VfGH vom 28.11.2019, E3541/2019
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander mangels Begründung der - mündlich verkündeten - Entscheidung betreffend die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz eines Staatsangehörigen der Türkei
Spruch
I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1.Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger, gehört der kurdischen Volksgruppe an und stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz, weil ihm als "HDP-Mitglied" eine asylrelevante Verfolgung drohe.
2.Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.); erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.); stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei fest (Spruchpunkt V.); sprach aus, dass gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.) und erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs 1 Z 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.). Zudem erließ das BFA gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VIII.).
3.Mit Beschluss vom erkannte das Bundesverwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu. Das Bundesverwaltungsgericht führte am eine mündliche Verhandlung durch und verkündete sogleich seine Entscheidung. In Spruchpunkt A) wies es die Beschwerde als unbegründet ab, in Spruchpunkt B) sprach es die Unzulässigkeit der Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG aus. In seinen Entscheidungsgründen zu Spruchpunkt A) führt das Bundesverwaltungsgericht wörtlich Folgendes aus:
"Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland Türkei eine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre. Insbesondere war das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen nicht glaubhaft, widersprüchlich und zum Teil nicht plausibel.
Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in die Türkei eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Es kamen auch keine in der Person des Beschwerdeführers liegende Gründe, die einer Abschiebung entgegen stehen würden, wie beispielsweise eine lebensbedrohliche Erkrankung, zum Vorschein.
Es liegen keine Umstände vor, dass dem Beschwerdeführer allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargelegt.
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet dessen persönliche Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Insbesondere hält sich der Beschwerdeführer im Vergleich zu seinem Lebensalter erst kurze Zeit im Bundesgebiet auf und kamen keinerlei Merkmale einer besonderen Integration in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht zu Tage.
Aufgrund seiner Verurteilung nach dem SMG stellt der BF eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar, sodass auch die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von 10 Jahren gerechtfertigt war."
4.Der Beschwerdeführer beantragte mit Schreiben vom die schriftliche Ausfertigung gemäß § 29 Abs 4 VwGVG.
5.Mit Schreiben vom teilte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer mit, dass seinem Antrag auf Ausfertigung nicht entsprochen werden könne, "zumal der Verwaltungsakt […] bzw der Gerichtsakt […] – vor allem vor dem Hintergrund des Protokolls der mündlichen Verhandlung – keine ausreichende Basis für eine schriftliche Ausfertigung" darstelle.
6.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der mit näherer Begründung die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
7.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, eine Gegenschrift bzw Äußerung wurde nicht erstattet.
II.Erwägungen
1.Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, ua dann, wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008). Wie der Verfassungsgerichtshof zu diesem aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgenden Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen ausgesprochen hat, müssen die für die angefochtene Entscheidung maßgeblichen Erwägungen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl jeweils mwN VfSlg 20.267/2018; ; , E183/2019).
3. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem Bundesverwaltungsgericht ein willkürliches Vorgehen anzulasten:
Gemäß § 29 Abs 2 VwGVG sind Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte mit den wesentlichen Entscheidungsgründen zu verkünden. Im vorliegenden Fall hat sich das Bundesverwaltungsgericht darauf beschränkt, das Ergebnis seiner rechtlichen Beurteilung auszuführen, es bleibt aber eine nachvollziehbare Begründung mit seinen äußerst knapp und formelhaft gehaltenen, keinerlei fallbezogene Beweiswürdigung enthaltenden Ausführungen schuldig, sodass die Entscheidungsgründe des Bundesverwaltungsgerichtes jeglichen Begründungswertes entbehren (vgl VfSlg 20.267/2018; vgl auch ; , E183/2019).
Ergibt sich die Begründung der Entscheidung – wie im vorliegenden Fall – weder aus der Niederschrift der mündlichen Verkündung noch aus einer (zeitnahen) schriftlichen Ausfertigung gemäß § 29 Abs 4 VwGVG (vgl ), widerspricht dies sowohl den Anforderungen des § 29 Abs 2 VwGVG als auch den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen. Die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof nicht zugänglich und daher mit Willkür belastet (siehe mwN).
III.Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2.Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2019:E3541.2019 |
Schlagworte: | Asylrecht, Entscheidungsverkündung, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung |
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