VfGH vom 26.09.2017, E2715/2016
Leitsatz
Aufhebung des angefochtenen Beschlusses im Anlassfall
Spruch
I.Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Der Beschluss wird aufgehoben.
II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen nigerianischen Staatsangehörigen, der am in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dieser Antrag wurde am rechtskräftig abgewiesen. Der Beschwerdeführer ist verheiratet; seine Ehefrau und Kinder leben in Ungarn. Er wurde sowohl im Jahr 2003 als auch im Jahr 2011 strafgerichtlich verurteilt.
Mit Bescheid vom erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht und erließ gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt I). Das BFA stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt II) und erließ gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III). Der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV). In der Rechtsmittelbelehrung des Bescheids ist die Beschwerdefrist mit zwei Wochen angegeben.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom wegen Verspätung zurück. Der Bescheid des BFA sei dem Beschwerdeführer am persönlich übergeben und damit zugestellt worden; die Übernahme an diesem Tag sei auch nach Übermittlung des Verspätungsvorhaltes nicht bestritten worden. Gemäß § 16 Abs 1 BFA-VG bestehe eine zweiwöchige Beschwerdefrist in den Fällen des § 3 Abs 2 Z 2, 4 und 7 BFA-VG. In diesem Verfahren liege ein Fall des § 3 Abs 2 Z 4 BFA-VG vor; die Beschwerdefrist habe daher am geendet. Die am beim BFA eingebrachte Beschwerde sei daher verspätet.
2.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet wird.
Das BFA und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- bzw. Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift bzw. Äußerung aber Abstand genommen.
3.Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G134/2017 ua., die Wortfolge "2, 4 und" sowie den zweiten Satz in § 16 Abs 1 BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 24/2016, als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass diese Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.
Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Erlassung des angefochtenen Beschlusses eine der als verfassungswidrig aufgehobenen Gesetzesbestimmungen angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Ausspruch, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind, hat auch für den Verfassungsgerichtshof die Wirkung, dass er die betreffenden Bestimmungen nicht mehr anzuwenden hat (vgl. etwa VfSlg 12.954/1991, 15.401/1999; ; , B308/11; , E543/2016).
4.Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt.
Der Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
5.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
6.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a Abs 1 iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO genießt.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2017:E2715.2016 |
Schlagworte: | VfGH / Anlassfall, VfGH / Aufhebung Wirkung |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.