VfGH vom 08.06.2020, E3524/2019 ua
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend eine Familie irakischer Staatsangehöriger; keine Feststellungen hinsichtlich der Sicherheitslage für Kinder; keine Auseinandersetzung mit den aktuellen UNHCR-Richtlinien zu Bagdad
Spruch
I.1.Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2.Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.640,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige, stammen aus Bagdad, bekennen sich zum muslimisch schiitischen Glauben und gehören der Volksgruppe der Araber an. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und die Eltern der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin und des minderjährigen, in Österreich geborenen Viertbeschwerdeführers.
2. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin reisten gemeinsam nach Österreich ein und stellten am einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie seien aus dem Irak geflohen, da sie von einer schiitischen Miliz bedroht würden. Für den in Österreich geborenen Viertbeschwerdeführer wurde am ebenfalls ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
3. Mit Bescheiden vom und wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak ab (Spruchpunkt II.) und erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
4. Mit Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der erste Satz des ersten Spruchteils des Spruchpunktes III. wie folgt zu lauten hat: "Eine 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' gemäß § 57 AsylG wird Ihnen nicht erteilt.".
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Verwaltungsakten, das Bundesverwaltungsgericht die Gerichtsakten vorgelegt. Eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.
II. Erwägungen
Die Beschwerde ist zulässig.
A. Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerden durch das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob sie unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage zu deren Beurteilung einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Art 1 (A) 2 und 1 (F) des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, , Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung der Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (zB ua mwN). Dieses Verständnis steht im Einklang mit Art 24 Abs 2 GRC bzw ArtI zweiter Satz des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, wonach bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss ( mit Verweis auf ,
MA ua, Rz 56 und 57).
2.2. Das Bundesverwaltungsgericht gibt in seinem Erkenntnis zwar Länderberichte zur Schulbildung für Kinder im Irak wieder, jedoch fehlen sämtliche darüber hinausgehenden Feststellungen betreffend Kinder, insbesondere hinsichtlich der im Speziellen Kinder betreffenden Sicherheitslage. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob der zum Zeitpunkt der Entscheidung zweieinhalb Jahre alten Drittbeschwerdeführerin und dem zu diesem Zeitpunkt knapp ein halbes Jahr alten Viertbeschwerdeführer im Fall einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht, nahezu vollständig unterlassen (vgl hiezu jüngst ua; , E3507/2017; , E2130/2017 ua; , E1734/2017 ua; , E1803/2017 ua).
2.3. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht die spezifische Situation der Beschwerdeführer insbesondere im Hinblick auf den Bericht "International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq" des UNHCR vom Mai 2019, S 122, in Bezug auf eine Rückkehr von Eltern mit zwei minderjährigen Kindern nach Bagdad nicht berücksichtigt.
2.4. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Zulässigerklärung der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht, ist es somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.
B. Im Übrigen (also hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen
Fragen, insbesondere der Frage, ob das Erkenntnis in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, insoweit nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 bzw § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist antragsgemäß der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– sowie Umsatzsteuer in Höhe von € 400,– enthalten.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2020:E3524.2019 |
Schlagworte: | Asylrecht / Vulnerabilität, Kinder, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung |
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