VfGH vom 10.03.2020, E2904/2019 ua
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten betreffend eine Staatsangehörige von Nigeria und ihr minderjähriges Kind; mangelhafte Auseinandersetzung betreffend die gemeinsame Rückkehr mit dem Lebensgefährten sowie den Länderberichten und die Trennung im Hinblick auf eine Rückkehr ohne den Lebensgefährten
Spruch
I.1.Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassenen Rückkehrentscheidungen und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Nigeria unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2.Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.877,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1.Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Nigeria; die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers.
1.1.Die Erstbeschwerdeführerin stellte am erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Zuvor hatte sie bereits am einen Antrag auf internationalen Schutz in Griechenland eingebracht, der negativ entschieden worden war. Als Fluchtgrund hatte sie am im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie in jenem der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am angegeben, wirtschaftliche und familiäre Probleme hätten sie zum Verlassen des Herkunftsstaates bewogen. Der Antrag auf internationalen Schutz wurde am abgewiesen, und es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen. Das Bundesverwaltungsgericht wies eine dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.
1.2.Am stellte die Erstbeschwerdeführerin einen erneuten Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte sie vor, sie sei aus Nigeria nach Griechenland geschickt worden, um dort als Prostituierte zu arbeiten. Sie sei Opfer von Menschenhandel geworden und fürchte sich vor den Menschenhändlern/Schleppern. Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am legte die Erstbeschwerdeführerin einen Mutter-Kind-Pass vor und machte ihre Schwangerschaft geltend. Als Kindesvater machte sie einen ghanaischen Staatsangehörigen namhaft. Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe gab sie an, Opfer von Menschenhandel geworden zu sein. Sie habe 2009 auf dem Markt in Edo State eine Frau namens "Augusta" kennengelernt, die ihr versprochen habe, sie könne in Europa in afrikanischen Restaurants arbeiten. Dafür habe sie "Augusta" € 50.000,– zahlen müssen. Es sei ein Voodoo-Ritual durchgeführt worden, und sie sei von "Augusta" in den Libanon und von dort über die Türkei nach Griechenland gebracht worden. Nach zwei Wochen sei sie von "Augusta" zur Prostitution gezwungen worden. Sie habe insgesamt € 25.000,– an "Augusta" bezahlt, die Griechenland 2012 verlassen habe; der Erstbeschwerdeführerin habe diese noch mitgeteilt, wenn die Erstbeschwerdeführerin nach Nigeria zurückkehre, bringe sie sie um. Danach habe "Augusta" die Mutter der Erstbeschwerdeführerin noch häufiger angerufen und gedroht, die Erstbeschwerdeführerin werde umgebracht, wenn sie die restliche Summe nicht zahle. Die Erstbeschwerdeführerin habe sich noch bis 2015 in Griechenland aufgehalten und sei dann weiter nach Österreich gereist. In ihrem ersten Asylverfahren in Österreich habe sie diese Fluchtgründe nicht vorgebracht, weil sie sich gefürchtet habe, da sie mit einem Juju-Ritual belegt worden sei.
1.3.Am kam der Zweitbeschwerdeführer in Österreich zur Welt. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz für den Zweitbeschwerdeführer, wobei für diesen keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht wurden.
2.Mit Bescheid vom wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 wurden die Anträge auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG 2005 erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist. Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
3.Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.
3.1.Das Bundesverwaltungsgericht führt begründend aus, die Beschwerdeführer würden in Nigeria nicht verfolgt. Die Erstbeschwerdeführerin habe in ihrem ersten Asylverfahren zusammengefasst lediglich wirtschaftliche und familiäre Probleme als Gründe für das Verlassen ihres Herkunftsstaates vorgebracht. Sie sei ein uneheliches Kind gewesen und habe in Nigeria kein gutes Leben gehabt. Zudem sei sie von ihren Angehörigen schlecht behandelt worden. Ihre Stiefmutter hätte sie bedroht und von ihrem Stiefvater habe sie keine Unterstützung erfahren. In ihrem zweiten Asylverfahren habe sie nun ein gänzlich anderes Fluchtvorbringen erstattet. Sie habe nunmehr angegeben, Opfer von Menschenhandel zu sein. Sie gebe an, im ersten Asylverfahren Angst gehabt zu haben, das Fluchtvorbringen zu erstatten; nunmehr habe ihr ihre "Anwältin" aber gesagt, sie müsse alles sagen. Wenn sie nach Afrika zurückkehren müsse, habe sie Angst wegen des Voodoo-Rituals.
3.2.Das Bundesverwaltungsgericht argumentiert, es habe sich der Eindruck ergeben, dass sich die Ereignisse nicht in der von der Erstbeschwerdeführerin geschilderten Form zugetragen hätten. Es sei nicht begründbar, warum die Erstbeschwerdeführerin angebe, sie habe nach ihrer Einreise 2009 in Griechenland einen Asylantrag gestellt, der erste Eurodac-Treffer aber erst aus dem Jahr 2014 stamme. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Erstbeschwerdeführerin 2009 in Griechenland nicht erfasst worden sei. Es sei zudem nicht plausibel, dass die Erstbeschwerdeführerin gegenüber den Behörden nicht die Wahrheit gesagt habe, obwohl die Gefahr durch "Augusta" bereits nicht mehr bestanden habe, weil diese Griechenland bereits 2012 verlassen habe.
3.3.Es sei auch ungewöhnlich, dass die Erstbeschwerdeführerin 2012 aus dem Zwang der Menschenhändler entlassen worden sei. Sie habe zudem widersprüchliche Angaben gemacht; es sei auch nicht nachvollziehbar, warum die Erstbeschwerdeführerin aus Griechenland ausgereist sei, sie habe hiezu keine stringenten Angaben gemacht. Auch die Beweismittel, die die Erstbeschwerdeführerin vorgebracht habe, vermochten die Fluchtgeschichte nicht zu belegen.
3.4.Selbst wenn man aber davon ausginge, so erwägt das Bundesverwaltungsgericht weiter, dass die Erstbeschwerdeführerin tatsächlich von 2009 bis 2011/12 in Griechenland zur Prostitution gezwungen worden sei, sei jedenfalls nicht glaubhaft, dass weiterhin eine aktuelle Bedrohungssituation in Nigeria bestehe. Die Erstbeschwerdeführerin habe nach der Ausreise von "Augusta" in Griechenland gelebt, das Haus verlassen und sei einfachen Tätigkeiten nachgegangen. Die Angaben der Erstbeschwerdeführerin zu Anrufen und Drohungen in dieser Zeit seien widersprüchlich und nicht glaubhaft.
3.5.Für den Zweitbeschwerdeführer seien keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden.
3.6.In Bezug auf eine etwaige Rückkehrgefährdung der Erstbeschwerdeführerin führt das Bundesverwaltungsgericht aus, im Lichte der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes werde nicht verkannt, welche Schwierigkeiten alleinstehenden, schwangeren Frauen in Nigeria begegneten. Die Erstbeschwerdeführerin müsse allerdings möglicherweise nicht alleine nach Nigeria ausreisen. Der Lebensgefährte sei ein ghanaischer Staatsangehöriger, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich voraussichtlich wegen entschiedener Sache abgelehnt würde. Es sei denkbar, dass das Familienleben in Ghana fortgesetzt würde. Zugleich sei es vorstellbar, dass die Beschwerdeführer bei ihrer Rückkehr nach Nigeria von ihrem Lebensgefährten bzw Vater begleitet würden. Die traditionell geschlossene Ehe werde von den Familien der Erstbeschwerdeführerin und ihres Lebensgefährten anerkannt; auf Grund des daher bestehenden Familienverbandes und der möglichen Erwerbstätigkeit des Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin könne nicht von einer besonderen Gefährdung bei einer gemeinsamen Rückkehr nach Nigeria ausgegangen werden. In dem nicht vollkommen ausgeschlossenen Fall, dass sich die Beschwerdeführer alleine nach Nigeria begeben müssten, sei anzunehmen, dass die Erstbeschwerdeführerin auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen könne, da die Akzeptanz der Eheschließung der Erstbeschwerdeführerin dazu führe, dass sie keine Ächtung oder Diskriminierung von ihrer Familie zu fürchten habe. Es sei davon auszugehen, dass sie hinreichende familiäre Kontakte in Nigeria habe und bei diesen Unterkunft und Unterstützung bei der Kinderbetreuung erhalten könne. Zudem gebe es Nichtregierungsorganisationen, die Frauen in Nigeria unterstützten. Von einer Existenzgefährdung sei nicht auszugehen.
3.7.Ein akuter Behandlungsbedarf bestehe für den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer nicht, weshalb auch hieraus kein Rückkehrhindernis erwachse. Wenngleich die Situation für Kinder und deren Versorgung in Nigeria nicht mit jener in Österreich vergleichbar sei, so lägen beim Zweitbeschwerdeführer keine besonderen Vulnerabilitäten vor und es sei nicht von einer besonderen Gefährdung auszugehen. Dies ergebe sich vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen zur Situation von Kindern in Nigeria.
3.8.Die Erstbeschwerdeführerin sei gesund und erwerbsfähig. Von einer Existenzbedrohung im Fall der Rückkehr sei nicht auszugehen. Ein Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführer sei im Lichte der Umstände (vier Jahre Aufenthalt in Österreich, keine nachhaltige Integration, Erstbeschwerdeführerin habe begonnen, Deutsch zu lernen) jedenfalls gerechtfertigt.
4.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
4.1.Die Inkongruenzen im Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin ließen sich durch deren schlechte Deutschkenntnisse erklären. Das Bundesverwaltungsgericht stelle zwar in den Länderfeststellungen die maßgeblichen Umstände in Nigeria fest, beziehe diese aber nicht auf die Situation der Erstbeschwerdeführerin. Es fehlten Erwägungen zur konkreten Lage der Erstbeschwerdeführerin und deren Beurteilung im Lichte der Länderfeststellungen, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis anführe.
4.2.Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers würden maßgebliche Feststellungen zur Situation von Kindern in Nigeria getroffen, diese aber nicht auf den Fall des Zweitbeschwerdeführers angewendet. Es seien erforderliche Ermittlungen zu Vulnerabilitäten des Zweitbeschwerdeführers unterlassen worden, die im Lichte der Länderfeststellungen zu beurteilen gewesen wären und denen vor dem Hintergrund der Berichte maßgebliche Bedeutung zugekommen wäre. Es fehlten Feststellungen zu den Umständen, unter denen der Zweitbeschwerdeführer in Nigeria mit seiner Mutter leben würde und die konkrete Lebenssituation der Mutter sowie deren Auswirkungen auf den Zweitbeschwerdeführer seien nicht erwogen worden. Das Bundesverwaltungsgericht setze sich auch in diesem Zusammenhang nicht hinreichend mit den Informationen aus den im Erkenntnis angeführten Länderberichten auseinander.
4.3.Die Ermittlungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Frage des Familienlebens mit dem Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin und Vater des Zweitbeschwerdeführers seien ebenso wenig hinreichend. Das Bundesverwaltungsgericht erwäge nicht, welchen Umständen eine aus Nigeria stammende Prostituierte in Ghana begegnen würde und es unterlasse es ebenso, zu ermitteln, ob der Lebensgefährte der Erstbeschwerdeführerin in Ghana Familienangehörige habe, die Unterstützung leisten könnten. Zudem werde nicht ermittelt, ob ein ghanaischer Staatsangehöriger in Nigeria einen Aufenthaltstitel erlangen könnte, um das Familienleben mit den Beschwerdeführern dort aufrechterhalten zu können. Das Bundesverwaltungsgericht setze sich auch nicht damit auseinander, welche Auswirkungen es auf das Familienleben hätte, wenn die Ausweisung der Beschwerdeführer zur Trennung von Lebensgefährten und Vater führen würde.
4.4.Zudem sei nicht hinreichend ermittelt worden, welche Möglichkeiten, insbesondere zum Erwerb einer Lebensgrundlage, alleinstehende Mütter in Nigeria hätten. Die Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen seien zwar angesprochen, für den konkreten Fall aber nicht ausreichend erörtert worden.
4.5.Es fehlten damit sowohl eine ausreichende Auseinandersetzung mit den Länderberichten als auch eine substantiierte Begründung der maßgeblichen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes.
5.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II.Erwägungen
1.Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassenen Rückkehrentscheidungen und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Nigeria unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.
2.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1.Das Bundesverwaltungsgericht anerkennt unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass alleinstehende Frauen in Nigeria besonderen Schwierigkeiten gegenüberstehen würden und dass daher zu prüfen sei, ob die Beschwerdeführerin mit Kind ohne den Lebensgefährten und Vater des Kindes nach Nigeria zurückkehren würde. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Erwägungen dazu dann maßgeblich auf die Annahme, dass diese in den im angefochtenen Erkenntnis und vom Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zitierten Länderberichten angesprochenen Schwierigkeiten alleinstehender Frauen für die Beschwerdeführer gerade nicht relevant würden, weil die Beschwerdeführer entweder nicht als alleinstehende Frau und deren Kind, sondern gemeinsam mit dem Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin und Vater des Zweitbeschwerdeführers nach Nigeria oder Ghana ausreisen könnten oder sie – wenn sie alleine, also ohne den Lebensgefährten und Vater nach Nigeria zurückkehren würden – dort auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen könnten und die Rückkehr ohne den Lebensgefährten und Vater aus diesem Grund nicht zu einer Gefährdung der Rechte der Beschwerdeführer führe. Es zieht daraus sodann den Schluss, dass sie in keinem Fall nach einer Rückkehr einer Gefährdung ihrer Rechte ausgesetzt zu werden drohten.
3.2.Diesen Schluss stützt das Bundesverwaltungsgericht auf unzureichende Ermittlungen:
3.2.1.Für die erste Alternative, die das Bundesverwaltungsgericht in Erwägung zieht – die gemeinsame Ausreise nach Nigeria oder Ghana –, hätte ermittelt werden müssen, ob und inwieweit es für den Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin und Vater des Zweitbeschwerdeführers möglich wäre, nach Nigeria zurückzukehren bzw ob und inwieweit es für die Beschwerdeführer als nigerianische Staatsangehörige möglich wäre, in Ghana zu leben. Zu dieser Voraussetzung der vom Bundesverwaltungsgericht maßgeblich zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Variante einer gemeinsamen Ausreise fehlen jegliche Feststellungen und rechtlichen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes (vgl hiezu ). In Bezug auf die Annahme einer möglichen gemeinsamen Ausreise nach Ghana fehlen zudem jegliche Länderfeststellungen zu den Umständen in Ghana im Allgemeinen und zur Situation schwangerer Frauen und ehemaliger Prostituierter aus Nigeria sowie zu Kindern im Speziellen. Das Bundesverwaltungsgericht argumentiert mit der Möglichkeit einer Ausreise der Beschwerdeführer nach Ghana, ohne sich mit der Situation in diesem Staat auseinanderzusetzen.
3.2.2.In Bezug auf die zweite Alternative – eine Ausreise der Beschwerdeführer nach Nigeria ohne den Lebensgefährten und Vater – unterbleiben gleichermaßen notwendige Ermittlungen und es werden wesentliche Gesichtspunkte des konkreten Sachverhaltes außer Acht gelassen (VfSlg 19.776/2013; ; , E3775/2017). Zum einen stützt das Bundesverwaltungsgericht seine Beurteilung maßgeblich darauf, es seien zwar die Schwierigkeiten alleinstehender Frauen mit Kindern in Nigeria bekannt, auf die Erstbeschwerdeführerin treffe dies aber nicht zu, da sie auf ein familiäres Netz zurückgreifen könne; sie habe keine Ächtung oder Diskriminierung durch die Familie zu befürchten, weil diese ihre Ehe anerkannt habe. Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt es, diese Erwägungen in Beziehung zu den im angefochtenen Erkenntnis abgedruckten Länderberichten zu setzen, wonach alleinstehende Frauen oft erheblichem Druck der Familie ausgesetzt würden, dem sie häufig nur durch Umzug in eine andere Stadt entgehen könnten. Es findet keine substantiiert begründete Auseinandersetzung () damit statt, ob ein Rückgriff auf das familiäre Netzwerk überhaupt möglich ist oder ob dieser in Nigeria nach den Länderfeststellungen für alleinstehende Frauen bzw für die zwar – von den Familien anerkannt – verheiratete, aber allein nach Nigeria zurückkehrende Erstbeschwerdeführerin gerade ausgeschlossen bzw mit hoher Wahrscheinlichkeit unmöglich ist. Zum anderen unterbleibt für die Alternative der alleinigen Rückkehr der Beschwerdeführer nach Nigeria im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes jede Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer Trennung der Familienmitglieder auf das Familienleben (vgl hiezu VfSlg 18.388/2008, 18.389/2008, 18.392/2008, 18.393/2008, 19.180/2010, 19.362/2011) und das Kindeswohl (vgl VfSlg 19.362/2011; ; , E3079/2018; , E707/2019).
3.3.Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt somit in Bezug auf beide von ihm gegen die Gefährdung der Rechte der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat angeführten Begründungsalternativen notwendige Ermittlungen und Feststellungen. Es stellt diese Ermittlungen auch im Rahmen der Beurteilung der gegen die Beschwerdeführer erlassenen Rückkehrentscheidung, wo die genannten unterbliebenen Feststellungen auch eine Rolle spielen würden, nicht an. Die Entscheidung erweist sich insoweit schon aus diesem Grund als verfassungswidrig. Soweit die Entscheidung sich auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die Beschwerdeführer und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidungen bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Nigeria unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist sie somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.
4.Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
4.1.Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
4.2.Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin rechtmäßig als unglaubwürdig bewertet wurde und ob das Bundesverwaltungsgericht in jeder Hinsicht hinreichend auf die von der Erstbeschwerdeführerin vorgebrachten Umstände eingegangen ist, insoweit nicht anzustellen.
4.3.Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet, abzusehen und sie gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).
III.Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassenen Rückkehrentscheidungen und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Nigeria unter Setzung einer Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 bzw § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 479,60 und ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 218,– enthalten.
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ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2020:E2904.2019 |
Schlagworte: | Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung |
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