VfGH vom 09.06.2020, E3393/2019
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen aus Afghanistan; mangelnde Berücksichtigung spezifischer Länderinformationen des EASO hinsichtlich lange Zeit nicht in Afghanistan aufhältigen Rückkehrern
Spruch
I.1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger. Er stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er in der Erstbefragung an, dass es in Afghanistan weder Sicherheit noch Arbeit gebe. Er habe keine Ausbildung beginnen können. In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab er an, er habe sich seit seinem ersten Lebensjahr bis zu seiner Reise nach Österreich durchgehend im Iran aufgehalten. Er spreche Dari, Farsi und etwas Deutsch und habe im Iran sechs Jahre eine private afghanische Schule besucht. Danach habe er ohne Bewilligung als Bauarbeiter gearbeitet. Er habe finanziell überleben können. Der Vater sei ebenfalls Bauarbeiter, der Beschwerdeführer habe noch einen siebzehnjährigen Bruder im Iran. In Afghanistan kenne er niemanden, er glaube nicht, dass er dort Verwandte habe. Sein Vater sei auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt worden, der Beschwerdeführer selbst sei nicht verfolgt worden; er habe lediglich Angst gehabt, nach Afghanistan abgeschoben zu werden, da er sich dort nicht auskenne. Er habe im Iran nicht die Schule besuchen oder arbeiten können, da er keine Dokumente gehabt habe. Sie seien von der Regierung und der iranischen Bevölkerung schlecht behandelt worden, da sie Afghanen gewesen seien. Deshalb, und weil sein Vater einen Bandscheibenvorfall gehabt habe, sei er ausgereist.
2. Mit Bescheid vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung wurde erlassen und es wurde festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen wie folgt aus:
3.1. Dem Beschwerdeführer drohe im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Verfolgung durch den Staat oder durch Privatpersonen. Eine relevante Verfolgung ergebe sich weder aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch aus den Länderfeststellungen. Es sei insbesondere keine Verfolgung auf Grund einer liberalen Gesinnung oder "Verwestlichung" anzunehmen. Das vom Beschwerdeführer vorgebrachte Verhalten in Österreich (gelegentliches Trinken von Alkohol, Unterhalten mit Frauen, Tragen anderer als der in Afghanistan üblichen Kleidung für Männer) stelle kein solches dar, dessen Verzicht nicht zumutbar wäre. Es könne zudem kein bereits verinnerlichtes Verhalten des Beschwerdeführers festgestellt werden. Der Beschwerdeführer habe keine konkreten und tiefgreifenden Anhaltspunkte für eine "Entfremdung" oder "Verwestlichung" vorgebracht. Auch aus der Volksgruppenzugehörigkeit (Hazara) könne keine relevante Verfolgung abgeleitet werden; Personen, die dieser Volksgruppe angehörten, würden nach den Länderinformationen keiner systematischen Diskriminierung im ganzen Land ausgesetzt. Die allgemeine Lage sei nicht dergestalt, dass bereits jedem, der sich in Afghanistan aufhalte, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsse.
3.2. Der volljährige Beschwerdeführer leide unter keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen, sei arbeitsfähig, kinderlos, nicht verheiratet und lebe in keiner Partnerschaft. Er habe eine mehrjährige Schulbildung in einer afghanischen Schule im Iran absolviert und eine mehrjährige Berufserfahrung als Hilfsarbeiter am Bau. Der Beschwerdeführer spreche sowohl Dari als auch Farsi sowie Deutsch. Außergewöhnliche Gründe, die diesbezüglich eine Rückkehr des Beschwerdeführers ausschließen könnten, hätten nicht festgestellt werden können. Seine Familie lebe im Iran und könne ihn zumindest geringfügig unterstützen.
3.3. Der Beschwerdeführer stamme aus der Provinz Daikundi. Auf Grund der mangelnden Erreichbarkeit dieser Provinz und der volatilen Sicherheitslage sei eine Rückkehr dorthin nicht zumutbar. Es stünden dem Beschwerdeführer aber die innerstaatlichen Fluchtalternativen Mazar-e Sharif und Herat zur Verfügung. Er verfüge dort zwar über kein familiäres oder soziales Netzwerk, als junger und gesunder Mann könne er jedoch auch ohne dieses Fuß fassen und drohe nicht in eine ausweglose Lage zu geraten. Die Städte könnten aus Österreich auch sicher mit dem Flugzeug erreicht werden. Er könne nach der Rückkehr diverse Unterstützungsleistungen staatlicher und nichtstaatlicher Natur in Anspruch nehmen.
3.4. Der Beschwerdeführer sei im Iran in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen und habe eine afghanische Schule besucht. Er sei sogar gemeinsam mit dem Vater erwerbstätig gewesen. Eine besondere Eingliederung in die iranische Gesellschaft und eine dementsprechende Prägung sei schon deshalb nicht zu erkennen, als der Beschwerdeführer mehrfach ausgeführt habe, dass dies die iranische Gesellschaft gar nicht zugelassen hätte. Er habe nicht arbeiten oder in eine reguläre Schule gehen dürfen und sie seien von der iranischen Bevölkerung schlecht behandelt worden, da sie Afghanen seien. Dass er keine Erinnerungen an afghanische Gegebenheiten habe und nicht die afghanische Version des persischen Dari spreche, wie in der Beschwerde ausgeführt, könne daher nicht nachvollzogen werden.
3.5. Hinsichtlich einer Fluchtalternative in Kabul folge das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich nicht der Ansicht des UNHCR, sondern jener des EASO (Country Guidance aus Juni 2018), die dahingehend von UNHCR abweiche, dass ausdrücklich verlangt werde, auf das Vorliegen besonderer persönlicher Umstände abzustellen; danach sei für alleinstehende leistungsfähige erwachsene Männer von einer grundsätzlichen Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul auszugehen. Diesen Auskünften des EASO sei ein ebenso hoher Beweiswert zuzumessen wie den Richtlinien des UNHCR.
3.6. Auch hinsichtlich der Städte Herat und Mazar-e Sharif stütze sich das Bundesverwaltungsgericht neben dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation insbesondere auf die EASO-Leitlinien (Country Guidance) vom Juni 2019. Für die beiden Städte gehe EASO hinsichtlich "single able-bodied adult men" ebenfalls von einer grundsätzlichen Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus. Die Versorgungslage sei – nach den Angaben des UNHCR beurteilt – in beiden Städten dergestalt, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers möglich und zumutbar sei.
3.7. Es seien auch keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass dem Beschwerdeführer auf Grund der Umstände in Afghanistan eine massive Beeinträchtigung seiner Versorgung, Gesundheit oder gar der Verlust des Lebens drohen würden. Eine Verletzung seiner Rechte sei nicht anzunehmen.
3.8. Er könne damit auf die innerstaatlichen Fluchtalternativen Mazar-e Sharif und Herat verwiesen werden. Wenngleich es auch in diesen Städten zu vereinzelten Anschlägen auf symbolträchtige Ziele komme, müsse ein gesunder Erwachsener ohne spezielle Vulnerabilitäten nicht damit rechnen, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Von einem völligen Zusammenbruch von Recht und Ordnung beziehungsweise Anarchie könne nicht die Rede sein.
3.9. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers sei nicht davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan eine Verletzung seiner Rechte aus Art 2 und 3 EMRK oder den Protokollen Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK drohen würde. Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann im erwerbsfähigen Alter und mit einer gewissen Berufserfahrung, da er gemeinsam mit dem Vater – wenn auch illegal – gearbeitet haben wolle. Er habe eigenen Angaben zufolge mehrere Jahre eine afghanische Schule besucht und sei durch seine Familie im afghanischen Kulturkreis sozialisiert. Er sei mit den herrschenden kulturellen und sozioökonomischen Gegebenheiten ausreichend vertraut, spreche Dari und Farsi, seine Familie halte sich im Iran auf und könne ihn auch in beschränktem Umfang unterstützen.
3.10. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan allenfalls – zunächst – als Fremder wahrgenommen werden könnte, sei im Ergebnis davon auszugehen, dass er bei einer Neuansiedlung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif im Stande sei, selbständig allenfalls auch durch Gelegenheitsarbeiten für ein ausreichendes Leben zu sorgen, zumal er auch keine Ehefrau und keine Kinder habe, die er mitzuversorgen hätte. Der Beschwerdeführer gehöre darüber hinaus keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen sei, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstelle als die übrige Bevölkerung. Er könne zudem allenfalls Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen, wodurch er Unterstützung für die Existenzgründung bei einer Rückkehr erlangen könne. Dafür, dass der Beschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gebe es keine hinreichenden Hinweise. Insgesamt bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein würde. Das Bundesverwaltungsgericht verkenne nicht, dass auf Rückkehrer eine schwierige wirtschaftliche Situation zukomme. Sie könnten aber finanzielle Unterstützung, temporäre Unterkunft und Unterstützung bei Aus- und Weiterbildung erlangen.
3.11. Das Bundesverwaltungsgericht verkenne nicht, dass der Beschwerdeführer bereits seit 2015 in Österreich sei. Sei bisheriger Aufenthalt habe allerdings nur auf dem Antrag auf internationalen Schutz beruht; er habe sich des dauerhaften Aufenthaltes daher nie sicher sein können. Der Beschwerdeführer habe keine Familienangehörigen oder sonstigen Verwandten in Österreich und es hätten sich keine Anhaltspunkte für eine aktuelle Lebensgemeinschaft in Österreich ergeben. Er habe Sprach- und Integrationskurse besucht und gehe in seiner Freizeit sportlichen Aktivitäten nach. In diesem Rahmen habe er auch einen Freundeskreis aufgebaut und spreche relativ gutes Deutsch. Insgesamt sei jedoch keine ins Gewicht fallende Integration festzustellen. Er sei nicht selbsterhaltungsfähig; es könne nicht von einer nachhaltigen Integrationsverfestigung ausgegangen werden, insbesondere weil der Beschwerdeführer auch vorbestraft sei. Die Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK gehe daher zu Lasten des Beschwerdeführers aus.
3.12. Die Abschiebung sei zulässig. Es seien keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass die Abschiebung eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers darstellen würde. Er drohe nicht in eine ausweglose Lage zu geraten, seine individuelle Situation lasse diese Annahme nicht zu. Die Frist für die freiwillige Ausreise sei mit zwei Wochen festgelegt worden.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, der Sache nach auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Das Bundesverwaltungsgericht habe es unterlassen, den Fall des Beschwerdeführers genau zu prüfen. Der Beschwerdeführer habe keine Kontakte in Afghanistan und sei in Österreich bereits sehr gut integriert. Die vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationen seien nicht hinreichend auf den konkreten Fall bezogen. Es sei nicht hinreichend gewürdigt worden, dass der Beschwerdeführer Afghanistan nicht kenne und die dortige Kultur ihm fremd sei; er sei im Iran aufgewachsen, seine Familie lebe dort. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sei nicht hinreichend und nicht in seiner Gesamtheit gewürdigt worden. Das Bundesverwaltungsgericht habe diesbezüglich mangelhaft ermittelt. Es fehle an einer Einzelfallprüfung.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheits-lage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; ; , U2557/2012; , U1159/2012 ua; , E1542/2014; , E1641/2016; , E1796/2016; , E2124/2017; vgl zuletzt insbesondere ; , E3369/2019).
3.3. Im vorliegenden Fall stützt das Bundesverwaltungsgericht seine Feststellungen, dass dem Beschwerdeführer zwar auf Grund der Sicherheitslage keine Rückkehr in seine Heimatprovinz, allerdings sehr wohl eine solche in die Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif als innerstaatliche Fluchtalternativen möglich und zumutbar sei, im Wesentlichen auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation auf dem Stand vom einschließlich der dazu ergänzten Kurzinformationen, hinsichtlich der Situation von Rückkehrern in Afghanistan im Speziellen auf Informationen der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf dem Stand von April 2018 sowie insbesondere in Bezug auf die Stadt Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative auf die entsprechende Passage der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom , deren Schlussfolgerungen hinsichtlich der Möglichkeit und Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative Kabul das Bundesverwaltungsgericht sich allerdings ausdrücklich unter Berufung auf die "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO auf dem Stand Juni 2018 bzw 2019 im Allgemeinen nicht anschließt.
3.4. Vor diesem Hintergrund und unter Berufung auf die individuellen Umstände des Beschwerdeführers (der Beschwerdeführer sei gesund, arbeitsfähig, im erwerbsfähigen Alter und habe trotz illegaler Arbeit eine gewisse Berufserfahrung) geht das Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis davon aus, dass der Beschwerdeführer, wenn er auch zunächst in Afghanistan als Fremder wahrgenommen werden könnte, keinem qualifiziert schutzbedürftigen Personenkreis angehöre. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, der Beschwerdeführer sei im Iran in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen und habe eine afghanische Schule besucht. Der Beschwerdeführer sei daher mit den herrschenden kulturellen und sozioökonomischen Gegebenheiten ausreichend vertraut; zudem könne ihn seine im Iran lebende Familie unterstützen. Von einer besonderen Eingliederung in die iranische Gesellschaft und einer dementsprechenden Prägung sei nicht auszugehen. Insgesamt bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein würde.
3.5. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Erwägungen zwar grundsätzlich auch auf die "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO auf dem Stand Juni 2018 bzw Juni 2019 und steht mit seiner Einschätzung auch auf dem Boden der zu im Iran geborenen und aufgewachsenen, alleinstehenden, jungen und arbeitsfähigen afghanischen Männern ohne familiäres Netzwerk in Afghanistan ergangenen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl VfSlg 20.228/2017), dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht allerdings, dass diese Judikatur auf einer veralteten Berichtslage beruht (vgl ), da die vom Bundesverwaltungsgericht im Übrigen selbst herangezogene "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO auf dem Stand Juni 2018 ebenso wie Juni 2019 (S 139) eine spezifische Beurteilung für jene Gruppe von Rückkehrern enthält, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben:
EASO nimmt für die genannte Personengruppe an, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative könne dann nicht zulässig sein, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könnte. Es bedürfe einer Prüfung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund (insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung, Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans).
3.6. Indem das Bundesverwaltungsgericht diese Passage der "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO und die darin enthaltene spezifische Länderinformation völlig unberücksichtigt lässt und den konkreten Sachverhalt zu dieser nicht in Beziehung setzt, hat es wesentliche Aspekte des konkreten Sachverhaltes außer Acht gelassen (). Mit Blick auf die dargestellte Berichtslage und die zitierte Rechtsprechung bedarf es daher im fortgesetzten Verfahren einer Begründung, auf Grund welcher außergewöhnlichen Umstände im Sinne des EASO in der zitierten Passage es dem Beschwerdeführer dennoch möglich sein könnte, nach Afghanistan zurückzukehren, ohne dass er in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 2 EMRK auf Leben sowie gemäß Art 3 EMRK, weder der Folter, noch erniedrigender oder unmenschlicher Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt wird (vgl hiezu unter Hinweis auf ).
3.7. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 2 und 3 EMRK schon aus diesen Gründen als verfassungswidrig. Soweit die Entscheidung sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist sie mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.
4. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
4.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
4.2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht in jeder Hinsicht hinreichend ermittelt und rechtmäßig entschieden hat, insoweit nicht anzustellen.
4.3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, abzusehen und sie gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 bzw § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2020:E3393.2019 |
Schlagworte: | Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung |
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