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VfGH vom 13.03.2019, E3084/2018

VfGH vom 13.03.2019, E3084/2018

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall

Spruch

I.Die beschwerdeführenden Parteien sind durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung gesetzwidriger Verordnungsbestimmungen in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Land Tirol ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1.Mit Beschluss vom , kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom bis , änderte der Gemeinderat der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee im Zuge einer Flurbereinigung den Flächenwidmungsplan im Bereich "Weiler Flecken" und wies – unter anderem – einen Teilbereich der (ehemaligen) Grundstücke Nr 522 und Nr 526, KG 82115 St. Ulrich am Pillersee, als "Sonderfläche Hofstelle" aus, während der restliche Teil des (ehemaligen) Grundstückes Nr 522 als "Freiland" und die übrigen Teile des (ehemaligen) Grundstückes Nr 526 als "Freiland" bzw "landwirtschaftliches Mischgebiet" verblieben (im Folgenden: "Flächenwidmungsplan 2015").

2.Nachdem die Tiroler Landesregierung hinsichtlich der angestrebten Flächenwidmungsplanänderung im Rahmen des Beschlusses vom die aufsichtsbehördliche Genehmigung wegen der zu befürchtenden Zersiedelung und des Verlustes der kompakten Weilerstruktur versagt hatte, hob der Gemeinderat der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee mit Beschluss vom seinen Beschluss vom auf und beschloss den Flächenwidmungsplan im Bereich "Weiler Flecken" in geänderter Form, indem er (unter anderem) auf einem – nun Richtung Nordwesten erweiterten und im Südosten verkleinerten – Teilbereich der (ehemaligen) Grundstücke Nr 522 und Nr 526, KG St. Ulrich am Pillersee, die Widmung "Sonderfläche Hofstelle" auswies, während der restliche Teil des (ehemaligen) Grundstückes Nr 522 als "Freiland" und die übrigen Teile des (ehemaligen) Grundstückes Nr 526 als "Freiland" bzw "landwirtschaftliches Mischgebiet" verblieben.

3.Nachdem die Tiroler Landesregierung hinsichtlich der angestrebten Flächenwidmungsplanänderung im Rahmen des Beschlusses vom die aufsichtsbehördliche Genehmigung auf Grund des fehlenden Planverweises im Protokoll über die Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee vom versagt hatte, wiederholte der Gemeinderat der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee am unter Einhaltung der Vorgaben der Tiroler Landesregierung die Beschlussfassung über den Flächenwidmungsplan im Bereich "Weiler Flecken" in der unter Punkt 2. genannten Form, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom und kundgemacht an der Amtstafel der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee in der Zeit vom 20. März bis (im Folgenden: "Flächenwidmungsplan 2016").

Der auf Grundstück Nr 526, KG St. Ulrich am Pillersee, gelegene Teil der neu gewidmeten "Sonderfläche Hofstelle", befindet sich auf Teilen des (ehemaligen) Grundstückes Nr 526, KG St. Ulrich am Pillersee, welche zum einen die Widmung "landwirtschaftliches Mischgebiet" (auf der sich der durch einen Brand im Jahr 2015 zerstörte Hof befand) und zum anderen die Widmung "Freiland" (situiert unter anderem zwischen dem abgebrannten Hof und dem Grundstück der beschwerdeführenden Parteien) aufwiesen.

4.Mit Bescheid vom erteilte die Bürgermeisterin der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee dem Bauwerber die Baubewilligung für den Neubau eines (durch einen Brand im Jahr 2015 zerstörten) Wirtschaftsgebäudes mit Festmistlager, Güllegrube und Heulagerhalle auf dem Grundstück Nr 2170, KG St. Ulrich am Pillersee (welches die ehemaligen Grundstücke Nr 522 und Nr 526, KG St. Ulrich am Pillersee, umfasst) unter Vorschreibung von Nebenbestimmungen.

5.Mit Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die Beschwerde der beschwerdeführenden Parteien (im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof) mit näherer Begründung ab. Hinsichtlich des Flächenwidmungsplanes 2016 führte das Landesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis unter anderem aus:

"[...] Mit erfolgter Kundmachung vom bis nach § 113 [A]bs 3 und 4 iVm § 71 Abs 1 TROG 2016 iVm § 67 Abs 1 TROG 2006 ist die Widmungsfestlegung als Sonderfläche Hofstelle gemäß § 44 TROG 2016 für den gegenständlich[en] Bauplatz sohin mit Ablauf der gesetzlichen Kundmachungsfrist in Kraft getreten.

Aus dem eingeholten Verordnungsakt und den vorstehenden gesetzlichen Erwägungen war daher nach Ansicht des erkennenden Gerichts hinsichtlich der gegenständlichen Widmung als Sonderfläche Hofstelle gemäß § 44 TROG 2016 der Anregung [der] Beschwerdeführer zur Einbringung eines Antrag[s] nach Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG nicht nachzukommen (vgl ; ua)."

6.In ihrer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art 144 B-VG behaupten die beschwerdeführenden Parteien unter anderem die Verletzung in Rechten wegen Anwendung des ihrer Ansicht nach gesetzwidrigen Flächenwidmungsplanes 2016. Die verordnungserlassende Behörde habe keine Grundlagenforschung bzw Interessenabwägung durchgeführt, weil sie im Zuge der Erlassung des Flächenwidmungsplanes 2016 unverändert die dem Flächenwidmungsplan 2015 zugrunde liegenden Erwägungen (hinsichtlich der Vermeidung eines Nutzungskonfliktes) übernommen habe. Diese Erwägungen träfen jedoch im Hinblick auf die vorgesehene Widmung im Rahmen des Flächenwidmungsplanes 2016 nicht mehr zu, weil es zu einer massiven Änderung der Lage der Widmungsfläche gekommen sei. Die aufsichtsbehördliche Genehmigung der Tiroler Landesregierung sei auch nur im Hinblick auf eine konkrete Positionierung der Gebäude (durch den Bauwerber) erfolgt, weshalb die Erlassung eines Bebauungsplans iSd § 54 Abs 9 Tiroler Raumordnungsgesetz 2016 (TROG 2016) erforderlich sei. Die Widmung sei auch unsachlich, weil sie (ausschließlich) im Interesse des Bauwerbers erfolgt sei. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass es sich bei dem vorliegenden Gebäude nicht um eine Hofstelle, sondern um ein sonstiges land- und forstwirtschaftliches Gebäude gemäß § 47 TROG 2016 handle. Darüber hinaus genüge der Flächenwidmungsplan 2016 nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen, weil nicht ersichtlich sei, woran sich die auf den (ehemaligen) Grundstücken Nr 522 und Nr 526 gezogenen Widmungsgrenzen orientierten. Zudem sei § 33 Abs 3 litd TBO 2018 verfassungswidrig, weil eine sachliche Rechtfertigung für die Beschränkung der Einwendungen im Hinblick auf das örtliche Raumordnungskonzept nicht bestehe. Es handle sich bei den Festlegungen im örtlichen Raumordnungskonzept der Sache nach auch um Bebauungsplanfestlegungen im Sinne des § 33 Abs 3 litc TBO 2018. Das Landesverwaltungsgericht Tirol habe sich darüber hinaus zu Unrecht inhaltlich nicht mit den – nach Ansicht der beschwerdeführenden Parteien – auch im Zusammenhang mit der Flächenwidmung "Hofstelle" zulässigen, den Immissionsschutz betreffenden Einwendungen auseinandergesetzt.

7.Das Landesverwaltungsgericht Tirol legte die Gerichtsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

8.Die belangte Behörde im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdebehauptungen mit näherer Begründung entgegentritt.

9.Die verordnungserlassende Behörde legte die Verordnungsakten vor.

10.Bei der Behandlung der gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplanes 2016, soweit er sich auf die (ehemaligen) Grundstücke Nr 522 und Nr 526, KG 82115 St. Ulrich am Pillersee, bezieht, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am , E3084/2018-11, beschlossen, den Flächenwidmungsplan 2016, soweit er sich auf die (ehemaligen) Grundstücke Nr 522 und Nr 526, KG 82115 St. Ulrich am Pillersee, bezieht, von Amts wegen (im Rahmen des zu V63/2018 protokollierten Verfahrens) auf seine Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

11.Im Zuge des zu V63/2018 protokollierten Verordnungsprüfungsverfahrens sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob

a) der Verfassungsmäßigkeit des § 69 Abs 1, des § 71 Abs 1, des § 113 Abs 1, Abs 2, Abs 8 und Abs 9 sowie der Wendung ", § 69, § 71" in § 113 Abs 4 TROG 2016, LGBl 101/2016, sowie

b) der Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee, beschlossen vom Gemeinderat der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee am , aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , in der Fassung der elektronischen Kundmachung durch die Tiroler Landesregierung vom , soweit er sich auf die (ehemaligen) Grundstücke Nr 522 und Nr 526, KG 82115 St. Ulrich am Pillersee, bezieht,

c) der Gesetzmäßigkeit der Wortfolge "und St. Ulrich am Pillersee" in § 1 Abs 5 der Verordnung der Tiroler Landesregierung vom über den Tag der erstmaligen elektronischen Kundmachung der Flächenwidmungspläne der Gemeinden Brandberg, Breitenbach am Inn, Finkenberg, Gerlosberg, Gnadenwald, Gries im Sellrain, Grinzens, Hainzenberg, Hochfilzen, Kals am Großglockner, Karres, Karrösten, Oberndorf in Tirol, Patsch, Ranggen, Sellrain, St. Ulrich am Pillersee, Tulfes, Tux, Wildermiening und Zellberg, LGBl 110/2016, und

d) der Gesetzmäßigkeit des § 14 sowie der Wortfolge "und über die Fundstelle der Verordnung nach § 113 Abs 1 TROG 2016" in § 15 Abs 1 der Verordnung der Tiroler Landesregierung vom , mit der nähere Bestimmungen über die örtlichen Raumordnungskonzepte, die Flächenwidmungspläne und die Bebauungspläne sowie über die technische Umsetzung des elektronischen Flächenwidmungsplanes erlassen werden (Tiroler Plangrundlagen- und Planzeichenverordnung 2016), LGBl 74/2013, in der Fassung der Verordnung der Tiroler Landesregierung vom , mit der die Tiroler Plangrundlagen- und Planzeichenverordnung 2013 geändert wird, LGBl 112/2016, entstanden.

Der Verfassungsgerichtshof hat daher am , V63/2018-10, beschlossen, die unter Punkt 11. genannten Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen (im Rahmen des zu G386/2018, V78-80/2018 protokollierten Verfahrens) von Amts wegen auf ihre Verfassungs- bzw Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

12.Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

13.Mit Erkenntnis vom , G386/2018-12, V78-80/2018-12, hob der Verfassungsgerichtshof mit näherer Begründung die unter Punkt 11. a) genannten Bestimmungen des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2016 in dem in Prüfung gezogenen Umfang mit Ablauf des wegen Verfassungswidrigkeit und die unter Punkt 11. d) genannten Verordnungsbestimmungen in dem in Prüfung gezogenen Umfang mit Ablauf des wegen Gesetzwidrigkeit auf. Den unter Punkt 11. b) genannten, in Prüfung gezogenen Flächenwidmungsplan der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee, beschlossen vom Gemeinderat der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee am , aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , in der Fassung der elektronischen Kundmachung durch die Tiroler Landesregierung vom , hob der Verfassungsgerichtshof ohne Fristsetzung, die unter Punkt 11. c) genannte, in Prüfung gezogene Verordnung der Tiroler Landesregierung, LGBl 110/2016, mit Ablauf des wegen des – mit der Aufhebung der unter Punkt 11. a) genannten Bestimmungen des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2016 durch den Verfassungsgerichtshof verbundenen – Wegfalles der gesetzlichen Grundlage zur Gänze gemäß Art 139 Abs 3 Z 1 B-VG als gesetzwidrig auf.

14.Mit Erkenntnis vom , V63/2018-22, hob der Verfassungsgerichtshof mit näherer Begründung den ("analogen") Flächenwidmungsplan 2016 (beschlossen vom Gemeinderat der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee am , aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom und kundgemacht an der Amtstafel der Gemeinde St. Ulrich am Pillersee in der Zeit vom 20. März bis ), soweit er sich auf die (ehemaligen) Grundstücke Nr 522 und Nr 526, KG 82115 St. Ulrich am Pillersee, bezieht, als gesetzwidrig auf.

15.Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat somit gesetzwidrige Verordnungsbestimmungen angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Parteien nachteilig war. Die beschwerdeführenden Parteien wurden sohin durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung gesetzwidriger Verordnungsbestimmungen in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.515/1985; ; , E778/2016).

16.Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

17.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

18.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2019:E3084.2018
Schlagworte:
VfGH / Anlassfall

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