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VfGH vom 24.02.2017, E2701/2016

VfGH vom 24.02.2017, E2701/2016

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw subsidiär Schutzberechtigten für einen Staatsangehörigen von Nigeria mangels Auseinandersetzung mit vorgelegten Beweismitteln für die - als Fluchtgrund angegebene - Mitgliedschaft zu einer politischen Oppositionsgruppe und mangels Auseinandersetzung mit der familiären Situation des Beschwerdeführers

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger und stellte am in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, Mitglied der Oppositionsgruppe MASSOB (Movement for the Actualisation of the Sovereign State of Biafra) zu sein. Am habe er sich führend an einer friedlichen Demonstration beteiligt, die in blutigen Ausschreitungen geendet habe, im Zuge derer zwei Polizisten getötet worden seien. Aus Furcht vor Verfolgung durch die Regierung sei er geflohen.

2.Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzbedürftigen ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria fest und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen fest.

3.Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom ab.

3.1.Zur Lage im Herkunftsstaat trifft das Bundesverwaltungsgericht unter anderem folgende Feststellungen:

"Im Süden und Südosten Nigerias kommt es zu Demonstrationen, bei denen ein unabhängiger Staat Biafra gefordert wird (AI ). Gegen die Movement for the Actualisation of the Sovereign State of Biafra (MASSOB), deren Mitglieder der Ethnie der Igbo angehören, und die größere Selbständigkeit für den Südosten des Landes reklamiert, gingen die Sicherheitsorgane in der Vergangenheit teilweise massiv vor (AA ). MASSOB propagiert keinen bewaffneten Kampf (AA ; vgl. ICNL ). …"

3.2.Die abweisende Entscheidung begründet das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der vorgebrachten Fluchtgründe auszugsweise wie folgt:

"Der Verlauf der Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am erschütterte seine Glaubwürdigkeit allerdings nachhaltig:

Es wurde nämlich deutlich, dass sich der Beschwerdeführer schlichtweg nicht mehr an das erinnern konnte, was er vor der belangten Behörde ausgesagt hatte. So blieben weite Teile seiner Fluchtgeschichte vor dem Bundesverwaltungsgericht unerwähnt.

Da der Beschwerdeführer ganz offenbar den zu schaffenden, unabhängigen Staat 'Biafra' mit der Unabhängigkeitsorganisation MASSOB verwechselte und behauptete, Mitglied 'von Biafra' gewesen zu sein, zeigt deutlich, dass er seinen Antrag auf internationalen Schutz vom in rechtsmissbräuchlicher Absicht stellte.

Daraus folgt auch, dass die Privaturkunden, die der Beschwerdeführer in Kopie vorlegte, um das Bundesverwaltungsgericht von seiner Mitgliedschaft bei MASSOB zu überzeugen, falsch bzw. ver- oder gefälscht sein müssen.

Daher gelangt das Bundesverwaltungsgericht – wie auch die belangte Behörde – zu dem Schluss, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen."

3.3.Die abweisende Entscheidung begründet das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Rückkehrentscheidung auszugsweise wie folgt:

"Hervorzuheben ist der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Täuschungsabsicht seine wahre Identität verschleierte, offenbar um seine Identifizierung zu erschweren und um damit seine Außerlandesbringung zu verunmöglichen. Mit diesem Verhalten handelte der Beschwerdeführer dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gröblich zuwider.

Der Beziehung, die der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsangehörigen seit etwa acht Monaten führt, kommt in diesem Zusammenhang kein entscheidendes Gewicht zu. Schließlich war der Beschwerdeführer weder imstande, das Geburtsdatum noch den Beruf der Frau zu nennen, die er vorgibt, heiraten zu wollen – allein dieser Umstand lässt Zweifel an der Intensität dieser Beziehung aufkommen. Außerdem liegt der weitere Fortbestand dieser Beziehung ohnehin im Dunkeln, da gerade derart belastete Beziehungen nach der allgemeinen Lebenserfahrung oftmals scheitern."

4.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Privat- und Familienleben, auf Gleichheit von Fremden untereinander und im Recht auf eine gute Verwaltung, behauptet und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde sowie die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

4.1.In der Beschwerde wird hinsichtlich des Verfahrensablaufs und der Beweiswürdigung auszugsweise Folgendes vorgebracht:

"Der Beschwerdeführer hat bei der Verhandlung vorgetragen, dass er Mitglied des in Nigeria unstreitig massiv verfolgten MASSOB sei, und einen diesbezüglichen Ausweis vorgelegt.

Zur Verhandlung vor dem belangten Verwaltungsgericht ist der Beschwerdeführer mit seiner Partnerin angereist, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat.

Der Beschwerdeführer war bei der Verhandlung erkennbar völlig außer Tritt, mit seiner Aussage war erkennbar nichts zu machen.

Das Verfahren wurde vom Verhandlungsleiter abrupt abgebrochen, ohne dass es dafür einen erkennbaren Grund gegeben hätte. Dadurch hat sich das belangte Verwaltungsgericht der Möglichkeit gegeben, zumindest jene Beweise aufzunehmen, die auf der Hand gelegen hätten, nämlich die Prüfung der Dokumente des Beschwerdeführers zu veranlassen oder die sogar im Verhandlungssaal anwesende Partnerin des Beschwerdeführers zu befragen."

4.2.Mit ergänzendem Schriftsatz wurde eine eidesstattliche Erklärung der Partnerin des Beschwerdeführers vorgelegt. Darin wird auszugsweise Folgendes vorgebracht:

"Als wir vor Gericht waren, habe ich angeboten als ********* Freundin eine Aussage zu machen. Als ich gegen Ende der Verhandlung zu Wort kommen durfte, wurde mir gesagt, ich könne sehr wohl eine Aussage machen, allerdings sei es bereits klar, dass dies nichts am Negativurteil ändern würde. Es wurde keine einzige Frage an mich gestellt, sondern mir gesagt, 'ich solle mir nochmals genau anschauen, auf wen ich mich da eingelassen habe'.

Bei der Gerichtsverhandlung war zwar eine Dolmetscherin anwesend, ich hatte jedoch das Gefühl, dass nur die direkten Fragen des Gerichts an ********* übersetzt wurden. Es sind jedoch zahlreiche Zwischenbemerkungen[…] gefallen, die nicht übersetzt und auch nicht dokumentiert wurden. Wären diese übersetzt worden oder hätte ********* diese alle verstanden, ich bin mir sicher, er hätte anders argumentieren und antworten können.

Ein Punkt, welcher zeigt, wie unfair ********* vor Gericht behandelt wurde: Als es zum Unterzeichnen des schriftlichen (in Deutsch geführten) Protokolls kam, wurde ********* gefragt, ob 'er wirklich möchte, dass das Protokoll für ihn nochmals rückübersetzt wird, bevor er es unterzeichnet, denn meist würden sich die Leute an seiner Stelle sowieso nicht dafür interessieren. Außerdem würde es Zeit benötigen, um das Ganze nochmals für ihn zu übersetzten.' Ich frage mich, ob diese Frage an jede Person vor Gericht gestellt wird, deren Muttersprache eine andere als die Deutsche ist."

5.Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Akten vor, ohne eine Gegenschrift zu erstatten.

II.Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Annahme der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers damit, dass dieser in der mündlichen Verhandlung offenbar den zu schaffenden, unabhängigen Staat "Biafra" mit der Unabhängigkeitsorganisation "MASSOB" verwechselt habe. Dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht, dass MASSOB gerade die Einrichtung des unabhängigen Staates Biafra bezweckt und somit ein enger inhaltlicher Zusammenhang besteht. Die Aussage, der Beschwerdeführer sei "Mitglied von Biafra" gewesen, ist daher für sich allein nicht geeignet, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und dessen Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen, weil sie auch die Folge geringfügiger Verständnisschwierigkeiten bzw. Übersetzungsprobleme sein kann.

2.2.Das Bundesverwaltungsgericht weitet diese Argumentation aus, indem es aus der Verwechslung der Begriffe "Biafra" und "MASSOB" und der daraus angeblich folgenden Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ohne weitere Feststellungen schließt, dass der Antrag auf internationalen Schutz in rechtsmissbräuchlicher Absicht gestellt wurde und daher die zum Beweis vorgelegten Privaturkunden falsch bzw. ver- oder gefälscht sein müssen. Dieser unsachlichen Schlussfolgerung kommt kein selbstständiger Begründungswert zu, weil zwei unterschiedliche Beweismittel, die gesondert zu prüfen wären, miteinander in unzulässiger Weise verknüpft werden und damit in Wahrheit nur das erste Beweismittel gewürdigt wird. Vielmehr hätte sich das Bundesverwaltungsgericht – insbesondere angesichts der Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat und der dortigen Verfolgung der politischen Gruppe MASSOB – im Rahmen der diesem zukommenden freien Beweiswürdigung mit den zum Beweis der Mitgliedschaft in MASSOB vorgelegten Privaturkunden auseinandersetzen müssen.

2.3.Das Bundesverwaltungsgericht hat es unterlassen, der Frage, welche Auswirkungen die Entscheidung auf das Familienleben des Beschwerdeführers haben wird, in der gebotenen Weise nachzugehen. Die als Beweis ausdrücklich angebotene Einvernahme der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers erfolgte entweder voreingenommen oder gar nicht. Die von dieser in der vorgelegten eidesstattlichen Erklärung geschilderte Einvernahme fand jedenfalls keinen Eingang in die Niederschrift der mündlichen Verhandlung oder die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses. Der anstelle dessen getroffenen – geradezu zynisch anmutenden – Feststellung "Außerdem liegt der weitere Fortbestand dieser Beziehung ohnehin im Dunkeln, da gerade derart belastete Beziehungen nach der allgemeinen Lebenserfahrung oftmals scheitern." kommt in diesem Zusammenhang keinerlei Begründungswert zu. Diese Behauptung ist durch nichts belegt und gibt lediglich die – erkennbar von Vorurteilen geleitete – persönliche Sichtweise des erkennenden Mitgliedes des Bundesverwaltungsgerichtes wieder. Auf eine solche Vermutung – das Bundesverwaltungsgericht bleibt jeden konkreten Nachweis schuldig – kann im Rahmen der Beurteilung der familiären Beziehung keine Argumentation gestützt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher das angefochtene Erkenntnis mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt ().

2.4.Sohin belastet das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit Willkür, indem es sich mit vorgelegten, allenfalls wesentlichen Beweismitteln nicht auseinandergesetzt und wesentliche Ermittlungen zum Familienleben des Beschwerdeführers unterlassen hat.

III.Ergebnis

Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2017:E2701.2016
Schlagworte:
Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung

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