung und Verwendung durch mehrere im Irak operierende bewaffnete Gruppen gefährdet, einschließlich (aber nicht nur) durch den IS, die PMF, Stammesgruppierungen, die Kurdische Arbeiterpartei PKK, und vom Iran unterstützte Milizen (USDOS ; vgl USDOS , UNGASC ). Es gibt Berichte, wonach eine Vielzahl an Kindern vom IS als Kindersoldaten eingesetzt wurde und von Umerziehungskampagnen traumatisiert ist. Zahlreiche Jugendliche sind nach Angaben der Vereinten Nationen wegen Terrorvorwürfen angeklagt oder verurteilt worden. PMF-Einheiten rekrutieren weiterhin Kinder, bilden diese militärisch aus und setzen sie ein. Im Südirak und in den schiitischen Gegenden von Bagdad erinnern Plakate an gefallene minderjährige Kämpfer, die vornehmlich für die Brigaden der Asa’ib Ahl al-Haqq (AAH) und der Kata’ib Hizbollah (KH) gekämpft hatten. Die PMF bot nach eigenen Angaben im Jahr 2017 militärische Ausbildungskurse für Kinder und Jugendliche im Alter von 15-25 Jahren an (USDOS ).
"
Im Erkenntnis führt das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung betreffend die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten Folgendes aus:
"[…]
Wie bereits oben ausgeführt wurde, haben die Beschwerdeführer keine ihnen konkret drohende aktuelle, an asylrelevante Merkmale im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität bzw keine für eine aktuell drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechende Gründe vorgebracht. Wie bereits oben zu Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide ausgeführt wurde, kann daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass den Beschwerdeführern im Irak eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.
Dass die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.
Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.
Die Beschwerdeführer haben in der Beschwerde kein die Beschwerdeführer individuell und konkret betreffendes, substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattet, dass sie einer tatsächlichen Gefahr ausgesetzt sein würde. Weiters kann aus den Feststellungen zur Lage im Irak nicht abgeleitet werden, dass sie alleine schon aufgrund der bloßen Anwesenheit in Bagdad mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch Anschlagskriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände ausgesetzt wären.
Weiters kann nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in den Irak dort die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre (vgl diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2003/01/0059, zur – wenngleich für Bewohner des Kosovo – dargestellten "Schwelle" des Art 3 EMRK), zumal von einer Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin – wie bereits vor ihrer Ausreise aus dem Irak - ausgegangen werden kann. Die Beschwerdeführer sind gesund und arbeitsfähig. Auch wenn sich die Beschwerdeführer nunmehr etwa dreieinhalb Jahre in Österreich aufgehalten haben, so haben sie den weitaus überwiegenden Teil ihres Lebens im Irak verbracht. Den Beschwerdeführern kann zugemutet werden, im Irak wieder eine Beschäftigung aufzunehmen oder zumindest Gelegenheitsarbeiten durchzuführen. Weiters leben ihre Familienangehörigen (jeweils Eltern mit Geschwistern mit deren Familien) nach wie vor in Bagdad. Es wurde nicht substantiiert vorgebracht, weshalb die Beschwerdeführer nicht wieder bei der Familie des Erstbeschwerdeführers Unterkunft nehmen könnten und von dieser finanziell unterstützt werden würden. Von einer hinreichenden Absicherung ihrer Grundbedürfnisse kann somit ausgegangen werden.
Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl ; , 2000/01/0453; , 2003/01/0059), liegt nicht vor.
Durch die Rückführung in den Herkunftsstaat würden die Beschwerdeführer somit nicht in ihren Rechten nach Art 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.
Weder droht ihnen im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde konkret die Gefahr einer Todesstrafe. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.
Letztlich war zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführer zu keiner Zeit den vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Feststellungen und Erwägungen zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr in den Irak substantiiert entgegengetreten sind und in weiterer Folge auch nicht dargelegt haben, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf ihre individuelle Situation auswirken würde, insbesondere inwieweit die Beschwerdeführer durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.
Daher waren die Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen."
5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten geltend gemacht wird und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
II. Erwägungen
6. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerden durch das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, auch begründet:
7. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
8. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
8.1. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
8.2. Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass dieses zusammengefasst ausführt, die Familie werde – angesichts der Erwerbsfähigkeit der Erst- und Zweitbeschwerdeführer, der möglichen Unterstützung durch im Irak aufhältige Verwandte des Erstbeschwerdeführers und des Umstandes, dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin bislang in der Lage gewesen seien, ihre Familie zu versorgen – nach ihrer Rückkehr in keine Notlage geraten. Eine systematische Verfolgung und Diskriminierung von Schiiten im Irak, insbesondere Bagdad, könne nicht festgestellt werden und die Familien des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin würden nach wie vor unbehelligt in Bagdad leben.
8.3. Bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter, volatiler allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, , Rz 74). Bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte in den Herkunftsländerinformationen hat sich das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich mit der Situation von Minderjährigen auseinanderzusetzen. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt hervorgehoben, welche Bedeutung die Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige haben (vgl zB ua; , E1803/2017 ua; , E1463/2018 ua; , E3837/2018 ua; , E1480/2018 ua; , E2838/2018 ua; , E5061/2018 ua; , E1846/2019 ua).
8.4. Das Bundesverwaltungsgericht gibt in seinem Erkenntnis zwar Länderberichte zur Situation von Kindern im Irak wieder, unterlässt es jedoch, sich konkret damit auseinander zu setzen, ob der zum Zeitpunkt der Entscheidung dreizehnjährigen Drittbeschwerdeführerin und dem zum Zeitpunkt der Entscheidung siebenjährigen Viertbeschwerdeführer im Fall einer Rückkehr eine Verletzung in ihren gemäß Art 2 und Art 3 EMRK gewährleisteten Rechten droht ( ua; , E1764/2018 ua; , E2025/2018 ua; , E1138/2019 ua). Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Dritt- und Viertbeschwerdeführer begründungslos ergangen.
9. Soweit das angefochtene Erkenntnis die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten an die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer und – daran anknüpfend – die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise ausspricht, ist es somit mit Willkür behaftet. Dieser Mangel schlägt gemäß § 34 Abs 4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend die Erst- und Zweitbeschwerdeführer durch (VfSlg 19.855/2014, ua) und belastet auch diese mit (objektiver) Willkür (etwa VfSlg 19.401/2011 mwN). Daher ist das Erkenntnis auch betreffend die Erst- und Zweitbeschwerdeführer – im selben Umfang wie hinsichtlich der Dritt- und Viertbeschwerdeführer – aufzuheben (vgl ).
10. Im Übrigen (also soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richten) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
11. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
12. Die Beschwerde rügt die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1
Bundesverfassungsgesetz, BGBl 390/1973) sowie auf Art 3 und Art 8 EMRK. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, abzusehen und sie gemäß Art 144 Abs 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtenen Entscheidungen, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen werden, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 4 VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 523,20 enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen (zB VfSlg 17.317/2004, 17.482/2005, 19.404/2011, 19.709/2012).
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2020:E3683.2019 |
Schlagworte: | Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung, Kinder |
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