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VfGH vom 25.02.2020, E3403/2019

VfGH vom 25.02.2020, E3403/2019

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelhafte Auseinandersetzung mit einem Länderbericht der EASO

Spruch

I.1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Der Beschwerdeführer ist ein am geborener Staatsangehöriger Afghanistans, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Moslem, zog mit seiner Familie im Alter von ungefähr fünf Jahren in den Iran und ist dort aufgewachsen. Er stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig setzte die Behörde eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3.Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Bezüglich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung im Wesentlichen dahin, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan, konkret nach Mazar-e Sharif als zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur Konvention bedeute.

4.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und mit näherer Begründung die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II.Erwägungen

1.Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtet, begründet.

2.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1.Die angefochtene Entscheidung entspricht, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Begründung abgewiesen wird, dem Beschwerdeführer sei eine Ansiedelung in Mazar-e Sharif zumutbar, der mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , E3369/2019, aufgehobenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, mit der die Beschwerde in diesem Punkt mit einer im Wesentlichen gleichartigen Begründung abgewiesen worden war.

3.2.Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, auf Rz 11 bis 17 der Entscheidungsgründe des am zur Zahl E3369/2019 gefällten Erkenntnisses hinzuweisen; daraus ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, dass das angefochtene Erkenntnis unter Außerachtlassung des konkreten Sachverhaltes erfolgt ist.

3.3.Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes, dass dem Beschwerdeführer eine Ansiedelung in Mazar-e Sharif zumutbar sei, basieren maßgeblich auf der "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO aus Juni 2018. Diese geht davon aus, dass alleinstehenden Männern eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif zumutbar sei, auch wenn es im Neuansiedlungsgebiet kein Unterstützungsnetzwerk gebe. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht jedoch (auch) im vorliegenden Fall, dass dieser Länderbericht (die aktuellere Fassung aus Juni 2019 enthält insoweit keine relevanten Neuerungen) von dieser Beurteilung ausdrücklich jene Gruppe von Rückkehrern ausnimmt, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben (S 109).

3.4.Damit hat sich das Bundesverwaltungsgericht (auch) im vorliegenden Fall in Bezug auf den diesem Personenkreis angehörenden Beschwerdeführer, der nach den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung zwar in Afghanistan geboren wurde, jedoch mit seiner Familie im Alter von ungefähr fünf Jahren in den Iran gezogen und dort aufgewachsen ist und in Afghanistan keine Familie mehr hat, nicht hinreichend auseinandergesetzt. Es hat der "Country Guidance" des EASO in seiner Entscheidung besonderes Gewicht beigemessen, ohne nähere Begründung aber eine von deren Inhalt abweichende Schlussfolgerung gezogen.

3.5.Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 2 und 3 EMRK schon aus diesen Gründen als verfassungswidrig. Soweit sich die Entscheidung auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran knüpfend – die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist sie somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.

4.Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

4.1.Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

4.2.Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

4.3.Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde – soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).

III.Ergebnis

1.Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde, in dem durch ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO genießt. Die als "ERV-Zuschlag" geltend gemachten Kosten iHv € 4,10 sind schon deshalb nicht zuzusprechen, weil diese bereits mit dem Pauschalsatz abgegolten sind (vgl zB ).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2020:E3403.2019
Schlagworte:
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

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