VfGH vom 27.11.2018, E3008/2018
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Erlassung einer Rückkehrentscheidung eines afghanischen Staatsangehörigen mangels aktueller Länderberichte
Spruch
I.1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt und Beschwerde
1.Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans und gab an, aus der Provinz Sar-e Pol zu stammen. Er gehöre der Volksgruppe der Araber sowie dem sunnitischen Glauben an. Er sei über den Iran und die Türkei nach Griechenland gelangt und schließlich illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist, wo er am einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Zu diesem Antrag führte er im Wesentlichen Folgendes aus: In Afghanistan hätten die Taliban seit über einem Jahr versucht, ihn zu rekrutieren, insbesondere weil er der afghanischen Regierung positiv gegenüberstehe, und ihn dazu aufgefordert, für sie im Krieg zu kämpfen. Eines Nachts sei seine Familie von den Taliban zu Hause aufgesucht, geschlagen und bedroht worden. Aus diesem Anlass sei er gemeinsam mit einem Bruder geflohen, der ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt habe. Er habe seither keinen Kontakt mehr zu seiner Familie in Afghanistan gehabt.
2.Mit Eingabe vom erhob der Beschwerdeführer Säumnisbeschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG.
3.Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Zudem wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (im Folgenden: BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG 2005) erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist. Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG 2005 mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dazu – zusammengefasst – aus, die Aussagen des Beschwerdeführers seien widersprüchlich und damit unglaubwürdig. Der Beschwerdeführer sei ein junger, gesunder Mann dem eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere im Hinblick auf innerstaatliche Fluchtalternativen nach Kabul, Mazar-e Sharif und Herat, zumutbar sei.
4.In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde vorgebracht, die belangte Behörde hätte eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers sowie notwendige Ermittlungen zur Problematik der Zwangsrekrutierung, Verfolgung durch die Taliban sowie allfälliger Schutzmechanismen innerhalb Afghanistans unterlassen. Sie habe außerdem die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hauptsächlich auf etwaige Widersprüche zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme des Beschwerdeführers sowie auf Aussagen gestützt, die nicht mit jenen seines Bruders übereinstimmten.
5.Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich dabei den Ausführungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an und kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig sei. Zwar werde anerkannt, dass sich in der Heimatprovinz Sar-e Pol die Sicherheitslage verschlechtert habe; das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sei jedoch zutreffend von einer innerstaatlichen Fluchtalternative nach Kabul oder Mazar-e Sharif ausgegangen.
6.Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der der Beschwerdeführer die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten releviert, darunter auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art 83 Abs 2 B-VG, auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung und auf Leben gemäß Art 2 EMRK.
II.Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
A. Die Beschwerde ist begründet, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet:
1.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
1.1.Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum besagten BVG stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
1.2.Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht im konkreten Fall unterlaufen:
2.1.Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivil-person eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
2.2.Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011, 19.642/2012; ; , U1032/12; , U2557/2012; , U1159/2012; , U36/2013; , E1542/2014 ua).
Vor diesem Hintergrund enthält das angefochtene Erkenntnis keine hinreichend aktuellen Länderberichte. Das Bundesverwaltungsgericht übernimmt diese aus dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom und stützt seine Feststellungen betreffend die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nach Kabul auf vorwiegend aus dem Jahr 2016 stammende Länderinformationen bzw allgemein auf die Sicherheitslage mit Stand Dezember 2016. Darüber hinaus beruhen auch die Länderberichte betreffend Rechtsschutz und Justizwesen, Sicherheitsbehörden, die allgemeine Menschenrechtslage, Religionsfreiheit, ethnische Minderheiten, die Bewegungsfreiheit, Grundversorgung und Wirtschaft, medizinische Versorgung, Behandlung nach Rückkehr usw hauptsächlich auf Informationen aus dem Jahr 2016. Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt die Erhebung aktueller und einschlägiger Länderberichte betreffend die Sicherheits-, Gefährdungs-, und Versorgungslage in der Stadt bzw der Provinz Kabul und hat dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit eingeräumt, zur aktuellen Lage Stellung zu nehmen, obwohl bereits in der Beschwerde auf das Vorliegen aktuellerer Berichte und Gutachten hingewiesen worden war (; zur Sicherheitslage in Afghanistan vgl auch ). Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich somit mit den vom Beschwerdeführer in der Beschwerde zitierten Länderberichten sowie mit den Entwicklungen der Sicherheitslage in Afghanistan seit Dezember 2016 nicht ernsthaft auseinander. Daran vermag auch die Behauptung des Bundesverwaltungsgerichtes nichts zu ändern, wonach sich "die entscheidungsrelevante Lage unter Berücksichtigung der in der Beschwerdeschrift ergänzend zitierten Quellen sowie infolge laufender Medienberichte im Wesentlichen als unverändert darstellt", ohne dass der Inhalt dieses Materials offengelegt wurde (vgl auch VfSlg 19.642/2012; ).
Aus der Begründung des Erkenntnisses gehen damit – ungeachtet des Hinweises auf die aktuelle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes – maßgebliche Erwägungen, die dem Verfassungsgerichtshof die rechtsstaatliche Kontrolle ermöglichen, nicht hervor (VfSlg 17.901/2006, 18.000/2006; ; , E3235/2016 und E566/2017; , E2124/2017). Schon aus diesem Grund hat das Bundesverwaltungsgericht durch Unterlassung der Erhebung hinreichend aktueller Länderberichte Willkür geübt.
2.3.Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich daher im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 2 und 3 EMRK als nicht ausreichend nachvollziehbar. Soweit sie sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist sie somit schon aus diesem Grund mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.
B. Die Behandlung der Beschwerde, soweit damit die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bekämpft sowie die Unzuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wegen Säumnis moniert wird, wird hingegen aus folgenden Gründen abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages bezüglich der Zuerkennung des Asylstatus sowie auf die Unzuständigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wegen Säumnis richtet, abzusehen.
III.Ergebnis
1.Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2.Im Übrigen ist die Behandlung der Beschwerde abzulehnen.
3.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie die Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2018:E3008.2018 |
Schlagworte: | Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung |
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